Engel in der Kinder- und Jugendliteratur - Religion im Kinderbuch
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Aus heiterem H<strong>im</strong>mel:<br />
Die Ankunft <strong>der</strong> <strong>Engel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> •<br />
von Sab<strong>in</strong>e Berthold<br />
Sie s<strong>in</strong>d nicht leicht zu erkennen, diese <strong>Engel</strong>. Manchmal ist es nur e<strong>in</strong>e goldene Haarsträhne<br />
o<strong>der</strong> ihr sprechen<strong>der</strong> Name, wie „Angelito“ o<strong>der</strong> „Celeste“, <strong>der</strong> ihre h<strong>im</strong>mlische Herkunft<br />
verrät. Manche sehen fast so aus wie Menschen – nur ihre überirdische Aura, ihr Strahlen, das<br />
nicht von dieser Welt ist, passt nicht so ganz zu e<strong>in</strong>em Menschen. Am ehesten noch s<strong>in</strong>d sie<br />
an ihrem Verhalten zu erkennen, mit dem sie Aufsehen erregen – <strong>und</strong> manchmal eben auch<br />
Anstoß. So ist Malcom Godw<strong>in</strong> Recht zu geben, <strong>der</strong> feststellt, dass die hauptsächliche<br />
Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Engel</strong> nicht dar<strong>in</strong> liege, „wer o<strong>der</strong> was sie s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n viel mehr dar<strong>in</strong>, was<br />
sie tun.“ (Godw<strong>in</strong> 1995, 8).<br />
Ankunft <strong>und</strong> Auftrag <strong>der</strong> <strong>Engel</strong><br />
<strong>Engel</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> zwar nicht <strong>im</strong>mer auf den ersten<br />
Blick zu erkennen (sieht man von den klassischen Weihnachtsbüchern e<strong>in</strong>mal ab), doch sie<br />
gehören gewissermaßen zum ,festen Personal’ <strong>der</strong> Literatur für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche. So<br />
etwa <strong>in</strong> Gudrun Pausewangs gesellschaftskritischem Jugendroman Das Tor zum Garten <strong>der</strong><br />
Zambranos, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> Konflikt zwischen den ganz Reichen <strong>und</strong> den ganz Armen geschil<strong>der</strong>t<br />
wird. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong> trägt den Namen „Angelito“ – se<strong>in</strong>e goldene Haarsträhne<br />
verdankt es zwar eher se<strong>in</strong>em nicht-ehelichen europäischen Vater, aber se<strong>in</strong> Spitzname macht<br />
auch etwas von se<strong>in</strong>em exzeptionellen Charakter deutlich. Denn dieser ,<strong>Engel</strong> <strong>der</strong> Straße‘<br />
kümmert sich mit großer Empathie um se<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong>e, die an<strong>der</strong>en Straßenk<strong>in</strong><strong>der</strong> – <strong>und</strong><br />
vergisst sie selbst dann nicht, als sich ihm durch Zufall die Möglichkeit e<strong>in</strong>es sozialen<br />
Aufstiegs eröffnet.<br />
Auch <strong>in</strong> Anne F<strong>in</strong>es k<strong>in</strong><strong>der</strong>literarischem Klassiker E<strong>in</strong> <strong>Engel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule hält sich <strong>der</strong> <strong>Engel</strong><br />
mit dem kl<strong>in</strong>genden Namen „Celeste“ nicht etwa <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel auf, son<strong>der</strong>n am liebsten dort,<br />
wo Menschen die Hilfe des <strong>Engel</strong>s benötigen: „Bis <strong>der</strong> <strong>Engel</strong> kam, gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nitshill-<br />
Road-Schule drei furchtbar unglückliche K<strong>in</strong><strong>der</strong>: Penny, Mark <strong>und</strong> Marigold“. (F<strong>in</strong>e 1996, 6)<br />
Der <strong>Engel</strong> wird hier als tatkräftiger Helfer geschil<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> dem Mobb<strong>in</strong>g auf dem Schulhof<br />
schnell e<strong>in</strong> Ende setzt. Der h<strong>im</strong>mlische Bote kann <strong>in</strong> diesem K<strong>in</strong><strong>der</strong>roman als e<strong>in</strong> Verkün<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Wahrheit gedeutet werden – denn gerade durch se<strong>in</strong>e h<strong>im</strong>mlische Herkunft ist er <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Lage, den Schülern <strong>und</strong> Lehren e<strong>in</strong>en Spiegel vorzuhalten. Der <strong>Engel</strong> „Celeste“, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
• Erstdruck <strong>in</strong>: Eulenfisch. L<strong>im</strong>burger Magaz<strong>in</strong> für <strong>Religion</strong> <strong>und</strong> Bildung Heft 2 (2011)S. 53-55.
