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Ursachen für die Überlastung der Bremer Ausländerbehörde

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Gutachten<br />

<strong>Ursachen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Überlastung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde –<br />

unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

politischen Steuerung<br />

vorgelegt von Albert Timmer<br />

Bremen, den 05.05.2006<br />

IN DER BREMISCHEN BÜRGERSCHAFT<br />

SCHLACHTE 19/20<br />

28195 BREMEN<br />

TEL.: 0421/30 11-0<br />

FAX: 0421/30 11-250


Vorwort<br />

Seit Jahren steht <strong>die</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde in <strong>der</strong> Kritik. Wer kennt das nicht: lange<br />

Warteschlangen, mehrmaliges Vorsprechen, fehlende Schriftstücke, mangelhafte Aktenführung<br />

und keiner geht ans Telefon. Die Missstände sind seit langem bekannt. Organisationsuntersuchungen,<br />

<strong>die</strong> im Auftrag des Senators <strong>für</strong> Inneres durchgeführt wurden, unternahmen<br />

den Versuch, <strong>die</strong> Arbeitsstrukturen und –Abläufe zu optimieren, haben aber nichts<br />

gebracht. Neu zugeschnittene Zuständigkeitsbereiche und <strong>der</strong> Umzug in <strong>die</strong> Stresemannstraße<br />

än<strong>der</strong>n nichts an <strong>der</strong> unfreundlichen und ineffizienten Praxis im Auslän<strong>der</strong>amt. Im<br />

Gegenteil: <strong>die</strong> Anzahl an Beschwerden über <strong>die</strong> unzumutbaren Wartezeiten <strong>für</strong> eine Beantragung<br />

o<strong>der</strong> Verlängerung des Aufenthaltes steigt, obwohl <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> nach Bremen zugewan<strong>der</strong>ten<br />

Menschen bereits seit Jahren kontinuierlich abnimmt.<br />

Von Anfang an haben <strong>die</strong> Grünen bezweifelt, dass ausschließlich organisatorische Probleme<br />

<strong>der</strong> Grund <strong>für</strong> <strong>die</strong> ineffiziente Arbeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ist. Vielmehr lag <strong>für</strong> uns<br />

auf <strong>der</strong> Hand, dass <strong>die</strong> politische Steuerung, sprich <strong>die</strong> Vorgaben des Innensenators, sich<br />

nicht nur negativ <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen son<strong>der</strong>n auch auf <strong>die</strong> Arbeitsabläufe auswirken. Rund<br />

3.500 kurzfristig geduldete Menschen im Land Bremen bedeuten eben nicht nur versperrte<br />

Integrationsperspektiven, vor allem <strong>für</strong> junge Menschen, son<strong>der</strong>n auch eine vermeidbare<br />

Dauerbelastung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Behörde.<br />

Um <strong>die</strong> Hintergründe <strong>die</strong>ser Missstände aufzudecken, beauftragte <strong>die</strong> Grüne Bürgerschaftsfraktion<br />

den langjährig erfahrenden Rechtsanwalt und Auslän<strong>der</strong>rechtsexperten Albert<br />

Timmer mit dem hier vorliegenden Gutachten. Die Untersuchung rückt damit erstmalig <strong>die</strong><br />

politischen Vorgaben durch den Senator <strong>für</strong> Inneres und <strong>der</strong>en Auswirkungen auf <strong>die</strong> Praxis<br />

in den Mittelpunkt. Im Zentrum steht dabei <strong>die</strong> Frage, warum <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Senat <strong>die</strong><br />

Ermessensspielräume und alternativen Handlungsmöglichkeiten des neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes,<br />

zum Beispiel bei <strong>der</strong> Vermeidung von Kettenduldungen, nicht ausschöpft, wie<br />

<strong>die</strong>s an<strong>der</strong>e Bundeslän<strong>der</strong> tun.<br />

Die grüne Bürgerschaftsfraktion wird <strong>die</strong> in dem Gutachten gewonnen Erkenntnisse zum<br />

Bestandteil ihrer Arbeit innerhalb und außerhalb <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft machen.<br />

Der doppelte Nutzen einer verän<strong>der</strong>ten Steuerung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde werden verbesserte<br />

Integrationsmöglichkeiten <strong>für</strong> bisher an den Rand gedrängte Menschen - und damit <strong>für</strong><br />

uns alle - und eine effektivere Arbeit einer zentralen <strong>Bremer</strong> Behörde sein.<br />

Wir danken Albert Timmer <strong>für</strong> seine Arbeit und sein weit über den ursprünglichen Auftrag<br />

hinausgehendes Engagement und wünschen allen Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche<br />

Lektüre.<br />

Dr. Matthias Güldner<br />

Stv. Fraktionsvorsitzen<strong>der</strong><br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

I. Fragestellung und Zielsetzung des Gutachtens 4<br />

1. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen in <strong>der</strong> Kritik 4<br />

2. Fragestellung, Untersuchungsgegenstände und Akzentsetzung<br />

des Gutachtens 5<br />

3. Eine persönliche Anmerkung 8<br />

II. Die Rechtsquellen des Auslän<strong>der</strong>rechts 10<br />

III. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen 13<br />

1. Aufgaben und Tätigkeitsbereiche <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen 13<br />

2. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen und ihre Einbindung in <strong>die</strong> Verwaltungs-<br />

struktur des Bundeslandes Bremen 14<br />

2.1. Zurückliegende Untersuchungen zu Struktur und Arbeitsorganisation<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen 16<br />

2.2. Fazit <strong>der</strong> zurückliegenden Untersuchungen 18<br />

IV. Allgemeine politische und verwaltungsinterne Steuerungsvorgaben <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Auslände rbehörde Bremen 20<br />

1. Ermessensspielräume und unbestimmte Rechtsbegriffe im Auslän<strong>der</strong>recht 20<br />

2. Die Steuerung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durch Rechtsverordnungen,<br />

Erlasse und Anwendungshinweise 21<br />

3. Die Steuerung <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen Behördenentscheidungen in Bremen<br />

durch Erlasse und Anwendungshinweise des Senators <strong>für</strong> Inneres 22<br />

V. Beson<strong>der</strong>e Steuerungsvorgaben <strong>für</strong> den Bereich <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong><br />

und <strong>die</strong> Möglichkeiten zur Vermeidung von „Kettenduldungen“ 25<br />

1. Die geduldeten, ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> 25<br />

2. Die Anwendungsbereiche des § 25 AufenthG unter beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> bremischen Anwendungshinweise 31<br />

3. Die Gestaltung <strong>der</strong> gesetzlichen Regelungen in § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG 32<br />

3.1. Die Erteilung o<strong>der</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong> einen<br />

vorübergehenden Aufenthalt gem. § 25 Abs. 4 AufenthG 34<br />

3.1.1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG<br />

34<br />

2


3.1.2. Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen einer<br />

außergewöhnlichen Härte gem. § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG 37<br />

3.2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei einem längerfristigen<br />

Ausreisehin<strong>der</strong>nis gem. 25 Abs. 5 AufenthG 38<br />

3.2.1. Ausreisehin<strong>der</strong>nis und Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise 39<br />

3.2.2. Der Ausschluss <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

durch Erlasse gem. § 60 a AufenthG 41<br />

3.2.3. Zeitliche Prognose und Ausreisehin<strong>der</strong>nis 43<br />

3.2.4. Der Ausschluss des „verschuldeten Ausreisehin<strong>der</strong>nisses“ 43<br />

3.2.5. Die Berücksichtigung <strong>der</strong> allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen<br />

gem. § 5 AufenthG 45<br />

3.2.6. Die Ermessensreduzierung nach 18-monatiger Duldung<br />

gem. § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG 48<br />

3.3. Die Anwendung des § 25 AufenthG in <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis<br />

anhand von Fallbeispielen 48<br />

4. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach <strong>der</strong> Härtefallregelung des § 23 a<br />

AufenthG 54<br />

VI. Die Steuerung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durch <strong>die</strong> Setzung beson<strong>der</strong>er Schwerpunkte<br />

- Das Beispiel des Problembereichs <strong>der</strong> „Doppelidentitäten“ 55<br />

VII. Die Umsetzung des „One-Stop-Goverments“ beim Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt 60<br />

VIII. Die Zusammenarbeit zwischen Auslän<strong>der</strong>- und Sozialbehörde im Rahmen<br />

Der Mitteilungspflichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 66<br />

1. Sozialleistungsbezug und Asylbewerberleistungsgesetz 66<br />

2. Die Anspruchseinschränkung gem. § 1a AsylbLG 67<br />

3. Der Ausschluss <strong>der</strong> Anwendung des SGB XII gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG 70<br />

IX. Die Antragsbearbeitung durch <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen, <strong>die</strong><br />

Bearbeitung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren und <strong>die</strong> Erhebung von<br />

Untätigkeitsklagen 73<br />

X. Zusammenfassung 80<br />

3


I. Fragestellung und Zielsetzung des Gutachtens<br />

1. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen in <strong>der</strong> Kritik<br />

Seit Jahren wird mit immer wie<strong>der</strong>kehren<strong>der</strong> Regelmäßigkeit über Missstände in <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde berichtet. Kritik, <strong>die</strong> vor allem von Seiten <strong>der</strong> Betroffenen und <strong>der</strong>en<br />

Interessensvertretern 1 geführt wird und ihren Nie<strong>der</strong>schlag auch in <strong>der</strong> Berichterstattung<br />

<strong>der</strong> Me<strong>die</strong>n findet.<br />

Die Kritik ist vielfältig und unterschiedlich. Sie betrifft inhaltliche Entscheidungen <strong>der</strong><br />

Behörde mit negativen Folgen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen, beispielsweise über Ausweisungen und<br />

Abschiebungen. Sie betrifft aber auch <strong>die</strong> Art und Weise, wie <strong>die</strong> Behörde mit den Betroffenen,<br />

ihren Anliegen, Anträgen etc. umgeht. Fälle von unfreundlicher bis willkürlicher<br />

Behandlung <strong>der</strong> betroffenen Bürger durch Behördenmitarbeiter, lange Wartezeiten, vergebliche<br />

Vorsprachen, fehlende Informationsvermittlung, mangelnde Kommunikationsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Behördenmitarbeiter und unzureichende telefonische Erreichbarkeit.<br />

„Lange Schlangen, schlechter Service, unfreundliche Mitarbeiter“ so berichtete bspw. ‚<strong>die</strong><br />

tageszeitung’ (taz) im Juni 2001; einen "Ort staatlich sanktionierter Diskriminierung"<br />

nannte <strong>die</strong> frühere <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>beauftragte Dagmar Lill <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde im<br />

Jahre 2001 (taz vom 19. Juni 2001).<br />

Drei Jahre später erklärte <strong>der</strong> damalige <strong>Bremer</strong> Innensenator Kuno Böse in einer Presseerklärung:<br />

„Die Auslän<strong>der</strong>behörde, <strong>die</strong> als Abteilung des Stadtamtes Anlaufstelle <strong>für</strong> <strong>die</strong> rund 64.000<br />

in <strong>der</strong> Stadt Bremen lebenden Auslän<strong>der</strong> ist, wird Schritt <strong>für</strong> Schritt zu einem mo<strong>der</strong>nen<br />

Dienstleistungszentrum umgestaltet. .... Bestandteile <strong>die</strong>ser Umstrukturierung sind <strong>die</strong><br />

Schaffung kundenfreundlicher Räumlichkeiten, verlängerter, <strong>der</strong> Privatwirtschaft angepasster<br />

Öffnungszeiten, <strong>die</strong> Einrichtung eines Service-Points, eine bessere telefonische<br />

Erreichbarkeit <strong>der</strong> Mitarbeiter, eine verbesserte Motivation <strong>der</strong> Beschäftigten und eine<br />

höhere Qualität und Effektivität <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde“ (Pressemitteilung des<br />

Senators <strong>für</strong> Inneres und Sport vom 07. März 2003).<br />

Die Räumlichkeiten sind nach dem Umzug heller und freundlicher geworden. Ein Service-<br />

Point wurde eingerichtet. Geän<strong>der</strong>t hat sich an den grundlegenden Missständen aber offenbar<br />

wenig:<br />

So berichtete bspw. Radio Bremen am 22. August 2005 in <strong>der</strong> Regionalsendung ’Buten un<br />

Binnen’ in einem Beitrag über <strong>die</strong> Verhältnisse bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde und stellte fest,<br />

dass an einem beliebigen Werktag bereits morgens vor sechs Uhr eine Schlange von 66<br />

Menschen vor <strong>der</strong> Behörde warte. Ein Warten<strong>der</strong>, <strong>der</strong> schließlich <strong>die</strong> Wartenummer 24<br />

zog, berichtete, dass er bereits seit vier Uhr morgen angestanden habe, um überhaupt noch<br />

eine Wartenummer zu erhalten. Eine Anwältin berichtete, dass sie oft über zwei bis drei<br />

Wochen vergeblich versuchen würde, den zuständigen Sachbearbeiter zu erreichen. Die<br />

Leiterin <strong>der</strong> Behörde erklärte, dass man nicht den Service leisten könne, <strong>der</strong> geleistet werden<br />

müsse, weil nicht genügend Personal zur Verfügung stehe.<br />

1 Auf <strong>die</strong> durchgehende Verwendung einer geschlechtsneutralen Begrifflichkeit wird wegen <strong>der</strong> besseren<br />

Lesbarkeit verzichtet. Es wird insoweit um Nachsicht gebeten.<br />

4


Es mag in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache liegen, dass sich <strong>die</strong>jenigen eher beschweren, <strong>die</strong> negative<br />

Erfahrungen machen und <strong>die</strong> Entscheidungen <strong>der</strong> Behörde nicht nachvollziehen können.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn es um <strong>der</strong>art existenzielle Fragen geht, ob man in <strong>die</strong>sem Land<br />

weiter leben kann bzw. darf o<strong>der</strong> ob das Land, das mehr o<strong>der</strong> weniger zur Heimat geworden<br />

ist, verlassen werden muss. Positive Erfahrungen hingegen for<strong>der</strong>n selten dazu heraus,<br />

auch positive Kritik zu üben und <strong>die</strong>se sogar noch öffentlich zu machen. Dennoch fällt auf,<br />

dass bei <strong>der</strong> alljährlichen Suche nach „Deutschlands freundlichster Auslän<strong>der</strong>behörde“<br />

durch den Stifterverband <strong>der</strong> Deutschen Wissenschaft, <strong>der</strong> „Alexan<strong>der</strong> von Humboldt–<br />

Stiftung“, bislang lediglich ein einziges Mal im Jahre 2003 <strong>die</strong> Außenstelle <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

an <strong>der</strong> Universität Bremen positiv erwähnt wurde. Die Ergebnisse werden in einem<br />

jährlichen Jury-Bericht veröffentlicht 2 . Über <strong>die</strong> Hauptstelle <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

blieben <strong>die</strong> positiven Meldungen in den zurückliegenden Jahren, auch nach den Bemühungen<br />

<strong>die</strong> altbekannten Missstände abzustellen, allerdings aus.<br />

Die Tätigkeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde bewegt sich in einem Spannungsfeld. Einerseits soll<br />

sie kundenorientiert arbeiten und damit den Interessen und Problemen <strong>der</strong> Migranten und<br />

Zuwan<strong>der</strong>er gerecht werden. An<strong>der</strong>erseits obliegt ihr <strong>die</strong> Funktion, dem im Gesetz zum<br />

Ausdruck kommenden Interesse an einer Begrenzung und Steuerung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong><br />

Überwachung und Prüfung <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>für</strong> einen rechtmäßigen Aufenthalt von<br />

Zuwan<strong>der</strong>ern und Migranten nachzukommen. Dabei ist auch das Gesetz selbst von einem<br />

doppelten Charakter, dem hergebrachten polizeirechtlichen Charakter und dem <strong>der</strong> neueren<br />

Tendenz, Deutschland als Einwan<strong>der</strong>ungsland zu betrachten und zu akzeptieren, geprägt.<br />

Auch <strong>die</strong> politische Führung hat beide Elemente <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>politischen Zielsetzung zu<br />

berücksichtigen. Nach einem mittlerweile zehn Jahre alten Beschluss <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft<br />

vom 10. Oktober 1995 sollen in Bremen Ermessensspielräume zu Gunsten <strong>der</strong><br />

betroffenen Auslän<strong>der</strong> genutzt werden, sofern dem nicht zwingende öffentliche Gründe<br />

entgegenstehen 3 . Dieser Senatsbeschluss soll auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>der</strong>zeitige <strong>Bremer</strong> Landesregierung<br />

verbindlich sein, wie <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige Innensenator Röwekamp in <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft<br />

noch im Dezember 2005 betonte.<br />

2. Fragestellung, Untersuchungsgegenstände und Akzentsetzung des Gutachtens<br />

Die Untersuchung setzt an <strong>die</strong>sem zuvor beschriebenen Spannungsfeld an und versucht<br />

herauszuarbeiten, wo <strong>die</strong> maßgeblichen <strong>Ursachen</strong> <strong>für</strong> Missstände liegen, <strong>die</strong> von den Betroffenen,<br />

ihren Interessensvertretern und den Me<strong>die</strong>n immer wie<strong>der</strong> thematisiert worden<br />

sind.<br />

Dabei wird beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Frage nachgegangen, wie sich <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> Behörde mit ausreisepflichtigen<br />

geduldeten Auslän<strong>der</strong>n darstellt und wie sich in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

<strong>die</strong> politische Steuerung <strong>der</strong> Behörde auswirkt.<br />

2<br />

Stifterverband <strong>für</strong> <strong>die</strong> Deutsche Wissenschaft, Pressestelle, Die Begründung <strong>der</strong> Jury „Deutschlands freundlichste<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde“, jährliche Veröffentlichung.<br />

3<br />

Bremische Bürgerschaft, Drucksache 14/61, Beschluss auf Antrag <strong>der</strong> Fraktionen von SPD und CDU in <strong>der</strong><br />

Bremischen Bürgerschaft.<br />

5


Die Hauptfragestellungen <strong>die</strong>ser Untersuchung:<br />

• Erschweren und behin<strong>der</strong>n verwaltungstechnische und politische Vorgaben und<br />

strategische Entscheidung <strong>der</strong> senatorischen Behörde <strong>für</strong> Inneres, beson<strong>der</strong>s im<br />

Umgang mit ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n, das tägliche Geschäft des Amtes, versäumt<br />

es <strong>die</strong> senatorische Behörde, durch entsprechende Verwaltungsanweisungen<br />

<strong>die</strong> Arbeit des Amtes zu erleichtern und somit dem Bürgerschaftsbeschluss aus dem<br />

Jahre 1995 gerecht zu werden?<br />

• Werden dadurch <strong>die</strong> Chancen <strong>der</strong> AntragstellerInnen erschwert, einen <strong>für</strong> sie im<br />

Rahmen <strong>der</strong> geltenden Gesetze zulässigen, positiven Bescheid zu bekommen?<br />

• Werden dadurch <strong>die</strong> bremischen Verwaltungsgerichte zusätzlich belastet?<br />

• Verzögern <strong>die</strong>se Einflüsse <strong>die</strong> Antragsbearbeitung über ein erträgliches und rechtlich<br />

zulässiges Maß hinaus?<br />

• Welche Möglichkeiten bestehen, um Verfahren im Interesse <strong>der</strong> betroffenen Bürger<br />

im Rahmen <strong>der</strong> rechtlichen Möglichkeiten zu erleichtern und zu beschleunigen?<br />

Untersuchungsgegenstände sind dabei:<br />

• Die Nutzung von Ermessensspielräumen im Rahmen <strong>der</strong> geltenden Gesetze unter<br />

beson<strong>der</strong>er Beachtung <strong>der</strong> vorhandenen Erlasse und Anwendungshinweise.<br />

• Die Antragsbearbeitung und -bescheidung, bei Erteilung und Verlängerung von<br />

Aufenthaltserlaubnissen, Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnissen und Duldungen.<br />

• Die Verfahrenswege zwischen Auslän<strong>der</strong>amt und senatorischer Behörde, <strong>die</strong> Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit, <strong>der</strong> Sozialbehörde, Dauer <strong>der</strong> Beteiligungsverfahren,<br />

Beteiligungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Antragsteller und Arbeitgeber, (<strong>die</strong> Verbindung<br />

zwischen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisbescheiden und ihr Zustandekommen).<br />

• Die Kooperation mit weiteren externen Stellen, (Justiz, Polizeibehörden, Botschaften<br />

und Konsulate (in Visumsverfahren), Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge,<br />

Hauptgesundheitsamt etc.).<br />

• Die Bearbeitung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren durch <strong>die</strong> senatorische Behörde, Dauer<br />

<strong>der</strong> Verfahren, Untätigkeitsklagen gegen <strong>die</strong> senatorische Behörde.<br />

• Klagen vor den Verwaltungsgerichten unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Untätigkeitsklagen,<br />

<strong>der</strong> Prozessvertretung vor den Verwaltungsgerichten und <strong>der</strong> Einbindung<br />

<strong>der</strong> senatorischen Behörde in den gerichtlichen Verfahren, (das Verhalten<br />

des Amtes und <strong>der</strong> senatorischen Behörde vor den Verwaltungsgerichten).<br />

Die Untersuchung stützt sich, neben den gesetzlichen Vorschriften, im Wesentlichen auf<br />

folgende Quellen:<br />

- Rechtsverordnungen, Erlasse und Anwendungshinweise des Bundes, des <strong>Bremer</strong> Innensenators<br />

und an<strong>der</strong>er Bundeslän<strong>der</strong>,<br />

6


- Gerichtsentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts und Verwaltungsgerichts Bremen<br />

und an<strong>der</strong>er Gerichte,<br />

- zurückliegende Untersuchungen über <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen,<br />

- Berichte des <strong>Bremer</strong> Senats und senatorischer Behörden, Anfragen <strong>der</strong> politischen Parteien<br />

in <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft,<br />

- Berichte <strong>der</strong> Bundesregierung auf Anfragen von politischen Parteien im Deutschen Bundestag,<br />

- <strong>die</strong> Migrations- und Lageberichte <strong>der</strong> Bundesbeauftragten <strong>der</strong> Bundesregierung <strong>für</strong> Migration,<br />

Flüchtlinge und Integration,<br />

- <strong>die</strong> Auswertung von Fallakten aus <strong>der</strong> anwaltlichen Tätigkeit des Verfassers.<br />

Zum letztgenannten Punkt ist anzumerken, dass insoweit versucht wurde, den Sachverhalt<br />

<strong>der</strong> Fälle komprimiert und sachlich darzustellen. Bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Fallbeispiele hat <strong>der</strong><br />

Verfasser einerseits Wert darauf gelegt, Fälle mit exemplarischem Charakter zu dokumentieren,<br />

<strong>die</strong> an<strong>der</strong>erseits aber auch eine gewisse Aussagekraft besitzen. Unter Wahrung <strong>der</strong><br />

Anonymität werden lediglich - soweit gerichtliche Verfahren stattgefunden haben - <strong>die</strong><br />

Aktenzeichen <strong>der</strong> Vorgänge mitgeteilt.<br />

Akzentsetzung <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Der Verfasser konnte in <strong>die</strong>ser Untersuchung von vornherein nicht alle Bereiche des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

und <strong>der</strong> behördlichen Ermessensausübung in <strong>der</strong> täglichen Praxis berücksichtigen.<br />

Es musste eine Konzentration auf bestimmte Fragestellungen vorgenommen werden. Diese<br />

Konzentration hat bewusst zum Themenbereich <strong>der</strong> ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> und dem<br />

behördlichen Umgang mit ihnen geführt. Dies ergab sich aus hat mehreren Gründen:<br />

- Nach den Angaben im Migrationsbericht 2005 4 betrug <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> ausreisepflichtigen -<br />

geduldeten - Auslän<strong>der</strong> 3,1 % an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> im Bundesgebiet lebenden Auslän<strong>der</strong>.<br />

In <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde werden hingegen etwa 1/3 aller Mitarbeiter in dem Bereich<br />

beschäftigt, <strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> zuständig ist.<br />

- Die For<strong>der</strong>ung nach konsequenter Abschiebung von ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n wird<br />

immer wie<strong>der</strong> an <strong>die</strong> Behörden, in Bremen an den Senator <strong>für</strong> Inneres, herangetragen.<br />

- Die Zahl <strong>der</strong> ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>, <strong>die</strong> nicht abgeschoben werden (können), ist<br />

seit Jahren konstant, obwohl <strong>die</strong> Asylbewerberzahlen deutlich zurückgegangen sind.<br />

- Ein Großteil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> hält sich jedoch seit vielen Jahren in Deutschland<br />

auf, ohne das Abschiebungen möglich sind. An <strong>der</strong> unbefriedigenden aufenthaltsrechtlichen<br />

Situation <strong>die</strong>ses Personenkreises gibt es vielfältige Kritik, z.B. <strong>der</strong> Kirchen, <strong>der</strong><br />

Wohlfahrtsverbände und <strong>der</strong> Flüchtlingsinitiativen.<br />

- Der Gesetzgeber hat mit dem neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz beabsichtigt, <strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong><br />

Kettenduldungen zu modifizieren und Übergänge zu Aufenthaltsrechten zu erleichtern,<br />

Kernpunkte sind insoweit <strong>die</strong> Regelungen in § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG.<br />

4 Bericht <strong>der</strong> Beauftragten <strong>der</strong> Bundesregierung <strong>für</strong> Migration, Flüchtlinge und Integration über <strong>die</strong> Lage <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong> in Deutschland (im Folgenden: Migrationsbericht 2005), Berlin, August<br />

2005, Anlage, Tabelle 12, S. 571.<br />

7


Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Zielsetzungen des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes und dem bereits oben<br />

erwähnten Beschluss <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft zur Nutzung von Ermessensspielräumen<br />

soll in <strong>die</strong>sem Gutachten untersucht werden, von welchen rechtlichen Steuerungsmaßnahmen<br />

<strong>die</strong> Ausrichtung <strong>der</strong> Behördentätigkeit begleitet wird und ob ggf. Alternativen<br />

dazu vorhanden sind.<br />

Dabei liegt es nahe, dass bei einem Übergang von geduldeten Auslän<strong>der</strong>n mit einem langfristigen<br />

o<strong>der</strong> dauerhaften Ausreisehin<strong>der</strong>nis in ein Aufenthaltsrecht, <strong>der</strong> Behördenbereich,<br />

<strong>der</strong> mit <strong>die</strong>sem Bereich betraut ist, deutlich entlastet werden kann und das Personal <strong>für</strong><br />

an<strong>der</strong>e Aufgaben zur Verfügung steht.<br />

Weiter wird <strong>der</strong> Verfasser sich den Bereichen <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

mit <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit bei <strong>der</strong> Umsetzung des sogenannten „One-Stop-<br />

Government“ durch <strong>die</strong> Vereinheitlichung von Arbeitserlaubnis- und Aufenthaltsregelungen<br />

im neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz zuwenden. Nicht zuletzt soll in Bezug auf <strong>die</strong> Anwendung<br />

des Asylbewerberleistungsgesetzes <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen Auslän<strong>der</strong>-<br />

und Sozialbehörde untersucht werden.<br />

Der Verfasser hat sich in dem Gutachten nicht mit dem strukturellen Wandel des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

durch <strong>die</strong> Europäisierung des Auslän<strong>der</strong>- und Asylrechts auseinan<strong>der</strong>gesetzt,<br />

obwohl <strong>die</strong>s Gegenstand aktueller Diskussion und Kritiken ist 5 . Die Umsetzung von mittlerweile<br />

elf EU-Richtlinien ist zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Abfassung des Gutachtens in vollem<br />

Gange. Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat am 3. Januar 2006 den Entwurf eines<br />

Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union vorgelegt und auf <strong>der</strong> Internet-Seite <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Innenbehörde ist erst jüngst <strong>der</strong><br />

Erlass vom 24. Februar 2006 zur einstweiligen Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinien 2003/109/EG<br />

des Rats vom 25. November 2003 betreffend <strong>die</strong> Rechtsstellung <strong>der</strong> langfristig aufenthaltsberechtigten<br />

Drittstaatsangehörigen veröffentlich worden 6 . Da <strong>die</strong>se Untersuchung sich<br />

allerdings mit den Erfahrungen in <strong>der</strong> behördlichen Praxis auseinan<strong>der</strong>setzen will, schien<br />

es angebracht, <strong>die</strong>se gesetzgeberischen Maßnahmen hier unberücksichtigt zu lassen.<br />

Anhand <strong>der</strong> untersuchten Bereiche sollen auch exemplarisch <strong>die</strong> Verfahrenswege <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

<strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong> Antragbearbeitung und <strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit<br />

an<strong>der</strong>en Behörden dargestellt und problematisiert werden.<br />

3. Eine persönliche Anmerkung<br />

Der Leser <strong>die</strong>ser Untersuchung mag berücksichtigen, dass <strong>der</strong> Verfasser seit vielen Jahren<br />

als Anwalt und Interessensvertreter von Migranten und Zuwan<strong>der</strong>ern mit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

zu tun hat. Diese täglichen Erfahrungen sind in <strong>die</strong> vorliegende Untersuchung eingeflossen.<br />

Dabei ist dem Verfasser bewusst, dass Anwälte meist erst dann zu Rate gezogen<br />

werden, wenn Schwierigkeiten auftauchen und <strong>die</strong> Betroffenen <strong>der</strong> Auffassung sind, ihre<br />

Interessen würden nicht angemessen berücksichtigt. In <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis<br />

wird es eine Vielzahl von täglichen Fällen geben, <strong>die</strong> ohne beson<strong>der</strong>e Schwierigkeit <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

5 Z.B.: Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts-<br />

und asylrechtlicher Richtlinien <strong>der</strong> Europäischen Union, Stellungnahme Nr. 8/2006, März 2006.<br />

6 ABl. 2004 L 16, S. 44.<br />

8


Betroffenen bearbeitet werden und keinen Grund zu Beanstandungen geben. Dies ist dem<br />

Verfasser bewusst und sollte auch dem Leser bewusst sein.<br />

Der Verfasser hat nicht den Anspruch eine völlig ausgewogene, alles umfassende und<br />

sachliche Stu<strong>die</strong> über <strong>die</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde abzuliefern. Die Interessenslage<br />

<strong>der</strong> Betroffenen, eine <strong>für</strong> sie günstige Entscheidung herbeizuführen, ist Bestandteil <strong>der</strong><br />

beruflichen Tätigkeit des Verfassers und prägt auch <strong>die</strong>se Arbeit.<br />

Dem Verfasser ist bewusst, dass <strong>die</strong> Begrifflichkeiten des Auslän<strong>der</strong>rechts eine Sichtweise<br />

beinhalten, <strong>die</strong> inhaltlich eigentlich nicht zutreffend ist und auch nicht <strong>die</strong> Sichtweise des<br />

Verfassers ist. Zahlreiche in Bremen lebende „Auslän<strong>der</strong>“ sind Inlän<strong>der</strong> ohne deutschen<br />

Pass. Für viele ist Bremen längst Heimat o<strong>der</strong> mittlerweile Heimat geworden. Sie sind<br />

Bürgerinnen und Bürger <strong>die</strong>ser Stadt, ohne allerdings <strong>die</strong>selben tatsächlichen und rechtlichen<br />

Möglichkeiten zu haben, wie viele an<strong>der</strong>e Bürgerinnen und Bürger <strong>der</strong> Stadt.<br />

Wenn dennoch <strong>der</strong> Begriff des Auslän<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit verwandt wird, so ist<br />

<strong>die</strong>s dem Umstand geschuldet, dass <strong>die</strong>ser Begriff durch das Gesetz, Rechtsverordnungen,<br />

Gerichtsentscheidungen und <strong>die</strong> rechtliche Diskussion vorgegeben ist und vereinheitlicht<br />

wurde, sodass <strong>der</strong> Verfasser sich nicht davon freimachen konnte. Auf eine Nutzung an<strong>der</strong>er<br />

Begriffe (Migranten, Zuwan<strong>der</strong>er, Inlän<strong>der</strong> ohne deutschen Pass u.a.), <strong>die</strong> inhaltlich<br />

zutreffen<strong>der</strong> wären, wurde deshalb verzichtet. Es wird insoweit um Nachsicht gebeten.<br />

9


II. Die Rechtsquellen des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

Die maßgeblichen Rechtsvorschriften des einfachen Gesetzesrechtes sind im Aufenthaltsgesetz<br />

(AufenthG) 7 enthalten. Dieses Gesetz ist Kernstück <strong>der</strong> Neuregelung des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, das zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Das<br />

Aufenthaltsgesetz hat das Auslän<strong>der</strong>gesetz von 1990 abgelöst. In § 1 des Aufenthaltsgesetzes<br />

wird <strong>der</strong> Zweck und <strong>der</strong> Anwendungsbereich des Gesetzes umrissen. Es heißt dort u.a.:<br />

Das Gesetz <strong>die</strong>nt <strong>der</strong> Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Auslän<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwan<strong>der</strong>ung unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie <strong>der</strong> wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen<br />

Interessen <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland. Es soll damit zugleich, <strong>der</strong> Erfüllung<br />

<strong>der</strong> humanitären Verpflichtungen <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland <strong>die</strong>nen und <strong>die</strong> Einreise,<br />

den Aufenthalt, <strong>die</strong> Erwerbstätigkeit und <strong>die</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Integration von Auslän<strong>der</strong>n<br />

regeln (§ 1 Abs. 1 AufenthG).<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Schaffung des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes war u.a. <strong>die</strong> vom BMI berufene<br />

Unabhängige Kommission „Zuwan<strong>der</strong>ung“, <strong>die</strong> in einem Bericht von Juli 2001 zur Feststellung<br />

gelangte, dass Deutschland ein Zuwan<strong>der</strong>ungsland sei und <strong>die</strong>se aus demografischen<br />

Gründen auch erfor<strong>der</strong>lich sei 8 .<br />

Damit ist in gewisser Weise ein Paradigmenwechsel im Auslän<strong>der</strong>recht vollzogen worden.<br />

Das Auslän<strong>der</strong>recht ist von seiner Historie und in seiner bisherigen Ausprägung von einer<br />

gefahren- und polizeirechtlichen Ausrichtung dominiert worden 9 . Allerdings hat beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>der</strong> Verlauf des überaus langen Gesetzgebungsverfahren gezeigt, dass letztendlich <strong>die</strong> polizeirechtlichen<br />

Elemente des Auslän<strong>der</strong>rechts eine deutliche Ausprägung im Gesetz erfahren<br />

haben und das Gesetz allenfalls als Kompromiss zwischen den beiden Elementen (Zulassung<br />

und Steuerung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> einen Seite und Begrenzung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

und des Aufenthaltes von Auslän<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite) verstanden werden<br />

kann 10 .<br />

Maßgebliche rechtliche Vorschriften des Auslän<strong>der</strong>rechts sind allerdings sowohl im Völker-<br />

und Europäischen Gemeinschaftsrecht, im deutschen Verfassungsrecht sowie im weiteren<br />

einfachen Gesetzesrecht zu finden.<br />

Für den Bereich des Völkerrechts sind insbeson<strong>der</strong>e <strong>die</strong> Regelungen <strong>der</strong> Genfer-<br />

Flüchtlingskonvention v. 28. Juli 1951 11 , das Abkommen über <strong>die</strong> Rechtsstellung <strong>der</strong> Staatenlosen<br />

12 und <strong>die</strong> Europäische Konvention zum Schutze <strong>der</strong> Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />

(EMRK) 13 zu nennen.<br />

Weiterhin spielt das Europäische Gemeinschaftsrecht <strong>für</strong> <strong>die</strong> Unionsbürger und ihre Familienangehörigen<br />

und auch <strong>für</strong> weitere Staatsangehörige, z.B. <strong>für</strong> türkische Staatsangehöri-<br />

7<br />

Gesetz über den Aufenthalt, <strong>die</strong> Erwerbstätigkeit und <strong>die</strong> Integration von Auslän<strong>der</strong>n im Bundesgebiet v.<br />

30.07.2004, BGBl. 2004 I 1950.<br />

8<br />

„Zuwan<strong>der</strong>ung gestalten – Integration för<strong>der</strong>n“, Bericht <strong>der</strong> unabhängigen Kommission „Zuwan<strong>der</strong>ung“,<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung gestalten - Integration för<strong>der</strong>n, Berlin 2001, einsehbar unter: www.bmi.bund.de.<br />

9<br />

Renner, Auslän<strong>der</strong>recht in Deutschland, 1998, 7. Teil, Rn. 3.<br />

10 Renner, ZAR, 2004, 266 ff.<br />

11 BGBl. 1953 II 559.<br />

12 BGBl. 1976 II 473.<br />

13 BGBl. 1992 II 685, 953.<br />

10


ge, eine nicht unerhebliche Rolle. Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen <strong>für</strong> EU-<br />

Staatsangehörige und <strong>der</strong>en Angehörige wurden mit <strong>der</strong> Neuregelung des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

zum 1. Januar 2005 im Freizügigkeitsgesetz/EU 14 zusammengefasst. Zum Gemeinschaftsrecht<br />

gehören weiter <strong>die</strong> Regelungen des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum<br />

(EWR) 15 und <strong>die</strong> Europa-Abkommen, z.B. mit Polen 16 das Schengener Durchführungsabkommens<br />

v. 19. Juni 1990 17 und <strong>für</strong> türkische Staatsangehörige das Assoziationsrecht<br />

EWG/Türkei 18 .<br />

Von weiterer erheblicher Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>der</strong>zeitige Entwicklung des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland werden <strong>die</strong> aktuellen Verän<strong>der</strong>ungen durch <strong>die</strong> anstehende<br />

Umsetzung <strong>der</strong> insgesamt elf EU-Richtlinien sein, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> Unionsbürgerrechte,<br />

im Wesentlichen aber auf <strong>die</strong> Bereiche des Asyl- und Einwan<strong>der</strong>ungsrechts beziehen 19 .<br />

Im Grundgesetz <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland finden sich rechtliche Regelungen <strong>für</strong><br />

Nichtdeutsche ausdrücklich in Art. 16 (Entzug, Verlust <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit)<br />

Art. 16a (Gewährung von Asyl) und Art. 116 („Vertriebenen“-Regelungen).<br />

Zum Aufenthaltsgesetz liegen weiterhin eine Reihe von Verordnungen vor. Hier seien beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>die</strong> Aufenthaltsverordnung (AufenthV) 20 , <strong>die</strong> Beschäftigungsverordnung<br />

(BeschV) 21 und <strong>die</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) 22 erwähnt. Die<br />

beiden letztgenannten Verordnungen sollen den Zugang von Auslän<strong>der</strong>n zum Arbeitsmarkt<br />

regeln. Zu erwähnen sind darüber hinaus <strong>die</strong> Regelungen im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG),<br />

in dem <strong>die</strong> Regelungen über das Verfahren zur Asylanerkennung nach Art. 16a<br />

GG, über <strong>die</strong> Anerkennung als politisch Verfolgter nach <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention,<br />

nach § 60 AufenthG und <strong>der</strong> Verordnung EG Nr. 343/ 2003 23 zu finden sind.<br />

Diese äußerst knapp gehaltene Aufstellung von wichtigen Rechtsquellen des deutschen<br />

Auslän<strong>der</strong>rechts zeigt bereits <strong>die</strong> Schwierigkeiten auf, <strong>die</strong> mit den Aufgabenstellungen zur<br />

Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsrechten, aber ggf. auch mit <strong>der</strong> Beendigung<br />

von Aufenthaltstiteln, verbunden ist. Darüber hinaus bestehen eine Vielzahl von rechtlichen<br />

Regelungen auch außerhalb des einfachen Gesetzesrechts. Für <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> Aufgabenwahrnehmung<br />

befassten Mitarbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde eine nicht immer leicht zu bewältigende<br />

Aufgabe.<br />

Für <strong>die</strong> praktische Tätigkeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden bilden zumeist das einfache Gesetzesrecht,<br />

ergänzt durch Verordnungen und Erlasse, <strong>die</strong> Basis <strong>der</strong> Behördenentscheidungen.<br />

14 BGBl. 2004 I 1950, 1986.<br />

15 BGBl. 1993 II 804.<br />

16 BGBl. 1993 II 1294.<br />

17 BGBl. 1993 II 1013.<br />

18 Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über <strong>die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Assoziation, veröffentlicht<br />

in: Amtliche Nachrichten <strong>der</strong> Bundesanstalt <strong>für</strong> Arbeit (ANBA) 1981, 2.<br />

19 Vgl. dazu Kluth, Reichweite und Folgen <strong>der</strong> Europäisierung des Auslän<strong>der</strong>- und Asylrechts, ZAR 2006, 1<br />

ff.<br />

20 Verordnung zur Durchführung des Aufenthaltsgesetzes v. 25.11.2004, BGBl. 2004 I 2945.<br />

21 Verordnung über <strong>die</strong> Zulassung von neueinreisenden Auslän<strong>der</strong>n zur Ausübung einer Beschäftigung v.<br />

22.11.2004, BGBl. 2004 I 2937.<br />

22 Verordnung über das Verfahren und <strong>die</strong> Zulassung von im Inland lebenden Auslän<strong>der</strong>n zur Ausübung<br />

einer Beschäftigung v. 22.11.2004, BGBl. 2004 I 2934.<br />

23 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung <strong>der</strong> Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des<br />

Mitgliedsstaats, <strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten<br />

Asylantrages zuständig ist, ABl. 2003 L 50, S. 1.<br />

11


Allerdings ist <strong>die</strong> Berücksichtigung völkerrechtlicher und gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften<br />

mit <strong>der</strong> Neuregelung des Auslän<strong>der</strong>rechts zum 1. Januar 2005 verstärkt auch ins<br />

Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. So wird in § 4 Abs. 1 und 5 AufenthG ausdrücklich<br />

auf <strong>die</strong> beson<strong>der</strong>e Rechtsstellung <strong>der</strong> Personen hingewiesen, <strong>die</strong> ein Aufenthaltsrecht<br />

nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei besitzen. Wie im Auslän<strong>der</strong>gesetz vom 1.<br />

