06.01.2013 Aufrufe

Hanteltraining im Seniorenheim - AOK-Gesundheitspartner

Hanteltraining im Seniorenheim - AOK-Gesundheitspartner

Hanteltraining im Seniorenheim - AOK-Gesundheitspartner

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Sturzprophylaxe<br />

Vorsicht, Stufe!


Foto: Werner Krüper/Blickweise<br />

Wenn Senioren Kraft und Balance trainieren,<br />

sinkt die Gefahr, dass sie stürzen und sich<br />

dabei schwerwiegende Verletzungen zuziehen.<br />

Ulmer Wissenschaftler entwickelten deshalb<br />

ein Sturzprophylaxe-Programm, das<br />

inzwischen zahlreiche Pflegehe<strong>im</strong>e umsetzen.<br />

Von Kilian Rapp und Clemens Becker*<br />

S<br />

tolpern, Stürzen, Knochenbruch: Fast jeder hat einen<br />

älteren Verwandten oder Bekannten, dem dieses<br />

Schicksal schon einmal widerfahren ist. Viele Senioren<br />

brauchen nach solch einem Unfall <strong>im</strong> Alltag langfristig<br />

Hilfe. Denn nach einem Klinikaufenthalt und dem Einsatz<br />

eines künstlichen Gelenks kommt manch ein Hochbetagter<br />

nicht mehr richtig auf die Beine. Etwa ein Drittel der über<br />

65-Jährigen stürzt mindestens einmal pro Jahr. In Risikogruppen<br />

wie den Bewohnern von Alten- und Pflegehe<strong>im</strong>en<br />

liegt die jährliche Sturzrate sogar bei mehr als 50 Prozent.<br />

Dennoch sind die Gefahren und Probleme, die mit Stürzen<br />

verbunden sind, in ihrem Ausmaß nur wenigen bewusst.<br />

Zum einen sind davon überwiegend alte und sehr alte<br />

Menschen betroffen, die nicht gewohnt oder nicht mehr in<br />

der Lage sind, ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen. Zum<br />

anderen sprechen die Betroffenen nicht gern über Stürze und<br />

ihre Angst, erneut zu stürzen. Der damit verbundene Kontrollverlust<br />

wird als ein tiefgreifender Einschnitt in die Autonomie<br />

erlebt. Hinzu kommt, dass noch <strong>im</strong>mer zu wenige Ärzte ihre<br />

älteren Patienten auf mögliche Stürze ansprechen.<br />

Folgekosten in Milliardenhöhe. Besonders problematisch und für<br />

die Kranken- und Pflegeversicherung relevant sind die weitreichenden<br />

Folgen von Stürzen: Jeder zehnte führt zu behandlungsbedürftigen<br />

Verletzungen. Die Hälfte davon sind Knochenbrüche,<br />

typischerweise an Oberarm, Unterarm und Becken.<br />

Die von der Häufigkeit und ihren Folgen her wichtigsten Verletzungen<br />

sind Hüftfrakturen (hüftnahe Knochenbrüche des<br />

Oberschenkels). Ein Beispiel hierfür ist der Bruch des Oberschenkelhalses.<br />

Hüftfrakturen treten jährlich bei mehr als<br />

100.000 Bundesbürgern auf und sind häufig mit dem Verlust<br />

der Selbstständigkeit verbunden.<br />

Die Kosten, die in Deutschland allein für die medizinische<br />

Behandlung von Verletzungen der Hüfte anfallen, betragen<br />

* Co-Autoren: Luzia Erhardt-Beer (<strong>AOK</strong> Baden-Württemberg), Regina Merk-Bäuml,<br />

Ralf Brum, Johannes Laws-Hofmann und Otto Gieseke (alle <strong>AOK</strong> Bayern)<br />

nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bis zu zwei Milliarden<br />

Euro pro Jahr. Da sturzbedingte Verletzungen vor allem<br />

bei sehr alten Menschen auftreten und die Zahl der Hochbetagten<br />

deutlich zunehmen wird, könnten die Kosten allein<br />

für Hüftfrakturen bis ins Jahr 2050 auf sieben Milliarden<br />

Euro ansteigen – so eine Hochrechnung von Leipziger Gesundheitsökonomen<br />

aus dem Jahr 2007 (siehe Kasten Lesetipps).<br />

Vielfalt der Ursachen berücksichtigen. Das Risiko, zu fallen<br />

und dabei eine Hüftfraktur zu erleiden, steigt mit dem Alter.<br />

Zudem ist bei Bewohnerinnen von Pflegehe<strong>im</strong>en das Sturzund<br />

Bruchrisiko deutlich höher, als in der weiblichen Gesamtbevölkerung<br />

der gleichen Altersgruppe. Das zeigt eine aktuelle<br />

Auswertung von Daten der <strong>AOK</strong> Baden-Württemberg (siehe<br />

Abbildung „Hüftfrakturen: Häufiger <strong>im</strong> He<strong>im</strong>“). Bei Männern<br />

