I. Interdependenz und Gruppenbildung
I. Interdependenz und Gruppenbildung
I. Interdependenz und Gruppenbildung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
I. INTERDEPENDENZ UND GRUPPENBILDUNG<br />
1. Einführung<br />
1.1 Definitionen: Gruppe<br />
1.1.1. Gibt es überhaupt eine "Psychologie der Gruppen"?<br />
dazu zwei unterschiedliche Meinungen:<br />
Allport, 1924: Individualismus<br />
Es gibt keine Gruppenprozesse. Sie sind Summe der Einzelindividuen <strong>und</strong> deren Prozesse.<br />
Sherif, 1967: Besonderheit von Gruppenprozessen<br />
Verhalten von Individuen in Gruppen hat eine andere Qualität, als deren Verhalten, wenn sie<br />
isoliert betrachtet werden. Aus der Summe oder dem Querschnitt der Einzelverhaltensweisen<br />
können keine Rückschlüsse auf das Verhalten der Gruppe gezogen werden.<br />
1.1.2. Dimensionen der Gruppenforschung<br />
Die gesamte Gruppenpsychologie bewegt sich auf dem Gegensatz/der Dimension<br />
Individualismus --------- Besonderheit von Gruppenprozessen<br />
Dennoch geht es auch bei der Gruppenpsychologie immer um die Verhaltensweisen des<br />
Individuums (in der Gruppe). Eine weitere Dimension der Gruppenforschung ist die<br />
Unterscheidung von<br />
Kleingruppenforschung, -------------------- Großgruppenforschung<br />
Gruppendynamik (traditionell) (modern)<br />
1.1.3. Definitionen<br />
Eine Gruppe ist eine Ansammulung von Individuen, die in <strong>Interdependenz</strong> (Abhängigkeit)<br />
zueinander stehen.<br />
Dabei betonen verschiedene Autoren unterschiedliche Aspekte besonders:<br />
Kriterium für Gruppen Autoren<br />
(Häufigkeit) Soziale Interaktion Lewin (1948), Homans (1950), Merton (1957)<br />
<strong>Interdependenz</strong> Lewin (1948), Cartwright & Zander (1968)<br />
Verfolgung gemeinsamer Ziele(=positive Cartwright & Zander (1968), Deutsch (1968)<br />
<strong>Interdependenz</strong>=promotive <strong>Interdependenz</strong>)<br />
Gemeinsame Normen Newcomb (1953)<br />
Selbstdefinition als "Mitglied" + Fremddefinition<br />
als "Mitglied"<br />
Merton (1957)<br />
3
1.3. <strong>Gruppenbildung</strong><br />
1.3.1. Das Soziale Kohäsionsmodell der <strong>Gruppenbildung</strong><br />
UV AV<br />
<strong>Interdependenz</strong> Kohäsion=<br />
- (gegenseitige Attraktion) gegenseitige Attraktion<br />
- gleiche oder kompatible<br />
materielle Ziele<br />
- Informationsabhängigkeit<br />
1.3.2. Wie Attraktion (<strong>und</strong> der Ausdruck davon) Attraktion steigert<br />
Wie wirken sich gezielte positive Äußerungen einer Person (P) über eine andere Person (O)<br />
auf die Kohäsion (=gegenseitige Attraktion) aus?<br />
Beispiel: P äußert sich positiv über O -----------------> O mag P<br />
Erklärungen: 1. Lerntheoretisch (Klassische Konditionierung, Verstärkerlernen)<br />
2. Balancetheorie von Heider<br />
Experiment: Aronson & Linder (1965) - 'Gain-Loss-Effect'<br />
Vpn soll Attraktivität einer Person P (Komplizin des VL) einschätzen, die während des<br />
Versuchs viermal eine Einschätzung über diese (Vpn) abgibt. Obwohl hier nur die Interaktion<br />
zwischen zwei Personen (=Diade) untersucht wird, kann auch diese bereits als Kleingruppe<br />
angesehen werden.<br />
Attraktivitätseinschätzung der Vpn ist am höchsten, wenn sie während des Versuchs an<br />
Ansehen (in den Augen der VL-Komplizin P) gewonnen hat: 'gain-effect'.<br />
Attraktivitätseinschätzung der Vpn ist am niedrigsten, wenn sie während des Versuchs an<br />
Ansehen (in den Augen der VL-Komplizin P) verloren hat: 'loss-effect'.<br />
1.3.3. Wie gemeinsame Gruppenziele die Attraktion steigern<br />
Experiment: Deutsch (1949)<br />
50 Studis treffen sich regelmäßig in Kleingruppen (5 Personen) <strong>und</strong> müssen Aufgaben<br />
bearbeiten - variiert wird das Ausmaß der Kooperation in der Gruppe:<br />
Kooperative Bedingung: Belohnung, wenn ihre Gruppe im Vergleich zu den anderen<br />
Gruppen positiv abschneidet = positive <strong>Interdependenz</strong><br />
Kompetitive Bedingung: Belohnung, wenn sie im Vergleich zu anderen<br />
Gruppenmitgliedern positiv abschneiden = negative <strong>Interdependenz</strong><br />
Gegenseitige Attraktion (Wir-Gefühl <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit in der Gruppe) wird unter der<br />
kooperativen Bedingung höher eingeschätzt. Auch der Erfolg der Gruppe scheint einen<br />
Einfluß auf die gegenseirtige Attraktion (Fre<strong>und</strong>lichkeit in der Gruppe) zu haben.<br />
Experiment: Turner<br />
Vpn sollen nach Bearbeitung einer Aufgabe die Fre<strong>und</strong>lichkeit der Gruppe beurteilen. Variiert<br />
werden in Turners Versuch:<br />
• die Wahlfreiheit ob Vpn an der Gruppenarbeit teilnehmen will<br />
• Erfolg <strong>und</strong> Mißerfolg der Gruppe bei einer Aufgabe<br />
4
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Bei Wahlfreiheit wird die Fre<strong>und</strong>lichkeit in der Gruppe bei einem Mißerfolg höher bewertet<br />
als bei Erfolg. Erklärung: Dissonanztheorie, d.h.<br />
Die Gruppe ist nicht erfolgreich. ⇔ Ich habe freiwillig mitgearbeitet.<br />
⇒ Die Gruppe/ihre Mitglieder sind attraktiv.<br />
Ohne Wahlfreiheit wird die Fre<strong>und</strong>lichkeit in der Gruppe bei einem Erfolg höher bewertet als<br />
bei Mißerfolg. Erklärung: Lerntheorie (Klassische Konditionierung)<br />
5
2. Interpersonale Kommunikation (Kapitel 11 - Stroebe)<br />
Kommunikation wirkt scih sowohl positiv als auch negativ auf unser Wohlbefinden <strong>und</strong> unsere<br />
Ges<strong>und</strong>heit aus.<br />
Frage der Funktion verbalen <strong>und</strong> nonverbalen Verhaltens im Dienste interpersonaler,<br />
kommunikativer Ziele.<br />
Unterscheidung von Kommunikation <strong>und</strong> Verhalten:<br />
1. Um die Elemente einer Mitteilung zu enkodieren, muß ein gewisses Maß an Bewußtheit <strong>und</strong> damit<br />
Intentionalität vorhanden sein.<br />
2. Kommunikation ist ein interpersonaler Prozeß.<br />
Kommunikation ist ein multifunktionales Spiel: Kommunizierende wollen sich nicht nur mitteilen<br />
sondern auch ein positives Selbstbild schaffen <strong>und</strong> aufrechterhalten.<br />
2.1. Die Gleichgewichtshypothese (Argyle & Dean 1965)<br />
Das Ausmaß des Blickkontaktes in einem Gespräch ist das Ergebnis einer Vielfalt von Annäherungs-<br />
<strong>und</strong> Vermeidungskräften:<br />
• Annäherungskräfte umfassen Bedürfnisse nach Anerkennung, Zusammensein mit anderen<br />
(Affiliation)<br />
• Vermeidungskräfte beinhalten die Furcht, gesehen zu werden oder sich boloßzustellen, die<br />
Vermeidung von Reaktionen anderer etc.<br />
Die Annäherungs-Vermeidungs-Kräfte stellen mit Hilfe der verfügbaren Kommunikationsmittel das<br />
angestrebte Maß an Intimität her.<br />
Bsp.: Wenn man durch ein kommunikatives Mittel (z.B. indem man die körperliche Nähe erhöht) das<br />
Ausmaß an Intimität erhöht, wird das gesamte System dies durch andere Mittel (Etwa Verringern des<br />
Blickkontaktes) wieder ausgleichen. => Gleichgewicht.<br />
empirische Bef<strong>und</strong>e können die Theorie z.T. aber nicht uneingeschränkt bestätigen<br />
2.2. Funktionen der Kommunikation<br />
Kommunikation läßt sich in eine Beziehungs- <strong>und</strong> Inhaltsebene aufteilen.<br />
Außerdem enthält jede Mitteilung Informationen darüber, wie sich die Macht zwischen den<br />
Kommunizierenden verteilt => Metakommunikation: Sie gibt an, wie der Inhalt aufgenommen oder<br />
verstanden werden soll.<br />
Unterscheidung von zwei gr<strong>und</strong>legenden Funktionen von Kommunikation:<br />
1. soziale Kontrolle: Die Bestimmung der Verteilung der kommunikativen Kontrolle innerhalb einer<br />
Beziehung<br />
2. Affiliation: Die Ebene <strong>und</strong> Valenz der affiliativen Mitteilungen, die eine Beziehung<br />
charakterisieren<br />
Die Funktionen werden von Menschen dazu benutzt, Beziehungen zu definieren, zu verändern <strong>und</strong> zu<br />
stabilisieren.<br />
2.2.1. Soziale Kontrolle<br />
Trennung zw. Macht <strong>und</strong> Kontrolle:<br />
• Macht: Etwas, was aufgebracht werden kann.<br />
• Kontrolle: Etwas, was andauert <strong>und</strong> sich in den Beziehungen (wenn auch nicht gleichmäßig)<br />
verteilt.<br />
6
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
soziale Kontrolle: gemeint ist, die Konstellation bzw. Zusammensetzung der Einschränkungen<br />
gemeit, die wir einander durch den Inhalt einer Mitteilung <strong>und</strong> die Struktur eines Gespräches<br />
auferlegen <strong>und</strong> die wiederum die Freiheitsgrade des Gesprächspartner einschränken.<br />
Eine Person besitzt soziale Kontrolle über andere in dem Maß, wie sie einschränken kann, was diese<br />
als nächstes tun können, aber auch gleichzeitig den Eindruck hinterläßt, daß dieses Verhalten<br />
angemesse, logisch, verständlich <strong>und</strong> vernünftig ist.<br />
Soziale Kontrolle kann aus einer Vielzahl von Verhaltensweisen bestehen:<br />
• man redet mehr als der Gesprächspartner<br />
• man redet weniger <strong>und</strong> fragt dafür mehr, um nicht von sich selbst sprechen zu müssen<br />
• man wählt eine formale Ausdrucksweise <strong>und</strong> spricht den anderen mit „Sie“ anstatt mit „Du“ an<br />
• man starrt den anderen an<br />
• man nimmt eine betont entspannte Haltung ein<br />
• etc.<br />
Die wohl am häufigsten benutzte soziale Kontrolle ist das UNTERBRECHEN.<br />
2.2.2. Affiliation<br />
wird in diesem Zusammenhang auch als Zuneigungs-Ablehnungs-Dimension kommunikativer<br />
Beziehungen bezeichnet.<br />
Affiliation ist der ausgedückte (positive <strong>und</strong> negative) Affekt in einer Interaktion.<br />
Abgrenzung zur Intimität: Intimität entsteht durch den Austausch vertraulicher, persönlicher<br />
Informationen <strong>und</strong> äußert sich in affiliativen Verhaltensweisen.<br />
Positive Aspekte von Affiliation werden ausgedrückt durch:<br />
• größere Nähe<br />
• durch auf den anderen gerichteten Blick<br />
• Berührung<br />
• offene Körperhaltung<br />
• private Themen im Gespräch<br />
• Selbstenthüllung<br />
• das Angebot von Unterstützung für das vom anderen mitgeteilte Selbstkonzept.<br />
Zur kommunikativen Entwicklung der Affiliation, siehe Kommunikationsmodell von Knapp. Er<br />
beschreibt 10 Interaktionsstufen der Entwicklung <strong>und</strong> Auflösung einer Beziehung (Stroebe, 1996, S.<br />
350ff)<br />
Selbstenthüllung erhöht die Geschwindigkeit, mit der sich eine Beziehung in Richtung auf positive<br />
Affiliation hin entwickelt.<br />
=> Reziprozitätsnorm von Gouldner (1960): Beschreibt die gleichwertige Reaktion vom<br />
Gesprächspartner auf eine Vielzahl sozialer Verhaltensweisen, insbesondere der Selbstenthüllung:<br />
Enthüllt sich der eine, enthüllt sich auch der andere.<br />
2.3. Die Theorie der kommunikativen Kompetenz (Wiemann 1977; Wiemann u.<br />
Bradac 1986)<br />
Implizite Charakteristika kommunikativer Kompetenz:<br />
• Verhalten muß im Hinblick auf dem Kontext angemessen sein.<br />
• Wissen über kommunikative Regeln sowie Anpassungsfähigkeit <strong>und</strong> Flexibilität, diese konstruktiv<br />
anwenden zu können müssen gegeben sein.<br />
• kommunikative Kompetenz ist in der Beziehung verwurzelt, nicht in den Individuen.<br />
7
Kommunikativ kompetent bedeutet, emotionale Fallen <strong>und</strong> Rückschläge vermeiden <strong>und</strong> Schaden, der<br />
nicht zu vermeiden war, wieder in Ordnung bringen zu können. Die jeweiligen Ausprägungen von<br />
sozialer Kontrolle <strong>und</strong> von Affiliation bilden die primäre Untersuchungsdimensionen kommunikativer<br />
Kompetenz.<br />
2.4. Die Theorie der informellen sozialen Kommunikation (Festinger, 1950)<br />
aus Wagner-Folie:<br />
Innerhalb einer Gruppe existiert ein Druck in Richtung auf Uniformität <strong>und</strong> Kommunikation.<br />
Dieser Druck geht zurück auf:<br />
1. den Versuch, eine gemeinsame Wahrnehmung <strong>und</strong> Interpretation der Umwelt, d.h. eine soziale<br />
Realität, zu etablieren <strong>und</strong><br />
2. die Verfolgung gemeinsamer Gruppenziele<br />
• Der Druck ist eine positive Funktion<br />
• der Diskrepanz der Meinungen in der Gruppe<br />
• der Relevanz der Meinung für die Gruppe<br />
• der Gruppenkohäsion<br />
• ...<br />
=> Mit abweichender Uniformität geht ein Attraktivitätsverlust einher (Schachter, 1951)<br />
3. Affiliation, zwischenmenschliche Anziehung <strong>und</strong> enge<br />
Beziehungen (Stroebe Kapitel 12)<br />
Menschen neigen dazu, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen.<br />
Sie suchen die Gesellschaft anderer aus 4 Gründen:<br />
• um durch den Vergleich mit anderen Unsicherheit zu reduzieren<br />
• um durch interessanten <strong>und</strong> lebhaften Kontakt positiv stimuliert zu werden<br />
• um Lob <strong>und</strong> Anerkennung zu gewinnen<br />
