Die institutionelle Architektur nach der Europäischen Verfassung ...

konstitutionelle Gründungsurkunde und als ein wichtiger, aber nicht endgültiger Schritt auf
dem Weg zu einer europäischen Föderation verstanden. 17
Im Vergleich zur Komplexität der bestehenden Rechtsgrundlagen ist der Inhalt des
Verfassungsvertrags hervorzuheben: seine Struktur orientiert sich mit einer Präambel, vier
Hauptteilen (Grundlagen, Die Charta der Grundrechte der Union, Die Politikbereiche und die
Arbeitsweise der Union, Allgemeine und Schlussbestimmungen) – trotz der Länge und einer
Vielzahl detaillierter Vorschriften – an Vorbildern konventioneller Verfassungen. Für eine
derartige Lesart spricht auch die Aufnahme von „Symbolen der Union“ (Artikel I-8), die an
die bewusste Förderung nationalstaatlicher Identität im 19. Jahrhundert erinnern.
Gegen diese Interpretation ist – ebenfalls neu – ein Recht auf „freiwilligen Austritt aus der
Union“ (Artikel I-60) zu erwähnen, der die Union eher als „Zweckgemeinschaft“ 18 oder
‚Bündnis auf Zeit’ erscheinen lässt. Auch die Verfahren zur Änderung des Vertrags bleiben
der Einstimmigkeit verpflichtet. So prägt die konventionelle Diskussion um eine eher
intergouvernementale 19 oder supranationale 20 bzw. föderale 21 Ausrichtung der Union auch die
Debatte um den Verfassungsvertrag. Ausgehend von einer „janusköpfigen Doppelnatur … aus
Supranationalität und Intergouvernementalität (des Verfassungsvertrags)“ 22 bietet sich
deshalb auch erneut ein Ansatz an, die konstitutionellen Entwicklungen als ein Prozess der
Fusion zwischen mehreren Ebenen und Institutionen zu beschreiben und zu erklären 23 .
Im Kontext derartiger politischer und wissenschaftlicher Bewertungen ist dieses Dokument
als ein zentraler Schlüssel zum Verständnis des europäischen Einigungsprozesses in einer
17
Vgl. Jo Leinen: A European Constitution – Without national veto!, in: The Federalist Debate 27/2004/2, S. 39-
42, S. 42; Andreas von Arnauld: Gedanken im Prozess der Konstitutionalisierung, Europarecht 2003, S. 191-
216; Günter Hirsch: EG: Kein Staat, aber eine Verfassung?, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S. 46-47;
Hobe: Bedingungen, 2003; ders.: Eine europäische Verfassung – wünschenswert oder überflüssig?, Köln 2003;
Christian Koenig: Ist die Europäische Union verfassungsfähig? Die Öffentliche Verwaltung, 1998, S. 268-275;
Ingolf Pernice: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: Veröffentlichung der Vereinigung der
deutschen Staatslehrer 60 (2000), S. 148-225; ders.: Multilevel constitutionalism and the Treaty of Amsterdam:
European Constitution-Making Revisited?, in: Common Market Law Review, 36/1999, S. 703-750; Matthias
Ruffert: Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft: Grundrechte – Institutionen – Kompetenzen
– Ratifizierung, Europarecht 2004, S. 14-17; Giovanni Grevi: A ‚flexible’ Constitutional Treaty?, in: The
Federal Trust for education and research. EU Constitution Project Newsletter, www: fedtrust.co.uk, 2004, S. 11.
18
Vgl. zu diesem Begriff Hans-Peter Ipsen: Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, S. 197ff.
19
Vgl. z.B. Vernon Bogdandor: A constitution for a House without Windows; in: The Federal Trust for
education and research. EU Constitution Project Newsletter, www: fedtrust.co.uk, 2004, S. 6.
20
Kirsty Hughes: A new division of power in the EU, in: The Federal Trust for education and research. EU
Constitution Project Newsletter, www: fedtrust.co.uk, 2004, S. 12.
21
Vgl. John Pinder: The Constitutional Treaty: how federal?, in: The Federal Trust for education and research.
EU Constitution Project Newsletter, www.fedtrust.co.uk, 2004, S. 7.
22
Vgl. Müller-Graff: Strukturmerkmale des neuen Verfassungsvertrages für Europa im Entwicklungsgang des
Primärrechts, in diesem Heft.
23
Vgl. Wolfgang Wessels: Die Öffnung des Staates. Modelle und Wirklichkeit grenzüberschreitender
Verwaltungspraxis 1960-1995, Opladen 2000; Der Verfassungsvertrag im Integrationstrend: Eine
Zusammenschau zentraler Ereignisse, in: integration 4/03, Bonn 2003, S. 284-301.