ist der beobachtete Unterschied sogar noch größer. Folglich<br />

sind sowohl weibliche als auch männliche Bewohner von Pflegehe<strong>im</strong>en<br />

als die Hochrisikopopulation schlechthin für Stürze<br />

und sturzbedingte Verletzungen anzusehen.<br />

Hüftfrakturen: Häufiger <strong>im</strong> He<strong>im</strong><br />

Ausgabe 6/09, 12. Jahrgang 25<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Hüftfrakturen pro<br />

1.000 Personenjahre<br />

65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90-94 95+<br />

Alter<br />

deutsche Bevölkerung (Frauen)<br />

in Baden-Württemberg neu ins Pflegehe<strong>im</strong><br />

aufgenommene Bewohnerinnen<br />

Personenjahre: Wert<br />

aus Zahl der beobachteten<br />

Personen und<br />

dem Beobachtungszeitraum<br />

(Bsp.: Wenn<br />

2.000 Personen jeweils<br />

über ein halbes Jahr<br />

beobachtet werden,<br />

entspricht dies 1.000<br />

Personenjahren)<br />

Bewohnerinnen von Pflegehe<strong>im</strong>en tragen ein deutlich höheres Risiko, sich<br />

die Hüfte zu brechen (gelbe Balken) als Frauen der selben Altersgruppe in<br />

der Gesamtbevölkerung (blaue Balken).<br />

Quelle: Rapp, Daten der <strong>AOK</strong> Baden-Württemberg


In einer Vielzahl von Studien konnten individuelle Faktoren<br />

identifiziert werden, die zu Stürzen beitragen. Zu den wichtigsten<br />

gehören die Muskelschwäche, Schwierigkeiten bei der<br />

Körperbalance, kognitive Einschränkungen, Harninkontinenz<br />

oder eine eingeschränkte Sehfähigkeit. Die überwiegende Zahl<br />

von Pflegehe<strong>im</strong>bewohnern ist mit mindestens einem dieser<br />

Risikofaktoren belastet. Umgebungsbedingungen wie beispielsweise<br />

Hindernisse oder ein nasser Fußboden können ebenfalls<br />

einen Sturz auslösen. Stürze haben aber in der Regel mehrere<br />

Ursachen. Deshalb führen Interventionen in Pflegehe<strong>im</strong>en<br />

nur dann zu einer Senkung der Sturzhäufigkeit, wenn sie<br />

mehrere Risikofaktoren in den Fokus nehmen.<br />

Neue Strategien für die Intervention. Einen bisher noch nicht<br />

bekannten Risikofaktor konnten wir anhand von Pflegehe<strong>im</strong>daten<br />

der <strong>AOK</strong> Baden-Württemberg beschreiben. So zeigte<br />

sich, dass das Risiko, eine Hüftfraktur zu erleiden, in den ersten<br />

Wochen nach Aufnahme ins He<strong>im</strong> am höchsten war und<br />

dann auf etwa die Hälfte des Ausgangsrisikos abfiel. Dieses<br />

Muster wurde inzwischen durch Daten der <strong>AOK</strong> Bayern bestätigt<br />

(siehe Abbildung „Neue Umgebung – mehr Stürze“). Die<br />

Anpassung an die neue Umgebung scheint also mit einem erhöhten<br />

Sturz- und Frakturrisiko einherzugehen – eine Erkenntnis,<br />

die neue Interventionsstrategien ermöglicht.<br />

Eine Studie mit Bewohnern von Ulmer He<strong>im</strong>en zeigte bereits<br />

<strong>im</strong> Jahr 2003 eindrucksvoll, dass durch entsprechende<br />

Maßnahmen auch <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong> eine Verminderung von<br />

Stürzen möglich ist (siehe Kasten Lesetipps). In dieser Studie<br />

konnte die Zahl der Stürze um 44 Prozent und die Zahl der<br />

26<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Neue Umgebung – mehr Stürze<br />