• um emotionale Unterstützung zu erhalten<br />
3.1. Motive für Affiliation:<br />
1. soziale Vergleiche<br />
2. Veringerung von Angst<br />
3. Informationsgewinnung<br />
zu 1. soziale Vergleiche:<br />
Vgl. Theorie des sozialen Vergleich (Festinger): die Gesellschaft anderer bietet die Möglichkeit, die<br />
eigenen Reaktionen mit anderen zu vergleichen <strong>und</strong> dadruch die Angemessenheit der eigenen Gefühle<br />
einschätzen zu können. Allgemein: eigene Gefühle <strong>und</strong> Einschätzungen können mit anderen<br />
verglichen werden<br />
zu 2. Angstreduktion:<br />
Affiliation unter Streß hängt mit dem Bestreben zusammen, Unsicherheit durch soziale Vergleiche zu<br />
reduzieren.<br />
• Geringe <strong>und</strong> extreme Angst führt zu einer Verringerung des Wunsches nach Affiliation. Der<br />
Wunsch nach Affiliation ist bei mittleren Angstniveau am höchsten.<br />
Die Gesellschaft anderer, die man mag <strong>und</strong> kennt,<br />
• reduziert Angst <strong>und</strong> Streß bei schwierigen Aufgaben<br />
• erhöht Streß bei peinlichen Themen<br />
zu 3. Informationsgewinnung:<br />
8
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
bei Bedrohung wird jemand gesucht, der sich auskennt <strong>und</strong> ihnen Informationen liefern kann, die es<br />
ermöglichen, die mit der Bedrohung verb<strong>und</strong>ene Gefahr einzuschätzen.<br />
3.2. Soziale Unterstützung <strong>und</strong> Streßreduktion:<br />
Soziale Unterstützung kann in vier Komponenten untergliedert werden:<br />
• emotionale Unterstützung<br />
• Einschätzungsunterstützung (Rückmeldung <strong>und</strong> soziale Vergleiche über die Einschätzung von<br />
Dingen erfahren)<br />
• informative Unterstützung<br />
• instrumentelle Unterstützung (konkrete Hilfe)<br />
Puffer-Effekt sozialer Unterstützung: Personen, die sich unterstützt fühlen, scheinen weniger<br />
streßanfällig zu sein.<br />
3.3. Einsamkeit:<br />
2 gr<strong>und</strong>legende Formen von Einsamkeit:<br />
• emotionale Isolation, die sich aus der Abwesenheit eines intimen Partners ergibt.<br />
• soziale Isolation als Folge fehlender unterstützender Fruende <strong>und</strong> fehlender Einbettung in ein<br />
soziales Netz<br />
4 Cluster an Gefühlen <strong>und</strong> Erfahrung in bezug zur Einsamkeit:<br />
• Verzweiflung<br />
• Depression<br />
• ungeduldige Langeweile<br />
• Selbstherabsetzung<br />
3.4. Zwischenmenschliche Anziehung:<br />
physische Nähe fördert zwischenmenschliche Anziehung, weil<br />
• sie den Kontakt erleichtert<br />
• das Entdecken von Gemeinsamkeiten fördert<br />
• bloßes Zusammensein zwischenmenschliche Anziehung fördert<br />
Der Effekt physischer Nähe wird durch gegenseitige Ähnlichkeit verstärkt => Ähnlichkeit ist eine<br />
wichtige Determinante von Attraktion <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaften. Dabei ist die Ähnlichkeit in den<br />
Einstellungen ein besonders wichtiger Faktor.<br />
2 Faktoren, die die Beziehung zw. Einstellungen <strong>und</strong> Attraktionen beeinflussen:<br />
• Die Ähnlichkeit von Einstellungen: je größer der Unterschied in den Einstellungen um so geringerr<br />
die zwischenmenschliche Anziehung<br />
• Die Qualität der ähnlichen Einstellungen: je wichtiger die Einstellung, umso stärker ihr Effekt.<br />
Begründung:<br />
Ähnlichkeiten in den Einstellungen<br />
• liefert soziale Vergleichsinformationen<br />
• führt zu positiven Affekten, die auf andere konditioniert werden. Hier spielt der Effekt der klass.<br />
Konditionierung eine zentrale Rolle: Das Hören ähnlicher Einstellungen bewirkt einen positiven<br />
Affekt; das Hören einer unähnlichen Einstellungen einen negativen Affekt.<br />
3.5. Fre<strong>und</strong>schaft als Beziehung<br />
Was zeichnet eine fre<strong>und</strong>schaftliche Beziehung aus?<br />
Wichtig hier: soziale Austauschtheorie (Thibaut & Kelley, 1959):<br />
9
Reziprozität der Zuneigung ist eine wichtige Bedingung für eine starke Beziehung (gegenseitige<br />
Anziehung)<br />
Geschlechterunterschied:<br />
Männliche Fre<strong>und</strong>schaften basieren mehr auf gemeinsame Aktivitäten <strong>und</strong> Interessen, während<br />
weibliche Fre<strong>und</strong>schaften mehr auf Intimität, d.h. auf Austausch der Gefühle basieren.<br />
Ursache ist in der Rollenspezifischen Sozialisation zu sehen.<br />
3.6. Romantische Anziehung:<br />
leidenschaftliche Liebe besteht aus 2 Komponenten (nach Berscheid & Walster 1978):<br />
• aus einem Zustand physiologischer Erregung entweder aufgr<strong>und</strong> von positiven oder negativen<br />
Gefühlen<br />
• aus dem Benennen von Erregung als Leidenschaft oder Verliebtsein<br />
Physische Nähe <strong>und</strong> wahrgenommene Ähnlichkeit in den Einstellungen sind auch hier für die<br />
Entwickllung von romantischen Beziehungen entscheidend.<br />
Attraktive Menschen werden generell als Partner bevorzugt. Nach der Equitiytheorie können<br />
Menschen jedoch nicht mehr erwarten, als sie selber anzubieten haben <strong>und</strong> daß sie folglich ihr<br />
Anspruchsniveau für Partner dem eigenen Anziehungsniveau anpassen.<br />
Zufriedenheit in Beziehungen<br />
Nach der sozialen Austauschtheorie ist die Zufriedenheit von Individuen in einer Beziehung vom<br />
Vergleichsniveau abhängig. Individuen werden in engen Beziehungen unglücklich (n Equitiy):<br />
• wenn das Verhältnis von Input <strong>und</strong> Ergebnis für die beiden Partner ungleich ist<br />
• wenn Partner mehr aus einer Beziehungen profitieren, als sie glauben, verdient zu haben<br />
(Schuldgefühle)<br />
• wenn Partner unverhältnismäßig wenig Vorteile aus der Beziehung ziehen.<br />
Doch zu beachten ist:<br />
• daß romantische Beziehungen keine Austauschbeziehungen sind, sondern eher gemeinnützige<br />
Beziehung, in der auf die gegenseitigen Bedürfnisse eingegangen wird.<br />
• daß die zukünftige Qualität einer Beziehung aufgr<strong>und</strong> von Equity vorhersagbar ist.<br />
10
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4. Austauschtheorien<br />
4.1. Psychologische Theorien des sozialen Austausches (Thibaut & Kelley<br />
1959)<br />
Zentrales Thema:<br />
die <strong>Interdependenz</strong>, d.h. die Tatsache, daß Interaktionspartner beim Erzielen positiver Ergebnisse<br />
wechselseitig voneinande abhängig sind.<br />
Sie beschäftigen sich überwiegend mit Interaktionen in 2-Personen-Gruppen oder Dyade.<br />
Defintion Interaktion:<br />
Interaktion findet statt,<br />
• wenn sich zwei Menschen in Gegenwart des anderen verhalten, Produkte füreinander harstellen<br />
oder miteinander kommunizieren<br />
• wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß die Handlungen jeder Person jene der anderen<br />
beeinflussen<br />
Ausschlaggebend, ob Interaktionen stattfinden <strong>und</strong> wiederholt werden, sind die vermuteten <strong>und</strong><br />
tatsächlichen Interaktionskonsequenzen.<br />
=> Gemeinsamkeiten aller sozialen Austauschtheorien:<br />
1. Sozialverhalten wird als Funktion seiner Konsequenzen beschrieben. (Belohnung <strong>und</strong> Bestrafung -<br />
Bezug zu lerntheoretischen Erkenntnissen)<br />
2. Belohnende Interaktionen werden wiederholt <strong>und</strong> nur solche (freiwilligen) Beziehungen<br />
eingegangen, die erwarten lassen, daß sie belohnend sein werden.<br />
3. deutliche Beeinflussung durch ökonomisches Gedankengut (z.B. Kosten, Profit sozialen<br />
Austausches)<br />
Belohnung: Befriedigung ode Gratifikation als Folge der Interaktion<br />
Kosten: Alle negativen Konsequenzen, die mit der Produktion einer Handlung im interaktiven<br />
Kontext einhergehen.<br />
Bewertungsmaßstäbe für Interaktionsprozesse:<br />
Die Bewertung erfolgt anhand zweier verschiedener Kriterien:<br />
1. Vergleichniveau (comparison level - CL):<br />
Interaktionen, deren Ergebnis<br />
• über dem CL liegt, werden als zufriedenstellend <strong>und</strong> attraktiv erlebt<br />
• unter dem CL liegen, werden als relativ unbefriedigend <strong>und</strong> unattraktiv erlebt.<br />
2. Vergleichsniveau für Alternativen (Clalt):<br />
• Dient als Gr<strong>und</strong>lage für die Entscheidung, ob eine Person in einer Beziehung verbleibt<br />
oder aus ihr ausscheiden soll. Ist die Höhe der Qualität des durchschnittlichen<br />
Ergebnisses der besten verfügbaren Alternative höher als in der aktuellen Beziehung,<br />
geschieht ein Wechsel.<br />
Dazu haben Thibaut & Kelley eine Ergebnismatrix entwickelt.<br />
• Beziehungen werden solange aufrecht erhalten, wie die von den einzelnen Beteiligten<br />
durschnittlichen Ergebnissen über ihrem Clalt liegen.<br />
• Jeder Beteiligte hat die Möglichkeit, durch einen Beziehungsabbruch die Ergebnisse seines<br />
Partners zu verschlechtern, <strong>und</strong> besitzt dementsprechend Macht über ihn<br />
• Die Macht jener Person ist größer, welche von der Beziehung weniger abhängig ist, weil der<br />
Abstand ihrer gegenwärtigen Ergebnisse von ihrem Clalt geringer ist.<br />
11
Zwei Arten der Macht:<br />
• Schicksalskontrolle<br />
• Verhaltenskontrolle<br />
Bsp.: Interaktion zw. zwei Personen, von denen die eine lieber Tee (er-B) trinkt, während die andere<br />
lieber Fahrrad (sie-A) fährt.<br />
Beachte: Ihre Gewinne sind oberhalb der Diagonalen eingetragen, während seine Gewinne unterhalb der<br />
Diagonalen zu finden sind. Ihre Alternativen sind a1 (Rad Fahren) <strong>und</strong> a2 (Tee trinken) gekennzeichnet,<br />
während siene Alternativen b1 (Rad Fahren) <strong>und</strong> b2 (Tee trinken) bezeichnet sind.<br />
a. Schicksalskontrolle:<br />
sie (A)<br />
a1 a2<br />
1 1 b1<br />
0 0 er (B)<br />
0 0 b2<br />
0 0<br />
b. Verhaltenskontrolle:<br />
sie (A)<br />
a1 a2<br />
4 0 b1<br />
4 0 er (B)<br />
0 4 b2<br />
0 4<br />
zu1. Schicksalskontrolle:<br />
ist dann gegeben, wenn eine Person A durch ihr Verhalten das Ergebnis einer anderen Person B<br />
unabhängig davon beeinflussen kann, welches Verhalten B produziert<br />
zum Beispiel: Für den Mann (B) hat es im Bsp. a keine Relevanz was die Frau macht. Sein Ergebnis<br />
ist immer 0. Für die Frau macht es jedoch einen Unterschied ob er Fahrad fährt (Ergebnis 1) oder Tee<br />
trinkt (Ergebnis 0).<br />
zu 2. Verhaltenskontrolle<br />
Das Ergebnis der Person B hängt vom Verhalten beider Personen ab. A besitzt insofern Kontrolle, als<br />
er es durch sein eigenes Verhalten für B wünschenswert gestalten kann, ein bestimmtes Verhalten zu<br />
produzieren. (Beide bevorzugen gemeinsames Tun, also entweder Fahrad fahren oder Tee trinken -<br />
die <strong>Interdependenz</strong> in Bsp.b ist sehr hoch )<br />
Die Weiterentwicklung des Ansatzes von Thibaut & Kelley:<br />
Der wichtigste Aspekt der Weiterentwicklung ist die Berücksichtigung sogenannter<br />
Transformationsprozesse:<br />
<strong>Interdependenz</strong>situationen können von den Interaktionspartnern aus mehreren verschiedenen<br />
Perspektiven gesehen werden:<br />
• selbsorientierte Perspektive beider Personen<br />
• altruistische Perspektive<br />
• kooperative Orientierung (Maximierung der gemeinsamen Ergebnisse)<br />
• Wettbewerbsorientierung (Maximierung der Ergebnisunterschiede)<br />
• Betrachtung der Ergebnisse über eine längere Interaktionssequenz<br />
12
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4.2. Die Ressourcentheorie von Foa & Foa (1974, 1976)<br />
Sie weisen auf die wichtige Möglichkeit hin, daß nicht nur das Wieviel an Wert <strong>und</strong> Nutzen, das man<br />
in einer Austauschbehiehung erhält, sondern auch die inhaltliche Bedeutung dessen, was<br />
gegeneinander ausgetauscht wird, bei der Bewertung von Sozialbeziehungen eine Rolle spielen kann.<br />
Soziale Interaktion = Ressourcenaustausch<br />
Ressourcen können sowohl materiell als auch symbolisch sein <strong>und</strong> umfassen in ihrer Gesamtheit<br />
alles, was von einer Person zu einer anderen weitergegeben werden kann.<br />
Unterscheidung von sechs Ressourcenkategorien:<br />
1. Liebe<br />
2. Status<br />
3. Information<br />
4. Geld<br />
5. Güter<br />
6. Dienstleistungen<br />
Die Ressourcenklassen lassen sich nach dem Grad ihrer Konkretheit <strong>und</strong> ihrer Parikularität (d.h.<br />
inwieweit der Wert der Ressource an bestimmten Personen geb<strong>und</strong>en ist) in einem zweidimensionalen<br />
System vereinfacht in kreisförmiger Anordnung darstellen.<br />
Daraus folgen die Thesen:<br />
• Je näher zueinander zwei Ressourcen auf einer der beiden Dimensionen lokalisiert sind, desto<br />
ähnlicher werden sie wahrgenommen, desto stärker werden sie als Gegenleistung füreinander<br />
im Austausch bevozugt <strong>und</strong> desto eher werden sie auch tatsächlich ausgetauscht.<br />
• Je partikularistischer eine Ressource ist, desto eher wird sie gegen dieselbe Ressource getauscht<br />
