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Hugo Strasser Bandleader im Gespräch mit Klaus Joachim ... - 1

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Sendung vom 21.09.2001<br />

<strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong><br />

<strong>Bandleader</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Klaus</strong> Joach<strong>im</strong> Jenssen<br />

Jenssen: Grüß Gott, verehrte Damen und Herren, heute ist bei uns in Alpha-Forum<br />

<strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> zu Gast. Er ist <strong>Bandleader</strong>, Arrangeur und schlechthin<br />

Musiker: einer der prominentesten <strong>Bandleader</strong>, die es in Europa gibt, und in<br />

aller Welt zu Hause. <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> ist schon sehr, sehr lange "<strong>im</strong> Dienst",<br />

er ist sogar, wie ich glaube, der "dienstälteste" <strong>Bandleader</strong> weit und breit –<br />

vielleicht <strong>mit</strong> Ausnahme von Max Greger, den Sie ja auch sehr gut kennen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, wir sind ja jetzt seit zwei Jahren gemeinsam <strong>mit</strong> Paul Kuhn sehr viel<br />

unterwegs bei einer Serie von Veranstaltungen, die unter dem Motto laufen:<br />

"Die swingenden Legenden". Ich habe nun meine eigene Band schon seit<br />

46 Jahren: Das ist <strong>im</strong> Augenblick etwas Einmaliges, denn es gibt keinen<br />

<strong>Bandleader</strong>, der uns bekannt ist – das stammt aus den Recherchen, die der<br />

Max gemacht hat –, der schon 46 Jahre lang eine eigene Band hat. Und<br />

das noch dazu in der "freien Wildbahn"!<br />

Jenssen: Das war auch nie unterbrochen?<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, diese Band ist eben auch heute noch lebendig. Das ist natürlich schon<br />

toll. Aus diesem Grund bin ich für mein Schicksal selbstverständlich sehr<br />

dankbar.<br />

Jenssen: Fangen wir <strong>mit</strong> dem Anfang an, wie sich das gehört. Sie sind am 7. April<br />

1922 geboren. Ihre Kindheit und Jugend haben Sie hier in München<br />

zugebracht. Was war Ihr Vater von Beruf?<br />

<strong>Strasser</strong>: Mein Vater war Schulhaus-Offiziant, also ein Schulhausmeister. Aber<br />

dieses Wort vom "Hausmeister" hat er nicht so gerne gehört, denn sein<br />

offizieller Titel lautete tatsächlich "Offiziant". Und aus dem Grund war er<br />

auch sehr darauf aus, dass man das so genannt hat. Trotzdem war aber<br />

mein Vater derjenige, der eigentlich daran schuld gewesen ist, dass ich<br />

Musiker geworden bin, denn er selbst war sehr musikalisch. Er hat aber<br />

seine Musikalität nie ausüben und ausleben können, weil er als Bauernbub<br />

aufgewachsen war. Die damalige Zeit stand eben nicht dafür, dass er von<br />

seinem Vater ein Instrument hätte bekommen können, um das dann<br />

erlernen zu können.<br />

Jenssen: Ihr Vater hat jedenfalls sechs Kinder in die Welt gesetzt.<br />

<strong>Strasser</strong>: Diesen Wunsch hat er auf alle seine Kinder übertragen. Wir waren zu<br />

Hause drei Buben und drei Mädel. Alle meine Geschwister haben ebenfalls<br />

ein Instrument lernen dürfen – oder auch müssen, je nach Standpunkt des<br />

Einzelnen.<br />

Jenssen: Welche Instrumente waren das?<br />

<strong>Strasser</strong>: Das war das Klavier, die Violine, die Mandoline, das Akkordeon: Das waren<br />

eben die Instrumente, die damals möglich waren. Ich selbst habe z. B. <strong>mit</strong><br />

der Mundharmonika angefangen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass<br />

ich in meinem siebten Lebensjahr das Vergnügen hatte, hier <strong>im</strong>


Bayerischen Rundfunk in der "Kinderstunde" ein Mundharmonika-Solo<br />

spielen zu dürfen. Das war mein erster Auftritt be<strong>im</strong> Funk!<br />

Jenssen: Sie sind also hier sozusagen zu Ihren Wurzeln zurückgekehrt.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja.<br />

Jenssen: Diese fünf Geschwister und Sie haben dann aber keine eigene Band<br />

gegründet, denn damals wäre so etwas noch nicht möglich gewesen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, ich war der einzige Berufsmusiker unter uns, ich war der einzige, der<br />

sich das als Lebensziel ausgesucht hat. Das heißt, ich hatte mir das selbst<br />

gar nicht ausgesucht, denn hier war ebenfalls der Wunsch meines Vaters<br />

ausschlagend gewesen: Er wollte unbedingt, dass ich Musiker werde. Aus<br />

dem Grund habe ich einen Vorbereitungslehrgang <strong>mit</strong>machen müssen,<br />

eine Schulung sozusagen, um an der Akademie der Tonkunst in München<br />

eine Aufnahmeprüfung bestehen zu können. Das hat dann auch alles<br />

wunderbar geklappt. Bei meinem ersten Vorstellungsgespräch be<strong>im</strong><br />

damaligen Präsidenten Trunk war auch Professor Arnold anwesend.<br />

Professor Arnold war damals der Solo-Klarinettist der Bayerischen<br />

Staatsoper. Wegen der Anwesenheit dieses Mannes bei diesem <strong>Gespräch</strong><br />

bin ich überhaupt erst Klarinettist geworden.<br />

Jenssen: Sie haben da<strong>mit</strong> die nächste Frage schon vorweggenommen: Sie sind<br />

wirklich durch reinen Zufall Klarinettist geworden?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das war reiner Zufall. Wenn da ein anderer Professor <strong>mit</strong> einem anderen<br />

Instrument da gewesen wäre, dann wäre ich u. U. etwas ganz anderes<br />

geworden. Denn es war natürlich ganz nahe liegend, dass der zufällig<br />

jeweils anwesende Lehrer sich diesen neuen Schüler aus eigenem<br />

Interesse genau angesehen hat: Da kamen eben <strong>im</strong>mer neue, völlig<br />

unbedarfte Schüler. Ich hatte damals zwar schon Geige gelernt gehabt,<br />

aber dieses Instrument ist an sich nicht in Frage gekommen. Wenn das ein<br />

anderer Lehrer gewesen wäre, dann hätte sich der in mir eben auch einen<br />

Schüler auf seinem Instrument herangezogen. Ich kann mich noch gut<br />

daran erinnern, dass der Professor Arnold, um den Präsidenten Trunk zu<br />

überzeugen, gesagt hat: "Schauen Sie sich doch mal diese Partie hier an!<br />

Diese Anatomie von diesem <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong>, die ist genau für die Klarinette<br />

geeignet!" Ob Sie es glauben oder nicht, aber das war tatsächlich so. Denn<br />

hinterher, nach den ersten Stunden, hat mir der Arnold bestätigt, dass es<br />

bei mir nicht <strong>mit</strong> dieser üblichen Kickserei losgegangen ist. Denn dieses<br />

Instrument – das werden Sie sicherlich selbst wissen, denn ich weiß ja, Herr<br />

Jenssen, dass Sie dieses Instrument selbst auch spielen – ist nicht ganz<br />

einfach zu spielen: Wenn man ohne Schulung in so ein Instrument<br />

hineinbläst, ist es nicht so leicht, da einen schönen, klaren Ton<br />

hervorzubringen. Bei mir war das aber der Fall gewesen, denn das hat<br />

bestens funktioniert. Es scheint also schon ein bisschen <strong>mit</strong> dieser<br />

Anatomie zu tun zu haben.<br />

Jenssen: Das ist eine Super-Startchance, die man da<strong>mit</strong> hat, denn gerade der Ansatz<br />

muss eben <strong>im</strong> Normalfall sonst sehr lange geprobt werden.<br />

<strong>Strasser</strong>: Auch die Tonqualität hängt <strong>mit</strong> der Anatomie zusammen. Nehmen Sie z. B.<br />

so einen Musiker wie Harry James: Dieser Trompeter hat einen<br />

unverkennbaren Ton. Auch be<strong>im</strong> Max Greger ist das so <strong>mit</strong> seinem<br />

Saxophon: Das ist ebenfalls ein unverkennbarer Ton. Erfreulicherweise ist<br />

das eben auch be<strong>im</strong> <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> so. Die Leute sagen <strong>im</strong>mer: "Wenn der<br />

bläst, muss ich erst gar nicht darauf warten, bis er angesagt wird. Denn das<br />

kann nur er sein!" Das sind so diese Kriterien, die man eigentlich geschenkt<br />

bekommt, weil sie <strong>mit</strong> der Anatomie zusammenhängen.<br />

Jenssen: Dann kommen wir doch gleich mal zur Sache: Hier liegt ein ganz<br />

hervorragendes Keilwerth-Instrument. Es ist wunderschön <strong>mit</strong> diesen<br />

vergoldeten Klappen.