Hüftfrakturen pro<br />

1.000 Personenjahre<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

Monate nach Aufnahme ins He<strong>im</strong><br />

Frauen (zwischen 2000 und 2006 ins He<strong>im</strong> eingezogen)<br />

Männer (zwischen 2000 und 2006 ins He<strong>im</strong> eingezogen)<br />

n = 93.424<br />

Kurz nach dem Umzug ins He<strong>im</strong> ist das Risiko, zu stürzen und sich die Hüfte<br />

zu brechen, am höchsten. Die Auswertung von Daten der <strong>AOK</strong> Bayern zeigt,<br />

dass die Hüftfrakturrate bei zwischen 2001 und 2006 neu ins Pflegehe<strong>im</strong><br />

aufgenommenen Frauen <strong>im</strong> ersten Monat nahezu doppelt so hoch war, wie<br />

gegen Ende des ersten Jahres. Quelle: Rapp, Daten der <strong>AOK</strong> Bayern<br />

gestürzten Bewohner um 30 Prozent reduziert werden. Verschiedene<br />

<strong>AOK</strong>s haben das in der Studie eingesetzte Sturzpräventionsprogramm<br />

in modifizierter Form übernommen<br />

(siehe Kasten <strong>AOK</strong>-Beispiele). Allein in Baden-Württemberg<br />

und Bayern wurde das Programm seit 2003 beziehungsweise<br />

2007 in rund 1.400 Pflegehe<strong>im</strong>en umgesetzt.<br />

Schulung durch he<strong>im</strong>eigene Kräfte. Das Sturzprophylaxe-Programm<br />

schließt das gesamte Umfeld von He<strong>im</strong>bewohnern ein.<br />

Im Zentrum steht ein Kraft- und Balancetraining (siehe Reportage<br />

auf Seite 28/29), das zwe<strong>im</strong>al pro Woche stattfindet<br />

(jeweils eine Stunde). Daran teilnehmen können grundsätzlich<br />

alle <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong> lebenden Frauen und Männer, die mit<br />

Unterstützung stehen können. Die Übungen sind auch für<br />

kognitiv eingeschränkte Bewohner geeignet.<br />

Nach einem halben Jahr geht die Leitung der Gruppen von<br />

externen Trainern auf he<strong>im</strong>eigene Mitarbeiter über. Um eine<br />

Trainingsgruppe leiten zu können, ist eine eintägige Fortbildung<br />

erforderlich. Außerdem lässt jedes He<strong>im</strong> ein oder zwei<br />

Mentoren schulen, die in der Einrichtung die Aufgabe von<br />

Multiplikatoren wahrnehmen.<br />

Weitere Elemente des Programms sind eine Anpassung der<br />

Umgebung wie zum Beispiel eine Opt<strong>im</strong>ierung der Lichtverhältnisse,<br />

die Installation von Bewegungssensoren oder das<br />

Anbringen von Haltegriffen. Best<strong>im</strong>mte Medikamente wie<br />

beispielsweise Schlafmittel erhöhen die Sturzgefahr. Das Programm<br />

sieht deshalb vor, dass Pflegekräfte die Gabe dieser<br />

Medikamente hinterfragen und gegebenenfalls mit den behandelnden<br />

Hausärzten über die Medikation sprechen. Bei<br />

besonders sturzgefährdeten Personen wird außerdem das Tragen<br />

von Hüftprotektoren empfohlen. Diese Spezial-Hosen enthalten<br />

Schalen oder Polster, die bei einem Sturz den großen<br />

Rollhügel des Oberschenkelhalses schützen. Jedes He<strong>im</strong> erhält<br />

<strong>im</strong> Rahmen des Programms ein Test-Kit mit Hüftprotektoren.<br />

Eine Kostenübernahme für die Protektoren ist bis jetzt allerdings<br />

nicht möglich.<br />

Alle am Projekt beteiligten He<strong>im</strong>e sind verpflichtet, jeden<br />

