Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FACE-CLUB<br />
Der Gesichtswechsel-Thriller »Herminie« im Stadttheater<br />
Am Anfang sitzt ein Mann mit<br />
bandagiertem Kopf im Wohnzimmer,<br />
tut aber vor der Welt<br />
so,alsseiergarnichtda.Später<br />
treten <strong>auf</strong>: Terroristen, Geheimdienste,<br />
mehrere Leichen, mehrere<br />
Männer mit Gesichtsbandagen, kreischende<br />
Frauen, schreiend blöde<br />
Polizisten und je mehr das ganze<br />
nach mindestens sieben Thrillern<br />
<strong>auf</strong> einmal aussieht, desto klarer<br />
wird: Es ist ein haltloser, über alle<br />
Roberta Valentini, Rebecca<br />
Stahlhut, Alexander Franzen,<br />
Karin Seyfried<br />
Stränge und Verbände schlagender<br />
Spaß.<br />
Geschrieben hat ihn Claude Magnier,<br />
der wohl am bekanntesten dadurch<br />
wurde, dass Louis de Funes<br />
mit einem seiner Stücke vom Klamotteur<br />
zum Großkomiker <strong>auf</strong>stieg.<br />
In Bielefeld inszeniert Intendant<br />
Michael Heicks das Durcheinander<br />
mit so großer Lust am „Tür <strong>auf</strong> Tür<br />
zu“ der klassischen Boulevard-Maschinerie,<br />
dass die Schauspieler<br />
Ensemble beim gemeinsamen wundern<br />
THEATER<br />
Steven Sondheim gilt als der Intellektuelle<br />
unter den Musical-Komponisten.<br />
Einerseits,<br />
weil er als Texter anfing, für<br />
Leonard Bernsteins „West Side Story“,<br />
andererseits, weil er in seinem<br />
ersten großen eigenen Werk komplett<br />
<strong>auf</strong> eine Handlung, sowie <strong>auf</strong><br />
hitverdächtige Gassenhauer verzichtete.<br />
Stattdessen verlegte er kompliziert<br />
verschachtelten Gesang und<br />
Tanz in den Kopf der Hauptperson.<br />
Die ist männlich, Single und wird<br />
gerade 35, was 1970 scheinbar einem<br />
Todesurteil nahe kam. Robert<br />
bereitet sich <strong>auf</strong> die unausweichliche<br />
Überraschungsparty seiner allesamt<br />
verheirateten Freunde vor. Er<br />
hat zwar gleich drei Liebschaften l<strong>auf</strong>en,<br />
aber noch immer keinen Plan<br />
fürs Leben. Also kriegt er die Kerzen<br />
<strong>auf</strong> dem Geburtstagskuchen nicht<br />
traditionell aus gepustet, sondern<br />
stromert episodisch durch das Leben<br />
seiner Freunde und erkennt, dass<br />
glückliche Paare ihre<br />
Hintergedanken und Backstorys<br />
haben.<br />
manchmal Mühe haben, an den richtigenStellenzustolpern,odersich<br />
die Nase passend zur Pointe<br />
irgendwo zu stoßen.<br />
Das macht aber nichts, weil die Logik<br />
schon früh den Saal verlässt.<br />
Etwa wenn Abenteuerromanautor<br />
Alfred sich, erfolgreich aber hässlich,<br />
nach einer Schönheits-OP vollmaskiert<br />
zu Haus versteckt und Abwesenheit<br />
vortäuscht, weil er erst<br />
mal sein Gesicht ausheilen lassen<br />
will. Als aber nun sein Verleger<br />
kommt, um die angeblich sturmfreie<br />
Ehefrau zu beflirten, muss er in seinen<br />
eigenen Schrank. Als dann eine<br />
tratschtantige Freundin kommt,<br />
muss der Verleger in einen zweiten<br />
Schrank. Und als ein glutäugiger<br />
Schuft <strong>auf</strong> der Flucht vor der Polizei<br />
durchs Fenster steigt, quartiert die<br />
längst hyperventilierende Hausfrau<br />
Herminie ihn herzensgut hinter der<br />
letzten freien Tür ein. Natürlich tritt<br />
die Polizei im Funes-Fummel <strong>auf</strong><br />
und richtet nichts aus, natürlich meldet<br />
das Radio dann einen flüchtigen<br />
Mörder, und natürlich ist das erst die<br />
erste Umdrehung eines zunehmend<br />
rasenderen Wer-ist-wer-und-wennja-in-welchem-Schrank?<br />
Ja,esgibtetwasargbierzeltige<br />
Stotterer-Witze und Obrigkeits- und<br />
Ehe-Klischees, aber es gibt auch ein<br />
paar Anflüge von starker Frau, die<br />
im Bandagen-Wechselspiel der Män-<br />
EIN BISSCHEN HOCHZEIT<br />
Das Musical »Company« im Stadttheater<br />
Mal finden zwei nur zueinander,<br />
wenn sie sich beim Karate-Training<br />
an die Gurgeln gehen, mal müssen<br />
sich zwei erst<br />
scheiden lassen,<br />
um sich<br />
ohne Zwang<br />
mögen zu können,<br />
mal outet<br />
sich ein guter<br />
Freund, dass<br />
er womöglich<br />
lieber Roberts<br />
Liebhaber geworden<br />
wäre,<br />
mal verbünden<br />
sich seine<br />
drei Gspusis in<br />
einer herrlichen<br />
Nummer, die Bobby zum Hobby erklärt,<br />
das sie nun <strong>auf</strong>geben wollen.<br />
In stets wechselnden Paarungen<br />
und mit überlappenden Melodien erforschen<br />
die Szenen Chancen und Risiken<br />
der verschiedenen Formen von<br />
Company, Partnerschaft, Lebensabschnittsbegleitung.<br />
Und auch wenn<br />
der Robert um treibende Heirats-Jie-<br />
ner klug <strong>auf</strong> ihren Vorteil sieht. Und<br />
es gibt ein mit voller Wucht <strong>auf</strong>tretendes<br />
Ensemble, dem das Vergnügen,<br />
einfach nur mal spielen zu dürfen,<br />
aus allen Poren quillt. Maria H.<br />
Omar El-Saeidi, Carmen Priego<br />
per, und also die sanfte Kritik daran<br />
genauso (in der schönsten Nummer:<br />
“merry a little”), heute etwas outda-<br />
Jessica Krüger, Frank Wöhrmann, Alexander Franzen<br />
ted wirkt, funktioniert die Dekonstruktion<br />
von Freundschaft und die<br />
Behauptung einer zentralen Leerstelle,<br />
der wahren Kumpanei, nach wie<br />
vor. Wenn Robert am Ende, nach<br />
mehreren Anläufen endlich seine<br />
Kerzen ausblasen kann, wissen wir,<br />
was er sich wünscht. Nur nicht mit<br />
wem. Maria H.<br />
ULTIMO 9