<strong>Strasser</strong>: Diese Klappen hat mir der Adi Keilwerth deshalb vergoldet – nicht da<strong>mit</strong> ich<br />

da<strong>mit</strong> angeben könnte, denn das ist ja eh nur Trompetengold –, weil das<br />

den Vorzug hat, dass man auf ihnen wunderschön gleiten kann. Die Finger<br />

gleiten auf dem Gold noch weicher als auf Silber.<br />

Jenssen: Ja, es ist wirklich haarsträubend, wenn man auf einem billigen Instrument<br />

spielen muss und dauernd hängen bleibt.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das ist schrecklich. Vor allem dann, wenn man versucht, technisch ein<br />

wenig versiert zu spielen. Soll ich hier denn mal ein paar Takte spielen?<br />

Jenssen: Ja, Sie sind herzlich gebeten.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich bin hier natürlich ein ganz einsamer "Schlangenbeschwörer" ohne jede<br />

Begleitung, aber ich werde es trotzdem versuchen. (<strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> spielt<br />

ein paar Takte aus "Moonglow")<br />

Jenssen: Danke schön, das war <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> exklusiv für Alpha-Forum <strong>mit</strong><br />

"Moonglow". Sie haben dann auf dieser Hochschule jedenfalls einige Jahre<br />

studiert.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, acht Semester lang.<br />

Jenssen: Sie haben da<strong>mit</strong> als 16-Jähriger angefangen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, und mein Hauptfach war Klarinette und es kamen dann noch die<br />

Pflichtfächer wie Klavier, Harmonielehre usw. hinzu. Die Ausbildung war<br />

wunderbar und hat mir auch riesigen Spaß gemacht. Aber es hat dabei<br />

zwei Haken gegeben. Es war erstens von der Akademie der Tonkunst aus<br />

verboten, als Schüler in irgendwelchen Caféhäusern zu spielen. Man durfte<br />

zweitens auch nicht diese Musik machen, die wir heute alle so lieben: Wir<br />

durften keinen Jazz und Swing spielen. Das war total verboten.<br />

Jenssen: Das war natürlich ein Handicap.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das hatte natürlich <strong>mit</strong> der Zeit des Nationalsozialismus zu tun.<br />

Jenssen: Sie sind ja überhaupt in dieser sehr prekären Zeit von 1938 bis 1942 an<br />

dieser Akademie gewesen. Trotzdem haben Sie aber schon illegale Stücke<br />

gekannt – so habe ich es jedenfalls gelesen –, die aus Amerika kamen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, sicher. Es hat damals eben diese herrlichen "Verstecke" gegeben, die<br />

man vom Text her vorgenommen hat. Ein Beispiel: "Whispering" war ein<br />

toller amerikanischer Schlager, der bei uns ganz einfach "Lass mich dein<br />

Badewasser schlürfen" geheißen hat. So hat es viele amerikanische Songs<br />

gegeben, die <strong>mit</strong> deutschen Texten versehen worden sind, da<strong>mit</strong> sie auf<br />

diese Art und Weise getarnt waren. Aus diesem Grund haben wir damals<br />

bereits diese Musik spielen können und uns daran begeistern. Unsere<br />

spätere Entwicklung war ganz sicher schon zu diesem Zeitpunkt durch<br />

diese Art von Musik angelegt.<br />

Jenssen: Von 1942 an waren Sie dann aber von diesen Zwängen befreit, denn Sie<br />

konnten anfangen, <strong>mit</strong> dieser Musik auch Geld zu verdienen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Nun, da war ich be<strong>im</strong> Barras.<br />

Jenssen: Haben Sie dort Musik gemacht?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich habe zunächst einmal meine Ausbildung bei der Flak in Stettin machen<br />

müssen. Dorthin habe ich natürlich auch meine Klarinette <strong>mit</strong>genommen.<br />

Ich habe mich dort recht schnell bemerkbar machen können <strong>mit</strong> ihr:<br />

Zusammen <strong>mit</strong> anderen Münchner Musikern, die ebenfalls in diese Einheit<br />

eingezogen worden waren, haben wir zu fünft eine kleine Band gegründet.<br />

Wir sind dort dann als Hilfsausbilder übernommen worden: Das geschah<br />

aber nur, da<strong>mit</strong> uns die dortigen Offiziere in ihren Kasinos als Musiker halten<br />

konnten. Das ging dann gut bis zum Schluss.<br />

Jenssen: Viele haben auf diese Weise den Krieg überstanden, weil sie dadurch nicht


so ganz weit vorne eingesetzt worden sind.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das ist bei mir so der Fall gewesen. Ich hatte das Riesenglück, dass mir<br />

nichts passiert ist.<br />

Jenssen: Die Stücke, die Sie schon unter der Hand mal gehört hatten, kamen dann<br />

nach 1945 wie eine Lawine auf Sie zu.<br />

<strong>Strasser</strong>: Herr Jenssen, das war ja das Tolle nach dem Krieg. Ich hatte gleich nach<br />

dem Krieg wiederum das Glück, nicht in Gefangenschaft zu geraten. Das<br />

wäre aber eine eigene Story, die hier in dem Zusammenhang freilich gar<br />

nicht so interessant wäre. Ich kam jedenfalls sofort nach dem Krieg nach<br />

München zurück: Dort habe ich sehr schnell angefangen, in den<br />

amerikanischen Clubs für die GIs zu spielen. Ich weiß noch genau, wie das<br />

damals war: Diese amerikanischen Soldaten waren alle musikbegeistert.<br />

Sie haben dort ihr Bier getrunken und waren ganz locker, denn der Krieg<br />

war ja für sie genauso wie für uns vorbei. Sie waren völlig perplex, dass sie<br />

da junge deutsche Musiker vorgefunden haben, die ihre Musik spielen<br />

konnten. Und wir haben sie gespielt! Mit Begeisterung und auch schon<br />

damals <strong>mit</strong> einem gewissen Können. Ein paar Jahre später, als ich dann<br />

schon <strong>mit</strong> Max Greger zusammengekommen war, haben wir ebenfalls viel<br />

für die Amerikaner gespielt. In dieser Zeit durften wir dann <strong>mit</strong><br />

amerikanischen Musikern zusammenspielen, die von "drüben" hierher<br />

gekommen waren. Denn bei den Amerikanern hat es ja auch das gegeben,<br />

was man bei uns "Wehrbetreuung" genannt hatte. Auf diese Weise sind<br />

amerikanische Künstler über den großen Teich gekommen und haben für<br />

die GIs Konzerte gegeben. Wir haben damals in der Flak-Kaserne in<br />

Fre<strong>im</strong>ann gespielt: Das war der "Kellerclub". Dieser Club war unter den<br />

Soldaten eine besondere Adresse, denn sie wussten, dass dort gute Musik<br />

gemacht wird. Dorthin sind dann eben auch all diese Künstler aus Amerika<br />

gekommen: Lionel Hampton, Ella Fitzgerald, Tommy Young usw. Alle diese<br />

Musiker kamen zu uns in den Kellerclub und haben <strong>mit</strong> uns gejamt. Wir<br />

standen also <strong>mit</strong> diesen für uns unwahrscheinlich berühmten Leuten<br />

zusammen auf der Bühne: Dort konnten wir uns so richtig austoben und<br />

uns auch ein wenig <strong>mit</strong> ihnen messen. Erfreulicherweise war der<br />

Unterschied nicht so gravierend, denn wir waren schon auch gut. Das<br />

haben auch die Soldaten so empfunden.<br />

Jenssen: Eine bessere Jazz-Schulung kann es ja gar nicht geben, als <strong>mit</strong> Top-Leuten<br />

zusammen auf der Bühne zu stehen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, man muss dabei aber auch noch an die Situation als solche denken. Wir<br />

selbst waren doch befreit von allem Übel, von jedem Druck. Der Krieg war<br />

vorbei und wir konnten nun plötzlich unseren Beruf auf eine Art und Weise<br />

ausüben, die vorher überhaupt nicht machbar gewesen wäre. Das war ja<br />

verboten gewesen. Es hatte schon auch Tanzmusik gegeben, aber der<br />

Jazz war verboten. Ich habe bis heute ein Schild zu Hause, das bei mir <strong>im</strong><br />