<strong>und</strong> desto enger ist der Variationsbereich anderer Ressourcen, mit denen sie ausgetauscht wird.<br />
• Wenn eine Ressource nicht verfügbar ist, wird sie eher durch eine weniger paritkularistische als<br />
durch eine partikularistische ersetzt.<br />
4.3. Gerechtigkeitstheorien<br />
4.4.1. Equity-Theorie:<br />
nach Homans (1958)<br />
• Personen legen Wert auf ausgewogene Austauschverhältnisse<br />
• Personen interagieren nach dem Ziel, in Beziehungen belohnende <strong>und</strong> faire Resultate zu erzielen.<br />
eigene Ergebnisse Ergebnisse anderer<br />
----------------------- = ------------------------eigene<br />
Beiträge Beiträge anderer<br />
Inequity-Ansatz von Adams (1963):<br />
Inequity entsteht zwischen zwei Personen A <strong>und</strong> B, wenn die Verhältnisse ihrer Ergebnisse (Gewinn)<br />
<strong>und</strong> Beiträge ungleich sind. Wenn ein Ungleichgewicht in dieser Beziehung entsteht, entwickelt sich<br />
nach Adams kognitive Dissonanz. Auf die wahrgenommene Unausgewogenheit gibt es entweder<br />
direkte oder indirekte (latente) Reaktionsmöglichkeiten:<br />
direkte Reaktionen:<br />
• eigener Beitrag senken<br />
• Versuch einen größeren Anteil der Ergebnisse zu erhalten (Ergebniskorrektur)<br />
• Versuch der Veränderung der Beiträge der anderen Person<br />
• Versuch der Veränderung der Ergebnisanteile der anderen Person<br />
• Abbruch der Beziehung<br />
indirekte Reaktionen:<br />
13
• Addition, neuer konsonanter Kognitionen<br />
• Subtraktion dissonanter Kognitionen<br />
• Subtitution kognitiver Elemente<br />
• keine Aussagen über Entstehung von Gerechtigkeitsvorstellungen, über Verfahrensgerechtigkeit<br />
Postulate der Equity-Theorie (Wagner-Folie):<br />
1. Individuen versuche, ihren Gewinn zu maximieren<br />
2. a. Gruppen können ihren gemeinsamen Gewinn maximieren, indem sie ein System für die equitble<br />
Zuteilung von Ergebnissen entwickeln <strong>und</strong><br />
b. dies bei ihren Mitgliedern durchzusetzen versuchen.<br />
3. Wenn Individuen in inequitablen Beziehungen zu anderen stehen, fühlen sie sich unbehaglich. Das<br />
Unbehagen nimmt mit zunehmender Inequity zu.<br />
4. Individuen, die feststellen, daß ihre Beziehung zu einer anderen Person inequitabel ist, versuchen,<br />
ihr Unbehagen durch Wiederherstellung der Equity zu beseitigen, <strong>und</strong> zwar umso<br />
nachdrücklicher, je unausgewogener die Beziehung ist.<br />
Entwicklung von Gerechtigkeitsvorstellungen<br />
PIAGETs Annahme: beim Kind regelhafte Abfolge von Gerechtigkeitsstufen<br />
• Kinder dürften bis zum Alter von 6 - 7 Jahren nicht in der Lage sein, die vielen benötigten<br />
Informationen zu bewältigen: z.B. wird nur die Schadensfolge, nicht aber die Schadensabsicht<br />
berücksichtigt<br />
• jedoch ist diese Abfolge nicht regelmäßig, es ist eine soziale Überformung möglich (z.B.<br />
Unterschied alleine - Gruppe)<br />
• Prinzipienabfolge: Selbstbegünstigung - Gleichheit - Billigkeit<br />
4.4.2. distributiver Gerechtigkeit<br />
Anwendung von Prinzipien distributiver Gerechtigkeit<br />
• Postulat: bei Kindern nicht nur kognitive, sondern auch motivationale Relevanz, dem<br />
Aufteilungsverhalten liegt ein zunächst unspezifisches Streben nach Gerechtigkeit zugr<strong>und</strong>e.<br />
• 3 wesentliche Aufteilungsprinzipien:<br />
• Beitrag<br />
• Gleichheit<br />
• Bedürfnis<br />
• Mehr-Prinzipienansätze: Entscheidungskriterien werden mit Beziehungsmerkmalen<br />
zusammengebracht, z.B. Typisierung von SCHWINGER & MIKULA:<br />
• ökonomische<br />
• kooperative<br />
• persönliche Beziehungen<br />
• => jeweils ein Prinzip, instrumentelle Nutzung der Prinzipien<br />
• tatsächliches Aufteilungsverhalten weicht oft vom angegebenen ab, es muß zwischen dem Kennen<br />
<strong>und</strong> dem Gebrauch von Aufteilungsprinzipien unterschieden werden<br />
4.4.3. Gerechtigkeit <strong>und</strong> ökonomischer Austausch<br />
• Unausgewogenheit entsteht, wenn Personen den Eindruck haben, daß die eigenen Beiträge in<br />
Relation zu Vergleichspersonen nicht entsprechend gewürdigt werden, was sowohl bei Unter-<br />
als auch bei Überbezahlung der Fall ist.<br />
• Reaktionen auf Unterbezahlung konsistent: schlechtere Leistung,<br />
• bei Überbezahlungen inkonsistent (mögliche Gründe dafür, daß die Leistungserhöhung nur<br />
manchmal geschieht: Inkompetenzgefühle, soziale Erwünschtheit, Selbstaufmerksamkeit)<br />
• Leistungsprinzip ist eher bei Gehaltserhöhung relevant: leistungsabhängige<br />
Zuwendungserhöhungen werden als fairer beurteilt, jedoch besteht diese Präferenz nicht auf allen<br />
Stufen der Organisation: Vermischung von Gerechtigkeit <strong>und</strong> Eigennutz<br />
14
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4.4.4. Verfahrensgerechtigkeit (prozedurale Gerechtigkeit)<br />
• bezieht sich auf Ergebnisfindung: prozedurale Gerechtigkeit<br />
• Gericht: mehr Fairneßempfindung, wenn Einflußnahme möglich, Schlichtungsverfahren (nur<br />
Entscheidung) <strong>und</strong> Vermittlungsverfahren (nur Verfahrensregeln) werden als fairer empf<strong>und</strong>en<br />
als ein autokratisches Verfahren, jedoch auch kulturelle Einflüsse<br />
• informelle vs. formelle Verfahren: erstere werden bevorzugt, außer bei Verlusten<br />
• Theorie der Referenz- Kognitionen: psychische Distanz zwischen dem, was hätte geschehen<br />
können <strong>und</strong> dem, was tatsächlich geschah, baut affektives Potential auf, bei großer Distanz ist<br />
das affektive Potential geringer, weil man sich die Referenzkognition leichter hätte vorstellen<br />
können<br />
• allgemein: Effekte prozeduraler (Un)gerechtigkeit schwächer als die distributiver Gerechtigkeit<br />
15
5. Die Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger 1954)<br />
Annahme: Das Individuum besitzt das Bedürfnis, subjektive Gewißheit über die Korrektheit der<br />
eigenen Einschätzung über Fähigkeiten <strong>und</strong> Meinungen zu erlangen. Dem Bedürfnis entspricht<br />
das Motiv, die eigenen Einschätzungen durch Vergleiche zu validieren.<br />
Ziel: in der sozialen Realität adäquat reagieren zu können <strong>und</strong> Fehleinschätzungen <strong>und</strong> Probleme zu<br />
vermeiden.<br />
1. ursprüngliche Annahme:<br />
• Der Vergleich geschieht an objektiven Kriterien, die einen direkten intersubjektiven Vergleich<br />
ermöglichen.<br />
• liegen solche Kriterien nicht vor, geschieht der Vergleich anhand sozialer Kriterien, die<br />
einen Vergleich zwischen Individuen beinhalten (z.B. Stellung im Vergleich zu<br />
anderen).<br />
• dies wird durch Millers Experiment widerlegt:<br />
- danach werden soziale Kriterien gewählt:<br />
=> je attraktiver <strong>und</strong> wichtiger die Bezugsgruppe ist<br />
=> je personenorientierter die Personen sind.<br />
• ein Vergleich mit anderen Personen dann:<br />
=> je größer die Ähnlichkeit zwischen einer Meinung <strong>und</strong>/oder Fähigkeit der eigenen Person <strong>und</strong> der<br />
einer anderen.<br />
2. Modifikation nach Goethals & Darley:<br />
Vergleich nur bei Personen, die ähnlich bezüglich relevanter Attribute sind.<br />
- relevante Attribute sind:<br />
=> Meinungen<br />
=> Fähigkeiten<br />
=> leistungsrelevante Eigenschaften (Alter, Erfahrung, Anstrengung, etc.)<br />
• Stellt eine Person beim relevanten Vergleichsprozeß Unterschiede fest, Versuch der Reduzierung<br />
der Diskrepanz durch (nach Festinger):<br />
=> Veränderung der eigenen Position<br />
=> Veränderung der Position der anderen Personen, unter der Bedingung, daß die<br />
Person in der Gruppe bleiben will.<br />
- bei mißlingen dieser beiden Strategien:<br />
=> Verlassen der Gruppe<br />
=> Ausschluß aus der Gruppe<br />
3. Erweiterung von Schachter:<br />
• Vergleichsprozeß auch für Emotionen<br />
• Annahme: gr<strong>und</strong>sätzlich jede Eigenschaft <strong>und</strong> jeder Zustand kann zum Gegenstand des sozialen<br />
Vergleichs werden.<br />
Zum Begriff des Selbst:<br />
• Das Selbst besteht aus einer individuellen Identität <strong>und</strong> einer sozialen Identität.<br />
• Informationsgewinnung über einzelne Aspekte jetzt durch:<br />
=> interpersonale Vergleiche mit einer oder mehreren Personen<br />
=> intergruppale Vergleiche der Merkmale der eigenen Gruppe mit denen anderer Gruppen.<br />
Ziel aller Vergleichsprozesse: Kognitive Strukturiertheit, um damit den Standort der eigenen Person<br />
oder Gruppe festlegen zu können.<br />
• Anmerkungen zu den Verhaltensstrategien:<br />
- Die Wahrscheinlichkeit der Änderung der eigenen Position ist am größten, wenn:<br />
=> keine Alternativgruppe zu Verfügung steht<br />
16
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
=> die soziale Identität durch Ausschluß aus der Gruppe bedroht ist.<br />
- Die Wahrscheinlichkeit der Veränderung der Position der anderen sinkt:<br />
=> mit der Wahrscheinlichkeit von negativen Sanktionen durch die Gruppe für<br />
Änderungsversuche.<br />
=> wenn die Gruppe eine hohe Attraktivität hat.<br />
- Die Bereitschaft, die Gruppe zu verlassen ist dann am größten:<br />
=> wenn das Selbstkonzept bedroht ist<br />
=> eine Alternativgruppe zur Verfügung steht<br />
=> Änderung der Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist<br />
- Die Wahrscheinlichkeit, daß die Gruppe eine Person ausschließt steigt:<br />
=> je stärker die Position des Individuum die Identität der Gruppe bedroht<br />
=> je geringer die Möglichkeit ist, daß die Person ihre Position ändert<br />
> je geringer die Attraktivität der Einzelperson für die Gruppe ist<br />
• Verhaltensstrategien bei Selbstwertbedrohung durch Diskrepanz:<br />
• Vergleichsperson wechseln<br />
• Änderung der Vergleichsdimension<br />
• Abwertung von Vergleichspersonen<br />
• Vermeidung des Vergleichs<br />
• Vergleich mit Supercoper<br />
17
6. Emotionen<br />
Emotionen haben massive Auswirkungen auf:<br />
• Wahrnehmen<br />
• Urteilen<br />
• Erinnern<br />
• Problemlösen<br />
• Bewältigen von Aufgaben<br />
• Einstellungen<br />
6.1 Die James-Lange-Theorie (peripherer Ansatz):<br />
• Emotion als das Bewußtsein physiologischer Veränderungen (peripherer nicht des<br />
zentralen Nervensystems)<br />
• Emotion wird durch das Bewußtsein hervorgerufen, das eine Person von einem<br />
spezifischen Muster körperlicher Veränderungen hat.<br />
• Emotion = Gefühl<br />
• Übereinstimmung mit früheren Ansätzen über die Komponenten: Ereignis,<br />
Wahrnehmung/Beurteilung dieses Ereignisses, eine Vielfalt körperlicher Reaktionen<br />
<strong>und</strong> Handlungstendenzen, ein charakteristischer Gefühlszustand.<br />
• Unstimmigkeiten: Gefühl od. Emotion als Ursache oder Folge physiologischer<br />
Veränderungen <strong>und</strong> Handlungstendenzen. (bei James - Folge physiologischer<br />
Veränderungen)<br />
6.2. Weiterentwicklungen<br />
Kompontenten der Emotion (Reaktionstriade):<br />
1. Gefühl nur als eine Komponente des Emotionsausdrucks<br />
2. neurophysiologische Reaktionsmuster (im zentralen <strong>und</strong> autonomen Nervensystem)<br />
3. der motorische Ausdruck (in Gesicht, Stimme <strong>und</strong> Gestik)<br />
weitere Komponenten:<br />
Handlungstendenz: ergibt sich aus der Beurteilung des emotionsauslösenden Ereignisses<br />
kognitive Komponente (Verarbeitung): Bewertung einer emotionsauslösenden Situation<br />
6.3. Schachters Zweifaktorentheorie<br />
Zwei Faktoren sind notwendig, um Emotionen = Gefühl hervorzurufen <strong>und</strong> zu differenzieren:<br />
• physiologische Erregung: Die Wahrnehmung erhöhter sympathischer Erregung<br />
• kognitive (situative) Faktoren: Kognitionsprozesse, mittels derer die Situation auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage von vergangenen Erfahrungen interpretiert wird.<br />
Diese beiden Faktoren bedingen sich gegenseitig.<br />
Hypothesen (Wagner-Folie):<br />
1. Befindet sich ein Individuum im Zustand physiologischer Erregung, für den es keine<br />
selbstverständliche Erkärung, dann wird dieser Zustand entsprechend der zur Verfügung<br />
stehenden Kognitionen gekennzeichnet. Auf dies Weise kann derselbe<br />
Erregungszustand, in Abhängigkeit von den kognitiven Aspekten der Situation, ganz<br />
unterschiedlich gekennzeichnet werden.<br />
18
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
2. Befindet sich ein Individuum in einem physiologischen Erregungszustand, für den es eine<br />
plausible Erklärung hat, so entsteht kein Bedürfnis zur Bewertung <strong>und</strong> das Individuum<br />
wird seinen Zustand nicht mittels alternativer Kognitionen erklären.<br />
3. Sind emotionsträchtige Kognitionen vorhanden, so wird das Individuum nur in dem Maße<br />
emotional reagieren oder emotionales Erleben berichten, in dem gleichzeitig ein Zustand<br />
physiologischer Erregung vorhanden ist.<br />
6.3.1. Das Schachter-Singer-Experiment:<br />