Januar1990 wird weiterhin ausdrücklich <strong>die</strong> Anwendung <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention<br />

in § 60 Abs. 1 AufenthG geregelt und auf völker- und verfassungsrechtliche Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

(§ 60 Abs. 2, 3, 4, 5 und 7 AufenthG) verwiesen.<br />

12


III. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen<br />

1. Aufgaben und Tätigkeitsbereiche <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen<br />

Auslän<strong>der</strong> bedürfen <strong>für</strong> den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, es sei denn<br />

sie genießen aufgrund von Rechtsvorschriften Freizügigkeit (z.B. nach dem Recht <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union) o<strong>der</strong> sind aufgrund von Rechtsvorschriften von <strong>die</strong>ser Pflicht befreit (§<br />

4 Abs. 1 AufenthG).<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist <strong>für</strong> den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes zuständig 24 .<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen ist <strong>für</strong> alle Angelegenheiten zuständig, <strong>die</strong> den Aufenthaltsstatus<br />

von Auslän<strong>der</strong>n betreffen, <strong>die</strong> sich im Bereich <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen aufhalten.<br />

Die Stadt <strong>Bremer</strong>haven hat eine eigene Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Aufenthaltstitel können o<strong>der</strong> müssen erteilt o<strong>der</strong> auch verlängert werden. Unter bestimmten<br />

Voraussetzungen kann eine zweckungebundene und unbefristete Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

erteilt werden. Aufenthaltstitel können aber auch wi<strong>der</strong>rufen werden. Unter bestimmten<br />

Voraussetzungen, insbeson<strong>der</strong>e bei schwerwiegenden Straftaten, können, sollen<br />

o<strong>der</strong> müssen Ausweisungsverfügungen erlassen werden. Seit Inkrafttreten des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetztes<br />

hat <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde außerdem Feststellungen zur Berechtigung o<strong>der</strong><br />

Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationskursen zu treffen (§§ 44, 44a AufenthG). Weiterhin<br />

hat <strong>die</strong> Behörde <strong>für</strong> Auslän<strong>der</strong>, <strong>die</strong> nicht in Besitz eines gültigen Passes sind, Ausweisersatzpapiere<br />

o<strong>der</strong> Reiseausweise auszustellen (§ 48 Abs. 2 und 3 AufenthG).<br />

Zum Tätigkeitsbereich <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde gehört auch <strong>die</strong> Kommunikation und Zusammenarbeit<br />

mit an<strong>der</strong>en Behörden, zum Beispiel im Rahmen des vorgesehenen Datenaustausches<br />

(Justiz, Sozialverwaltung, Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit), <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit<br />

den deutschen Auslandsvertretungen (zum Beispiel in Visumsverfahren), <strong>der</strong> Amtshilfe <strong>für</strong><br />

an<strong>der</strong>e Behörden o<strong>der</strong> <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e Auslän<strong>der</strong>behörden im Bundesgebiet. Die Zusammenarbeit<br />

mit dem Bundesamt <strong>für</strong> Migration im Zusammenhang mit Feststellungen zur Berechtigung<br />

o<strong>der</strong> Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationskursen ist ein neues Aufgabenfeld<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes.<br />

Für <strong>die</strong> Verfahren von Flüchtlingen - Asylanträge, Feststellung <strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft<br />

o<strong>der</strong> von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen sowie <strong>für</strong> auslän<strong>der</strong>rechtliche Maßnahmen und Entscheidungen<br />

in <strong>die</strong>sem Zusammenhang - ist das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge<br />

mit seinen Außenstellen zuständig (§ 5 AsylVfG). Das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und<br />

Flüchtlinge ist eine Bundesbehörde, <strong>die</strong> unmittelbar dem Bundesinnenministerium untersteht.<br />

Der Vollzug des Asylverfahrensgesetzes obliegt - im Gegensatz zum sonstigen Auslän<strong>der</strong>recht<br />

- dem Bund. Eine Außenstelle des Bundesamtes <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge<br />

befindet sich in Bremen, im Stadtteil Habenhausen.<br />

Ist ein Verfahren beim Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge abgeschlossen, wird wie<strong>der</strong>um<br />

<strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zuständig. Das Bundesamt unterrichtet <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

mit einer Abschlussmitteilung über den Ausgang des Verfahrens (§ 24 Abs. 3 AsylVfG).<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist dann entwe<strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erteilung eines Aufenthaltstitels und <strong>die</strong><br />

24 Verordnung über <strong>die</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> Verwaltungsbehörden nach dem Aufenthaltsgesetz v. 14.12.2004,<br />

BremGBl. 2004, S. 592.<br />

13


Ausstellung eines Flüchtlingspasses (bei positiver Entscheidung) o<strong>der</strong> hinsichtlich des<br />

Vollzuges <strong>der</strong> Ausreisepflicht zuständig. Im Rahmen <strong>der</strong> letztgenannten Aufgabe sind unter<br />

Umständen Passersatzpapieren <strong>für</strong> eine Ausreise o<strong>der</strong> Abschiebung zu beschaffen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Betroffene nicht freiwillig ausreist o<strong>der</strong> nicht freiwillig ausreisen kann, weil er<br />

z.B. nicht im Besitz von gültigen Passpapieren ist, ist ggf. auch <strong>die</strong> Durchführung <strong>der</strong> Abschiebung<br />

vorzubereiten und zu organisieren. Ist eine Abschiebung aus tatsächlichen o<strong>der</strong><br />

rechtlichen Gründen nicht durchführbar, so ist eine Duldung zu erteilen. Auch da<strong>für</strong> ist<br />

dann wie<strong>der</strong>um <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zuständig (§ 60 a AufenthG).<br />

2. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen und ihre Einbindung in <strong>die</strong> Verwaltungsstruktur<br />

des Bundeslandes Bremen<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist streng genommen keine eigene Behörde, son<strong>der</strong>n Teil des Stadtamtes<br />

Bremen, dem <strong>die</strong> Leitung obliegt, und ist <strong>die</strong>sem mit seinen 5 „Teams“ dem Sachgebiet<br />

60 zugeordnet.<br />

Diese Abteilung wird von einer Abteilungsleiterin geleitet und organisiert ihre Prozessvertretung<br />

in gerichtlichen Verfahren selbständig. Die entsprechende Stelle ist mit einer Volljuristin<br />

(Teilzeitstelle) besetzt, teilweise wird <strong>die</strong> Prozessvertretung auch von <strong>der</strong> Behördenleitung<br />

und in Einzelfällen o<strong>der</strong> bei personellen Engpässen auch von <strong>der</strong> Abschnittsleitung<br />

wahrgenommen. Innerhalb <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde bestehen verschiedene Organisationseinheiten,<br />

<strong>die</strong> als Teams bezeichnet werden. Die Teams 3–5 haben jeweils eine eigene<br />

Teamleitung.<br />

Die Aufgabenverteilung <strong>der</strong> Teams im Einzelnen:<br />

Team 1: Information (Service-Point)<br />

Team 2: EU, EFTA, USA & Kanada, Türkei<br />

Team 3: allgemeines Auslän<strong>der</strong>recht A bis K (außer Duldung und Asyl)<br />

BSU: (Universität Bremen) - Studenten<br />

Team 4: allgemeines Auslän<strong>der</strong>recht L bis Z<br />

(außer Duldung und Asyl)<br />

Team 5: Duldung, Asyl und Rückführung<br />

Zum Team 5 ist anzumerken, dass dessen Zuständigkeit auch dann gegeben ist, wenn<br />

bspw. Ermittlungen zu Identität und Herkunft <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> durchgeführt werden sollen.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist nicht nur organisatorisch, son<strong>der</strong>n auch räumlich eingebunden in<br />

das Stadtamt Bremen (Stresemannstraße 49/Ecke Steubenstraße). Eine Ausnahme bildet<br />

<strong>der</strong> Bereich <strong>für</strong> Studenten, <strong>der</strong> ebenfalls dem Team 3 angehört, aber über eigene Räumlichkeiten<br />

im Bereich <strong>der</strong> Universität Bremen verfügt. Weiterhin wird privater Security-<br />

Service beschäftigt, <strong>der</strong> den Einlass und <strong>die</strong> Wartenummernverteilung reguliert.<br />

Nach dem <strong>der</strong>zeitigen Organisationsschema <strong>der</strong> Behörde sind <strong>die</strong> Teams mit <strong>der</strong> folgenden<br />

Anzahl von Beschäftigten (einschließlich <strong>der</strong> Teilzeitbeschäftigten) besetzt:<br />

Team 1: 3 Personen<br />

Team 2: 9 Personen, einschließlich <strong>der</strong> Abschnittsleiterin<br />

Team 3: 9 Personen, einschließlich des Abschnittsleiters, davon 2 Personen im<br />

Bereich <strong>der</strong> Universität Bremen<br />

Team 4: 7 Personen einschließlich <strong>der</strong> Abschnittsleiterin<br />

14


Team 5: 14 Personen einschließlich des Abschnittsleiters<br />

Der Senator <strong>für</strong> Inneres ist als oberste Landesbehörde des Bundeslandes Bremen zuständig<br />

<strong>für</strong> das Auslän<strong>der</strong>recht und <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>politik im Bundesland Bremen. Dort besteht<br />

das Referat 20, das <strong>für</strong> das „Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht“ zuständig ist.<br />

Dies betrifft u.a. folgende Angelegenheiten /Aufgaben:<br />

- auslän<strong>der</strong>politische Grundsatzfragen,<br />

- Grundsatzangelegenheiten im Auslän<strong>der</strong>recht,<br />

- Erlass von Weisungen und Erläuterungen im Auslän<strong>der</strong>recht,<br />

- Bearbeitung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren,<br />

- Bearbeitung von Petitionsverfahren,<br />

- Beteiligung an den bundesweiten Abstimmungen und Regelungen, insbeson<strong>der</strong>e im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>innenministerkonferenzen.<br />

Nach dem im Bundesland Bremen eine Härtefallverordnung verabschiedet wurde, gehört<br />

zum Aufgabenbereich des Innensenators auch <strong>die</strong> Leitung und Geschäftsführung <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

25 .<br />

Dem Innensenator obliegt als oberste Aufsichtsbehörde <strong>die</strong> verwaltungstechnische Steuerung<br />

<strong>der</strong> Behörde durch Zuweisung von Personal sowie von räumlichen und technischen<br />

Ressourcen. Der Innensenator ist aber auch verantwortlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> auslän<strong>der</strong>politische Ausrichtung<br />

<strong>der</strong> Behörde im Rahmen <strong>der</strong> Regierungspolitik des Senats. Grundsätze <strong>der</strong> Regierungspolitik<br />

ergeben sich u.a. aus den Regierungserklärungen bzw. <strong>der</strong> Koalitionsvereinbarung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>der</strong>zeitige Regierungsperiode.<br />

Seit <strong>der</strong> letzten Wahl zur Bremischen Bürgerschaft (16. Wahlperiode) im Jahr 2003 wird<br />

Bremen von einer SPD/CDU Koalition regiert. Den Innensenator stellt <strong>die</strong> CDU mit dem<br />

Juristen Thomas Röwekamp. Die Regierungserklärungen enthalten keine bzw. kaum Aussagen<br />

über <strong>die</strong> „Auslän<strong>der</strong>politik“.<br />

Die grundlegenden Ziele <strong>der</strong> Regierungspolitik von CDU und SPD in Bremen werden in<br />

<strong>der</strong> Koalitionsvereinbarung formuliert. Zur Zuwan<strong>der</strong>ungs-, Migrations- und Auslän<strong>der</strong>politik<br />

enthält <strong>die</strong>se Koalitionsvereinbarung allerdings nur wenige Ausführungen:<br />

Im Abschnitt „Inneres“ und im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Kriminalitätsentwicklung<br />

wird gefor<strong>der</strong>t, dass ausländische Straftäter konsequent abgeschoben werden<br />

sollen.<br />

Weiterhin wird eine neue Organisationsstruktur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde angekündigt, <strong>die</strong><br />

dem Fachamt Bürgerservice (im Stadtamt Bremen) angeglie<strong>der</strong>t werden soll und am Bürgerservicegedanken<br />

ausgerichtet sein soll.<br />

Auf <strong>die</strong> auslän<strong>der</strong>behördliche Praxis wirken sich aber auch strategische Entscheidungen<br />

des Innensenators aus. Dies wurde z.B. durch eine bundesweite Me<strong>die</strong>nkampagne des damaligen<br />

<strong>Bremer</strong> Innensenators Schulte (CDU) zur „Doppelidentität“ <strong>der</strong> sogenannten<br />

25 Verordnung über <strong>die</strong> Einrichtung einer Härtefallkommission nach dem Aufenthaltsgesetz v. 12.12.2005,<br />

BremGBl. 2006, S. 29.<br />

15


„Scheinlibanesen“ 26 deutlich. Eine solche Me<strong>die</strong>nkampagne schafft einen Erwartungsdruck,<br />

bei aufgedeckten Doppelidentitäten den Aufenthalt <strong>der</strong> Betroffenen auch tatsächlich<br />

zu beenden, also das „harte Durchgreifen“ auch tatsächlich in <strong>die</strong> Praxis umzusetzen. Dies<br />

erfor<strong>der</strong>t den konzentrierten Einsatz von ohnehin knappen Personalressourcen. Außerdem<br />

prägt es selbstverständlich das Handeln von Behördenmitarbeitern, <strong>die</strong> sich schwer tun in<br />

<strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Einzelfälle auch <strong>die</strong> Interessen <strong>der</strong> Betroffenen in Ermessensentscheidungen<br />

einzubeziehen, wenn von ihnen „ein hartes Durchgreifen“ erwartet wird. Teilweise<br />

werden <strong>die</strong>se Kampagnen durch senatorische Erlasse und Anwendungshinweise begleitet.<br />

Als weiteres Beispiel solcher strategischer Entscheidungen ist auch das Tätigwerden <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde vor den letzten Bundestagswahlen im Jahre 2005 im Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Diskussion um <strong>die</strong> doppelte Staatsangehörigkeit auf Grund von Wie<strong>der</strong>einbürgerungen<br />

von Deutschen, <strong>die</strong> eingebürgert wurden und anschließend ihre ehemalige Staatsangehörigkeit<br />

wie<strong>der</strong> angenommen hatten („Doppelpass“), zu betrachten.<br />

Auch <strong>die</strong>se Kampagne wurde fe<strong>der</strong>führend vom Innensenator durchgeführt und musste<br />

anschließend vom Stadtamt (Staatsangehörigkeitsbehörde, Meldebehörde und Auslän<strong>der</strong>behörde)<br />

abgearbeitet werden. Darauf wird an späterer Stelle noch eingegangen werden.<br />

2.1. Zurückliegende Untersuchungen zu Struktur und Arbeitsorganisation <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Bremen<br />

In den zurückliegenden Jahren sind mehrfach Untersuchungen über <strong>die</strong> Organisationsstruktur<br />

des Stadtamtes und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen durchgeführt<br />

worden. Zu erwähnen ist <strong>die</strong> sogenannte „Mummert-Untersuchung“, eine Organisationsuntersuchung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremens durch <strong>die</strong> Unternehmensberatung Mummert<br />

und Partner (im Folgenden: Mummert-Bericht), <strong>die</strong> im Jahre 1998 im Auftrage des Stadtamtes<br />

durchgeführt wurde 27 .<br />

Weiterhin ist <strong>der</strong> Untersuchungsbericht „Neuordnung <strong>der</strong> Aufgabenwahrnehmung in <strong>der</strong><br />

Freien Hansestadt Bremen, Projekt ’Zukunftskonzept Stadtamt’“ (im Folgenden: Berger-<br />

Bericht) aus dem Jahre 2000 durch <strong>die</strong> Unternehmensberatung Roland Berger 28 und ein<br />

Untersuchungsbericht des Rechnungshofes <strong>der</strong> Freien Hansestadt Bremen vom 15. November<br />

2000 29 zu erwähnen.<br />

Der Mummert-Bericht 1998<br />

Die Unternehmensberatung Mummert und Partner sollte zielgerichtet Möglichkeiten einer<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Aufbau- und Ablauforganisation sowie <strong>der</strong> Kundenorientierung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

untersuchen.<br />

26 Vgl. Nie<strong>der</strong>sächsischer Flüchtlingsrat, Staatenlose KurdInnen aus dem Libanon, in: Flüchtlingsrat, Zeitschrift<br />

des Nie<strong>der</strong>sächsischen Flüchtlingsrates, Nr. 4/5 2001, S. 9 ff.<br />

27 Mummert und Partner, Unternehmensberatung AG, Hamburg, im Auftrag des Senators <strong>für</strong> Inneres Bremen<br />

und des Stadtamtes Bremen, Organisationsuntersuchung des Auslän<strong>der</strong>amtes Bremen, Überarbeiteter<br />

Schlussbericht v. 21.12.1998, im Folgenden: Mummert-Bericht.<br />

28 Roland Berger & Partner, Unternehmensberatung, Neuordnung <strong>der</strong> Aufgabenwahrnehmung in <strong>der</strong> Freien<br />

Hansestadt Bremen, Projekt „Zukunftskonzept Stadtamt“, Projektschlussbericht und Empfehlungen, September<br />

2000, im Folgenden: Berger-Bericht.<br />

29 Abgedruckt in: Flüchtlingsrat, Zeitschrift des Nie<strong>der</strong>sächsischen Flüchtlingsrates, (o. Fn. 26), S. 31 f.<br />

16


Weiterhin sollten <strong>die</strong> Möglichkeiten und Folgen des Einsatzes <strong>der</strong> verstärkten elektronischen<br />

Datenverarbeitung untersucht und ein forschreibungsfähiges Personalbemessungssystem<br />

erarbeitet werden..<br />

Dazu wurde eine mehrmonatige Untersuchung in <strong>der</strong> Behörde nebst Befragung <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

und Kunden <strong>der</strong> Behörde vorgenommen. Der Untersuchungsbericht wurde im Dezember<br />

1998 vorgelegt. In dem Bericht werden folgende Schwachstellenbereiche in <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde aufgezeigt 30 :<br />

- wenig kundenfreundliche Aufgabenwahrnehmung (zu geringe Öffnungszeiten, zu lange<br />

Wartezeiten, mangelnde telefonische Erreichbarkeit),<br />

- mangelnde IT-Unterstützung,<br />

- Defizite bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, wobei als eine wesentliche Ursache<br />

„erhebliche Wahrnehmungsdefizite“ benannt werden,<br />

- mangeln<strong>der</strong> Datenaustausch in <strong>der</strong> Sozialverwaltung,<br />

- sonstige Schwachstellen (unsystematische Arbeitsanleitungen, zu lange Postlaufzeiten, zu<br />

wenig „know-how“ <strong>für</strong> das EU-Recht/Internationale Recht, nicht ordnungsgemäße Aktenführung<br />

u.a.).<br />

Neben Empfehlungen zur Abän<strong>der</strong>ung <strong>die</strong>ser Situation werden an erster Stelle <strong>die</strong> Empfehlungen<br />

zur „Beseitigung <strong>der</strong> Defizite bei <strong>der</strong> Einleitung aufenthaltsbeenden<strong>der</strong> Maßnahmen“<br />

31 genannt. Zugleich wird in <strong>der</strong> Stu<strong>die</strong> festgestellt, dass <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> Abschiebungen<br />

sich in <strong>der</strong> Stadt Bremen auf vergleichsweise hohem Niveau stabilisiert habe und <strong>die</strong> Abschiebequote<br />

im Bundesland Bremen höher liege als in den meisten an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

32 .<br />

Anlass <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Empfehlungen sind offenkundig fiskalische Interessen. So wurde seinerzeit<br />

berechnet, dass <strong>für</strong> 100 geduldete Personen, <strong>die</strong> nicht abgeschoben werden, jährlich<br />

schätzungsweise 1,6 Mio. DM <strong>für</strong> Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auszugeben<br />

sind 33 .<br />

Die Empfehlungen im Bereich <strong>der</strong> Kundenorientierung lauten:<br />

- Verlängerung <strong>der</strong> Öffnungszeiten,<br />

- Verbesserung <strong>der</strong> telefonischen Erreichbarkeit,<br />

- Aufgabenverlagerung auf <strong>die</strong> Ortsämter/Bürgerämter,<br />

- Betreuung <strong>der</strong> EU-Bürger durch <strong>die</strong> Ortsämter/Bürgerämter.<br />

Der Berger-Bericht 2000<br />

Der Berger-Untersuchungsbericht befasste sich mit <strong>der</strong> Neuorganisation des Stadtamtes im<br />

Sinne des Bürgerservicegedankens und zielte auf eine optimierte Steuerung des Stadtamtes.<br />

Dieser Bericht geht nur am Rande auf <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ein und verweist auf den<br />

Mummert-Bericht. Zwei Themenbereiche werden jedoch beson<strong>der</strong>s herausgehoben:<br />

30 Mummert-Bericht, (o. Fn. 27), Kap. 6, S. 88 ff.<br />

31 Wie vor, Kap. 7, S. 93 ff.<br />

32 Wie vor, Kap. 7, S. 93.<br />

33 Wie vor, Kap. 6, S. 90.<br />

17


a)<br />

Die Defizite bei <strong>der</strong> Einleitung aufenthaltsbeenden<strong>der</strong> Maßnahmen. Hier wird <strong>die</strong> „Aufstockung<br />

<strong>der</strong> Abschiebekräfte“ empfohlen, um das „bestehende Fallvolumen an aufenthaltsbeendenden<br />

Maßnahmen zu stabilisieren (und möglichst auszuweiten)“ 34 .<br />

b)<br />

Die Einrichtung eines eigenständigen Ermittlungs<strong>die</strong>nstes im Auslän<strong>der</strong>bereich zur Vermeidung<br />

von Sekundärkosten im Sozialressort. So solle <strong>die</strong> Identifikation missbräuchlicher<br />

Inanspruchnahme von Leistungen ermöglicht werden; <strong>die</strong> Kosten da<strong>für</strong> seien durch das<br />

Sozialressort rezufinanzieren. Empfohlen wurde eine Kontraktvereinbarung mit dem Sozialressort.<br />

Der Bericht des Rechnungshofes Bremen vom 15. November 2000<br />

Im November 2000 äußerte sich <strong>der</strong> Rechnungshof <strong>der</strong> Freien Hansestadt Bremen in einem<br />

umfassenden Bericht zur Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen. Der Rechnungshof for<strong>der</strong>te vom Senator<br />

<strong>für</strong> Inneres, dass dringend Maßnahmen zur Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Arbeitsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Abschiebegruppe erfor<strong>der</strong>lich seien. Der Rechnungshof habe Hinweise auf eine seit<br />

längerem unzureichende Durchsetzung aufenthaltsbeenden<strong>der</strong> Maßnahmen bei abgelehnten<br />

Asylbewerbern und Asylbewerberinnen. Der Rechnungshof vertrat dabei <strong>die</strong> Auffassung,<br />

dass das „sehr aufwendige und gründliche Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen<br />

einschließlich <strong>der</strong> finanziellen Anstrengungen Bremens, eine zeitnahe Bearbeitung von<br />

Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht sicherzustellen“, letztendlich ins Leere laufen<br />

würde, wenn ein großer Teil <strong>der</strong> abgelehnten Asylsuchenden in Bremen bleiben würde.<br />

2.2. Fazit <strong>der</strong> zurückliegenden Untersuchungen<br />

Es kann festgehalten werden, dass sich alle Berichte und Untersuchungen auf <strong>die</strong> Durchsetzung<br />

aufenthaltsbeenden<strong>der</strong> Maßnahmen fokussieren und offenbar von <strong>der</strong> Prämisse<br />

ausgehen, dass geduldete Personen, insbeson<strong>der</strong>e abgelehnte Asylbewerber, auch abzuschieben<br />

seien.<br />

Diese Berichte blieben nicht ohne Folgen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Struktur <strong>der</strong> Behörde. So ist <strong>die</strong> Beschäftigtenzahl<br />

im Bereich <strong>der</strong> aufenthaltsbeendenden Maßnahmen erhöht worden. Derzeit sind<br />

im Team 5 (Duldungen, Asyl, Rückführungen) 14 Personen tätig. Allerdings ist dem Verfasser<br />

aus dem täglichen Umgang mit <strong>der</strong> Behörde bekannt, dass <strong>die</strong> Fluktuation <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

in <strong>die</strong>sem Bereich beson<strong>der</strong>s hoch ist. Außerdem ist <strong>die</strong> Stellenzahl in an<strong>der</strong>en<br />

Tätigkeitsfel<strong>der</strong>n nicht erhöht worden.<br />

Dass <strong>der</strong> Senator <strong>für</strong> Inneres <strong>die</strong>sem Tätigkeitsbereich seiner Behörde beson<strong>der</strong>e Priorität<br />

einräumt, wird auch aus <strong>der</strong> Beantwortung einer großen Anfrage <strong>der</strong> CDU-<br />

Bürgerschaftsfraktion aus dem Jahre 2004 deutlich 35 . In <strong>der</strong> Antwort des Senats heißt es:<br />

„Der Durchsetzung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bei ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n<br />

wird vom Senator <strong>für</strong> Inneres und Sport beson<strong>der</strong>e Priorität eingeräumt. In den<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Rückführung zuständigen Bereichen wurden frei werdende Stellen regelmäßig wie<strong>der</strong><br />

besetzt und personelle Maßnahmen zur Verstärkung getroffen. Mit <strong>der</strong> Neustrukturie-<br />

34 Berger-Bericht, (o. Fn. 28), S. 90.<br />

35 Bremische Bürgerschaft, Drucksache 16/216 v. 20.04.2004.<br />

18


ung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen wurden personelle Kapazitäten<br />

und Kompetenzen konzentriert. Die Bearbeitung aller auslän<strong>der</strong>rechtlichen Verfahren ab<br />

Eintritt <strong>der</strong> Ausreisepflicht erfolgt seit dem Herbst 2003 in geson<strong>der</strong>ten Teams.<br />

Durch Schaffung und Gewährleistung <strong>der</strong> oben genannten personellen und organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen sind <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden in <strong>der</strong> Lage, <strong>die</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Maßnahmen zur Durchsetzung <strong>der</strong> Ausreisepflicht durchzuführen.“<br />

19


IV. Allgemeine politische und verwaltungsinterne Steuerungsvorgaben<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen<br />

1. Ermessensspielräume und unbestimmte Rechtsbegriffe im Auslän<strong>der</strong>recht<br />

Von einer Ermessenvorschrift wird gesprochen, wenn eine Behörde eine bestimmte Entscheidung<br />

erteilen kann (Kann-Vorschrift). Zu unterscheiden ist im Auslän<strong>der</strong>recht zwischen<br />

dem Erteilungs-, dem Versagungs- und dem Abweichungsermessen.<br />

Im Gegensatz dazu stehen Entscheidungen in denen <strong>die</strong> Behörde durch <strong>die</strong> Vorgabe des<br />

Gesetzgebers rechtlich gebunden ist. Eine absolute Bindung liegt vor, wenn eine „Muss-<br />

Entscheidung“ vorgesehen ist (z.B. bei <strong>der</strong> zwingenden Ausweisung gem. § 53 AufenthG<br />

o<strong>der</strong> beim Ehegattennachzug gem. § 30 AufenthG).<br />

Eine relative Bindung - mit einem geringeren Ermessenspielraum – liegt vor, wenn eine<br />

„Soll–Entscheidung“ <strong>der</strong> Behörde durch das Gesetz gefor<strong>der</strong>t wird (z.B. bei <strong>der</strong> Regelausweisung<br />

gem. § 54 AufenthG). In <strong>die</strong>sen Fällen ist zu prüfen, ob ein Regelfall vorliegt. In<br />

solchen Regelfällen hat <strong>die</strong> Behörde, wie vom Gesetz vorgegeben zu entscheiden. Liegt<br />

allerdings ein atypischer, d.h. vom Regelfall abweichen<strong>der</strong> Fall vor, so ist das Ermessen<br />

<strong>der</strong> Behörde wie<strong>der</strong>um eröffnet.<br />

Wenn das Auslän<strong>der</strong>recht eine Kann-Bestimmung vorsieht, so bedeutet <strong>die</strong>s jedoch nicht,<br />

dass <strong>die</strong> Behörde in ihrer Entscheidung vollkommen frei ist. Sie ist an bestimmte rechtliche<br />

Vorgaben gebunden. Die Ermessensentscheidung hat sich an verfassungs- und völkerrechtlichen<br />

Vorgaben zu orientieren und rechtstaatliche Prinzipien, insbeson<strong>der</strong>e den Grundsatz<br />

<strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz und den Grundsatz des Vertrauensschutzes<br />

zu berücksichtigen 36 .<br />

Zwar ist einer Behörde damit niemals ein freies, son<strong>der</strong>n immer nur ein pflichtgemäßes<br />

Ermessen 37 eingeräumt, ein angerufenes Verwaltungsgericht kann jedoch nur überprüfen,<br />

ob <strong>die</strong> gesetzlichen Grenzen des Ermessens, <strong>die</strong> sich u.a. an den Zielvorstellungen des Gesetzgebers<br />

zu orientieren haben, eingehalten wurden 38 .<br />

Dem Gericht ist es verwehrt, eigenes Ermessen anstelle <strong>der</strong> Behörde auszuüben. Vielmehr<br />

muss es <strong>der</strong> Behörde <strong>die</strong> Angelegenheit zur erneuten Entscheidung unter Beachtung <strong>der</strong><br />

gerichtlich geäußerten Rechtsauffassung „zurückgeben“ (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).<br />

Das deutsche Auslän<strong>der</strong>recht hat in den vergangenen 20 Jahren zwei wesentliche Reformen<br />

erfahren, <strong>die</strong> nicht zuletzt davon bestimmt waren, <strong>die</strong> ursprünglich im Auslän<strong>der</strong>recht<br />

vorhandenen weiten Ermessenspielräume einzuschränken. Die erste große Neugestaltung<br />

des Auslän<strong>der</strong>rechts erfolgte zum 1. Januar 1990. Das Auslän<strong>der</strong>gesetz von 1965 zeichnete<br />

sich noch durch einfache Regelungen und weite Ermessenspielräume zur Erteilung von<br />

Aufenthaltserlaubnissen aus. Dies führte allerdings zu einer Vielzahl von einzelnen Ermessensregelungen<br />

in Verwaltungsvorschriften <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong>, <strong>die</strong> jeweils zwischen den<br />

einzelnen Län<strong>der</strong>n differierten.<br />

36<br />

Welte, Aufenthaltsansprüche und Ermessen nach dem Aufenthaltsgesetz, InfAuslR 2006, 50 ff.<br />

37<br />

Vgl. § 40 VwVfG.<br />

38<br />

Die möglichen Ermessensfehler <strong>der</strong> Ermessensüberschreitung (Wahl einer gesetzlich nicht vorgesehenen<br />

Rechtsfolge) und <strong>der</strong> Ermessensunterschreitung (irrtümliche Annahme einer zwingenden Rechtsfolge) sollen<br />

hier unberücksichtigt bleiben.<br />

20


In <strong>der</strong> Begründung des Auslän<strong>der</strong>gesetzes 1990 wurde u.a. ausgeführt, dass durch genauere<br />

und detailliertere Vorgaben <strong>die</strong> Ermessensspielräume <strong>der</strong> Verwaltung im Interesse <strong>der</strong><br />

Rechts- und Erwartungssicherheit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> im Bundesgebiet und im Interesse einer<br />

einheitlichen Entscheidungsfindung eingegrenzt werden sollten 39 .<br />

Allerdings konnte <strong>die</strong>se Gesetzgebungsabsicht nur bedingt umgesetzt werden.<br />

Wie schon im Auslän<strong>der</strong>gesetz von 1990 enthalten auch <strong>die</strong> neuen Gesetze und Verordnungen,<br />

<strong>die</strong> durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind, weiterhin<br />

zahlreiche Bereiche, in denen den Auslän<strong>der</strong>behörden Ermessensspielräume eingeräumt<br />

werden.<br />

Ermessensvorschriften korrespon<strong>die</strong>ren zudem häufig auf <strong>der</strong> Tatbestandsseite mit unbestimmten<br />

Rechtsbegriffen, <strong>die</strong> ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig sind. Beispielsweise<br />

kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein „beson<strong>der</strong>es regionales<br />

Bedürfnis“ (§ 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG) besteht o<strong>der</strong> falls „dringende humanitäre<br />

Gründe“ bzw. eine „außergewöhnliche Härte“ (§ 25 Abs. 4 AufenthG) vorliegen.<br />

Die Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen erfolgt zumeist durch Verordnungen<br />

auf Bundesebene, Verwaltungsvorschriften und Anwendungshinweise des Bundes und <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong>.<br />

2. Die Steuerung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durch Rechtsverordnungen, Erlasse und<br />

Anwe ndungshinweise<br />

§ 99 AufenthG enthält eine weitgehende Verordnungsermächtigung <strong>für</strong> den Bundesminister<br />

des Inneren, durch Rechtsverordnung zahlreiche weitergehende Regelungen zu erlassen.<br />

Einige wichtige Verordnungen wurden zuvor bereits erwähnt und aufgeführt.<br />

Entgegen <strong>der</strong> Situation nach dem Auslän<strong>der</strong>recht vor <strong>der</strong> Gesetzesreform existiert <strong>der</strong>zeit<br />

allerdings keine bundesweit einheitliche Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz.<br />

Erste Entwürfe <strong>für</strong> eine bundesweite Verwaltungsvorschrift sollen in Arbeit sein.<br />

Stattdessen hat <strong>der</strong> Bundesminister des Inneren mit Hilfe <strong>der</strong> Projektgruppe Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

„Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Inneren zum Aufenthaltsgesetz<br />

und zum Freizügigkeitsgesetz /EU“ (VAH-BMI) 40 verfasst, <strong>die</strong> den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

mittlerweile bundesweit als Arbeitshilfe vorliegen.<br />

Die dem Verfasser vorliegende Version hat einem Umfang von 372 Seiten. Der Umfang<br />

<strong>die</strong>ser Anwendungshinweise ist damit um ein vielfaches umfangreicher als das Aufenthaltsgesetz<br />

selbst, dessen Regelungen <strong>die</strong>se Anwendungshinweise im wesentlichen erläutern.<br />

Bereits <strong>der</strong> Hinweis auf <strong>der</strong> Umschlagseite „Nur <strong>für</strong> den Dienstgebrauch – ungenehmigte<br />

Veröffentlichung verboten“ wirft ein bezeichnendes Licht auf <strong>die</strong> Problematik mit solchen<br />

„inoffiziellen“ Anwendungshinweisen. Als inoffizielle Anwendungshinweise binden sie<br />

39 Göbel-Zimmermann, Die Bedeutung <strong>der</strong> Ermessensausübung und <strong>der</strong> unbestimmt en Rechtsbegriffe im<br />

Aufenthaltsgesetz <strong>für</strong> das verwaltungsgerichtliche Verfahren am Be ispiel des § 25 AufenthG, Manuskript<br />

eines Redebeitrages, einsehbar unter: www.fr-hessen.de/aktuelles/Goebel-Zimmermann_Ermessen.pdf.<br />

40 Einsehbar unter: www.proasyl.de/informationen/beratung/gesetze/.<br />

21


we<strong>der</strong> das Ermessen <strong>der</strong> Behörden, noch füllen sie tatsächlich unbestimmte Rechtsbegriffe<br />

aus. An<strong>der</strong>erseits werden sie in <strong>der</strong> behördlichen Praxis genutzt und jedem Praktiker ist<br />

bekannt, dass <strong>die</strong> Sachbearbeiter in den Behörden sich im Zweifelsfall auch an <strong>die</strong>sen<br />

Hinweisen orientieren. Im Bundesland Bremen wurden <strong>die</strong> Vorläufigen Anwendungshinweise<br />

durch den Senator <strong>für</strong> Inneres noch vor dem Inkrafttreten <strong>der</strong> Neuregelungen des<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes an <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden (Bremen u. <strong>Bremer</strong>haven) weitergeleitet<br />

und sollen zur Auslegung und Anwendung <strong>der</strong> Rechtsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes<br />

herangezogen werden, sofern keine eigenen Anwendungshinweise o<strong>der</strong> Erlasse bestehen 41 .<br />

Die Län<strong>der</strong> haben das Aufenthaltsgesetz in eigener Verantwortung auszuführen Da bundesweite<br />

Verwaltungsvorschriften nicht vorliegen, haben sie <strong>die</strong> Möglichkeit eigene Verwaltungsvorschriften<br />

zum Gesetz o<strong>der</strong> Ausführungserlasse zu einzelnen Vorschriften zu<br />

erlassen. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Erlass von Verwaltungsvorschriften ist ein gängiges Element zur<br />

Steuerung <strong>der</strong> Behördenentscheidungen. Neben förmlichen Verwaltungsvorschriften gibt<br />

es ein eigenes System zur Regelung und Steuerung des Verwaltungshandelns <strong>der</strong> Behörde<br />

durch den Erlass von Anwendungshinweisen und Auslegungsrichtlinien.<br />

3. Die Steuerung <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen Behördenentscheidungen in Bremen durch<br />

Erlasse und Anwendungshinweise des Senators <strong>für</strong> Inneres<br />

Im Bereich des Auslän<strong>der</strong>rechts sind <strong>der</strong>zeit beson<strong>der</strong>s <strong>die</strong> bereits erwähnten vorläufigen<br />

Anwendungshinweise des Bundesminister des Inneren zu beachten, <strong>die</strong> den Mitarbeitern<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde vorliegen. Sie wirken ermessenslenkend und -steuernd zur Vereinheitlichung<br />

<strong>der</strong> Rechtsanwendung. Darüber hinaus erfolgt <strong>die</strong> Steuerung <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde durch den Senator <strong>für</strong> Inneres durch weitere Erlasse, Verwaltungsvorschriften<br />

und Anwendungshinweise. Es lassen sich dabei grob zwei Kategorien von Erlassen<br />

und Anwendungshinweisen unterscheiden:<br />

a)<br />

Es bestehen Ausführungserlasse, <strong>die</strong> teilweise eine Umsetzung <strong>der</strong> auf Bundesebene z.B.<br />

in <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>innenministerkonferenz beschlossenen Regelungen darstellen. Im Rahmen<br />

solcher Ausführungserlasse besteht auch <strong>die</strong> Möglichkeit, bestimmten Gruppen von Auslän<strong>der</strong>n<br />

<strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu ermöglichen, wie <strong>die</strong>s bei den sogenannten<br />

Altfallregelungen <strong>der</strong> Fall war bzw. <strong>der</strong> Fall sein könnte.<br />

Der Rechtscharakter solcher Ausführungserlasse ist umstritten. Teilweise werden sie als<br />

rein interne Verwaltungsvorschriften verstanden, <strong>die</strong> nur eine ermessenslenkende Funktion<br />

haben sollen und damit nur bedingt gerichtlich überprüfbar sein sollen 42 .<br />

Überwiegend wird ihnen jedoch Rechtssatzcharakter beigemessen, mit <strong>der</strong> Folge, dass sie<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden bindend sind und <strong>für</strong> <strong>die</strong> betroffenen Auslän<strong>der</strong> unmittelbare<br />

Rechtsansprüche begründen können 43 . Dies wie<strong>der</strong>um führt dazu, dass <strong>die</strong> Anwendung und<br />

Auslegung <strong>die</strong>ser Rechtssätze nicht mehr nur Maßstab <strong>der</strong> richterlichen Kontrolle ist, son<strong>der</strong>n<br />

sie selbst <strong>der</strong> vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegen 44 .<br />

41 Mitteilung des Senators <strong>für</strong> Inneres, Bremen, vom 05.01.2005 an <strong>die</strong> Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in<br />

<strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft auf eine entsprechende Anfrage.<br />

42 OVG Hamburg, InfAuslR 1997, 72, 74.<br />

43 OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1995, 818f. und auch OVG Bremen, InfAuslR 2000, 187.<br />

44 OVG Bremen (o. Fn. 43).<br />

22


Diese Erlasse sind öffentlich zugänglich, sie sind auf <strong>der</strong> Internetseite des Innensenators<br />

einseh- und abrufbar 45 . Es existieren aber auch Erlasse, <strong>die</strong> nicht öffentlich zugänglich<br />

sind. So ist dem Verfasser z.B. aus <strong>der</strong> täglichen Praxis bekannt, dass ein Erlass besteht,<br />

wonach bei je<strong>der</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, bei Auslän<strong>der</strong>n bestimmter<br />

Herkunftslän<strong>der</strong> und bei <strong>der</strong> Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis, eine Regelanfrage an<br />

das Landesamt <strong>für</strong> Verfassungsschutz vorgenommen werden soll. Offenbar hält <strong>der</strong> Senator<br />

<strong>für</strong> Inneres <strong>die</strong>sen Erlass <strong>für</strong> geheimhaltungsbedürftig.<br />

b)<br />

Es gibt ergänzende Anwendungshinweise und Weisungen in Form von Rundschreiben an<br />

<strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde, <strong>die</strong> nicht veröffentlicht werden und auch nicht öffentlich zugänglich<br />

sind. Diese Anwendungshinweise und Weisungen enthalten teilweise auch von den allgemeinen<br />

Anwendungshinweisen des Bundes abweichende Regelungen. Die Anwendungshinweise,<br />

Erlasse und Weisungen stehen allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über das<br />

Intranet zur Verfügung 46 .<br />

Diese Anwendungshinweise werden darüber hinaus dem Verwaltungsgericht Bremen zur<br />

Verfügung gestellt. Grundsätzlich besteht hinsichtlich <strong>der</strong> Anwendungshinweise <strong>die</strong> Beson<strong>der</strong>heit,<br />

dass sie keine unmittelbare Außenwirkung <strong>für</strong> den betroffenen Bürger haben.<br />

Sie sollen lediglich eine interne Wirkung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verwaltung haben und ein einheitliches<br />

Verwaltungshandeln gewährleisten.<br />

Zwar werden mit <strong>die</strong>sen intern wirkenden Regelungen und Anweisungen gesetzliche Vorschriften<br />

o<strong>der</strong> Verordnungsregelungen erläutert, gleichzeitig wird jedoch das behördliche<br />