Büro hängt: "Swing tanzen verboten. Die Reichsmusikkammer." Das habe<br />

ich mir als Beweis aufgehoben, da<strong>mit</strong> ich mich <strong>im</strong>mer wieder daran erinnern<br />

kann, was das damals für Idioten gewesen sind, <strong>mit</strong> denen wir uns hatten<br />

abgeben müssen.<br />

Jenssen: Einen Mann wollte ich aus dieser Vergangenheit noch erwähnen: Hans<br />

Rosenfelder. Er war wohl ein wichtiger Lehrmeister für Sie gewesen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, dass Sie das wissen, wundert mich, das ist ja toll. Hans Rosenfelder hat<br />

damals hier in München in einer best<strong>im</strong>mten Bar gespielt. Dort lernte ich ihn<br />

kennen und er fand Gefallen an mir: Aus diesem Grund hat er mir dann<br />

Unterricht gegeben, Unterricht auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Übersetzung des<br />

Notenbildes, da<strong>mit</strong> man die Noten auch so spielt, wie sie gemeint sind.<br />

Denn ein Achtel und ein Viertel aufeinander folgend stellen <strong>im</strong> Jazz und <strong>im</strong><br />

Swing eine andere Kategorie dar als in der Klassik, weil dort <strong>im</strong> Gegensatz<br />

dazu das Achtel breit und das Viertel kurz ist. Aber das ist natürlich nur ein


Beispiel für die vielen Dinge, die da eine Rolle spielen. Hans Rosenfelder<br />

hat mir jedenfalls <strong>mit</strong> sehr viel Engagement all das beigebracht, wofür ich<br />

ihm heute noch dankbar bin. Leider Gottes weilt er ja schon längst nicht<br />

mehr unter uns. Er war ein ganz hervorragender Tenorsaxophonist und ich<br />

erinnere mich vor allem an eine Nummer von ihm: "Stardust". Diese<br />

Nummer ist meine Leib- und Lebensmelodie geworden, die ich heute noch<br />

spiele. "Stardust" ist bis heute meine absolute Lieblingsmelodie geblieben.<br />

Jenssen: Hans Rosenfelder hat Ihnen auch das Ensemblespiel, das<br />

Zusammenspielen <strong>mit</strong> mehreren anderen Musikern beigebracht. Das ist ja<br />

etwas sehr, sehr wichtiges, denn wenn bei einer Bigband die Akzente nicht<br />

st<strong>im</strong>men, kann man das völlig vergessen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Das ist überhaupt das Entscheidende. Die Entwicklung des Gefühls für den<br />

Swing und die entsprechende Stilistik: Das ist das Entscheidende gewesen<br />

und das hat mir der Rosenfelder ganz selbstlos beigebracht. Er hat nichts<br />

verlangt, denn er hatte einfach nur seine Begeisterung daran, ein Wissen,<br />

das er bereits hatte, uns jungen Burschen beizubringen.<br />

Jenssen: Apropos Saxophon: Bisher haben Sie ja selten Saxophon gespielt.<br />

<strong>Strasser</strong>: In den fünf Jahren bei Greger war ich der erste Saxophonist in seiner Band.<br />

Da habe ich also selbstverständlich schon Saxophon gespielt. Als ich dann<br />

aber hinterher <strong>im</strong> Jahr 1955 meine eigene Band gegründet habe, als ich<br />

zum ersten Mal <strong>im</strong> Deutschen Theater in München <strong>mit</strong> einem eigenen<br />

Orchester gespielt habe, habe ich natürlich nur <strong>mit</strong> meiner Klarinette<br />

gespielt. Wir spielten gleich eine ganze Faschingssaison lang: Das waren<br />

damals 50 oder 51 Bälle und das hat, wenn man so will, einen Superstart<br />

bedeutet für uns. Ich habe ausschließlich <strong>mit</strong> meiner Klarinette gespielt, weil<br />

ich ja fünf Saxophone hatte, neben drei Trompeten, drei Posaunen und vier<br />

Leuten an den Rhythmusinstrumenten. Ich <strong>mit</strong> der Klarinette war der Solist<br />

vorne dran. Im Laufe der Zeit haben wir dann <strong>mit</strong> den Arrangeuren wie<br />

Werner Tauber, Dirk Schweppe, Hans Ehrlinger usw. meine Klarinette so<br />

eingesetzt, dass es diesen speziellen Klang ergeben hat. Das müssen Sie<br />

sich so vorstellen: Eine ganze Band spielt meinetwegen eine Tutti-Melodie<br />

<strong>mit</strong> all diesen fünfst<strong>im</strong>migen Sätzen und <strong>mit</strong> meiner Klarinette habe ich dann<br />

<strong>im</strong>mer die Melodie der Trompete eine Oktave tiefer verdoppelt. Technisch<br />

ist das natürlich leicht zu machen, sodass man sich rein von der<br />

Machbarkeit her <strong>mit</strong> der Klarinette vor den ganzen Tonblock setzen kann:<br />

Die Klarinette spielt dann gegenüber der ersten Trompete dominierend die<br />

Melodie. Diese eine Oktave tiefer hat dann diesen Sound ausgemacht,<br />

sodass die Leute gesagt haben, dass das eben anders klingt als bei<br />

anderen Bands. So entstand damals dieser <strong>Hugo</strong>-<strong>Strasser</strong>-Sound. Aber es<br />

ist auch wieder ein Glücksfall, dass ich die Klarinette auf eine Weise<br />

einsetzen konnte, dass man erkennbar wird, dass man sich vom Sound her<br />

absetzen kann gegenüber anderen, dass man ein Klangbild fabrizieren<br />

kann, das es anderswo nicht gibt.<br />

Jenssen: Man hat Sie oft, und ich selbst neige auch dazu, es so zu sagen, <strong>mit</strong> Benny<br />

Goodman verglichen. Diesen Mann haben wir noch gar nicht erwähnt,<br />

obwohl er zu Ihren ganz großen Vorbildern gehört.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, er war mein ganz großes Vorbild.<br />

Jenssen: Der Witz besteht ja darin, dass er 1938 dieses weltberühmte Konzert in der<br />

Carnegie Hall gemacht hat. Damals haben Sie hier in Deutschland davon<br />

wahrscheinlich gar nichts <strong>mit</strong>bekommen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Wir hatten keine Ahnung davon.<br />

Jenssen: In diesem Konzert damals wurden best<strong>im</strong>mte Besetzungen kreiert, die Sie<br />

heute noch spielen – aber leider nicht <strong>mit</strong> Vibraphon.<br />

<strong>Strasser</strong>: Er hat bei diesem Konzert ja auch dieses Concertino von Carl Maria von


Weber gespielt: Dieses Stück habe ich auf der Akademie allerdings auch<br />

lernen müssen, weil das eben eines der Stücke war, das man damals<br />

studieren musste. Für mich war natürlich Benny Goodmann der König des<br />

Swing und der Improvisationen. So einen Mann kann man sich <strong>im</strong>mer als<br />

Vorbild nehmen und ihm nacheifern: Man erreicht ihn zwar nicht, in meinem<br />

Fall jedenfalls, aber es ist schon so, dass er mich sehr beeinflusst hat. Nun<br />

komme ich noch einmal auf etwas zurück, was ich vorhin schon<br />

angesprochen habe: Das ist der Ton, der Ton, den man erzeugen kann und<br />

der wiederum von der Anatomie abhängig ist. Dieser Ton bringt letztlich die<br />

Entscheidung, ob man sich von allen anderen, die in einer ähnlichen Form<br />

spielen, absetzen kann - ohne dass man etwas dafür könnte.<br />

Jenssen: Im Jazz merkt man ja ganz eindeutig, wer spielt, wenn man sich ein wenig<br />

eingehört hat. Best<strong>im</strong>mte Musiker erkennt man <strong>im</strong>mer ganz genau. Denn<br />

das ist ja wie eine Sprache, wie eine St<strong>im</strong>me. In der klassischen Musik wäre<br />

das hingegen ganz unüblich.<br />

<strong>Strasser</strong>: Da ist es nicht nur unüblich, da wäre das <strong>im</strong> Gegenteil gar nicht erwünscht.<br />

