M das Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft - Darmstadt No. 01 2024
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EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
derzeit wird viel über den Standort Deutschland geklagt<br />
<strong>und</strong> Untergangsszenarien haben Konjunktur.<br />
Aber ist es wirklich so schlecht bestellt um unser Land?<br />
In einer immer turbulenteren Welt bietet Deutschland<br />
mit seinen stabilen Strukturen, seiner wirtschaftlichen<br />
Stärke <strong>und</strong> einem hohen Werteverständnis seinen<br />
Bürgern mehr Ges<strong>und</strong>heit, mehr Wohlstand, <strong>und</strong> einen<br />
Überfluss an Möglichkeiten wie noch nie zuvor in unserer<br />
Geschichte. Und wir sind trotz aller Klagen über<br />
fehlende Gelder in vielen Bereichen ein solidarisches<br />
Land, <strong>das</strong> die Hälfte der erbrachten Steuern <strong>für</strong> soziale<br />
Leistungen ausgibt.<br />
Wir leben immer noch in den zwar sehr unvollkommenen<br />
<strong>und</strong> gefährdeten, aber glücklichsten Verhältnissen,<br />
die die Menschheitsgeschichte zu bieten hat. Und<br />
es geht wesentlich mehr Menschen wesentlich besser,<br />
als sie zugeben. Und die andere Seite der Medaille: Diejenigen,<br />
denen es wirklich schlecht geht, die jammern<br />
nicht, weil sie sich genieren. Wenn wir in Deutschland<br />
von Armut sprechen, meinen wir nicht den Mangel an<br />
Nahrung, Kleidung, Wohnung, Zugang zu Bildung <strong>und</strong><br />
medizinischer Versorgung. In Deutschland gilt als arm,<br />
wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens<br />
hat. Wir sollten, wenn wir von Armut sprechen,<br />
wenigstens bedenken, was Armut in der Welt wirklich<br />
bedeutet.<br />
Aber gerade die Wohlhabenden reden <strong>das</strong> Erreichte<br />
schlecht. Ihr fortwährendes Mäkeln bewirkt kein<br />
Wachrütteln, keinen Antrieb, sondern exakt <strong>das</strong> Gegenteil:<br />
Selbstzweifel, Mutlosigkeit <strong>und</strong> Vertrauensverlust.<br />
Die deutsche Krisenangst ist so groß, <strong>das</strong>s wir<br />
die Möglichkeit, <strong>das</strong>s die Katastrophe ausbleibt oder<br />
wir sie abwenden können, gar nicht mehr in Erwägung<br />
ziehen. Über die Jahre haben die Talkshows einen<br />
ganz neuen, einträglichen Job geschaffen: Profi-Mäkler,<br />
Miesmacher <strong>und</strong> Depressionserzeuger, die laut<br />
<strong>und</strong> viel über Reformen sprechen, aber selten selbst<br />
eine in die Tat umgesetzt haben. Dabei klappt vieles,<br />
wenn man die Sache einfach mal anpackt <strong>und</strong> sich<br />
nicht durch schlechte Umfragewerte beirren lässt.<br />
Natürlich gibt es viele Herausforderungen, denn wir<br />
leben in einer Zeit großer Umbrüche, deren Folgen wir<br />
nur allmählich zu ahnen beginnen. Die Globalisierung<br />
der <strong>Wirtschaft</strong>, die unaufhaltsame Völkerwanderung<br />
in Richtung Europa verändern nicht nur <strong>das</strong> <strong>Wirtschaft</strong>sgefüge<br />
der Welt; auch unser Gerechtigkeitsbegriff,<br />
unser Verständnis von Wohlstand. Aber wir<br />
haben in Deutschland noch immer tolle Arbeitskräfte,<br />
super Verkehrswege, eine gute internationale Anbindung<br />
<strong>und</strong> viele engagierte Bürger die sehr wendig <strong>und</strong><br />
innovativ sind.<br />
Versäumnissen, Fehlentwicklungen <strong>und</strong> Missstände<br />
werden oft von Medien <strong>und</strong> Lobbyisten dramatischer<br />
dargestellt, als sie in Wirklichkeit sind. Den Spruch<br />
»bad news are good news« kennen alle Journalisten.<br />
Aber erschreckend finde ich, <strong>das</strong>s in vielen Kommentaren<br />
<strong>und</strong> Analysen der Eindruck erweckt wird, der<br />
Niedergang der <strong>Wirtschaft</strong> <strong>und</strong> Zusammenbruch unserer<br />
gesellschaftlichen Ordnung seien unabwendbare<br />
Schicksale <strong>und</strong> wir müssten uns damit abfinden.<br />
Auch die freie Diskussion der Bürger <strong>und</strong> die zwanglose<br />
Suche nach besseren Argumenten wird mitunter<br />
auch von Parteien bedroht, denen <strong>das</strong> Wohl<br />
der ganzen <strong>Gesellschaft</strong> zweitrangig ist, die Ängste<br />
schüren <strong>und</strong> nur ihre eigenen Machtinteressen verfolgen.<br />
Dabei gehört es zu den besonderen Fähigkeiten<br />
von uns Menschen: vorauszuschauen, bewusste<br />
Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> gemeinsame Ziele zu<br />
verfolgen. Längst geht es dabei nicht mehr nur darum,<br />
<strong>für</strong> Wachstum <strong>und</strong> materiellen Wohlstand zu sorgen.<br />
Es geht nicht nur um ein „Mehr“ an materiellen Gütern,<br />
sondern um ein „Besser“ bei der Qualität bei der<br />
Produktion <strong>und</strong> bei ihrer Verteilung, aber auch um die<br />
Chancen ein gutes Leben <strong>und</strong> den Bedingungen, in<br />
denen wir leben zu erhalten.<br />
meint Ihr<br />
Hans-W. Mayer<br />
04<br />
2023<br />
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