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Gestalt e<strong>in</strong>er neuen Mitschüler<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Klasse kommt, besitzt dabei von Anfang an e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Aura: „Später wusste niemand mehr so recht, wer als erster darauf gekommen war,<br />
dass sie e<strong>in</strong> richtiger <strong>Engel</strong> se<strong>in</strong> könnte. H<strong>in</strong>weise gab es natürlich genug. Tracey zum<br />
Beispiel hatte gehört, wie Mrs. Brown sich darüber beklagt hatte, dass Celeste ,aus heiterem<br />
H<strong>im</strong>mel’ dahergekommen sei. Und Ian hatte, als er das Klassenbuch <strong>in</strong>s Sekretariat brachte,<br />
gehört, wie die Sekretär<strong>in</strong> sagte, das neue Mädchen habe e<strong>in</strong>en ,h<strong>im</strong>mlischen Akzent’. Und<br />
von Mr. Fairway hieß es, er habe gebrummt, Celeste habe ,gewisse Probleme auf den Boden<br />
zu kommen’.“ (F<strong>in</strong>e 1996, 20) Dieser <strong>Engel</strong> besitzt also zwei ganz unterschiedliche<br />
Charakterzüge: auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite hat er überirdische Eigenschaften, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en hat er<br />
eben aber auch Probleme, „auf den Boden zu kommen“. Es ist e<strong>in</strong>e Figur, die sich nicht<br />
e<strong>in</strong>fügen will <strong>und</strong> die damit ihren exzeptionellen Charakter demonstriert.<br />
Das ist ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong>: <strong>Engel</strong> werden häufig als s<strong>in</strong>guläre<br />
Figuren gezeigt, die <strong>in</strong> den Alltag e<strong>in</strong>brechen <strong>und</strong> gesellschaftliche Konventionen <strong>in</strong> Frage<br />
stellen. Zugleich haben diese <strong>Engel</strong> e<strong>in</strong>e Nähe zu den gesellschaftlichen Rän<strong>der</strong>n, zu den<br />
Außenseitern, zu den E<strong>in</strong>samen. Das wird auch <strong>in</strong> dem DDR-K<strong>in</strong><strong>der</strong>buchklassiker Der <strong>Engel</strong><br />
mit dem goldenen Schnurrbart von Christa Kożik deutlich. Die Geschichte beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Atmosphäre <strong>der</strong> Trostlosigkeit: „Lilli saß kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> w<strong>in</strong>zig am Fenster. Kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> w<strong>in</strong>zig aber<br />
nur deshalb, weil Lilli <strong>im</strong> 21. Stockwerk e<strong>in</strong>es Hochhauses wohnte, <strong>und</strong> das sieht ja je<strong>der</strong> von<br />
unten kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> w<strong>in</strong>zig aus, sofern man ihn überhaupt sieht. (…) Lilli saß seit e<strong>in</strong>igen Wochen<br />
so am Fenster, denn sie hatte die Gelbsucht <strong>und</strong> durfte deshalb nicht zur Schule gehen.<br />
Gelbsucht gehört zu den langweiligsten Krankheiten <strong>der</strong> Welt.“ (Kożik 1983, 5) Da Lillis<br />
Eltern tagsüber arbeiten, ist sie sich selbst überlassen. Bis auf e<strong>in</strong>mal unerwarteter Besuch <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>samkeit <strong>und</strong> Langeweile e<strong>in</strong> überraschendes Ende bereitet: „Doch da flog das Weiße noch<br />
e<strong>in</strong>mal vorbei. Nie gewusst, dass Nachthemden so hoch fliegen. (…) Mit Erstaunen entdeckte<br />
Lilli: Das Nachthemd hatte Hände <strong>und</strong> Füße <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Kopf. Der Kopf hatte schwarze lange<br />