Das sind eben zwei ganz verschiedene Dinge. In unserem Land war es ja<br />

ganz typisch, dass man da auf der einen Seite ganz hoch oben die Klassik<br />

hatte und dass das, was wir gemacht haben, dasjenige war, das ganz<br />

unten stand. Da sind also Qualitätsunterschiede gemacht worden, die <strong>im</strong><br />

Grunde genommen fast unverschämt sind. So eine Unterscheidung gibt es<br />

in der ganzen Welt nicht: Das gibt es nur bei uns.<br />

Jenssen: Das gab es nur bei uns und das hat auch noch lange Zeit so angehalten,<br />

denn auch in meiner Jugendzeit ist es ja noch so gewesen. Um Gottes<br />

willen, wer klassische Musik macht, darf doch so eine Musik nicht spielen.<br />

Das ist natürlich alles völliger Unsinn.<br />

<strong>Strasser</strong>: Da wäre man ja beinahe schon ein Aussätziger gewesen, wenn man das<br />

gemacht hätte.<br />

Jenssen: Der Jazzer Wynton Marsalis macht heute hingegen den Leuten vor, wie<br />

man eigentlich Trompete spielen könnte, wenn man es besser lernen<br />

würde: Er ist besser als die meisten klassischen Trompeter, die es auf der<br />

Welt gibt. Da zeigt sich wirklich, was Jazzmusiker zustande bringen können.<br />

<strong>Strasser</strong>: Wenn man heute als Musiker <strong>im</strong>provisieren kann und in der Lage ist, in<br />

einer Band zu spielen und als Solist aufzutreten, dann müssen einem<br />

wirklich ganz andere Register zur Verfügung stehen als dann, wenn man<br />

ein Tutti-Musiker ist, der... Aber ich will hier um Gottes willen nichts gegen<br />

andere Musikrichtungen sagen. Denn ich möchte ja vermeiden, das zu tun,<br />

was ich den anderen vorwerfe. Denn jede Musik hat ihre Berechtigung und<br />

ihre eigene Zielsetzung. Das, was wir machen, diese Improvisationen, sind<br />

jedenfalls auch ein Geschenk: Das kann man nicht erlernen, denn auch das<br />

ist eine Begabung und insofern <strong>mit</strong> dieser Möglichkeit zu einem<br />

spezifischen Ton vergleichbar, von dem ich vorhin gesprochen habe. Diese<br />

Improvisationen sind in unserer Form der Musik jedenfalls Erlebnisse, die<br />

für einen persönlich etwas Wunderbares darstellen: Ich stehe da auf, spiele<br />

einen Chorus über eine Melodie und über Harmonien, die mir bekannt sind,<br />

und trenne mich dabei völlig von der Hauptmelodie, weil ich jetzt einen<br />

eigenen Einfall spielen kann. Ob dieser Einfall gut oder schlecht ist,<br />

entscheidet das Publikum. Aber alleine die Möglichkeit zu haben, sich auf<br />

diese Weise zu trennen und solistisch spielen zu können, ist jedenfalls ein<br />

Erfolgserlebnis für sich selbst.<br />

Jenssen: Eine gewisse Rolle spielte dann für Sie sicherlich auch Freddie Brocksieper,<br />

der damals in Schwabing eine regelrechte Institution war. Ich glaube aber,<br />

er war als Schlagzeuger auch über München hinaus eine Institution.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, er war ein hervorragender Schlagzeuger und ich habe <strong>mit</strong> ihm viel<br />

gespielt: Rolf Schneebiegel, Michael Farkas, der ungarische Bassist,


Werner Scharfenberger am Klavier, der ein Superpianist war, ich <strong>mit</strong> der<br />

Klarinette und Fritz Brocksieper, denn wir haben ihn <strong>im</strong>mer Fritz genannt.<br />

Wir waren also zu fünft und haben da so richtig <strong>im</strong> Stil von Benny Goodman<br />

gespielt. Das war eine tolle Zeit, die sehr viel Spaß gemacht hat. Freddie<br />

Brocksieper hat auch <strong>im</strong>mer sehr gute Geschäfte an Land gezogen: Das<br />

war ja auch ein nicht unwesentliches Faktum, dem man sich da unterworfen<br />

hat.<br />

Jenssen: Ja, man musste ja auch leben davon.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich kann mich aus der Zeit sogar noch an einen Film erinnern. Das war der<br />

Film "Hallo Fräulein" <strong>mit</strong> Margot Hielscher, der erste Nachkriegsfilm. Ich war<br />

<strong>mit</strong> dabei, zusammen <strong>mit</strong> Fritz Brocksieper. Greger war da übrigens auch<br />

<strong>mit</strong> dabei, weil außer dieser kleinen Besetzung in dem Film noch eine<br />

Bigband vorgekommen ist. In der Zeit habe ich jedenfalls auch schon den<br />

Greger Max kennen gelernt. Nach dem Brocksieper bin ich dann ja auch zu<br />

Max Greger in die Band gegangen.<br />

Jenssen: In dem Zusammenhang habe ich etwas gelesen, was mich etwas stutzig<br />

gemacht hat: Es sah so aus, als hätte Max Greger dem Freddie<br />

Brocksieper sozusagen die ganzen Musiker abgeluchst.<br />

<strong>Strasser</strong>: Das kann man nicht als etwas Negatives sehen, denn dazu muss man<br />

schon auch die damalige Zeit <strong>mit</strong> berücksichtigen. Es gab nämlich nur eine<br />

Hand voll guter Musiker. Wenn da so einer wie der Greger den Wunsch<br />

hatte, eine eigene Band zu gründen, weil er auch schon die Möglichkeit<br />

hatte, fest in einem Club Fuß zu fassen, hat er sich natürlich die besten<br />

vorhandenen Musiker zusammengesucht. Das war ein ganz normaler<br />

Vorgang. Damals war ja z. B. auch noch der Ernst Jäger <strong>mit</strong> seiner Band<br />

auf der Bühne gestanden. Es hat also schon gute Musiker gegeben, aber<br />

sie waren eben nicht so zahlreich gesät, dass man da<strong>mit</strong> gleich vier oder<br />

fünf Bands hätte füllen können.<br />

Jenssen: Hat denn der Brocksieper danach wieder gute Leute gefunden?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, er hat schon wieder andere gute Leute gefunden, selbstverständlich.<br />

Aber so, wie wir fünf <strong>mit</strong> ihm zusammengespielt haben, hat es das hinterher<br />

dann doch nicht mehr gegeben. Denn wir waren über eineinhalb Jahre<br />

regelrecht zusammengewachsen. Für den Fritz war das jedenfalls ein<br />

schwerer Schlag und er hat mir damals auch Leid getan deswegen, aber<br />

wir wollten halt auch eine eigene Band haben. Der Greger war damals ein<br />

junger Typ und ein dynamischer Kerl: Das hat man damals schon erkannt.<br />

Er hat uns ein gutes Geschäft angeboten und so haben wir gesagt, "Gut,<br />

gehen wir zu ihm". Ich war dann fünf Jahre be<strong>im</strong> Max und war dann aber<br />

hinterher auch derjenige, der dem Max die Musiker, die er damals hatte,<br />

weggenommen hat, als ich meine eigene Band aufgemacht und vom<br />

Deutschen Theater meinen Vertrag bekommen habe. Da sind die meisten<br />

Musiker eben <strong>mit</strong> mir <strong>mit</strong>gegangen: Der Max stand dann vor der gleichen<br />

Situation wie der Freddie ein paar Jahre vorher.<br />

Jenssen: Max Greger ist ja vier Jahre jünger als Sie. Er war 23 Jahre alt, als er eine<br />

eigene Band gegründet hat. Das war schon toll und Sie waren dann von<br />

1949 bis 1954 bei ihm. Zu der Zeit haben Sie aber auch schon<br />

Arrangements geschrieben, wie ich gelesen habe.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich selbst war kein besonders guter Arrangeur. Es kam damals ja auch<br />

schon der Film auf uns zu und so habe ich eben auch bereits für den Film<br />

best<strong>im</strong>mte Sachen gemacht. Ein Film hieß z. B. "Zwei Matrosen auf der<br />

