brief - Hospizgruppe Ravensburg
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Ja ich hatte schon andere Vorstellungen von<br />
meiner ersten Begleitung. Hätte gerne etwas<br />
vorgelesen, gemeinsam klassischer Musik gelauscht<br />
und Gespräche über Gott und die Welt<br />
geführt – obwohl ich gelernt hatte, dass dies<br />
eher die Ausnahme ist.<br />
Aber ich durfte mich im Schweigen üben,<br />
durfte erfahren, wie tröstlich es sein kann, einfach<br />
nur da zu sein. Musste erfahren, wie schwer<br />
Aushalten sein kann und die eigene Hilflosigkeit<br />
zu erfahren. Wie reagiere ich, wenn jemand<br />
nur noch den Wunsch hat, dass alles vorbei ist?<br />
Wenn jemand nicht mehr kann?<br />
Und immer wieder die Antwort: da sein.<br />
Meine anfänglichen Zweifel, ob es wirklich<br />
in Ordnung für sie ist, dass ich als Fremde bei<br />
ihr bin, lösen sich im Laufe der Besuche auf.<br />
Zwischen uns entsteht eine Nähe, ihr freundliches<br />
Lächeln bei Begrüßung und Abschied, ihr<br />
Dank und das Festhalten meiner Hand machen<br />
mich dankbar und glücklich.<br />
Ebenso dankbar war ich, als sie endlich sterben<br />
durfte, all die Schmerzen, das ganze Leiden<br />
und Hadern damit, waren ausgelöscht. Sie lag<br />
friedlich da. Auch für mich war es ein eigenes<br />
Gefühl sie zu betrachten, ein ganz und gar friedliches.<br />
Mathilde Heckenberger<br />
ANGESICHT DES TODES ERSCHEINT<br />
VIELES NICHTIG<br />
Ich klopfe an die Tür und trete ein, noch<br />
ehe ich ihn sehe, begrüße ich ihn, denn so weiß<br />
er, wer eingetreten ist. Meine Begleitung – ich<br />
nenne ihn Herr Müller – kann sich kaum bewegen.<br />
Er leidet seit über 20 Jahren an Parkinson.<br />
13<br />
Während seine linke Seite ständig in Bewegung<br />
ist, kann er die rechte Seite kaum bewegen. Er<br />
sieht mich an und lächelt. Seinen Kopf kann<br />
er nicht drehen, aber seine Augen verfolgen<br />
aufmerksam meine Bewegungen. Das Erste,<br />
was wir tun, noch ehe ich mich zu ihm hinsetzte,<br />
ist, dass er bequem liegt und mich sehen<br />
kann, während ich bei ihm bin. Heute habe ich<br />
ihm eine Kerze mit gebracht, die ich in der Zeit<br />
während ich bei ihm bin, brennen lasse. Wir<br />
reden über den Tag, die Nacht, das Wetter<br />
über ihn und auch über mich, aber manchmal<br />
ist reden nicht nötig und wir schweigen.<br />
Seit mehreren Wochen nun besuche ich ihn ca.<br />
zweimal die Woche. Er ist alleine in dem Pflegeheim,<br />
seine Familie wohnt am anderen Ende<br />
von Deutschland und ist, sooft es irgendwie<br />
möglich ist, hier. Hospiz, mehr als ein Wort,<br />
mehr als eine Tat. Die Motivation dazu lag bei<br />
mir hauptsächlich in dem Gedanken zu wissen,<br />
dass ich meine Zeit zwar nicht veschenken-<br />
aber dennoch teilen kann. Sinnvoll teilen und<br />
den Gegenüber in der schweren Zeit, die ihm<br />
noch bleibt, nicht alleine zu lassen. Im Angesicht<br />
des Todes erscheint so vieles nichtig. Ich<br />
habe neulich einen Absatz in einem Buch gelesen,<br />
welches mir besonders gut gefallen hat.<br />
Hier einen Auszug davon:<br />
Daher bin ich nach Jahren der Begleitung<br />
von „Sterbenden“ – der Begriff ist falsch,<br />
denn bis zum Ende sind sie „Lebende“ – selbst<br />
so lebendig wie noch nie. Und das verdanke<br />
ich ihnen. Früher glaubte ich, dass ich sie<br />
begleite. Mittlerweile weiß ich, dass sie in<br />
der Demut ihres Leidens meine Meister sind.<br />
(Marie de Hennezel – den Tod erleben)<br />
Perihan Öztürk<br />
Barbara Hubrich,<br />
Mathilde Heckenberger<br />
und Perihan Öztürk<br />
(von links).