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Bindung, Ressourcen und Verantwortung als Leitmotiv kinder

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Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog?<br />

<strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

<strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung<br />

Bernhard Prankel, Birger Repp<br />

Juli 2003


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.2<br />

Inhalt<br />

1 Einführung <strong>und</strong> theoretischer Hintergr<strong>und</strong> 3<br />

2 Die Arbeitsaufgaben der Klinik 4<br />

2.1 Aufbauorganisation 4<br />

2.2 Ablauforganisation 4<br />

3 Die Arbeitsbedingungen 5<br />

3.1 Ökonomische <strong>Ressourcen</strong> 5<br />

3.2 Theoretische <strong>und</strong> methodische Erkenntnisse 5<br />

3.3 Spezifische Faktoren der Aufbauphase 5<br />

4 Die Organisationsentwicklung 7<br />

4.1 <strong>Bindung</strong> 7<br />

4.2 <strong>Ressourcen</strong> 8<br />

4.3 <strong>Verantwortung</strong> 9<br />

5 Exkurs: Strukturen der Entwicklung 10<br />

6 Literaturauswahl 11


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.3<br />

1 Einführung <strong>und</strong> theoretischer Hintergr<strong>und</strong><br />

Die Rotenburger Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong><br />

Psychotherapie wurde am 1. April 2000 zunächst mit einer Ambulanz<br />

eröffnet. Im Februar 2001 kamen die ersten tagesklinischen<br />

Patienten, <strong>und</strong> im Juni 2004 wird ein moderner Neubau fertig gestellt<br />

sein.<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie hat die Aufgabe,<br />

die körperliche, die emotionale <strong>und</strong> die intellektuelle Entwicklung<br />

von Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> ihren Familien mit<br />

psychosozialen Problemen, Störungen oder Erkrankungen zu<br />

erk<strong>und</strong>en, zu begleiten <strong>und</strong> zu fördern. Die Ziele von Diagnostik<br />

<strong>und</strong> Intervention sind dabei:<br />

1. die Förderung einer sicheren <strong>Bindung</strong> zu den<br />

2.<br />

Bezugspersonen bzw. Helfern (Kohäsion innerhalb des sozialen Entwicklungs- <strong>und</strong><br />

Anpassungsraumes),<br />

der Aufbau strukturierter innerer <strong>und</strong> äußerer <strong>Ressourcen</strong> (Kompetenzen hinsichtlich<br />

biologischer, psychischer <strong>und</strong> sozialer Selbst- <strong>und</strong> Fremdregulation),<br />

3. die Organisation eines entwicklungsfördernden Konzeptes der eigenen Wirksamkeit, welches<br />

für die Übernahme gesellschaftlicher <strong>Verantwortung</strong> notwendig ist (Kongruenz zwischen<br />

Individuum <strong>und</strong> Umfeld).<br />

Die Entwicklung einer funktionstüchtigen Versorgungseinrichtung beruht auf den selben<br />

Prinzipien:<br />

1. <strong>Bindung</strong>: Die Gestaltung einer flüssigen <strong>und</strong> strukturierten Kooperation zwischen den<br />

Versorgungssystemen<br />

Öffentlichkeit.<br />

Bildung, Jugendhilfe <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssystem sowie zur<br />

2. <strong>Ressourcen</strong>: Der Aufbau einer effizienten Binnenorganisation <strong>und</strong> die Entwicklung <strong>und</strong><br />

Fortschreibung moderner Konzepte für die klinische Arbeit (Ablauforganisation).<br />

3. <strong>Verantwortung</strong>: Die verlässliche Übernahme des gesellschaftlichen Versorgungsauftrages.<br />

<strong>Bindung</strong> – <strong>Ressourcen</strong> – <strong>Verantwortung</strong> stellt sich <strong>als</strong> ein eingängiges <strong>Leitmotiv</strong> dar, das sowohl<br />

die individuelle Entwicklung <strong>und</strong> die Interventionsprinzipien <strong>als</strong> auch die Organisationsentwicklung der<br />

Klinik begleitet.<br />

Es leitet sich aus einem neuen Entwicklungsmodell ab, nach<br />

dessen Kernaussage die Beziehung zwischen Individuum <strong>und</strong><br />

Umwelt durch einen adaptiven Wahrnehmungsprozess reguliert<br />

wird, der nur dann auf lange Sicht erfolgreich ist, wenn er die Eigenschaften<br />

einer Messung hat. Die drei genannten zentralen<br />

dynamischen Entwicklungsfaktoren ergeben sich, wenn man den<br />

Messkriterien der Objektivität, der Reliabilität <strong>und</strong> der Validität ihre<br />

psychosoziale Bedeutung beimisst (s. Exkurs: Strukturen der<br />

Entwicklung S.10).<br />

Im folgenden werden zunächst die Arbeitsaufgaben der Klinik <strong>und</strong><br />

deren äußere Bedingungen skizziert. Anschließend wird der<br />

adaptive Prozess der Organisationsentwicklung anhand der hier<br />

eingeführten Begriffe beschrieben.<br />

ENTWICKLUNGSMODELL (1)<br />

Kernaussage<br />

Die Beziehung zwischen<br />

Individuum <strong>und</strong> Umwelt<br />

wird durch einen adaptiven<br />

Wahrnehmungsprozess reguliert,<br />

der die Eigenschaften<br />

einer Messung hat.