Alm". Für solche Filme habe ich die Musik komponiert und die<br />

Arrangements gemacht. Aber ich war nie wirklich der geborene Arrangeur<br />

wie z. B. der Paul Kuhn oder der Rolf Schneebiegel oder Werner Tauber.<br />

Das waren nämlich wirklich sehr, sehr gute Arrangeure. Denn auch das hat<br />

ja etwas <strong>mit</strong> Begabung zu tun. Ich habe mich in diese Arbeit aber auch nicht


hineingesteigert, sondern war viel zu sehr <strong>mit</strong> mir selbst als Instrumentalist<br />

beschäftigt. Ich habe dann aber dafür auch <strong>mit</strong> dem Komponieren<br />

angefangen.<br />

Jenssen: Ja, eben, denn Sie haben ja einige sehr erfolgreiche Sachen geschrieben.<br />

<strong>Strasser</strong>: Damals war diese Schnulzenzeit, in der z. B. der Werner Scharfenberger<br />

die "Blaue Grotte" und solche Sachen geschrieben hat. Ich dachte mir:<br />

"Menschenskind, der Werner hat da einen Erfolg nach dem anderen." Ich<br />

kannte damals einen Redakteur von der Münchner "Abendzeitung" und <strong>mit</strong><br />

dem zusammen habe ich beschlossen, auch so etwas zu machen. Wir<br />

komponierten dann "Das Edelweiß vom Wendelstein". Das wurde ein<br />

Riesenschlager <strong>mit</strong> vielen Hunderttausend verkauften Schallplatten.<br />

Monatelang ist dieses Lied damals gelaufen: eigentlich viele Jahre lang.<br />

Viele Schallplattenfirmen haben das dann auch nachgemacht. Ich habe<br />

jedenfalls gut daran verdient und mir da<strong>mit</strong> mein Haus bauen können.<br />

Jenssen: Wobei man aber zu Ihrer Ehrenrettung sagen muss, dass das nicht<br />

unbedingt Ihrem eigentlichen Stil entsprochen hat.<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, wir haben ganz einfach diese Zeit genützt. Damals war das<br />

"Wunschkonzert" des Bayerischen Rundfunks ganz, ganz berühmt: Das<br />

war die Zeit, als der Fred Rauch noch seine herrlichen Ansagen gemacht<br />

hat. Mit einem Lied in so eine Sendung hineinzukommen, war schon etwas.<br />

Denn vom Kommerz her war das schon ziemlich erstrebenswert. So haben<br />

wir eben auch solche Musik gemacht.<br />

Jenssen: Seit dieser Zeit sind Sie mir auch bekannt, wie ich zugeben muss.<br />

<strong>Strasser</strong>: Sehen Sie.<br />

Jenssen: Damals war ich aber noch sehr jung.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich habe aber schon auch andere Sachen, z. B. für meine Band<br />

komponiert.<br />

Jenssen: Ja, da gibt es <strong>im</strong>merhin einen Weltschlager, den dann später Ray Anthony<br />

gespielt hat - illegalerweise. Das war das Lied "Lonely Trumpet".<br />

<strong>Strasser</strong>: Bei uns hieß es "Einsame Trompete". Der Trompeter Jos Zinner, der<br />

damals der Trompeter be<strong>im</strong> Rundfunk-Tanzorchester Herbert Beck<br />

gewesen ist, hat die Solotrompete dabei ganz hervorragend gespielt. Durch<br />

irgendeinen Verleger in Berlin ist dieses Lied eines Tages nach Amerika,<br />

zum Kastner nach New York gekommen. Der Ray Anthony hat das drüben<br />

bei dem gehört: Dieses "Lonely Trumpet", wie es dann geheißen hat, hat<br />

ihm gefallen und so hat er es aufgenommen. Drei Jahre lang ist dieser<br />

Song in Amerika gelaufen: Überall in den Jukeboxes, in denen Musik von<br />

Ray Anthony zu finden war, fand sich auch dieses Stück. Aber finanziell war<br />

das ein totaler Flop für mich: Ich habe dafür nie Geld gesehen. Es hat<br />

damals halt noch keine Verträge zwischen der Gema und der<br />

entsprechenden amerikanischen Organisation gegeben. Aber ich konnte<br />

<strong>im</strong>merhin den ideellen Erfolg für mich verbuchen, dass sich ein ganz<br />

berühmter amerikanischer Trompeter eine Komposition von mir zu Eigen<br />

gemacht hat.<br />

Jenssen: Sie haben das auch nachträglich dann nicht mehr angemeldet?<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, denn ich habe auf dem Sektor, von dem wir soeben schon<br />

gesprochen haben, noch viele andere Sachen komponiert und dabei<br />

wirklich gut verdient. Es kam dann auch mein Orchester <strong>im</strong>mer besser ins<br />

Geschäft: Es kamen der Rundfunk, das Fernsehen und der Film <strong>mit</strong> hinzu.<br />

Die Beschäftigungszweige waren schon so wie bei einem Fächer sehr weit<br />

auseinandergebreitet, dass ich mich um dieses "Lonely Trumpet" und um<br />

die Frage, ob ich da vielleicht noch Geld bekommen könnte, überhaupt<br />

nicht mehr geschert habe.


Jenssen: Da lohnten sich also auch die ganzen Prozesse dafür nicht.<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, mir war nach wie vor die Freude darüber, dass von mir ein Song in<br />

den Staaten so gut läuft, viel wichtiger.<br />

Jenssen: Diese eigene Band ist dann ja irre gut gelaufen. Ich habe in einem Artikel<br />

aus dem Jahr 1977 gelesen, dass Sie drei Millionen LPs verkauft haben.<br />

Wie viele sind es denn bis heute geworden?<br />

<strong>Strasser</strong>: Insgesamt sind es heute sechs Millionen. Denn das hat sich doch noch ein<br />

"bisschen" erweitert.<br />

Jenssen: Das ist enorm viel. Es ist auch überall zu lesen, Sie seien der <strong>Bandleader</strong><br />

der exaktesten Tanzband, die es weltweit überhaupt gibt.<br />

<strong>Strasser</strong>: Das ist vielleicht schon ein bisschen wahr. Das hatte <strong>mit</strong> Folgendem zu tun.<br />

Ich hatte nämlich das Glück, dass damals <strong>im</strong> Deutschen Theater<br />

Tanzturniere gehalten wurden. Schon als ich noch be<strong>im</strong> Max Greger<br />

gewesen bin, haben wir dabei aufgespielt. Das Problem war nur, dass wir<br />

eigentlich überhaupt keine Ahnung von den Kriterien der Turniertanzmusik<br />

hatten. Aus dem Grund haben wir da zu Anfang ganz abenteuerlich<br />

gespielt. Als ich dann <strong>mit</strong> meiner eigenen Band ein paar Jahre später bei<br />

diesen Anlässen gespielt habe, habe ich mich mal <strong>mit</strong> dem damaligen<br />

Präsidenten des Deutschen Tanzlehrerverbands, Paul Krebs, unterhalten. –<br />

Dessen Sohn hat heute noch in Nürnberg eine Tanzschule. – Ich habe mich<br />

damals <strong>mit</strong> ihm verbündet und ihn gebeten, mich zusammen <strong>mit</strong> meinen<br />

Arrangeuren ein bisschen einzuweihen in dieses Metier. Das hat er auch<br />

<strong>mit</strong> Freuden gemacht und aufgrund dieser Verbindung meiner Band <strong>mit</strong><br />

dem Tanzlehrerverband sind wir dann richtiggehend hineingewachsen in<br />

diese Materie. Im Laufe der Jahre haben wir dann wirklich die beste<br />

Tanzmusik gemacht für diese Leute. Es kam dann ja auch zu dieser<br />

"Tanzplatte des Jahres": Sie ist 34 Jahre lang jedes Jahr auf den Markt<br />

gekommen. Durch diese Tanzmusikproduktionen, durch diese Platte, bin<br />

ich auch international der Marktführer geworden in Sachen Tanzmusik. Ich<br />

war z. B. 1986 in den USA fünf Wochen lang an 42. Position in den Charts.<br />

Das war ziemlich toll. Es ist in der Zeit plötzlich mal eine Abrechnung aus<br />

den USA gekommen, bei der ich mir gedacht habe: "Mensch, das gibt es<br />

doch gar nicht!" Ich habe dann bei meiner Firma in Köln, bei der EMI<br />

angerufen, ob ich das denn überhaupt annehmen könne. Es wurde mir dort<br />

gesagt, dass ich in Amerika tatsächlich in den Charts bin. Ich flog daraufhin<br />

nach Los Angeles zu einem gewissen Mr. Martini, der für mich zuständig<br />

war. Dort haben wir dann keine Neuproduktion, aber eine<br />

Zusammenstellung von vier LPs für den amerikanischen Markt gemacht.<br />

Ich habe mich schon gefreut, dass ich da<strong>mit</strong> den Fuß <strong>im</strong> amerikanischen<br />