• Verabreichung einer Adrenalin oder Placeboinjektion getarnt als Vitaminpräparat<br />
• Kontrollbedingung: Placeboinjektion - es wird gesagt, daß Injektion keine Nebenwirkung<br />
hat<br />
• unaufgeklärte Adrenalingruppe: es wird gesagt, daß Injektion hat keine Nebenwirkungen<br />
hat<br />
• informierte Adrenalingruppe: es wird gesagt, daß Injektionen Nebenwirkungen hat.<br />
Genannt werden Adrenalinspezifische Nebenwirkungen<br />
• fehlinformierte Adrenalingruppe: es wird gesagt, daß Injektionen Nebenwirkungen hat.<br />
Genannt werden Adrenalinunspezifische Nebenwirkungen<br />
folgende Hypothesen bis hierhin:<br />
1. Personen der Placebobedingung sollten keine oder wenig Emotionen empfinden<br />
(unspezifische Erregung hat nicht zugenommen)<br />
2. Personen der informierten Adrenalingruppe sollten ebenfalls keine Emotionen empfinden.<br />
Auch bei Erregung haben sie eine gute Erklärung für diesen Zustand.<br />
3. Personen der fehlinformierten <strong>und</strong> der unaufgeklärten Adrenalingruppe sollten Emotionen<br />
zeigen, da keine Erklärung für die Erregung vorliegt.<br />
zusätzliche Manipulation des Experiments:<br />
• in 20minütiger Wartezeit werden sie mit einem aggressiven <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lichen<br />
eingeweihten Person konfrontiert.<br />
• Personen der fehlinformierten <strong>und</strong> der unaufgeklärten Adrenalingruppe sollte in<br />
Aggressionssituation, aggressiver werden oder in Euphoriesituation, euphorischer werden.<br />
Aufgabe:<br />
• Personen sollten ihren Gefühlzustand auf einem 5er-Rating von glücklich bis verärgert<br />
angeben.<br />
• Verhaltensbeobachtung bei der Person<br />
Dieses Experiment ist sehr angesehen, wird aber als irreführend bezeichnet: keine<br />
Operationalisierung des Entstehens emotionler Erregung unter normalen Bedingungen.<br />
6.4. Theorien antezendenter Bewertung<br />
• Die Bedeutung eines emotionsauslösenden Ereignisse ergibt sich aus dem Prozeß der<br />
Bewertung oder Einschätzung des Ereignisses für eine Person.<br />
• wiederholte Bewertungen korrigieren erste Eindrücke <strong>und</strong> verändern Emotionen<br />
Fazit:<br />
Emotionen sind Ergebnis sowohl eine phylogenetisch verankerten, psychobiologischen<br />
Mechanismus als auch sozialer <strong>und</strong> kultureller Faktoren.<br />
19
7. Gruppenführung<br />
7.1. Gruppenpolarisation<br />
Unter bestimmten Bedingunge ist das Ergebnis einer Gruppendiskussion extremer als der<br />
Durchschnitt der anfänglichen Positionen der einzelnen Gruppenmitglieder<br />
Gruppenpolarisation: Auf jeder Beurteilungsdimension neigen Gruppen u einer<br />
Verschiebung in Richtung des Pols, den sie bereits zu Beginn favorisieren. Eine solche<br />
Polarisation bleibt auch nach der Diskussion vorhanden.<br />
Ursachen für Gruppenpolarisation<br />
• Verantwortungsdiffusion<br />
• Wirkung sozialer Vergleichsprozesse<br />
• Austausch neuer Information<br />
Erklärung der Gruppenpolarisation<br />
durch die Theorie des sozialen Vergleich von Festinger <strong>und</strong> in ihrer Weiterentwicklung der<br />
Selbstkategorisierungstheorie von Turner.<br />
Informationseinfluß: eine Gruppendiskussion erzeugt eine Reihe von Argumenten, von<br />
denen die meisten die bereits favorisierte Position der Gruppenmitglieder unterstützen.<br />
Entgegengesetzte Argumente führt zu einer extremeren Position => es kommt zu einem<br />
Prozeß der gegenseitigen Überredung.<br />
Die Selbstkategorisierungstheorie von Turner<br />
Wir gebrauchen ein System von Begriffen, um uns selbst zu definierten. Dazu gehört<br />
Selbstkategorisierung als individuelle Person, die sich von anderen unterscheidet, <strong>und</strong><br />
Selbstkategorisierung als Mitglied von sozialen Gruppen, die sich von anderen Gruppen<br />
unterscheiden. Die Gruppennorm besteht nicht aus dem Durchschnitt der Gruppenmeinungen,<br />
dondern eher aus der prototypischen Position der Gruppe. Der Prototy ist die Position der<br />
Gruppe, die Gemeinsamkeiten der Gruppe <strong>und</strong> deren Unterschiede zu anderen Gruppen am<br />
besten widerspiegelt. Mehr Polarisierung ist dann zu erwarten, wenn eine Fremdgruppe<br />
zugegen ist, insbesondere wenn sich diese Gruppe sehr von der Eigengruppe unterscheidet.<br />
7.2. Groupthink (Gruppendenken)<br />
Gruppendenken als extreme Form der Gruppenpolarisation (siehe z.B. Schweinbuchtinvasion)<br />
Gruppendenken entsteht dann, wenn das Streben nach Konsens den Entscheidungsprozeß<br />
einer hoch kohäsiven Gruppe gleichgesinnter Personen derart dominiert, daß ihre<br />
Wahrnehmung der Realität beeinträchtigt wird.<br />
20
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Dieser Prozeß wird nach Janis durch folgende Bedingungen gefördert:<br />
• Die Gruppe ist hoch kohäsiv<br />
• sie ist von alternativen Informationsquellen isoliert<br />
• Suche nach Übereinstimmung<br />
• ihr Führer favorisiert eindeutig eine bestimmte Lösung (Druck durch die Gruppenführung)<br />
• Äußerer Entscheidungsdruck<br />
Groupthink<br />
• Illusion der Unverletzbarkeit<br />
• Kollektive Rationalisierung<br />
• Glaube an die moralische Integrität der Gruppe<br />
• Stereotypisierung von Outgroups<br />
• Druck auf Abweichler in der Gruppe<br />
• Selbstzensur der Gruppenmitglieder<br />
• Illusion von Einmütigkeit<br />
• Meinugsführerschaft<br />
Entscheidungsprozedur<br />
• Unzureichende Suche nach Alternativen<br />
• Unzureichende Kontrolle der Sachangemessenheit einer Entscheidung<br />
• Fehlerhafte Einschätzung des Risikos der favorisierten Entscheidung<br />
• Schlechte Informationssuche<br />
• Selektive Verarbeitung der verfügbaren Information<br />
• Unzureichende Berücksichtigung von Alternativen<br />
• Keine Ausarbeitung von Kontingenzplänen<br />
7.3. Der soziale Einfluß von Autoritäten<br />
Milgram-Experiment:<br />
Versuchsleiter war ein Biologielehrer anfang 30.<br />
Aufgabe: Die Vp sollte einer anderen Person (eingeweiht) Stromstöße bei falscher oder<br />
nicht-Beantwortung einer Frage zu Paarassoziationen verabreichen. Bei jeder falschen<br />
Antwort sollte der Stromstoß um 15 Volt erhöht werden. Die Stromstöße waren auf der<br />
Apparatur in ihrem Stärkegrad bezeichnet. Die höchsten Schocks waren mit XXX bezeichnet<br />
<strong>und</strong> wären in Realität lebensgefährlich. Der Versuchsleiter drängte die Vpn dazu,<br />
weiterzumachen, dies gehöre zu dem Versuch. Das Ende des Versuchs war die Weigerung<br />
der Vp oder die Verabreichung des stärksten Schocks. Der Confederate gab deutliche<br />
akustische Signale über die Schmerzen der Schocks, bis hin zur Bitte aufzuhören. Zum<br />
Schluß kamen keine Laute mehr, welches darauf schließen ließ, daß er bewußtlos war.<br />
Ergebnis: 62,5% der Vp gingen bis zu Stromstößen der höchsten Ebene. Der<br />
durchschnittliche Maximalstromstoß betrug 368 Volt.<br />
Bei einer Kontrollbedingung, in der die Vp selber die Stromstärke wählen konnten, gingen<br />
nur 2 von 40 Personen über 150 Volt. 28 Vpn gingen nicht über 75 Volt.<br />
21
Verschiedene Variationen des Experiments variierten:<br />
• die Merkmale der Autorität<br />
• die räumliche Nähe zum Opfer<br />
• das Verhalten von Kollegen der Versuchsteilnehmer<br />
Wagner-Folie:<br />
Die Untersuchungsergebnisse von Milgram (1974) <strong>und</strong> Meeus & Raajmakers (1986) im<br />
Vergleich<br />
Standardanordnung 65<br />
Frauen als Vpn 65<br />
größere Nähe zum Opfer (Lehrer preßt die Hand 30<br />
des Schülers auf die Schockplatte)<br />
% folgsamer Vpn<br />
Milgram M & R<br />
geringere direkte Kontrolle des Vl 20 37<br />
(Anweisung über Telefon)<br />
Zwei weitere Lehrer (Komplizen) rebellieren 10 16<br />
Bei M & R verabreichte ein Versuchsgehilfe die Stromstöße, während die Versuchsperson die<br />
Aufgaben stellte.<br />
Eine weitere Untersuchung stellte die Frage, wie hoch bei einem solchen Experiment der<br />
Gehorsam eingeschätzt wurde. Die Vpn unterschätzten das Ausmaß deutlich. Gr<strong>und</strong>: Der<br />
f<strong>und</strong>amentale Attributionsfehler: Wir unterschätzen situative <strong>und</strong> überschätzen persönliche<br />
Faktoren.<br />
Erklärungsansätze:<br />
1. Erfahrung, von Autoritäten für Gehorsam belohnt zu werden <strong>und</strong> zu erwarten, daß<br />
Autoritäten vertrauenswürdig, glaubwürdig <strong>und</strong> legal handeln.<br />
2. Es kommen bindende <strong>und</strong> verführerische Faktoren mit ins Spiel. Menschen bewegen sich<br />
nur allmählich in Handlungen hinein, die immer schlimmere Folgen haben. Das<br />
Bewußtsein über die Handlung wächst nur langsam.<br />
3. Verantwortungsabgabe "Ich bin nicht verantwortlich, ich wurde angewiesen, es so zu tun."<br />
Gr<strong>und</strong>lagen von Macht:<br />
1. Verstärkungsmacht<br />
2. Bestrafungsmacht<br />
3. Legitimitätsmacht<br />
4. Referent(Beziehungs-)Macht<br />
5. Expertenmacht<br />
92<br />
22
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
7.4. Führungstheorien<br />
Führungsperson:<br />
Das Mitglied einer Gruppe,<br />
• das zur Koordinierung, Leitung <strong>und</strong> Überwachung<br />
• aufgaben oder beziehungsrelevanter Gruppenfunktionen<br />
• entweder von einer übergeordneten Organisation oder von der Gruppe selbst eingesetzt ist.<br />
Frage: Was macht eine Führungsperson effektiv in Bezug worauf?<br />
Persönlichkeitsmerkmale Gruppenproduktivität<br />
Absentismus<br />
Verhaltensstile Fluktuation<br />
Kontingenz von Persönlichkeit Zufriedenheit<br />
<strong>und</strong> Situation Gruppenklima<br />
Intragruppenkonflikte<br />
Wagner-Folie:<br />
Verhalten der Führungspersonen<br />
autoritär demokratisch laissez-faire<br />
konstruktive Tätigkeit 69% 50% 33%<br />
....... bei Abwesenheit des Leiters 25% 46%<br />
Arbeitsbezogene Bemerkungen (pro Kind) 53 63<br />
Kooperative Verhaltensweisen 120 188<br />
1. Personalistischer Ansatz<br />
Persönlichkeitsprofile von Führern erstellen<br />
Zusammenhang Führungsposition-Persönlichkeitsmerkmale: höherer IQ, höherer sozialer<br />
Status, bessere Ausbildung etc.<br />
=> es sind keine kausalen Zusammenhänge erklärbar.<br />
2. Verhaltenstheoretischer Ansatz<br />
ob <strong>und</strong> wie läßt sich Verhalten von Führern klassifizieren<br />
mittels Ohio State Führungsforschungsprinzip: Fragebogen über Verhalten in<br />
Führungsposition aus Untergebenen- <strong>und</strong> Führungssicht.<br />
Unterscheidung von zwei Führungsstilen:<br />
1. Initiating structure (Planungsinitiative)<br />
2. Consideration (Rücksichtsnahme)<br />
Die produktivsten Gruppen konnten die Führungspersonen aufweisen, die beides gleichzeitig<br />
aufwiesen.<br />
Kritik: Deskriptives Modell: Objektivität <strong>und</strong> Validität ist unzureichend. Verhalten von<br />
Führungspersonen ändert sich in Abhängigkeit von der Situation <strong>und</strong> von anderen Variablen.<br />
23
3. Kontingenzmodell von Fiedler<br />
Persönlichkeits- <strong>und</strong> situationsspezifischen Aspekte der Führung<br />
LPC-Maß (last prefered coworker)<br />
Die Führungsperson soll ihren last prefered coworker auf 16 Dimensionen auf 8stufiger Skala<br />
beurteilen. Der Zusammenhang zwischen LPC <strong>und</strong> Produktivität der von der Führungsperson<br />
geführten Gruppe liegt bei ,84 <strong>und</strong> -,84. er ist abhängig von Situationsparametern: affektive<br />
Führer-Untergebenen Beziehung, Aufgabenstrukturiertheit <strong>und</strong> Positionsmacht der<br />
Führungsperson.<br />
Permissive<br />
considerate<br />
high LPC<br />
1,00<br />
0,00<br />
-1,00<br />
I II III IV V VI VII VIII<br />
managing<br />
controlling<br />
low LPC<br />
Führungsstile I II III IV V VI VII VIII<br />
Leader-member<br />
relation<br />
gut gut gut gut verarmt verarmt verarmt verarmt<br />
Task structure struktur struktur unstruk unstruk struktur struktur unstruk unstruk<br />
Leader position strong<br />
power<br />
weak strong weak strong weak strong weak<br />
Über die verschiedenen Führungsstile sind mittlere Correlationen zwischen LPC <strong>und</strong><br />
Gruppenleistung errechnet worden. Es ergibt sich ein kurvilineares Bild für die optimale<br />
Führereigenschaften, die bei verschiedenen Gruppen benötigt werden.<br />
=> nur für bestimmte Situationen sind bestimmte Führunsstile sinnvoll.<br />
Es wurde eine Trainingsprogramm (Leader Mental Program) entwickelt, mit dessen Hilfe<br />
Führungspersonen lernen sollen die verschiedenen situationalen Variablen zu erkennen <strong>und</strong><br />
Strategien zur ihrer Veränderung zu entwickeln.<br />
24
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4. Weg-Ziel Ansatz der Führung<br />
Einfluß der Führungsperson sowohl auf Arbeitsziele als auf zielerreichendes Verhalten<br />
(Wegverhalten). Ziel <strong>und</strong> zielführendes Verhalten sind Bestimmgröße der Arbeitsmotivation<br />