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.4<br />

2 Die Arbeitsaufgaben der Klinik<br />

Die Arbeit der Klinik widmet sich der Entwicklung, der Fortschreibung <strong>und</strong> der Kontrolle der folgenden<br />

Aufgaben:<br />

ENTWICKLUNGSMODELL (2)<br />

2.1 Aufbauorganisation<br />

Finanzen<br />

Normensystem<br />

Person<strong>als</strong>ystem<br />

Informationssystem<br />

Projekt Klinikneubau<br />

2.2 Ablauforganisation<br />

Klientenversorgung:<br />

- Diagnostik der epidemiologisch wirksamen Risikofaktoren,<br />

der individuell zu beobachtenden <strong>Ressourcen</strong>, Ableitung<br />

der Reifungsdynamik <strong>und</strong> der Behandlungsziele,<br />

- Behandlung: Pädagogik <strong>und</strong> Therapie nach den Prinzipien<br />

<strong>Bindung</strong> – <strong>Ressourcen</strong> – <strong>Verantwortung</strong>,<br />

- Kooperation zwischen Klienten <strong>und</strong> Versorgungssystemen<br />

(Bildung, Jugendhilfe <strong>und</strong> Therapie).<br />

Versorgungsplanung der Klinik im Sozialverb<strong>und</strong> mit<br />

- dem weiteren Ges<strong>und</strong>heitssystem: zuweisende Ärzte,<br />

Fachärzte, Abteilungen des eigenen Hauses <strong>und</strong> externe<br />

Krankenhäuser, Fachgremien <strong>und</strong> Verbände auf<br />

-<br />

kommunaler, Landes- <strong>und</strong> nationaler Ebene,<br />

dem Bildungssystem: Kindergärten, Schulen,<br />

- der Jugendhilfe: Jugendämter, Jugendhilfeanbieter.<br />

Qualifikation der MitarbeiterInnen:<br />

- Einarbeitung: Mentorensystem, Systemhandbuch,<br />

-<br />

adaptive Struktur, Workshops,<br />

Ausbildung: Curricula für Krankenschwestern, Erzieher-<br />

Innen, Sozialpädagogen, Psychotherapeuten <strong>und</strong> Ärzten,<br />

- Interne <strong>und</strong> externe Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung: regionale<br />

Beratung <strong>und</strong> Fortbildung anderer Primär- <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>ärversorger,<br />

überregionale Ausbildung von Fachärzten,<br />

Psychotherapeuten, Pädagogen.<br />

Qualitätsentwicklung der Einrichtung:<br />

- Entwicklung der Aufbauorganisation: Differenzierung <strong>und</strong><br />

Evaluation der administrativen Strukturen,<br />

- Konzeptarbeit für die Klientenversorgung: Leitlinien zu<br />

Störungsbildern, Informationen für Klienten <strong>und</strong> Eltern, Curricula für die präventiven <strong>und</strong><br />

kurativen pädagogischen <strong>und</strong> therapeutischen Interventionen.<br />

Projekt Entwicklungstheorie<br />

Diagnostik (RRR)<br />

Epidemiologische RISIKEN:<br />

1. Materielle Organisation<br />

2. Bildung<br />

3. Soziale Normen<br />

4. Ges<strong>und</strong>heit der Familie<br />

5. Stabilität der Beziehungen <strong>und</strong><br />

Überschaubarkeit von<br />

Veränderungen<br />

Individuell beobachtbare<br />

RESSOURCEN:<br />

1. Biologische Funktionen<br />

2. Fähigkeiten zur Selbststeuerung<br />

3. Reife Beziehungsfähigkeit<br />

4. Anerkennende <strong>und</strong> förderliche<br />

Umgebung<br />

5. Bewusstsein <strong>und</strong><br />

Verantwortlichkeit<br />

Abzuleitende REIFUNGSDYNAMIK:<br />

1. Normale Entwicklungsaufgaben<br />

des Kindes<br />

2. Normale Entwicklungsaufgaben<br />

der Familie<br />

3. Entwicklungskonflikte<br />

4. Emotionale<br />

Entwicklungsfaktoren<br />

5. Kognitive Entwicklungsfaktoren<br />

ENTWICKLUNGSMODELL (3)<br />

Intervention<br />

1. <strong>Bindung</strong><br />

2. <strong>Ressourcen</strong><br />

3. <strong>Verantwortung</strong>


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<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.5<br />