Ermessen gelenkt und gebunden, so dass sie sich doch auf das Verwaltungshandeln auswirken<br />

und damit eine unmittelbare Relevanz <strong>für</strong> den einzelnen Bürger haben.<br />

Diese faktische Auswirkung besitzt wie<strong>der</strong>um auch eine rechtliche Bedeutung, da das<br />

Verwaltungshandeln <strong>der</strong> Behörde als gleichmäßiges Verwaltungshandeln <strong>die</strong> Behörde<br />

rechtlich bindet. Eine Verwaltung darf gleichgelagerte Fälle nicht ohne sachlichen Differenzierungsgrund<br />

unterschiedlich behandeln (Selbstbindung <strong>der</strong> Verwaltung). Nur wenn<br />

ein sachlicher Differenzierungsgrund vorliegt, lässt Art. 3 Abs. 1 GG eine abweichende<br />

Verwaltungspraxis zu.<br />

Eine Kontrolle <strong>die</strong>ses Verwaltungshandelns wird aber dadurch deutlich erschwert, indem<br />

<strong>die</strong> Behörde <strong>die</strong> Anwendungshinweise und Weisungen quasi unter Verschluss hält und <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Betroffenen und Interessensvertreter <strong>der</strong> Betroffenen nicht kontrollierbar ist, ob <strong>die</strong><br />

Grundsätze <strong>der</strong> Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG auch beachtet werden.<br />

Ausführungserlasse, <strong>die</strong> wie erwähnt über <strong>die</strong> Internetseite des Senators <strong>für</strong> Inneres öffentlich<br />

zugänglich sind, existieren u.a. zu folgenden Bereichen:<br />

- Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das<br />

Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 vom 3. Oktober 2003, S. 12), Verpflichtungserklärungen<br />

gem. § 84 AuslG.<br />

- Län<strong>der</strong>erlasse hinsichtlich <strong>der</strong> Aussetzung von Abschiebungen, Duldungserteilungen, etc<br />

<strong>für</strong>: Irak, Tschetschenien, Afghanistan, Kosovo,<br />

45 Einsehbar unter: www2.bremen.de/innensenator/Kap7/Kap3_2_5-Erlasse.html.<br />

46 Mitteilung des Senators <strong>für</strong> Inneres, Bremen, (o. Fn. 41).<br />

23


- Verteilung illegal eingereister Auslän<strong>der</strong>,<br />

- Zeitliche Befristungen von Ausweisungen und Abschiebungen,<br />

- Erteilungen von Duldungen wg. Reiseunfähigkeit,<br />

- Mitteilungspflichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.<br />

Anwendungshinweise liegen u.a. zu folgenden Bereichen vor:<br />

- Ausstellungen von Bescheinigungen gem. § 5 AufenthG,<br />

- Erteilung von Aufenthaltserlaubnisse an Studenten nach Abschluss des Studiums (§ 16<br />

AufenthG),<br />

- Erteilung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis <strong>für</strong> Hochqualifizierte (§ 19 AufenthG),<br />

- Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG,<br />

- Feststellung des Sprachniveaus <strong>für</strong> Integrationskurse (§§ 43,44, 44a AufenthG),<br />

- Erteilung und Verlängerung von Duldungen (§ 60a AufenthG),<br />

- Gestaltung von Verpflichtungserklärungen (§ 68 AufenthG),<br />

- Ausstellung von Fiktionsbescheinigungen (§ 81 AufenthG).<br />

Die bremischen Anwendungshinweise des Senators <strong>für</strong> Inneres sind häufig in weiten Passagen<br />

wortgleich mit den Ausführungen im Nie<strong>der</strong>sächsischen Schulungsmaterial zum<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz 47 .<br />

47 Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium <strong>für</strong> Inneres und Sport, Referat 45, Informations- und Schulungsmaterial zum Gesetz<br />

zur Steuerung und Begrenzung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung und zur Regelung des Aufenthalts und <strong>der</strong> Integration von Unionsbürgern<br />

und Auslän<strong>der</strong>n (Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz), Stand: Nov. 2004.<br />

24


V. Beson<strong>der</strong>e Steuerungsvorgaben <strong>für</strong> den Bereich <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong><br />

und <strong>die</strong> Möglichkeiten zur Vermeidung von „Kettenduldungen“<br />

Bis zur Gesetzesreform blieben ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong>, <strong>für</strong> <strong>die</strong> auch langfristige Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

bestanden, meistens über Jahre hinweg im Duldungsstatus, obwohl<br />

auch im Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990 mit den Regelungen in § 30 Abs. 3 und 4 Möglichkeiten<br />

bestanden, De-facto-Flüchtlingen Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen und somit den Aufenthalt<br />

zu „legalisieren“. Hiervon wurde jedoch nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht 48 .<br />

Die Duldung erhielt so eine aufenthaltsrechtliche Funktion und wurde dabei faktisch als<br />

zweitklassiges Aufenthaltsrecht eingesetzt 49 , obwohl das BVerwG bereits im Jahre 1990 50<br />

<strong>die</strong> Duldung als verkappten Aufenthaltstitel bezeichnet und kritisiert hatte. Durch <strong>die</strong> Praxis<br />

<strong>der</strong> „Kettenduldungen“ kam <strong>der</strong> Duldung in <strong>der</strong> Rechtsanwendung damit über ihre<br />

Funktion als Instrument <strong>der</strong> Verwaltungsvollstreckung 51 hinaus eine Bedeutung zu, <strong>die</strong> ihr<br />

nicht zustehen sollte. Ein zentrales Anliegen des neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsrechts war <strong>die</strong> Abschaffung<br />

<strong>die</strong>ser Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen 52 .<br />

Für <strong>die</strong>sen Bereich ist bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen das Team 5 zuständig, soweit es<br />

um <strong>die</strong> Erteilung und Verlängerung von Duldungen und <strong>die</strong> Vorbereitung und Durchführung<br />

von Abschiebungen geht. Der Bereich ist in den vergangenen Jahren personell verstärkt<br />

wurde. Zudem wird in <strong>die</strong>sem Bereich besser ausgebildetes und besser bezahltes<br />

Personal beschäftigt als in an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> Behörde. Wie bereits dargelegt, besteht<br />

seit Jahren bei <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit und um <strong>die</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde eine<br />

Fokussierung auf <strong>die</strong>sen Bereich, nicht zuletzt deshalb, weil <strong>die</strong> Auffassung vertreten wird,<br />

dass hier beson<strong>der</strong>e Kosten wegen einer Nichtdurchsetzung <strong>der</strong> Ausreisepflicht entstehen.<br />

Außerdem liegt es nahe, dass bei einer Konzentration von Personal in <strong>die</strong>sem Bereich,<br />

Engpässe in an<strong>der</strong>en Bereichen entstehen. Bevor untersucht wird, in welchem Rahmen<br />

Kettenduldungen vermieden werden können ist es erfor<strong>der</strong>lich, festzustellen, aus welchen<br />

Gründen und in welchem Umfang Duldungen erteilt werden und wie lange sich <strong>die</strong> geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong> bereits im Bundesgebiet aufhalten.<br />

Beide Problembereiche - Duldung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25<br />

AufenthG - sind „zwei Seiten einer Medaille“ und damit eng miteinan<strong>der</strong> verknüpft.<br />

1. Die geduldeten, ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong><br />

Die Erteilung einer Duldung setzt zunächst voraus, dass ein Aufenthaltstitel an<strong>der</strong>er Art<br />

nicht vorhanden ist und <strong>der</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong> zur Ausreise verpflichtet ist. Die Erteilung<br />

einer Duldung hat dann zu erfolgen, wenn aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen<br />

eine Abschiebung nicht erfolgen kann und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (§ 60a<br />

48<br />

Benassi, Zur praktischen Bedeutung des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG, InfAuslR 2005, 357, 358.<br />

49<br />

Vgl. BT -Drs. 15/240, S. 61, 64.<br />

50<br />

Vgl. BVerwG, InfAuslR 1991, 72.<br />

51<br />

Die Abschiebung ist <strong>die</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> Ausreiseverpflichtung eines Auslän<strong>der</strong>s (§ 57 AufenthG) und<br />

damit als unmittelbarer Zwang ein Instrument <strong>der</strong> Verwaltungsvollstreckung; <strong>die</strong> Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung<br />

(Duldung) <strong>für</strong> eine bestimmte Zeit beseitigt we<strong>der</strong> <strong>die</strong> Ausreiseverpflichtung (§ 60a Abs. 3 AufenthG)<br />

noch <strong>die</strong> Zulässigkeit <strong>der</strong> Verwaltungsvollstreckung, son<strong>der</strong>n muss vielmehr als aufschiebend bedingte Anwendung<br />

unmittelbaren Zwangs angesehen werden. Mit dem Eintritt <strong>der</strong> Bedingung (Wegfall des Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses)<br />

wir <strong>die</strong> Abschiebung durchgeführt, so dass auch <strong>die</strong> aufschiebend bedingte Anwendung<br />

unmittelbaren Zwangs als Maßnahme <strong>der</strong> Verwaltungsvollstreckung verstanden werden muss.<br />

52<br />

Vgl. BT -Drs. 15/240, S. 80.<br />

25


Abs. 2 AufenthG). Es besteht dann ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung, wobei es<br />

nicht darauf ankommt, aus welchem Grunde <strong>die</strong> Abschiebung nicht möglich ist.<br />

Als rechtliche Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse können z.B. Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse aus Art. 2<br />

o<strong>der</strong> 6 GG o<strong>der</strong> Art. 8 EMRK in Betracht kommen. Tatsächliche Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

können bspw. fehlende Pass- o<strong>der</strong> Passersatzpapiere, eine fehlende Übernahmebereitschaft<br />

des Heimatstaates o<strong>der</strong> Staatenlosigkeit sein.<br />

Die Unterscheidung zwischen rechtlichen und tatsächlichen Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen<br />

kann nicht immer klar gezogen werden. So kann bspw. eine Erkrankung, <strong>die</strong> zu einer Reiseunfähigkeit<br />

führt, sowohl ein rechtliches als auch ein tatsächliches Abschiebungshin<strong>der</strong>nis<br />

darstellen. Einerseits kann <strong>die</strong> Abschiebung faktisch nicht durchführbar sein, wenn <strong>der</strong><br />

Betroffene sich bspw. in stationärer Behandlung im Krankenhaus befindet, an<strong>der</strong>erseits<br />

kann <strong>die</strong> Durchführung <strong>der</strong> Abschiebung zu einer unmittelbaren Gefahr <strong>für</strong> Leib und Leben<br />

führen, so dass zugleich ein rechtliches Abschiebungshin<strong>der</strong>nis vorliegt, weil <strong>die</strong> Abschiebung<br />

gegen Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) verstößt.<br />

Nach § 60a Abs. 4 AufenthG ist über eine Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung (Duldung) eine<br />

Bescheinigung auszustellen. Dies gilt unabhängig von dem Grund, <strong>der</strong> zur Aussetzung <strong>der</strong><br />

Abschiebung führt. Nicht geregelt ist hingegen, <strong>für</strong> welchen Zeitraum <strong>die</strong> Duldungsbescheinigung<br />

auszustellen ist.<br />

In <strong>der</strong> Diskussion um das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz wurde <strong>die</strong> Hoffnung genährt, dass es<br />

zukünftig den Rechtsstatus <strong>der</strong> Duldung nicht mehr geben sollte. Die Regelung des § 60a<br />

AufenthG wurde erst kurzfristig wie<strong>der</strong> ins AufenthG eingeführt 53 , nachdem deutlich geworden<br />

war, dass sich zwar <strong>die</strong> Bezeichnung „Duldung“ abschaffen lässt, <strong>die</strong> Tatbestände<br />

<strong>die</strong> <strong>der</strong> Duldungserteilung zu Grunde liegen bzw. zu Grunde gelegen haben, jedoch weiter<br />

fortbestehen. Eine inhaltliche Än<strong>der</strong>ung wäre auch nicht dadurch eingetreten, dass statt<br />

einer Duldung nur eine „Bescheinigung“ ausgestellt worden wäre.<br />

Nach einer Auskunft des Senators <strong>für</strong> Inneres, Bremen, an <strong>die</strong> Fraktion Bündnis 90/Die<br />

Grünen in <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft hielten sich zum Stichtag 31. Dezember 2005 im<br />

Bundesland Bremen 3.566 geduldete Personen auf (davon entfielen 2.823 auf <strong>die</strong> Stadtgemeinde<br />

Bremen und 743 auf <strong>die</strong> Stadtgemeinde <strong>Bremer</strong>haven).<br />

Bemerkenswert ist, dass <strong>die</strong> hohe Zahl <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> im Bundesgebiet, und<br />

auch in Bremen, seit Jahren nicht nennenswert abnimmt, obwohl <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> Flüchtlinge,<br />

<strong>die</strong> in Deutschland und auch in Bremen um Asyl nachsuchen, in den vergangenen Jahren<br />

stark zurückgegangen ist.. So hat Bremen im Jahr 2005 nur noch 252 Asylbewerber aufgenommen.<br />

Bundesweit wurden 28.914 Personen aufgenommen 54 . Im Jahr 2004 waren es<br />

bundesweit noch 35.278 und im Jahr 2003 noch 50.563 55 .<br />

53<br />

Vgl. zur Einfügung <strong>der</strong> Regelung des § 60a AufenthG im Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages,<br />

BT-Drs. 13/3479.<br />

54<br />

Aus: Vorlage Nr. 209/06 v. 07.02.06 <strong>für</strong> <strong>die</strong> 24. Sitzung <strong>der</strong> staatlichen Deputation <strong>für</strong> Soziales, Jugend,<br />

Senioren und Auslän<strong>der</strong>integration Bremen am 09.03.06.<br />

55<br />

von Pollern, Die Entwicklung <strong>der</strong> Asylbewerberzahlen im Jahre 2004, ZAR 2005, 190 ff.<br />

26


Geht man in Bremen (Stadt Bremen) von einer Gesamtzahl von 70.208 Auslän<strong>der</strong>n im<br />

Jahre 2005 aus 56 , so liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> zum Stichtag 31. Dezember<br />

2005 57 mit einer Zahl von 2.823 bei ca. 4 %.<br />

Ist <strong>der</strong> Anteil - gemessen an <strong>der</strong> Gesamtzahl - auch relativ gering, so ist <strong>die</strong> Bedeutung in<br />

<strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis um so größer. Dies zeigt schon <strong>der</strong> Umstand, dass etwa<br />

1/3 aller Mitarbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde mit einem Bereich befasst sind, <strong>der</strong> nur ca. 4 %<br />

<strong>der</strong> in Bremen lebenden Auslän<strong>der</strong> umfasst.<br />

Die beson<strong>der</strong>en Aufgaben, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Bereich zu erfüllen sind, liegen einerseits darin<br />

begründet, dass <strong>die</strong> Betroffenen grundsätzlich ausreisepflichtig sind aber <strong>die</strong> Ausreisepflicht<br />

aus tatsächlichen o<strong>der</strong> rechtlichen Gründen nicht vollzogen werden kann (§ 60a<br />

Abs. 2 AufenthG). Da es sich, jedenfalls aus Sicht <strong>der</strong> Behörde, nicht um ein dauerhaftes<br />

Abschiebehin<strong>der</strong>nis handelt, wird eine regelmäßige Überprüfung <strong>für</strong> notwendig erachtet.<br />

Außerdem erfolgt <strong>die</strong> Ausstellung von Duldungsbescheinigung in <strong>der</strong> Praxis mit einer nur<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger kurzen Befristung. In <strong>der</strong> Regel werden Duldungsbescheinigungen<br />

nicht länger als <strong>für</strong> sechs Monate ausgestellt, häufig aber auch <strong>für</strong> wesentlich kürzere Zeiträume,<br />

so werden <strong>die</strong> Duldungsbescheinigungen oft nur monatsweise verlängert.<br />

Allein <strong>die</strong>s führt zu einem erhöhten Aufkommen an Vorspracheterminen. Verlängerungsanträge<br />

müssen immer wie<strong>der</strong> neu bearbeitet, geprüft und entschieden werden.<br />

Weiterhin wird durch <strong>die</strong> Behörden meistens ein erheblicher Aufwand in Bezug auf <strong>die</strong><br />

Feststellungen zum Abschiebungshin<strong>der</strong>nis durchgeführt. In Bremen befanden sich zum<br />

31. März 2004 etwa 51 % aller geduldeten Auslän<strong>der</strong> im aufenthaltsrechtlichen Status <strong>der</strong><br />

Duldung, weil sie nicht in Besitz von Pass- o<strong>der</strong> Passersatzpapieren waren 58 .<br />

Ein überwiegen<strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> hält sich bereits seit vielen Jahren im<br />

Bundesgebiet auf. Zum 30. November 2005 wurden 173.223 Personen im Bundesgebiet<br />

geduldet, <strong>die</strong> sich bereits vor dem 1. Januar 2004 im Bundesgebiet aufgehalten haben 59 .<br />

Diese Zahl setzt sich hinsichtlich <strong>der</strong> Aufenthaltsdauer <strong>der</strong> geduldeten Personen wie folgt<br />

zusammen 60 :<br />

Einreise vor dem Anzahl<br />

01.01.1995 47.995<br />

01.01.1998 (zwischen 01.01.95 u. 31.12.98) 24.260<br />

01.01.2001 (zwischen 01.01.98 u. 31.12.00) 48.335<br />

01.01.2003 (zwischen 01.01.01 u. 31.12.02) 36.986<br />

01.01.2004 (zwischen 01.01.03 u. 31.12.03) 15.647<br />

Gesamt 173.223<br />

56<br />

Statistisches Landesamt Bremen, Statistisches Jahrbuch 2005.<br />

57<br />

Mitteilung des Senators <strong>für</strong> Inneres v. 21.02.2006 (nicht veröffentlicht)<br />

58<br />

Bremische Bürgerschaft Drucksache 16/216 v. 20.04.2004 (Beantwortung einer großen Anfrage <strong>der</strong> CDU-<br />

Bürgerschaftsfraktion durch den Senat).<br />

59<br />

Zur Situation und Zahl <strong>der</strong> im Bundesgebiet geduldeten Personen hat <strong>die</strong> Fraktion DIE LINKE im Deutschen<br />

Bundestag eine Anfrage an <strong>die</strong> Bundesregierung gerichtet (BT -Drs. 16/154) gerichtet, <strong>die</strong> von <strong>der</strong><br />

Bundesregierung am 21.12.2005 (BT-Drs. 16/307) beantwortet wurde.<br />

60<br />

Wie vor.<br />

27


Die Hauptherkunftslän<strong>der</strong> <strong>der</strong> geduldeten Personen sind das ehemalige Jugoslawien, einschließlich<br />

Serbien und Montenegro und Kosovo, Türkei, Iran, Irak, Afghanistan und Syrien.<br />

Für das Bundesland Bremen ergab sich zum Stichtag 30. November 2005 eine Zahl von<br />

3.067 geduldeten Personen, <strong>die</strong> sich bereits vor dem 1. Januar 2004 im Bundesgebiet aufgehalten<br />

haben. Die genauen Zahlen verteilen sich wie folgt:<br />

Einreise vor dem Anzahl<br />

01.01.1995 632<br />

01.01.1998 (zwischen 01.01.95 u. 31.12.98) 465<br />

01.01.2001 (zwischen 01.01.98 u. 31.12.00) 960<br />

01.01.2003 (zwischen 01.01.01 u. 31.12.02) 723<br />

01.01.2004 (zwischen 01.01.03 u. 31.12.03) 287<br />

Gesamt 3067 61<br />

Von den in Bremen geduldeten Personen stammt ein erheblicher Teil aus dem heutigen<br />

Serbien-Montenegro. Zum 31. März 2004 betrug <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Personen mit <strong>der</strong> Angabe<br />

<strong>der</strong> serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit etwa 35 % an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> zu<br />

<strong>die</strong>sem Zeitpunkt geduldeten 62 Personen. Der Großteil <strong>die</strong>ser geduldeten Personen wurde<br />

wegen des Bestehens eines bundesweiten Abschiebestopps geduldet, wie <strong>die</strong> Übersicht auf<br />

<strong>der</strong> folgenden Seite zeigt.<br />

Weitere ca. 20 % <strong>der</strong> Personen stammten zum Stichtag 31. März 2004 aus <strong>der</strong> Türkei. Der<br />

Rest verteilt sich auf eine Vielzahl von Herkunftslän<strong>der</strong>n mit Anteilen von bis zu 5 %.<br />

Mehr als <strong>die</strong> Hälfte <strong>der</strong> zum 31. März 2004 geduldeten Personen, nach Angaben des Senats<br />

51,44 %, wurden wegen fehlen<strong>der</strong> Pässe bzw. Passersatzpapiere geduldet.<br />

Die Zusammenarbeit mit den Auslandsvertretungen <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> ausreisepflichtiger<br />

Auslän<strong>der</strong> gestaltet sich beson<strong>der</strong>s bezüglich <strong>der</strong> Ausstellung von Heimreisedokumenten<br />

oft schwierig und langwierig und entzieht sich letztendlich dem Einflussbereich deutscher<br />

Behörden 63 .<br />

Es gibt Län<strong>der</strong>, <strong>die</strong> <strong>für</strong> geduldete Personen grundsätzlich we<strong>der</strong> Pässe noch Passersatzpapiere<br />

ausstellen. So wurden, soweit <strong>der</strong> Verfasser <strong>die</strong>s einschätzen kann, seit Jahren kaum<br />

noch Abschiebungen nach Syrien durchgeführt, weil <strong>die</strong> syrischen Auslandsvertretungen<br />

keine Pass- o<strong>der</strong> Passersatzpapiere <strong>für</strong> Personen ausstellen, <strong>die</strong> abgeschoben werden sollen.<br />

Es liegt <strong>die</strong> Vermutung nahe, dass <strong>der</strong> syrische Staat so einen unbequemen, oppositionellen<br />

Teil <strong>der</strong> Bevölkerung fernhalten will.<br />

Die libanesischen Behörden verlangen von Libanesen, <strong>die</strong> sich in Deutschland aufhalten,<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausstellung von Passpapieren grundsätzlich, dass <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltser-<br />

61 Die über <strong>die</strong>se Zahl hinausgehenden Personen sind erst nach dem 01.01.2004 eingereist<br />

62 Bremische Bürgerschaft Drucksache 16/216 v. 20.04.2004, (Beantwortung einer großen Anfrage <strong>der</strong> CDU-<br />

Bürgerschaftsfraktion durch den Senat.<br />

63 Wie vor.<br />

28


laubnis durch <strong>die</strong> zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde zugesichert wird 64 . Auch <strong>die</strong>sbezüglich<br />

werden in <strong>der</strong> Praxis Ausweisersatzpapiere <strong>für</strong> eine Abschiebung nicht ausgestellt.<br />

Hinzu kommt, dass bei etlichen Personen aufgrund von politischen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>die</strong><br />

Staatsangehörigkeit nicht geklärt ist. So z.B. bei Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien,<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion, aus Tschetschenien o<strong>der</strong> Armenier aus Aserbeidschan.<br />

Ein weiteres, seit langem bekanntes, Problem besteht <strong>für</strong> palästinensische Flüchtlinge,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Gründung des Staates Israel zur Flucht gezwungen wurden.<br />

An<strong>der</strong>erseits kann sich eine Passlosigkeit aber auch auf Grund von Täuschungen zur Identität<br />

und/o<strong>der</strong> Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit ergeben.<br />

Ein Anteil von ca. 9 % aller geduldeten Auslän<strong>der</strong> wurde wegen Reiseunfähigkeit aufgrund<br />

einer bestehenden Erkrankung geduldet. Bei weiteren 6 % <strong>der</strong> geduldeten Personen<br />

lag wegen Reiseunfähigkeit ein festgestelltes Abschiebungshin<strong>der</strong>nis vor. Es ist anzunehmen,<br />

dass in den letztgenannten Fällen zumeist durch eine Untersuchung des Hauptgesundheitsamtes<br />

eine Reiseunfähigkeit festgestellt worden ist. Ein nicht unbeträchtlicher<br />

Teil <strong>der</strong> reiseunfähigen Auslän<strong>der</strong> wird wegen psychischer Erkrankungen nicht abgeschoben.<br />

Zum Stichtag <strong>der</strong> Feststellungen des Senats <strong>der</strong> Freien Hansestadt Bremens waren 923<br />

Personen in Besitz einer Duldung auf Grund <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Ständigen Konferenz <strong>der</strong> Innenminister<br />

und -senatoren <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> beschlossenen Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung <strong>für</strong> bestimmte<br />

Auslän<strong>der</strong>gruppen wegen <strong>der</strong> aktuellen Situation in den Herkunftslän<strong>der</strong>n. Dies<br />

entspricht einem Anteil von 25,10 % an <strong>der</strong> Gesamtzahl aller geduldeten Personen.<br />

Die betroffenen Auslän<strong>der</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> ein sogenannter Abschiebestopp stammen aus folgenden<br />

Herkunftslän<strong>der</strong>n 65 :<br />

Herkunftsland Bremen <strong>Bremer</strong>haven Land Bremen Anteil an <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong> in<br />

%<br />

Serbien u. Monteneg- 710 168 878 23,11<br />

ro<br />

Irak 38 38 1,00<br />

Afghanistan 7 7 0,18<br />

Gesamt 755 168 923 24,30<br />

Grundsätzlich muss angemerkt werden, dass es sich bei <strong>der</strong> Einteilung <strong>der</strong> Duldungsgründe<br />

in bestimmte Kategorien von tatsächlichen o<strong>der</strong> rechtlichen Duldungsgründen um eine sehr<br />

formale Betrachtung handelt. Bei den weitaus meisten Personen liegen individuelle Gründe<br />

vor. Bei den meisten Personen kann festgestellt werden, dass sie zuvor ein Asylverfahren<br />

durchlaufen haben. Wenn in dem Bericht des Rechnungshofes von <strong>der</strong> Prämisse ausgegangen<br />

wird, dass ein erfolgloses Durchlaufen eines Asylverfahrens <strong>die</strong> Schlussfolgerung zu-<br />

64 Dies ergibt sich aus Hinweisen auf Formularschreiben <strong>der</strong> Libanesischen Botschaft Berlin, <strong>die</strong> dem Ve r-<br />

fasser vorliegen.<br />

65 Wie vor<br />

29


lässt, <strong>die</strong> Betroffenen hätten keinen ernstzunehmenden Grund, nicht abgeschoben zu werden<br />

66 , so verkennt <strong>der</strong> Rechnungshof <strong>die</strong> den Entscheidungen des Bundesamtes <strong>für</strong> Migration<br />

und Flüchtlinge und <strong>der</strong> Rechtssprechung <strong>der</strong> Verwaltungsgerichte zu Grunde liegenden<br />

Maßstäbe.<br />

Beispielhaft seien erwähnt:<br />

- Allein eine erlittene Verfolgung, z.B. in Form von Folter, führt nicht zur Feststellung <strong>der</strong><br />

Flüchtlingseigenschaft nach Art. 16 a GG o<strong>der</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG 67 . Eine solche Feststellung<br />

ist nur dann möglich, wenn eine erneute Gefahr <strong>der</strong> Verfolgung in <strong>der</strong> Zukunft<br />

droht 68 .<br />

- Ist jemand politisch verfolgt worden, droht aber eine Verfolgungssituation nicht landesweit,<br />

ist also eine sogenannte inländische Fluchtalternative vorhanden, so führt auch dann<br />

<strong>die</strong> erlittene Verfolgung nicht zu einer Flüchtlingsanerkennung 69 .<br />

- Verfolgungen im Zusammenhang mit Bürgerkriegssituationen werden im Allgemeinen<br />

nicht als politische (staatliche) Verfolgung anerkannt, wenn <strong>der</strong> Staat nicht mehr <strong>die</strong><br />

Staatsgewalt inne hat und ihm <strong>die</strong> Verfolgung deshalb nicht mehr zugerechnet werden<br />

kann 70 .<br />

Hinzu kommen Fälle in denen <strong>die</strong> betroffenen Flüchtlinge ihr Fluchtschicksal nicht glaubhaft<br />

machen konnten, aber dennoch eine subjektive Verfolgungsfurcht empfinden.<br />

Die vorgenannten Gründe führen bei den von Verfolgung betroffenen Personen zu ähnlichen<br />

o<strong>der</strong> gleichen Folgen, wie bei einer festgestellten staatlichen Verfolgung <strong>die</strong> zu einer<br />

Anerkennung <strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft geführt hat. Die Folgen sind häufig Traumatisierungen<br />

und subjektiv bestehende Ängste vor einer Rückkehr in den Heimat- o<strong>der</strong> Herkunftsstaat.<br />

Auch an<strong>der</strong>e traumatische Erlebnisse wie Naturkatastrophen, Erdbeben o<strong>der</strong><br />

eine nichtstaatliche Verfolgung hinterlassen psychische Spuren, <strong>die</strong> zu Traumatisierungen<br />

und psychosomatischen Erkrankungen führen können.<br />

Solche Gründe werden jedoch nicht im Rahmen eines Asylanerkennungsverfahrens berücksichtigt,<br />

son<strong>der</strong>n spielen unter Umständen als sogenanntes inlandsbezogenes Abschiebungshin<strong>der</strong>nis<br />

eine Rolle, wenn z.B. eine Reiseunfähigkeit 71 festgestellt werden kann. Es<br />

ist auch durchaus möglich, dass sie einhergehen mit an<strong>der</strong>en tatsächlichen Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen.<br />

Ein Flüchtling, <strong>der</strong> so große Angst vor einer Abschiebung hat, dass er lieber<br />

hier sterben würde als abgeschoben zu werden, und <strong>der</strong> deshalb suizidgefährdet ist, wird<br />

zugleich kaum daran mitwirken wollen, durch eine Passbeschaffung o<strong>der</strong> Beibringung von<br />

Identitätspapieren <strong>die</strong> Voraussetzungen <strong>für</strong> eine Abschiebung selbst herbeizuführen. In <strong>der</strong><br />

auslän<strong>der</strong>behördlichen Wertung wird als Abschiebungshin<strong>der</strong>nis wohl eher <strong>die</strong> Passlosigkeit<br />

im Vor<strong>der</strong>grund stehen.<br />

66<br />

Abgedruckt in: Flüchtlingsrat, Zeitschrift des Nie<strong>der</strong>sächsischen. Flüchtlingsrates, (o. Fn. 26).<br />

67<br />

Dabei ist neuerdings zu berücksichtigen, dass durch <strong>die</strong> Richtlinie 2004/83 des Rates v. 29.4.2004 (Abl. L<br />

304/12) über Mindestnormen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen o<strong>der</strong> Staatenlosen<br />

als Flüchtlinge o<strong>der</strong> als Personen, <strong>die</strong> an<strong>der</strong>weitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt<br />

des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) <strong>der</strong> Inhalt des § 60 Abs. 1 AufenthG durch <strong>die</strong>se<br />

Richtlinie bestimmt wird, <strong>die</strong> wie<strong>der</strong>um Bezug nimmt auf den Flüchtlingsbegriff nach Art. 1 GFK, vgl. dazu<br />

Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 7, Rn. 73 ff.<br />

68<br />

BVerfGE 54, 341; BVerwG EZAR 202 Nr. 18.<br />

69<br />

BVerwG, InfAuslR 1989, 107.<br />

70<br />

BVerwGE, 80, 315.<br />

71<br />

Wollenweber, Auslän<strong>der</strong>rechtliche Voraussetzungen und Folgen einer Reiseunfähigkeit, Das Gesund-<br />

heitswesen 2003, 709 ff.<br />

30


Hinsichtlich <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> ist weiterhin von Bedeutung, dass ihnen grundsätzlich<br />

<strong>der</strong> Zugang zum Arbeitsmarkt nicht offen steht. Ihnen kann jedoch mit Zustimmung<br />

<strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit <strong>die</strong> Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn sie<br />

sich seit einem Jahr erlaubt o<strong>der</strong> geduldet im Bundesgebiet aufgehalten haben (§ 10<br />

BeschVerfG) und wenn keine bevorrechtigten Arbeitnehmer <strong>für</strong> den Arbeitsplatz zur Verfügung<br />

stehen und auch sonst keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt festzustellen<br />

sind (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).<br />

Zur Sicherung des Lebensunterhaltes werden nicht <strong>die</strong> Sozialleistungen gem. SGB II und<br />

SGB XII gewährt, son<strong>der</strong>n nur <strong>die</strong> reduzierten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

(AsylbLG). Dieses Gesetz sieht wie<strong>der</strong>um eine Beschränkung <strong>der</strong> Leistungen<br />

auf <strong>die</strong> Grundleistungen des § 3 AsylblG vor, mit dem Prinzip des Vorrangs von Sachleistungen<br />

und einem geringen Barbetrag als Taschengeld. Weiterhin besteht gem. § 1 a AsylbLG<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, den Anspruch auf das „im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“<br />

gebotene abzusenken, wenn z.B. aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen<br />

werden können. Darauf wird an späterer Stelle noch eingegangen.<br />

2. Die Anwendungsbereiche des § 25 AufenthG unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> bremischen Anwendungshinweise<br />

§ 25 AufenthG regelt <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.<br />

Es wird unterschieden zwischen <strong>der</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen<br />

1 bis 3, <strong>die</strong> (in <strong>der</strong> Regel) eine positive Entscheidung des Bundesamtes <strong>für</strong> Migration<br />

und Flüchtlinge 72 hinsichtlich <strong>der</strong> Anerkennung als Asylberechtigte/r i.S.d. Art. 16a GG<br />

bzw. über Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 1 bzw. Abs. 2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG voraussetzt<br />

und den weiteren Regelungen des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> sogenannten<br />

„De–facto–Flüchtlinge“ von größerer Bedeutung sind.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs. 3 AufenthG bestehen teilweise Schwierigkeiten<br />

in <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Regelung aufgrund <strong>der</strong> Behördenpraxis.<br />

In einem Verfahren, in dem das Bundesamt ein Abschiebungshin<strong>der</strong>nis gem. § 60 Abs. 2<br />

AufenthG (Gefahr <strong>der</strong> Folter) festgestellt hatte, wurde <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

abgelehnt, weil <strong>der</strong> Betroffene nicht in Besitz eines Nationalpasses war. In dem<br />

Bescheid <strong>der</strong> Behörde hieß es:<br />

„Da Sie sich nicht um einen gültigen Nationalpass bemühen und den Nachweis, dass sie<br />

einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen können, nicht erbringen, kann Ihnen zurzeit<br />

keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.“ (Bescheid vom 30. März 2005, unterzeichnet<br />

vom zuständigen Abschnittsleiter).<br />

Erst nach Einleitung eines gerichtlichen Eilverfahrens im Mai 2005 hat sich <strong>die</strong> Behörde<br />

zur Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis entschlossen.<br />

Dabei ist in § 5 Abs. 3 AufenthG ausdrücklich geregelt, dass von den Voraussetzungen des<br />

§ 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, also auch von <strong>der</strong> Passpflicht, abzusehen ist, wenn ein Aufenthaltstitel<br />

gem. § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt werden soll. Es bedurfte erst eines verwal-<br />

72 Bis zum 31.12.2004: Bundesamt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.<br />

31


tungsgerichtlichen Verfahrens, um <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis in einer eigentlich<br />

klaren Angelegenheit durchzusetzen. Dieses Problem scheint kein Einzelfall zu sein,<br />

wie an<strong>der</strong>e Untersuchungen zur Umsetzung des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes zeigen 73 .<br />

Weiterhin wird bei Verlängerungen <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 3 AufenthG<br />

regelmäßig eine Anfrage an das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge gerichtet und<br />

angefragt, ob <strong>die</strong> Voraussetzungen gem. § 60 Abs. 2,3, 5 und 7 AufenthG noch vorliegen.<br />

Begründet wird <strong>die</strong>ses Vorgehen damit, dass <strong>die</strong>s einer Weisungslage entsprechen würde.<br />

Eine solche Weisungslage des Innensenators ist jedoch nicht ersichtlich. In <strong>der</strong> Praxis führt<br />

<strong>die</strong>s <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen oft zu einer unverhältnismäßig langen Dauer eines nur fiktiven<br />

Aufenthaltsrechtes. In <strong>die</strong>sen Fällen werden Fiktionsbescheinigungen ausgestellt.<br />

Nach einer an<strong>der</strong>en Weisungslage, <strong>die</strong> dem Verfasser ebenfalls nur aus Schil<strong>der</strong>ungen von<br />

Behördenmitarbeitern bekannt ist, soll im Falle <strong>der</strong> Einleitung von Wi<strong>der</strong>rufsverfahren des<br />

Bundesamtes <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nicht verlängert<br />

werden bzw. im Fall einer Klageerhebung gegen Wi<strong>der</strong>rufsentscheidungen <strong>die</strong><br />

Aufenthaltserlaubnisse nur <strong>für</strong> jeweils 6 Monate verlängert werden.<br />

Bei einer Reihe von Herkunftslän<strong>der</strong>n, z.B. bei Flüchtlingen aus dem Irak, sollen zudem<br />

vor je<strong>der</strong> Verlängerung Regelanfragen beim Landesamt <strong>für</strong> Verfassungsschutz durchgeführt<br />

werden,. Dies führt dazu, dass <strong>die</strong> Betroffenen im Ergebnis überwiegend nur noch in<br />

Besitz von Fiktionsbescheinigungen sind. Dies wie<strong>der</strong>um führt zu erheblichen Erschwernissen<br />

<strong>der</strong> Betroffenen beim Zugang zum Arbeitsmarkt, da kaum ein Arbeitgeber bereit ist,<br />

ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer einzugehen, <strong>der</strong> nur einen Aufenthalt von<br />

drei Monaten o<strong>der</strong> kürzer vorweisen kann.<br />

Den Regelungen des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG kommt dabei eine maßgebliche praktische<br />

Bedeutung zu 74 . Wie aber bereits beim Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990 muss sich auch hier in<br />

<strong>der</strong> Praxis beweisen, ob tatsächlich <strong>der</strong> Übergang <strong>der</strong> Kettenduldungen zum Aufenthaltsrecht<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen umgesetzt wird. Dabei kommt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Ausfüllung unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe und <strong>der</strong> Lenkung und Steuerung <strong>der</strong> Ermessensausübung eine<br />

große Bedeutung zu.<br />

Eine grundsätzlich Orientierung an <strong>die</strong>sen Zielen wird bspw. im rheinland-pfälzischen Erlass<br />

zu § 25 AufenthG zum Ausdruck gebracht 75 . Dort heißt es:<br />

„Es wird gebeten, <strong>die</strong> sich bei <strong>der</strong> Erteilung von Aufenthaltsrechten ergebenden Ermessensspielräume<br />

unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung integrationspolitischer und humanitärer<br />

Gesichtspunkte soweit vertretbar zugunsten des Auslän<strong>der</strong>s zu nutzen“.<br />

3. Die Gestaltung <strong>der</strong> gesetzlichen Regelungen in § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG<br />

Die Gestaltung <strong>der</strong> Regelungen des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG erschwert eine Handhabung<br />

<strong>die</strong>ser Vorschriften.:<br />

73<br />

Pro Asyl, „Ein Jahr Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz“ - Stellungnahme zur Evaluierung des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes,<br />

Frankfurt, März 2006.<br />

74<br />

Benassi, Zur praktischen Bedeutung des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG, InfAuslR 2005, 357 ff.<br />

75<br />

Innenministerium Rheinland-Pfalz, Erlass v. 17.12.2004, Az.: 19 300-7 316 0.<br />

32


Der Gesetzgeber hat <strong>der</strong> Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 26 Abs. 4 und 5<br />

AufenthG eine Reihe von Vorbehalten zur Prüfung vorgegeben, <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> Verwendung<br />

von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen in den einzelnen Vorbehalten<br />

<strong>der</strong> Verwaltung ein großes Maß an Einflussnahme einräumen.<br />

§ 25 Abs. 4 AufenthG ist sowohl in seinem Satz 1 wie in seinem Satz 2 als Kopplungsvorschrift<br />

ausgestaltet. Auf <strong>der</strong> einen Seite - Tatbestandsseite - werden unbestimmte Rechtsbegriffe<br />

(<strong>der</strong>en behördliche Ausfüllung und Interpretation jedoch in aller Regel gerichtlich<br />

voll überprüfbar ist) verwandt; auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite - Rechtsfolgenseite - wird <strong>der</strong> Verwaltung<br />

Ermessen eingeräumt.<br />

Während § 25 Abs. 4 AufenthG auf einen vorübergehenden Aufenthalt abzielt, gewährt §<br />

25 Abs. 5 AufenhG einen längerfristigen, nicht nur vorübergehenden, Aufenthalt. Die Regelung<br />

in § 25 Abs. 5 AufenthG ist komplex und bedarf einer Erläuterung, um sie zu<br />

durchdringen. Satz 1 ist ebenfalls als Kopplungsvorschrift ausgestaltet, wobei hier bereits<br />

durch Vorgabe des Gesetzgebers in § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG näher beschrieben wird,<br />

wann ein Verschulden (unbestimmter Rechtsbegriff) vorliegen soll, das gem. Satz 3 <strong>die</strong><br />

Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den Sätzen 1 und 2 von vornherein ausschließt.<br />

Mit dem Hinweis, dass <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 11 Abs. 1<br />

AufenthG 76 möglich ist, wird außerdem eine Möglichkeit eröffnet, auch ausgewiesenen<br />

o<strong>der</strong> früher bereits abgeschobenen Auslän<strong>der</strong>n eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.<br />

Hinsichtlich des Verschuldens deutet <strong>die</strong> Formulierung „insbeson<strong>der</strong>e“ darüber hinaus an,<br />

dass es weitere, nicht beschriebene Verschuldenstatbestände geben kann; eine weitere Interpretation<br />

des Begriffs des Verschuldens also durch Erlasse, Anwendungshinweise, Anweisungen<br />

o.ä. erfolgen kann. Der Verschuldensgrund <strong>der</strong> „Verweigerung zumutbarer Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

zur Beseitigung des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses“ (§ 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG) ist<br />

wie<strong>der</strong>um als unbestimmter Rechtsbegriff („zumutbare Anfor<strong>der</strong>ungen“) ausgestaltet.<br />