Führungskraft hat die Motivation, Einfluß auf verschiedene Determinanten der Motivlage<br />
ihrer Untergebenen zu nehmen.<br />
Intern kontrollierte Personen bevorzugen partizipativen Führungsstil<br />
Extern kontollierte Personen bevorzugen direktiven Führungsstil<br />
primär direktiver Führungsstil bei unstrukturierten Aufgaben<br />
primär parizipativer Führungsstil bei strukturierten Aufgaben<br />
Arbeismotivation wurde durch direkte Führung gesenkt bei: eindeutiger Norm innerhalb der<br />
Gruppe, eindeutiger Kontrollierbarkeit von Gruppenleistung.<br />
Kritik: Ansatz ignoriert Gruppenprozesse<br />
5. Dyadischer Ansatz<br />
Heterogenitätsannahme:<br />
2 Verhaltensstile der Führungsperson: Partnerschaft <strong>und</strong> Kontrolle<br />
Unterschied in Outgroup/ingroupmember: Ingroupmember erleben Führer insgesamt<br />
positiver, sind stärker leistungmotiviert <strong>und</strong> zufriedener.<br />
Führer wird hier als Person betrachtet, der die verschiedenen Gruppenmitglieder<br />
unterschiedlich behandelt.<br />
Bis auf den Weg-Ziel-Ansatz gehen alle Modelle davon aus, daß Führer in allen Situationen<br />
nötig sind.<br />
25
8. Sozialer Einfluß von Minderheiten <strong>und</strong> Mehrheiten<br />
bezieht sich auf eine Veränderung in Urteilen, Meinungen <strong>und</strong> Einstellungen eines<br />
Individuums als Ergebnis der Konfrontation mit den Urteilen, Meinungen <strong>und</strong> Einstellungen<br />
anderer Individuen.<br />
1. Konformität <strong>und</strong> Einfluß von Majoritäten<br />
1.1. Sherif <strong>und</strong> der autokinetische Effekt<br />
In einem dunklen Raum wird in 5 Meter Entfernung ein einzelner stationärer Lichtpunkt an<br />
eine Wand projiziert. Man nimmt in als bewegend war, obwohl er dies objektiv nicht tut.<br />
Zwei Versuchsbedingungen:<br />
1. Gruppe: erste Einschätzung über das Ausmaß von Lichtbewegungen allein, in den<br />
darauffolgenden 3 Sitzungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einer Gruppe von 2<br />
oder 3 Personen.<br />
2. Gruppe: erst drei Gruppendurchgänge, dann ein Durchgang allein<br />
Ergebnis: Die Einschätzung in der Gruppe gleichen sich an, <strong>und</strong> erhalten sich auch nach der<br />
Gruppensituation<br />
=> in uneindeutigen Situationen gehen Menschen mit den Urteilen anderer konform.<br />
1.2. Konformitätsparadigma (Salomon Asch, 1951, 1956)<br />
Konformität meint den spezifischen sozialen Einfluß, den eine Majorität auf Individuen<br />
ausüben kann.<br />
Experiment:<br />
Asch bat seine Vpn, 18 mal zu entscheiden, welche von drei Vergleichslinien genau so lang war wie eine<br />
Referenzlinie. Nur eine der drei Vergleichslinien entsprach der Referenzlinie. Die Aufgabe war leich, da die<br />
Kontrollgruppe (37 Vpn) kaum Fehler machte (Fehlerquotient 0,7%). Die Vpn der Experimentalgruppe sollten<br />
in einem Halbkreis sitzend ihre Urteile laut abgeben. Von den 7 anwesenden Vpn war nur eine „echte“ Vp. die<br />
auf Position 6 in der festgelegten Reihenfolge saß. Die sechs instruierten Vpn hatten die Aufgabe, einstimmig<br />
eine voher bestimmte Antwort zu geben. In den ersten sechs Durchgängen gaben die Helfer korrekte Antworten,<br />
in den übrigen zwölf Durchgängen übereinstimmend eine falsche Antwort (Ziel: Undurchschaubarkeit des<br />
Versuchs).<br />
Ergebnis: In der EG waren 37% der Antworten fehlerhaft, was jedoch nicht bedeutet, daß 37% dieser Vpn<br />
Fehler machten. Von 123 Vpn machten nur 25 keinen einzigen Fehler (95% in der KG). 28% machten 8 oder<br />
mehr Fehler!!!<br />
Fazit:<br />
1. Ergebnisse legen nahe, daß Gruppen einen sozialen Einfluß nehmen<br />
2. Individuen verhalten sich opportunistisch, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung<br />
Mögliche Erklärungen dieses Prozesses:<br />
a. normativer Einfluß: Individuum paßt sich der Meinung der Majorität an, um Sympathie<br />
<strong>und</strong> Anerkennung zu erhalten <strong>und</strong> Ablehnung zu vermeiden.<br />
b. Informationseinfluß: Individuum beugt sich dem Gruppendruck, da es dem Urteil der<br />
Gruppe mehr vertraut als seiner eigenen Meinung<br />
• der normative Einfluß ist von größerer Bedeutung als der Informationseinfluß<br />
26
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Wichtig: Unterscheidung zwischen öffentlicher Konformität oder Nachgeben <strong>und</strong> privater<br />
Konfromität oder Konversion (gr<strong>und</strong>legenden Einstellungs- <strong>und</strong> Meinungsänderung)<br />
Experimentelle Belege:<br />
Gruppendruck erhöht Konformität<br />
Normativer Einfluß ist abhängig vom individuellen Status: Mehr Konformität bei Personen<br />
mit mittleren als Personen mit niedrigem oder hohem Status.<br />
Informationseinfluß ist abhängig von der wahrgenommenen Kompetenz <strong>und</strong> dem<br />
Selbstvertrauen des Individuums<br />
Mehrere kleine Gruppen üben mehr Einfluß aus als eine einzige aufsummierte Quelle<br />
Aufbrechende Einstimmigkeit führt zu geringerer Konfomität (nur für nicht mehrdeutige<br />
Reizsituationen)<br />
Echte soziale Unterstützung führt zu geringerer Konformität<br />
gemeinsame Effekte des normativen <strong>und</strong> des Informationseinflusses<br />
• öffentliche Antworten führen zu höherer Konformität als die private<br />
• Bei Bedingungen einer objektiven Überprüfbarkeit der Ergebnissen zeigt sich ein stärkerer<br />
Effekt auf Konformität als nicht-Überprüfbarkeit sowohl bei privater als auch bei<br />
öffentlicher Antwort.<br />
=> der Informationseinfluß verstärkt selbst bei objektiven Bedingungen die Auswirkungen des<br />
normativen Einflusses<br />
2. Innovation oder Einfluß von Minoritäten<br />
Meint die Einflußnahme einzelner Personen auf große Gruppen<br />
S. Moscovici: zog die Konformitäthypothese in Zweifel<br />
Minoritäten beeinflussen anders als Majoritäten. Sie scheinen keinen Zugang zu den Mitteln<br />
des normativen <strong>und</strong> Infromationseinflusses zu haben. Der Einfluß von Minoritäten ist<br />
wesentlichen in ihrem Verhaltensstil zu finden. Eine Minorität muß zu einem fraglichen<br />
Schverhalt eine klare Position beziehen, diese verteidigen d<strong>und</strong> ständig dem von der Majorität<br />
ausgeübten Druck Widerstand leisten. => Konsistenz: besteht aus 2 Komponenten:<br />
1. die intraindividuelle Konsistenz: Konsistenz oder Stabilität über die Zeit (diachrone<br />
Konsistenz)<br />
2. die interindividuelle Konsistenz: Konstistenz innerhalb der Minorität (synchrone<br />
Konsistenz)<br />
Experiment:<br />
Alle Vpn wurden auf Farbblindheit getestet. Gruppen bestanden aus 6 Vpn, von denen zwei<br />
eingeweiht waren.<br />
Aufgabe: die Farbe von 36 leuchtend blaue (unterschiedliche Intensität) zu beurteilen, in<br />
Form einer Farbbezeichnung. In den einzelnen Gruppen gaben die Versuchshelfer jeweils<br />
unterschiedliche Antworten bzgl. der Farben der Dias (Kontrollgruppe).<br />
• Kontrollgruppe: es waren nur echte Vpn vorhanden<br />
• inkonsistente Minderheit: Versuchshelfer gaben 24 mal die Antwort „grün“ <strong>und</strong> 12 mal<br />
„blau“<br />
• konsistent Minderheit: In der konsistenten Bedingung gaben die Versuchshelfer nur<br />
einstimmige „Grün-Antworten“ (Experimentalgruppe)<br />
27
Ergebnis:<br />
• KG: 0,25% Grün-Antworten<br />
• inkonsistente Minderheit: 1,25% „Grün-Antworten“<br />
• konsistente Minderheit: 8,4% „Grün-Antworten“<br />
Fazit:<br />
1. konsistente Minoritäten können einen deutlichen Einfluß auf die öffentlichen Urteile der<br />
Mitglieder einer Majorität haben.<br />
2. es zeigt sich, daß Gruppenmitglieder ihre Meinungen an die Minorität anpassen, obwohl<br />
dieses entgegen der eigenen Wahrnehmung steht.<br />
Mögliche Erklärungen dieses Prozesses:<br />
a. konsistenter Verhaltensstil: alle Individuen der Minderheit übernehmen einen<br />
einheitlichen Standpunkt, den sie längere Zeit beibehalten.<br />
b. als Folge dieses Verhaltensstiles wird die Konsistenz auf Sicherheit <strong>und</strong> Überzeugung bzw.<br />
Stabilität attribuiert, d.h. der Kleingruppe als Eigenschaft zugesprochen. Doch wird die<br />
Konsistenz auf psychologische Merkmale der Betroffenen attribuiert, ist der Einfluß<br />
weniger effektiv.<br />
Erweiterte implizite Annahmen der Theorie von Moscoivici<br />
1. Rigidität: Effektivität der Minorität steigt, wenn der Standpunkt flexibler <strong>und</strong> somit<br />
weniger rigide oder dogmatisch vertreten wird.<br />
2. normativer Kontext: Einflußnahme steigt, wenn Kreativität gefragt ist, oder wenn die<br />
Minorität den aktuellen Zeitgeist vertritt (vgl. Pariser Studentenrevolte)<br />
Konversionstheorie (S. Moscovici)<br />
Experiment:<br />
Aufbau: Die Vpn sollten die Länge unterschiedlicher Linien in einer Müller-Lyer-<br />
Illusionsaufgabe zuerst öffentlich dann privat einschätzen. Instruierte Helfer äußerten<br />
gegensätzliche Meinungen zu den wahren Vpn.<br />
Ergebnis:<br />
• Befanden sich die Helfer in der Majorität, so erfolgte eine öffentliche Meinungsanpassung<br />
im Sinne des bereits bekannten Konformitätsparadigmas bei der eigentlichen Vp.<br />
• Es zeigte sich jedoch anhand von Nachuntersuchungen, daß die private Meinung der Vp in<br />
diesem Fall beibehalten wurde.<br />
• Befanden sich die Helfer in der Minorität, so änderte dieVp nicht ihre öffentliche<br />
Meinung, sondern ihre private Einstellung.<br />
Fazit:<br />
Im Vergleich von Minoritäts- <strong>und</strong> Majoritätseinfluß lassen sich verschiedene<br />
zugr<strong>und</strong>eliegende Prozesse vermuten, die die Ebene der Einstellungsänderung betreffen<br />
Erklärung dieses Prozesses durch die Konversionstheorie:<br />
a. Minoritätseinfluß:<br />
• Es kann davon ausgegangen werden, daß der Minoritätseinfluß zu einem kognitiven<br />
Konflikt führt. Dieser Konflikt wird durch ein Validierungsprozeß gelöst, d.h. man<br />
überprüft aktiv den eigenen Standpunkt <strong>und</strong> den der Minorität mittels Argumenten <strong>und</strong><br />
28
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Gegenargumenten, die zu längerfristigen internalisierten Einstellungsänderungen führen<br />
(vgl. ELM von Petty & Cacioppo)<br />
• Der Einfluß von Minderheiten steigt mit zunehmender Konsistenz ihres Verhaltens<br />
• Konsistente Minderheiten lösen Konversion (internalisierte Einstellungsänderung) aus,<br />
Mehrheiten bewirken Compliance (oberflächliche Anpassung), die nur aufrechterhalten<br />
wird, solange der Gruppendruck besteht.<br />
b. Majoritätseinfluß:<br />
Der Majoritätseinfluß führt zu einem interpersonalen Konflikt, in dem entgegengesetzte<br />
Meinungen miteinander verglichen werden, ohne daß neue Argumente <strong>und</strong> Gegenargumente<br />
generiert werden. Dieser oberflächliche Vergleichsprozeß führt zu einer Meinungsanpassung<br />
an die Majorität in der Öffentlichkeit, während die eigene Meinung privat beibehalten wird.<br />
Alternative Theorien zum Minderheiteneinfluß<br />
a. Hollanders Theorie der ideosynkratischen Kredite:<br />
Gruppenmitglieder akkumulieren die Eindrücke, die sie im Verlauf der Zeit bei anderen<br />
Gruppenmitgliedern hinterlassen. d.h. Gruppenmitglieder müssen sich erst der Gruppe<br />
anpassen <strong>und</strong> ihre Kompetenz beweisen. Das Ausmaß des so erworbenen ideosynkratischen<br />
Kredits bestimmt, wie weit das einzelne Gruppenmitglied in Form von ideosynkratischem<br />
Verhalten von Normen <strong>und</strong> Rollenerwartungen der Gruppe abweichen darf.<br />
b. Latanes Theorie zum sozialen Einfluß (social impact theory)<br />
sozialer Einfluß ist durch die Multiplikation dreier Faktoren erkärbar<br />
1. die Kraft (z.B. Status, Macht, Expertise)<br />
2. der Nähe (in Raum <strong>und</strong> Zeit)<br />
3. die Anzahl der Gruppenmitglieder, wobei die erste Person den größten Einfluß ausübt. bei<br />
der zweiten Person jedoch schon ein geringerer Einfluß zu beobachten ist.<br />
Nach dieser Theorie gibt es keinen gr<strong>und</strong>sätzlichen Unterschied zwischen dem Einfluß der<br />
Minorität <strong>und</strong> der Majorität. Demzufolge wird die Majorität aufgr<strong>und</strong> ihrer numerischen<br />
Überlegenheit immer dann einen größeren Einfluß haben als die Minorität, wenn die Faktoren<br />
Kraft <strong>und</strong> Nähe gleich gehalten werden, es sei denn, die Minorität kompensiert dieses Faktum<br />
durch ein konsistentes Verhalten (s. Kraftdimension)<br />
c. Tanford <strong>und</strong> Penrods Modell der sozialen Einflußnahme (social impact model)<br />
Analog zur Theorie von Latane sehen diese Forscher den sozialen Einfluß durch die<br />
zahlenmäßige Stärke von Gruppen begründet. Im Gegensatz zur negativ beschleunigten Kurve<br />
von Latane postulieren sie eine S-förmige Kurve, d.h. daß mit jeder zusätzlichen Person der<br />
Einfluß einer Gruppe steigt. Allerdings gilt dieses nur bis zu einer Stärke von drei Personen,<br />