3 Die Arbeitsbedingungen<br />

3.1 Ökonomische <strong>Ressourcen</strong><br />

Klienten: Die aktuelle wirtschaftliche <strong>und</strong> sozialpolitische Entwicklung mit abnehmenden materiellen<br />

<strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> weniger leistungsfähigen Versorgungssystemen trifft die Klienten <strong>als</strong> epidemiologisches<br />

Hauptrisiko für die Entwicklung psychosozialer Störungen.<br />

Professionelle: Bildung, Sozialhilfe <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen sind (<strong>und</strong> werden teilweise weiter) in<br />

ihren Mitteln eingeschränkt. Regional gab es bislang für die Region zwischen Elbe <strong>und</strong> Hannover<br />

<strong>und</strong> zwischen Hamburg <strong>und</strong> Bremen mit einer Million Einwohnern keine <strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrische<br />

Versorgung. Die weit entfernten Kliniken sind überfüllt, Kriseninterventionen ersetzen<br />

Therapien, <strong>und</strong> 14Jährige werden auf erwachsenenpsychiatrischen Stationen aufgenommen.<br />

Die Schnittstellen sind in mehrfacher Hinsicht betroffen:<br />

- Kurativ scheitert jede zweite behandlungswillige Patientenfamilie an der Hürde der langen<br />

Wartezeiten. Diejenigen, die sich gar nicht erst an die Klinik wenden, sind hier nicht erfasst.<br />

- Präventiv wird nur jede zwanzigste der Hochrisiko-Familien erreicht.<br />

- Der klientenunabhängige Behandlungsdruck verstärkt sich.<br />

- Zwischen den Versorgungsinstitutionen steigt das Risiko der Stellvertreterkonflikte.<br />

- Die Qualitätseinbuße wird unsystematisch reguliert: Termine werden gekürzt oder überzogen;<br />

andere Themen wie Dokumentation <strong>und</strong> Kooperation, Intervision oder Fortbildung, Konzepte<br />

<strong>und</strong> Aufbau kommen zu kurz.<br />

3.2 Theoretische <strong>und</strong> methodische Erkenntnisse<br />

Standardisierung der Methoden: Pädagogik <strong>und</strong> Psychotherapie sind kaum standardisiert.<br />

Effektivität der Methoden: Die Wirksamkeit der pädagogischen <strong>und</strong> therapeutische Intervention<br />

kann nicht unmittelbar erschlossen werden, da es keine allgemein anerkannten <strong>und</strong> aussagefähigen<br />

Messgrößen gibt <strong>und</strong> sich kontrollierte Bedingungen nur schwer herstellen lassen:<br />

- Disparate Interventionstheorien erschweren den empirischen Vergleich.<br />

- Individuelle Entwicklungsvarianten <strong>und</strong> Störungen hängen eng mit dem näheren ökologischen<br />

System <strong>und</strong> seinen vielfältigen Variablen zusammen.<br />

- Die Betroffenen stehen unter dem Druck ihrer Beeinträchtigung <strong>und</strong> der Unterversorgung.<br />

Dies beeinflusst die Wahrnehmung der Behandlungswirkung <strong>und</strong> auch die Wirksamkeit selbst.<br />

- Die Therapeuten können zwischen einem normalen Entwicklungsfortschritt <strong>und</strong> der Wirkung<br />

ihrer Behandlung nur schwer differenzieren. Auch sie urteilen über die Behandlungsindikation<br />

<strong>und</strong> den Therapieerfolg nicht unabhängig von Versorgungsfaktoren.<br />

- Pädagogische oder therapeutische Interventionen sind auf langfristige Wirkung angelegt.<br />

Diese lässt sich aber während der normalen Versorgung regelhaft nicht erheben. Häufig gilt<br />

die Devise: Wenn sich keiner mehr beklagt, ist das Ziel erreicht.<br />

3.3 Spezifische Faktoren der Aufbauphase<br />

Funktionen <strong>und</strong> Schnittstellen weiten sich aus:<br />

- Die kleine Klinik-Keimzelle aus fünf MitarbeiterInnen von vor drei Jahren befindet sich zur Zeit<br />

in einem Zwischenstadium (20 MitarbeiterInnen) <strong>und</strong> wird sich personell noch verdreifachen.<br />

Der zu Beginn fast familiäre Kontakt wird einer persönlich weniger intensiven Kooperation<br />

weichen.<br />

- Informationswege werden länger, <strong>Verantwortung</strong>en müssen geteilt werden, Entscheidungen<br />

werden vom Inhalt <strong>und</strong> vom Ablauf her komplexer.<br />

- Entscheidungsträger müssen sich profilieren, damit die volle Funktionstüchtigkeit der Klinik<br />

sicher gesteuert werden kann.