Haare, die sich regennass r<strong>in</strong>gelten. Unter <strong>der</strong> Nase blitzte es golden. Das war e<strong>in</strong> goldener<br />
Schnurrbart.“ (Kożik 1983, 10)<br />
Der <strong>Engel</strong> mit dem schönen Namen Ambrosius ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dualistischen Konzeption<br />
als Mittler zwischen <strong>der</strong> h<strong>im</strong>mlischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> irdischen Welt <strong>und</strong> stellt das Leben <strong>der</strong> Familie<br />
bald gründlich auf den Kopf. Die Inszenierung e<strong>in</strong>er <strong>Engel</strong>s-Figur <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR-K<strong>in</strong><strong>der</strong>literatur<br />
(<strong>der</strong> Roman erschien <strong>im</strong> Jahre 1983) formuliert aber zugleich auch e<strong>in</strong>e subtile Kritik an e<strong>in</strong>er<br />
säkularisierten Gesellschaftsform. Der <strong>Engel</strong> wird zum Sprachrohr e<strong>in</strong>er <strong>im</strong> ironischen Ton<br />
vorgetragenen Kritik: „,Hm’, me<strong>in</strong>te Lilli etwas ratlos, ,gebetet habe ich noch nie. Ist das<br />
schwer?’ ,Mon dieu. Du bist e<strong>in</strong> armes Heidenk<strong>in</strong>d.’ Lilli wi<strong>der</strong>sprach ihm ärgerlich. ,Erstens
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b<strong>in</strong> ich nicht arm. Und e<strong>in</strong> Heidenk<strong>in</strong>d b<strong>in</strong> ich auch nicht. Ich b<strong>in</strong> nämlich <strong>im</strong> Hochhaus<br />
geboren <strong>und</strong> nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heide.’“ (Kożik 1983, 15)<br />
Abschied <strong>der</strong> <strong>Engel</strong><br />
Typisch für die <strong>Engel</strong>s-Figuren <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> ist nicht nur ihr plötzliches<br />
Ersche<strong>in</strong>en – wie aus heiterem H<strong>im</strong>mel – son<strong>der</strong>n auch ihr plötzliches Verschw<strong>in</strong>den,<br />
nachdem die Mission zu Ende gebracht wurde. So sagt <strong>der</strong> Lehrer zum Abschied zur<br />
h<strong>im</strong>mlischen Celeste: „,Hör zu, Celeste. Wo du auch h<strong>in</strong>gehst: Du musst den Leuten dort<br />
sagen, dass wir f<strong>in</strong>den, du bist e<strong>in</strong> richtiger <strong>Engel</strong>. Und <strong>in</strong> den wenigen Wochen, <strong>in</strong> denen wir<br />
das Glück hatten, dich hier an <strong>der</strong> Nitshill-Road-Schule zu haben, hast du wahre Wun<strong>der</strong><br />
vollbracht.’“ (F<strong>in</strong>e 1996, 64) In Christa Kożiks Roman verschw<strong>in</strong>det <strong>der</strong> <strong>Engel</strong>, weil er sich<br />
Stück für Stück se<strong>in</strong>er Identität beraubt fühlt – als man ihm schließlich se<strong>in</strong>e Flügel<br />
beschneidet, flieht Ambrosius zurück <strong>in</strong> den H<strong>im</strong>mel: „Weiß war die Welt unter ihm, nur <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Fenstern gl<strong>im</strong>mte warmes Licht. Den H<strong>im</strong>mel sah man nicht, nur das gleichgültige<br />
Mondauge. Ambrosius spannte die Flügel, die beschnittenen, bewegte sie auf <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>.<br />
Dann stieß er sich mit dem Gipsbe<strong>in</strong> vom Fensterbrett ab <strong>und</strong> flog h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> den wirbelnden<br />
Schnee, h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> die kalte Ferne.“ (Kożik 1983, 124)<br />
Das plötzliche Ersche<strong>in</strong>en (<strong>und</strong> Verschw<strong>in</strong>den) verweist noch auf e<strong>in</strong>e weitere (k<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />
)literarische Traditionsl<strong>in</strong>ie, nämlich auf die Motivgeschichte des fremden K<strong>in</strong>des, das auf die<br />
gleichnamige Erzählung E.T.A. Hoffmanns zurückgeht. So, wie <strong>in</strong> Hoffmanns phantastischer<br />
Erzählung <strong>der</strong> Konflikt zwischen rational-logischer <strong>und</strong> irrational-magischer Weltsicht<br />
beschrieben wird, wird auch <strong>in</strong> Kożiks phantastischem Roman e<strong>in</strong>e dualistische<br />
Weltkonzeption vorgeführt. Das K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Engel</strong> haben dabei e<strong>in</strong>iges geme<strong>in</strong>sam: beide<br />
haben sie e<strong>in</strong>en Zugang zur Sphäre des Wun<strong>der</strong>baren, den die rational denkenden<br />
Erwachsenenfiguren oft nicht mehr besitzen. (vgl. von Glasenapp 2010, 64).<br />
Schutzengel <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong><br />
E<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Art von Abschied wird <strong>in</strong> Jutta Bauers Bil<strong>der</strong>buch Opas <strong>Engel</strong> geschil<strong>der</strong>t,<br />
das mit se<strong>in</strong>er poetischen <strong>und</strong> mehrdeutigen Bildsprache gleichermaßen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
Erwachsene anzusprechen weiß. Die Geschichte beg<strong>in</strong>nt mit dem lakonischen Satz:<br />
„Großvater erzählte gern.“ Doch <strong>der</strong> Großvater erzählt nicht <strong>im</strong> Kreis <strong>der</strong> Familie, nicht <strong>im</strong><br />
häuslichen Ambiente. Er erzählt se<strong>in</strong>e Geschichte an e<strong>in</strong>em höchst trostlosen Ort – <strong>im</strong> karg<br />
e<strong>in</strong>gerichteten Krankenhaus. Doch es gibt e<strong>in</strong>en Hoffnungssch<strong>im</strong>mer <strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es sehr<br />
gespannten, <strong>in</strong>teressierten Zuhörers. So erzählt <strong>der</strong> Großvater se<strong>in</strong>em Enkel, <strong>der</strong> ihn <strong>im</strong><br />
Krankenhaus besucht, se<strong>in</strong>e Lebensgeschichte. Das Motto se<strong>in</strong>er Geschichte, die von
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waghalsigen Abenteuern <strong>und</strong> gefährlichen Be<strong>in</strong>ah-Unfällen handeln, könnte „Glück gehabt“<br />
lauten:„E<strong>in</strong>mal hätte mich fast e<strong>in</strong> Bus erwischt…obwohl es damals wenig Verkehr gab.“<br />
O<strong>der</strong>: „Aber ich fürchtete mich nicht. Ich war <strong>im</strong>mer <strong>der</strong> Mutigste von allen…kletterte auf die<br />
höchsten Bäume…sprang <strong>in</strong> die tiefsten Seen.“<br />
Doch was <strong>der</strong> Großvater als pures Glück deutet, wird auf <strong>der</strong> Bildebene, <strong>in</strong> den subtilen<br />
Skizzen <strong>der</strong> Cartoonist<strong>in</strong> Jutta Bauer, ganz an<strong>der</strong>s gedeutet. Wir sehen, dass <strong>der</strong> Großvater nur<br />
durch den tatkräftigen E<strong>in</strong>satz se<strong>in</strong>es persönlichen Schutzengels vor dem Zusammenstoß mit<br />
dem Bus bewahrt worden ist. Und wir sehen, dass die höchsten Bäume von e<strong>in</strong>em<br />
unsichtbaren Auffangnetz umgeben waren, gehalten von se<strong>in</strong>em Schutzengel. Doch es s<strong>in</strong>d<br />
nicht nur die Schulhof-Erlebnisse, die Pausenhof-Streitereien <strong>und</strong> die Fre<strong>und</strong>eskreis-<br />
Erlebnisse, bei denen <strong>der</strong> <strong>Engel</strong> se<strong>in</strong>e Hand <strong>im</strong> Spiel hatte. So erzählt <strong>der</strong> Großvater: „Feige<br />