da sich hier ein Wendepunkt zeigt, an dem der soziale Einfluß der Gruppe abnimmt.<br />
29
9. Entwicklung von Gruppenmitgliedschaften<br />
1. Terminologie von Thibaut & Kelly (1959)<br />
Anhand der drei Größen E, Cl <strong>und</strong> Clalt lassen sich Attraktivität <strong>und</strong> Dependenz von der Gruppe<br />
berechnen.<br />
E Ergebnis einer sozialen Interaktion<br />
Cl Vergleichs-Standard (comparison-level) für Bedürfnisse (Anspruchsniveau)<br />
Clalt Vergleichs-Standard für alternative soziale Beziehungen<br />
Attraktivität der Gruppe = f (E-Cl)<br />
Dependenz von der Gruppe = f (E-Clalt) 2. Modell der Gruppensozialisation (Moreland & Levine, 1982)<br />
1. Stadium 'Investigation' Erforschen <strong>und</strong> Anwerben neuer Gruppenmitglieder<br />
--------- Eintritt in die Gruppe ---------<br />
2. Stadium 'Socialisation' gegenseitige Sozialisation<br />
= Akkomodation der Gruppe + Assimilation des Neu-Mitglieds<br />
--------- Volle Akzeptanz des Mitglieds ---------<br />
3. Stadium 'Maintenance' Erhalt der Gruppenmitgliedschaft<br />
- Verhandlungen über gegenseitige Ansprüche<br />
(hier Möglichkeit zu Rückschritten <strong>und</strong> Kreisprozessen)<br />
--------- Divergenz: Gruppe ⇔ Mitglied ---------<br />
4. Stadium 'Resozialisation' wieder Akkomodation + Assimilation<br />
(ist Phase 4 erfolgreich folgt normalerweise nicht 5 sondern 3!)<br />
--------- Austritt ---------<br />
5. Stadium 'Remembrance' Erinnerung an das Ex-Mitglied<br />
3. Funktion von Aufnahmeriten<br />
Aufnahmeriten sollen den Eintritt in die Gruppe erschweren. Welchen Effekt haben Aufnahmeriten<br />
auf das Verhältnis von Gruppe <strong>und</strong> neuem Mitglied?<br />
Experiment von Aronson & Mills (1959)<br />
Story: Studentinnen werden zu Diskussion über Sex eingeladen. Aufnahmeritus in die<br />
Versuchsgruppe nötig.<br />
Gruppen: leichter Aufnahmeritus (lautes Vorlesen 5 nicht obszöner Wörter (Thema Sexualität))<br />
schwerer Aufnahmeritus (lautes Vorlesen 5 obszöner Wörter)<br />
Kontrollgruppe (kein Aufnahmeritus)<br />
Ablauf: Nach Aufnahme in die Versuchsgruppen hören Vpn über Kopfhörer eine langweilige<br />
Diskussion über die Fortpflanzung von Einzellern. Anschließend sollen sie die Attraktivität der<br />
Gruppe beurteilen.<br />
30
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Ergebnis: Schwerer Aufnahmeritus läßt Attraktivität der Gruppe (besonders bei langweiligen<br />
Gruppen) steigen.<br />
Erklärung: Dissonanztheorie Schwere Aufnahme ⇔ Langweilige Aufgabe<br />
Alternativhypothese von Gerard & Matthewson (1966): Erklärung anhand sexueller Erregung - wurde<br />
experimentell (Elektroschocks statt obszöner Worte) widerlegt.<br />
10 Massenphänomene - Deindividuation<br />
1. Theorie der Deindividuation (Zimbardo, 1970)<br />
Theorie:<br />
Deindividuation: ein besonderer Zustand eines Individuums, in dem allgemein die<br />
Kontrolliertheit des Verhaltens nachläßt - es kümmert sich weniger um normative Standards.<br />
Verschiedene Faktoren tragen zur Deindividuation bei:<br />
• Anonymität<br />
• Verantwortungsdiffusion<br />
• Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Einbindung in Gruppenaktivitäten<br />
• Erregung<br />
• Reizüberflutung<br />
• Physische Einbindung in eine Handlung<br />
Im Zustand der Deindividuation sind sich Individuen weniger ihrer selbst <strong>und</strong> ihrer eigenen<br />
Identität bewußt, ebenso die Beschätigung mit der Einschätzung durch andere. Die Folge ist<br />
eine Schwächung durch Schuldgefühle, Scham <strong>und</strong> Verpflichtung <strong>und</strong> sie verlieren ihre sonst<br />
üblichen Hemmungen gegenüber aggressivem Verhalten.<br />
Beispiele:<br />
• von Le Bon (1896) beschriebene Ausschreitungen während der französischen Revolution<br />
• Ausschreitungen in Los Angeles im Frühjahr 1992<br />
Gefängnisexperiment von Zimbardo (1973)<br />
Vpn: 18 männliche Studenten die freiwillig (Entlohnung 15$ pro Tag) an einem 2wöchigen<br />
Gefängnisexperiment im Keller des Psychologischen Instituts teilnehmen. Gruppen werden ausgelost.<br />
Gruppen: 9 Gefangene (Sackkleidung mit Nummern <strong>und</strong> Hauben über dem Kopf (max.<br />
Anonymität)<br />
9 Wärter (Wächterkleidung mit Spiegelbrillen) dürfen keine physische Gewalt<br />
anwenden<br />
Verlauf: Gefangene demoralisieren, provozieren <strong>und</strong> stören die Wärter (psych.)<br />
Wärter bestrafen durch Entzug der Bettwäsche, nächtliches Aufwecken <strong>und</strong><br />
Liegestütze<br />
Experiment muß nach 6 Tagen abgebrochen werden, als der VL, der als Gefängnisleiter an dem<br />
Versuch teilnimmt, den Bezug zur Realität soweit verliert, daß er bei der örtlichen Polizei<br />
anruft: "Die Gefangenen wollen ausbrechen!"<br />
31
II INTERGRUPPENFORSCHUNG PERSPEKTIVEN UND MODELLE<br />
1. Realistic Group conflict theory (Sherif et al., 1961)<br />
Muzafer Sherif stellte in seiner Theorie des realistischen Gruppenkonflikts 1 die Behauptung<br />
auf, daß die Bildung von Vorurteilen, diskriminierendem Verhalten <strong>und</strong> Feindseligkeiten<br />
gegenüber Angehörigen einer Outgroup hauptsächlich durch einen Interessenkonflikt um<br />
begrenzte Ressourcen zwischen den Gruppen verursacht wird.<br />
* Experiment mit protestantischen <strong>und</strong> weißen Mittelschicht-Jungen im Ferienlager:<br />
1. Phase: Jungen werden ohne Berücksichtigungen von Fre<strong>und</strong>schaften in 2 Gruppen geteilt<br />
2. Phase: Aufbau einer relativ stabilen Intergruppenstruktur (Eine Woche Kennenlernen in<br />
Kleingruppensituationen)<br />
3. Phase: Konkurrenz- <strong>und</strong> Wettspiele (eindeutige Zunahme von Outgroup-<br />
Diskriminierungen)<br />
4. Phase: Phase der übergeordneten gemeinsamen Ziele, d.h. Problem, das nur in<br />
Kooperation gelöst werden konnte. (Feindseligkeiten verringerte sich)<br />
=>Ergebnisse:<br />
• sind Gruppen im Hinblick auf das Erreichen eines Ziels wechselseitig voneinander<br />
abhängig, so hat dies einen direkten Einfluß auf ihr wechselseitiges Verhalten zueinander.<br />
=> positive Abhängigkeit (nur gemeinsames Erreichen des Ziels möglich) führt zu<br />
kooperativen Formen sozialer Interaktion.<br />
=> negative Abhängigkeit (Erreichen des Ziels auf Kosten der anderen Gruppe) führt<br />
zu konkurrierenden Formen sozialer Interaktion<br />
2. Relative Deprivation (Stouffer, 1949)<br />
Die Zufriedenheit einer Person oder Gruppe hängt weniger von der objektiven Lebenssituation<br />
sondern von ihrer relativen Situation im Vergleich zu anderen Gruppen oder Personen oder/<strong>und</strong> dem<br />
eigenen Anspruchsniveau ab. Je stärker die wahrgenommene relative Deprivation umso stärker die<br />
Unzufriedenheit.<br />
Ergänzungen von Runciman:<br />
zusätzliche Unterscheidung zwischen<br />
individueller/egoistischer rel. Deprivation - im Vergleich zu eigenen Gruppenmitgliedern<br />
fraternaler/sozialer rel. Deprivation - eigene Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen<br />
Gratifikation - eigene sehr gute Situation im Vergleich zu anderen Personen oder Gruppen<br />
Experimente:<br />
Befragung von Militärpolizei + Luftwaffensoldaten (Stouffer, 1949)<br />
Befragung weißer Amerikaner im Vergleich zu Schwarzen (Vanneman & Pettigrew, 1972; vergl.<br />
Taylor & Moghaddam, 1987)<br />
Eurobus-Studie - repräsentative Befragung zu ethnischen Minderheiten (Wagner & Zick, 1995):<br />
Individuelle relative Deprivation führt vor allem zu persönlichem Streß <strong>und</strong> Somatisierung<br />
1 aus dem englischen: Realistic Group Conflict Theorie. Erstmals von Campbell 1965 so<br />
benannt.<br />
32
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
3. Persönliche Unterschiede in der Vorurteilsneigung:<br />
Autoritarismus<br />
3.1. Definitionen<br />
Vorurteil: eine (gewöhnlich negative) Einstellung den Mitgliedern einer spezifischen (ethnischen<br />
oder anderen) Gruppe gegenüber, die den Vorurteilsträger veranlaßt, andere nur auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />
Mitgliedschaft in dieser Gruppe als negativ zu bewerten (Baron & Byrne, 1981)<br />
Struktur von Vorurteilen: kognitive Komponente - Stereotyp<br />
affektive, bewertende Komponente (gewöhnlich negativ)<br />
konative (Verhaltens-)Komponente - diskriminierendes Verhalten<br />
Merkmale von Stereotypen (nach Schönbach et al., 1981, siehe Wagner-Folie)<br />
1. Die Gruppe wird nur durch wenige Eigenschaften beschrieben.<br />
2. Die zur Beschreibung verwendeten Eigenschaften stammen aus einem eng umrissenen<br />
Bedeutungsbereich.<br />
3. Die charakteristischen Eigenschaften werden allen Mitgliedern der Gruppe zugeschrieben.<br />
4. Die Charakteristika der Gruppe sind mit stark ausgeprägten negativen Konnotationen versehen.<br />
5. Die Gruppe wird deutlich von der eigenen Bezugsgruppe abgesetzt.<br />
6. Verschiedene Fremdgruppen werden gleich beurteilt.<br />
7. Der Gruppe werden extreme Ausprägungen in charakteristischen Eigenschaften zugesprochen.<br />
8. Die Charakteristika werden bei der Gruppe über einen langen Zeitraum (im Extremfall endlos)<br />
vermutet.<br />
9. Charakteristische Eigenschaften werden mit großer Sicherheit zugesprochen.<br />
10.Die Charakterisierung der Gruppe ist von großer Resistenz gegen Änderung.<br />
11.Verschiedene Beurteiler stimmen in der Charakterisierung der Gruppe überein.<br />
3.2. Autoritarismusneigung<br />
Adorno (1903-1969) emigrierte bei der Machtergreifung Hitlers in due USA, entwickelte Theorie,<br />
wie Nationalsozialismus <strong>und</strong> Faschismus in D stark werden konnten,<br />
entwickelte die Faschismus-Skala (F-Skala; mißt Autoritarismuswerte - Autoritarismusskala):<br />
Korrelationen mit Antisemitismus (.53), Ethnozentrismus (.73) <strong>und</strong> Politisch ökonom.<br />
Konservativismus=PEC (.52)<br />
Entwicklung von Autoritarismus:<br />
Die Berkeley-Gruppe (Adorno et al.) arbeitet mit psychoanalytischer Orientierung. Ursache einer<br />
autoritären Persönlichkeitsstruktur ist in einer rigiden, von Disziplin <strong>und</strong> klaren Rollenverteilungen in<br />
Bezug auf Dominanz <strong>und</strong> Unterwürfigkeit geprägten Erziehung zu suchen. Durch diese familiäre<br />
Struktur entstehen im Kind Feindseligkeiten <strong>und</strong> Aggressionen, die nur schwer einen Ausdruck finden<br />
können. Sie stehen in dem Konflikt von den Eltern geliebt werden zu wollen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
Aggressionen ihnen gegenüber zu besitzen. Die Folge ist eine Idealisierung der Eltern <strong>und</strong> eine<br />
Projektion des Hasses nach außen auf andere Gruppen (meist soziale oder ethnische Minderheiten).<br />
Die Über-Ich-Instanz (Gewisseninstanz) wird durch die Werte <strong>und</strong> Normen der Eltern bestimmt.<br />
Solche Personen besitzen einen Mangel an eigenen Werten <strong>und</strong> Normen. Später treten an die Stelle<br />
der Eltern die gesellschaftlichen Autoritäten, von denen dann die Werte <strong>und</strong> Normen übernommen<br />
werden.<br />
Autoritarismus wird als Persönlichkeitsstruktur aufgefasst. Demnach gibt es kein autoritäres<br />
Verhalten an sich, sondern nur voruteilsvolles, unterwürfiges, aggressives <strong>und</strong> konventionelles<br />
Verhalten.<br />
Kritik:<br />
Die Ursprünge in der Kindheit konnten nicht nachgewiesen werden.<br />
Die Annahme einer Persönlichkeitsstruktur wird ebenfalls bestritten.<br />
33
Alternatives Modell von Altemeyer:<br />
Die Annahme einer Persönlichkeitsstruktur wird verworfen. Demnach ist Autoritarismus die<br />
Kovariation dreier Verhaltensmuster:<br />
a) Autoritäre Unterwürfigkeit: ein hoher Grad der Unterwürfigkeit gegenüber gesellschaftlich<br />
anerkannten Autoritäten.<br />
b) Autoritäre Aggression: eine generelle Aggressivität gegenüber Personen, die von<br />
gesellschaftlich anerkannten Autoritäten verurteilt <strong>und</strong> mißbilligt werden.<br />
c) Konventionalismus: ein hoher Grad der Akzeptanz <strong>und</strong> Befürwortung traditioneller <strong>und</strong><br />
gesellschaftlich geprägter Normen.<br />
Die Ursprünge liegen nun in der Jugend, wenn die Gesellschaft Jugendliche auf das<br />
Erwachsenenleben vorbereitet.<br />
Experiment von Milgram & Elms<br />
Befragten im Anschluß an die Milgram-Untersuchungen 20 nicht-folgsame Vpn der<br />
Standarduntersuchungen + 20 folgsame Vpn der Anordnung mit größerer Nähe zum Opfer<br />
anhand verschiedener Persönlichkeitsinventare <strong>und</strong> der Autoritarismusskala (Unterskala "Autoritäre<br />
Unterwürfigkeit" der F-Skala entspricht dem 'Gehorsamkeitsmerkmal' nach Milgram)<br />
Ergebnis: Signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen fanden sich nur auf der<br />
Autoritarismusskala (auch bei Parallelisierung nach Bildungsniveau)<br />