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<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.6<br />

Eine Reihe von Planungsfragen bleiben offen:<br />

- Wie viele <strong>und</strong> welche Patienten werden stationär behandelt werden? Die vorhandenen<br />

Informationen (regional heterogene Versorgung, Entfernungen, Bekanntheitsgrad) lassen dies<br />

nicht vorhersagen.<br />

- Ist die Finanzierung des Konzeptes gesichert? Wird es geeignete Instrumente für ein transparentes<br />

Controlling geben? Wie werden Krankenkassen <strong>und</strong> Klinik auf einander zugehen?<br />

- Greifen die neuen Konzepte für die vollstationäre Behandlung? Wie werden ambulante <strong>und</strong><br />

stationäre Behandlung zusammenspielen? Wird der Neubau das halten, was er verspricht?<br />

- Bekommt die Klinik qualifiziertes Personal? Wie werden sich Teamstrukturen ändern?<br />

- Wie wird sich die externe Kooperation mit Schule <strong>und</strong> Ämtern angesichts eines stärkeren <strong>Ressourcen</strong>-<br />

<strong>und</strong> Kommunikationsbedarfs ausbilden?<br />

Entscheidungen <strong>und</strong> Projekt-Prioritäten werden angesichts dieser Unwägbarkeiten häufiger <strong>als</strong> sonst<br />

revidiert. Dies ist durchaus ein Innovationsimpuls, bedeutet jedoch auch Unruhe, Irritation <strong>und</strong><br />

unvorhergesehene zusätzliche Arbeit.


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<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.7<br />

4 Die Organisationsentwicklung<br />

Das <strong>Leitmotiv</strong> <strong>Bindung</strong> – <strong>Ressourcen</strong> – <strong>Verantwortung</strong> zielt auf eine kontinuierliche Entwicklungsförderung<br />

sowohl in der Arbeit mit den Klienten <strong>und</strong> den Kooperationspartnern <strong>als</strong> auch unter den<br />

MitarbeiterInnen.<br />

4.1 <strong>Bindung</strong><br />

4.1.1 Klienten <strong>und</strong> Kooperationspartner<br />

Die Prinzipien Fallverantwortlichkeit, Bezugsbetreuung<br />

<strong>und</strong> multiprofessionelles Stationsteam fördern die<br />

therapeutische Allianz <strong>und</strong> verhindern eine mitarbeiterzentrierte<br />

Fließbandlogik (Psychologen testen, Ärzte untersuchen,<br />

Sozialarbeiter vermitteln, Krankenschwestern<br />

pflegen, MTAs sind für Apparate zuständig, Erzieher<br />

spielen, Ergotherapeuten basteln, Motopäden turnen mit<br />

dem Kind).<br />

Gestaltung der Schnittstellen:<br />

(1) Die Patientenanmeldung genießt erste Priorität: Speziell<br />

ausgebildete MitarbeiterInnen der Anmeldung<br />

nehmen während des Erstkontaktes die Anliegen der<br />

Klienten auf. Bei Bedarf beraten die Mitarbeiterinnen<br />

sich mit den Therapeuten.<br />

(2) Stationäre Aufnahmen werden vermittelt <strong>und</strong> nicht<br />

nur eingewiesen: Vor einer Entscheidung über die<br />

therapeutische Aufnahme besichtigen alle Klientenfamilien<br />

die Klinik. Mit Hilfe einer Fallkonferenz aus<br />

internen (Ambulanz <strong>und</strong> Tagesklinik) <strong>und</strong> externen<br />

Helfern (z.B. Jugendamt, Schule) formulieren die<br />

Eltern einen Behandlungsauftrag. Die Ambulanz<br />

übergibt ihre Information durch einen schriftlichen<br />

Bericht, der nach Einwilligung der Sorgeberechtigten<br />

an die zuweisenden Ärzte sowie alle Beteiligten<br />

einschließlich der Eltern geht. Aufnahmen <strong>und</strong> Entlassungen in Gruppen lassen Rituale wie<br />

ein Aufnahmefrühstück für Kinder <strong>und</strong> Eltern, Entlassungsfeste <strong>und</strong> längere Beziehungsaufnahmen<br />

der Kinder untereinander zu.<br />

(3) Krankenhausinterne Kooperation: Gemeinsame Projekte wie Konsile, Gruppentherapien <strong>und</strong><br />

