Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der ... - UK-Online
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Angelika Wetterer<br />
Die Verzweigeschlechtlichung <strong>der</strong> Natur:<br />
Wissenschaftliches Wissen als Medium <strong>der</strong> <strong>Geschlecht</strong>erkonstruktion<br />
In vielen Publikationen zur <strong>Geschlecht</strong>erkonstruktion findet sich an zentraler Stelle eine Darstellung<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Biologie entwickelten Verfahren <strong>der</strong> <strong>Geschlecht</strong>sbestimmung (vgl. u.a. Hagemann-White<br />
1984: 29-42, Lorber 1994: 37-54, Christi ansen 1995). Die Frage, die dabei iI::<br />
Hintergrund steht, ist, ob die Biologie eigentlich einlöst, was unser Alltagswissen ihr zuschreilx.<br />
ob sie ,wirklich' beweist, dass es <strong>von</strong> Natur aus zwei und nur zwei <strong>Geschlecht</strong>er gibt. Selbs<br />
wenn die Antwort nicht nur aus den bei Kessler/McKenna genannten Gründen negativ ausfallt _<br />
auch viele BiologInnen finden an und in den Körpern das schon <strong>von</strong> Mead beobachtete Kontinuum;<br />
zudem sind biologische <strong>Geschlecht</strong>sbestimmungen we<strong>der</strong> eindeutig, noch wi<strong>der</strong>spruchsfrei<br />
(vgl. Fausto-Sterling 1985,2000) -, so ist jedoch bereits die Frage selbst nicht unproblematisch.<br />
Sie lässt die Definitionsmacht <strong>der</strong> Biologie untangiert; und sie hält daran fest, man kö~<br />
einen ,objektiven', sozial unverstellten Blick auf den Körper werfen.<br />
Im Anschluss an die wissenschafts- und erkenntniskritischen Überlegungen <strong>von</strong> Kessler/McKenna<br />
und Hirschauer ist eine an<strong>der</strong>e Frage vordringlich: die Frage, inwiefern sich aue<br />
in <strong>der</strong> Biologie und an<strong>der</strong>en mit dem Menschen befassten Naturwissenschaften "die Konstrlli.teure<br />
des <strong>Geschlecht</strong>s auf frischer Tat ertappen" lassen. Sie lassen sich ,ertappen' - und zwar i::<br />
einem historisch relativ gut eingrenzbaren Zeitraum. Das wissenschaftliche Wissen um die ur<br />
türliche Zweigeschlechtlichkeit gewinnt - ebenso wie das Alltagswissen um die natürliche <strong>Geschlecht</strong>erdifferenz<br />
- im 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t zunehmend deutliche Konturen und wird C::<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t in Teildisziplinen <strong>der</strong> Biologie und Medizin weiter ausgebaut.<br />
Ein erster wichtiger Beitrag zur Rekonstruktion <strong>der</strong> Zweigeschlechtlichkeit als Wissenss~::r<br />
tem stammt <strong>von</strong> Thomas Laqueuer (1990, dt. 1992), <strong>der</strong> zeigt, wie im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong><br />
Medizin das noch aus <strong>der</strong> Antike stammende ,,Ein-<strong>Geschlecht</strong>er-Modell" abgelöst wird durc'.:<br />
ein "Zwei-<strong>Geschlecht</strong>er-Modell", das Männer und Frauen als grundlegend verschieden <strong>der</strong>..:<br />
und den Unterschied an den <strong>Geschlecht</strong>sorganen festmacht. Die weiblichen Genitalien si:::;:.<br />
nicht mehr die nach innen gewendete Version <strong>der</strong> männlichen und ansonsten aus dem gleicher<br />
Stoff gemacht, wenn auch nicht ganz so vollkommen. Frauenkörper und Männerkörper sind ::<br />
modemen, aufgeklärten Denkmodell durch und durch verschieden geworden.<br />
Das macht wenig später auch Claudia Honegger (1991) in ihrer Geschichte <strong>der</strong> Anthropologi:<br />
deutlich. In <strong>der</strong> neuen Wissenschaft vom Menschen, die im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t entsteht, repräsentJcT<br />
<strong>der</strong> Mann als ,Kulturwesen' den Menschen schlechthin. Die "Son<strong>der</strong>anthropologie des Weibe:<<br />
hingegen kann - vollends im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t - in <strong>der</strong> Gynäkologie abgehandelt werden: Für d..:<br />
Frau als ,Naturwesen' ist <strong>der</strong> Uterus zum zentralen Organ geworden. Ihm lässt sich auch die ,D.<br />
türliche Bestimmung des Weibes' entnehmen und so wird <strong>der</strong> Gynäkologe zum Sachverständigein<br />
allen Frauenfragen, seien diese körperlicher, psychischer, sozialer o<strong>der</strong> politischer Art.<br />
Im wahrsten Sinne des Wortes ver-zwei-geschlechtlicht wird im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t aber ni..::<br />
nur <strong>der</strong> Mensch, son<strong>der</strong>n die gesamte belebte Natur, wie Londa Schiebinger (1993, dt. 19951.;::<br />
Beispiel <strong>von</strong> Linnt5s Klassifikation <strong>der</strong> Arten anschaulich nachzeichnet. Selbst die Pflanzen, ~<br />
denen zuvor an<strong>der</strong>e Merkmale wichtig schienen, erhalten nun <strong>Geschlecht</strong>sorgane, ja sie li~<br />
im ,Brautbett' und, vermählen' sich. Instruktiv ist neben dem "Intimleben <strong>der</strong> Pflanzen" (Sc!:.<br />
binger 1995: 26-66) die Klärung <strong>der</strong> Frage, "woher die Säugetiere ihren Namen haben" (eh..<br />
67-113). Querverbindungen zur Sozialgeschichte und den politischen Diskussionen <strong>der</strong> Zeit. ~<br />
Debatte um das Ammenwesen, das Stillen und die ,natürliche' Mutterliebe (vgl. Badinter 19~<br />
machen eine auch in <strong>der</strong> zeitgenössischen Ikonografie ablesbare Obsession mit <strong>der</strong> weiblic"-.~<br />
Brust sichtbar, die in <strong>der</strong> Bezeichnung "mammalia" ihre Fortsetzung findet - obwohl <strong>der</strong> :::-nische<br />
Terminus nur die Hälfte <strong>der</strong> Spezies erfasst und deshalb Linnes sonstiger Systematli.<br />
gentlich nicht entspricht.<br />
In einer dezidiert wissenschaftstheoretischen und erkenntniskritischen Perspektive hat "-'<br />
Evelyn Fox-Keller die Metaphorik biologischen Denkens untersucht, wobei sie sich auf