Stefan Donecker, Alexandra Karentzos, Birgit ... - transcript Verlag

Die Königin, die sich seit langem nichts sehnlicher
wünscht als ein Kind, ist außer sich vor Glück
und beschließt, ihre Tochter Dornröschen zu nennen.
Die Begegnung von Königin und Frosch haben
Illustratoren, darunter Ludwig Richter, nach
Manier der Bathseba im Bade, aufreizend in
Szene gesetzt. (Abb. 8)
Frosch, adelige Frau, Brunnen, Kuss und Verwandlung
– könnte es sein, dass sich die Bilder zweier
Grimm'scher Märchen – Dorn-öschen und Froschkönig
– im kollektiven Gedächt-nis überlagert und
miteinander verschränkt ha-ben? Dafür spricht, dass
das Bild vom Kuss als sichtbares Zeichen einer erlösenden
Liebe um vieles einprägsamer ist als die
Erwähnung einer unkontrollierten Gewalttat einer
frustrierten Prinzessin, die Böses will und Gutes
schafft. Dass der Trugschluss, es sei das Küssen, das
den Frosch in einen Prinzen rückverwandle, eher
komische als tragische Züge trägt, ist schon Wilhelm
Busch aufgefallen. In seiner Bilderzählung Die
beiden Schwestern mengt er fröhlich Aschenputtel,
Dornröschen und den Froschkönig in eins, solange
ihm nur ein verbindender Knittelvers dazu einfällt:
»Der erste Kuß schmeckt recht abscheulich.
Der gräsiggrüne Frosch wird bläulich.« 26 Wilhelm
Buschs Humor und Zeichenkunst verdanken wir
ein erstes Bild der allmählichen Verwandlung eines
Frosches in einen Prinzen, ausgelöst vom beherzten
Kuss des braven Kätchens. (Abb. 9) Seither ist
der Froschkönig fest in der Hand der Satiriker,
wissen sie doch darum, dass nicht nur im Märchen
Abb. 6 : Willy Jüttner, Der Froschkönig, 1921.
einiges durcheinander gerät. Dem Comic-Zeichner
Ivica Astalos war es vergönnt, einen entscheidenden
Hinweis zu geben: In der Satirezeitschrift
MAD legte er Zeugnis davon ab, dass
die Metamorphosen des Dornröschens und des
Froschkönigs im Bild auf wundersame Weise in
eins fallen. (Abb. 10) Der leidenschaftliche Kuss
des Prinzen verfehlt seine Wirkung nicht: Das
Dornröschen erwacht zu neuem Leben, wenn
auch in Gestalt eines Frosches. Da sehne sich
noch einer nach den alten Zeiten, wo das Küssen
nochgeholfen hat.
Abb. 5 : Theodor Herrmann, Der Froschkönig, 1903.
26 Wilhelm Busch: »Die beiden
Schwestern.« Aus: »Sechs
Geschichten für Neffen und
Nichten (Stippstörchen)« 1881, in:
ders: Und die Moral von der
Geschicht. (Hg.) : Rolf Hochhuth,
München 1982, S. 770 – 778, S. 772.
Abb. 7 : Luise Staudt-Zoerb Velbert,
Der Froschkönig, 1931.
Abb. 8 : Ludwig Richter, Das Dornröschen,
1931.
Abb. 9 a, 9 b, 9 c : Wilhelm Busch,
Die beiden Schwestern, 1881.
Querformat 2012
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