Seminare innerhalb des Hauses mit der Kinderklinik, der Klinik für Psychiatrie <strong>und</strong> der<br />

Ernährungsberatung fördern das Zusammenspiel.<br />

(4) Zusammenarbeit zwischen Klinik <strong>und</strong> Schule, Ämtern <strong>und</strong> anderen Therapeuten: Der Rotenburger<br />

Kooperationsstandard sichert eine konfliktarme gemeinschaftliche Arbeit im Sinne der<br />

Klienten. Zu den ärztlichen <strong>und</strong> therapeutischen Zuweisern, den Schulen, den Jugendämtern<br />

<strong>und</strong> weiteren komplementären Einrichtungen wurde der Kontakt systematisch <strong>und</strong> persönlich<br />

aufgebaut, <strong>und</strong> mit einzelnen entstanden spezifische Kooperationsformen.<br />

4.1.2 MitarbeiterInnen<br />

Das Leitbild der<br />

Rotenburger Klinik<br />

1. Die Klinik arbeitet nach einem<br />

Menschenbild, das einheitlich<br />

auf die Entwicklung der Patienten<br />

wie der MitarbeiterInnen<br />

anwendbar ist.<br />

2. Eine sorgfältige Diagnostik<br />

umfasst die epidemiologischen<br />

Risikofaktoren, die <strong>Ressourcen</strong><br />

<strong>und</strong> die Reifungsdynamik.<br />

3. Eine wirksame Intervention<br />

richtet sich nach den Entwicklungsprinzipien<br />

<strong>Bindung</strong>,<br />

<strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>.<br />

4. Die Klinik strebt hinsichtlich<br />

Organisation <strong>und</strong> Kooperation<br />

den informierten Konsens an.<br />

5. Das Wohl der Patienten steht<br />

im Mittelpunkt der gesamten<br />

Klinikarbeit.<br />

Einarbeitungssystem: Durch eine mentorengestützte Einarbeitung mit Systemhandbuch,<br />

individuell-adaptiver Eingliederung in den Arbeitsprozess <strong>und</strong> strukturierte wechselseitige Rückmeldung<br />

werden <strong>Bindung</strong>s-, <strong>Ressourcen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>saspekte des neuen Mitarbeiters<br />

gesteuert.<br />

Für die Teamkultur fühlen sich alle MitarbeiterInnen täglich zuständig, <strong>und</strong> sie erinnern einander<br />

nötigenfalls auch daran. Es gibt ein Klima der offenen Türen, das die gegenseitige Unterstützung<br />

sichert <strong>und</strong> eine Nischenbildung verhindert. Die MitarbeiterInnen formulieren, dass die Klinikleitung<br />

in allen Belangen konstruktiv vor <strong>und</strong> hinter ihren MitarbeiterInnen steht. Insgesamt fördert<br />

der arbeitsintensive Aufbau der Klinik das Gemeinschaftsgefühl.


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.8<br />

4.2 <strong>Ressourcen</strong><br />

4.2.1 Klienten <strong>und</strong> Kooperationspartner<br />

Information (Informed Consense):<br />

(1) Alle Klienten werden nach der Anmeldung <strong>und</strong> vor der Erstvorstellung angeschrieben, sie<br />

erhalten eine Klinikinformation, <strong>und</strong> sie werden im Gegenzug angeleitet, alle Vorbef<strong>und</strong>e zu<br />

sammeln <strong>und</strong> mitzubringen. Im Einzelfall erhalten sie schon vorab spezifische Information,<br />

z.B. über den Umgang mit Schulschwierigkeiten.<br />

(2) Der Abschlussbericht wird <strong>als</strong> Interventionsschritt verstanden <strong>und</strong> generell an die Klienten<br />

<strong>und</strong> die Einweiser versandt. Dies sorgt für ein informiertes Einverständnis, leitet zur selbstverantwortlichen<br />

Meinungsbildung <strong>und</strong> Handlung an <strong>und</strong> fördert die vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit.<br />

(3) Die Verb<strong>und</strong>partner aus Bildung, Jugendhilfe <strong>und</strong> Therapeuten benutzen den (publizierten)<br />

„Kooperationsstandard“, welcher die Zuständigkeiten in Erinnerung ruft <strong>und</strong> den Austasch<br />

von Information über standardisiert.<br />

(4) Die Öffentlichkeit wird über Vorträge, Seminare, Internet, Presse <strong>und</strong> Merkblätter informiert.<br />

Standardisierter Kernarbeitsprozess: Alle Prozesse, von der Patientenaufnahme bis zum<br />