war ich nie. Damals wusste ich nicht, wie gefährlich das se<strong>in</strong> konnte.“ Wir sehen, wie er<br />
e<strong>in</strong>em SS-Mann die Zunge herausstreckt, während se<strong>in</strong> Schutzengel ihn vor <strong>der</strong> Verhaftung<br />
beschützt.<br />
So ist diese beson<strong>der</strong>e Schutzengel-Geschichte zugleich auch e<strong>in</strong> Stück Zeitgeschichte, die<br />
von NS-Diktatur, Krieg <strong>und</strong> Nachkriegszeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen Bil<strong>der</strong>n erzählt. Text <strong>und</strong> Bild<br />
stellen e<strong>in</strong>e jeweils eigene Version <strong>der</strong> Wirklichkeit dar. Durch die kontrapunktische<br />
Gestaltung <strong>der</strong> textuellen <strong>und</strong> visuellen Ebene wird damit jedoch auch deutlich, dass wir nicht<br />
alles über unser Leben wissen – auch wenn wir alles zu wissen glauben. So liegt <strong>der</strong> Clou<br />
dieses orig<strong>in</strong>ellen Bil<strong>der</strong>buches dar<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Großvater von <strong>der</strong> Existenz se<strong>in</strong>es<br />
persönlichen Schutzengels gar nichts weiß. Doch die Geschichte hat – neben dieser höchst<br />
amüsanten Po<strong>in</strong>te – noch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e D<strong>im</strong>ension. Denn auf e<strong>in</strong>er zweiten Ebene geht es um<br />
das Thema <strong>der</strong> <strong>in</strong>tergenerationellen Tradierung, um das Vermächtnis an die nachkommenden<br />
Generationen. Der Schutzengel wird schließlich auch das Leben des Enkels beschützen –<br />
natürlich ohne dass dieser etwas davon ahnt…<br />
<strong>Engel</strong> als Mittlerwesen<br />
<strong>Engel</strong> als Mittlerwesen haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> nach wie vor e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Funktion. Doch es ist zugleich e<strong>in</strong>e Ankunft <strong>im</strong> Alltag, die die <strong>Engel</strong>sfiguren <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> vollziehen – sie agieren (häufig als Schutzengel) <strong>in</strong> <strong>der</strong> normalen<br />
Alltagswelt, <strong>in</strong> die sie helfend o<strong>der</strong> schützend e<strong>in</strong>greifen. <strong>Engel</strong>sdarstellungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong> <strong>der</strong> Gegenwart nicht mehr e<strong>in</strong>deutig auf christliche<br />
Glaubensvorstellungen bezogen. Dennoch lassen sie sich als Boten des Transzendenten, <strong>der</strong><br />
übers<strong>in</strong>nlichen Welt deuten.
Literatur:<br />
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Jutta Bauer (2003): Opas <strong>Engel</strong>. Hamburg: Carlsen.<br />
Anne F<strong>in</strong>e (1996): E<strong>in</strong> <strong>Engel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule. Zürich: Diogenes.<br />
Malcolm Godw<strong>in</strong> (1995): <strong>Engel</strong>. E<strong>in</strong>e bedrohte Art. Frankfurt: Zweitausende<strong>in</strong>s.<br />
Christa Kożik (1983): Der <strong>Engel</strong> mit dem goldenen Schnurrbart. Berl<strong>in</strong>: Der<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>buchverlag.<br />
Gudrun Pausewang (2010): Das Tor zum Garten <strong>der</strong> Zambranos. Ravensburg: Ravensburger<br />
Buchverlag.<br />
G<strong>in</strong>a We<strong>in</strong>kauff/Gabriele von Glasenapp (2010): K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendliteratur</strong>. Pa<strong>der</strong>born:<br />
Schön<strong>in</strong>gh.