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12 - Ultimo auf draht

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IM PARADIES<br />

Walden Drei<br />

Die Zukunft im kolumbianischen<br />

Urwald<br />

E<br />

in paar Hundert Kilometer östlich<br />

von Bogotá ist die Welt so<br />

ziemlich zu Ende. Seit langem<br />

schon. Alan Weisman ist dem Gerücht<br />

nachgegangen, genau hier,<br />

rund um die Dschungeldorf Gaviotas,<br />

entstehe eine neue Zukunft für<br />

die ganze Welt.<br />

1854 schrieb Henry David Thoreau<br />

Walden, bis heute die Bibel des<br />

alternativen Lebens, eine Geschichte<br />

vom genügsamen Hausen in der<br />

Blockhütte, seelischen Wachsen<br />

beim Bohnenanbau und tiefer Er-<br />

BÜCHER<br />

kenntnis ohne zu viel Zivilisation.<br />

Von ihm übernimmt Weisman den<br />

Stil persönlicher Erzählung, zuweilen<br />

direkt aus der Ackerfurche heraus,<br />

an ihn erinnern aber auch die<br />

seltsamen Begegnungen von<br />

Hochkultur und Hinterwald.<br />

1948 schrieb B. F. Skinner Walden<br />

Two, bis heute die Bibel der Sozialtechniker,<br />

die mit klugem Design das<br />

Leben störungsfrei machen wollen<br />

und außer Optimierung keine Inhalte<br />

haben. Von ihm übernimmt Weisman<br />

die Lust am genialen Einfall:<br />

Wenn du bei einer Pumpe nicht den<br />

Kolben bewegst, sondern den Zylinder,<br />

kommst du mit viel weniger<br />

Kraft aus.<br />

1994 begann Alan Weisman sein<br />

Buch Gaviotas. Ein Dorf erfindet die<br />

Welt neu. Da gab es die konkrete Uto-<br />

pie schon seit 20 Jahren, die Buschzauberer<br />

hatten die Solarindustrie ihres<br />

Landes verändert, und schon<br />

mehrfach hatten sie ihre eigenen<br />

Prinzipien verändert, um ihnen treu<br />

bleiben zu können. Das macht Weismans<br />

episodische Nacherzählung<br />

von der Gründung bis heute etwas<br />

verwirrend: Es gibt gar kein „Konzept<br />

Gaviotas“, dessen Bröckeln und<br />

Umbau an der Wirklichkeit zu beobachten<br />

wäre, es gibt zwei Dutzend begeisterte<br />

Ingenieure, Indios, Opernsängerinnen,<br />

die teils mit Stipendien,<br />

teils mit nur einem Rucksack in<br />

das Land zwischen Drogenbaronen,<br />

Paramilitärs und armen Indios<br />

ziehen. Und dann einfach die<br />

Landwirtschaft neu erfinden.<br />

In einer Art Guerilla-Taktik und<br />

ohne Genehmigungsbehörden pro-<br />

„Für Robert Gernhardt war keine Menschheitsfrage zu groß und keine<br />

Alltagsbeobachtung zu gering, als dass er sich nicht eingefangen und in<br />

Literatur verwandelt hätte“ – und vor allem kann man sich gut vorstellen,<br />

was der verblichene Gernhardt aus solch einem verschwiemelten<br />

Satz gemacht hätte, der <strong>auf</strong> der Rückseite des Lesebandes Wenn schöne<br />

Frauen morgens sich erheben steht und von Herausgeber Johannes<br />

Möller stammt. Der hat für seinen „Gernhardt kann über alle schreiben“-Band<br />

leider auch völlig unzusammenhängend Lyrik und Prosa<br />

versammelt, die auch Gernhardts Lust demonstrieren, die innere Nähe<br />

von Literatur und Schwafelei herzustellen; davon abgesehen, dass<br />

Gernhardts düstere Gedichte nicht „rätselhaft“ (Möller) sind (sondern<br />

von Krebstherapie und Todesangst handeln) und dass er weitaus bessere<br />

Sonette verfasst hat als das eine hier zitierte. Der eigentliche Clou<br />

des großformatigen Hochglanzbandes sind sowieso die Illustrationen<br />

von Rudi Hurzlmeier, dessen breiter Strich genau jenen Bereich zwischen<br />

Melancholie und Wahnsinn ausfüllt, in dem Gernhardt sich tummelte.<br />

Insofern kommen Gernhardt-Freunde leider nicht um diesen<br />

schönen Band herum, der einige Texte <strong>auf</strong>s absonderlichste optisch<br />

<strong>auf</strong>bereitet. „Ein Gespräch im Hotel »Schwarzer Bock« wird nie wieder so beeindruckend illustriert werden,<br />

auch wenn der Herausgeber dafür in der Hölle schmoren soll, das Bild in diesem Falle über den Bund gedruckt zu<br />

haben. (Edition Büchergilde, Frankfurt 20<strong>12</strong>, 222 S., 26,4 x 19,2 x 2 cm, mit zahlr. Abb., 24,90) /// -thf-<br />

bieren sie Anbauverfahren für<br />

schlechte Böden aus, forsten gegen<br />

den Rat der Artenschützer den unfruchtbaren<br />

Landstrich mit afrikanischen<br />

Kiefern wieder <strong>auf</strong>, werden<br />

plötzlich Weltmarktführer im Kollophoniumgeschäft<br />

und denken jetzt<br />

an Biodiesel aus importierten Palmen,<br />

aus dem Dschungel für den<br />

Dschungel. Was <strong>auf</strong> guten Böden ein<br />

Verbrechen wäre, Nahrung für Motoren<br />

statt Menschen anzubauen,<br />

könnte <strong>auf</strong> schlechten Böden eine<br />

Chance sein.<br />

Jede Seite ist durchdrungen von<br />

der Hoffnung, Erfindergeist und eine<br />

Art Kibbuz-Seele könnten jedes Problem<br />

lösen. Aber auch von dem kreativen<br />

Respekt vor den Tatsachen.<br />

„Wenn das Schicksal dir Zitronen<br />

gibt, mach Limonade daraus“ sagen<br />

Amerikaner dazu. Wing<br />

Alan Weisman: Gaviotas. Ein Dorf erfindet<br />

die Welt neu. Aus dem Amerikanischen<br />

von Ursula Pesch. Piper, München<br />

20<strong>12</strong>, 379 S.<br />

MEERESNOVELLE<br />

Existenz in<br />

Trümmern<br />

Peter Henning beschreibt einen<br />

Fluchtversuch<br />

M<br />

ax Wahlberg sind in den letzten<br />

Monaten einige unangenehme<br />

Dinge passiert: seine Freundin<br />

hat ihn verlassen, dann hat er große<br />

Teile seiner Examensarbeit kopiert,<br />

was <strong>auf</strong>gefallen ist und nun seine Fakultät<br />

dazu veranlasst, ihn zu einer<br />

Anhörung vorzuladen. Seine<br />

Karriere ist beendet.<br />

Waskönnteeralsobesseresmachen,<br />

als sich in sein Auto zu setzen<br />

und nach Zandvoort zu fahren, um<br />

erst einmal alles hinter sich zu lassen?<br />

Die Freundin, die Karriere und<br />

dann auch noch seine Mutter, die seit<br />

ULTIMO 23

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