Abschlussbericht (z.B. auch Visiten, Supervisionen, Fallvorstellungen), unterliegen identischen<br />

Strukturen.<br />

Konzeptentwicklung: Konzepte, welche in der Klinik entwickelt wurden, z.B. zu den Themen<br />

Diagnostik, Intervention, Kooperation, Entwicklung, Teilleistungsschwächen, Essstörungen, Krisen,<br />

Arbeitsorganisation etc., fördern nachweisbar auch die Weiterentwicklung anderer Organisationen<br />

(Jugendhilfe-Einrichtungen, Ämter, Schulen, Kindergärten).<br />

4.2.2 MitarbeiterInnen<br />

Information:<br />

(1) Das aus der Klinik entwickelte <strong>und</strong> in<br />

Deutschland einmalige Systemhandbuch<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie gibt ei-<br />

Systemhandbuch:<br />

Gliederungsebenen 1-3<br />

nen verbindlichen <strong>und</strong> hohen Qualitätsstandard<br />

hinsichtlich Organisation <strong>und</strong><br />

Kernprozessen vor.<br />

A. Aufbauorganisation: Administration<br />

1. Leitziele<br />

Leitziele der Klinik, Leitziele des Krankenhauses<br />

(2) Die Ausschüsse für Patientenbehandlung,<br />

Tagesplanung, Bauplanung, Personalauswahl<br />

<strong>und</strong> Organisationsentwicklung sind<br />

systematisiert. Die Planung soll sich so<br />

2.<br />

3.<br />

Das Normensystem: Gesetze <strong>und</strong> Richtlinien<br />

Die Einrichtung. Die Klienten. Die MitarbeiterInnen<br />

Das Person<strong>als</strong>ystem<br />

Aufgabenbeziehungen, Leistungsbeziehungen,<br />

Auswahl <strong>und</strong> Einstellung, Arbeitsvertrag<br />

weit wie möglich auf dokumentierte Evidenzen<br />

stützen, etwa Quart<strong>als</strong>statistik, Belegungsstatistik,<br />

Wartelisten, landesweite<br />

Aufstellungen. Informed Consense gilt<br />

4.<br />

5.<br />

Das Informationssystem<br />

Gr<strong>und</strong>sätze zum Berichtswesen. Interne Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Organe. Externe Kommunikation. EDV.<br />

Relevante öffentliche Organe <strong>und</strong> Verbände<br />

Räume <strong>und</strong> Sachmittelsystem<br />

auch unter den Mitarbeitern.<br />

B. Ablauforganisation: Arbeitsprozesse<br />

(3) Das Öffentlichkeitsreferat des<br />

Krankenhauses stellt das Intranet, die wö-<br />

1. Der Behandlungsprozess<br />

Behandlungsgr<strong>und</strong>sätze, Behandlungsablauf,<br />

chentlichen Pressespiegel, die monatli-<br />

Abläufe in Funktionseinheiten der Einrichtung<br />

chen Mitarbeiterr<strong>und</strong>briefe <strong>und</strong> die Information<br />

der Mitarbeitervertretung sowie unregelmäßige<br />

R<strong>und</strong>mails zu aktuellen The-<br />

2. Die Dokumentation der Behandlung<br />

Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Systematik der Dokumentation,<br />

Tagesberichte, Abschlussberichte, Kostenverlängerungsanträgemen<br />

bereit.<br />

3. Qualitätsmanagement<br />

Persönliches QM, Institutionelles QM, Finanzen<br />

(4) Informationswege: Allen Mitarbeitern ist<br />

bewusst, dass in einer größeren Organisa- C. Anhang<br />

tion zwangsläufig Information verloren<br />

1. Behandlungsleitlinien<br />

geht, dass deshalb die gegenseitige Infor-<br />

2. Texte zur Weiterbildung<br />

mation sowohl Bringe- <strong>als</strong> auch Holeschuld<br />

ist <strong>und</strong> dass die standardisierte Do-<br />

3. Verzeichnisse<br />

kumentation des Kernarbeitsprozesses regelmäßig geübt werden muss.