§ 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis unter den übrigen Voraussetzungen<br />

des § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden soll, soweit <strong>der</strong> Betroffene seit 18 Monaten<br />

im Besitz einer Duldung ist, enthält auf <strong>der</strong> Rechtsfolgenseite das sogenannte inten<strong>die</strong>rte<br />

Ermessen. Liegt keine atypische Sachverhaltskonstellation vor, ist eine Aufenthaltserlaubnis<br />

zu erteilen; liegt hingegen ein atypischer Sachverhalt vor, liegt <strong>die</strong> Erteilung einer<br />

Aufenthaltserlaubnis im behördlichen Ermessen.<br />

Weiterhin sind in allen Fällen <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG <strong>die</strong> allgemeinen<br />

Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG zu beachten. Beson<strong>der</strong>e Relevanz <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Praxis haben <strong>die</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 5 Abs. 1 Nr. 1<br />

AufenthG) und <strong>die</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Von <strong>die</strong>sen<br />

allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen kann (Ermessen) jedoch gem. § 5 Abs. 3, 2. Hs.<br />

AufenthG abgesehen werden.<br />

76 In § 11 Abs. 1 AufenthG ist eigentlich eine Sperre <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorges ehen,<br />

wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> bereits ausgewiesen o<strong>der</strong> abgeschoben wurde, selbst wenn ansonsten ein Anspruch auf<br />

Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis besteht.<br />

33


3.1. Die Erteilung o<strong>der</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong> einen vorübergehenden<br />

Aufenthalt gem. § 25 Abs. 4 AufenthG<br />

In Bremen liegt - soweit ersichtlich - hinsichtlich <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs. 4 AufenthG<br />

kein Anwendungshinweis vor. Es soll daher beson<strong>der</strong>er Augenmerk auf <strong>die</strong> Anwendungspraxis<br />

gelegt werden. Die Regelungen des § 25 Abs. 4 AufenthG ermöglichen <strong>die</strong><br />

Erteilung o<strong>der</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis unter den dort genannten Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> einen vorübergehenden Aufenthalt 77 . Die (erstmalige) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

richtet sich nach Satz 1, <strong>die</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

(gleich welcher) kommt in Fällen des Satzes 2 in Betracht. Sowohl bei <strong>der</strong> erstmaligen<br />

Erteilung wie bei <strong>der</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ist <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

ein Ermessen eingeräumt.<br />

3.1.1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG<br />

Bevor <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde eine Ermessenprüfung vornimmt, ist <strong>für</strong> den konkreten Fall<br />

zu prüfen, ob <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfüllt sind<br />

(b.) bzw. <strong>die</strong> Regelung <strong>für</strong> den Betroffenen überhaupt Anwendung finden kann (a.).<br />

a.<br />

Nach 25.4.1.1 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum<br />

Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU (VAH-BMI) 78 soll <strong>die</strong> Anwendbarkeit<br />

<strong>der</strong> Regelung bei vollziehbar ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n von vornherein ausgeschlossen<br />

sein. Für <strong>die</strong>se Personengruppe seien <strong>die</strong> Regelungen <strong>der</strong> §§ 23a, 25 Abs. 5 AufenthG<br />

vorrangige Son<strong>der</strong>bestimmungen. Dies ergebe sich daraus, dass <strong>die</strong>se Normen ausdrücklich<br />

von ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n sprächen.<br />

Gegen <strong>die</strong>se weitreichende Einschränkung des Anwendungsbereichs spricht <strong>die</strong> gesetzgeberische<br />

Zielsetzung, <strong>die</strong> Abschaffung <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen. § 25 Abs. 4 Satz 1<br />

AufenthG ist dem früheren § 55 Abs. 3 AuslG nachgebildet. Dieser ermöglichte in Fällen,<br />

<strong>die</strong> nach <strong>der</strong>zeitiger Rechtslage unter § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG subsumierbar sind, <strong>die</strong><br />

(fortlaufende) Erteilung von Duldungen, was nach gelten<strong>der</strong> Rechtslage grundsätzlich<br />

vermieden werden soll. Nach § 55 Abs. 3 AuslG durfte <strong>die</strong> Ausreisepflicht nicht unanfechtbar<br />

sein. Diese Grenzziehung zeigt, dass <strong>die</strong> (lediglich vorliegende) Vollziehbarkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreisepflicht bereits nach § 55 Abs. 3 AuslG <strong>die</strong> Erteilung einer Duldung nicht hin<strong>der</strong>te.<br />

Würde nunmehr <strong>die</strong> Vollziehbarkeit <strong>der</strong> Ausreisepflicht <strong>die</strong> Anwendbarkeit des § 25<br />

Abs. 4 Satz 1 AufenthG hin<strong>der</strong>n, läge eine Verschärfung im Vergleich zur alten Rechtslage<br />

vor, <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> gesetzgeberischen Zielsetzung kaum vereinbar wäre.<br />

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass <strong>die</strong> Vollziehbarkeit <strong>der</strong> Ausreisepflicht <strong>die</strong><br />

Anwendung des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht hin<strong>der</strong>t 79 .<br />

Trotz gegenteilig geäußerter Rechtsauffassung in den VAH-BMI hätte an <strong>die</strong>ser Stelle <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> senatorische Behörde <strong>die</strong> Möglichkeit bestanden, <strong>die</strong> Rechtsauffassung <strong>der</strong> bremischen<br />

77 Vgl. Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, 8. Aufl. 2005, § 25 AufenthG, Rn. 29.<br />

78 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum<br />

Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand: 10.12.2004, (o. Fn. 40).<br />

79 So auch VG Bremen, Beschl. v. 18.05.2005, 4 V 698/05; bestätigt durch OVG Bremen, Beschluss v.<br />

14.07.2005, 1 B 176/05 m.w.N.<br />

34


Fachgerichte durch Erlasse o<strong>der</strong> Anwendungshinweise umzusetzen. Eine Bindung in Bezug<br />

auf <strong>die</strong> Umsetzung des AufenthG tritt durch <strong>die</strong> VAH-BMI nicht ein, wie das Beispiel<br />

Nie<strong>der</strong>sachsens zeigt. Die dortigen Verwaltungsvorschriften stellen in Nr. 25.4.1.0 klar,<br />

dass eine Vollziehbarkeit <strong>der</strong> Ausreisepflicht <strong>die</strong> Anwendbarkeit von § 25 Abs. 4 Satz 1<br />

AufenthG nicht hin<strong>der</strong>t. Bestätigt wird <strong>die</strong>se Auffassung ebenso durch <strong>die</strong> Rechtsprechung<br />

des Nie<strong>der</strong>sächsischen Oberverwaltungsgerichtes 80 .<br />

b.<br />

Die Tatbestandsmerkmale „dringende humanitäre o<strong>der</strong> persönliche Gründe“ und „erhebliche<br />

öffentliche Interessen“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe, <strong>die</strong> auslegungsbedürftig<br />

sind.<br />

Danach ist <strong>für</strong> das Vorliegen humanitärer Gründe auf individuell-konkrete Umstände des<br />

Einzelfalls abzustellen. Die Situation des Betroffenen muss sich von <strong>der</strong>jenigen vergleichbarer<br />

Auslän<strong>der</strong> unterscheiden 81 . Hierbei sollen Verhältnisse im Herkunftsland ausgeklammert<br />

bleiben. Dringende persönliche Gründe sollen nach den Anwendungshinweisen<br />

des Bundes beispielsweise <strong>der</strong> Abschluss einer Schul- o<strong>der</strong> Berufsausbildung, <strong>die</strong> Fortführung<br />

einer bereits begonnenen ärztlichen Behandlung im Rahmen einer schwereren Erkrankung,<br />

<strong>die</strong> Betreuung eines schwer erkrankten Familienangehörigen sowie <strong>die</strong> unmittelbar<br />

bevorstehende Eheschließung mit einem Deutschen sein 82 . Erhebliche öffentliche<br />

Interessen liegen u.a. vor, wenn <strong>der</strong> Betroffene als Zeuge in einem Straf- o<strong>der</strong> sonstigen<br />

Gerichts- o<strong>der</strong> Verwaltungsverfahren benötigt wird 83 .<br />

Zur bremischen Praxis liegen hinsichtlich des dringenden persönlichen Grundes „Beendigung<br />

einer schulischen Ausbildung“ eine Reihe von Erfahrungen vor.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Berufung auf <strong>die</strong>sen Grund ist, dass eine schulische Ausbildung<br />

überhaupt begonnen wurde, <strong>die</strong> realistische Möglichkeit, dass <strong>die</strong> schulische Laufbahn<br />

erfolgreich beendet werden kann (Leistungsbilanz), <strong>die</strong> Unwahrscheinlichkeit, eine vergleichbare<br />

schulische Ausbildung im Heimatland zu absolvieren und zu beenden (Annahme<br />

<strong>der</strong> deutsche Sprache als eigene Sprache) sowie eine verhältnismäßig überschaubare,<br />

verbleibende Schulzeit im Vergleich zur bereits in Deutschland absolvierten Schulzeit 84 .<br />

Während <strong>die</strong> ersten drei Voraussetzungen sich von selbst verstehen und, soweit ersichtlich,<br />

nicht in Streit stehen, besteht hinsichtlich <strong>der</strong> zulässigerweise verbleibenden restlichen<br />

Schulzeit Uneinigkeit. Die VAH-BMI (25.4.1.3) verlangen, dass sich <strong>der</strong> Betroffene im<br />

letzten Schuljahr befindet. Die bremische Verwaltungspraxis verfährt entsprechend und<br />

sieht eine zeitliche Nähe <strong>der</strong> Beendigung einer schulischen Ausbildung als nicht gegeben<br />

an, wenn sich <strong>der</strong> Betroffene nicht im letzten Ausbildungsjahr befindet. Nach Ansicht <strong>der</strong><br />

bremischen Verwaltungsgerichte 85 gehen <strong>die</strong>se Einschränkungen über den gesetzlichen<br />

Wortlaut hinaus, vielmehr habe eine konkret-individuelle Einzelfallprüfung stattzufinden<br />

und keine schematische Grenzziehung (vgl. OVG Bremen 86 ). Dass auch in <strong>die</strong>sem Fall<br />

trotz bestehen<strong>der</strong> Anwendungshinweise des BMI <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Innenbehörde bestanden<br />

hätte und nach wie vor besteht, <strong>die</strong> Verwaltungspraxis entsprechend zu modifizie-<br />

80<br />

OVG Nie<strong>der</strong>sachsen, Beschl. v. 27.06.2005, 1 ME 96/05.<br />

81<br />

VAH-BMI 25.4.1.2.<br />

82<br />

VAH-BMI 25.4.1.3.<br />

83<br />

VAH-BMI 25.4.1.4.<br />

84<br />

Vgl. insoweit auch VG Bremen, Beschluss v. 18.01.2005, 4 V 2519/04, einsehbar unter<br />

www2.bremen.de/justizsenator/verwaltungsgericht/.<br />

85<br />

Siehe o. Fn. 79.<br />

86 Siehe o. Fn. 79.<br />

35


en, zeigt erneut das Beispiel Nie<strong>der</strong>sachsens, wo es nach den dortigen Verwaltungsvorschriften<br />

87 nur „in <strong>der</strong> Regel“ auf das letzte Schuljahr ankommen soll (25.4.1.2.1 Nds-VV).<br />

Was <strong>die</strong> allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, insbeson<strong>der</strong>e <strong>die</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes,<br />

anbelangt, so gehen <strong>die</strong> VAH-BMI (5.3.4.1) davon aus, dass ein Absehen vom<br />

Erfor<strong>der</strong>nis eigenständiger Sicherung des Lebensunterhaltes bei erstmaliger Erteilung eines<br />

Aufenthaltstitels grundsätzlich in Betracht kommt. Nach einjähriger Duldungsdauer soll<br />

<strong>die</strong>s wegen § 10 BeschVerfV nicht gelten. Die VAH-BMI differenzieren an <strong>die</strong>ser Stelle<br />

nicht zwischen einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und einem solchen<br />

nach § 25 Abs. 5 AufenthG. An <strong>die</strong>ser Stelle wäre <strong>der</strong> Innenbehörde also bei einer in<br />

Rede stehenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beendigung einer schulischen<br />

Ausbildung auch nach eigenem Verständnis <strong>die</strong> Möglichkeit eingeräumt, wegen <strong>der</strong> praktischen<br />

Unmöglichkeit neben einer schulischen Ausbildung auch noch den Lebensunterhalt<br />

sicherzustellen, hiervon generell abzusehen. In <strong>der</strong> Praxis wird ein etwaiger Sozialhilfebezug<br />

jedoch stets als Ausschlussgrund angesehen. So wurde <strong>die</strong>sbezüglich in einem ablehnenden<br />

Bescheid <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde in einem an<strong>der</strong>en als dem bisher angeführten Verfahren,<br />

in dem es um <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beendigung einer schulischen<br />

Ausbildung ging, ausgeführt:<br />

„Sie haben keine Anstrengungen gemacht, Ihren Lebensunterhalt zu sichern und Ihre wirtschaftliche<br />

Notlage zu beseitigen. Von <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> Lebensunterhaltsicherung<br />

kann vor <strong>die</strong>sem Hintergrund gem. § 5 Abs. 3 AufenthG nicht abgesehen werden.“<br />

Im Ergebnis ist bezüglich § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG festzuhalten, dass Auslän<strong>der</strong>- und<br />

Innenbehörde hinsichtlich <strong>der</strong> Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie <strong>der</strong><br />

grundsätzlichen Anwendbarkeit <strong>der</strong> Norm <strong>die</strong> Vorgaben des BMI als verbindlich erachten<br />

und so nach eigenem Selbstverständnis in vielen Fällen eine Ermessenprüfung gar nicht<br />

erst vornehmen. Wird Ermessen ausgeübt, so wird <strong>die</strong>s spätestens bei <strong>der</strong> Frage eigenständiger<br />

Sicherung des Lebensunterhaltes zu Lasten <strong>der</strong> Betroffenen ausgeübt, obwohl gerade<br />

an <strong>die</strong>ser Stelle aufgrund des Fehlens von Hinweisen des BMI ein Gestaltungsspielraum<br />

vorhanden ist, <strong>der</strong> dem praktischen Problem des Nebeneinan<strong>der</strong>s von schulischer Ausbildung<br />

und eigenständiger Sicherung des Lebensunterhaltes Rechnung tragen könnte.<br />

Die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 4 AufenthG sollte insbeson<strong>der</strong>e<br />

nicht mit <strong>der</strong> Begründung ausgeschlossen werde, dass <strong>die</strong> Betroffenen gleichzeitig auch<br />

einen Daueraufenthalt wünschen. So wird im Anwendungshinweis des Innenministeriums<br />

Mecklenburg – Vorpommern ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zu prüfen sei,<br />

“ob sich aus einzelnen Umständen - isoliert betrachtet - ergibt, dass ein vorübergehen<strong>der</strong><br />

Aufenthalt erfor<strong>der</strong>lich ist. Dass ggf. mehrere zeitlich befristete Aufenthalte später zu einem<br />

Daueraufenthalt führen können, ist ausweislich <strong>der</strong> Norm des § 26 Abs. 4 AufenthG<br />

vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt“ 88 .<br />

87 Vorläufige nie<strong>der</strong>sächsische Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 31.03.2005.<br />

88 Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern, Auslegungshinweis v. 27.07.2005, Az.: II 610 - 1300.1.<br />

36


3.1.2. Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen einer außergewöhnlichen<br />

Härte gem. § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG<br />

§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG betrifft den Fall <strong>der</strong> Verlängerung eines bereits bestehenden<br />

Aufenthaltstitels, wobei es gleichgültig ist, welcher Aufenthaltszweck dem bestehenden<br />

Titel zugrunde liegt 89 , wie <strong>der</strong> Wortlaut „abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG“<br />

verdeutlicht.<br />

Die Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist an <strong>die</strong> des § 30 Abs. 2 AuslG angelehnt,<br />

wobei allerdings <strong>die</strong> Dauer des bisherigen Aufenthaltes nunmehr eine außergewöhnliche<br />

Härte darstellen kann.<br />

Der Wortlaut „beson<strong>der</strong>e Umstände des Einzelfalls“ verdeutlicht, dass allgemeine Verhältnisse<br />

im Heimatland (z.B. Naturkatastrophen, kriegerische Auseinan<strong>der</strong>setzungen) nicht<br />

berücksichtigt werden sollen. Voraussetzung ist, dass sich <strong>der</strong> Betroffene in einer individuellen<br />

Son<strong>der</strong>situation befindet, in <strong>der</strong> ihn eine Aufenthaltsbeendigung nach Art und Schwere<br />

wesentlich härter treffen würde als vergleichbar Betroffene. Dies ist beispielsweise dann<br />

<strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> ursprüngliche Aufenthaltszweck wi<strong>der</strong> Erwarten noch nicht erreicht<br />

werden konnte o<strong>der</strong> ein neuer, ebenso dringen<strong>der</strong> Grund hinzutritt 90 . Eine außergewöhnliche<br />

Härte kann sich auch aus einer beson<strong>der</strong>en Verpflichtung des Betroffenen gegenüber<br />

im Bundesgebiet lebenden Dritten ergeben 91 .<br />

Die Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis bei einem bereits bestehenden Aufenthalt<br />

kommt insbeson<strong>der</strong>e dann in Betracht, wenn z.B. zuvor ein Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft<br />

gem. § 73 AsylVfG stattgefunden hat, aber eine Rückkehr den Betroffenen nicht<br />

möglich o<strong>der</strong> nicht zumutbar ist 92 , wie <strong>die</strong>se z.B. bei Flüchtlingen aus dem Irak, <strong>die</strong> ihren<br />

Status als politische Flüchtlinge verloren haben, regelmäßig <strong>der</strong> Fall sein dürfte.<br />

Wie dargestellt, hat <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde über <strong>die</strong> Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

ebenso nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wie von <strong>der</strong> Möglichkeit des<br />

Absehens <strong>der</strong> allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG.<br />

Nach <strong>der</strong> rheinland-pfälzischen Erlasslage 93 überwiegen <strong>die</strong> privaten Belange des Auslän<strong>der</strong>s<br />

gegenüber dem öffentlichen Interesse an <strong>der</strong> Rückführung, wenn nach erstmaliger<br />

Erteilung eines Bleiberechts bei Personen mit langjährigem Aufenthalt und bestehen<strong>der</strong><br />

Integration entwe<strong>der</strong> eine Verlängerung nahe liegt o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung<br />

nach § 26 Abs. 4 i.V.m. § 102 Abs. 2 AufenthG gerechnet werden kann<br />

(Ziffer 3.2 des Erlasses).<br />

Diese Erlasslage lässt erkennen, dass beson<strong>der</strong>e Umstände vorliegen können und eine außergewöhnliche<br />

Härte angenommen werden kann, wenn ein Verlassen des Bundesgebietes<br />

kurz vor dem Erreichen eines Daueraufenthaltsrechts erfolgen müsste. Die Rechtsauslegung<br />

trägt dem Umstand Rechnung, dass das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsrecht seiner Konzeption<br />

nach nicht nur ausgrenzen, son<strong>der</strong>n Integration för<strong>der</strong>n und Integrationsleistungen honorieren<br />

möchte und sich damit vom Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990, dass noch stark polizeirechtlich<br />

geprägt war, abhebt 94 . Eine vergleichbare Weisungslage ist in Bremen nicht vorhanden.<br />

89<br />

Göbel-Zimmermann, Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und<br />

5 AufenthG, ZAR 2005, 275, 277.<br />

90<br />

Vgl. Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 25 AufenthG, Rn. 31.<br />

91 VAH-BMI 25.4.2.2.<br />

92 Vgl. Benassi, (o. Fn. 73), S. 357.<br />

93 Siehe o. Fn. 75.<br />

94 Vgl. Benassi, (o. Fn. 73), S. 357.<br />

37


3.2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei einem längerfristigen Ausreisehin<strong>der</strong>nis<br />

gem. 25 Abs. 5 AufenthG<br />

Die Vorschrift ermöglicht <strong>die</strong> Legalisierung des Aufenthalts bei Personen, bei denen ein<br />

tatsächliches o<strong>der</strong> rechtliches Ausreisehin<strong>der</strong>nis vorliegt und <strong>die</strong>ses in absehbarer Zeit<br />

nicht zu beseitigen ist und dem Betroffenen we<strong>der</strong> ein Verschulden am Bestehen des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

noch an <strong>der</strong> fehlenden Beseitigungsmöglichkeit anzulasten ist. Diese Regelung<br />

ist daher <strong>die</strong> Kernvorschrift zur Legalisierung <strong>der</strong> bisherigen Kettenduldungen.<br />

Der Gesetzgeber hat in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung ausdrücklich hervorgehoben, dass <strong>die</strong><br />

Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG ausdrücklich auf <strong>die</strong> Abschaffung <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen<br />

abzielt 95 .<br />

Ihrem Inhalt nach ist <strong>die</strong> Norm § 30 Abs. 3 und 4 AuslG nachgebildet. Nach alter Rechtslage<br />

war <strong>die</strong> Legalisierung des Aufenthalts bei fehlen<strong>der</strong> und unverschuldeter Abschiebemöglichkeit<br />

gegeben. Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 5 AufenthG ist <strong>die</strong> Legalisierung<br />

nicht mehr bei Bestehen eines Abschiebehin<strong>der</strong>nisses möglich, son<strong>der</strong>n bei Bestehen eines<br />

Ausreisehin<strong>der</strong>nisses. Beim Vorliegen zielstaatsbezogener Ausreishin<strong>der</strong>nisse, <strong>die</strong> sich<br />

zwingend auch als Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse darstellen, ist <strong>die</strong> Regelung des § 25 Abs. 3<br />

AufenthG nach vorheriger Feststellung durch i.d.R. das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und<br />

Flüchtlinge vorrangig 96 .<br />

Die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise aus rechtlichen Gründen gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erfasst<br />

damit lediglich inlandsbezogene Ausreisehin<strong>der</strong>nisse 97 , wobei Benassi 98 wegen des<br />

verfassungsrechtlichen Bezugs bei <strong>der</strong> Beantwortung <strong>der</strong> Frage, ob eine freiwillige Ausreise<br />

zumutbar ist, in <strong>die</strong> gebotene Gesamtschau zwangsläufig <strong>die</strong> Berücksichtigung von zielstaatsbezogenen<br />

Umständen, <strong>die</strong> unterhalb <strong>der</strong> Schwelle des § 25 Abs. 3 AufenthG liegen,<br />

einbeziehen will.<br />

Hervorzuheben ist, dass nunmehr nicht eine unanfechtbare Ausreisepflicht vorausgesetzt<br />

wird, son<strong>der</strong>n <strong>die</strong> vollziehbare Ausreisepflicht ausreicht. Dies ist insofern von Bedeutung,<br />

als das <strong>die</strong> Unanfechtbarkeit <strong>der</strong> Ausreisepflicht bereits begrifflich <strong>die</strong> Existenz eines <strong>die</strong><br />

Ausreispflicht begründenden Verwaltungsakts voraussetzt 99 , <strong>die</strong> Ausreispflicht jedoch<br />

auch ohne <strong>die</strong> Existenz eines sie begründenden Verwaltungsakts entstehen kann, vgl. § 50<br />

Abs. 1 AufenthG (bzw. § 42 Abs. 1 AuslG).<br />

So war und ist beispielsweise das Kind zweier geduldeter Auslän<strong>der</strong>, welches in Deutschland<br />

geboren wird, grundsätzlich mit <strong>der</strong> Geburt ausreisepflichtig, ohne dass es zur Begründung<br />

<strong>die</strong>ser Ausreispflicht eines Verwaltungsaktes bedürfte. Die Ausreispflicht <strong>die</strong>ses<br />

Kindes kann daher nicht unanfechtbar werden, son<strong>der</strong>n ist lediglich vollziehbar, § 58 Abs.<br />

2 Nr. 2 AufenthG 100 .<br />

Insofern vergrößert <strong>die</strong> Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG den Kreis <strong>der</strong> potenziell Begünstigten<br />

im Vergleich zu § 30 Abs. 3 und 4 AuslG. Damit wird einem zentralen Anliegen<br />

des geän<strong>der</strong>ten Zuwan<strong>der</strong>ungsrechts (Abschaffung <strong>der</strong> Kettenduldungen) Rechnung<br />

getragen.<br />

95<br />

Vgl. Begründung zu § 25 Abs. 6 AufenthG (alt), BR-Drs. 22/03, S. 182.<br />

96<br />

Benassi, (o. Fn. 73), S. 360.<br />

97<br />

Vgl. BT -Drs. 15/420, 80.<br />

98<br />

Benassi, (o. Fn. 73), S. 360.<br />

99<br />

Vgl. BVerwGE 108, 21, 25.<br />

100<br />

Bzw. §§ 42 Abs. 2 Nr. 3, 69 Abs. 1 Satz 2 AuslG: Vollziehbarkeit <strong>der</strong> Ausreisepflicht ohne <strong>die</strong>sen begründenden<br />

Verwaltungsakt bei Versäumung <strong>der</strong> sechsmonatigen Frist zur Beantragung eines in Deutschland<br />

geborenen Kindes.<br />

38


Bei Vorliegen <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen steht <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

im behördlichen Ermessen. Die tatsächliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise kann, wie<br />

auch bei den Duldungstatbeständen, z.B. in <strong>der</strong> Passlosigkeit, Staatenlosigkeit o<strong>der</strong> fehlenden<br />

Übernahmebereitschaft des Heimatlandes liegen.<br />

Ein wesentlicher Anwendungsbereich <strong>der</strong> rechtlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise dürfte<br />

<strong>der</strong> verfassungsrechtliche Schutz <strong>der</strong> Familie (Art. 6 GG, Art 8 EMRK), <strong>die</strong> Unverhältnismäßigkeit<br />

einer Ausreise nach erfolgter Integration (Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK) darstellen,<br />

aber auch schwere Krankheit o<strong>der</strong> Schwangerschaft (Art. 1, 2 GG) können eine freiwillige<br />

Ausreise unmöglich machen und zugleich eine rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise darstellen.<br />

3.2.1. Ausreisehin<strong>der</strong>nis und Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise<br />

Im Anwendungshinweis des Senators <strong>für</strong> Inneres wird nicht hinreichend deutlich auf <strong>die</strong><br />

Frage eingegangen, ob auch <strong>die</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise eine Rolle spielen soll.<br />

Einerseits heißt es:<br />

„Eine freiwillige Ausreise ist dann nicht möglich, wenn ihr <strong>die</strong>selben rechtlichen o<strong>der</strong> humanitären<br />

Gründe entgegenstehen, <strong>die</strong> zur Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung geführt haben und<br />

es keine Son<strong>der</strong>regelungen <strong>für</strong> bestimmte Personengruppen gibt.“<br />

Dies indiziert zumindest <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fälle in denen ein rechtliches Abschiebungshin<strong>der</strong>nis zur<br />

Erteilung einer Duldung geführt hat, <strong>die</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzung <strong>der</strong> Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise. Im bremischen Anwendungshinweis heißt es weiter:<br />

„Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist ausgeschlossen, wenn <strong>die</strong> Abschiebung unmöglich<br />

ist, <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise hingegen besteht.“<br />

Diese Formulierung legt wie<strong>der</strong>um nahe, dass <strong>die</strong> Frage <strong>der</strong> Zumutbarkeit nicht geprüft<br />

werden sein soll. Dabei liegt es auf <strong>der</strong> Hand, dass eine freiwillige Ausreise objektiv und<br />

technisch zumindest theoretisch immer möglich ist 101 .<br />

Das Kriterium <strong>der</strong> Zumutbarkeit kann bei <strong>der</strong> Frage, ob eine freiwillige Ausreise möglich<br />

ist o<strong>der</strong> nicht, nicht ausgeblendet werden. Auch <strong>die</strong> VAH-BMI 102 stellen hierzu fest, dass<br />

<strong>die</strong> freiwillige Ausreise zumutbar sein muss, <strong>die</strong> subjektiven Umstände also nicht ausgeblendet<br />

werden sollen.<br />

Die bestehenden Län<strong>der</strong>erlasse dazu sind teilweise wi<strong>der</strong>sprüchlich. Im Erlass des Hessischen<br />

Ministeriums des Innern und <strong>für</strong> Sport 103 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass<br />

<strong>die</strong> Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise „keine Frage <strong>der</strong> tatbestandsmäßigen Voraussetzungen<br />

des § 25 Abs. 5 AufenthG darstellt“.<br />

101 Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89) , S. 278.<br />

102 VAH-BMI 25.5.1.2.<br />

103 Hessisches Ministerium des Innern und Sport, Erlass v. 07.02.2005, II 4 23 d.<br />

39


Dies ist aber mit <strong>der</strong> Intention <strong>der</strong> Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in Einklang zu<br />

bringen. Nach hier vertretener Auffassung, <strong>die</strong> auch in den VAH-BMI anklingt, ist auch<br />

<strong>die</strong> subjektive Seite, dass heißt <strong>die</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise, zu prüfen 104 .<br />

Auch das Verwaltungsgericht Bremen vertritt <strong>die</strong> Auffassung, dass eine Ausreise nicht nur<br />

dann unmöglich ist, „wenn sie objektiv nicht durchgeführt werden kann, son<strong>der</strong>n auch<br />

dann, wenn sie dem Einzelnen nicht zumutbar ist“ 105 .<br />

Nach dem Erlass des nordrhein-westfälischen Innenministeriums soll nur in Ausnahmefällen<br />

eine Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise als Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise akzeptiert werden,<br />

z.B. bei schwerwiegenden krankheitsbedingten Gründen 106 .<br />

Teilweise nehmen Verwaltungsgerichte <strong>die</strong> Zumutbarkeitsprüfung über <strong>die</strong> Frage <strong>der</strong><br />

rechtlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise vor, so z.B. über eine Beachtung <strong>der</strong> Vorschriften<br />

aus Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK. Art. 8 Abs. 1 EMRK for<strong>der</strong>t <strong>die</strong> Achtung des Privatlebens<br />

des Auslän<strong>der</strong>s. Bestehen intensive Bindungen zum Aufenthaltsstaat, so können <strong>die</strong> Rechte<br />

aus Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt werden, wenn durch <strong>die</strong> Aufenthaltsbeendigung <strong>der</strong> Eingriff<br />

in <strong>die</strong>se Rechte nicht mehr verhältnismäßig i.S. des Art. 8 Abs. 2 EMRK ist. Wenn<br />

das private Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse<br />

an seiner Ausreise überwiegt, soll somit von einer Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise und<br />

einer rechtlichen Unmöglichkeit ausgegangen werden können 107 .<br />

In <strong>der</strong> Rechtsprechung gibt es bislang keine einhellige Auffassung zur Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Zumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise. An<strong>der</strong>s als das VG Bremen, vertritt bspw.<br />

das OVG Nie<strong>der</strong>sachsen in einem Urteil vom 29. November 2005 <strong>die</strong> Auffassung, dass<br />

eine Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise nicht zu prüfen sei, da <strong>der</strong> Gesetzgeber ausdrücklich auf<br />

<strong>die</strong> rechtliche und tatsächliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise abgestellt habe 108 . Dem kann<br />

nicht gefolgt werden. Die Prüfung <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise entspricht <strong>der</strong> Intention<br />

des Gesetzgebers, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong> Kettenduldung beenden wollte und beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong><br />

Min<strong>der</strong>jährige und seit langem in Deutschland geduldete Auslän<strong>der</strong> einen positiven Ermessengebrauch<br />

sicherstellen wollte. In <strong>der</strong> Gesetzesbegründung wird ausdrücklich erwähnt,<br />

dass auch „<strong>die</strong> subjektive Möglichkeit - und damit implizit auch <strong>die</strong> Zumutbarkeit -<br />

<strong>der</strong> Ausreise“ zu prüfen sei 109 .<br />

Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass insoweit ausdrücklich eine Verbesserung <strong>der</strong><br />

Rechtslage zu Gunsten langjährig geduldeter Auslän<strong>der</strong> sichergestellt und nicht eine Verschärfung<br />

zu Lasten <strong>der</strong> Betroffenen herbei geführt werden sollte.<br />

Die Absicht des Gesetzgebers kommt allerdings in einigen Län<strong>der</strong>erlassen zum Ausdruck.<br />

So heißt es im rheinland-pfälzischen Erlass:<br />

„Die Überführung von langjährigen Duldungsinhabern in ein Bleiberecht nach § 25 Abs.<br />

5 AufenthG kommt insbeson<strong>der</strong>e bei solchen Fallgestaltungen in Betracht, bei denen eine<br />

104<br />

So auch VG Darmstadt, Urteil v. 22.11.2005; 4 E 2800/03 (1); ebenso HessVGH, Beschluss v.<br />

01.06.2005, 3 TG 765/05.<br />

105<br />

VG Bremen, Urteil v. 27.06.2005, 4 K 2560/04.<br />

106<br />

Innenministerium Nordrhein-Westfalen, Erlass zu §§ 25 Abs. 4 und 5, 26 Abs. 4, und 102 Abs. 2 AufenthG<br />

vom 28.2.2005.<br />

107<br />

VG Braunschweig , Asylmagazin 3/2006, S. 34 f.; siehe auch VG Darmstadt (o. Fn. 104), HessVGH (o.<br />

Fn. 104).<br />

108<br />

OVG Nie<strong>der</strong>sachsen, Asylmagazin 3/2006, S. 31 f.<br />

109 BT-Drs. 15/420, S. 80.<br />

40


zwangsweise Durchsetzung <strong>der</strong> Ausreisepflicht unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Umstände des<br />

Einzelfalls nicht mehr als verhältnismäßig angesehen werden kann.“ 110<br />

Exemplarisch werden im Anwendungshinweis von Mecklenburg-Vorpommern Beispielsfälle<br />

aufgeführt, in denen eine Ausreise als subjektiv unzumutbar betrachtet werden kann<br />

und damit zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals <strong>der</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise führen<br />

soll 111 :<br />

- Einzelfälle, bei denen <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde im Ermessenswege bereits über<br />

längere Zeit erkennbar von <strong>der</strong> Abschiebung abgesehen hat und keine grundlegende<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Umstände, <strong>die</strong> hierzu geführt haben, zu erwarten ist;<br />

- Einzelfälle, in denen eine außergewöhnliche Verfahrensdauer, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

nicht zu vertreten hat, zu einem langjährigen Aufenthalt geführt hat und eine<br />

(faktische) Integration in <strong>die</strong> Lebensverhältnisse <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland erfolgt ist;<br />

- Einzelfälle, in denen sich ein Auslän<strong>der</strong> aufgrund seines gesamten Werdegangs<br />

im Bundesgebiet (faktisch) integriert hat und ihm deshalb ein Leben in seinem<br />

Heimatstaat, von dem er sich entfremdet hat, nicht zumutbar erscheint. Hierunter<br />

können insbeson<strong>der</strong>e Personen gehören, <strong>die</strong> im Bundesgebiet geboren wurden<br />

o<strong>der</strong> als Min<strong>der</strong>jährige in <strong>die</strong> Bundesrepublik eingereist sind und ausschließlich<br />

hier <strong>die</strong> Schule besucht haben bzw. noch besuchen o<strong>der</strong> <strong>die</strong> sich bereits<br />

in einer Ausbildung befinden.<br />

Diese Darlegung von Zumutbarkeitskriterien erleichtern <strong>für</strong> <strong>die</strong> betroffenen Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

den Umgang mit <strong>der</strong> Regelung und dürften dem gesetzgeberischen Ziel, <strong>der</strong> Abschaffung<br />

von Kettenduldungen, näher kommen.<br />

3.2.2. Der Ausschluss <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG durch Erlasse gem. §<br />

60a AufenthG<br />

Teilweise wird in Län<strong>der</strong>erlassen, mit denen zugleich <strong>die</strong> Abschiebung in bestimmte Län<strong>der</strong><br />

ausgesetzt wird, <strong>die</strong> Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG ausgeschlossen, indem<br />

ausdrücklich festgehalten wird, dass <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise besteht.<br />

Wegen <strong>der</strong> angespannten Sicherheitslage hat <strong>der</strong> Senator <strong>für</strong> Inneres Bremen mit einem<br />

Erlass vom 13. Januar 2006 von seiner Anordnungsbefugnis gem. § 60 a AufenthG<br />

Gebrauch gemacht und <strong>die</strong> Abschiebung von Flüchtlingen aus dem Irak ausgesetzt 112 . Die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde wird mit <strong>die</strong>sem Erlass angewiesen, Duldungen <strong>für</strong> bis zu 6 Monate zu<br />

erteilen. Gleichzeitig heißt es aber in <strong>die</strong>sem Erlass:<br />

„Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist wegen <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise ausgeschlossen.“<br />

110 Innenministerium Rheinland-Pfalz, (o. Fn. 75).<br />

111 Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern, (o. Fn. 88).<br />

112 Senator <strong>für</strong> Inneres, Bremen, Erlass 06-01-01 v. 13.01.2006, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/innensenator/.<br />

41


Ähnliche Erlasse mit gleichem o<strong>der</strong> ähnlichem Wortlaut bestehen auch bezüglich an<strong>der</strong>er<br />

Flüchtlingsgruppen. In dem Erlass wird immerhin in Bezug auf Personen aus dem Kosovo<br />

113 <strong>für</strong> einzelne Ausnahmefälle ein Ermessensspielraum eröffnet. Es heißt dort:<br />

„Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist grundsätzlich<br />

wegen <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise ausgeschlossen; es sei denn, aufgrund <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Umstände des Einzelfalles ist <strong>die</strong> freiwillige Ausreise nicht möglich. In <strong>die</strong>sen<br />

Ausnahmefällen soll, sofern <strong>die</strong> Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG im<br />

Übrigen vorliegen, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.“<br />

Nach Auffassung verschiedener Verwaltungsgerichte ist jedoch beson<strong>der</strong>s <strong>die</strong> Situation<br />

von Min<strong>der</strong>heiten im Kosovo als sehr kritisch zu beurteilen. So wird bspw. <strong>für</strong> <strong>die</strong> Min<strong>der</strong>heit<br />

<strong>der</strong> Ashkali aus dem Kosovo angenommen, dass keine zumutbare Ausreisemöglichkeit<br />

bestehe 114 . Dieser Auffassung schloss sich auch das Oberverwaltungsgericht Bremen in<br />

einem Beschluss vom 9. September 2005 an, in dem es um <strong>die</strong> Gewährung von ungekürzten<br />

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nach § 2 AsylbLG ging 115 . Insoweit<br />

wäre es bei Abfassung des Erlasses sachgerecht gewesen, <strong>die</strong> Situation bezüglich <strong>die</strong>ser<br />

Min<strong>der</strong>heiten in den Erlass einzubeziehen und <strong>die</strong> Möglichkeit zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen<br />

gem. § 25 Abs. 5 AufenthG nicht zu versperren.<br />

Der Tschetschenien-Erlass des Senators <strong>für</strong> Inneres Bremen vom 22. November 2004 116<br />

begegnet ebenfalls erheblichen Bedenken. So heißt es in <strong>die</strong>sem Erlass:<br />

„Eine generelle Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung tschetschenischer Volkszugehöriger ist nach<br />

wie vor nicht erfor<strong>der</strong>lich, da im Allgemeinen von einer inländischen Fluchtalternative<br />

auszugehen ist.“<br />

Dies indiziert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde, grundsätzlich von <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Ausreise auszugehen und <strong>die</strong> Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG auszuschließen.<br />

Gerade vor dem Hintergrund, dass das Oberverwaltungsgericht Bremen mit einem Urteil<br />

vom 16. März 2005 117 entschieden hat, das Tschetschenen einer Gruppenverfolgung in<br />

Tschetschenien unterliegen und ihnen auch in an<strong>der</strong>en Gebieten <strong>der</strong> Russischen För<strong>der</strong>ation<br />

keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, ist <strong>die</strong>se Ausführung im Län<strong>der</strong>erlass<br />

nicht sachgerecht. In den vorgenannten Fällen ist es angebracht, von einem rechtlichen<br />

(subjektiven) Ausreisehin<strong>der</strong>nis auszugehen, weil <strong>die</strong> Ausreise nicht zumutbar ist.<br />

Der Anwendungsbereich des § 25 Abs. 5 AufenthG darf daher nicht durch <strong>die</strong> genannten<br />

Erlassregeln verschlossen werden.<br />

113<br />

Senator <strong>für</strong> Inneres, Bremen, Erlass 05-12-01 v. 01.01.2006, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/innensenator/.<br />

114<br />

VGH Baden-Württemberg, InfAuslR 2005, 74; SG Braunschweig, InfAuslR 2005, 159; VG Oldenburg,<br />

Beschluss v. 23.11.2004 - 13 B 3972/04 -; VG Braunschweig, Beschluss v. 18.05.2004 - 3 B 59/04.<br />

115<br />

OVG Bremen, Beschluss v. 09.09.2005, 2 B 177/05.<br />

116<br />

Senator <strong>für</strong> Inneres, Bremen, Erlass 05-00-03 vom 22.11.2004; einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/innensenator/.<br />

117<br />

OVG Bremen, 2 A 114/03.A, einsehbar unter www2.bremen.de/justizsenator/oberverwaltungsgericht/; <strong>die</strong><br />

Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da gegen das Urteil <strong>die</strong> Zulassung <strong>der</strong> Revision beantragt wurde.<br />

42


3.2.3. Zeitliche Prognose und Ausreisehin<strong>der</strong>nis<br />

Hinsichtlich eines möglichen Wegfalls des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses in § 25 Abs. 5 Satz 1, 2.<br />

Hs. AufenthG (in „absehbarer Zeit“), <strong>der</strong> <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausschließt,<br />

ist eine Prognoseentscheidung erfor<strong>der</strong>lich. Allgemein wird, so auch im bremischen<br />

Anwendungshinweis vom 13. September 2005, ein Zeitraum von sechs Monaten als<br />

absehbar angesehen 118 .<br />

Im Bremischen Anwendungshinweis vom 13. September 2005 heißt es weiter:<br />

„Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Asylantrag gem. § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet<br />

abgelehnt wurde, kann danach grundsätzlich keine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5<br />