4. Akzentuierungsmodelle - Das Social-Identity-Approach<br />
4.1. Einleitung:<br />
Die Identität einer Person besteht nunmehr aus einer persönlichen Identität (aus Aspekten, die die<br />
Person als Individuum auszeichnen), <strong>und</strong> aus einer sozialen Identität (aus Aspekten, die von<br />
Gruppen-zugehörigkeiten abgeleitet sind) Als dritte Variable nennt Turner die menschliche Identität<br />
(J.C. Turner, 1987).<br />
Das "Social Identity Approach" befaßt sich mit sozial-psychologischen Prozessen in <strong>und</strong> zwischen<br />
Gruppen <strong>und</strong> besteht im Gr<strong>und</strong>e aus 3 Modellen:<br />
1. Theorie der Reizklassifikation von Henri Tajfel (Tajfel 1957,1959 <strong>und</strong> 1975)<br />
2. Theorie der Sozialen Identität von Tajfel <strong>und</strong> Turner (Tajfel 1978, Tajfel & Turner 1979, auch<br />
1986)<br />
3. Selbst-Kategorisierungs-Theorie von John C. Turner (Turner et al. 1987)<br />
4.1.1. Die Kernannahmen der Theorie:<br />
1. Menschen wollen eine positive Selbsteinschätzung erhalten oder herstellen.<br />
2. Menschen leiten einen Teil ihrer Selbsteinschätzung, ihre Soziale Identität, aus ihren<br />
Gruppenzugehörigkeiten <strong>und</strong> den Bewertungen dieser Gruppe ab.<br />
3. Die Bewertung einer Gruppe ergibt sich aus dem Vergleich dieser Gruppe mit relevanten<br />
anderen Gruppen.<br />
(zur Übersicht vgl.: Tajfel, 1978, 1982a, 1982b; Mummendey, 1985; Wagner 1985)<br />
Chronologische Entstehung der Theorie skizzieren:<br />
4.1.2. Definition von Gruppe<br />
Vergleich der Sichtweise von Gruppen nach dem<br />
• 'Sozialen Kohäsionsmodell' (Definition von Lewin, 1948: concrete dynamic interrelations, d.h.<br />
social interaction and other types of interdependence - UV=<strong>Interdependenz</strong>,<br />
AV=<strong>Gruppenbildung</strong>)<br />
• <strong>und</strong> aus der Sicht des 'Social Identity Approach' (Definition von Turner, 1982: eine Gruppe eine<br />
Ansammlung von Menschen, die sich selbst als zu einer gemeinsamen Kategorie gehörig<br />
wahrnehmen - UV=Selbstkategorisierung, AV=<strong>Gruppenbildung</strong>).<br />
34
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4.2. Die Theorie der Reizklassifikation (Tajfel, 1957, 1959, auch<br />
1975; Tajfel & Wilkes 1963)<br />
Sie befaßt sich mit der Wahrnehmung von klassifizierten Reizserien.<br />
Annahme: Eine systematische Klassifizierung einer kontinuierlichen Stimulusserie führt zu<br />
einer verzerrten Wahrnehmung der Stimuli.<br />
Die Theorie geht von zwei Modellannahmen aus:<br />
1. Unterschiede zwischen den Klassen oder Kategorien, die angegeben werden, werden<br />
größer wahrgenommen, als sie tatsächlich sind. (Inter-Klassen-Effekt)<br />
2. Unterschiede innerhalb der Klassen oder Kategorien werden im Vergleich zur objektiven<br />
Realität als kleiner wahrgenommen, als sie sind. (Intra-Klassen-Effekt)<br />
* Versuch von Tajfel <strong>und</strong> Wilkes<br />
Immer zusammen Immer zusammen<br />
mit Buchstaben A mit Buchstaben B<br />
vorgelegt vorgelegt<br />
Versuchsbeschreibung:<br />
- Den VPN werden einzelne Linien von unterschiedlicher Länge vorgelegt.<br />
- Die kürzeren Linien werden mit dem Buchstaben A vorgelegt, die längeren mit dem<br />
Buchstaben B.<br />
Aufgabe: Längen der Linien einschätzen.<br />
Ergebnis: Die Etikettierungen veranlassen die VPN dazu,<br />
• die Längenunterschiede zwischen den beiden Klassen zu unterschätzen (inter-class effect)<br />
• die Längenunterschiede innerhalb der Klassen zu unterschätzen (intra-class effect)<br />
Die Theorie der Reizklassifikation bildet die Gr<strong>und</strong>lage der kognitiven Komponente der<br />
Theorie der sozialen Identität. Sie kann beispielsweise erklären, warum Unterschiede<br />
zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen häufig in den Vordergr<strong>und</strong> gestellt werden<br />
(AusländerInnen - Deutsche, Frauen - Männer, etc.). Sie kann jedoch weder viele Phänomene<br />
erklären, wenn die Beurteilenden Kategorien- oder Gruppenmitglieder sind, noch kann sie<br />
erklären, warum die eigene Gruppe systematisch als die Bessere herausgestellt wird.<br />
Daß dies so ist, verdeutlicht das Minimal-Group Paradigma von Tajfel et al. (1971)<br />
4.2.1. Das Minimal-Group Paradigma<br />
Die Untersuchungen zum Minimal-Group Paradigma waren im wesentlichen durch die<br />
Feldstudien von Muzafer Sherif beeinflußt.<br />
Es stellt sich die Frage, ob reale Interessenkonflikte tatsächlich eine notwendige Bedingung<br />
für Konflikte zwischen Gruppen sind?<br />
35
Dazu das Minimal-Group Paradigma:<br />
Es wurde ein Versuchsdisign entwickelt, in dem eine Intergruppensituation ohne<br />
Interessenkonflikt herrschte:<br />
- folgende Kriterien sollten erfüllt sein:<br />
a) keine face to face Interaktion der Vpn<br />
b) Anonymität der Gruppenmitgliedschaft d.h., VPN hatten es mit Personen zu Tun,<br />
über die sie keine Infos hatten, außer deren Gruppenmitgliedschaft.<br />
c) Fehlen jeglicher instrumentellen oder rationalen Verknüpfung zwischen der Art der<br />
Gruppeneinteilung <strong>und</strong> der Art des Zwischengruppenverhaltens, das von den VPN<br />
erwartet wurde<br />
d) die Verhaltensweisen konnten keinen persönlichen Nutzen bringen<br />
e) die Verhaltensweisen stellten für die Vpn reale <strong>und</strong> bedeutsame Entscheidungen in<br />
Form konkreten Geldbelohnungen oder Bestrafungen für andere Personen dar.<br />
Experiment von Tajfel et al. (1971):<br />
- 1. Teil:<br />
• VPN beurteilen zunächst eine Reihe von Bildern <strong>und</strong> werden dann anhand von Präferenz<br />
für Klee- oder Kandinsky-Bildern in eine Gruppe von Klee- oder Kandinsky-<br />
Liebhabern eingeteilt.<br />
• jede VPN kennt nur die eigene Zuordnung, nicht diejenige der anderen<br />
- 2. Teil:<br />
=> Die VPN sollen auf festgelegten Matrizen einen Geldbetrag zwischen je zwei Personen<br />
verteilen. Die VPN konnten zwischen 4 Strategien entscheiden:<br />
• Strategie des maximalen Gewinn für beide Gruppen<br />
• Strategie des maximalen Gewinn der eigenen Gruppe ohne Berücksichtigung der fremden<br />
Gruppe<br />
• Strategie der Differenzierung zwischen In- <strong>und</strong> Outgroup zugunsten der eigenen Gruppe<br />
• Strategie der Fairness<br />
=> Die Personen, denen das Geld zugeschrieben wurde, waren nicht bekannt. Es war<br />
lediglich bekannt, welcher Gruppe sie angehörten.<br />
Matrix aus dem Minimalgruppenexperiment (Tajfel et al., 1971)<br />
Mitglied 74 der Klee-Gruppe 25 23 21 19 17 15 13 11 9 7 5 3 1<br />
Mitglied 44 der Kandinsky-Gr. 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7<br />
Ergebnis:<br />
a) Das Mitglied der eigenen Gruppe wird immer (systematisch) gegenüber dem Mitglied der<br />
anderen Gruppe bevorzugt.<br />
b) Der relative Unterschied der eigenen Gruppe zur Outgroup war wichtiger als die Höhe des<br />
absoluten Gewinns für die eigene Gruppe.<br />
Daraus wurde gefolgert, daß die einfache triviale Kategorisierung in zwei sozialen Gruppen<br />
reicht, um diskriminierendes Verhalten gegenüber einer Outgroup hervorzurufen. Explizite<br />
Konflikte bzw. Wettbewerb scheinen nur indirekt zu wirken, d.h. sie verstärken lediglich das<br />
Ausmaß der Diskriminierung.<br />
36
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
4.3. Die Theorie der Sozialen Identität (Tajfel 1978, Tajfel & Turner<br />
1979, auch 1986)<br />
Die Theorie hat die Entstehung von Konflikten zwischen Gruppen zum Gegenstand (vgl.<br />
Wagner, 1994, S.3f.) . Sie versucht zu erklären, warum die oben beschriebene Bevorzugung<br />
der Mitglieder der eigenen Gruppe systematisch geschieht. Tajfel stellt dazu die Forderung der<br />
Trennung der Konzepte von Verhalten im interpersonalen Kontext einerseits <strong>und</strong> dem<br />
intergruppalen Kontext andererseits.<br />
Die Theorie der sozialen Identität besteht aus vier miteinander verb<strong>und</strong>enen Konzepten<br />
(Tajfel, 1978 & 1979; Tajfel & Turner, 1979):<br />
• soziale Kategorisierung<br />
• soziale Identität<br />
• sozialer Vergleich<br />
• soziale Distinktheit<br />
soziale Kategoriserung:<br />
Individuen segmentieren mithilfe der sozialen Kategoriesierung ihre Umwelt hinsichtlich<br />
unterschiedlicher Merkmalsdimensionen in unterscheidbare soziale Kategorien oder Gruppen.<br />
(Theorie der Reizklassifikation) Tajfel <strong>und</strong> Turner erweiterten diese Annahme. Demnach<br />
liefert die soziale Kategorisierung ein Orientierungssystem zur Selbstdefinition. Sie bildet <strong>und</strong><br />
bestimmt den Platz eines Individuums innerhalb der Gesellschaft (Tajfel & Turner, 1986,<br />
S.16)<br />
soziale Identität:<br />
Nach Tajfel ist die soziale Identität der Teil der Selbstdefinition eines Individuums, der aus<br />
dessen Wissen über seine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erwächst. Die<br />
Zugehörigkeit ist mit dem Wert <strong>und</strong> der emotionalen Bedeutung, die dieser<br />
Gruppenmitgliedschaft beigemessen wird, verb<strong>und</strong>en. (Tajfel, 1978, S.63). (s.a. Kernannahme<br />
2)<br />
sozialer Vergleich:<br />
Das Individuum gewinnt durch den Prozeß des sozialen Vergleichs zwischen der eigenen <strong>und</strong><br />
anderen Gruppen Informationen über die Charakteristika seiner eigenen sozialen Identität<br />
(Kernannahme 3). Die Relevanz des Gruppenvergleichs für die soziale Identität kann durch<br />
die Wichtigkeit der Vergleichsdimension <strong>und</strong> der Vergleichbarkeit der Vergleichsgruppe<br />
beeinflußt werden.<br />
soziale Distinktheit:<br />
Jedes Individuum ist bestrebt eine positive soziale Identität zu besitzen (Kernannahme 1). Sie<br />
ist dann positiv, wenn der soziale Vergleich positiv ausfällt <strong>und</strong> wenn damit eine gewisse<br />
positive Eigenart oder Distinktheit zu anderen hergestellt wird.<br />
In seiner Theorie führt Tajfel ein Motivkonzept ein: Ein Bedürfnis zur positiven<br />
Selbstbewertung, das letztlich den Ausschlag dafür gibt, daß die Versuchspersonen in den<br />
Intergruppenuntersuchungen gerichtete Unterschiede zwischen den Gruppen schaffen <strong>und</strong> die<br />
fremde Gruppe im Vergleich zur eigenen Gruppe abwerten.<br />
Er definiert ebenfalls den Begriff Gruppe neu. Waren die Bedingung für die <strong>Gruppenbildung</strong><br />
aus der Tradition der Kleingruppenforschung die Attraktion der Gruppenmitglieder <strong>und</strong> die<br />
gemeinsamen Gruppenziele, werden diese nun als konstituierende Merkmale vernachlässigt.<br />
Anstelle dessen treten zwei andere Faktoren:<br />
- Die Existenz einer sozialen Kategorie<br />
- Die Identifikation von Personen mit dieser Kategorie<br />
Die soziale Identität ist der Bereich des Selbstkonzeptes, der mit der Gruppe identisch ist. In<br />
dem Sinne geben Gruppenmitgliedschaften Personen Auskunft, wer sie sind (vgl. Wagner,<br />
1994, S.8f.).<br />
37
Doch was geschieht, wenn die Soziale Identität gefährdet ist?<br />
Dazu zunächst eine Beschreibung intergruppaler Situationen. Intergruppale Situationen lassen<br />
sich auf 3 Kontinua unterscheiden:<br />
1) ob die Statushierarchie zwischen den Gruppen als stabil oder instabil wahrgenommen<br />
wird.<br />
2) ob die Statushierarchie zwischen den Gruppen als legitim oder illegitim wahrgenommen<br />
wird.<br />
3) ob individuelle Mobilität zwischen den Gruppen als möglich angesehen wird.<br />
Wenn eine Person die Relationen zwischen den Gruppen als instabil <strong>und</strong> vor allem als<br />
illegitim empfindet, d.h. der soziale Vergleich negativ ausfällt <strong>und</strong> die Soziale Identität<br />
gefährdet ist, wird sie versuchen, die daraus resultierende negative Soziale Identität<br />
aufzuwerten. Zunächst ist die Person bestrebt, die unterlegene Gruppe zu verlassen <strong>und</strong> zur<br />
überlegenen aufzusteigen.Erst wenn diese soziale Mobilität nicht vorhanden ist, kommt es zu<br />
sozialer Veränderung.<br />
Soziale Veränderung geschieht durch:<br />
1. Einführung neuer Vergleichsdimensionen für Vergleiche zwischen Gruppen.<br />
2. Die Umbewertung von Gruppenattributen.<br />
3. Die Wahl neuer Vergleichsgruppen.<br />
Die Self-Esteem-Hypothese in der Theorie der Sozialen Identität<br />
eine Abwertung der fremden Gruppe oder Gruppenmitglieder führt zu einer Verbesserung der<br />
Selbsteinschätzung.<br />
Günstige Intergruppenvergleiche (= high-status-ingroup)<br />
Statushierarchie ist hoch, legitim <strong>und</strong> stabil ⇒ positive soz. Identität ⇒ Paternalismus (gegenüber der<br />
unterlegenen Gruppe)<br />
Statushierarchie ist hoch, illegitim <strong>und</strong> instabil ⇒ unsichere soz. Identität ⇒ Legitimierung der<br />
eigenen Gruppe (z.B. durch Vorurteile/ Abwertung der fremden Gruppe)<br />
Ungünstige Intergruppenvergleiche (= low-status-ingroup)<br />