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.9<br />

Qualifikation:<br />

(1) Durch Mitarbeiterjahresgespräche wird die Fachlichkeit der MitarbeiterInnen gesteuert.<br />

(2) Es wird eine kontinuierliche curricular gesteuerte interne <strong>und</strong> externe Aus- <strong>und</strong> Fortbildung<br />

angestrebt.<br />

(3) Fachinformation wird von Einzelnen gelesen <strong>und</strong> für die Übrigen zusammengefasst.<br />

(4) Durch die Mitgliedschaft in regionalen, nationalen <strong>und</strong> internationalen Verbänden ist der Zugang<br />

zu externer Information gewährleistet.<br />

(5) Durch ein hohes Vertrauen in das Unsicherheits- <strong>und</strong> Fehlermanagement jedes Einzelnen ist<br />

„Learning by doing“ eine akzeptierte Lernmethode. Teilschritte <strong>und</strong> Erfolge, Fehler <strong>und</strong><br />

Irrtümer der MitarbeiterInnen <strong>und</strong> auch der Leitung werden offen im Team angesprochen.<br />

Jede Erfahrung wird für konstruktive Weiterentwicklungen <strong>und</strong> Veränderungen gewürdigt.<br />

Einrichtungen: Eine gute vorläufige räumliche Ausstattung, zukünftig ein großzügiger Neubau,<br />

der Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen <strong>und</strong> eine gute EDV-Ausstattung mit Intranet- <strong>und</strong><br />

Internet-Zugang von allen Klinikmitarbeitern erleichtern die Arbeit.<br />

4.3 <strong>Verantwortung</strong><br />

4.3.1 Klienten <strong>und</strong> Kooperationspartner<br />

Klientenfamilien stellen sich in der Klinik vor, weil sie mit biopsychosozialen Normen in Konflikt<br />

geraten sind. Der Rahmen dieser Normen bestimmt auch für die MitarbeiterInnen der Klinik ihren<br />

gesellschaftlichen Auftrag. Das erste Ziel einer Behandlung ist es, den individuellen Auftrag der<br />

Klientenfamilie <strong>und</strong> den gesellschaftlichen Auftrag in Deckung zu bringen. Hierzu werden die Patientenfamilien<br />

angeleitet, soweit sie dies zulassen. Die Therapeuten prüfen dieses Kriterium an<br />

den drei Gr<strong>und</strong>fragen: (a) Steht die therapeutischen <strong>Bindung</strong>? (b) Orientiert sich die Arbeit an<br />

sorgfältig beobachteten <strong>Ressourcen</strong>? (c) Gibt es einen durchführbaren Auftrag <strong>und</strong> eine wirksame<br />

Teilung <strong>und</strong> Übernahme der <strong>Verantwortung</strong>?<br />

Alle Konzepte werden in ihrer Effizienz <strong>und</strong> ihrer Effektivität ständig in der Arbeit mit den Klienten<br />

überprüft, dafür dienen Fallberichte, Fall- <strong>und</strong> Stationsintervisionen etc.. Es wird angestrebt, das<br />

Behandlungskonzept wissenschaftlich zu evaluieren.<br />

4.3.2 MitarbeiterInnen<br />

Einbeziehung von Kollegen oder Vorgesetzten: Wenn Fallverantwortliche während einer<br />

Patientenbehandlung einen Kollegen oder einen Vorgesetzten hinzu ziehen, dann gilt dies <strong>als</strong> ein<br />

inhaltlich begründbarer Settingwechsel. Die MitarbeiterInnen wenden sich selbständig an die<br />

Leitung, wenn dies im Sinne der Patienten nötig ist, infolgedessen kennt die Leitung die Kompetenzen<br />

der MitarbeiterInnen. Dies wirkt <strong>als</strong> ständige vertrauensbildende Maßnahme, durch welche<br />

die MitarbeiterInnen sehr selbstverantwortlich arbeiten können.<br />

<strong>Verantwortung</strong> für den Kernarbeitsprozess: Drei Jahre<br />

nach der Eröffnung der Klinik <strong>und</strong> ein Jahr vor der Übernahme<br />

der regionalen Vollversorgung wurde im März 2003 eine<br />

interne Arbeitsgruppe mit einer Selbsteinschätzung der Organisation,<br />

der Konzepte <strong>und</strong> der Qualität der Arbeit nach dem<br />

Standard der European Fo<strong>und</strong>ation for Quality Management<br />

(EFQM) beauftragt. Diese zwei Klausurtage wurden von Dipl.-<br />

Psych. Birger Repp aus der Berliner QM-Firma aalto moderiert.<br />

Ein wesentliches Ergebnis war es, dass alle Mitarbeiter-<br />

Innen durch die Gestaltung einer hoch-effektiven Aufbauphase<br />

durchgehende Qualitätsmanagementstrukturen, einen<br />

engen fachlichen <strong>und</strong> persönlichen Zusammenhalt <strong>und</strong><br />

ein innovatives Klima erreicht haben <strong>und</strong> auch in Zukunft<br />

mitverantworten.<br />

EFQM-Kriterien<br />

2. Führung<br />

3. Politik <strong>und</strong> Strategie<br />

4. Mitarbeiterorientierung<br />

5. <strong>Ressourcen</strong><br />

6. Prozesse<br />

7. K<strong>und</strong>enzufriedenheit<br />

8. Mitarbeiterzufriedenheit<br />

9. Gesellschaftliche <strong>Verantwortung</strong><br />

10. Geschäftsergebnisse


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.10<br />

5 Exkurs: Strukturen der Entwicklung<br />

1. Vor einer Frage nach der Entwicklung muss das Objekt der Entwicklung bekannt sein:<br />

Leben ist eine komplexe Struktur, die mit ihrer unmittelbaren Umgebung Materie, Energie<br />