Markt drin hätte, aber das Ganze war leider doch ein Flop, denn da kam<br />

dann nichts mehr. Die Erklärung dafür war jedenfalls, dass auf der 86er<br />

"Tanzplatte des Jahres" das Stück "Goody Goody" drauf war. Das war ein<br />

sehr gutes Arrangement, das, wenn ich mich nicht irre, von Dirk Schweppe<br />

stammte. Ein amerikanischer Diskjockey hatte an dieser Nummer einen<br />

Narren gefressen und sie <strong>im</strong>mer wieder gespielt. Weil ihm das so gefallen<br />

hat, hat er diesen Titel täglich gespielt. So kam damals dieser Erfolg<br />

zustande. Aufgrund dieses Stücks und des Engagements dieses<br />

Diskjockey, der mich überhaupt nicht kannte, ist damals diese Platte - CDs<br />

hat es da ja noch nicht gegeben - in die Charts gekommen. Und das war<br />

toll.<br />

Jenssen: Da könnte man eben schon auch mal auf eine Goldgrube stoßen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, leider hat sich das nicht fortgesetzt, weil es nur bei diesem einen Erfolg<br />

geblieben. Aber <strong>im</strong>merhin sind auch das Dinge, die einen psychisch<br />

irgendwie streicheln.<br />

Jenssen: Sie selbst waren ja in allen möglichen Ländern schon zu Gast.


<strong>Strasser</strong>: Ja, schon, aber beruflich war ich doch hauptsächlich hier in Europa<br />

unterwegs. Ich hatte schon auch Angebote von den dortigen Deutschen in<br />

die USA und auch nach Kanada, als damals diese 200-Jahr-Feier war. Man<br />

kam damals aber nur <strong>mit</strong> einem ganz begrenzten eigenen Häufchen an<br />

Musikern hinein: Man darf nur ein Drittel der Band selbst <strong>mit</strong>bringen, die<br />

anderen Musiker muss man dort engagieren. Aber wen hätte ich denn da<br />

zu Hause lassen sollen? Ich kann doch nicht zu mehr als der Hälfte meiner<br />

Kollegen <strong>im</strong> Orchester sagen, "Du darfst nicht <strong>mit</strong>fahren!" Aus diesem<br />

Grund habe ich das dann einfach nicht gemacht. Denn wir sind ein<br />

verschworenes Orchester, in dem <strong>im</strong>mer eine gute Atmosphäre geherrscht<br />

hat.<br />

Jenssen: Wenn ich mir da vorstelle, dass umgekehrt das Orchester von Count Basie<br />

nur <strong>mit</strong> einem Drittel der Leute hierher zu uns hätte kommen dürfen! Das<br />

wäre doch völlig lächerlich gewesen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, eben. Aber diese amerikanische Music-Union hatte das eben so haben<br />

wollen: Darüber konnte man sich nicht hinwegsetzen.<br />

Jenssen: Apropos Basie und Ellington und Goodman usw.: Haben Sie diese Leute<br />

eigentlich alle persönlich kennen gelernt?<br />

<strong>Strasser</strong>: Alle. Die waren ja auch alle da in dieser Zeit, von der ich schon erzählt habe<br />

- in diesem Kellerclub. In diesem Club waren eben auch der Ellington, der<br />

Basie usw. gewesen. Auf diese Weise habe ich die alle kennen gelernt.<br />

Auch Louis Amstrong z. B.: Mit dem habe ich "Tuch an Tuch" gespielt. Das<br />

waren schon tolle Erlebnisse für uns junge Burschen, die wir damals am<br />

Anfang unseres Berufes gestanden haben. Das war wirklich ganz toll.<br />

Jenssen: Sie sind sicherlich nach wie vor gut <strong>im</strong> Geschäft.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, nach wie vor, erfreulicherweise.<br />

Jenssen: Aber generell? Wie sieht es da aus?<br />

<strong>Strasser</strong>: Das Geschäft ist nicht mehr so wie früher, das ist klar. Im Jahr hatten wir<br />

früher über 100 Veranstaltungen <strong>mit</strong> dem Orchester. Heute sind das<br />

vielleicht noch 35 oder 40. Es kommt aber hinzu, dass ich heute ja auch<br />

noch meine "Hot Five" habe: Das ist eine kleine Besetzung, <strong>mit</strong> der wir<br />

richtig schön <strong>im</strong> Stile von Benny Goodmann swingen. Wir machen da sehr<br />

erfolgreiche Konzerte, die <strong>im</strong>mer ausverkauft sind: Die Leute sind<br />

begeistert. Und seit zwei Jahren gibt es eben auch noch das vorhin bereits<br />

angesprochene Trio <strong>mit</strong> Paul Kuhn, Max Greger und <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong>. Das<br />

sind die "Swingenden Legenden". Wir sagen <strong>im</strong>mer, das sind die<br />

"swingenden alten Deppen". Wir machen das zusammen <strong>mit</strong> der SWR-<br />

Bigband, die uns dabei toll begleitet. Diese Konzerte sind alle jetzt schon<br />

ausverkauft: Wir haben das letzte Konzert erst am 3. Dezember in Freiburg,<br />

aber auch das ist schon ausverkauft.<br />

Jenssen: Das ist doch eigentlich sensationell.<br />

<strong>Strasser</strong>: Vor einigen Tagen rief mich eine Dame aus Bielefeld an und sagte: "Herr<br />

<strong>Strasser</strong>, können Sie mir nicht helfen? Ich bräuchte eine Karte für Ihr<br />

Konzert." Ich antwortete ihr: "Das Konzert ist doch erst Ende Oktober!" - "Ja,<br />

schon, aber es ist schon alles ausverkauft, ich bekomme keine Karten<br />

mehr." Ich konnte ihr da aber auch nicht weiterhelfen.<br />

Jenssen: Man hat vor ein paar Jahren gesagt, dass es durch die Elektronisierung der<br />

Musik aus sei: Für so eine Art von Musik, wie Sie sie machen, ginge nichts<br />

mehr. Offensichtlich ist es aber doch anders gekommen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das ist ein herrliches Exempel, das hier durch uns statuiert wird: Das<br />

macht uns natürlich einen Riesenspaß. Sie müssen sich das mal vorstellen:<br />

Wir haben <strong>im</strong>mer ausverkaufte Häuser und es kommt ja nur derjenige zu<br />

uns, der diese Musik mag. Wir müssen ja niemanden überzeugen. Es


kommen nur solche, die das unbedingt hören wollen. Aus dem Grund<br />

spielen wir natürlich <strong>im</strong>mer in einer tollen Atmosphäre. Da sitzt man auf<br />

einer so schönen Plattform, "wärmer" kann so ein Sitz gar nicht sein. Wir<br />

haben aber auch noch etwas anderes in Erfahrung gebracht, das sehr viel<br />

wert ist. Im letzten Jahr haben wir z. B. <strong>im</strong> Spätsommer bei der<br />

Landesgartenschau in Singen gespielt. Da waren weit über 5000 Menschen<br />

da und es hätten noch viel mehr kommen wollen, wenn es nicht so schon<br />

voll gewesen wäre. Dieses Konzert war genauso wie die anderen ein<br />

Riesenerfolg. Warum erzähle ich das aber? Weil nach dem Konzert sehr<br />

viele junge Leute zu uns gekommen sind. Das waren 18-, 19-, 20-Jährige<br />

und die haben zu uns gesagt: "Wir haben ja gar nicht gewusst, was das für<br />

eine Musik ist. Wir sind begeistert!" Sie haben uns wirklich eine Ovation<br />

dargebracht. Wir haben also <strong>mit</strong> diesem Konzert nebenbei noch<br />