Sturz zu dokumentieren und der <strong>AOK</strong> zu melden. Dadurch<br />

werden die Mitarbeiter der He<strong>im</strong>e angehalten, jeden Sturzhergang<br />

zu reflektieren, um gegebenenfalls Konsequenzen daraus<br />

ziehen zu können.<br />

Präventionsprogramm wirkt. Eine Auswertung der Daten aus<br />

bayerischen Pflegehe<strong>im</strong>en zeigt, dass die Sturzprävention<br />

wirkt. So verzeichneten die Mitarbeiter der insgesamt rund<br />

250 beteiligten Einrichtungen vor Beginn der Intervention<br />

<strong>im</strong> ersten Quartal 2007 fast 9.500 Stürze der Bewohner. Im<br />

dritten Quartal, nachdem das Präventionsprogramm umgesetzt<br />

worden war, sank die Zahl der gemeldeten Stürze auf<br />

rund 8.800. Sturzbedingte Arzt- und Krankenhauskontakte<br />

wurden <strong>im</strong> dritten Quartal seltener gemeldet als vor Beginn<br />

des Programms. Vergleichbare Ergebnisse fanden sich in Baden-Württemberg.<br />

Auch die Juroren des Bayerischen Gesundheitsförderungs-<br />

und Präventionspreis 2007 überzeugte<br />

das Konzept: Die <strong>AOK</strong> Bayern belegte mit dem Projekt<br />

„Sturzprävention in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ den<br />

2. Platz des Wettbewerbs. Die <strong>AOK</strong> Baden-Württemberg er-<br />

Ausgabe 6/09, 12. Jahrgang


hielt <strong>im</strong> Jahr 2005 den „Qualitätsförderpreis Gesundheit<br />

Baden-Württemberg“.<br />

Seit 2008 wird ein „Newsletter Sturzprävention“ an die am<br />

bayerischen Programm beteiligten He<strong>im</strong>e versandt. Damit<br />

haben die He<strong>im</strong>e zeitnah Zugang zu aktuellem Wissen und<br />

neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Sturzprävention.<br />

Die bisher erschienenen Ausgaben des „Newsletters Sturzprävention“<br />

sind über die Homepage der <strong>AOK</strong> Bayern auch<br />

der Öffentlichkeit zugänglich (siehe Kasten <strong>AOK</strong>-Beispiele).<br />

Lebensqualität steigt. Das auf verschiedenen Ebenen ansetzende<br />

Programm soll gewährleisten, dass alle He<strong>im</strong>bewohner, also<br />

nicht nur diejenigen, die am Training teilnehmen, in irgendeiner<br />

Weise profitieren. Das Programm hat zwar pr<strong>im</strong>är eine<br />

Senkung der Zahl der Stürze zum Ziel – es erschöpft sich in<br />

seiner Wirkung aber nicht darin. Senioren, die am Training<br />

teilnehmen, erleben eine Zunahme ihrer körperlichen Fertigkeiten,<br />

ihrer Mobilität und damit auch ihrer Selbstständigkeit.<br />

Außerdem macht das Üben in der Gruppe Spaß. Auch<br />

viele Mitarbeiter berichten, dass sie ihre Rolle als Mentorin<br />

oder Trainerin als eine Bereicherung ihrer Arbeit empfinden.<br />

Das Sturzprophylaxe-Programm der <strong>AOK</strong> trägt damit zu<br />

einer Steigerung der Lebensqualität <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong> bei.<br />

Programm umfassend analysieren. Das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung ermöglicht es uns, die landesweite<br />

Verbreitung des Programms in Bayern genauer zu analysieren.<br />

Dabei wollen wir wissen, ob das Programm in der Lage ist,<br />

nicht nur Stürze, sondern auch die Rate an Hüftfrakturen zu<br />

senken. Außerdem untersuchen wir derzeit die Teilnahme am<br />

Training und die Kosten des Programms.<br />

Es ist zu erwarten, dass das Thema Sturzprävention <strong>im</strong> stationären<br />

Pflegealltag in Zukunft einen festen Platz einnehmen<br />

wird. Anders sieht es derzeit noch <strong>im</strong> ambulanten Bereich<br />

aus. Hier sind große Anstrengungen notwendig, um sturzgefährdeten<br />

älteren Menschen ein ähnlich gutes Netz an Präventionsleistungen<br />

bieten zu können, wie das <strong>im</strong> stationären Bereich<br />

schon jetzt der Fall ist. √<br />

PD Dr. med. Clemens Becker leitet die Klinik für geriatrische Rehabilitation<br />

am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart. Dr. med. Kilian Rapp, MPH, ist<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und<br />

am Institut für Epidemiologie der Universität Ulm.<br />

Kontakt: Kilian.Rapp@rbk.de<br />

Ausgabe 6/09, 12. Jahrgang<br />

Lese- und Webtipps<br />

• www.dnqp.de/ExpertenstandardSturzprophylaxe.pdf Auszug aus dem<br />

Nationalen Expertenstandard Sturzprophylaxe, Osnabrück 2005.<br />

• C. Becker, U. Lindemann, U. Rissmann, A. Warnke: Sturzprophylaxe – Sturzgefährdung<br />

und Sturzverhütung in Pflegehe<strong>im</strong>en. Vincentz Verlag, 2006.<br />