<strong>und</strong> Information austauscht <strong>und</strong> sich außerdem reproduziert.<br />

Diesen Austausch regulieren die organischen, die psychischen <strong>und</strong> die sozialen Strukturen eines<br />

Lebewesens durch Mess- <strong>und</strong> Regelprozesse mit den drei Elementen<br />

(1) der Sensorik, d.h. Messen von Abweichungen,<br />

(2) der Bewertung nach Toleranz oder Kompensationsbedarf <strong>und</strong><br />

(3) dem letztendlich motorischen Ausgleich.<br />

2. Im Prozess der psychosozialen Entwicklung (Regelkreis der Anpassung zwischen Individuum<br />

<strong>und</strong> Umwelt) übernimmt die Wahrnehmung <strong>als</strong> die Schnittstelle zwischen Individuum<br />

<strong>und</strong> Umwelt eine führende Rolle.<br />

Sie ist mit der Aufgabe betraut, einer Flut von Information über statische <strong>und</strong> veränderliche Bedingungen<br />

<strong>und</strong> deren Toleranzen Rechnung zu tragen. Mit der menschlichen Wahrnehmung ist im<br />

Laufe der H<strong>und</strong>erte von Jahrmillionen der Evolution ein hoch effektives multimodales Messinstrument<br />

entstanden, das die auf Anpassung zielende Informationsverarbeitung – das Lernen – revolutioniert<br />

hat: Gab es zunächst lediglich das universelle Lernen durch Versuch <strong>und</strong> Irrtum, welches<br />

auf physische Unterscheidung abzielte, wurde dieses später durch die Sensorik (Begreifen, Erfassen,<br />

Einsicht) <strong>und</strong> die gegenseitige Informationsausbeutung (Nachfühlen, Nachahmen, Nachvollziehen)<br />

ergänzt <strong>und</strong> zuletzt durch die aktive sprachgeb<strong>und</strong>ene Wahr-Nehmung im Sinne der Aneignung<br />

revolutioniert (Verständnis, Erkenntnis). Was wahr-scheint, wird wahr-genommen.<br />

3. Dieser adaptive Wahrnehmungsprozess muss die Eigenschaften einer Messung haben, um<br />

auf lange Sicht erfolgreich zu sein.<br />

Folgt man dem Gedanken, dass durch die Multimodalität der Wahrnehmung ein komplexes <strong>und</strong><br />

üblicherweise außerordentlich zuverlässiges Messinstrument entstanden ist, dann lässt es sich<br />

rechtfertigen, eine Verbindung zur Messtheorie herzustellen. Wenn die drei Gültigkeitskriterien der<br />

Objektivität (Beobachter-Unabhängigkeit), der Reliabilität (Verlässlichkeit) <strong>und</strong> der Validität<br />

(Gültigkeit bzw. Relevanz) in sozialpsychologische Begriffe überführt werden, dann erscheinen die<br />

drei G r u n d b e g r i f f e d e r E n t w i c k l u n g , auf welchen jegliche pädagogische <strong>und</strong><br />

therapeutische Arbeit beruht.<br />

A. <strong>Bindung</strong> ist durch übereinstimmende Wahrnehmung gewonnenes Einverständnis: Wir sehen<br />

dasselbe, <strong>und</strong> das eint uns (Objektivität Kohäsion).<br />

B. <strong>Ressourcen</strong> sind wiederkehrende <strong>und</strong> verlässliche Handlungserfolge, welche eine stabile<br />

Wahrnehmung voraussetzen: Beständiges Gelingen heißt, dass ich etwas kann (Reliabilität<br />

Kompetenzen).<br />

C. <strong>Verantwortung</strong> wird einer Person durch gesellschaftlich relevante Leistungs- <strong>und</strong><br />

Beziehungsaufgaben übertragen. Meine Meinungen bedeuten etwas, <strong>und</strong> meine Handlungen<br />

bewirken etwas (Validität ökologische Kongruenz).


Entwickeln sich Individuen <strong>und</strong> Organisationen analog? <strong>Bindung</strong>, <strong>Ressourcen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>als</strong> <strong>Leitmotiv</strong><br />

<strong>kinder</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischer Versorgung Bernhard Prankel, Birger Repp Rotenburg (Wümme), 07/2003 S.11<br />

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