AufenthG erteilt werden.“<br />

Damit gibt <strong>der</strong> Anwendungshinweis <strong>die</strong> Gesetzeslage wie<strong>der</strong>, <strong>die</strong> allerdings nicht unproblematisch<br />

ist. Sie zwingt möglicherweise Betroffene trotz Bestehens eines objektiven Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

in einen dauerhaften und unabän<strong>der</strong>lichen Duldungsstatus. Eine Korrektur<br />

des Gesetzgebers wäre im Hinblick auf Ausnahmefälle angebracht.<br />

3.2.4. Der Ausschluss des „verschuldeten Ausreisehin<strong>der</strong>nisses“<br />

Sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 wie Satz 2<br />

AufenthG darf ein Verschulden des Auslän<strong>der</strong>s am Bestehen des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

nicht vorliegen. Das Tatbestandsmerkmal des Verschuldens geht dabei einher mit einer<br />

Formulierung von Mitwirkungspflichten des Auslän<strong>der</strong>s. Dies bedeutet, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

alle ihm möglichen, zumutbaren und nicht von vornherein aussichtslosen Handlungen<br />

zur Ermöglichung einer Ausreise unternehmen muss 119 . Verschulden bedeutet in <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang ein subjektiv zurechenbares, also vorwerfbares, Verhalten 120 .<br />

Die Auslegung des Begriffs ist gerichtlich überprüfbar. Kann das Verwaltungsgericht ein<br />

schuldhaftes Tun o<strong>der</strong> Unterlassen nicht feststellen, trägt <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>die</strong> materielle<br />

Beweislast da<strong>für</strong>, welche konkreten Handlungen zur Beseitigung des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

noch verlangt werden können 121 .<br />

Ein erheblicher Teil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong>, wird deshalb geduldet, weil sie nicht in<br />

Besitz eines gültigen Passes sind. Nach einer Auskunft des <strong>Bremer</strong> Senats waren <strong>die</strong>s im<br />

Jahre 2004 mehr als <strong>die</strong> Hälfte aller geduldeten Personen 122 .<br />

Im bremischen Anwendungshinweis vom 13. September 2005 heißt es dazu:<br />

„Besteht das Ausreisehin<strong>der</strong>nis in <strong>der</strong> Passlosigkeit des Auslän<strong>der</strong>s, ist solange von <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise auszugehen, bis er durch geeignete Unterlagen<br />

nachweist, dass er alles zur Passbeschaffung Erfor<strong>der</strong>liche unternommen hat.“<br />

118<br />

Keßler, Von <strong>der</strong> Duldung zur Aufenthaltserlaubnis, Handlungsmöglichkeiten nach § 25 Abs. 4 und 5<br />

AufenthG, Gutachten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen vom<br />

16.03.2005, S. 8.<br />

119<br />

Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89), S. 279.<br />

120<br />

Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89), S. 279.<br />

121<br />

Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89), S. 279.<br />

122<br />

Vgl. Ausführungen in Kapitel V., Abschnitt 1. .<br />

43


Diese Formulierung im Anwendungshinweis ist in <strong>der</strong> Praxis wenig hilfreich. Die Passlosigkeit<br />

eines Auslän<strong>der</strong>s ist häufig durch Umwälzungen in seinem Heimatland o<strong>der</strong> durch<br />

eine prekäre Situation des Betroffenen in seinem Heimatland bedingt.<br />

Aus dem Anwendungshinweis wird we<strong>der</strong> deutlich, was unter „geeigneten Unterlagen“ zu<br />

verstehen ist, noch was mit „alles Erfor<strong>der</strong>liche“ gemeint sein soll.<br />

Wenn dem Betroffenen vorgegeben wird, „durch geeignete Unterlagen“ nachzuweisen,<br />

dass er alles zur Passbeschaffung erfor<strong>der</strong>liche unternommen haben, so öffnet <strong>die</strong>s Tür und<br />

Tor <strong>für</strong> immer neue Anfor<strong>der</strong>ungen zur Beibringung von Dokumenten. In <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen<br />

Praxis führt <strong>die</strong>s dazu, dass <strong>die</strong> Sachbearbeiter bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde den<br />

Betroffenen immer wie<strong>der</strong> neue Mitwirkungsmöglichkeiten auferlegen.<br />

Ein Beispiel:<br />

Einer aus dem Libanon stammenden Frau, <strong>die</strong> als Kleinkind nachweislich mit einem Pass<br />

<strong>für</strong> ungeklärte Staatsangehörige aus dem Libanon eingereist sind, <strong>der</strong>en Eltern im Bundesgebiet<br />

verstorben sind, wird nach 18-jährigem Aufenthalt im Bundesgebiet und jahrelang<br />

erteilter Aufenthaltsbefugnis auferlegt, Registerunterlagen aus dem Libanon beizubringen.<br />

Dabei liegen Auskünfte amtlicher Stellen vor, dass im Libanon Personen ohne libanesische<br />

Staatsanghörigkeit nach einem Jahr ohne gültigen Aufenthalt im Libanon aus den ursprünglichen<br />

Registern gestrichen werden 123 .<br />

Der Gesetzgeber hat wegen <strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> Zumutbarkeit von Mitwirkungspflichten<br />

in <strong>die</strong> gesetzliche Regelung bewusst den Verschuldensbegriff aufgenommen, um als Leitlinie<br />

vorzugeben, dass grundsätzlich nur <strong>die</strong> tatsächlichen Missbrauchsfälle, <strong>die</strong> bewusste<br />

und gezielte Täuschung über <strong>die</strong> Herkunft, Staatsangehörigkeit o<strong>der</strong> persönliche Identität<br />

erfasst werden 124 . Das Verhalten des Auslän<strong>der</strong>s muss ursächlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise sein. Dies ist z.B. dann gegeben, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> seinen Pass vernichtet<br />

o<strong>der</strong> zurückhält, um nicht abgeschoben zu werden 125 .<br />

Außerdem muss das vorwerfbare Verhalten des Auslän<strong>der</strong>s kausal <strong>für</strong> das bestehende<br />

Ausreishin<strong>der</strong>nis sein 126 . Auch wenn <strong>der</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong> frührer über Identität und<br />

Herkunft getäuscht hat, <strong>die</strong> Identität und Herkunft später allerdings aufgeklärt worden ist<br />

und <strong>die</strong> Ausreise nicht mehr an <strong>die</strong>ser früheren Täuschung scheitert, son<strong>der</strong>n an an<strong>der</strong>en<br />

Gründen, z.B. an einer bestehenden Reisunfähigkeit o<strong>der</strong> Passlosigkeit, so kann <strong>die</strong>se frühere<br />

Täuschungshandlung nicht mehr zu einem Ausschluss <strong>der</strong> Anwendung des § 25 Abs.<br />

5 AufenthG führen.<br />

Diese Intention des Gesetzgebers wird insoweit im bremischen Anwendungshinweis nicht<br />

berücksichtigt.<br />

123<br />

Innenministerium Nie<strong>der</strong>sachsen, Rundschreiben v. 24.03.2000, Az.: 45.21-12213/6 - 12-2N.<br />

124<br />

Marx; Verfestigung des Aufenthaltsrechts im Übergangsprozess zwischen Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990 und<br />

Aufenthaltsgesetz 2004, ZAR 2004, 403 , 407.<br />

125<br />

Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 25 AufenthG, Rn. 36.<br />

126<br />

Marx, (o. Fn. 124); Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89), S. 281; Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 25<br />

AufenthG, Rn. 36.<br />

44


3.2.5. Die Berücksichtigung <strong>der</strong> allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gem. § 5 AufenthG<br />

Liegen <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vor, hat <strong>die</strong> Behörde<br />

nach pflichtgemäßem Ermessen über <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu<br />

entscheiden. Kernpunkt <strong>der</strong> Ermessensbetätigung ist regelmäßig <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Regelerteilungsvoraussetzungen<br />

des § 5 AufenthG vorliegen, und, falls <strong>die</strong>s nicht <strong>der</strong> Fall sein<br />

sollte, ob von <strong>die</strong>sen gem. § 5 Abs. 3, 2. Hs. AufenthG abgesehen werden kann.<br />

In Hinblick auf <strong>die</strong> Regelvoraussetzung <strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes ist bei <strong>der</strong><br />

Ermessensbetätigung zu berücksichtigen, dass es beim Fehlen realistischer Perspektiven<br />

<strong>für</strong> eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung, nicht um eine Entscheidung <strong>für</strong> o<strong>der</strong> gegen<br />

einen weiteren Aufenthalt geht 127 . Weiter ist zu beachten, dass eine Regelerteilungsvoraussetzung<br />

nicht ausnahmslos vorliegen muss, son<strong>der</strong>n in atypischen Sachverhaltskonstellationen<br />

von Ihrem Vorliegen abgesehen werden kann.<br />

Im bremischen Anwendungshinweis zu § 25 AufenthG soll dann von <strong>der</strong> Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes abgesehen werden, wenn sich <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> um <strong>die</strong> Aufnahme einer<br />

Beschäftigung bemüht hat bzw. wenn <strong>die</strong> Aufnahme einer Beschäftigung, beispielsweise<br />

wegen Erwerbsunfähigkeit, unzumutbar ist.<br />

In einem Fall, in dem das Verwaltungsgericht Bremen <strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen inzwischen<br />

rechtskräftig zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet hat, war <strong>die</strong> dortige<br />

volljährige Betroffene, nachgewiesen durch Gutachten des Gesundheitsamtes Bremen,<br />

reise- und erwerbsunfähig. Die Stadtgemeinde Bremen hat im Verwaltungsverfahren, trotz<br />

<strong>die</strong>ser nicht bestrittenen und bestreitbaren Tatsachen, <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

mit dem Hinweis auf <strong>die</strong> fehlende Sicherung des Lebensunterhaltes abgelehnt. Es<br />

wurde argumentiert, <strong>der</strong> Vater <strong>der</strong> Betroffenen o<strong>der</strong> ihr künftiger Ehemann (<strong>die</strong> Betroffene<br />

plante <strong>die</strong> Eheschließung) könne doch <strong>für</strong> den Lebensunterhalt sorgen 128 .<br />

Weiterhin heißt es im bremischen Anwendungshinweis vom 13. September 2005:<br />

„Von <strong>der</strong> Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG soll jedoch dann nicht<br />

abgesehen werden, wenn ein Auslän<strong>der</strong> sich nicht um <strong>die</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

durch Ausübung einer Beschäftigung bemüht hat, obwohl er zur Ausübung <strong>der</strong> Beschäftigung<br />

berechtigt war und ihm <strong>die</strong>se auch zumutbar ist.<br />

Unzumutbar ist <strong>die</strong> Ausübung einer Beschäftigung, wenn<br />

- <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> erwerbsunfähig ist,<br />

- <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> wegen notwendiger Kin<strong>der</strong>betreuung einer ausreichenden Erwerbstätigkeit<br />

nicht nachgehen kann.<br />

Der Auslän<strong>der</strong> muss bei Antragstellung nachweisen, dass er sich ab dem Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Erlaubnis einer Beschäftigung auch um <strong>die</strong> Aufnahme einer Beschäftigung<br />

bemüht hat.“<br />

Begründet wird <strong>die</strong>s mit folgendem weiteren Hinweis:<br />

127 Vgl. Göbel-Zimmermann, (o. Fn. 89), S. 281.<br />

128 VG Bremen, 4 K 1065/05.<br />

45


„Gem. § 10 BeschVerfV kann geduldeten Auslän<strong>der</strong>n mit Zustimmung <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit <strong>die</strong> Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn sie sich seit einem Jahr<br />

erlaubt o<strong>der</strong> geduldet im Bundesgebiet aufhalten (s. Ziff. 18.7. <strong>der</strong> Anwendungshinweise).“<br />

Zwar gibt <strong>der</strong> letztgenannte rechtliche Hinweis <strong>die</strong> Rechtslage zutreffend wie<strong>der</strong>, im Anwendungshinweis<br />

werden jedoch sowohl <strong>die</strong> Situation <strong>der</strong> Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt<br />

als auch <strong>die</strong> Schwierigkeiten in <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis verkannt 129 .<br />

In <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis in Bremen wird Duldungsinhabern auch dann wenn<br />

sie sich bereits seit einem Jahr erlaubt o<strong>der</strong> geduldet im Bundesgebiet aufhalten, <strong>die</strong> Nebenbestimmung<br />

„Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ in <strong>die</strong> Duldungsbescheinigungen gestempelt.<br />

Diese Praxis dürfte rechtlich unzulässig sein, da sich das Beschäftigungsverbot<br />

unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 4 Abs. 2 und 3 AufenthG). § 4 Abs. 3 AufenthG bestimmt<br />

ausdrücklich, dass Auslän<strong>der</strong> eine Beschäftigung nur ausüben dürfen, wenn sie<br />

über einen Aufenthaltstitel verfügen, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Beschäftigung erlaubt. Einer ausdrücklichen<br />

Erwähnung des Beschäftigungsverbotes bedarf es nicht 130 . Wenn dennoch durch <strong>die</strong> Behörde<br />

eine solche Nebenbestimmung in <strong>die</strong> Duldungsbescheinigungen gestempelt wird, so<br />

liegt es nahe, das <strong>die</strong> Betroffenen sich gar nicht erst um <strong>die</strong> Aufnahme einer Beschäftigung<br />

bemühen, da <strong>die</strong> Nebenbestimmung sowohl <strong>für</strong> den Betroffenen als auch <strong>für</strong> einen potentiellen<br />

Arbeitgeber nahe legt, <strong>die</strong> Beschäftigung könne gar nicht gestattet werden.<br />

Die weitverbreitete bremische Behördenpraxis, Duldungsbescheinigungen mit entsprechenden<br />

Auflagen zu versehen, überrascht insofern, als ein Anwendungshinweis <strong>der</strong> senatorischen<br />

Behörde vom 20. Oktober 2004 zu § 60a AufenthG besteht, <strong>der</strong> vorsieht:<br />

„Eine Duldung ist generell mit Auflagen zur räumlichen Beschränkung gem. § 61 Abs. 1<br />

AufenthG und zur Erwerbstätigkeit zu versehen. Solange eine Erwerbstätigkeit nicht erlaubt<br />

ist (s. dazu Anwendungshinweise zu § 18), ist <strong>die</strong> Duldung mit <strong>der</strong> Auflage ’Erwerbstätigkeit<br />

nicht gestattet’ zu erteilen.“<br />

Daraus kann nur <strong>die</strong> Schlussfolgerung gezogen werden, dass <strong>die</strong>se Nebenbestimmung in<br />

allen an<strong>der</strong>en Fällen zu unterbleiben hat. Eine <strong>die</strong>sbezügliche Klarstellung wäre wünschenswert<br />

gewesen. In <strong>der</strong> Praxis wird <strong>der</strong> Anwendungshinweis entwe<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gedeutet<br />

o<strong>der</strong> er ist den zuständigen Sachbearbeitern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nicht bekannt. Letzteres<br />

ist nahliegend 131 .<br />

Selbst wenn allerdings <strong>die</strong> Duldungsbescheinigung nicht mit einer solchen Nebenbestimmung<br />

versehen sein sollte, so ist <strong>die</strong> Chance auf <strong>der</strong> Suche nach einer Beschäftigung Erfolg<br />

zu haben, äußerst gering 132 .<br />

Dazu wird im Anwendungshinweis weiter ausgeführt:<br />

„Bemüht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> sich erst nach Antragstellung um <strong>die</strong> Aufnahme einer Beschäftigung,<br />

mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Lebensunterhalt gesichert wird, kommt <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

erst in Betracht, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> nachweist, dass er sich mindestens 1 Jahr<br />

erfolglos um eine Arbeitsstelle bemüht hat.<br />

129 Vgl. Ausführungen in Kapitel VII. .<br />

130 So auch VG Braunschweig, InfAuslR 2005, 264 ff.<br />

131 Siehe Ausführungen zum Anwendungshinweis zu § 21 AufenthG vom 18.07.2005 in Kapitel IX.<br />

132 Vgl. insoweit <strong>die</strong> Ausführungen in Kapitel VII.<br />

46


Das gleiche gilt, wenn eine Beschäftigung ausgeübt wird, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

nicht ausreicht.“<br />

Wegen <strong>der</strong> Aussichtslosigkeit zu Duldungszeiten tatsächlich ein Beschäftigungsverhältnis<br />

eingehen zu können, verzögert sich <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis um ein weiteres<br />

Jahr. Außerdem ist es – beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> mehrköpfige Familien - nach einem oft jahrelangen<br />

Ausschluss vom Arbeitsmarkt zumeist sehr schwierig, den Lebensunterhalt sogleich vollständig<br />

aus einer eigenen Erwerbstätigkeit zu sichern, da nicht selten zunächst Teilzeitbeschäftigungen<br />

angeboten werden bzw. das Einkommen unter dem Sozialhilfesatz liegt.<br />

Wird dann <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen, wie <strong>der</strong> Anwendungshinweis<br />

es vorsieht, bleibt durch <strong>die</strong> Versagung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis <strong>der</strong> Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt weiter ausgeschlossen, so dass vollständig öffentliche Mittel in Anspruch<br />

genommen werden müssen.<br />

Die Regelung im Anwendungshinweis ist nicht sachgerecht und praxistauglich. Es wäre<br />

angebracht gewesen, sich insoweit an <strong>der</strong> Rechtsprechung des OVG Bremens zu orientieren.<br />

Das OVG Bremen hatte hinsichtlich <strong>der</strong> Anwendung des Erlasses des Innensenators<br />

vom 23. November 1999 zur damaligen Altfallregelung <strong>die</strong> Auffassung vertreten, dass <strong>die</strong><br />

Voraussetzung zur Sicherung des Lebensunterhaltes auch dann erfüllt sei, wenn <strong>die</strong> betroffenen<br />

Antragsteller nachweisen könnten, dass sie unter <strong>der</strong> Voraussetzung, dass ihnen <strong>die</strong><br />

Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis gestattet werde,<br />

in einem Beschäftigungsverhältnis ausreichende Einkünfte erzielen würden 133 .<br />

Die jetzige Regelung dürfte auch nicht im öffentlichen Interesse an einer Reduzierung öffentlicher<br />

Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sozialhilfe liegen, führt sie doch faktisch zu einer weiteren Inanspruchnahme<br />

öffentlicher Mittel.<br />

Statt dessen könnte <strong>der</strong> Senator <strong>für</strong> Inneres seine ihm zustehende Befugnis zur Lenkung<br />

des Ermessens insoweit nutzen, als dass den Betroffenen <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis bei Erfüllung<br />

<strong>der</strong> weiteren Tatbestandsvoraussetzungen zunächst <strong>für</strong> eine befristete Zeit erteilt<br />

wird. Da <strong>die</strong> Betroffenen sich in aller Regel bereits mehr als vier Jahre im Bundesgebiet<br />

aufhalten 134 , kann <strong>die</strong> Ausübung einer Beschäftigung gem. § 9 BeschVerfV ohne Vorrangprüfung<br />

nach § 39 Abs. 2 AufenthG gestattet werden. Erst dann besteht eine nicht nur<br />

hypothetische Möglichkeit, sich um einen freien Arbeitsplatz zu bewerben.<br />

In <strong>der</strong> bremischen Verwaltungspraxis findet eine restriktive Ermessensausübung statt. Ermessensspielräume<br />

werden nicht zu Gunsten <strong>der</strong> Betroffenen genutzt. In zahlreichen Fällen<br />

bleiben <strong>die</strong> Betroffenen weiter im Duldungsstatus, obwohl dauerhafte Ausreisehin<strong>der</strong>nisse<br />

bestehen. Dem gesetzgeberischen Anliegen, <strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen weitgehend<br />

einzudämmen, kommt <strong>die</strong> Behörde nicht nach.<br />

133 OVG Bremen, Beschluss v. 28.01.2000, 1 B 406/99.<br />

134 Vgl. Ausführungen in Kapitel V., Abschnitt 1.<br />

47


3.2.6. Die Ermessensreduzierung nach 18-monatiger Duldung gem. § 25 Abs. 5 S. 2<br />

AufenthG<br />

Unter den ebengenannten Voraussetzungen erstarkt <strong>der</strong> Anspruch zu einem sogenannten<br />

Sollensanspruch, wenn <strong>der</strong> Betroffene seit 18 Monaten im Besitz einer Duldung ist. Ein<br />

Sollensanspruch stellt, von atypischen Fällen abgesehen, einen gebundenen Anspruch dar.<br />

Liegt ein atypischer Fall vor, so steht <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wie<strong>der</strong>um<br />

im behördlichen Ermessen.<br />

Auch <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Fälle sieht <strong>der</strong> Anwendungshinweis wie<strong>der</strong>um vor, dass ein Bemühen um<br />

<strong>die</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes in <strong>der</strong> Vergangenheit nachzuweisen ist, ohne allerdings<br />

<strong>die</strong> Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Praxis zu berücksichtigen (siehe Ausführungen im vorigen<br />

Kapitel). Der Fall desjenigen Duldungsinhabers, <strong>der</strong> durch <strong>die</strong> Duldungspraxis faktisch<br />

vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist und in <strong>der</strong> Regel schon deshalb ein aussichtsloses<br />

Unterfangen auch nicht vorgenommen hat, ist allerdings eher <strong>der</strong> typische, als <strong>der</strong>jenige,<br />

<strong>der</strong> <strong>die</strong>ses aussichtslose Bemühen auch noch dokumentieren kann. Der Anwendungshinweis<br />

führt deshalb in <strong>der</strong> Praxis in den Fällen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu einer<br />

Umkehrung des Regelanspruchs.<br />

Der bremische Anwendungshinweis sieht weiter vor, dass ein Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

gearbeitet hat, <strong>die</strong>se Erwerbstätigkeit jedoch zur vollständigen Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes nicht ausreichte, <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erst nach einem<br />

Jahr erfolglosen Bemühens um eine an<strong>der</strong>e Arbeitsstelle erteilt werden soll („...kommt<br />

<strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erst in Betracht...“) Hierdurch wird <strong>der</strong> Verwaltung<br />

ein Ermessen zumindest nahegelegt, dass ihr so nicht zusteht, denn <strong>die</strong> Tatsache, dass<br />

jemand erwerbstätig ist, das erzielte Einkommen jedoch zur vollständigen Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes nicht ausreicht, kann mit Sicherheit nicht als atypischer Fall angesehen<br />

werden.<br />

3.3. Die Anwendung des § 25 AufenthG in <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Praxis anhand<br />

von Fallbeispielen<br />

Beispielsfall Herr D.<br />

Herr D. ist Staatsangehöriger <strong>der</strong> Russischen För<strong>der</strong>ation und tschetschenischer Volkszugehöriger.<br />

Herr D. reiste am im Oktober 2000 mit einem Touristenvisum in <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland ein. Die Ehefrau von Herrn D. ist zuvor als jüdische Emigrantin aus<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion anerkannt worden und seit dem 30.8.2000 in<br />

Besitz eines Konventionspasses und einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, <strong>die</strong> als Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

fortgilt.<br />

Herr D. lebt seit seiner Einreise ins Bundesgebiet in Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau<br />

und den zwei gemeinsamen Kin<strong>der</strong>n. Frau D., eine Kin<strong>der</strong>ärztin, nahm an beruflichen<br />

Fortbildungsmaßnahmen teil. Währenddessen kümmerte sich Herr D. um <strong>die</strong> Erziehung<br />

und Versorgung <strong>der</strong> beiden min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong>. Herr D. beantragt am 21.11.2000 <strong>die</strong><br />

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke <strong>der</strong> Familienzusammenführung, hilfsweise<br />

<strong>die</strong> Erteilung eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen und <strong>die</strong> Erteilung einer<br />

Duldung. Sämtliche Anträge wurden mit Bescheid vom 06.02.2003 abgelehnt. Die Abschiebung<br />

wird angedroht und angekündigt.<br />

48


Maßgeblicher Grund <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ablehnung war, dass Herr D. nicht mit dem erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Einreisevisum <strong>für</strong> <strong>die</strong> Familienzusammenführung, son<strong>der</strong>n mit einem Besuchervisum eingereist<br />

war. Außerdem sei <strong>der</strong> Lebensunterhalt nicht gesichert. Gegen <strong>die</strong>se Entscheidung<br />

wurde am 10.03.2003 Wi<strong>der</strong>spruch erhoben.<br />

Herr D. wies u.a. auf Schwierigkeiten als tschetschenischer Volkszugehöriger in dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> russischen För<strong>der</strong>ation hin und argumentierte, <strong>die</strong> Nachholung des Visumsverfahren,<br />

verbunden mit einem längeren Aufenthalt in Moskau, sei ihm nicht zuzumuten. Er sei<br />

dort gefährdet. Außerdem müsse er sich wegen <strong>der</strong> beruflichen Fortbildungsmaßnahme<br />

seiner Ehefrau um <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong>versorgung und -erziehung kümmern.<br />

Gegen <strong>die</strong> drohende Abschiebung wurde am 29.04.2003 ein Antrag auf vorläufigen Rechtschutz<br />

beim Verwaltungsgericht Bremen gestellt. Dieser Antrag führte dazu, dass keine<br />

aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchgeführt wurden und eine Duldung erteilt wurde.<br />

Am 20.12.2004 sicherte <strong>die</strong> Behörde auf Anraten des Gerichts zu, den Sofortvollzug aufzuheben<br />

und Herrn D. eine Duldung zu erteilen.<br />

Im November 2005, wie<strong>der</strong>um ein Jahr später, wurde <strong>der</strong> Innensenator, <strong>der</strong> das Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren<br />

führt, darauf hingewiesen, dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt <strong>der</strong> Familie D. nun<br />

ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichergestellt ist. Frau D. hatte eine Anstellung<br />

als Ärztin gefunden. Es wurde um Entscheidung über den Wi<strong>der</strong>spruch gebeten.<br />

Am 01.03.2006 fragte <strong>der</strong> Verfasser nach vorherigen schriftlichen Erinnerungen beim Senator<br />

<strong>für</strong> Inneres telefonisch nach, wer <strong>die</strong> Angelegenheit dort bearbeite. Es wurde mitgeteilt,<br />

eine Bearbeitung <strong>der</strong> Angelegenheit sei <strong>der</strong>zeit nicht vorgesehen. Erst bei Erhebung<br />

einer Untätigkeitsklage werde <strong>die</strong> Bearbeitung aufgenommen.<br />

Am 6.03.2006 wurde <strong>die</strong> Untätigkeitsklage erhoben.<br />

Herr D. hält sich zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung <strong>der</strong> Untätigkeitsklage bereits seit fünf Jahren<br />

und vier Monaten geduldet in Bremen auf.<br />

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen war nach altem Recht (§<br />

18 AuslG) ausgeschlossen. Zwar <strong>die</strong> Ehefrau von Herrn D. zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Einreise<br />

bereits in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, jedoch lag ein Visumsverstoß<br />

vor (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), weil Herr D. nicht mit dem erfor<strong>der</strong>lichen Visum eingereist<br />

war.<br />

Allerdings hätte <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wegen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Situation (tschetschenische<br />

Volkszugehörigkeit, Lebensgemeinschaft mit Ehefrau und Kin<strong>der</strong>n, <strong>die</strong> ein dauerhaftes<br />

Aufenthaltsrecht besitzen) eine Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 4 AuslG nach zweijähriger<br />

Duldungszeit, also ab November 2002 erteilen können, wenn sie <strong>die</strong> bestehenden<br />

Ermessensspielräume genutzt hätte. Dies hätte vorausgesetzt, im Fall von Herrn D. eine<br />

Atypik, also eine Ausnahmesituation gegenüber den „normalen“ Fällen, anzunehmen.<br />

Konnte nämlich <strong>der</strong> mit dem Versagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verfolgte<br />

Zweck - den Bezug von Sozialhilfeleistungen zu unterbinden - bei Auslän<strong>der</strong>n, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Voraussetzungen des § 30 Abs. 3, 4 AuslG erfüllten, nicht erreicht werden, so hätte <strong>die</strong>s<br />

auf eine Atypik schließen lassen, <strong>der</strong> nur mit einem Abweichen vom Regelversagungsgrund<br />

hätte begegnet werden können. Der voraussichtlich dauerhafte Fortbestand des Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses<br />

hätte das Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt<br />

135 .<br />

135 Vgl. VGH Baden-Württemberg InfAuslR 2000, 491, 492; VGH Baden-Württemberg, EZAR 015 Nr. 17,<br />

Dienelt in GK-AuslR, § 30 Rn. 119 f.; Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, (o. Fn. 67), § 8 Rn. 280.<br />

49


Mit Inkrafttreten des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes hätte <strong>die</strong> Behörde <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

auch aus familiären Gründen gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilen können.<br />

Der Gesetzgeber hat nach dem Aufenthaltsgesetz <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

bei einem Verstoß gegen Visumsvorschriften nicht mehr gänzlich ausgeschlossen, son<strong>der</strong>n<br />

im Rahmen einer Ermessensvorschrift <strong>die</strong> Möglichkeit eröffnet, <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

trotzdem zu erteilen, wenn z.B. „<strong>die</strong> Nachholung des Visumsverfahrens auf Grund beson<strong>der</strong>er<br />

Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist“ (§ 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AufenthG).<br />

Spätestens seit bekannt war, dass auch das OVG Bremen <strong>für</strong> Tschetschenen von einer<br />

Gruppenverfolgung ausgeht 136 , hätte <strong>die</strong> Behörde ihr Ermessen insoweit nutzen können.<br />

Hinsichtlich des möglichen Versagungsgrundes wegen des Bezuges öffentlicher Leistungen<br />

durch Familie D. hätte <strong>die</strong> Behörde sowohl im Rahmen <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

aus familiären Gründen als auch im Rahmen <strong>der</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

gem. § 25 Abs. 5 AufenthG das Ermessen zu Gunsten von Herrn D. ausüben können.<br />

Festzuhalten ist, dass <strong>die</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis den Bezug<br />

von Sozialhilfeleistungen nicht verhin<strong>der</strong>t. Im Gegenteil: Herr D. besaß eine Duldung,<br />

<strong>die</strong> den Zusatz enthielt „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“. Mit <strong>der</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

hätte er sich spätestens nach 4-jähriger Aufenthaltszeit auf jedes Stellenangebot<br />

bewerben können, ohne dass eine Vorrangprüfung gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG<br />

durch <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit erfor<strong>der</strong>lich wäre 137 . Dies wäre auch unter Berücksichtigung<br />

öffentlicher - fiskalischer - Interessen eine sinnvolle Entscheidung gewesen, da Herr<br />

D. zur Sicherung des Lebensunterhaltes seiner Familie hätte beitragen können.<br />

Außerdem hätte <strong>die</strong> Behörde mit <strong>der</strong> Entscheidung vom 6.03.2003 nicht auch noch <strong>die</strong><br />

Erteilung <strong>der</strong> Duldung ablehnen und <strong>die</strong> Abschiebung anordnen müssen. Im Falle von<br />

Herrn D. hätte <strong>die</strong> beson<strong>der</strong>e familiäre Situation (unbefristete Aufenthaltserlaubnis <strong>der</strong><br />

Ehefrau, Teilnahme <strong>der</strong> Ehefrau an Umschulungsmaßnahmen, Kin<strong>der</strong>erziehung durch<br />

Herrn D.) unter Beachtung von Art. 6 Abs. 1 GG als Abschiebungshin<strong>der</strong>nis aus rechtlichen<br />

Gründen gewertet werden können.<br />

Noch weniger nachzuvollziehen ist allerdings <strong>die</strong> schlichte Untätigkeit <strong>der</strong> senatorischen<br />

Behörde, <strong>die</strong> auch nach eigenständiger Sicherung des Lebensunterhaltes <strong>der</strong> Familie nicht<br />

zu einer Entscheidung kommt, auf mehrfache Anschreiben und Nachfragen nicht reagiert<br />

und <strong>die</strong> Erhebung einer Untätigkeitsklage herausfor<strong>der</strong>t, um <strong>die</strong> Bearbeitung zu erzwingen.<br />

Beispielsfall Familie S.<br />

Semra S. ist türkische Staatsangehörige und reist im Jahr 1989 mit ihrem Ehemann und<br />

drei Kin<strong>der</strong>n in <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland ein. Die Familie spricht arabisch und<br />

gehört zur Volksgruppe <strong>der</strong> „Mahalmi“. Sie stellen Asylanträge als „staatenlose Kurden“<br />

aus dem Libanon. In <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland werden weitere vier Kin<strong>der</strong> geboren.<br />

Als staatenlose Kurden aus dem Libanon erhalten sie erstmals 1991 Aufenthaltsbefugnisse.<br />

Im September 1999 wird <strong>der</strong> Ehemann von Semra S. vor den Augen seiner Familie<br />

136 OVG Bremen, Urteil v. 16.03.2005, 2 A 114/03 A, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/justizsenator/oberverwaltungsgericht/.<br />

137 § 8 <strong>der</strong> BeschVerfV sieht vor, dass <strong>die</strong> Beschäftigung ohne Prüfung <strong>der</strong> Voraussetzungen gem. § 39 Abs.<br />

2 S. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden kann, wenn sich jemand seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt o<strong>der</strong><br />

geduldet im Bundesgebiet aufhält.<br />

50


von Polizeibeamten bei einer tätlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung von <strong>der</strong> Polizei erschossen. Die<br />

Familie ist nach <strong>die</strong>sem Vorfall traumatisiert<br />

Im Zusammenhang mit anschließenden polizeilichen Ermittlungen stellt sich heraus, dass<br />

<strong>die</strong> Familie tatsächlich <strong>die</strong> türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Aufenthaltsbefugnisse<br />

werden nicht mehr verlängert. Die Ausweisung und Abschiebung <strong>der</strong> Familie soll<br />

durchgeführt werden. In einem Anhörungsverfahren wird auf <strong>die</strong> psychische Situation <strong>der</strong><br />

Familienangehörigen hingewiesen. Es werden psychologische Bescheinigungen über <strong>die</strong><br />

Erkrankung von Frau S. und <strong>der</strong> ältesten Tochter vorgelegt. Am 11.10.2000 wird Frau S.<br />

mit ihren Kin<strong>der</strong>n aus dem Bundesgebiet ausgewiesen; <strong>die</strong> Abschiebung <strong>der</strong> Familie wird<br />

angedroht.<br />

Während des laufenden Wi<strong>der</strong>spruchsverfahrens wird am 17.09.2001 eine amtsärztliche<br />

Untersuchung durch das Gesundheitsamt Bremen durchgeführt. Es wird festgestellt, dass<br />

bei Frau S. eine „schwere anhaltende posttraumatische Belastungsstörung“ besteht und<br />

eine Reisefähigkeit „auf absehbare Zeit nicht herstellbar“ sein wird.<br />

Am 19.10.2001 wird <strong>der</strong> Sofortvollzug aufgehoben. Anschließend werden <strong>der</strong> Familie Duldungen<br />

erteilt. Der Wi<strong>der</strong>spruch wird am 2.11.2001 durch den Senator <strong>für</strong> Inneres als unbegründet<br />

zurückgewiesen. Im Dezember 2001 werden fristgemäß Klagen zum Verwaltungsgericht<br />

erhoben.<br />

Im Juni 2003 erfolgen auf Veranlassung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde erneute Begutachtungen<br />

zur Reisefähigkeit von Frau S. Das Gesundheitsamt kommt zu dem Ergebnis, dass „nicht<br />

nur akut, son<strong>der</strong>n auf Dauer eine Reiseunfähigkeit“ vorliegt. Das Gericht bittet in <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang <strong>die</strong> Behörde „um Prüfung <strong>der</strong> Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis“. Am<br />

17.5.2004 wird <strong>der</strong> Rechtsstreit zur mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht<br />

angesetzt (Az.: 4 K 2616/01). Das Verwaltungsgericht rät <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zur Aufhebung<br />

<strong>der</strong> Verfügungen. Es wird ein Vergleich vor Gericht geschlossen, in dem <strong>die</strong> Behörde<br />

<strong>die</strong> Ausweisungsverfügung aufhebt und <strong>die</strong> Behörde zusichert, über <strong>die</strong> Erteilung<br />

einer Aufenthaltsbefugnis, insbeson<strong>der</strong>e unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Zumutbarkeit und<br />

Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme, umgehend zu entscheiden. Nachdem bis zum<br />

29.09.2004 eine Entscheidung <strong>der</strong> Behörde nicht erfolgt ist, wird <strong>die</strong> Erhebung einer Untätigkeitsklage<br />

angekündigt, wenn nicht umgehend eine Entscheidung erfolgt.<br />

Am 11.10.2004 wird nach erneuter Untersuchung durch das Hauptgesundheitsamt festgestellt,<br />

dass nicht nur eine Reisunfähigkeit, son<strong>der</strong>n auch eine Erwerbsunfähigkeit bei Frau<br />

S. besteht. Nachdem auch am 26.10.2004 noch nicht über <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltsbefugnis<br />

entschieden ist, wird eine Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Bremen erhoben<br />

(4 K 2560/04).<br />

Der Bescheid <strong>der</strong> Behörde bezüglich <strong>der</strong> Mutter, Semra S., ergeht am 23.12.2004. Die Erteilung<br />

einer Aufenthaltsbefugnis wird abgelehnt. Die Ablehnung wird damit begründet,<br />

dass kein gültiger Pass vorliege.<br />

Das Klageverfahren wird fortgeführt. Am 27.01.2005 wird Frau S. ein gültiger türkischer<br />

Reisepass ausgestellt. Am 25.04.2005 wird <strong>für</strong> Frau S. eine Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong> sechs<br />

Monate erteilt. Der Rechtsstreit <strong>für</strong> Frau S. wird <strong>für</strong> erledigt erklärt. Für <strong>die</strong> weiteren 6<br />

Kläger (Kin<strong>der</strong>) wird das Verfahren weiter geführt. Mit Urteil vom 27.06.2005 wird <strong>die</strong><br />

Behörde verpflichtet, <strong>die</strong> Anträge <strong>der</strong> Kläger auf Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis zu<br />

bescheiden.<br />

Am 25.10.2005 wird <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong> den ältesten Sohn <strong>für</strong> sechs Monate erteilt,<br />

dem ebenfalls ein türkischer Reisepass ausgestellt wird.<br />

In einem Schreiben <strong>der</strong> Behörde dazu heißt es:<br />

„Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass eine Erteilung/Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

über den Eintritt <strong>der</strong> Volljährigkeit hinaus nicht möglich ist“.<br />

Der Sohn hält sich seit 17 Jahren im Bundesgebiet auf.<br />

51


Bis zum 22.03.2006 wurde über <strong>die</strong> Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> weiteren Kin<strong>der</strong> nicht entschieden, weil <strong>für</strong> <strong>die</strong>se trotz intensiver Bemühungen <strong>der</strong> Familie<br />

keine türkischen Reispässe ausgestellt werden. Die Behörde will an<strong>der</strong>erseits von <strong>der</strong><br />

Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nicht absehen. Am 22.03.2006 wird <strong>der</strong> Behörde <strong>die</strong><br />

Beantragung von Zwangsgeld beim Gericht angedroht, wenn sie ihrer Pflicht zur Bescheidung<br />

<strong>der</strong> Anträge nicht nachkommt.<br />

Für <strong>die</strong> älteste Tochter wird ein eigenes Verfahren geführt, insoweit ist ebenfalls eine Untätigkeitsklage<br />

beim Gericht anhängig (Az.: 4 K 1675/05). Ihr hätte eigentlich eine Aufenthaltsbefugnis/-erlaubnis<br />

nach <strong>der</strong> Altfallregelung von 1999 in Verbindung mit dem Erlass<br />

des Innensenators vom 2.7.2002 erteilt werden können, wenn von <strong>der</strong> fehlenden Sicherung<br />

des Lebensunterhaltes abgesehen worden wäre, da sie eine weiterführende Schule besucht.<br />

Im Klageverfahren wird am 24.11.2005 <strong>die</strong> Behörde durch das Gericht aufgefor<strong>der</strong>t Stellung<br />

zu nehmen,<br />

„ob sie <strong>die</strong> Auffassung vertritt, dass <strong>der</strong> Klägerin vorgehalten werden kann, dass sie auf<br />

öffentliche Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen ist.“ Weiter: „Ist<br />

überprüft worden, ob sich <strong>die</strong> Klägerin <strong>der</strong>zeit noch in schulischer o<strong>der</strong> beruflicher Ausbildung<br />

befindet? Was ist überhaupt geprüft worden?“<br />

Der Behörde wird aufgegeben, innerhalb von vier Wochen Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme<br />

<strong>der</strong> Behörde wurde jedoch auch vier Monate nach gerichtlicher Auffor<strong>der</strong>ung<br />

nicht abgegeben.<br />

Das Verwaltungsgericht gab <strong>der</strong> Behörde in <strong>der</strong> mündlichen Verhandlung folgenden rechtlichen<br />

Hinweis:<br />

„Das Gericht hält <strong>die</strong> Ermessensentscheidung im Wi<strong>der</strong>spruchsbescheid vom 2.11.2001<br />

<strong>für</strong> ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, weil <strong>der</strong> <strong>der</strong> Behörde zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

bekannte Gesundheitszustand <strong>der</strong> Klägerin zu 1. sowie ihrer Kin<strong>der</strong> im Wi<strong>der</strong>spruchsbescheid<br />

... nicht gewürdigt wurde.“ Es verweist auf das amtsärztliche Gutachten. „Die vom<br />

Gesundheitsamt festgestellte dauerhafte Reisunfähigkeit stellt ein rechtliches Abschiebungshin<strong>der</strong>nis<br />

i.S. des § 55 Abs. 2 AuslG dar“.<br />

Es ist nicht nachzuvollziehen, dass <strong>die</strong> am 17. Mai 2004 zugesicherte „wohlwollende Prüfung“<br />

<strong>der</strong> Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nicht umgesetzt wird.<br />