• A. Konnopka, N. Jerusel, HH. König: The Health and Economic Consequences<br />

of Osteopenia and Osteoporosis Attributable Hip Fractures in Germany –<br />

Est<strong>im</strong>ation for 2002 and Projection until 2050. Epub, Dezember 2008.<br />

• C. Becker, M. Kron, U. Lindemann, E. Sturm, B. Eichner, B. Walter-Jung, T.<br />

Nikolaus: Effectiveness of a multifaceted intervention on falls in nursing<br />

home residents. J Am Geriatr Soc. 2003 Mar;51(3):306-13.<br />

<strong>AOK</strong>-Beispiele<br />

Seit 2007 setzt die <strong>AOK</strong> Niedersachsen das Projekt „Aktiv bleiben <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong>“<br />

um. Neun Präventionsfachkräfte der <strong>AOK</strong> schulen geeignete Mitarbeiter der am Projekt<br />

beteiligten Pflegehe<strong>im</strong>e. In Eigenverantwortung der He<strong>im</strong>e leiten diese Mitarbeiter<br />

die He<strong>im</strong>bewohner regelmäßig <strong>im</strong> Balance- und Krafttraining zur Sturzprävention<br />

an. Insgesamt sollen Pflegefachkräfte aus rund 1.200 He<strong>im</strong>e geschult werden.<br />

www.aok-gesundheitspartner.de –> Niedersachsen –> Pflege –> Sturzprävention<br />

Bei der <strong>AOK</strong> Berlin besteht das Angebot „Aktiv bleiben <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong>“ seit Juli<br />

2006. Es nehmen 55 Pflegeeinrichtungen mit insgesamt rund 7.000 Plätzen und<br />

acht Seniorenwohnhäuser teil. Bisher fanden 13 Schulungen für Trainer mit insgesamt<br />

rund 250 Teilnehmern statt, sowie zehn Schulungen für Pflegekräfte zur Umsetzung<br />

des Expertenstandards „Sturzprophylaxe in der Pflege“ und zu Inhalten des<br />

Projekts. Die Zahl der hüftnahen Frakturen reduzierte sich über alle Einrichtungen<br />

um 50 Prozent. Die Klinikeinweisungen reduzierten sich um 30 Prozent.<br />

Bei der <strong>AOK</strong> Mecklenburg-Vorpommern startete das Projekt „Sturzprävention in stationären<br />

Pflegeeinrichtungen“ <strong>im</strong> April 2008. Derzeit nehmen 54 He<strong>im</strong>e mit über<br />

5.000 Bewohnern teil. Ab August 2009 wollen weitere 40 He<strong>im</strong>e einsteigen. Pro He<strong>im</strong><br />

gibt es einen Mentor, einen Trainer und mindestens einen Co-Trainer. Innerhalb von<br />

neun Monaten sank die Zahl der Stürze um durchschnittlich ca. fünf je 100 Bewohner.<br />

Kooperationspartner: Bildungsinstitut für Gesundheits- und Sozialberufe in Stralsund.<br />

Die <strong>AOK</strong> Hessen betreibt „Aktiv bleiben <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong>“ von Anfang April 2008 bis<br />

Ende März 2011 als Modellprojekt <strong>im</strong> Werra-Meißner-Kreis. Beteiligt sind fünf Pflegeeinrichtungen<br />

mit insgesamt 475 Plätzen. Im Juni 2008 fanden die Mentoren- und<br />

Trainerschulungen statt. Bis Dezember 2008 wurde das Kraft- und Balancetraining<br />

in den He<strong>im</strong>en <strong>im</strong>plementiert, die es seit Anfang 2009 in Eigenregie umsetzen.<br />

Den Piloten startete die <strong>AOK</strong> Baden-Württemberg 2002 in 15 Pflegehe<strong>im</strong>en so erfolgreich,<br />

dass das Projekt „Sturzprävention – aktiv bleiben <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong>“ noch <strong>im</strong>mer<br />

ausgeweitet wird – bis einschließlich 2010 läuft die Planung. Bisher nahmen 716<br />