Statushierarchie ist niedrig, legitim <strong>und</strong> stabil ⇒ negative soz. Identität<br />
Statushierarchie ist niedrig, illegitim <strong>und</strong> instabil ⇒ unsichere soz. Identität ⇒ Möglichkeit zur<br />
Veränderung der soz. Identität (social change) in Abhängigkeit von der Sozialen <strong>und</strong> individuellen<br />
Mobilität (Soziale Kreativität, z.B. Umdeuten soz. Urteile, <strong>und</strong> Sozialer Wettbewerb)<br />
Bisher wurden die Prozesse betrachtet, die zwischen verschiedenen Gruppen ablaufen. Unklar<br />
sind bislang die Prozesse, die innerhalb einer Gruppe geschehen.<br />
4.4. Die Theorie der Selbst-Kategorisierung (John C. Turner, 1987)<br />
Frage: Wann empfindet sich ein Individuum einer Kategorie oder Gruppe zugehörig empfindet <strong>und</strong><br />
handelt danach?<br />
Die Identifikation mit der eigenen Gruppe ist das Ergebnis eines vorgeordneten Selbst-<br />
Kategorisierungs-Prozesses. Ein wesentliches Merkmal, ob sich eine Person zu einer vorgegebenen<br />
Kategorie zugehörig definiert <strong>und</strong> nach dieser handelt, ist die aktuelle Salienz der Selbst-<br />
Kategorisierung, d.h. die Bedeutung dieser Kategorie für die Selbstdefinition.<br />
Die Salienz einer Kategorie hängt theoretisch von der Zugänglichkeit der Kategorie ab. Ob eine<br />
Kategorie zugänglich <strong>und</strong> damit salient ist, legen die persönlichen Bedürfnisse <strong>und</strong> situative Faktoren<br />
fest.<br />
Bei hoher Salienz einer Kategorie/Gruppe, wird diese zur Selbstdefinition verwendet. Es entsteht eine<br />
Identifikation (Soziale Identität) mit dieser Gruppe <strong>und</strong> es kann intergruppales Verhalten auftreten.<br />
Die Folge von intergruppalem Verhalten ist eine Depersonalisierung der Person, d.h. sie gibt ihre<br />
Individualiät zugunsten einer Anpassung an die Gruppe auf.<br />
38
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Intergruppales Verhalten versus interpersonales Verhalten<br />
Ein intergruppales Verhalten tritt jedoch nicht zwangsläufig auf. Zwischen interpersonalem Verhalten<br />
<strong>und</strong> intergruppalem Verhalten besteht ein Kontinuum. Verhalten in nur einem Pol existiert nur selten.<br />
Bsp.: für intergruppales Verhalten - Polizisten/Streikende; für interpersonales Verhalten - der Kontakt<br />
zwischen Liebenden.<br />
Intergruppales Verhalten tritt eher auf, wenn eine oder mehrere Vergleichsgruppen wahrgenommen<br />
werden. Dies ist besonders verhaltenswirksam, wenn vermutet wird, daß die fremde Gruppe<br />
antagonistische Ziele verfolgt (vgl. Tajfel, 1978, S.43; Wagner, 1994, S.10f.).<br />
Experiment von Wagner & Ward:<br />
Aufgabe: Psychologiestudierende sollen nach einem Tonbandprotokoll einen psychologischen<br />
Gesprächstherapeuten beurteilen <strong>und</strong> die eigene Ähnlichkeit mit dem Therapeuten einschätzen.<br />
Die VPN werden in drei Gruppen aufgeteilt<br />
- 1. Gruppe mit niedriger Salienz: keine weitere Informationen<br />
- 2. Gruppe: Die Vpn werden darauf hingewiesen, daß in der Untersuchung auch die Qualität nichtpsychologischer<br />
Berater eingeschätzt wird.(Ingroup-Salienz soll gesteigert werden)<br />
- 3. Gruppe: Es wird darüberhinaus noch auf den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt zwischen<br />
Therapeuten aus verschiedenen Berufsgruppen hingewiesen.<br />
Ergebnis: Mit steigender Salienz der Ingroup nimmt die Attraktivität des anderen Ingroup-<br />
Mitgliedes <strong>und</strong> die Einstellungsähnlichkeit mit diesem Ingroup-Mitglied zu.<br />
Weitere Beispiele:<br />
- Falkland-Konflikt: Für die Dauer des Konfliktes kamen innenpolitische Auseinandersetzungen in<br />
beiden Ländern nahezu zum Erliegen.<br />
- Rabbie & Bekkers (1976): konnten experimentell nachweisen, daß Gruppenführer dieses Phänomen<br />
einsetzen <strong>und</strong> sich mit einem äußeren Feind anlegen, um so ihre eigene Position <strong>und</strong> die Existenz<br />
ihrer Gruppe zu retten.<br />
Aus der Perspektive der Theorie der Selbst-Kategorisierung gehen diese Phänomene darauf zurück,<br />
daß in der Konfliktsituation die auf die jeweilige Gruppe bezogene Soziale Identität<br />
handlungssteuernd wird.<br />
Wie haltbar ist die Theorie?<br />
Ein Kriterium dazu ist die Antwort auf die Frage, inwieweit das Ausmaß der relativen Bevorzugung<br />
der eigenen Gruppe tatsächlich in der vorhergesagten Richtung mit der Selbsteinschätzung in der<br />
Sozialen Identität zusammenhängt.<br />
Bisher gibt es dazu nur wenige Daten. Oakes & Turner (1980) <strong>und</strong> Lemyre & Smith (1985) haben<br />
nachgewiesen, daß die Diskriminierung einer fremden Gruppe zugunsten der eigenen Gruppe zu einer<br />
Anhebung der Selbsteinschätzung bzw. der Sozialen Identität führt. (Self-esteem-Hypothese)<br />
39
5. Moderner Rassismus<br />
5.1. Ein alter Ansatz: - Die Sündenbocktheorie<br />
Auf Basis der Frustration-Aggression-Hypothese: Bei Frustration wird die Aggression auf andere verschoben, die<br />
die Verantwortung für die Frustration nicht haben. Annahme: Verhalten zwischen Gruppen wird primär<br />
emotional bedingt. (ist fragwürdig)<br />
5.2. Vorurteile aus Sicht des SIA:<br />
Während vorherige Konzepte eher auf interpersonaler Ebene ansetzen, so betont der moderne<br />
Rassismus mehr Konflikte auf Intergruppenebene. Vorherige Konzepte beschreiben die Ambivalenz<br />
von positiven <strong>und</strong> negativen Emotionen gegenüber Minderheiten. Der m. R. beschreibt die<br />
Ambivalenz zwischen negativen Affekten gegenüber Minderheiten <strong>und</strong> perölichen Werten,<br />
Kognitionen <strong>und</strong> Bedürfnissen. Eine Skala soll sensibel für Soziale Erwünschtheitseffekte <strong>und</strong> nicht<br />
reaktiv sein.<br />
Vorurteile <strong>und</strong> Stereotype aus Sicht des SIA:<br />
1. V. <strong>und</strong> S. sind spezifische Kognitionen über soziale Kategorien,<br />
2. die sozial konstruiert sind.<br />
3. V. sind Stereotypen gegenüber bestimmten Gruppen (Outgroups) oder gegenüber Individuen dieser<br />
Gruppen<br />
4. V. <strong>und</strong> S. können als kategoriale Informationen zur Einordnung von Personen dienen.<br />
5. Sie dienen zugleich der Rechtfertigung zur Diskriminierung von Ourgroup-Mitgliedern<br />
6. Als Normen machen sie die Gruppenmitgliedschaft salient <strong>und</strong> ermöglichen dadruch die<br />
Beeinflussung der Gruppenmitglieder.<br />
Zusammengefaßt: V. <strong>und</strong> S. als Form der Aufwertung der eigenen sozialen Identität.<br />
5.3. Subtle-Blatant-Prejudice<br />
Fokussieren die traditionellen Forschungen der intergruppalen Vorurteile mehr die offenen<br />
Vorurteile, so haben in letzter Zeit die indirekten Formen von Vorurteilen mehr Beachtung erlangt.<br />
Pettigrew <strong>und</strong> Meertens beschreiben Subtle- <strong>und</strong> Blatant-Prejudice als zwei Variationen des<br />
Phänomens des Vorurteils (Pettigrew <strong>und</strong> Meertens, 1995, S.58f.).<br />
Blatant-Prejudice besteht aus zwei Komponenten:<br />
a. Bedrohung <strong>und</strong> Zurückweisung: beinhaltet die wahrgenommene Bedrohung durch eine andere<br />
Gruppe <strong>und</strong> die Ablehnung dieser. In der extremsten Form beinhaltet sie den Glauben an die<br />
genetische Unterlegenheit der sogenannten Outgroup.<br />
b. Vermeidung von Intimität: beinhaltet den Widerstand gegenüber intimen <strong>und</strong> vertrauten Kontakt<br />
mit Mitgliedern der Outgroup. Dazu zählt die Ablehnung von sexuellem Kontakt oder Heirat mit<br />
einem Mitglied der Outgroup.<br />
Subtle-Prejudice besteht aus drei Komponenten:<br />
a. Nichterfüllung traditioneller Werte: Mitglieder der Outgroup werden als Personen<br />
wahrgenommen, die sich unakzeptabel <strong>und</strong> nicht in einer angemessenen Art <strong>und</strong> Weise<br />
verhalten. Was als angemessenes <strong>und</strong> akzeptabeles Verhalten aufgefaßt wird, bestimmen die<br />
traditionellen Werte der Ingroup.<br />
b. Überbetonung kultureller Unterschiede: Die Nachteile einer Outgroup werden den kulturellen<br />
Unterschieden zugeschrieben. Kulturelle Unterschiede sind zwar oft real vorhanden, so<br />
überbetonen subtile Vorurteile diese jedoch.<br />
c. Vorenthalten positiver Emotionen: Die Leugnung positiver Emotionen gegenüber der Outgroup:<br />
Dieses Merkmal offenbart keine negativen Gefühle gegenüber der Outgroup, sondern stellt<br />
lediglich die Leugnung positiver Empfindungen dar.<br />
40
SOZIALPSYCHOLOGIE II<br />
Die Subtle-Blatant-Prejudice-Skala besteht jeweils aus einer 10-Item Likert-Skala für Subtle- <strong>und</strong><br />
Blatant-Prejudice.<br />
Blatant-Prejudice entspricht einem Old-fashioned-Rassismus, während Subtle-Prejudice eine<br />
versteckte ideologische Vorurteilsstruktur erfassen soll.<br />
6. Reduktion von Intergruppenkonflikten<br />
1. Der Einsatz übergeordneter gemeinsame Ziele (Sherif et al., 1956ff.)<br />
Sherif vertrat den Ansatz, daß der soziale kooperative Kontakt zwischen Gruppen, soziale Vorurteile<br />
abbaut.<br />
Intergruppenkonflikte können reduziert werden, wenn die beteiligten feindseligen Gruppen<br />
gemeinsame übergeordnete Ziele verfolgen.<br />
Gemeinsame übergeordnete Ziele sind solche Ziele, die die Mitglieder aller beteiligten Gruppen<br />
anstreben <strong>und</strong> die die Gruppen nur durch gemeinsamen Einsatz erreichen können.<br />
Mittlerweile gibt es teilweise gegenteilige Bef<strong>und</strong>e. Tajfel (1979) kritisiert, daß mit der<br />
experimentellen Induzierung des übergeordneten Ziels in der 4. Phase die vorangegangene Aufteilung<br />
in Gruppen aufgehoben wird. Die Individuen kooperieren jetzt als Mitglieder einer Gruppe, d.h. daß<br />
die Ergebnisse möglicherweise für die Reduktion von Konflikten zwischen Gruppen nicht zu<br />
interpretieren sind.<br />
1.1. Die neue Perspektive durch die Soziale-Identitäts-Theorie:<br />
• Der Ausgangspunkt: die instrumentelle Funktion sozialer Vergleiche zwischen Gruppen für die<br />
positive Distinktheit der eigenen Gruppe.<br />
=> Spezifizierungen der Situationen, die die Notwendigkeit des Wettbewerbs verringern <strong>und</strong><br />
entsprechend Diskriminierungen der Outgroup weniger wahrscheinlich machen:<br />
• Zwei Wege:<br />
a) Verringerung der Salienz der Kategorisierung in Ingroup <strong>und</strong> Outgroup<br />
b) Die Ausweitung des Angebots an Bereichen mit positiver Distinktheit<br />
Zu a) Verminderung der Kategorisierungssalienz:<br />
- Verringerung von Outgroupdiskriminierung durch<br />
1. Individualisierung der Outgroup. Gruppenmitglieder werden in ihrer eigenen Individualität<br />
gesehen. (Wilder, 1978)<br />
2. Überlappende Kategorisierung. Individuen kategorisieren sich anhand von den verschiedenen<br />
Kriterien, bleiben jedoch hinsichtlich eines Teils des Kriteriums gemischt (z.B. Deschamps & Doise,<br />
1978; Brown & Turner, 1979)<br />
=> Dieser Weg verläuft über die Minderung des instrumentellen Wertes sozialer Vergleiche für die<br />
soziale Identität<br />
Zu b) Veränderung der Art bzw. der Anzahl der Vergleichsdimensionen:<br />
- wenn gruppenspezifischen Beiträge an einem gemeinsamen Produkt gut zu identifizieren sind,<br />
nimmt die Outgroupdiskriminierung ab. (Dechamps & Brown, 1983) Begründung: positive<br />
Distinktheit mußte also nicht allein auf Kosten der Outgroup erreicht werden.<br />
41
2. getrennte Beschulung von Kindern unterschiedlicher Herkunft (Stephan,<br />
1978)<br />
Vorurteile der Mehrheit über Eigenheiten <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit der Minderheit<br />
Segregation im Schulbereich<br />
Herabsetzung der Selbstwertschätzung <strong>und</strong> des Selbstvertrauens der Kinder aus der Minderheit<br />
Herabgesetzte Leistung der Kinder aus der Minderheit<br />
Frustration bei den Kindern der Minderheit: Vorurteile gegen die Mehrheit<br />
2.1. Die Jigsaw-(Puzzle-) Methode (Aronson et al., 1978 ff.)<br />
Aufteilung der Kinder einer Klasse in kleine, ethnisch heterogene Arbeitsgruppen von fünf oder sechs<br />
Kindern.<br />
Aufteilung der Unterrichtsinhalte für eine St<strong>und</strong>e zu gleichen Teilen auf die einzelnen<br />
Arbeitsgruppenmitglieder.<br />
Phase 1: Individuelle Erarbeitung der (schriftlich vorgelegten) spezifischen Inhalte durch jedes Kind.<br />
Phase 2: Rückkopplung mit den TeilnehmerInnen aus den anderen Kleingruppen, die diesselbe<br />
Aufgabe haben.<br />
Phase 3: Zusammentragen der Wissensbestände aller Gruppenmitglieder innerhalb der Kleingruppe.<br />
3. Kontakthypothese<br />
Der Kontakt zwischen den Mitgliedern verschiedener Gruppen unter geeigneten Bedingungen baut<br />
das Intergruppenvorurteil <strong>und</strong> die Feindseligkeit zwischen Gruppen ab.<br />
Dies ist allerdings nur wirksam, wenn dies mit Kooperation verb<strong>und</strong>en ist.<br />
42