Statt dessen wird zunächst gar nicht entschieden. Im Oktober 2004, fünf Monate später,<br />

erfolgt eine erneute Begutachtung <strong>der</strong> Reisefähigkeit und Erwerbsfähigkeit, <strong>die</strong> eigentlich<br />

hätte gar nicht nötig sein sollen. Es bedarf einer erneuten Durchführung eines Klageverfahrens<br />

um <strong>die</strong> Entscheidung <strong>der</strong> Behörde über <strong>die</strong> Anträge auf Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

herbeizuführen.<br />

Das Verwaltungsgericht führt sodann in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2005 aus:<br />

„Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn <strong>die</strong> Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt<br />

ist. Nach <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>der</strong> Kammer ist eine Ausreise nicht nur dann unmöglich,<br />

wenn sie objektiv nicht durchgeführt werden kann, son<strong>der</strong>n auch dann, wenn sie dem<br />

Einzelnen nicht zumutbar ist.“ 138<br />

Weiter wird darauf hingewiesen, dass hinsichtlich <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht im vorliegenden<br />

Fall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen sei, ob von <strong>der</strong> Passpflicht<br />

abgesehen werden könne.<br />

138 VG Bremen, Urteil v. 27.06.2005, 4 K 2560/04.<br />

52


Das Beispiel zeigt, dass aufgrund <strong>der</strong> fehlenden Bereitschaft <strong>der</strong> Behörde Ermessenspielräume<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen positiv zu nutzen, das Verfahren nicht abschließend bearbeitet<br />

wird und sich nahezu endlos in <strong>die</strong> Länge zieht.<br />

Als Folge des Verfahrens bleibt zu erwähnen, dass in allen Fällen <strong>der</strong> Erhebung <strong>der</strong> Klagen<br />

und Untätigkeitsklagen <strong>der</strong> Behörde <strong>die</strong> Kosten <strong>der</strong> Verfahren auferlegt wurden.<br />

Würde <strong>der</strong> Behörde eine positive Ermessensausübung vorgegeben, insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis zunächst auch bei fehlen<strong>der</strong> Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes zu erteilen, wären <strong>die</strong> gerichtlichen Verfahren entbehrlich gewesen.<br />

Auch <strong>die</strong> Möglichkeit - beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> <strong>die</strong> jugendlichen Kin<strong>der</strong> von Frau S. - <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

auch bei Nichterfüllung <strong>der</strong> Passpflicht zu erteilen, wäre sinnvoll und sachgerecht<br />

gewesen.<br />

Die Kin<strong>der</strong> haben teilweise ihre Schulausbildungen abgeschlossen. Mit <strong>der</strong> Duldung haben<br />

sie faktisch keine Möglichkeit eine Berufausbildung durchzuführen. Es entsteht somit ein<br />

erzwungener Leerlauf in <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong> Jugendlichen. Die Behörde lässt sich dabei<br />

offenbar von <strong>der</strong> Vorstellung leiten, dass <strong>der</strong> Aufenthalt <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ohnehin nur bis zu<br />

<strong>der</strong>en 18. Lebensjahr - Erreichen <strong>der</strong> Volljährigkeitsgrenze - sichergestellt werden soll und<br />

anschließend <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> Deutschland verlassen sollen, da sie dann nicht mehr auf den Be istand<br />

<strong>der</strong> Mutter und <strong>die</strong> Familie angewiesen sind.<br />

Damit ist absehbar, dass wie<strong>der</strong>um neue Antrags-, Wi<strong>der</strong>spruchs-, und Gerichtsverfahren<br />

in Aussicht stehen. Es ist absehbar, dass zumindest im Hinblick auf noch nicht abgeschlossene<br />

Berufsausbildungen, Schulausbildungen usw. <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis gem. § 25<br />

Abs. 4 AufenthG zu verlängern ist 139 . Da <strong>die</strong> betroffenen Jugendlichen vom Zugang zum<br />

dualen Bildungssystem mangels Nichtgestattung <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind,<br />

besuchen sie notgedrungen so lange es eben geht, weiterführende Schulen o<strong>der</strong> Berufsfachschulen.<br />

Ob <strong>die</strong>s in allen Fällen unter bildungspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll ist,<br />

mag hier dahingestellt bleiben.<br />

Es wäre aber angemessen und sachgerecht, bei Erreichen <strong>der</strong> Volljährigkeitsgrenze unter<br />

Berücksichtigung des langjährigen Aufenthaltes <strong>der</strong> Betroffenen, <strong>die</strong> ja häufig bereits im<br />

Bundesgebiet geboren sind, von einem Ausreisehin<strong>der</strong>nis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG im<br />

Sinne einer Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise auszugehen, wie <strong>die</strong>s auch Art. 8 EMRK gebietet<br />

140 .<br />

Zwar wird das Problem des langjährigen Aufenthaltes von Jugendlichen und Heranwachsenden<br />

auf politischer Ebene gesehen und über einen gesetzlichen Aufenthaltsanspruch in<br />

<strong>die</strong>sen Fällen diskutiert und nachgedacht 141 , allerdings ist eine konkrete gesetzliche Lösung<br />

im Sinne eines Rechtsanspruchs nicht absehbar. Gerade deshalb ist eine Nutzung <strong>der</strong> Ermessensspielräume<br />

in <strong>die</strong>sem Zusammenhang dringend erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Nicht nachvollziehbar ist <strong>die</strong> fortwährende Untätigkeit <strong>der</strong> Behörde in <strong>der</strong> Antragsbearbeitung,<br />

auch nachdem gerichtliche Entscheidungen bzw. Vergleiche geschlossen worden<br />

sind. Auch <strong>die</strong> Untätigkeit in gerichtlichen Verfahren ist nicht nachvollziehbar.<br />

139<br />

Siehe Ausführungen in Kapitel V., Abschnitt 3.1.1.<br />

140<br />

Vgl. dazu VG Darmstadt, Beschluss v. 22.11.2005, 4 E 2800/03; aber auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss<br />

v. 24.02.2005, 7 B 10020/06.<br />

141<br />

So u.a. ein Vorschlag des Nie<strong>der</strong>sächsischen Innenministers Schünemann, vgl. dazu: epd-Bericht v.<br />

29.12.2005 in Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 24.01.2005.<br />

53


4. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach <strong>der</strong> Härtefallregelung des § 23a AufenthG<br />

Eine Untersuchung <strong>der</strong> Anwendungsmöglichkeit des § 23a AufenthG konnte noch nicht<br />

vorgenommen werden. Der Sentator <strong>für</strong> Inneres Bremen hat erst nach langem Drängen ein<br />

Jahr nach Inkrafttreten des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes von <strong>der</strong> Möglichkeit Gebrauch gemacht,<br />

eine Härtefallkommission einzurichten.<br />

Durch Verordnung vom 12. Dezember 2005 wurde <strong>die</strong> Einrichtung <strong>die</strong>ser Kommission,<br />

ihre Zusammensetzung und Arbeitsweise beschlossen. Die Kommission ist zur Hälfte mit<br />

Vertretern <strong>der</strong> Behörden besetzt (§ 2 Abs. 1 HärtefallVO) 142 . Beschlüsse <strong>der</strong> Kommission<br />

über das Vorliegen dringen<strong>der</strong> persönlicher o<strong>der</strong> humanitärer Gründe bedürfen einer 2/3<br />

Mehrheit. Dies bedeutet, dass durch <strong>die</strong> Behördenseite eine Beschlussfassung zu Gunsten<br />

<strong>der</strong> betroffenen Antragsteller immer blockiert werden kann.<br />

Selbst wenn aber eine 2/3-Mehrheit zu einer positiven Entscheidung kommt, bleibt - so<br />

allerdings auch <strong>die</strong> Konzeption des Gesetzgebers in § 23a Abs. 1 AufenthG - <strong>die</strong> Entscheidung<br />

dem Innensenator vorbehalten. Hier hätte allerdings eine grundsätzliche Bindung des<br />

Innensenators an den Beschluss <strong>der</strong> Härtefallkommission erfolgen können.<br />

142 Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission (o. Fn. 25).<br />

54


VI. Die Steuerung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durch <strong>die</strong> Setzung beson<strong>der</strong>er<br />

Schwerpunkte - Das Beispiel des Problembereichs <strong>der</strong> „Doppelidentitäten“<br />

Eine wichtige Steuerung <strong>der</strong> Behördentätigkeit erfolgt durch <strong>die</strong> Konzentration auf bestimmte<br />

Aufgabenbereiche und Schwerpunkte.<br />

In <strong>der</strong> Behördentätigkeit <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde in den vergangenen Jahren spielte<br />

<strong>die</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um sogenannte Doppelidentitäten, vornehmlich bei Bürgerkriegsflüchtlingen<br />

aus dem Libanon, eine nicht unerhebliche Rolle.<br />

Begleitet wurde <strong>die</strong> Schwerpunktsetzung in <strong>die</strong>sem Bereich durch eine öffentlichkeitswirksame<br />

Kampagne.<br />

Im Februar 2000 wandte sich <strong>der</strong> damalige <strong>Bremer</strong> Innensenator Bernd Schulte (CDU) an<br />

<strong>die</strong> Öffentlichkeit und verkündete in einer Me<strong>die</strong>nkampagne einen „sensationellen Ermittlungserfolg“.<br />

Man habe bei 531 Personen, <strong>die</strong> als staatenlose Bürgerkriegsflüchtlinge Aufnahme<br />

gefunden hätten, eine türkische Staatsangehörigkeit ermittelt. Es sei ein Schaden in<br />

<strong>die</strong> Millionenhöhe entstanden, von „organisiertem Sozialhilfebetrug“ war <strong>die</strong> Rede.<br />

Durch <strong>die</strong> Kampagne wurde <strong>der</strong> Eindruck erweckt, als ob nun alles da<strong>für</strong> getan werden<br />

müsse, den ungerechtfertigten Aufenthalt <strong>die</strong>ser Personen schnellstmöglichst zu beenden<br />

und konsequent Abschiebungen durchzuführen.<br />

So berichtete <strong>der</strong> Weser Kurier am 28. Februar 2000, <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Innensenator habe erklärt,<br />

dass bereits 28 Personen abgeschoben worden seien und auch <strong>die</strong> restlichen 500 Personen<br />

nun zügig abgeschoben würden; gegenüber <strong>der</strong> Tageszeitung „Die Welt“ erklärte er,<br />

man müsse alles da<strong>für</strong> tun, dass <strong>die</strong>se Menschen „schnellstmöglichst wie<strong>der</strong> dahin zurückkommen,<br />

wo sie herkommen“ 143 .<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Abschnitt 605 <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde, das jetzige Team 5, war und ist seit<br />

einigen Jahren durch <strong>die</strong>sen Komplex beson<strong>der</strong>s in Anspruch genommen.<br />

Zur Abarbeitung <strong>der</strong> mit <strong>die</strong>sem Bereich verbundenen Aufgaben wurden teilweise personelle<br />

Verstärkungen durch zusätzliche Mitarbeiter vorgenommen, <strong>die</strong> aus Mitteln des Sozialressorts<br />

finanziert worden sind. Zudem erfolgte eine enge Zusammenarbeit zwischen<br />

Polizei und Auslän<strong>der</strong>behörde in <strong>der</strong> EG 19, einer Son<strong>der</strong>ermittlungsgruppe bestehend aus<br />

Mitarbeitern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde und <strong>der</strong> Polizei 144 .<br />

Die Ziele <strong>die</strong> Innensenator Schulte im Februar 2000 gegenüber <strong>der</strong> Öffentlichkeit formulierte<br />

sind nicht erreicht worden.<br />

Der in Rede stehende Personenkreis hat sich gegenüber Anfang 2000 zahlenmäßig stark<br />

erweitert. So heißt es in <strong>der</strong> Beantwortung einer Anfrage <strong>der</strong> SPD-Fraktion in <strong>der</strong> Bremischen<br />

Bürgerschaft vom 23. Juni 2005 im Antwortschreiben des Senats vom 16. August<br />

143 Die Welt v. 28.02.2000: „Asylbetrug – <strong>Bremer</strong> Innensenator for<strong>der</strong>t Abschiebung“.<br />

144 Bericht des Rechnungshofes <strong>der</strong> Freien Hansestadt Bremen v. 15.11.2000, (o. Fn. 29).<br />

55


2005 145 , dass seit Ende <strong>der</strong> 90er-Jahre 930 Personen mit Wohnsitz im Land Bremen ermittelt<br />

worden seien, <strong>die</strong> angegeben hatten, staatenlose Kurden aus dem Libanon zu sein, denen<br />

dann jedoch nachgewiesen werden konnte, dass sie <strong>die</strong> türkische Staatsangehörigkeit<br />

besitzen. Die Senatsantwort lässt nicht erkennen, in welchem Umfang sich <strong>die</strong>ser Personenkreis<br />

noch im Bundesgebiet aufhält. Dem Verfasser ist jedoch aus <strong>der</strong> täglichen Praxis<br />

bekannt, dass sich ein Großteil <strong>der</strong> Personen auch heute noch im Bundesgebiet aufhält. Nur<br />

dass <strong>die</strong> Betroffenen heute anstatt von Aufenthaltsbefugnissen überwiegend in Besitz von<br />

Duldungen o<strong>der</strong> Fiktionsbescheinigungen sind, sofern nicht in Einzelfällen erneut Aufenthaltserlaubnisse<br />

erteilt worden sind.<br />

Zum Hintergrund ist anzumerken, dass es sich bei <strong>die</strong>sem Personenkreis um arabischkurdisch<br />

stämmige Personen handelt, <strong>die</strong> auch - in Anlehnung an <strong>die</strong> Bezeichnung des arabischen<br />

Dialektes den sie sprechen - als Volksgruppe <strong>der</strong> „Mahalmi“ bezeichnet werden.<br />

Viele von ihnen haben Jahre o<strong>der</strong> Jahrzehnte im Libanon gelebt, ohne allerdings <strong>die</strong> libanesische<br />

Staatsangehörigkeit erhalten zu haben 146 . Ursprünglich stammen Sie aus dem türkisch-syrischen<br />

Grenzgebiet, aus <strong>der</strong> Provinz Mardin. Bei Abstammungen von Eltern mit<br />

türkischer Staatsangehörigkeit besitzen <strong>die</strong> weitaus meisten <strong>die</strong>ser Personen aufgrund des<br />

im türkischen Staatsangehörigkeitsrechts verankerten Abstammungsprinzips in <strong>der</strong> Tat <strong>die</strong><br />

türkische Staatsangehörigkeit 147 .<br />

Als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon mit vermeintlich ungeklärter Staatsangehörigkeit<br />

waren Ende <strong>der</strong> 80er-Jahre und zu Beginn <strong>der</strong> 90er-Jahre zehntausende Menschen<br />

<strong>die</strong>ser Herkunft - größtenteils aus dem Libanon kommend - in <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland geflüchtet. Zu Beginn <strong>der</strong> 90-er Jahre konnte ein großer Teil <strong>die</strong>ser Gruppe<br />

aufgrund von Son<strong>der</strong>regelungen <strong>für</strong> Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon Aufenthaltsbefugnisse<br />

erhalten.<br />

In zahlreichen Fällen wurde bei Entstehen des Verdachts, dass eine türkische Staatsangehörigkeit<br />

vorliegen könnte, <strong>die</strong> Aufenthaltsbefugnis nicht mehr verlängert. Sobald in Bremen<br />

in <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ermittlungsgruppe EG 19 ausreichende Anhaltspunkte vorhanden waren,<br />

<strong>die</strong> eine türkische Staatsangehörigkeit belegten, wurden Ausweisungsverfügungen und<br />

Ausreiseauffor<strong>der</strong>ungen erlassen.<br />

In einer ersten Phase von gerichtlichen Entscheidungen wurde den Anträgen auf vorläufigen<br />

Rechtsschutz zumeist nicht stattgegeben. Die Eilanträge wurden auch hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betroffenen zurückgewiesen, zumeist mit <strong>der</strong> Begründung, sie müssten sich das<br />

Handeln <strong>der</strong> Eltern zurechnen lassen und könnten sich nicht auf einen Vertrauensschutz<br />

berufen. Die Aufenthaltsbeendigung und <strong>die</strong> angedrohte und verfügte Abschiebung sei<br />

deshalb gerechtfertigt 148 . Abschiebungen erfolgten jedoch nur in sehr geringem Umfang.<br />

145 Bremische Bürgerschaft Drs. 16/381.<br />

146 Ober<strong>die</strong>k, Zur Situation arabisch-stämmiger Bewohner <strong>der</strong> Provinz Mardin, Gutachten, in: Flüchtlingsrat,<br />

Zeitschrift des Nie<strong>der</strong>sächsischen Flüchtlingsrates, Nr. 4/5 2001 S. 77 ff.; Ghadban, Die Libanon-<br />

Flüchtlinge, Zur Integration ethnischer Min<strong>der</strong>heiten, Berlin 2000, S. 86 ff.<br />

147 Freckmann, Staatenlose Kurden aus dem Libanon o<strong>der</strong> türkische Staatsangehörige? Ergebnis einer Erkundungsreise<br />

in <strong>die</strong> Türkei und den Libanon, Anlage zu einer gemeinsamen Presserklärung des Caritas-<br />

Verbandes und des Diakonisches Werkes Hannover v. 08.05.2001.<br />

148 So VG Bremen, Beschluss v. 27.06.2000, 4 V 756/00; OVG Bremen, Beschluss v. 09.08.2000, 1 B<br />

287/00.<br />

56


Eine gewisse Än<strong>der</strong>ung trat allerdings ein, nachdem das OVG Bremen in einem Beschluss<br />

vom 11. Juni 2002 entschieden hatte, dass eine Täuschung über <strong>die</strong> Identität durch <strong>die</strong> Eltern<br />

den Kin<strong>der</strong>n nicht zwingend entgegengehalten werden könne, und auch <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Personenkreis (<strong>die</strong> als Min<strong>der</strong>jährige eingereisten und <strong>die</strong> während des Aufenthalts im<br />

Bundesgebiet volljährig gewordenen Kin<strong>der</strong> <strong>die</strong>ser Personengruppe) <strong>der</strong> Erlass über eine<br />

Altfallregelung aus dem Jahre 1999 anzuwenden sei 149 .<br />

Diese Entscheidung des OVG Bremen mündete in einem ergänzenden Erlass des Senators<br />

<strong>für</strong> Inneres vom 2. Juli 2002, in dem eine Einbeziehung in <strong>die</strong> Altfallregelung von 1999 <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong>sen Personenkreis geregelt wurde. Dieser orientierte sich an dem bereits bestehenden<br />

Erlass zur Anwendung <strong>der</strong> Altfallregelung und ermöglichte den Jugendlichen aus <strong>die</strong>sen<br />

Familien, <strong>die</strong> bereits vor dem 1. Juli 1993 als Min<strong>der</strong>jährige eingereist waren und zwischenzeitlich<br />

volljährig geworden waren, beim Vorliegen bestimmter Integrationsvoraussetzungen<br />

(z.B. eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes) und bei Erfüllung <strong>der</strong><br />

Passpflicht einen Übergang in ein Aufenthaltsrecht.<br />

Allerdings kam es in <strong>der</strong> Praxis – gemessen an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> insgesamt betroffenen Personen<br />

– zu einer sehr spärlichen Anwendung. Nach dem Senatsbericht vom 16. August 2005<br />

kam es bis zum 30. Juni 2005 in 28 Fällen zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an<br />

betroffene junge Menschen, <strong>die</strong> grundsätzlich unter den Anwendungsbereich <strong>der</strong> Regelung<br />

fielen 150 .<br />

Wie <strong>die</strong> Ausführungen in dem Fallbeispiel <strong>der</strong> Familie S. zeigen, verzögert sich bzw.<br />

scheitert <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in zahlreichen Fällen an den Schwierigkeiten<br />

bei <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht.<br />

Die Anwendung des Erlasses vom 2. Juli 2002 wurde auf Veranlassung des <strong>der</strong>zeitigen<br />

Innensenators durch einen weiteren Erlass vom 19. Juli 2004 auf den 31. Juli 2004 befristet<br />

151 .<br />

Diese Befristung <strong>der</strong> Anwendung führte dazu, dass <strong>die</strong> Jugendlichen und Heranwachsenden,<br />

<strong>die</strong> erst nach dem 31. Juli 2004 das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, von <strong>der</strong><br />

Möglichkeit ausgeschlossen waren, über <strong>die</strong> Regelung ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. In<br />

<strong>der</strong> Praxis bedeutete <strong>die</strong>s, dass sich <strong>die</strong> jüngeren Geschwister von Personen, <strong>die</strong> noch in <strong>der</strong><br />

ersten Jahreshälfte des Jahres 2004 entsprechende Anträge stellen konnten, heute trotz<br />

zwei Jahre länger andauernden Aufenthaltes, auch bei Erfüllung <strong>der</strong> Integrationsvoraussetzungen,<br />

nicht auf <strong>die</strong> Regelung berufen können. Es besteht dann nur <strong>die</strong> Möglichkeit, Anträge<br />

auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gem. § 25 Abs. 4 o<strong>der</strong> 5 AufenthG zu stellen.<br />

Bei fortdauerndem Schulbesuch o<strong>der</strong> begonnenen Ausbildungen wird zwar von <strong>der</strong><br />

Rechtssprechung <strong>der</strong> bremischen Verwaltungsgerichte zumeist ein Anspruch auf Verlängerung<br />

o<strong>der</strong> Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis angenommen 152 , allerdings wirkt<br />

sich <strong>die</strong>se Rechtsprechung bislang nicht auf <strong>die</strong> Behördenpraxis aus.<br />

149<br />

OVG Bremen, Beschluss v. 11.06.2002, 1 B 228/02, einsehbar unter:<br />

www.asyl.net/Magazin/9_2002b.htm (M2327).<br />

150<br />

Bremische Bürgerschaft, Drs. 16/381 S, S. 4.<br />

151<br />

Senator <strong>für</strong> Inneres, Bremen, Erlass 04-07-01 v. 19.07.2004, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/innensenator/<br />

152<br />

Vgl. Ausführungen in Kapitel V, Abschnitt 3.1.1. .<br />

57


Tatsächlich beendet wurde an<strong>der</strong>erseits in den weitaus meisten Fällen <strong>der</strong> Aufenthalt bis<br />

heute nicht. In vielen Fällen ist zwar eine vollziehbare Ausreisepflicht eingetreten, allerdings<br />

konnten Abschiebungen zumeist nicht durchgeführt werden.<br />

Exakte Daten dazu liegen dem Verfasser nicht vor, allerdings wird aus <strong>der</strong> vorgenannten<br />

Senatsantwort deutlich, dass von 128 <strong>die</strong>ser Personen, <strong>die</strong> in <strong>der</strong> Zeit vom 1.01.2000 –<br />

30.06.2005 volljährig gewordenen sind, zum Stichtag 30. Juni 2005 insgesamt 9 Personen<br />

freiwillig ausgereist sind o<strong>der</strong> als unbekannt verzogen registriert wurden und weitere 18<br />

Personen abgeschoben worden sind 153 .<br />

Angesichts des nunmehr langandauernden Aufenthaltes ist eine deutlich verän<strong>der</strong>te Tendenz<br />

<strong>der</strong> Verwaltungsgerichte in Bremen erkennbar, zumindest den hier aufgewachsenen<br />

und sozialisierten Jugendlichen und Heranwachsenden Aufenthaltsrecht zuzugestehen 154 .<br />

So hatte in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 25. Mai 2005 (4 K 45/04)<br />

<strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde verpflichtet, Aufenthaltserlaubnisse gem. § 25 Abs. 4 AufenthG zu<br />

erteilen, weil <strong>der</strong> weitere Besuch <strong>der</strong> Schule den Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Familie aus dringenden persönlichen<br />

Gründen zu ermöglichen sei und ihnen nicht zugemutet werden könne, den<br />

Schulbesuch vorzeitig zu beenden.<br />

Im gleichen Verfahren hatte im Jahre 2002 das Verwaltungsgericht Bremen und später<br />

auch das OVG Bremen Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz zunächst abgewiesen 155 .<br />

Zur Aufenthaltsbeendigung konnte es trotz vollziehbarer Ausreisepflicht in vielen Fällen<br />

nicht kommen, weil zumeist nicht ohne weiteres Passersatzpapiere zu beschaffen waren.<br />

Die türkische Staatsangehörigkeit mag zwar faktisch in vielen Fällen bestehen, sie ist aber<br />

oft nicht belegt und dokumentierbar. Die Auslän<strong>der</strong>behörde benötigt <strong>für</strong> eine Abschiebung<br />

entwe<strong>der</strong> einen gültigen Pass o<strong>der</strong> ein Passersatzpapier. Zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausstellung ist<br />

das jeweilige türkische Generalkonsulat. Grundsätzlich sind Vorführungen <strong>der</strong> betroffenen<br />

Personen vor dem türkischen Generalkonsulat erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Häufig können nicht Passersatzpapiere <strong>für</strong> alle Familienmitglie<strong>der</strong> ausgestellt werden, weil<br />

oft nur einzelne Familienmitglie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Türkei registriert sind. Manchmal ist es einer <strong>der</strong><br />

Ehegatten, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Türkei nicht registriert ist, häufig aber <strong>die</strong> hier geborenen Kin<strong>der</strong>.<br />

Nachregistrierungen in <strong>der</strong> Türkei sind in <strong>der</strong>artigen Fällen <strong>für</strong> <strong>die</strong> beteiligten Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

schwierig herbeizuführen und setzen voraus, dass Geburtsurkunden, ausgestellt<br />

von einem deutschen Standesamt mit den türkischen Personalien <strong>der</strong> Eltern und des Kindes,<br />

vorliegen. Ist schon <strong>die</strong> Ausstellung von Geburtsurkunden bei nicht geklärter Identität<br />

ein erhebliches bürokratisches Problem 156 , so ist <strong>die</strong> Berichtigung von Geburtsurkunden<br />

bei früherer Ausstellung unter an<strong>der</strong>en Personalien ein ebenso aufwändiges Verfahren.<br />

Dies setzt entwe<strong>der</strong> ein Berichtigungsverfahren bei den Standesämtern gem. § 46 a PStG<br />

voraus, meist aber ein gerichtliches Verfahren, so dass <strong>die</strong> Berichtigungen erst auf Anordnung<br />

des zuständigen Amtsgerichts (§ 47 PStG) vorgenommen werden.<br />

153 Wie vor.<br />

154 OVG Bremen, Beschluss v. 14.07.2005, 1 B 176 /05, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/justizs enator/oberverwaltungsgericht.<br />

155 OVG Bremen, Beschluss v. 07.03.2002, Az.: 1 B 4/02.<br />

156 Vgl. dazu Ausführungen im Migrationsbericht 2005 (o. Fn. 4), S. 373 ff.<br />

58


In etlichen Fällen ist es gar nicht (o<strong>der</strong> noch nicht) zum Erlass von aufenthaltsbeendenden<br />

Maßnahmen gekommen. So liegen dem Verfasser mehrere Aktenvorgänge vor, in denen<br />

gegen <strong>die</strong> Betroffenen (Eltern) zunächst im Jahre 2000 o<strong>der</strong> 2001 strafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />

geführt worden sind, weil konkrete Hinweise auf eine türkische Staatsangehörigkeit<br />

vorlagen. Es wurden z.B. Anklagen erhoben wegen des Vorwurfs des Betruges<br />

(§ 263 StGB), <strong>der</strong> mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) und des Verstoßes gegen<br />

das Auslän<strong>der</strong>gesetz 157 .<br />

Teilweise sind <strong>die</strong> Aufenthaltsbefugnisse bzw. -erlaubnisse seit nunmehr ca. vier Jahren<br />

nicht mehr verlängert worden und stattdessen Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden,<br />

<strong>die</strong> <strong>für</strong> jeweils drei o<strong>der</strong> sechs Monate verlängert werden. Da sich <strong>die</strong> Betroffenen mit einer<br />

Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG (vorher § 69 AuslG) besser stellen<br />

als mit einer Duldung, <strong>die</strong> erteilt würde, wenn nach Erlass von Ausweisungsverfügungen<br />

nicht abgeschoben werden kann, wird in <strong>die</strong>sen Fällen zumeist nicht auf <strong>die</strong> Herbeiführung<br />

von Entscheidungen <strong>der</strong> Behörde gedrängt. Auch werden i.d.R. keine Untätigkeitsklagen<br />

herbeigeführt. Unbefriedigend und belastend ist <strong>die</strong> Situation <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen dennoch.<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> Jugendliche und Heranwachsende führt <strong>die</strong> ungeklärte Situation zu zahlreichen<br />

Erschwernissen bei <strong>der</strong> Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche und häufig auch zur<br />

Demotivation <strong>der</strong> Betroffenen bei dem Bemühen um eine soziale und wirtschaftliche Integration.<br />

Anzumerken bleibt, dass <strong>die</strong>ser Personenkreis, <strong>der</strong> in Besitz von Fiktionsbescheinigungen<br />

ist, in <strong>der</strong> Duldungsstatistik nicht berücksichtigt wird.<br />

Die im Jahre 2000 vom damaligen Innensenator <strong>der</strong> Öffentlichkeit genannten Ziele nach<br />

einer Aufenthaltsbeendigung <strong>der</strong> Betroffenen konnten nicht eingelöst werden.<br />

157 Zu Verurteilungen wegen des Vorwurfs des Betruges ist es i.d.R nicht gekommen. So hat das Amtsgericht<br />

Bremen bspw. in einem Urteil vom 29.12.2002 angenommen, dass auch bei durchgehendem Sozialhilfebezug<br />

während des Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht davon ausgegangen werden könne, dass <strong>die</strong> falschen Angaben<br />

<strong>für</strong> den Sozialhilfebezug kausal gewesen seien, da gerichtsbekannt sei, dass eine Vielzahl kurdischstämmiger<br />

Asylbewerber aus <strong>der</strong> Türkei bei Einreise und bei Asylantragstellung Mitte <strong>der</strong> 90er-Jahre weiterhin in<br />

Deutschland leben würde, da <strong>die</strong> Verfahren bei den Verwaltungsgerichten zum Teil bis heute nicht endgültig<br />

abgeschlossen seien (Aktenzeichen: 87 Ds 170 Js 26886/01).<br />

59


VII. Die Umsetzung des „One-Stop-Governments“ beim Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt<br />

Nach dem bisherigen alten Recht waren <strong>die</strong> gesetzlichen Regelungen über den Zugang<br />

zum Arbeitsmarkt als Sozialrecht im SGB III und den dazugehörigen Rechtsverordnungen<br />

(Arbeitsgenehmigungsverordnung, Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung, IT–Arbeitsgenehmigungsverordnung)<br />

geregelt. Sie waren geprägt vom Anwerbestopp <strong>für</strong> ausländische<br />

Arbeitnehmer aus dem Jahre 1973.<br />

Die ursprünglich beabsichtigte grundlegende Umorientierung im Auslän<strong>der</strong>recht durch <strong>die</strong><br />

geregelte Zuwan<strong>der</strong>ung in Verbindung mit dem geregelten Zugang zum Arbeitsmarkt wurde<br />

schlussendlich nicht im Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz umgesetzt. Nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf<br />

sollten hochqualifizierte Auslän<strong>der</strong> über ein Auswahlverfahren anhand bestimmter<br />

Kriterien nach einer jährlich festzulegenden Zahl zuwan<strong>der</strong>n können. Im Bereich<br />

<strong>der</strong> qualifizierten Beschäftigungen war weiterhin vorgesehen, den sogenannten Anwerbestopp<br />

generell aufzuheben und <strong>die</strong> Zulassung im Einzelfall ohne Beschränkung auf bestimmte<br />

Berufsgruppen unter dem Vorbehalt <strong>der</strong> Vorrangprüfung zuzulassen 158 .<br />

Mit <strong>der</strong> jetzigen Regelung wird zwar eine gesetzestechnische Än<strong>der</strong>ung vorgenommen,<br />

allerdings wird im Ergebnis <strong>der</strong> Anwerbestopp aus dem Jahre 1973 nicht nur fortgeschrieben,<br />

son<strong>der</strong>n sogar verstärkt (§ 18 Abs. 3, 4 AufenthG in Verbindung mit <strong>der</strong> BeschV und<br />

BeschVerfV) 159 .<br />

Die jetzt vorgenommene gesetzestechnische Än<strong>der</strong>ung soll das Verfahren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen<br />

erleichtern. Die entscheidenden Bestimmungen über den Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

wurden in einem einzigen Gesetz zusammengefasst, um durch <strong>die</strong>ses sogenannte „One-<br />

Stop-Government“, den Antragstellern mehrere Anträge und Behördengänge zu ersparen<br />

160 . Anträge sind insoweit ausschließlich bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zu stellen, <strong>die</strong> in<br />

bestimmten Fällen eine Genehmigung <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit einzuholen hat.<br />

Gemäß § 4 Abs. 2 AufenthG muss je<strong>der</strong> Aufenthaltstitel erkennen lassen, ob <strong>die</strong> Ausübung<br />

einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Ist <strong>die</strong> Ausübung einer Beschäftigung bereits durch Regelungen<br />

im Gesetz o<strong>der</strong> durch Rechtsverordnung <strong>für</strong> einen bestimmten Aufenthaltstitel<br />

erlaubt, so entscheidet <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nicht mehr geson<strong>der</strong>t über <strong>die</strong> Zulassung <strong>der</strong><br />

Beschäftigung (z.B. bei einem Familiennachzug zu Deutschen gem. § 28 Abs. 5 AufenthG;<br />

Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts bei Aufhebung <strong>der</strong> ehelichen Lebensgemeinschaft<br />

gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis im Rahmen <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>kehroption gem. § 37 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis <strong>für</strong> anerkannte<br />

politische Flüchtlinge und Asylberechtigte gem. § 25 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).<br />

Die Rechtsvorordnungen (BeschV und BeschVerfV) sehen jeweils im Abschnitt 1 zustimmungsfreie<br />

Beschäftigungen vor. Es bestehen weitgehende inhaltliche Übereinstimmungen<br />

mit <strong>der</strong> früheren Anwerbestoppausnahmeverordnung.<br />

158 Vgl. BT -Drs. 15/420, S. 74 ff. und Migrationsbericht 2005 (o. Fn. 4), S. 413 ff.<br />

159 So Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 18 AufenthG, Rn. 2.<br />

160 Vgl. dazu Ausführungen im Migrationsbericht 2005 (o. Fn. 4), S. 414 .<br />

60


Die Auslän<strong>der</strong>behörde hat in den vorgenannten Fällen <strong>die</strong> Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit<br />

lediglich zu bestätigten, aber nicht geson<strong>der</strong>t vom Aufenthaltstitel zu genehmigen 161 .<br />

Personen <strong>die</strong> eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis besitzen, sind grundsätzlich von <strong>der</strong> Genehmigungspflicht<br />

befreit (§ 9 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. AufenthG).<br />

Keine beson<strong>der</strong>e Genehmigung braucht weiterhin in den Fällen erteilt werden, in denen<br />

<strong>der</strong> Zugang kraft EU-Gemeinschaftsrecht besteht, weil <strong>die</strong> betroffenen Staatsangehörigen<br />

und ihre Familienangehörigen von <strong>der</strong> Arbeitsgenehmigungspflicht befreit sind (vgl. insoweit<br />

<strong>die</strong> ausdrückliche Regelung in § 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Einschränkungen bestehen<br />

aber auf Grund <strong>der</strong> Beitrittsvereinbarungen zeitlich befristet <strong>für</strong> <strong>die</strong> Staatsangehörigen aus<br />

den neuen EU–Mitgliedsstaaten 162 .<br />

In allen an<strong>der</strong>en Fällen - in denen also we<strong>der</strong> durch Gesetz, Gemeinschaftsrecht o<strong>der</strong> auf<br />

Grund von Rechtsverordnungen <strong>die</strong> Ausübung <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit erlaubt ist - hat <strong>die</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde eine Zustimmung <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit einzuholen (§ 39 Abs. 2<br />

AufenthG). Die Auslän<strong>der</strong>behörde entscheidet über <strong>die</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

und regelt in einer Nebenbestimmung <strong>die</strong> Gestattung <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit.<br />

In <strong>die</strong>sen Fällen wird ein behördeninternes Zustimmungsverfahren durchgeführt.<br />

Dabei wird wie<strong>der</strong>um unterschieden zwischen Fällen, in denen <strong>die</strong> Zustimmung <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit ohne beson<strong>der</strong>e Vorrangprüfung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG<br />

erteilt werden kann und in denen <strong>die</strong> sogenannte Vorrangprüfung durchzuführen ist.<br />

Dieser zweite Bereich, <strong>die</strong> Durchführung <strong>der</strong> Vorrangprüfung, macht den wesentlichen<br />

Teil <strong>der</strong> inhaltlichen Prüfungen <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit aus.<br />

Die Zustimmung durch <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit kann dann erteilt werden, wenn sich<br />

a) nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht ergeben (§ 39 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG)<br />

und<br />

b) <strong>für</strong> <strong>die</strong> Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e bevorrechtigte Arbeitnehmer<br />

nicht zur Verfügung stehen (§ 39 Abs. 2 Ziff. 1b AufenthG).<br />

Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass <strong>die</strong> Fälle, in denen eine Vorrangprüfung durchzuführen ist, zeitlich<br />

aufwendiger ist. Die Vorrangprüfung wird in aller Regel so durchgeführt, dass <strong>für</strong> den<br />

konkreten Arbeitsplatz geprüft wird, ob an<strong>der</strong>e bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung<br />

stehen. Die entscheidende Prüfungsbefugnis kommt dabei <strong>der</strong> Bundesage ntur <strong>für</strong><br />

Arbeit zu. Die Auslän<strong>der</strong>behörde hat <strong>die</strong>se Anträge entgegenzunehmen und zu prüfen, ob<br />

eine Zustimmungsanfrage erfor<strong>der</strong>lich ist und <strong>die</strong>se Zustimmungsanfrage an <strong>die</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit weiterzuleiten. Im Bremischen Anwendungshinweis zu § 18 AufenthG<br />

vom 24. November 2004 heißt es dazu:<br />

„Die Auslän<strong>der</strong>behörde nimmt <strong>die</strong> Arbeitgeberdaten soweit bekannt in das Formular auf.<br />

Sollten <strong>die</strong> Angaben unvollständig sein, setzt sich <strong>die</strong> Agentur <strong>für</strong> Arbeit direkt mit dem<br />

Arbeitgeber in Verbindung.“<br />

161<br />

Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, (o. Fn. 67), § 3, Rn. 21; so auch <strong>der</strong> Bremische Anwendungshinweis zu<br />

§ 18 AufenthG v. 28.11.2004.<br />

162<br />

Aus Art. 34 <strong>der</strong> Beitrittsakte i.V.m. den Anhängen V – XIV; vgl. dazu Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht,<br />

(o. Fn. 67), § 3, Rn. 22 ff.<br />

61


Dies ist schon deshalb so nicht möglich, da ein Formular <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit<br />

benutzt wird, dass vom Arbeitgeber auszufüllen ist und somit eine weitere Vorsprache,<br />

nachdem <strong>der</strong> Arbeitgeber einbezogen wurde, erfor<strong>der</strong>lich wird. Die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

händigt dem Antragsteller ein formularmäßiges „Stellengesuch“ aus, das vom Arbeitgeber<br />

auszufüllen und zu unterzeichnen ist.<br />

Die Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit führt dann in <strong>der</strong> Regel ein Vermittlungsverfahren durch.<br />

Können an<strong>der</strong>e Arbeitnehmer vermittelt werden, wird <strong>der</strong> Antrag abgelehnt. Auf dem in<br />

Bremen ohnehin angespannten Arbeitsmarkt, mit einer Arbeitslosenquote von durchschnittlich<br />

14 % im Jahre 2005 und einer Arbeitslosenzahl von nahezu 45.000 Personen im<br />

Jahresdurchschnitt 2005 163 , hat ein Duldungsinhaber kaum eine Chance eine Zusage <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Ausübung einer Beschäftigung zu erhalten. Die Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit kann nämlich <strong>für</strong><br />

so gut wie jede offene Stelle jeweils bevorrechtigte Arbeitssuchende vermitteln.<br />

Beispielsfall Leila D.<br />

Leila D. ist türkische Staatsangehörige und in Besitz einer „Fiktionsbescheinigung“ gem.<br />

§ 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Am 5.07.2005 wird ihr eine Fiktionsbescheinigung mit den<br />

Nebenbestimmungen „Studium nicht gestattet“, „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ ausgestellt.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde hat über einen Antrag auf Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

noch nicht entschieden. Leila D. hat nach ihrem Hauptschulabschluss <strong>die</strong> Berufsfachschule<br />

<strong>für</strong> Gesundheit in Bremen besucht und am 1.07.2005 das Abschlusszeugnis erworben.<br />

Dieser Abschluss ist dem Realschulabschluss gleichgestellt. Sie hat zum<br />

29.08.2005 einen Ausbildungsplatz als „Zahnmedizinische Fachangestellte“ gefunden und<br />

beabsichtigt, <strong>die</strong> Ausbildung aufzunehmen. Die Zahnärzte wollen ausdrücklich neben einer<br />

„deutschen“ Auszubildenden auch eine Auszubildende mit einem Migrationshintergrund<br />

einstellen, um zur „Gleichbehandlung“ beizutragen.<br />

Sie spricht bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde vor und weist darauf hin, dass sie eine Ausbildung<br />

beginnen möchte und einen Ausbildungsplatz hat. Auf Auffor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

reicht sie am 27.07.2005 bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ein Stellenangebot <strong>für</strong> den Ausbildungsplatz<br />

ein.<br />

Vom zuständigen Sachbearbeiter wird ihr erklärt, dass <strong>der</strong> Antrag bei <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit eingereicht werde und <strong>die</strong> Bearbeitung des Antrages etwa 4 – 6 Wochen in Anspruch<br />

nehmen werde. Leila D. möchte das Verfahren beschleunigen und wendet sich persönlich<br />

an den zuständigen Mitarbeiter <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit. Der teilt ihr unumwunden<br />

mit, sie müsse ohnehin mit einer Ablehnung des Antrages rechnen, da genügend<br />

deutsche ausbildungsplatzsuchende Bewerberinnen <strong>für</strong> den Ausbildungsplatz zur Verfügung<br />

stünden.<br />

Der Verfasser weist am 26.08.2005 <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde darauf hin, dass eine Beschäftigung<br />

auch ohne Vorrangprüfung gem. § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG möglich sei, da<br />