He<strong>im</strong>e mit mehr als 58.000 Plätzen an Mentoren- und Trainerschulungen teil. Neben<br />

dem Geriatrischen Zentrum Ulm und der Ger. Rehaklinik am RBK Stuttgart sind die Geriatrischen<br />

Schwerpunkte in Freiburg, Heidelberg und Karlsruhe Kooperationspartner.<br />

Die <strong>AOK</strong> Bayern beteiligt in den Jahren 2007, 2008 und 2009 insgesamt mehr als<br />

750 Pflegeeinrichtungen an „Sturzprävention <strong>im</strong> Setting vollstationäre Pflegeeinrichtungen“,<br />

schulte über 850 Mentoren, qualifizierte rund 700 Kursleiter und etwa<br />

1.000 Co-Trainer. 2010 sollen weitere 250 Einrichtungen in das Projekt aufgenommen<br />

werden. www.aok-gesundheitspartner.de –> Bayern –> Pflege –> Sturzprävention<br />

Die <strong>AOK</strong> Brandenburg hat <strong>im</strong> November 2007 mit ersten Schulungen zum „Brandenburger<br />

Konzept zur Sturzprävention in stationären Pflegeeinrichtungen“ begonnen.<br />

Bisher haben aus 61 Einrichtungen jeweils ein Mentor und zwei Trainingsgruppenleiter<br />

Schulungen und Supervision erhalten. Davon profitieren insgesamt etwa<br />

7.100 Bewohner. www.aok-brandenburg.de –> Pflege –> Pflegeinitiative Brandenburg<br />

–> Sicher bewegen <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong><br />

Die <strong>AOK</strong> Sachsen-Anhalt setzt <strong>im</strong> Rahmen der Qualitätssicherung der Pflegeversicherung<br />

seit Anfang 2006 in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Prävention<br />

<strong>im</strong> Alter (PiA, angesiedelt an der Hochschule Magdeburg-Stendal) das Projekt<br />

„Sturzprophylaxe in stationären Pflegeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt“ um. PiA<br />

vermittelt den Einrichtungen ein praxisnahes Programm zur Verringerung von Stürzen<br />

und schult Mitarbeiter für die Anleitung zu einem Balance- und Krafttraining der<br />

Bewohner. Insgesamt haben bisher über 60 Pflegeeinrichtungen teilgenommen.<br />

Die <strong>AOK</strong> Westfalen-Lippe und die <strong>AOK</strong> Rheinland/Hamburg beteiligen sich an der von<br />

allen gesetzlichen Krankenkassen mitgetragenen Landesinitiative „Sturzprophylaxe“<br />

in Nordrhein-Westfalen. Darin werden Pflegehe<strong>im</strong>e mit einem Zertifikat ausgezeichnet,<br />

die in Eigeninitiative etwas zur Sturzprophylaxe ihrer Bewohner tun.<br />

Die <strong>AOK</strong> Rheinland/Hamburg wird <strong>im</strong> Jahr 2009 ein spezielles Setting-Angebot zur<br />

Sturzprophylaxe in Pflegeeinrichtungen umsetzen. Hauptbestandteil des Projektes<br />

ist eine Multiplikatorenschulung für ein Kraft-Balance-Training, die von Fachkräften<br />

des <strong>AOK</strong>-Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung geleitet wird.<br />

Mehrere <strong>AOK</strong>s bieten ihren Versicherten zudem ambulante Sturzprophylaxe an.


Reportage<br />

<strong>Hanteltraining</strong> <strong>im</strong> Seniorenhe<strong>im</strong><br />

Mit einem speziellen Kraft- und Balancetraining beugen Bewohner einer Pflegeeinrichtung<br />

in Oberstdorf Knochenbrüchen vor. Die Übungen sind Teil des Sturzprophylaxe-Programms der<br />

Gesundheitskasse. Oliver Häußler hat zugeschaut, wie die Senioren ihre Muskeln stärken.<br />

S<br />

chrittstellung. Hände auf die Oberschenkel. Und jetzt<br />

hoch mit viel Schwung“, ruft Ute Conrad in die Runde.<br />

Als alle stehen, lächelt die Trainerin und beginnt mit<br />

der ersten Übung: Gewichtsverlagerung vom rechten auf das<br />

linke Bein. Zuerst stützen die Teilnehmer beide Hände auf<br />

eine Stuhllehne, dann nur noch eine Hand und am Schluss<br />

stehen sie freihändig. „Und nun mit geschlossenen Augen“,<br />

lautet Ute Conrads Anweisung.<br />

Sturzprophylaxe-Training <strong>im</strong> „Haus der Senioren“ des<br />

Deutschen Roten Kreuzes in Oberstdorf. Die Teilnehmer –<br />

heute sieben Frauen und ein Mann <strong>im</strong> Alter zwischen über 70<br />

bis knapp 90 Jahren – treffen sich zwe<strong>im</strong>al pro Woche. Eine<br />