Überzeugungsarbeit leisten können für diese Art von Musik, die ansonsten<br />

auch in den Medien ja wirklich ein bisschen vernachlässigt wird.<br />

Jenssen: Vielleicht dreht sich das aber momentan. Ich selbst erlebe ja auch sehr viele<br />

junge Musiker inzwischen, die wieder sehr gut anhörbaren Jazz spielen. Sie<br />

stehen vermutlich dem modernen Jazz kritisch gegenüber. Wie halten Sie<br />

es denn z. B. <strong>mit</strong> dem Freejazz?<br />

<strong>Strasser</strong>: St<strong>im</strong>mt, ich bin da schon kritisch. Ich bewundere aber, was manche von<br />

diesen Musikern in technischer Hinsicht leisten. Technisch ist das<br />

phantastisch.<br />

Jenssen: Ja, technisch ist das exzellent.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, diese Freejazzer sind da wirklich unglaublich gut. Aber ich bin nun mal<br />

ein Romantiker: Ich hänge an der Melodie und wenn sie überhaupt keine<br />

Rolle mehr spielt, sondern es <strong>mit</strong> den Tönen nur noch rauf und runter geht,<br />

dann kann ich mir das nicht ewig anhören. Aber ich respektiere diese Art<br />

des Jazz sehr wohl.<br />

Jenssen: Sie haben in Ihrer Band ja auch durchaus jüngere Musiker.<br />

<strong>Strasser</strong>: Sicher.<br />

Jenssen: Das ist keine Altherren-Band.<br />

<strong>Strasser</strong>: Es gibt eben heute einen unglaublich guten Nachwuchs. Eine Zeit lang war<br />

es ja mal so gewesen, dass es fast überhaupt keinen Nachwuchs mehr<br />

gab. Das war die Zeit, in der die jungen Leute alle erst einmal Gitarre gelernt<br />

haben. Die Gitarre war in den sechziger und siebziger Jahren ganz einfach<br />

das Instrument der Jugend. Ausgelöst worden ist das sicherlich durch<br />

solche Bands wie die Beatles usw. Heute gibt es aber wieder sehr, sehr<br />

gute Nachwuchsmusiker. Sie sind bestens ausgebildet und hoch motiviert.<br />

Aber das Bedauerliche ist eben, dass diese große Plattform nicht mehr<br />

vorhanden ist, wie sie noch in meiner Zeit da gewesen ist. Das ist aber nun<br />

mal die Entwicklung in heutiger Zeit: Da spielen so viele Gründe <strong>mit</strong>, die wir<br />

hier aber gar nicht alle ausleuchten können.<br />

Jenssen: Grundsätzlich ist so eine Form von Musik halt auch extrem teuer. Man<br />

muss 16 Leute bezahlen und den ganzen Apparat drum herum am Laufen<br />

halten.<br />

<strong>Strasser</strong>: Auch die ganze technische Ausrüstung ist ja unglaublich teuer.<br />

Jenssen: Das refinanziert sich dann eben nur sehr schwer.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, fast überhaupt nicht mehr.<br />

Jenssen: Sie selbst kommen <strong>mit</strong> Ihrer Band aber gut über die Runden?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, ich komme schon gut über die Runden. Es ist aber so, dass meine<br />

Musiker auch noch quasi Selbstversorger sind: Sie sind z. T. Lehrer und<br />

haben Schüler oder machen zusätzlich noch dieses oder jenes. Früher hat


es halt über 100 Veranstaltungen gegeben pro Jahr: Da war jedes<br />

Wochenende besetzt. Wir waren von Freitag bis Sonntag dauernd<br />

unterwegs. Heute ist das nicht mehr so. Wir spielen aber <strong>im</strong>mer noch<br />

eingespielt und <strong>mit</strong> Freuden. Wir spielen auch <strong>im</strong>mer noch auf<br />

ausgesuchten Veranstaltungen und Bällen. Das ist nach wie vor ein großer<br />

Erfolg. Wenn wir z. B. <strong>im</strong> Fasching <strong>im</strong> Deutschen Theater unsere<br />

Faschingsbälle spielen: wir spielen den Presseball, den Chrysanthemenball,<br />

den CSU-Ball, den Theaterball usw. – dann kommen da Leute zu uns, die<br />

wirklich danach lechzen, zur Musik einer Bigband tanzen zu können. Bei<br />

diesen Leuten habe ich also <strong>im</strong>mer noch einen guten Namen. Die Leute<br />

wissen, wenn sie kommen, können sie nach meiner Musik gut tanzen. Es<br />

hat mal einer gesagt: "Wer zur Musik vom <strong>Hugo</strong> nicht tanzen kann, hat<br />

keine Beine!" Ich habe scheinbar keine Beine, denn ich selbst kann nicht<br />

tanzen.<br />

Jenssen: Ja, das wollte ich gerade ansprechen. Denn es gibt das Gerücht, dass Sie<br />

selbst tatsächlich nicht tanzen können. Was da in den Artikeln steht, ist also<br />

gar kein Gerücht? Be<strong>im</strong> Walzer müssen Sie <strong>mit</strong>zählen und wehe, Sie<br />

unterhalten sich dabei <strong>mit</strong> Ihrer Partnerin.<br />

<strong>Strasser</strong>: Das ist mir schon passiert. Ich musste schon manchmal sagen: "Seien Sie<br />

mir nicht böse, wenn ich jetzt keine Antwort gebe, aber ich muss zählen,<br />

denn sonst komme ich draus, eins, zwei, drei, eins, zwei, drei..." Ich habe<br />

wahrscheinlich von jeher eine gewisse Hemmung vor dem Tanzen. Das<br />

liegt erstens daran, dass ich das nie gelernt habe: In der Zeit, in der die<br />

jungen Leute von Heute in die Tanzschule gehen, war bei mir der Krieg. Es<br />

gab also keine wirkliche Möglichkeit für mich, das zu erlernen. Später habe<br />

ich dann selbst Musik gemacht, habe auf der Bühne gestanden und hatte<br />

deswegen keine Möglichkeiten dazu: Ich habe gespielt, da<strong>mit</strong> die anderen<br />

tanzen können. Der zweite Grund ist, dass ich ja auch all diese Tanzturniere<br />

gespielt habe: die Deutschen Meisterschaften, die Europameisterschaften,<br />

die Weltmeisterschaften. Dabei habe ich alle diese Paare tanzen sehen in<br />

ihrer unglaublichen Vollendung und <strong>mit</strong> einer tollen Stilistik. Ich habe das<br />

<strong>im</strong>mer bewundert und mir gedacht: Um Gottes willen, da kannst du doch<br />

niemals selbst aufs Parkett gehen <strong>mit</strong> deinen zwei linken Füssen! Ich hielt<br />

das wirklich für ausgeschlossen und hatte regelrecht Hemmungen.<br />

Vielleicht wäre das aber gar nicht so schl<strong>im</strong>m gewesen, wenn ich es öfter<br />

mal versucht hätte. Wenn ein Ballsaal heute gesteckt voll ist, sodass man<br />

sich kaum rühren kann, dann geht eh nichts mehr: Da kann dann sogar ich<br />

untertauchen be<strong>im</strong> Tanzen. Ansonsten ergibt sich das Tanzen bei mir<br />

tatsächlich nie: Ich kann also wirklich nicht tanzen.<br />

Jenssen: Ja, das ist unser gemeinsames Leiden be<strong>im</strong> Presseball zwischen halb neun<br />

und halb zwölf in der Nacht.<br />

<strong>Strasser</strong>: Tja, Herr Jenssen, das genieße ich aber <strong>im</strong>mer von oben! Denn ich stehe<br />

da auf sicherem Boden und spiele für das Gewühl dort unten.<br />

Jenssen: In dem wir alle uns nicht rühren können. Es gibt also jedenfalls für die<br />

großen, eingeführten Bigbands noch genügend zu tun. Obwohl die<br />

Gründung der Thilo-Wolf-Band zeigt, dass es auch heute noch geht, wenn<br />

man anfängt. Er ist ja noch sehr jung, hat aber eine gute Mannschaft auf die<br />

Beine gestellt und kommt über die Runden. Aber es ist wahrscheinlich<br />

schon ein sehr hartes Ringen, bis das auf die Dauer klappt in finanzieller<br />

Hinsicht.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das ist sehr, sehr schwer. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es<br />

insgesamt weitergehen soll: Ich weiß es nicht.<br />

Jenssen: Gibt es eigentlich noch ein genügend großes Reservoir an Musikern in<br />

Deutschland aus Ihrer Sicht?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das Reservoir ist sehr gut.