<strong>die</strong> Fiktionsbescheinigung einen erlaubten Aufenthalt vermittle und Leila D. sich bereits<br />

seit 18 Jahren im Bundesgebiet aufhalte.<br />

Der Verfasser nimmt telefonisch mit dem zuständigen Sachbearbeiter bei <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit, Herrn B. Rücksprache. Herr B. vertritt <strong>die</strong> Auffassung, eine Zustimmung zur<br />

Beschäftigung ohne Vorrangprüfung sei nicht möglich, <strong>die</strong>s sei bereits <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

mitgeteilt worden, weitere Diskussionen wolle er darum nicht führen. Im Übrigen<br />

müsse <strong>der</strong> Verfasser sich an <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wenden. Er selber habe nur mit <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde zu kommunizieren. Daraufhin wird ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen<br />

Anordnung gem. § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht Bremen eingereicht.<br />

163 Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit, Arbeitsagentur Bremen, Presseinformation Nr. 01/2006 v. 03.01.2006.<br />

62


Einige Tage nach Einreichung des Eilantrages beim Verwaltungsgericht weist das Gericht<br />

<strong>die</strong> Beteiligten darauf hin, dass es einen ähnlich gelagerten Fall bereits einen Monat zuvor<br />

entschieden habe und in <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde verpflichtet habe, <strong>die</strong> Beschäftigung<br />

<strong>für</strong> eine Ausbildung gem. § 8 BeschVerfV ohne Vorrangprüfung gem. 39 Abs. 1<br />

AufenthG zu erteilen 164 . Dem Eilantrag wird daraufhin abgeholfen, <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

erteilt Leila D. <strong>die</strong> Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses.<br />

Die Antragstellung führt im vorliegenden Fall nicht zu <strong>der</strong> gewünschten und rechtlich auch<br />

gebotenen Entscheidung. Der Fall weist insbeson<strong>der</strong>e auf ein grundsätzliches strukturelles<br />

Problem hin. Die Anfragen des Auslän<strong>der</strong>amtes an <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit werden<br />

anscheinend nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung bearbeitet.<br />

So weist das Verwaltungsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 29. Juli 2005 darauf<br />

hin, dass ein Antrag des dortigen Antragsteller auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis<br />

vom 6. Juni 2005 „erkennbar erst nach mehrwöchiger Verzögerung aufgegriffen“ wurde,<br />

es läge ein Antwortschreiben vom 21. Juli 2005 vor. Das Verwaltungsgericht führt aus:<br />

„Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragstellers, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holt auf <strong>die</strong> Dringlichkeit<br />

seines Anliegens hingewiesen hatte, sind durch <strong>die</strong>se Verfahrensweise wesentlich verkürzt<br />

worden“.<br />

Das Beispiel zeigt, dass das Verfahren durch <strong>die</strong> behördeninternen Verfahrenswege umständlicher<br />

geworden ist. Die Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit, <strong>die</strong> inhaltlich prüft, kann nicht<br />

mehr unmittelbar als entscheidende Behörde von den Betroffenen in Anspruch genommen<br />

werden. Dies gilt auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> beauftragten Rechtsvertreter <strong>der</strong> Betroffenen. Es besteht <strong>die</strong><br />

grundsätzlich Tendenz, dass <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>die</strong> Verantwortung auf <strong>die</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit verlagert und <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit wie<strong>der</strong>um auf <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Solche Kommunikationsschwierigkeiten for<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Betroffenen dazu heraus, den<br />

„Weg zum Gericht“ einzuschlagen, um über ein gerichtliches Verfahren <strong>die</strong> Kommunikation<br />

wie<strong>der</strong> zu vereinheitlichen. Im gerichtlichen Verfahren ist dann immer auch eine Beiordnung<br />

<strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit geboten, wie <strong>die</strong>s auch bei dem oben genannten<br />

Verfahren des Verwaltungsgerichts Bremen geschehen ist. Nach Erkenntnissen des Verfassers<br />

scheinen <strong>die</strong>s bundesweite Erfahrungen zu sein 165 .<br />

Abgesehen davon zeigt <strong>die</strong>ser Fall, dass <strong>die</strong> Fiktionsbescheinigung fehlerhaft ausgestellt<br />

worden ist und damit auch <strong>die</strong> Nebenbestimmungen in <strong>der</strong> Fiktionsbescheinigung von Leila<br />

D. fehlerhaft waren (Studium nicht gestattet, Erwerbstätigkeit nicht gestattet).<br />

Leila D. hatte <strong>die</strong> Verlängerung ihrer damaligen Aufenthaltsbefugnis noch vor Ablauf <strong>der</strong><br />

alten Aufenthaltsbefugnis beantragt. Sie hätte demnach eine Fiktionsbescheinigung gem. §<br />

81 Abs. 4 AufenthG erhalten müssen, mit <strong>der</strong> zum Ausdruck gebracht wird, dass ihr Aufenthaltsrecht<br />

fortbesteht. Ein Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine Fiktionsbescheinigung gem. § 81 Abs. 4<br />

AufenthG besitzt, muss so gestellt werden, als besäße er seine Aufenthaltserlaubnis noch<br />

und zwar auch hinsichtlich <strong>der</strong> Ausübung seiner Erwerbstätigkeit 166 .<br />

164 VG Bremen, Beschluss v. 29.07.2005, 4 V 1422/05.<br />

165 Vgl. dazu Ausführungen im Migrationsbericht 2005 (o. Fn. 4), S. 417.<br />

166 Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 81 AufenthG, Rn. 17; so auch VAH-BMI, Ziff. 81.4.1.<br />

63


Bedauerlich ist, dass <strong>die</strong> Dienstanweisungen <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit zur BeschVerfV<br />

keinen Hinweis auf den Umgang mit Fiktionsbescheinigungen enthalten 167 . Hier wäre zumindest<br />

<strong>der</strong> Hinweis angebracht, dass eine Fiktionsbescheinigung gem. § 81 Abs. 4 AufenthG<br />

ein Fortbestehen des Aufenthaltsrechts bewirkt und damit dem Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

nicht entgegensteht. Nach Ziff. 8.1.1 <strong>der</strong> Dienstanweisung <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit sind auch bei Vorliegen <strong>der</strong> Voraussetzungen des § 8 BeschVerfV –(Ausbildung<br />

und Beschäftigung von im Jugendalter eingereisten Auslän<strong>der</strong>n, <strong>die</strong> im Bundesgebiet einen<br />

Schulabschluss erworben haben und bereits in Besitz eines Aufenthaltsrechts sind) <strong>die</strong><br />

Ausbildungs-/Arbeitsbedingungen nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu prüfen. Es wäre<br />

eine Einordnung <strong>der</strong> Regelung des § 8 BeschVerfV in den Abschnitt 1 <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

angebracht, damit <strong>die</strong> Prüfung <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit<br />

gänzlich entfällt und stattdessen bereits <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>die</strong> Beschäftigung erlauben<br />

kann. In <strong>der</strong> Praxis stellt <strong>die</strong> Durchführung des Prüfungsverfahrens ein Hemmnis <strong>für</strong> betroffene<br />

Jugendliche dar, da ein Arbeitgeber o<strong>der</strong> Ausbildungsbetrieb im Zweifelsfall eher<br />

einen Jugendlichen einstellt, <strong>der</strong> nicht noch ein bürokratisches Verfahren unter Beteiligung<br />

des Arbeitsgebers beim Auslän<strong>der</strong>amt und unter weiterer Beteiligung <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit durchzuführen hat. Dies wi<strong>der</strong>spricht <strong>der</strong> eigentlichen Zielsetzung des Verordnungsgesetzgebers,<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Begründung zur Regelung des § 8 <strong>der</strong> BeschVerfV ausgeführt<br />

hat:<br />

„Aus integrationspolitischen Gründen gibt <strong>die</strong> Regelung ausländischen Jugendlichen einen<br />

uneingeschränkten Zugang zur Ausbildung und Beschäftigung, auch soweit sie <strong>die</strong>ses<br />

Recht nicht schon auf Grund des Aufenthaltsgesetzes (§ 29 Abs. 5 AufenthG) haben. Angesichts<br />

<strong>der</strong> schwierigen Ausbildungsplatzsituation und den vorgesehenen Regelungen des<br />

Vierten Gesetzes <strong>für</strong> mo<strong>der</strong>ne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz IV") ist <strong>die</strong>sen<br />

ausländischen Jugendlichen - ohne Aufgabe des politischen Ziels, Ausbildung <strong>für</strong> alle Jugendlichen<br />

zu ermöglichen - notfalls auch <strong>der</strong> erleichterte Arbeitsmarktzugang zu gewähren“.<br />

Anzumerken bleibt, dass nicht ersichtlich ist, aus welchem Grunde Leila D. auch das Studium<br />

untersagt wird. Insoweit ist we<strong>der</strong> eine Rechtsgrundlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Nebenbestimmung<br />

erkennbar, noch existiert eine einschlägige Regelung durch einen bremischen Erlass o<strong>der</strong><br />

einen Anwendungshinweis 168 .<br />

Aus den vorläufigen Erfahrungen mit <strong>die</strong>ser Praxis ist zumindest zu for<strong>der</strong>n, dass eine bessere<br />

Koordination zwischen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde und <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit stattfinden<br />

sollte. Wenn in <strong>der</strong> Praxis eine Antragsbearbeitung mehrere Wochen bis Monate in<br />

Anspruch nimmt, so läuft in den weitaus meisten Fällen <strong>der</strong> Zugang zum Arbeitsmarkt ins<br />

Leere, weil kaum ein Arbeitgeber bereit sein wird<br />

a) eine so lange Zeit abzuwarten und den Arbeitsplatz dem Bewerber bereit zu halten,<br />

b) ein solch bürokratisches Verfahren ohne konkrete Ansprechpartner in den Behörden in<br />

Kauf zu nehmen.<br />

In einem Fall, <strong>der</strong> dem Verfasser vorliegt, beantragte <strong>der</strong> betroffene geduldete Auslän<strong>der</strong><br />

am 23. Mai 2005 <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Genehmigung einer Beschäftigung. Die Ablehnung des<br />

167 Dienstanweisung zur Beschäftigungsverfahrensverordnung v. 22.11.2004, BGBl. 2004 I 2934.<br />

168 Auch <strong>der</strong> Anwendungshinweis des Senators <strong>für</strong> Inneres, Bremen, v. 10.11.2004 zu § 80 AufenthG enthält<br />

dazu keine Vo rgaben.<br />

64


Antrages erfolgt am 24. Februar 2006, also zehn Monate nach dem Antrag mit <strong>der</strong> standardmäßigen<br />

Begründung:<br />

„Die Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit teilte uns mit, dass <strong>die</strong> Zustimmung nicht erteilt werden<br />

kann, weil im vorliegenden Fall <strong>für</strong> <strong>die</strong> von Ihnen angegebene Stelle <strong>der</strong>zeit und in absehbarer<br />

Zeit bevorrechtigte geeignete Bewerber in ausreichen<strong>der</strong> Zahl zu Verfügung stehen.“<br />

Das Zustimmungsverfahren zwischen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde und <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong><br />

Arbeit könnte bspw. schon dadurch erleichtert und beschleunigt werden, wenn ein o<strong>der</strong><br />

mehrere Mitarbeiter <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit zur Bearbeitung <strong>der</strong> Zustimmungsanfragen<br />

unmittelbar bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde angesiedelt würden und <strong>die</strong> Anträge (Stellenangebote)<br />

unmittelbar von den betroffenen Auslän<strong>der</strong>n entgegen nehmen würden, da <strong>die</strong>s<br />

weitere schriftliche o<strong>der</strong> fernmündliche Nachfragen vermeiden würde.<br />

Begrüßenswert ist zwar, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber in bestimmten Fallkonstellationen vorgesehen<br />

hat, von einer Vorrangprüfung gem. § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Es<br />

ist aber nicht nachvollziehbar, aus welchem Grunde in <strong>die</strong>sen Fällen dennoch eine Prüfung<br />

gem. § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, ob <strong>der</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong> zu ungünstigeren<br />

Arbeitsbedingungen beschäftigt wird als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer, durchgeführt<br />

werden soll. Dies führt weiterhin zu den zuvor beschriebenen bürokratischen Abläufen,<br />

so dass allein wegen <strong>der</strong> Prüfungsdauer und Wartezeit das Arbeitsverhältnis oft nicht<br />

eingegangen werden kann.<br />

Hier wäre eine gesetzliche Modifizierung dringend angebracht, um eine Entbürokratisierung<br />

<strong>die</strong>ses Verfahrens zu erreichen.<br />

65


VIII. Die Zusammenarbeit zwischen Auslän<strong>der</strong>- und Sozialbehörde im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Mitteilungspflichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

1. Sozialleistungsbezug und Asylbewerberleistungsgesetz<br />

Auslän<strong>der</strong> unterliegen im Bundesgebiet unter bestimmten Voraussetzungen einem beson<strong>der</strong>en<br />

System <strong>der</strong> Sicherung sozialer Grundleistungen.<br />

Neben dem System <strong>der</strong> Sozialleitungsgewährung nach SGB II und SGB XII, das keinen<br />

Unterschied im Hinblick auf <strong>die</strong> Hilfegewährung an Auslän<strong>der</strong> kennt, besteht das System<br />

des Asylbewerberleistungsgesetzes 169 . Ursprünglich war <strong>die</strong>ses Sozialleitungssystem nur<br />

<strong>für</strong> Asylbewerber und geduldete Auslän<strong>der</strong> gedacht. Durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz wurde<br />

es auf Auslän<strong>der</strong> denen Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen erteilt worden<br />

sind ausgeweitet.<br />

Damit fallen unter <strong>die</strong>ses Gesetz Asylbewerber, Auslän<strong>der</strong> <strong>die</strong> eine Duldung besitzen, ausreisepflichtige<br />

Auslän<strong>der</strong> und Auslän<strong>der</strong> <strong>die</strong> eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs.1, §<br />

24 o<strong>der</strong> § 25 Abs. 4 o<strong>der</strong> 5 AufenthG besitzen.<br />

Allgemein kann festgestellt werden, dass <strong>die</strong> Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

(§ 3 AsylbLG) etwa 35 % unter dem Niveau <strong>der</strong> Leistungen nach SGB II /<br />

SGB XII liegen 170 und werden weiterhin vorrangig als Sachleistungen erbracht. Die medizinische<br />

Versorgung ist ebenfalls eingeschränkt. Außerdem besteht <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong><br />

Betroffenen zur Wohnsitznahme auf Gemeinschaftsunterkünfte zu verweisen. Weiterhin<br />

bestehen keine Ansprüche auf Kin<strong>der</strong>geldleistungen und Erziehungsgeld.<br />

Die deutliche Reduzierung <strong>der</strong> Gewährung von Sozialleistungen soll weitgehend auf einen<br />

Zeitraum von drei Jahren beschränkt werden (§ 2 Abs. 1 AsylbLG). Allerdings kann eine<br />

Ausdehnung <strong>die</strong>ses Zeitraums erfolgen, wenn <strong>der</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong> <strong>die</strong> Dauer seines<br />

Aufenthaltes „rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst“ hat.<br />

Nicht unerwähnt bleiben soll <strong>der</strong> Versuch des Bundeslandes Bremen über eine Gesetzgebungsinitiative<br />

im Bundesrat eine Än<strong>der</strong>ung des Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes zu erreichen, um<br />

<strong>die</strong> Grenze von drei Jahren aufzuheben und dauerhaft <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Personenkreis auszuweiten<br />

171 . Bremen scheiterte allerdings mit <strong>die</strong>se Gesetzesinitiative.<br />

Eine weitere Einschränkung auf Leistungen „soweit <strong>die</strong>s im Einzelfall nach den Umständen<br />

unabweisbar geboten ist“, sieht das Gesetz in § 1a AsylbLG vor, wenn sich ein Auslän<strong>der</strong>:<br />

a) ins Bundesgebiet begeben hat, um hier Sozialleistungen zu erhalten,<br />

b) aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen nicht vollzogen werden können, <strong>die</strong> <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong> selber zu vertreten hat.<br />

Diese Einschränkung soll nicht nur <strong>für</strong> den betroffenen Auslän<strong>der</strong> gelten, son<strong>der</strong>n auch <strong>für</strong><br />

seine Familienangehörigen.<br />

169 BGBl. 1997 I 2022, zuletzt geän<strong>der</strong>t durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz v. 30.07.2004.<br />

170 Classen, Sozialleistungen <strong>für</strong> Migranten und Flüchtlinge, Berlin 2005, S. 17.<br />

171 Vgl. BR-Drs. 367/04 vom 04.05.2004.<br />

66


Eine beson<strong>der</strong>e Relevanz erhält <strong>der</strong> Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

seit Februar 2006. Durch <strong>die</strong> am 17. Februar 2006 beschlossene Än<strong>der</strong>ung des<br />

SGB II wird <strong>der</strong> in § 1 Abs. 1 AsylbLG genannte Personenkreis grundsätzlich vom Bezug<br />

von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen 172 .<br />

Der Auslän<strong>der</strong>behörde kommt eine mittelbare Funktion bei <strong>der</strong> Leistungsgewährung zu,<br />

weil sie beson<strong>der</strong>e Mitteilungspflichten gegenüber <strong>der</strong> Sozialbehörde hat.<br />

Nach § 90 Abs. 3 AufenthG teilt <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde dem zuständigen Sozialamt „Umstände<br />

und Maßnahmen nach <strong>die</strong>sen [dem AufenthG] [mit], <strong>der</strong>en Kenntnis <strong>für</strong> Leistungen<br />

nach dem AsylbLG erfor<strong>der</strong>lich ist (...).“<br />

Da auf <strong>die</strong> Bewilligung <strong>der</strong> Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ein gesetzlicher Anspruch<br />

besteht, betreffen solche Mitteilungen im Wesentlichen <strong>die</strong> Bereiche <strong>der</strong> Leistungseinschränkungen<br />

nach § 1a AsylbLG sowie nach § 2 AsylbLG, <strong>die</strong> zu einem Ausschluss<br />

<strong>der</strong> Anwendung des SGB XII führen.<br />

Die Mitteilung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ist ein verwaltungsinternes Handeln, dass selbständig<br />

nicht angreifbar ist. Das heißt, ein Auslän<strong>der</strong> <strong>der</strong> sich gegen Leistungseinschränkungen<br />

wehren will, muss <strong>die</strong> Entscheidung <strong>der</strong> Sozialbehörde mit Wi<strong>der</strong>spruch und ggf. Klage<br />

angreifen, um eine Anspruchseinschränkung abzuwehren bzw. eine Anwendung des SGB<br />

XII zu erreichen.<br />

Einzelheiten zu den Mitteilungen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde an <strong>die</strong> Sozialbehörde gem. § 90<br />

Abs. 3 AufenthG werden in einem Erlass des Senators <strong>für</strong> Inneres vom 5. April 2005 geregelt<br />

173 . Die Mitteilungen über Umstände, <strong>die</strong> eine Verwirklichung <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen<br />

zur Leistungsreduzierung darstellen können, sollen „umgehend“ <strong>der</strong> Sozialbehörde<br />

mitgeteilt werden. Im Erlass wird ausgeführt:<br />

„Die konkrete Prüfung, ob <strong>die</strong> entsprechenden Informationen zu einer Leistungseinschränkung<br />

o<strong>der</strong> -erhöhung nach § 1a AsylbLG führen o<strong>der</strong> ein rechtsmissbräuchliches Verhalten<br />

im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegt, erfolgt durch <strong>die</strong> Sozialbehörde.“<br />

2. Die Anspruchseinschränkung gem. § 1a AsylbLG<br />

Die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG spielt in <strong>der</strong> behördlichen Praxis eine<br />

nicht unbedeutende Rolle.<br />

Dabei haben <strong>die</strong> Anspruchseinschränkungen gem. § 1a Nr. 1 AsylbLG eine eher untergeordnete<br />

Bedeutung. Dies liegt darin begründet, dass <strong>die</strong>se Vorschrift nicht auf einen objektiv<br />

ohne weiteres feststellbaren Sachverhalt abgestellt, son<strong>der</strong>n auf <strong>die</strong> subjektive Seite<br />

des Betroffenen, nämlich das Motiv <strong>der</strong> „Einreise zum Zwecke des Sozialhilfebezuges“.<br />

Feststellungen dazu werden eher selten getroffen.<br />

Die Leistungseinschränkung gem. § 1 a AsylbLG wurde in Bremen zum 1. Mai 2005 durch<br />

eine Verwaltungsanweisung des Sozialsenators umgesetzt.<br />

172 Vgl. dazu Pro Asyl, (o. Fn. 73).<br />

173 Senator <strong>für</strong> Inneres , Bremen, Erlass 05-04-01 v. 05.04.2005.<br />

67


Für Anspruchseinschränkungen gem. § 1 a AsylbLG wurde in <strong>der</strong> Sozialbehörde ein recht<br />

großes Potential gesehen. So nahm das Amt <strong>für</strong> Soziale Dienste Bremen an 174 , dass <strong>für</strong><br />

Leistungseinschränkungen gem. § 1 a AsylbLG grundsätzlich alle geduldeten Auslän<strong>der</strong> in<br />

Betracht kämen. Es wurde im März 2005 eine Schätzung vorgenommen, dass in <strong>der</strong> Stadtgemeinde<br />

Bremen etwa 233 Personen <strong>für</strong> eine Leistungseinschränkung in Betracht kommen<br />

könnten.<br />

Tatsächlich wurde <strong>die</strong> Leistungseinschränkung in <strong>der</strong> Zeit vom 1.5.2005-30.10.2005 in<br />

weitaus größerem Umfang umgesetzt.<br />

So sind nach einer Mitteilung des Amtes <strong>für</strong> Soziale Dienste vom 26. Oktober 2005 175 in<br />

337 Fällen <strong>für</strong> 665 Personen Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG vorgenommen<br />

worden. Darunter befanden sich 249 Fälle von Leistungseinschränkungen bei Kin<strong>der</strong>n.<br />

Im Zeitraum von Mai 2005-Oktober 2005 sollen durch <strong>die</strong>se Leistungseinschränkungen<br />

beim Amt <strong>für</strong> Soziale Dienste Bremen 118.000 Euro eingespart worden sein, davon 31.000<br />

Euro durch Leistungseinschränkungen bei min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong>n 176 .<br />

Nach § 1a AsylbLG können Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bis auf das unabweisbar<br />

gebotene Maß gekürzt werden, wenn sich <strong>der</strong> Leistungsberechtigte entwe<strong>der</strong> in <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland begeben hat, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erhalten, o<strong>der</strong><br />

wenn aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen<br />

werden können. Diese Einschränkung kann zunächst nur direkt gegenüber Duldungsinhabern<br />

und vollziehbar ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>n, <strong>der</strong>en Abschiebungsandrohung<br />

noch nicht o<strong>der</strong> nicht mehr vollziehbar ist (z.B. wenn das Verwaltungsgericht <strong>die</strong><br />

aufschiebende Wirkung eines Wi<strong>der</strong>spruchs o<strong>der</strong> einer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung<br />

angeordnet hat) angeordnet werden, aber auch gegen <strong>der</strong>en Familienangehörige.<br />

Nach einer „Fachlichen Weisung des Amtes <strong>für</strong> Soziale Dienste Bremen“ soll bspw. <strong>der</strong><br />

Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG (bei<br />

Personen über 14 Jahre 40,90 Euro monatlich, bei jüngeren Personen <strong>die</strong> Hälfte) dann<br />

grundsätzlich entfallen 177 . Der bremischen Erlasslage des Innensenators zufolge sollen<br />

Mitteilungen gem. § 90 Abs. 3 AufenthG „entgegen <strong>der</strong> bisherigen Regelung“ in allen Fällen<br />

des § 1 Abs. 1 AsylbLG, also auch wenn <strong>die</strong> Betroffenen über eine Aufenthaltserlaubnis<br />

nach §§ 23 Abs. 1, 24 o<strong>der</strong> 25 Abs. 4 o<strong>der</strong> 5 AufenthG verfügen, erfolgen.<br />

Diese Mitteilungspflicht wi<strong>der</strong>spricht dem Wortlaut und Zielsetzung des Gesetzes. Gem. §<br />

1a Satz 1 AsylbLG besteht keine Möglichkeit zur Leistungseinschränkung bei Auslän<strong>der</strong>n,<br />

<strong>die</strong> sich erlaubt im Bundesgebiet aufhalten.<br />

Darüber hinaus verkennt <strong>die</strong>ser Erlass <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> Anspruchseinschränkung verfolgte gesetzgeberische<br />

Zielsetzung: Nach <strong>der</strong> gesetzgeberischen Begründung zu § 1a AsylbLG 178<br />

wurde mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Anspruchseinschränkung u.a. bezweckt, <strong>die</strong> leistungsrechtliche<br />

Privilegierung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Vergleich zu legal<br />

im Bundesgebiet lebenden Auslän<strong>der</strong>n zu beseitigen. Inhaber eines Aufenthaltstitels nach<br />

§§ 23 Abs. 1, 24 o<strong>der</strong> 25 Abs. 4, S. 1 o<strong>der</strong> Abs. 5 AufenthG halten sich jedoch zweifelsohne<br />

legal im Bundesgebiet auf.<br />

174<br />

Amt <strong>für</strong> Soziale Dienste Bremen, Vorlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> 15. Sitzung <strong>der</strong> Sozialdeputation Bremen v. 10.03.2005.<br />

175<br />

Amt <strong>für</strong> Soziale Dienste Bremen, Vorlage 278/05 <strong>für</strong> <strong>die</strong> 21 Sitzung <strong>der</strong> Sozialdeputation v. 15.11.2005.<br />

176<br />

Senator <strong>für</strong> Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, Bremen, Vorlage v. 23.01.2006 <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sitzung<br />

<strong>der</strong> Sozialdeputation Bremen.<br />

177<br />

Amt <strong>für</strong> .Soziale Dienste Bremen, (o. Fn. 176), Anlage.<br />

178 BT-Drs. 13/10155 (5).<br />

68


Grundsätzlich soll <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Sozialbehörde Umstände und Maßnahmen,<br />

<strong>die</strong> darauf schließen lassen, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> eingereist ist, um Leistungen nach dem<br />

AsylbLG zu erlangen, o<strong>der</strong> aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm zu vertretenden<br />

Gründen nicht vollzogen werden können, umgehend mitteilen.<br />

In einem konkreten Fall <strong>der</strong> achtköpfigen kurdischen Familie S. - allesamt z. Zt. Duldungsinhaber<br />

- teilte <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde dem zuständigen Sozialamt auf dessen Nachfrage<br />

mit, dass <strong>die</strong> Voraussetzungen des § 1a AsylbLG vorlägen, da <strong>die</strong> Familie nach eigenen<br />

Angaben <strong>die</strong> syrische Staatsangehörigkeit besäße und dementsprechend Identitätsnachweise<br />

vorgelegt werden könnten. Tatsächlich handelt es sich lediglich bei dem Familienvater<br />

um einen syrischen Staatsangehörigen, dessen Ehefrau sowie <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> sind jedoch staatenlos.<br />

Entsprechende Nachweise einschließlich eines Gutachtens des ‚Deutschen Orient-<br />

Instituts’ lagen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde vor. Dem gemäß hat das Verwaltungsgericht Bremen<br />

- Kammer <strong>für</strong> Sozialgerichtssachen - u.a. <strong>die</strong> durch das Sozialamt verfügte Kürzung<br />

nach § 1a AsylbLG aufgehoben, da eine Wie<strong>der</strong>einreise staatenloser, aus Syrien stammen<strong>der</strong><br />

Kurden, <strong>die</strong> Syrien illegal verlassen hätten, von den syrischen Behörden verweigert<br />

würde. Die Weigerung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einreise durch den syrischen Staat stelle ein Abschiebungshin<strong>der</strong>nis<br />

dar, dass <strong>die</strong> Kläger nicht zu vertreten hätten. Diese Rechtsauffassung hat<br />

das VG Bremen bereits im Jahre 2004 geäußert und entspricht <strong>der</strong> Auskunftslage des<br />

Auswärtigen Amtes.<br />

Das Verwaltungsgericht Bremen kritisiert in einer Entscheidung im Juli 2005 179 <strong>die</strong> Mitteilungs-<br />

und Anwendungspraxis des § 1 a AsylbLG. Es führt aus, dass <strong>die</strong> Sozialbehörde<br />

offenbar in dem vorliegenden und „in zahlreichen an<strong>der</strong>en Fällen“ davon ausgehe, dass <strong>die</strong><br />

Betroffenen, <strong>die</strong> über eine Duldung verfügen o<strong>der</strong> in denen „<strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde – zum<br />

Teil mit großer Verzögerung pauschal – mitteilt, <strong>die</strong> Betroffenen hätten ihre Mitwirkungspflicht<br />

verletzt <strong>die</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong> Leistungseinschränkung vorlägen. Das Verwaltungsgericht<br />

Bremen hob in <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong> Leistungseinschränkung auf. Die Entscheidung<br />

betraf Angehörige <strong>der</strong> Volksgruppe <strong>der</strong> Roma aus dem Kosovo, <strong>die</strong> nach <strong>der</strong> Erlasslage<br />

ohnehin zum fraglichen Zeitpunkt nicht abgeschoben werden konnten. Zudem wies<br />

das Gericht darauf hin, dass <strong>die</strong> Betroffenen, entgegen <strong>der</strong> Mitteilung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

ihren Personalausweis im Original <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde vorgelegt hätten. Er befand<br />

sich abgeheftet in <strong>der</strong> Akte. Von einer fehlenden Mitwirkung hinsichtlich <strong>der</strong> Identitätsfeststellung<br />

könne also nicht <strong>die</strong> Rede sein.<br />

Das Gericht fühlte sich auch bemüßigt, <strong>die</strong> Sozialbehörde auf folgendes hinzuweisen:<br />

„Die Organisation <strong>der</strong> internen Abläufe zwischen <strong>der</strong> Antragsgegnerin und <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

kann nicht den Antragstellern zum Nachteil gereichen. Treten daher bei <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörde - aus welchen Gründen auch immer – Verzögerungen hinsichtlich <strong>der</strong><br />

erfor<strong>der</strong>lichen Information <strong>der</strong> Antragsgegnerin über den auslän<strong>der</strong>rechtlichen Status <strong>der</strong><br />

Betroffenen auf o<strong>der</strong> gibt es Anhaltspunkte <strong>für</strong> unzutreffende Hinweise zum angeblichen<br />

Fehlen von Unterlagen - so etwa im Parallelfall G. (VG Bremen, S 4 V 1255/05, Beschluss<br />

vom 19. Juli 2005) - so muss sich <strong>die</strong> Antragsgegnerin das zurechnen lassen, es handelt<br />

sich bei beiden Behörden um solche <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen 180 .“<br />

179 VG Bremen, Beschluss v. 28.7.2005, S4 V 1256/05.<br />

180 Wie vor.<br />

69


3. Der Ausschluss <strong>der</strong> Anwendung des SGB XII nach § 2 Abs. 1 AsylbLG<br />

§ 2 Abs. 1 AsylbLG regelt, dass das SGB XII auf <strong>die</strong>jenigen Hilfebedürftigen entsprechend<br />

anzuwenden ist, <strong>die</strong> über eine Dauer von 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG<br />

bezogen haben und <strong>die</strong> Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst<br />

haben (Abs. 1). Abs. 3 regelt <strong>die</strong> Anwendung des SGB XII <strong>für</strong> min<strong>der</strong>jährige Kin<strong>der</strong> <strong>die</strong>ser<br />

Leistungsberechtigten.<br />

Die Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG lässt ihrem Wortlaut nach offen, ob auch <strong>der</strong> Bezug<br />

eingeschränkter Leistungen nach § 1a AsylbLG dem Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG<br />

zuzuordnen ist. Während das VG Hannover 181 <strong>die</strong>s bejaht, verneint das VG Greifswald 182<br />

<strong>die</strong> Zuordnung unter Hinweis darauf, dass es sich bei § 1a AsylbLG um einen eigenständ igen,<br />

außerhalb von § 3 AsylbLG liegenden, Anspruch handele. Hiergegen lässt sich einwenden,<br />

dass § 1a AsylbLG eine Anspruchseinschränkung darstellt, somit einen bestehenden<br />

Anspruch auf <strong>die</strong> Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG voraussetzt.<br />

Nach <strong>die</strong>sseitiger Auffassung wird daher durch § 1a AsylbLG kein Anspruch begründet,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich <strong>der</strong> Umfang eines bestehenden Anspruchs modifiziert. Dementsprechend<br />

sind auch Zeiten des Bezuges reduzierter Leistungen nach § 1a AsylbLG als „Leistungen<br />

nach § 3 AsylbLG“ i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG anzusehen. Eindeutig keine Leistungen nach<br />

§ 3 AsylbLG sind aufgrund des klaren Wortlautes von § 2 AsylbLG Leistungen nach den<br />

§§ 4-6 AsylbLG.<br />

Wegen <strong>der</strong> Dauer des Leistungsbezuges von 36 Monaten ergibt sich bereits aus dem Wort<br />

„insgesamt“, dass ein zeitlich zusammenhängen<strong>der</strong> Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG<br />

nicht gefor<strong>der</strong>t wird. Unterbrochene Bezugszeiten nach § 3 AsylbLG, beispielsweise<br />

durch bereits einmal bewilligte Leistungen nach § 2 AsylbLG, können ad<strong>die</strong>rt werden.<br />

Auch ein Wechsel <strong>der</strong> örtlichen Zuständigkeit des Leistungsträgers führt nicht zu einem<br />

Neubeginn <strong>der</strong> Frist 183 .<br />

Die Dauer des Aufenthaltes meint grundsätzlich <strong>die</strong> Gesamtdauer <strong>der</strong> körperlichen Anwesenheit<br />

eines Auslän<strong>der</strong>s im Bundesgebiet 184 , d.h. auch unter Umständen vor sehr langer<br />

Zeit verwendete Alias-Personalien (klassischer Fall des Rechtsmissbrauchs 185 ) können<br />

grundsätzlich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in Bezug auf <strong>die</strong> Dauer darstellen.<br />

Die Sozialbehörde nimmt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bereits dann an, wenn <strong>die</strong><br />

Betroffenen nicht freiwillig ausgereist sind, obwohl ihnen <strong>die</strong>s zuzumuten ist und zwar<br />

selbst dann, wenn eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann.<br />

Das OVG Bremen hat insoweit klargestellt, dass von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten<br />

nur dann ausgegangen werden kann, wenn es sich um ein „von <strong>der</strong> Rechtsordnung<br />

missbilligtes subjektiv vorwerfbares Verhalten des Auslän<strong>der</strong>s handelt, das ursächlich <strong>für</strong><br />

seinen tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet war o<strong>der</strong> ist“ 186 .<br />

181<br />

Urteil v. 13.11.2000, 7 A 4673/00.<br />

182<br />

Beschluss v. 17.07.2001, 5 B 1192/01.<br />

183<br />

GK-AsylbLG, § 2, Rn. 23.<br />

184<br />

VG Bremen, rechtlicher Hinweis im Verfahren S4 K 1598/05.<br />

185<br />

Wie vor.<br />

186<br />

OVG Bremen Beschluss v. 9.9.2005, 2 B 177/05, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/justizsenator/oberverwaltungsgericht/<br />

70


Beson<strong>der</strong>s wenn eine Ausreise auf Grund <strong>der</strong> Verhältnisse im Herkunftsland nicht zumutbar<br />

ist, kann von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des Auslän<strong>der</strong>s nicht ausgegangen<br />

werden 187 .<br />

In dem an an<strong>der</strong>er Stelle geschil<strong>der</strong>ten Beispielfall <strong>der</strong> Familie S. wurde <strong>die</strong> Leistungsgewährung<br />

nach 36-monatigem Bezug von Leistungen gem. SGB XII verweigert, weil nach<br />

<strong>der</strong> Mitteilung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Familie S. <strong>die</strong> Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich<br />

selbst beeinflusst habe, obwohl Frau S. bereits in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis<br />

gem. § 25 Abs. 5 AufenthG ist. Das <strong>Bremer</strong> Verwaltungsgericht hat <strong>die</strong> Klage <strong>der</strong><br />

Familie gegen <strong>die</strong>se Entscheidung abgewiesen.<br />

Über Rechtsmittel gegen <strong>die</strong>se Entscheidung wurde bislang noch nicht abschließend entschieden,<br />

allerdings hat das OVG Bremen den Klägern Prozesskostenhilfe bewilligt und<br />

damit zumindest eine gewisse Erfolgsaussicht <strong>der</strong> Klage zum Ausdruck gebracht. Es wies<br />

darauf hin, dass es schwierige Rechtsfragen zu klären gelte. Eine <strong>die</strong>ser Rechtsfragen wird<br />

sein, ob <strong>die</strong> nachträgliche Legalisierung des Aufenthalts, in Kenntnis aller Umstände, einen<br />

ursprünglichen Rechtsmissbrauch heilen kann 188 .<br />

In § 2 Abs. 1 AsylbLG wird gefor<strong>der</strong>t, dass <strong>der</strong> Betroffene <strong>die</strong> Dauer des Aufenthaltes<br />

„selbst“ rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Trotz <strong>der</strong> gesetzlichen Formulierung<br />

(„selbst“) wird in <strong>der</strong> Praxis elterliches Verhalten (z.B. Angabe von Alias-Personalien) den<br />

Kin<strong>der</strong>n zugerechnet, auch wenn <strong>die</strong>se zum damaligen Zeitpunkt nicht handlungsfähig<br />

waren. In einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren hat das Verwaltungsgericht Bremen 189<br />

im Falle eines seinerzeit Min<strong>der</strong>jährigen, dessen Eltern gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Bremen Alias-Personlien verwendet hatten, ausgeführt:<br />

„Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufenthaltsbefugnis-Erteilungs- bzw. Verlängerungsanträge in den<br />

Jahren 1995, 1996 und 1998 war <strong>der</strong> Kläger 11, 12 und 14 Jahre alt. Er selbst hat <strong>die</strong> Antragsformulare<br />

mit den unzutreffenden Angaben nicht unterschrieben, son<strong>der</strong>n offenbar<br />

sein Vater. Ihm dürfen daher eigene falsche Angaben im Zusammenhang mit <strong>die</strong>sen Anträgen<br />

nicht vorgeworfen werden.“<br />

Dies lässt den Schluss zu, dass nur <strong>die</strong> eigenständige Beeinflussung das Tatbestandsmerkmal<br />

„selbst“ erfüllt. Wegen <strong>der</strong> engen Verzahnung des Aufenthalts- und des Asylbewerberleistungsrechts<br />

wäre eine unterschiedliche Handhabung in <strong>die</strong>sen Bereichen zumindest<br />

unverständlich.<br />

Zu <strong>der</strong> Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG bleibt anzumerken, dass <strong>die</strong> Min<strong>der</strong>jährigen <strong>die</strong><br />

Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 jeweils in eigener Person erfüllen müssen und <strong>der</strong><br />

Leistungsbezug eines Elternteils hinzutreten muss. Daraus folgt, dass ein antragstellendes<br />

Kind mindestens drei Jahre alt sein muss, um erhöhte Leistungen beanspruchen zu können,<br />

womit innerhalb einer Familie unterschiedliche Leistungsarten vorkommen können.<br />

Mit dem Erlass des Innensenators wird geregelt, wann <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Mitteilungen<br />

gem. § 90 Abs. 3 AufenthG an das zuständige Sozialamt weiterleiten soll. Dabei kann auf<br />

<strong>die</strong> obigen Ausführungen entsprechend verwiesen werden. Bemerkenswert ist noch <strong>die</strong><br />

negative Formulierung des Erlasses. Durch <strong>die</strong> Mitteilungen gem. § 90 Abs. 3 AufenthG<br />

sollen <strong>die</strong> Sozialbehörden feststellen können, ob<br />

187 Vgl. dazu ausführlich VGH Baden-Württemberg, v. 12.01.2005, 7 S 1769/02.<br />

188 OVG Bremen, Beschluss v. 14.03.2006, S 3 S 402/05.<br />

189 VG Bremen, rechtlicher Hinweis im Verfahren 4 K 1218/05.<br />

71


„<strong>die</strong> Voraussetzungen <strong>für</strong> eine Gewährung von Leistungen analog dem SGB XII gemäß § 2<br />

Abs. 1 AsylbLG nicht erfüllt sind.“<br />

Im bereits beschriebenen Beispielsfall <strong>der</strong> achtköpfigen kurdischen Familie aus Syrien<br />

wurde auch <strong>die</strong> Leistungsbewilligung nach § 2 AsylbLG aufgrund <strong>der</strong> dargelegten Mitteilung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durch das zuständige Sozialamt abgelehnt. Das Gericht hat in<br />

dem entsprechenden Verfahren <strong>die</strong> Beklagte jedoch zu einer Nachzahlung zwischen den<br />

bewilligten Leistungen gem. §§ 3, 1a AsylbLG und den <strong>der</strong> Familie nach § 2 AsylbLG<br />

zustehenden Leistungen verpflichtet. Zu erwähnen ist, dass den volljährigen Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

genannten Familie bis zum heutigen Tage durch <strong>die</strong> Sozialbehörde lediglich Grundleistungen<br />

gem. § 3 AsylbLG gewährt werden, weil den entsprechenden Wi<strong>der</strong>sprüchen „von hier<br />

aus nicht abgeholfen werden kann“.<br />

Die Praxis <strong>der</strong> Anwendungsbereiche <strong>die</strong>ser Regelungen macht deutlich, dass hier in erster<br />

Linie fiskalische Interessen im Vor<strong>der</strong>grund stehen. Dies geschieht offenkundig pauschal<br />

und vielfach ohne wirkliche Einzelfallprüfung.<br />

Die Sozialbehörden verlassen sich gänzlich auf <strong>die</strong> Mitteilungen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

ohne in eine eigene Prüfung <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen einzutreten. Gerade angesichts<br />

des Umstandes, dass viele <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>, <strong>die</strong> in Besitz<br />

von Aufenthaltsrechten gem. §§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 4 u. 5 AufenthG sind, sich schon<br />

viele Jahre im Bundesgebiet aufhalten, <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> hier oft aufgewachsen und geboren sind,<br />

ist <strong>die</strong>s rechtlich und gesellschaftspolitisch sehr bedenklich.<br />

