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PS_1975-1976_069

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Die Worte der Passicn sind dem 18. und 19. Kapitel des Johannes-Evangeliums

entnommen, wobei sich Bach nicht scheute, auch einige Stellen des Matthiius­

Evangeliums einzubeziehen. Die madrigalischen Texte sind , wie bemerkt, z. T. aus

der Brockes-Passion gewiihlt. Einige Arien sind wahrscheinlich von Bach selbst

nach Brockes gedichtet (z . B. die Arie . Ach, mein Sinn" ), anderes ist der hamburgischen

.Johannes Passion " des dichtenden Juristen Christian Henrich Postel

(1658-1705) entlehnt; seine Passion hat Obrigens Hiindel vertont.

Die Tatsache, daB Bach der dichterischen Voraussetzung soviel Wert beimaB und

andererseits immer wieder Anderungen in der musikalischen Struktur vornahm

(Komposition eines groB angelegten Einleitungschores, Ersetzen einer Arie .Ach,

windet euch" durch Arioso und Arie .Betrachte, meine Seel " und . Erwiige") ,

bezeugt, welche Bedeutung er selbst diesem seinem ersten Passionswerk zusprach.

Sie offenbart zugleich jenen inneren, geistigen ReifeprozeB, der sowohl

seiner religiosen Vorstellung als auch seiner musikalis.chen Absicht zugrunde

lag. Die formale Anlage des dramatisch veranschaulichenden Werks ist durch die

turbae bestimmt, die • Volkschore", die, Akzente setzend, durch Wiederholung

(wie z. B .• Jesum ", . Nicht diesen" und .Wir haben keinen Konig " ) die inhaltliche,

gedankliche Geschlossenheit unterstreichen. Die Verwendung gleichbleibender

thematischer oder ryhthmischer Elemente unterstreicht das vom Barock

herkommende Gesetz der Symbolik. Die Oberlegte Verteilung der Chore und

Choriile reguliert die inhaltlich bedingte Einsetzung der betrachtenden Bestandteile

(Arien). In durchaus neuartiger Weise werden die Rezitative behandelt. Sie

sind nicht mehr nur - wie gelegentlich in der opera seria - Verbindungsglieder

von Arie zu Arie, sondern dramatisch angelegte Vorbereitungen der Arien und

korrespondieren mit diesen zur Erregtheit der groBen Chorsiitze. DaB Bach bereits

bei der ersten Oberarbeitung der Passion be i ihm hochst selten zu findende

Kennzeichnungen von Dynamik und Phrasierung vornahm, unterstreicht das Besondere,

das zweifellos die Zeitgenossen, die an sanftere Tane gewohnt waren,

nicht erkennen konnten . Das harte Urteil, das 1732 Christian Gerber, wahrscheinlich

Ober die . Matthiius-Passion", fiillte, wird wohl auch , vielleicht in hoherem

MaBe noch bei der .Johannes-Passion " , weil sie zum ersten Male die von den

Kantatendichtungen Erdmann Neumeisters angeregte Sprache anwandte, hier

iihnlich ausgesprochen worden sein, wie etwa: . Es gibt aber freilich auch solche

GemOter, die an solchem eitlen Wesen ein Wohlgefallen haben, zumai wenn ihr

Temperament sanguinisch und zur Wollust geneigt ist. Diese defendieren dann

die groBen Kirchenmusiken aut das beste, so viel sie konnen, halten andere tor

Grillenfiinger und melancholische Geister oder Humoristen, gerade als ob sie

allein alle Weisheit Salomonis besiiBen, andere aber nichts. Ach, wie gut wOrde

es um die christliche Kirche stehen, wenn wir noch die erste Christeneinfalt bei

unserem Gottesdienste im Predigen, Beten und Singen hiitten ... !" Was uns,

wie gesagt, selbstverstiindlich erscheint, ist nicht von Anfang an selbstverstiindlich

gewesen : auch nicht Johann Sebastian Bach und seine .Johannes-Passion"

von 1723.

Dr. Erich Valentin

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