Stunde lang trainieren die Senioren Kraft und Gleichgewicht.<br />

Das soll den Bewohnern des Seniorenhe<strong>im</strong>s helfen, Stürze zu<br />

vermeiden.<br />

Mit zunehmendem Alter steigt das Sturzrisiko. In Altenund<br />

Pflegehe<strong>im</strong>en ist die Gefahr besonders hoch. Viele Stürze<br />

ziehen Frakturen an Arm, Bein und Becken nach sich. Oft ist<br />

mit einem Sturz der Verlust der Selbstständigkeit verbunden.<br />

28<br />

Verantwortung für chronisch Kranke. Dr. Clemens Becker von<br />

der Klinik für geriatrische Rehabilitation des Robert-Bosch-<br />

Krankenhauses in Stuttgart konnte in einer Studie nachweisen,<br />

dass ein Präventionsprogramm die Zahl der Stürze um<br />

44 Prozent verringert. Mehrere <strong>AOK</strong>s haben daher das Sturzpräventionsprogramm<br />

von Clemens Becker in modifizierter<br />

Form übernommen (siehe Kasten „<strong>AOK</strong>-Beispiele“ auf Seite<br />

27). Das Haus der Senioren in Oberstdorf ist eines der über<br />

700 Pflegehe<strong>im</strong>e in Bayern, die sich seit Januar 2007 an dem<br />

Projekt beteiligen. „Wir wollen mit diesem Programm die<br />

Zahl der Stürze und die Sturzfolgen reduzieren und damit die<br />

Gesundheit und Lebensqualität der He<strong>im</strong>bewohner verbessern“,<br />

sagt Regina Merk-Bäuml, die bei der <strong>AOK</strong> Bayern für<br />

das Projekt zuständig ist. Zudem könne man mit dem Programm<br />

die rechtlichen Anforderungen des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes<br />

unterstützen. „Wir helfen den Einrichtungen<br />

und zeigen damit unsere Verantwortung für chronisch<br />

kranke, mult<strong>im</strong>orbide und pflegebedürftige Menschen“, so<br />

die <strong>AOK</strong>-Expertin.<br />

Ausgabe 6/09, 12. Jahrgang


Fotos: Oliver Häußler<br />

Mobilität erhalten. Inzwischen werfen sich die Senioren kleine<br />

Stoffsäckchen zu. Sie müssen dabei den Namen des Partners<br />

nennen, der das Säckchen fängt. Diese Übung schult Koordination,<br />

Konzentration und Gedächtnis. Sie fördert auch die<br />

Kommunikation unter den Bewohnern.<br />

Langsam kommen die Senioren ins Schwitzen. Bei der<br />

Übung „Treppensteigen“ wird die Oberschenkelmuskulatur<br />

trainiert. Ute Conrad befestigt individuell angepasste Gewichtsmanschetten<br />

an den Unterschenkeln der Teilnehmer.<br />

Die Manschetten dürfen nicht zu leicht sein, damit ein Trainingseffekt<br />

eintritt, aber auch nicht zu schwer, damit die Teilnehmer<br />

die drei Einheiten mit je 20 Stufen pro Bein schaffen<br />

können. „Wir bieten zwar auch Gymnastikstunden an. Aber<br />

das Kraft- und Balancetraining stärkt gezielt die Muskulatur,<br />

die für die Mobilität wichtig ist. Dazu gehört die Muskulatur<br />

von Schulter, Arm, Gesäß, Unterschenkel, Oberschenkel und<br />

Waden“, sagt Ute Conrad. Die 47-jährige Motopädin und<br />

Entspannungspädagogin ließ sich von der <strong>AOK</strong> als Trainerin für<br />