Jenssen: Denn ich lese in den Bands doch <strong>im</strong>mer viele ausländische Namen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Nein, es gibt wirklich guten Nachwuchs. Ich habe ja auch in meiner eigenen<br />

Band sehr, sehr guten Nachwuchs. Diese Leute sind phantastisch<br />

ausgebildet und lesen perfekt. Sie sind auch stilistisch genauso gut wie wir.<br />

Das ist wirklich toll.<br />

Jenssen: Jetzt möchte ich gerne noch ein paar Spezialitäten anbringen. Sie sind ein<br />

strikter Antialkoholiker! Das sagt man ja Musikern selten nach.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, das ist richtig, ich mag keinen Alkohol.<br />

Jenssen: Sie trinken nur L<strong>im</strong>onade?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich habe erst kürzlich gelesen, dass Apfelsaft besonders gesund sein soll:<br />

ein Drittel Apfelsaft, zwei Drittel Wasser. Ich trinke halt gerne so süße<br />

Sachen. Ab und zu gehe ich in München in ein ganz best<strong>im</strong>mtes Lokal und<br />

trinke dort diesen so genannten "Bahia": Das ist Rum <strong>mit</strong> Kokosnussmilch<br />

usw. Das ist eben eines von diesen karibischen Getränken. Aber weil ich<br />

wirklich ein Antialkoholiker bin, kann ich nur ein Glas trinken, denn nach<br />

dem zweiten hätte ich schon "zwei bis drei Strich backbord voraus", und das<br />

kann ich mir nicht erlauben.<br />

Jenssen: Insofern also ein leuchtendes Vorbild. Sie sind dazu noch ein Nichtraucher.<br />

Ich wundere mich ja, dass ansonsten die Bläser so oft Raucher sind, denn<br />

das ist an und für sich ja eigentlich eine Katastrophe.<br />

<strong>Strasser</strong>: An sich schon, aber es gibt eben <strong>im</strong>mer wieder Beweise dafür, dass das<br />

geht. Ich kenne selbst auch Trompeter, die rauchen und schon 50, 60 Jahre<br />

alt sind und <strong>im</strong>mer noch genügend Luft haben. Ich glaube, das hängt eben<br />

ganz individuell vom Einzelnen ab. War es nicht dieser schwedische König<br />

<strong>mit</strong> Namen Gustav Adolf, der noch <strong>mit</strong> 92 Jahren Kettenraucher war? Aber<br />

das sind Ausnahmen, die lediglich <strong>im</strong>mer die Regel bestätigen, dass man<br />

so etwas nicht tun sollte.<br />

Jenssen: Sie jedenfalls wirken auf jeden Fall enorm jugendlich.<br />

<strong>Strasser</strong>: Wenn ich mir überlege, dass ich nächstes Jahr 80 Jahre alt werde, dann<br />

kommt mir das wirklich unglaublich vor. Ich habe einen sehr, sehr guten<br />

Freund, der Internist ist. Er sagt zu mir <strong>im</strong>mer, wenn er mich untersucht, ich<br />

sollte aufpassen, dass mir nicht irgendwann einmal eine Cola-Flasche aus<br />

dem zehnten Stock auf den Kopf fällt, denn ansonsten könnte mir nichts<br />

passieren. Also toi, toi, toi.<br />

Jenssen: Was machen Sie, um sich fit zu halten?<br />

<strong>Strasser</strong>: Ich fahre gerne Fahrrad. Am ersten Mai z. B. bin ich 22 Kilometer gefahren<br />

und jetzt <strong>im</strong> Sommer kommt es wirklich darauf an, das auszunutzen.<br />

Daneben gehe ich noch zum Schw<strong>im</strong>men, denn ich habe in meinem Haus<br />

ein Schw<strong>im</strong>mbad eingebaut. Das habe ich mir vor 35 oder 40 Jahren schon<br />

bauen lassen, weil ich damals ein bisschen Schwierigkeiten <strong>mit</strong> der<br />

Bandscheibe hatte, die heute aber behoben sind. Dieses Schw<strong>im</strong>mbad<br />

nutze ich natürlich aus: Ich schw<strong>im</strong>me wirklich jeden Tag. Und ich gehe<br />

auch noch gerne spazieren, denn frische Luft ist wichtig für mich.<br />

Jenssen: Das ist wichtig, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Klarinette ein<br />

sehr anstrengendes Instrument ist.<br />

<strong>Strasser</strong>: Die beste Medizin für mich ist aber mein Beruf. Diese ständigen<br />

Erfolgserlebnisse, die wir haben - jetzt auch noch <strong>mit</strong> dieser neuen<br />

Formation <strong>mit</strong> den "Swingenden Legenden" – tun einfach derart gut, wenn<br />

man das in dem Alter noch erleben darf: Da sitzen ja wirklich Tausende von<br />

Leuten vor einem. Letztens bei diesem Greger-Konzert waren es 2403<br />

Personen in der ausverkauften Philharmonie in München: Das war ein<br />

Riesenerfolg. Wenn man da auf der Bühne steht, überfällt einen ein derartig<br />

gutes Gefühl, dass man das eigentlich gar nicht beschreiben kann. Das


kommt in einem hoch und wirkt, als wenn man von innen wie ein Luftballon<br />

aufgeblasen werden würde, um dann in die Lüfte zu entschweben.<br />

Jenssen: Demnächst werden wir dann auch noch mal den Saxophonisten <strong>Hugo</strong><br />

<strong>Strasser</strong> zu hören bekommen.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, ich habe mir jetzt ein Saxophon gekauft. Ich ging an einem Münchner<br />

Geschäft vorbei, sah da dieses wunderschöne, schwarze Instrument <strong>mit</strong><br />

goldenen Klappen. An sich wollte ich mir eigentlich nur Blätter für meine<br />

Klarinette kaufen, aber ich habe mir dann ganz spontan dieses Saxophon<br />

gekauft. Jetzt spiele ich auch darauf und es macht mir einen riesengroßen<br />

Spaß. Ich werde das also in Zukunft bei meinen Konzerten auch einsetzen.<br />

Jenssen: Das ist ein Altsaxophon.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja. Wenn der "alte <strong>Hugo</strong>" wieder ein Saxophon spielt, schließt sich auch<br />

wieder ein Kreis. Denn ich habe zwar <strong>mit</strong> der Klarinette angefangen, aber –<br />

und das wissen Sie ja auch als Instrumentalist – die Klarinette und das<br />

Saxophon sind so eng <strong>mit</strong>einander verwandt, dass man dann, wenn man<br />

zuerst Klarinette lernt, über Nacht auch Saxophon spielen kann.<br />

Jenssen: Umgekehrt ist es aber sehr viel schwerer.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, umgekehrt ist es wesentlich schwieriger. Denn das Saxophon überbläst<br />

in Oktaven und die Klarinette eben in Duodez<strong>im</strong>en. Wenn ich dort also auf<br />

die Oktavklappe drücke, dann kommt nicht etwa wieder ein "c" heraus, das<br />

ich unten schon gegriffen habe, sondern ein "g". Und das macht den<br />

Unterschied aus.<br />

Jenssen: Der Nachteil ist eben, dass man sich dann, wenn man über lange Zeit<br />

Saxophon gespielt hat und dazwischen nicht auch mal Klarinette, leicht<br />

vergreift.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, umgekehrt ist es natürlich genauso. Deshalb spiele ich jetzt zu Hause<br />

<strong>im</strong>mer auf dem Saxophon, da<strong>mit</strong> ich das wieder ausgleichen kann.<br />

Jenssen: Um <strong>mit</strong> einem Kalauer zu schließen, der alte <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong> spielt also jetzt<br />

Altsaxophon und nicht Tenorsaxophon.<br />

<strong>Strasser</strong>: Genau.<br />

Jenssen: Vielen Dank. Da<strong>mit</strong> sind wir nach dieser sehr amüsanten Dreiviertelstunde<br />

leider schon wieder am Ende unseres <strong>Gespräch</strong>s angelangt, obwohl Sie<br />

sicherlich noch endlos interessante Anekdoten erzählen könnten.<br />

<strong>Strasser</strong>: Ja, vor allem dann, wenn ich einen solchen <strong>Gespräch</strong>spartner habe wie<br />

Sie. Ich gebe also das Kompl<strong>im</strong>ent gerne zurück, Herr Jenssen. Denn es<br />

kommt eben schon <strong>im</strong>mer darauf an, <strong>mit</strong> wem man spricht. Ich habe sehr<br />

wohl auch schon einige Male erlebt, dass ich mir bei anderen<br />

Interviewpartnern gedacht habe: mein Gott, ist das zäh. Da fällt einem dann<br />

auch nichts ein. So war es heute nicht.<br />

Jenssen: Das freut mich natürlich sehr, vielen Dank. Das war <strong>Hugo</strong> <strong>Strasser</strong>, unser<br />

heutiger Gast in Alpha-Forum, <strong>Bandleader</strong> seit 46 Jahren, Arrangeur,<br />

Komponist, Klarinettist und Saxophonist und schlechthin Musiker.<br />

© Bayerischer Rundfunk

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