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FORUM 86 - Deutscher Arbeitskreis für Zahnheilkunde

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Dr. Harald Strippel, medizinischer Dienst<br />

der Spitzenverbände der Krankenkassen Essen,<br />

Fachgebiet Zahnmedizinische Versorgung<br />

Was stechend riecht,<br />

hilft auch nicht besser.<br />

Die Zeit von 1880 bis 1910 war die hohe Zeit der<br />

Mikrobiologie. In seinem „wissenschaftsgeschichtlichen<br />

Tatsachenroman“ stellt de Kruif<br />

(1926) dar, dass die „Mikrobenjäger“ in den<br />

Bazillen die grimmigsten Feinde des<br />

Menschengeschlechts erblickten. Den damaligen<br />

Forschern war eine gewisse Besessenheit wohl<br />

nicht abzusprechen. Louis Pasteur witterte Mikroben<br />

wo es keine gab und konnte es beim Essen<br />

nicht unterlassen, Teller und Löffel dicht an die<br />

Nase zu führen, sie mit kurzsichtigen Augen zu<br />

inspizieren und mit der Serviette abzuwischen.<br />

Gleichzeitig aber verstand er es, jedermann mitzureißen;<br />

und alle Welt regte sich über Mikroben<br />

auf. Allgemein wurde die Notwendigkeit gesehen,<br />

Bakterien, Pilzen und dergleichen außerhalb<br />

und innerhalb des menschlichen Organismus zu<br />

bekämpfen. Das Interesse an Desinfektions-<br />

Methoden wuchs. Der Glasgower Chirurgieprofessor<br />

Lister propagierte 1<strong>86</strong>7 das „antiseptische<br />

Prinzip“, also die Hemmung oder<br />

Vernichtung von Wundinfektionserregern, und<br />

empfahl dazu das Antiseptikum Phenol. Bis 1915<br />

wurden Jod, Jodoform, verschiedene Kresolmischungen,<br />

Lysol, Xylenol, Thymol, Naphtol,<br />

Benzoesäure und Formaldehyd erprobt und eingeführt<br />

(Müller-Jahncke und Friedrich 1996).<br />

Auch in der Zahnmedizin begann eine Ära der<br />

Antisepsis. Prof. Otto Walkhoff stellte 1891 eine<br />

stechend riechende antibakterielle Substanz, die<br />

Phenolverbindung kampferisiertes Chlorphenol<br />

(ChKM), zur Wurzelkanalbehandlung vor (Ingle<br />

et al. 2002).<br />

Pettenkofer wiederum hielt das Gerede von den<br />

Bazillen <strong>für</strong> Schwindel und Unsinn. Er schluckte<br />

zum Entsetzen von Robert Koch ein ganzes Glas<br />

von dessen Cholerabazillen, verdarb sich daran<br />

aber nicht einmal den Magen, was er <strong>für</strong> einen<br />

14<br />

DAZ <strong>FORUM</strong> <strong>86</strong> 4. Quartal 2005<br />

endo<br />

Ist die Wurzelkanal-<br />

Desinfektion mit ChKM<br />

wirklich überlegen?<br />

Beweis seiner Ansicht hielt. So ging es offensichtlich<br />

zu „in jenen aufgeregten achtziger<br />

Jahren, als die Männer der Wissenschaft bereit<br />

waren, ihr Leben zu wagen, um zu beweisen, dass<br />

sie Recht hatten” (de Kruif 1980).<br />

Ein später Widerschein der damaligen<br />

Mikrobenbegeisterung bei gleichzeitiger hoch<br />

gesteigerter Mikrobenfurcht scheint im Beitrag<br />

von Dr. Rüdiger Osswald in dieser Ausgabe des<br />

„DAZ-Forums“ vernehmbar zu sein. Kollege<br />

Osswald spricht sich <strong>für</strong> Wurzelkanal-Einlagen<br />

mit besagtem ChKM aus und rühmt dessen<br />

Eigenschaften. Auch propagiert er eine weite<br />

Aufbereitung des Wurzelkanals in der Absicht,<br />

das Mittel bis in den Knochen vordringen zu lassen.<br />

Was ist dran an<br />

ChKM-Wurzelkanaleinlagen?<br />

Dr. Osswald verbreitet viele theoretische<br />

Annahmen, berichtet aber über nur wenige experimentelle<br />

Befunde. Nichts gegen Theorien:<br />

Aristoteles beispielsweise formulierte die Theorie<br />

„Männer haben mehr Zähne als Frauen“, was der<br />

Zahnmedizin-Historiker Strübig (1989) damit<br />

kommentierte, auch Aristoteles sei fehlbar. Nur<br />

kann man die Theorie ja überprüfen. Vielleicht<br />

überrascht das Ergebnis: Männer mittleren Alters<br />

haben tatsächlich knapp einen Zahn mehr als<br />

Frauen... (Lenz 1999).<br />

Man sollte also Hypothesen aufstellen, die möglichst<br />

widerlegbar sind, und diese methodisch<br />

sauber untersuchen und ggf. experimentell auf<br />

die Probe stellen. Der Verfasser dieser Zeilen ist<br />

der Ansicht, dass sich das am ehesten mit den<br />

Methoden der evidenzbasierten Medizin – die im<br />

übrigen ohnehin gerade das erkenntnisleitende<br />

Paradigma ist – bewerkstelligen lässt.<br />

Dr. Osswalds Text<br />

lassen sich folgende<br />

Hypothesen entnehmen:<br />

1. Die Ausschaltung der<br />

Bakterienbesiedelung<br />

inner- und außerhalb<br />

des Wurzelkanals ist<br />

entscheidend <strong>für</strong> den<br />

Heilerfolg der Wurzelkanalbehandlung<br />

2. ChKM beseitigt die<br />

Bakterienpopulation<br />

3. Die Anwendung von<br />

ChKM führt zu besseren<br />

Überlebensraten der<br />

wurzelkanalbehandelten<br />

Zähne<br />

4. „Geduldige“ Desinfektion<br />

ist nötig:<br />

eine größere Zahl an<br />

Zwischeneinlagen<br />

5. ChKM ist unschädlich

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