Sturzprophylaxe ausbilden. Im Haus gibt es noch eine weitere<br />

Trainerin und mehrere Co-Trainer.<br />

„Wir sorgen in unserer Einrichtung schon seit neun Jahren<br />

für Sturzprophylaxe, seit zwei Jahren nach dem Modell der<br />

<strong>AOK</strong>“, sagt Gunnar Dabelstein, der die Pflegedienstleitung<br />

<strong>im</strong> Haus der Senioren inne hat. „Die Zahl der Stürze ist bei<br />

uns merklich zurückgegangen“, so Dabelstein. Das ist nicht<br />

nur auf das Krafttraining zurückzuführen, sondern auch auf<br />

weitere Ansätze des Programms. So werden die Senioren nach<br />

Einzug ins Haus <strong>im</strong> Rahmen der Sturzprävention gezielt an<br />

die neue Umgebung gewöhnt. Der Toilettengang wird ebenso<br />

geübt wie das Aufstehen vom höheren Bett und das Betätigen<br />

der Lichtschalter und Klingelknöpfe.<br />

Vom Rollstuhl zum Rollator. „Welche Übung wollt Ihr jetzt<br />

machen?“, fragt Ute Conrad. „Fensteröffnen“, wünscht sich<br />

Veronika Strohbel. Be<strong>im</strong> „Fensteröffnen“ nehmen die Senioren<br />

eine Hantel in die Hand und strecken sie mit angewinkeltem<br />

Ellenbogen von der Körpermitte her nach außen. Das stärkt<br />

die Oberarm- und Schultermuskulatur. Veronika Strohbel ist<br />

von Anfang an be<strong>im</strong> Training dabei. Die 88-Jährige hat sich<br />

dadurch vom Bett über den Rollstuhl bis hin zum Rollator<br />

vorgearbeitet. Mit dem Gehwagen konnte sie sich relativ selbstständig<br />

<strong>im</strong> Haus bewegen. Vor ein paar Tagen musste sie allerdings<br />

einen Rückschritt verbuchen. Be<strong>im</strong> Zuziehen der Vorhänge<br />

schaute sie nach oben. Ihr wurde schwindelig und sie<br />

fiel nach hinten. „Ohne das Training hätte sie sich sicher etwas<br />

gebrochen“, vermutet Ute Conrad.<br />

Zurzeit muss Veronika Strohbel zwar wieder <strong>im</strong> Rollstuhl<br />

sitzen, aber da will die Seniorin so schnell wie möglich wieder<br />

raus. Für die Oberstdorferin sind die zwei Trainingseinheiten<br />

nicht mehr aus ihrem Alltag wegzudenken. „Ich fühle mich<br />

gut. Ich bin dadurch <strong>im</strong>mer noch gelenkig. Ich fühle mich sicher.<br />

Im Laufen. Im Stehen. Überall“, sagt Veronika Strohbel.<br />

In der Gruppe Spaß haben. „Auslockern. Tasten, ob der Stuhl<br />

noch da ist. Dann könnt Ihr Euch hinsetzen.“ Mit der Übung<br />

„Schauen in Nachbars Garten“, bei der sich die Teilnehmer so<br />

hoch wie möglich auf ihre Zehenspitzen stellen, ist das Trai-<br />

Ausgabe 6/09, 12. Jahrgang<br />

Die Hantelübung heißt „Fensteröffnen“ (Foto linke Seite), mit den<br />

Fußmanschetten (Foto oben) bauen die He<strong>im</strong>bewohner in Oberstdorf<br />

ihre Beinmuskulatur auf. Das Kraft- und Balancetraining steigert<br />

nicht nur die Standfestigkeit, sondern auch die Lebensfreude.<br />

ning vorbei. Bei der abschließenden Reflexionsrunde soll jeder<br />

sagen, wie er die Übungen empfunden hat und ob es Probleme<br />

gab. Ute Conrad protokolliert die Angaben und ihre<br />

eigenen Beobachtungen, um diese gegebenenfalls an die Pflegekräfte<br />

weiterzugeben und um die individuellen Trainingspläne<br />

anzupassen.<br />

Bei der Abschlussrunde ist die St<strong>im</strong>mung ausgelassen. Für<br />

Ute Conrad ist das typisch. Das Trainieren von Kraft, Beweglichkeit<br />

und Gleichgewicht ist für sie zwar zentrales Ziel der<br />

Übungen. Ebenso wichtig ist ihr aber die psychische Komponente.<br />

„Die Leute werden aus ihrem Alltagstrott herausgeholt<br />

und haben hier in der Gruppe Spaß“, sagt Ute Conrad. Zudem<br />

erleben die Teilnehmer, wie sie durch das Training in ihrem<br />

Alltag mobiler und selbstständiger werden. „Das ist einfach ein<br />

Stück mehr Lebensqualität.“ √<br />

Oliver Häußler ist freier Journalist. Kontakt: info@textboarder.de<br />

29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!