Liegen <strong>die</strong> Bezieher von Sozialhilfeleistungen schon an <strong>der</strong> Armutsgrenze, so sinkt <strong>der</strong><br />

Lebensstandard, <strong>der</strong> von <strong>die</strong>sen Einschränkungen Betroffenen, unter <strong>die</strong>se Grenze. Wird<br />

auch noch <strong>der</strong> Bezug von Barmitteln vollständig o<strong>der</strong> nahezu vollständig ausgeschlossen,<br />

so ist <strong>die</strong>s nach <strong>die</strong>sseitiger Auffassung mit dem Grundsatz <strong>der</strong> Menschenwürde aus Art. 1<br />

Abs. 1 GG nicht mehr in Einklang zu bringen. Der Grundsatz <strong>der</strong> Menschenwürde besagt,<br />

dass im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG dem Einzelnen<br />

ein soziales und menschenwürdiges Lebens zu gewährleisten 190 .<br />

Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass <strong>der</strong> Zugang zum Arbeitsmarkt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen<br />

faktisch so gut wie ausgeschlossen ist.<br />

190 Vgl. BVerfGE 45, 228; BVerwGE 14, 297.<br />

72


IX. Die Antragsbearbeitung durch <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen, <strong>die</strong><br />

Bearbeitung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren und <strong>die</strong> Erhebung von Untätigkeitsklagen<br />

Die Sachbearbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde haben über einen Antrag auf Erteilung o<strong>der</strong> Verlängerung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung <strong>der</strong> geltenden Gesetzes-, Verordnungs-<br />

und Erlasslage zu entscheiden. Sie haben in <strong>die</strong>sem Zusammenhang <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen<br />

zu prüfen, den Sachverhalt von Amts wegen entsprechend aufzuklären,<br />

den Antragsteller zu beraten und auf <strong>die</strong> Stellung sach<strong>die</strong>nlicher Anträge hinzuwirken.<br />

Die speziellen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes werden insoweit ergänzt durch <strong>die</strong><br />

Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes.<br />

Die Aufklärung von Amts wegen wird an<strong>der</strong>s als in den §§ 24, 26 VwVfG (Untersuchungsgrundsatz)<br />

beschränkt durch § 79 Abs. 1 AufenthG auf <strong>die</strong> „im Bundesgebiet bekannten<br />

Umstände und zugänglichen Erkenntnisse“ 191 .<br />

Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes korrespon<strong>die</strong>rt mit den Mitwirkungspflichten<br />

des Antragstellers. § 82 AufenthG sieht detaillierte, umfassende Mitwirkungspflichten vor.<br />

Für den Antragsteller günstige Umstände sind „unter Angabe nachprüfbarer Umstände<br />

unverzüglich geltend“ zu machen. Weiter sind Fristsetzungen und ausdrückliche Hinweise<br />

vorgesehen (§ 82 Abs. 1 und 3 AufenthG).<br />

Außerdem sieht § 82 Abs. 4 AufenthG eine Anordnungsbefugnis <strong>der</strong> Behörde zum persönlichen<br />

Erscheinen bei Botschaften und Konsulaten des Heimatlandes, zur Durchführung<br />

ärztlicher Untersuchungen zur Reisefähigkeit etc. und <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>die</strong>se, im Falle <strong>der</strong><br />

Weigerung, auch zwangsweise durchzusetzen, vor.<br />

Der Sachbearbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wie<strong>der</strong>um ist verpflichtet nach einer Antragstellung<br />

eine Bescheinigung über <strong>die</strong> Wirkung <strong>der</strong> Antragstellung auszustellen (§ 81 Abs. 5<br />

AufenthG), <strong>die</strong> sogenannte Fiktionsbescheinigung. Vor einer negativen Entscheidung des<br />

Sachbearbeiters ist dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 28<br />

VwVfG). Dies setzt in <strong>der</strong> Regel ein schriftliches Anhörungsverfahren voraus 192 . Eine ablehnende,<br />

negative Entscheidung ist dem Betroffenen zuzustellen, dabei sind <strong>die</strong> Vorschriften<br />

des Verwaltungszustellungsgesetzes zu beachten 193 .<br />

Gegen einen ablehnenden (negativen) Bescheid <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ist <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

des Wi<strong>der</strong>spruchs gegeben (§ 69 VwGO). Mit einem Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren soll eine Überprüfung<br />

des Verwaltungsaktes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorgenommen<br />

werden, außerdem ist <strong>die</strong> Durchführung eines Wi<strong>der</strong>spruchsverfahrens Prozessvoraussetzung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Erhebung einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage 194 . Der Wi<strong>der</strong>spruch<br />

ist bei <strong>der</strong> Behörde einzulegen, <strong>die</strong> den Bescheid erlassen hat, also bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Die Behörde kann, wenn sie den Wi<strong>der</strong>spruch <strong>für</strong> begründet hält, <strong>die</strong>sem selbst abhelfen<br />

(§ 72 VwGO). Wird dem Wi<strong>der</strong>spruch nicht abgeholfen, so entscheidet <strong>die</strong> nächst<br />

höhere Behörde (§ 73 Abs. 1 VwGO), im Fall <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Senator<br />

<strong>für</strong> Inneres.<br />

Hält <strong>der</strong> Innensenator einen Wi<strong>der</strong>spruch <strong>für</strong> begründet, ergeht ein Abhilfebescheid (§ 72<br />

VwGO). An<strong>der</strong>nfalls ist mit einem Wi<strong>der</strong>spruchsbescheid zu entscheiden (§ 73 VwGO).<br />

191<br />

Diese Einschränkung begegnet Bedenken. Vgl. Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 79 AufenthG, Rn. 3<br />

ff.<br />

192<br />

Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2001, § 29, Rn. 32.<br />

193<br />

Dazu in <strong>die</strong>sem Kapitel ausführlicher <strong>die</strong> Darstellung im Fallbeispiel des Herrn O.<br />

194<br />

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 69, Rn. 1.<br />

73


Erst nachdem <strong>der</strong> Innensenator über einen Wi<strong>der</strong>spruch durch Wi<strong>der</strong>spruchsbescheid entschieden<br />

hat, ist <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Anfechtungs- o<strong>der</strong> Verpflichtungsklage beim zuständigen<br />

Verwaltungsgericht gegeben.<br />

We<strong>der</strong> das Aufenthaltsgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetz bestimmen Fristen,<br />

innerhalb <strong>der</strong>er eine Auslän<strong>der</strong>behörde über gestellte Anträge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Innensenator über<br />

einen Wi<strong>der</strong>spruch zu entscheiden hat. Allerdings hat <strong>der</strong> Gesetzgeber über <strong>die</strong> Regelung<br />

in § 75 VwGO da<strong>für</strong> Sorge getragen, dass ein Bürger über <strong>die</strong> Untätigkeitsklage beim zuständigen<br />

Verwaltungsgericht im Falle <strong>der</strong> Untätigkeit <strong>der</strong> Behörde o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde<br />

ohne zureichenden Grund nach Ablauf von drei Monaten Klage erheben<br />

kann. Ob nach Ablauf von drei Monaten ein zureichen<strong>der</strong> Grund <strong>für</strong> <strong>die</strong> Nichtbescheidung<br />

eines Antrages vorliegt, hat <strong>die</strong> Behörde ggf. darzulegen. Solche zureichenden Gründe<br />

können bspw. beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Sachverhaltsaufklärung o<strong>der</strong> eine beson<strong>der</strong>e<br />

Komplexität des Falles sein 195 , aber auch das Ausstehen von Anfragen an an<strong>der</strong>e beteiligte<br />

Behörden.<br />

Ist <strong>die</strong> Sache jedoch entscheidungsreif, liegt ein zureichen<strong>der</strong> Grund <strong>für</strong> eine Verzögerung<br />

<strong>der</strong> behördlichen Entscheidung regelmäßig nicht vor 196 .<br />

In <strong>der</strong> rechtlichen Vertretung von Auslän<strong>der</strong>n gegenüber <strong>der</strong> <strong>Bremer</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

wird immer häufiger zum Mittel <strong>der</strong> Untätigkeitsklage gegriffen, da an<strong>der</strong>s Entscheidungen<br />

nicht herbeizuführen sind.<br />

In einem Rechtsstreit vor dem VG Bremen (4 K 2023/05), in dem wegen einer Nichtbescheidung<br />

eines Antrages auf Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis Untätigkeitsklage<br />

erhoben wurde, weist das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 24.1.2006 auf folgendes<br />

hin:<br />

„Der Klägerin ist zunächst Prozesskostenhilfe nur in Bezug auf eine Bescheidungs-<br />

Untätigkeitsklage bewilligt worden, weil <strong>der</strong> Kammer nach wie vor eine Stellungnahme <strong>der</strong><br />

Beklagten nicht vorliegt und auch <strong>die</strong> Behördenakten vom Gericht nicht eingesehen werden<br />

konnten. Daher kann <strong>die</strong> Erfolgsaussicht einer Klage bezüglich <strong>der</strong> Erteilung des Aufenthaltstitels<br />

nicht bewertet werden.<br />

Das Gericht stellt bereits jetzt das beabsichtigte weitere Vorgehen wie folgt in Aussicht:<br />

Bei Erteilung eines Einverständnisses <strong>der</strong> Klägerin mit einer Entscheidung des Gerichts<br />

durch Urteil ohne mündliche Verhandlung wird das Gericht ... <strong>die</strong> Beklagte verpflichten,<br />

den Aufenthaltserlaubnisantrag <strong>der</strong> Klägerin zu bescheiden. Im Übrigen wäre <strong>die</strong> auf <strong>die</strong><br />

Aufenthaltserlaubniserteilung gerichtete Klage zwar abzuweisen, da eine Entscheidungsreife<br />

zugunsten <strong>der</strong> Klägerin mangels zur Verfügung stehen<strong>der</strong> Behördenakten dem Gericht<br />

nicht vorläge. Dennoch würde das Gericht <strong>die</strong> Verfahrenskosten insgesamt <strong>der</strong> Beklagten<br />

auferlegen, weil sie nach Aktenlage durch Untätigkeit <strong>die</strong> Klageerhebung veranlasst<br />

hat und auch im laufenden Verfahren untätig geblieben ist (vgl. § 155 Abs. 4 VwGO).<br />

Die Beklagte wird hiermit darauf hingewiesen, dass das Gericht seit über einem Vierteljahr<br />

auf <strong>die</strong> Stellungnahme gem. § 75 wartet. Eine weitere Erinnerung wird nicht mehr<br />

erfolgen. <strong>die</strong> Beklagte muss nunmehr mit einer Verurteilung im oben dargelegten Sinn<br />

rechnen.“<br />

195 BayVGH, Beschluss v. 14.10.2003, 5 C 03.2024.<br />

196 Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 75 Rn. 49; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 14. Aufl.<br />

2004, § 75 Rn. 4.<br />

74


Aus dem Hinweis werden zwei Aspekte <strong>der</strong> Untätigkeitsklagen deutlich: Für den Betroffenen<br />

bringen sie, selbst dann wenn das Verfahren „gewonnen“ wird, nicht unbedingt das<br />

gewünschte Ergebnis, son<strong>der</strong>n führen häufig nur zu einer Verpflichtung <strong>der</strong> Behörde, <strong>die</strong><br />

Entscheidung vorzunehmen und dabei <strong>die</strong> Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten.<br />

Für <strong>die</strong> Behörden verursachen sie auf jeden Fall erhebliche Kosten, von dem zusätzlichen<br />

Arbeitsaufwand <strong>für</strong> <strong>die</strong> Prozessvertretung ganz zu schweigen.<br />

Die Regelungen über <strong>die</strong> Untätigkeitsklage gelten sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entscheidungen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entscheidungen <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde. Der zuvor beschriebene<br />

Fall des Herrn D. zeigt, dass in den Verfahren <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde ebenfalls<br />

ein Stillstand <strong>der</strong> Behördentätigkeit nur durch Erhebung einer Untätigkeitsklage herbeigeführt<br />

werden kann.<br />

Untätigkeitsklagen haben sowohl gegen <strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde als auch gegen den Senator<br />

<strong>für</strong> Inneres als Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen.<br />

Nach einer Antwort des Senats vom 6. Februar 2006 auf eine Anfrage <strong>der</strong> Fraktion Bündnis<br />

90/Die Grünen in <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft ist bei den Untätigkeitsklagen gegen<br />

<strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen und den Senator <strong>für</strong> Inneres in den vergangenen Jahren eine<br />

deutliche Steigerung zu beobachten.<br />

Bei den Untätigkeitsklagen gegen <strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen ist im Jahre 2005 ein Anstieg<br />

um das Vierfache gegenüber 2003 zu verzeichnen. Ähnlich sieht es bei den Untätigkeitsklagen<br />

gegenüber dem Senator <strong>für</strong> Inneres (Land Bremen) aus, auch wenn <strong>die</strong> Zahlen in<br />

ihrer Gesamtheit insoweit niedriger liegen. Im Jahre 2005 sind demnach 96 Untätigkeitsklagen<br />

gegen <strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen gegenüber 20 im Jahre 2003 erhoben worden. Bei<br />

den Untätigkeitsklagen gegen <strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen ist im Jahre 2005 gegenüber<br />

2004 ein Anstieg von etwa 40 % festzustellen.<br />

Gleichzeitig ist ein bedeutsamer Anstieg <strong>der</strong> Kosten festzustellen. Die Kosten <strong>für</strong> verlorene<br />

Rechtsstreitigkeiten stiegen allein <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stadtgemeinde Bremen im Jahre 2005 um 60 %<br />

gegenüber dem Jahre 2004. Die Gesamtkosten <strong>für</strong> verlorene Rechtstreitigkeiten im Land<br />

Bremen haben sich in den vergangen fünf Jahren verdreifacht. Sie sind in <strong>die</strong>ser Zeit von<br />

43.620,25 Euro auf 123.087,00 Euro gestiegen.<br />

Zu berücksichtigen ist, dass sich <strong>der</strong> deutliche Anstieg <strong>der</strong> Untätigkeitsklagen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Kosten noch nicht vollends ausgewirkt hat, da <strong>die</strong> Kosten erst nach Abschluss des Verfahrens<br />

festgesetzt werden. Es ist also <strong>für</strong> 2006 allein wegen <strong>der</strong> Zunahme <strong>der</strong> Untätigkeitsklagen<br />

in 2004 und 2005 nochmals mit einem deutlichen Anstieg <strong>der</strong> Kosten gegenüber<br />

2005 zu rechnen.<br />

Dabei muss bei <strong>der</strong> Wertung <strong>die</strong>ser Zahlen berücksichtigt werden, dass Untätigkeitsklagen<br />

zumeist nur dann erhoben werden, wenn auch eine begründete Aussicht besteht, mit <strong>der</strong><br />

Klage Erfolg zu haben. Aus <strong>der</strong> Sicht des Betroffenen macht es wenig Sinn eine Untätigkeitsklage<br />

zu erheben, wenn im Ergebnis mit einer Abweisung <strong>der</strong> Klage gerechnet werden<br />

muss, <strong>die</strong> Untätigkeit <strong>der</strong> Behörde also <strong>für</strong> ihn günstiger ist, als eine Entscheidung.<br />

In einem Bericht des Innensenators <strong>für</strong> <strong>die</strong> Innendeputation vom 30. August 2004 räumt<br />

<strong>der</strong> Innensenator ein, dass eine Einhaltung <strong>der</strong> gesetzlich vorgesehenen 3-Monatsfrist (§ 75<br />

VwGO) <strong>für</strong> <strong>die</strong> Behördenentscheidungen angesichts <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden personellen<br />

Ressourcen nicht durchgängig zu gewährleisten sei.<br />

75


Bei <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren durch den Senator <strong>für</strong> Inneres muss <strong>der</strong><br />

Innensenator noch weitaus längere Bearbeitungszeiten eingestehen:<br />

Nach einem Bericht des Innensenators vom 30. Juni 2004 <strong>für</strong> eine Sitzung <strong>der</strong> Innendeputation<br />

waren zum Stichtag 30. Juni 2004 noch 819 Wi<strong>der</strong>sprüche in auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Angelegenheiten nicht beschieden. In den Jahren zuvor waren 224 (2002) bzw. 275 Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

(2003) erhoben worden. Damit ist offenkundig, dass <strong>die</strong> Bearbeitungsdauer <strong>der</strong><br />

Wi<strong>der</strong>sprüche eher bei drei Jahren als bei <strong>der</strong> gesetzlich vorgesehenen Frist von drei Monaten<br />

liegt.<br />

Eine Untätigkeit <strong>der</strong> Behörde in auslän<strong>der</strong>rechtlichen Verfahren kann sich aber auch in<br />

an<strong>der</strong>er Hinsicht auswirken: So hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einem Beschluss<br />

vom 30. Mai 1973, ausgeführt, dass <strong>die</strong> Verzögerung einer Entscheidung einer seit<br />

nahezu sieben Monaten mit <strong>der</strong> Angelegenheit befassten Behörde über einen Wi<strong>der</strong>spruch<br />

gegen eine Ausweisung, erkennen lasse, dass ein zwingendes öffentliches Interesse an <strong>der</strong><br />

sofortigen Entfernung des Auslän<strong>der</strong>s aus <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland nicht bestehe<br />

197 .<br />

Anknüpfend an <strong>die</strong>se Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Verwaltungsgericht<br />

Bremen aufgrund <strong>der</strong> zögerlichen Bearbeitung eines Wi<strong>der</strong>spruchs - im zu<br />

entscheidenden Fall lag eine Bearbeitungszeit von zwei Jahre vor - es <strong>für</strong> erfor<strong>der</strong>lich<br />

gehalten, dem betreffenden Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Ausweisungsverfügung<br />

zu gewähren. Es hat dazu folgendes ausgeführt:<br />

„Aufgrund <strong>die</strong>ser zögerlichen Bearbeitung des Wi<strong>der</strong>spruchs, <strong>die</strong> ihren Grund in <strong>der</strong> gerichtsbekannten<br />

zeitweise unzureichenden Personalausstattung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde<br />

und den dortigen vielen Rückständen haben dürfte, kann nicht mehr angenommen werden,<br />

dass ein zwingendes öffentliches Interesse an <strong>der</strong> sofortigen Entfernung des Antragstellers<br />

aus <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland besteht“ 198 .<br />

Die Folgen <strong>der</strong> <strong>Überlastung</strong> <strong>der</strong> Behördenmitarbeiter äußern sich in einer oberflächlichen<br />

und schleppenden Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge und sonstigen Aufgaben.<br />

Es sollen zusammenfassend einige immer wie<strong>der</strong>kehrende Mängel aufgezeigt werden, <strong>die</strong><br />

teilweise bereits eingangs in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> öffentlichen Kritik an <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Bremen zum Ausdruck kamen, aber nicht ausdrücklicher Gegenstand <strong>der</strong> Untersuchung<br />

waren.<br />

a) Lange Wartzeiten, wie<strong>der</strong>holte Vorsprachen<br />

Besucher des Auslän<strong>der</strong>amtes klagen regelmäßig darüber, dass sie sich schon in den frühen<br />

Morgenstunden (um vier o<strong>der</strong> fünf Uhr) anstellen müssen, um eine Nummer zu ziehen, <strong>die</strong><br />

dann zur Vorsprache berechtigt. Trotzdem kommt es vor, dass <strong>der</strong> Andrang so groß ist,<br />

dass eine Vorsprache am selben Tag nicht mehr stattfinden kann. Für berufstätige Menschen<br />

und Personen, <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> zu versorgen haben, führt <strong>die</strong>s zu beson<strong>der</strong>s großen Unannehmlichkeiten.<br />

Es wird immer wie<strong>der</strong> berichtet, dass Sachbearbeiter sich wenig Mühe<br />

geben eine Angelegenheit sogleich zu klären, son<strong>der</strong>n auf einen an<strong>der</strong>en zuständigen Mit-<br />

197 BVerfGE 25, 177.<br />

198 VG Bremen, Beschluss v. 21.09.2004, 4 V 1418/04, einsehbar unter:<br />

www2.bremen.de/justizsenator/verwaltungsgericht/.<br />

76


arbeiter verweisen und weitere Vorsprachen erfor<strong>der</strong>lich werden. Zwar besteht grundsätzlich<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Terminsvergabe, davon wird jedoch nur selten Gebrauch gemacht.<br />

b) Mängel bei <strong>der</strong> Postbearbeitung durch <strong>die</strong> Behörde<br />

In vielen Fällen gelangt eingehende Post erst nach erheblicher Wartezeit zur Akte. Fälle in<br />

denen sich auch nach Wochen ein Schriftstück nicht bei den Akten befindet, sind im alltäglichen<br />

Umgang mit <strong>der</strong> Behörde keine Seltenheit. Dies betrifft sowohl Post, <strong>die</strong> über den<br />

Behördenweg gesandt wird, als auch Post <strong>die</strong> direkt auf dem Postweg zugestellt wird.<br />

Das Suchen von Post in unsortierten Rückständen verursacht wie<strong>der</strong>um unnötigen Arbeitsaufwand<br />

bei den Mitarbeitern. Demzufolge ist <strong>die</strong> Auskunftslage <strong>der</strong> Behörde nicht<br />

aktuell. Die Betroffenen müssen unter Umständen ein weiteres Mal vorsprechen, um Unterlagen<br />

vorzulegen, <strong>die</strong> teilweise bereits vorliegen. Dringend benötigte Originaldokumente,<br />

z.B. Pässe, müssen aufwändig gesucht werden. Mitarbeiter <strong>der</strong> Behörde berichten von<br />

großen Mengen unbearbeiteter Post, <strong>die</strong> den Akten nicht sogleich zuordnet werden kann.<br />

c) Mangelhafte Aktenführung<br />

Eng verknüpft mit den Problemen in <strong>der</strong> Postbearbeitung ist eine mangelhafte Aktenführung.<br />

Da <strong>die</strong> Post nicht zügig zur Akte gelangt, entsprechen <strong>die</strong> Akten nicht dem aktuellen<br />

Stand. Fälle in denen Akten nicht aufzufinden sind, sind keine Seltenheit. Sowohl in Wi<strong>der</strong>spruchsverfahren<br />

als auch in Gerichtsverfahren müssen Aktenvorgänge <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsbehörde<br />

o<strong>der</strong> dem Gericht vorgelegt werden. Gerade in gerichtlichen Verfahren<br />

gehört eine zögerliche Aktenvorlage zum Alltag, selbst in Eilverfahren wartet das Verwaltungsgericht<br />

manchmal Wochen und Monate auf <strong>die</strong> Aktenvorlage.<br />

An<strong>der</strong>seits kommt es immer wie<strong>der</strong> vor, dass <strong>die</strong> Prozessvertretung keine Kenntnis vom<br />

vollständigen Inhalt <strong>der</strong> Akte hat und <strong>die</strong> Sachbearbeiter keine Kenntnis vom Inhalt <strong>der</strong><br />

Gerichtsakte.<br />

d) Fehlende telefonische Erreichbarkeit<br />

Grundsätzlich bestehen erhebliche Schwierigkeiten, Sachbearbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

telefonisch zu erreichen. Dies gilt nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Publikumszeiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

son<strong>der</strong>n auch <strong>für</strong> Zeiten ohne Publikumsverkehr. Es ist keine Seltenheit, dass an bestimmten<br />

Tagen kein einziger Sachbearbeiter eines Teams telefonisch zu erreichen ist.<br />

Bei den Abschnittsleitern und <strong>der</strong> Behördenleitung ist <strong>die</strong>s teilweise an<strong>der</strong>s. Da <strong>die</strong>se in<br />

den Publikumsverkehr nicht eingebunden sind, besteht eine bessere Erreichbarkeit. Dies<br />

führt zur Tendenz, sich telefonisch eher an <strong>die</strong> Abschnittsleiter o<strong>der</strong> Behördenleitung zu<br />

wenden, um auf <strong>die</strong>sem Wege eine Klärung herbeizuführen, <strong>die</strong> zumeist nicht sogleich<br />

möglich ist, da <strong>die</strong> Behördenleitung und Abschnittsleitung nicht mit dem Sachverhalt vertraut<br />

sind.<br />

Ein in seinen Folgen gravierendes Beispiel soll im Folgenden dargestellt werden.<br />

Beispielsfall des Herrn O.<br />

Herr O. ist nigerianischer Staatsangehöriger. Am 21.11.2001 heiratet Herr O. in Nigeria<br />

eine deutsche Staatsangehörige. Am 7.02.2003 reist er mit einem Einreisevisum in <strong>die</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland ein.<br />

Am 23.02.2003 wird <strong>die</strong> gemeinsame Tochter geboren, <strong>die</strong> aufgrund <strong>der</strong> Abstammung <strong>der</strong><br />

Mutter <strong>die</strong> deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Herrn O. wird am 17.03.2003 eine auf<br />

drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erteilt. Im Dezember<br />

2003 kommt es zur Trennung von seiner Ehefrau. Herr O. zieht aus <strong>der</strong> gemeinsamen E-<br />

77


hewohnung aus und nimmt sich eine eigene Wohnung, in <strong>der</strong> er sich anmeldet. Weiterhin<br />

stellt er einen Postnachsendeantrag.<br />

Herr O. ist erwerbstätig. Er hat regelmäßigen Kontakt zu seiner von ihm getrennt lebenden<br />

Ehefrau und <strong>der</strong> gemeinsamen Tochter. Er zahlt außerdem Unterhalt <strong>für</strong> <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Tochter. Die Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen schickt am 19.03.2004 ein Anhörungsschreiben an<br />

Herrn O. an dessen Meldeanschrift und teilt mit, dass man beabsichtige <strong>die</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

nachträglich zu befristen und seine Abschiebung anzudrohen, da man Erkenntnisse<br />

habe, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebe.<br />

Das Anhörungsschreiben kommt von <strong>der</strong> Post mit dem Hinweis zurück, dass <strong>der</strong> Empfänger<br />

unter <strong>der</strong> Anschrift nicht zu ermitteln sei. Das Anhörungsschreiben wird daraufhin am<br />

29.04.2004 durch Aushang in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde „öffentlich zugestellt“..<br />

Ohne weitere Ermittlungen zum Aufenthalt von Herrn O. anzustellen, wird am 30.09.2004<br />

eine Verfügung mit <strong>der</strong> nachträglichen zeitlichen Beschränkung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis,<br />

<strong>der</strong> Ausreiseauffor<strong>der</strong>ung und Abschiebungsandrohung „öffentlich zugestellt“. Der Vermerk<br />

über <strong>die</strong> öffentliche Zustellung enthält in <strong>der</strong> entsprechenden Zeile we<strong>der</strong> das Datum<br />

des Aushangs, noch das Datum <strong>der</strong> Abnahme. Statt eines Namenszuges des Sachbearbeiters<br />

ist nur ein unleserlicher Buchstabe auf dem Aushangvermerk enthalten. Die vollziehbare<br />

Ausreisepflicht wird im Auslän<strong>der</strong>zentralregister eingetragen und Herr O. zur Fahndung<br />

ausgeschrieben.<br />

Herr O. lebt weiterhin angemeldet in Bremen, befindet sich im Arbeitsverhältnis und sieht<br />

regelmäßig Ehefrau und Kind. Herr O. wird am 19.08.2005 bei <strong>der</strong> Einreise in den Nie<strong>der</strong>landen,<br />

wo er einen Freund besuchen will festgenommen und in Abschiebehaft genommen.<br />

In <strong>der</strong> ersten Septemberwoche soll er abgeschoben werden.<br />

Am 29.08.2005 wird ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen <strong>die</strong> vorgesehene Abschiebung<br />

beim Verwaltungsgericht Bremen eingereicht, <strong>der</strong> im Wesentlichen damit begründet<br />

wird, dass <strong>die</strong> Zustellung <strong>der</strong> Befristungs- und Abschiebungsverfügung nicht korrekt<br />

erfolgt ist und das Aufenthaltsrecht von Herrn O. deshalb noch fortbesteht.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde teilt daraufhin am 06.09.2005 fernmündlich mit, dass sie <strong>die</strong>ser<br />

Rechtsauffassung folgt und veranlasst daraufhin <strong>die</strong> Entlassung von Herrn O. aus <strong>der</strong><br />

Abschiebehaft. Das Verwaltungsgericht stellt das Verfahren ein und trifft eine Kostenentscheidung<br />

zu Lasten <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen.<br />

Herr O. hat mittlerweile 17 Tage in <strong>der</strong> Abschiebehaft verbracht und seinen Arbeitsplatz<br />

verloren, da er unentschuldigt <strong>der</strong> Arbeit ferngeblieben war.<br />

Nach einer Aufhebung <strong>der</strong> ehelichen Lebensgemeinschaft besteht kein Anspruch auf ein<br />

eigenständiges Aufenthaltsrecht, wenn <strong>die</strong> eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens<br />

zwei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).<br />

Da <strong>die</strong> eheliche Lebensgemeinschaft von Herr O. noch keine zwei Jahre rechtmäßig im<br />

Bundesgebiet bestanden hatte, besitzt Herr O. demnach allein wegen <strong>der</strong> noch bestehenden<br />

Ehe kein eigenständiges Aufenthaltsrecht.<br />

Allerdings besteht auch <strong>für</strong> den ausländischen Elternteil eines deutschen Kindes ein Aufenthaltsanspruch,<br />

wenn <strong>die</strong>ser Elternteil das Sorgerecht ausübt o<strong>der</strong> ausüben will (§ 28<br />

Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Für <strong>die</strong> Ausübung des Sorgerechts des ausländischen Elternteils<br />

ist es zur Verwirklichung des Aufenthaltsanspruches nicht erfor<strong>der</strong>lich, dass zwischen beiden<br />

Eltern und dem Kind auch <strong>die</strong> häusliche Lebensgemeinschaft besteht. Sie kann auch so<br />

ausgeübt werden, dass sich <strong>die</strong> Eltern <strong>die</strong> Aufgaben zur Erziehung und Betreuung des Kindes<br />

teilen, ohne in häuslicher Lebensgemeinschaft zusammenzuleben 199 .<br />

Insofern ist <strong>die</strong> Verfügung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde fehlerhaft.<br />

199 Renner, Auslän<strong>der</strong>recht, (o. Fn. 77), § 28 AufenthG, Rn. 9.<br />

78


Wesentlich problematischer ist allerdings <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Zustellung <strong>der</strong> Verfügung.<br />

Eine öffentliche Zustellung nach § 1 Abs. 1 BremVwZG i.V.m. § 15 VwZG ist nur als<br />

„letztes Mittel“ <strong>der</strong> Bekanntgabe zulässig. Voraussetzung ist, dass alle an<strong>der</strong>en Möglichkeiten<br />

erschöpft sind, dem Empfänger das Schriftstück zu übermitteln. Erfor<strong>der</strong>lich ist,<br />

dass sich ein Aufenthalt trotz gründlicher und sach<strong>die</strong>nlicher Bemühungen nicht ermitteln<br />

lässt 200 . In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das OVG Bremen bereits festgestellt, dass<br />

<strong>die</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde ggf. auch über eine Befragung <strong>der</strong> Ehefrau eines getrennt lebenden<br />

Auslän<strong>der</strong>s zu versuchen habe, den Aufenthalt zu ermitteln, bevor eine „öffentliche Zustellung“<br />

vorgenommen werde 201 .<br />

Abgesehen davon ist auch <strong>die</strong> Art und Weise <strong>der</strong> öffentlichen Zustellung fehlerhaft. Gem.<br />

§ 15 Abs. 3 Satz 3 VwZG ist von dem Be<strong>die</strong>nsteten <strong>der</strong> Tag des Aushängens und <strong>der</strong> Tag<br />

<strong>der</strong> Abnahme auf dem Schriftstück zu vermerken 202 . Außerdem ist <strong>der</strong> Aushangsvermerk<br />

mit vollem Namenszug zu unterzeichnen 203 .<br />

Der Vorgang zeigt, dass sich <strong>der</strong> zuständige Behördenmitarbeiter keinerlei Mühe gemacht<br />

hat, den Sachverhalt aufzuklären. Vielmehr wurde <strong>der</strong> bequemste Weg gewählt, das Aufenthaltsrecht<br />

von Herrn O. zu wi<strong>der</strong>rufen.<br />

Offenbar sind daraus keinerlei Konsequenzen gezogen worden. Öffentliche Zustellungen<br />

wurden in gleicher - unzulässiger - Weise weiterhin vorgenommen. Es wäre angebracht,<br />

insoweit durch Anwendungshinweise <strong>die</strong> Mitarbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zu einer rechtlich<br />

korrekten Vorgehensweise anzuhalten, <strong>die</strong> den Vorschriften des BremVwZG und den<br />

Vorgaben <strong>der</strong> Rechtsprechung gerecht wird.<br />

Die Folgen eines solchen rechtswidrigen und unzulässigen Vorgehens hat Herr O. zu spüren<br />

bekommen.<br />

Zu erwähnen bleibt, dass durchaus auch Anwendungshinweise vorhanden sind, <strong>die</strong> positiv<br />

zu bewerten sind und <strong>die</strong> <strong>für</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong> positive Ermessensausübungen ermöglichen.<br />

So ist dem Verfasser im Rahmen seiner Beratungstätigkeit zu Beginn des Jahres 2006 <strong>der</strong><br />

Anwendungshinweis zu § 21 AufenthG <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit<br />

bei einer künstlerischen selbständigen Erwerbstätigkeit bekannt geworden, <strong>der</strong> in<br />

sinnvoller Weise Hinweise zur Auslegung und Anwendung <strong>die</strong>ser Ermessensvorschrift des<br />

§ 21 AufenthG <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Bereich darlegt. Bedauerlich in <strong>der</strong> Praxis war allerdings, dass<br />

<strong>die</strong>ser Anwendungshinweis we<strong>der</strong> mehreren Sachbearbeitern noch dem zuständigen Abschnittsleiter<br />

bekannt war.<br />

200<br />

BVerwGE 104, 301, 306 f.<br />

201<br />

OVG Bremen, Beschluss v. 09.02.2004, 1 B 452/04.<br />

202<br />

Wie vor.<br />

203<br />

BVerwGE, 104, 301, 311.<br />

79


X. Zusammenfassung<br />

Bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Bremen findet eine deutliche Konzentration <strong>der</strong> zur Verfügung<br />

stehenden Ressourcen auf den Bereich <strong>der</strong> ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> statt. Dort werden<br />

etwa 1/3 des zur Verfügung stehenden Personals eingesetzt. Zuständig sind <strong>die</strong>se Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> Behörde <strong>für</strong> ganze 4 % <strong>der</strong> in Bremen lebenden Auslän<strong>der</strong>. Zahlreiche <strong>die</strong>ser geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong> halten sich seit vielen Jahren im Bundesgebiet auf.<br />

Trotz <strong>der</strong> Personalstärke weist <strong>die</strong>ser Bereich in <strong>der</strong> Fallbearbeitung, in <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> Anträge und in <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Akten erhebliche Mängel und Unzulänglichkeiten auf.<br />

Darüber hinaus lassen sich ähnliche Mängel auch in den an<strong>der</strong>en Tätigkeitsbereichen <strong>der</strong><br />

Behörde feststellen.<br />

Die <strong>Ursachen</strong> da<strong>für</strong> liegen zu einem erheblichen Teil in den Vorgaben, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

gemacht werden. Diese sind zumeist restriktiv, Ermessensspielräume werden eingeschränkt,<br />

statt genutzt. Die im Gesetz vorhandenen Möglichkeiten, Ermessensspielräume<br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Betroffenen zu nutzen, werden durch Anwendungshinweise und Erlasse<br />

deutlich eingeschränkt. Ein Übergang vom Duldungsstatus in einen Status des erlaubten<br />

Aufenthaltes gestaltet sich so schwierig, dass er nur in den seltensten Fällen erreicht werden<br />

kann. Die Duldung bleibt so - entgegen <strong>der</strong> Absicht des Gesetzgebers - ein Daueraufenthaltsrecht<br />

„2. Klasse“.<br />

Selbst wenn <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen als erfüllt betrachtet werden, wird <strong>die</strong> Erteilung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis von zahlreichen weiteren Bedingungen abhängig gemacht.<br />

Dies führt dazu, dass <strong>die</strong> beabsichtigte Abschaffung <strong>der</strong> Kettenduldungen kaum stattfindet.<br />

Teilweise fehlen auch schlichte Anweisungen zur Reduzierung des Arbeitsaufkommens:<br />

Wenn, wie in <strong>der</strong> Vergangenheit häufig üblich, allein <strong>die</strong> Duldungsbescheinigungen jeweils<br />

nur monatsweise o<strong>der</strong> <strong>für</strong> maximal drei Monate ausgestellt werden, so erhöht <strong>die</strong>s in<br />

nicht unerheblichen Umfang <strong>die</strong> notwendigen Vorsprachen <strong>der</strong> Betroffenen zur Verlängerung<br />

ihrer Duldungsbescheinigungen. Bei einer Zahl von 2.823 geduldeten Auslän<strong>der</strong>n<br />

bedeuteten Duldungsbescheinigungen mit einer durchschnittlichen Gültigkeit von drei<br />

Monaten 11.292 Vorsprachen jährlich. Dies allein führt - unter Einbeziehung des variablen<br />

Besprechungstages - bei vier Öffnungstagen wöchentlich und ca. 200 Öffnungstagen jährlich,<br />

zu durchschnittlich ca. 55 Vorsprachen pro Tag. So wird allein eine erhebliche Personalkapazität<br />

durch <strong>die</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Verlängerungsanträge <strong>der</strong> Duldungsbescheinigungen<br />

gebunden.<br />

Würde <strong>die</strong> Behörde angewiesen - soweit <strong>der</strong> Einzelfall <strong>die</strong>s zulässt - <strong>die</strong> Duldungsbescheinigungen<br />

mindestens <strong>für</strong> einen Zeitraum von sechs bis hin zu zwölf Monaten auszustellen,<br />

so würde <strong>die</strong> Besucherzahl in <strong>die</strong>sem Abschnitt vermutlich halbiert werden können.<br />

Offenbar ist <strong>die</strong>s aber nicht gewollt. Es liegt <strong>die</strong> Vermutung nahe, dass durch kurzfristige<br />

Verlängerungen <strong>der</strong> Druck auf <strong>die</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> erhöht werden soll, um <strong>die</strong> Ausreisebereitschaft<br />

zu för<strong>der</strong>n.<br />

Die Missstände, <strong>die</strong> in dem Bereich <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> deutlich werden, wirken sich<br />

auf <strong>die</strong> gesamte Tätigkeit des Amtes aus.<br />

80


Der Übergang von Kettenduldungen zur Aufenthaltserlaubnis<br />

Die dargestellten Zahlen zeigen, dass sich ein erheblicher Teil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong><br />

seit langer Zeit in Deutschland aufhält. 30,8 % (1.097 von 3.566) aller geduldeten Auslän<strong>der</strong><br />

im Bundesland Bremen halten sich bereits seit mindestens acht Jahren und ca. 20 %<br />

bereits seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet auf.<br />

Zahlreiche <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> vertrauten auf <strong>die</strong> Möglichkeit, über § 25 AufenthG<br />

Aufenthaltserlaubnisse zu erhalten und stellten entsprechende Anträge bei <strong>der</strong> Behörde.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Betroffenen gestaltet sich <strong>die</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge als überaus problematisch.<br />

We<strong>der</strong> werden <strong>die</strong> <strong>der</strong> Behörde zur Verfügung stehenden Ermessenspielräume zu Gunsten<br />

<strong>der</strong> betroffenen Antragsteller genutzt, noch werden <strong>die</strong> Anträge in angemessen Zeiträumen<br />

bearbeitet.<br />

Eine Anwendung des § 25 Abs. 4 AufenthG erfolgt kaum. Die Anerkennung von „dringenden<br />

humanitären o<strong>der</strong> persönlichen Gründen“ gem. § 25 Abs. 4 AufenthG erfolgt nach<br />

bisherigen Erfahrungen zumeist erst dann, wenn <strong>die</strong> Voraussetzung in gerichtlichen Verfahren<br />

festgestellt wurde. Ein bremischer Anwendungshinweis zur Erläuterung <strong>der</strong> unbestimmten<br />

Rechtsbegriffe „dringende humanitäre und persönliche Gründe“ fehlt genauso<br />

wie ein Erlass zu den bestehenden Ermessensspielräumen.<br />

Auch in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG liegen kaum positive Erfahrungen vor. Für<br />

<strong>die</strong> Antragsteller beginnen <strong>die</strong> Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Definition des Ausreisehin<strong>der</strong>nisses.<br />

Die Prüfung <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise wird - entgegen <strong>der</strong> Rechtsprechung des<br />

Verwaltungsgerichts - nicht vorgenommen. Nur wenn feststeht, dass eine Ausreise objektiv<br />

nicht durchführbar ist und <strong>der</strong> Betroffene ganz offenkundig das Ausreisehin<strong>der</strong>nis nicht<br />

selbst zu vertreten hat, kommt es in Einzelfällen zur Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG.<br />

Hier liegen einzelne positive Erfahrungen in Fällen einer durch das Gesundheitsamt<br />

über lange Zeiträume festgestellten Reiseunfähigkeit vor.<br />

In an<strong>der</strong>en Fällen mussten erst Gerichtsentscheidungen erwirkt werden, um <strong>die</strong> Behörde zu<br />

einer Entscheidung zu bewegen, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Frage <strong>der</strong> Zumutbarkeit berücksichtigt.<br />

Aber selbst wenn <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen an sich erfüllt sind, ergeben sich weitere<br />

Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG,<br />

insbeson<strong>der</strong>e beim Nachweis <strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes und bei <strong>der</strong> Erfüllung<br />

<strong>der</strong> Passpflicht.<br />

Die For<strong>der</strong>ung im Anwendungshinweis zu § 25 Abs. 5 AufenthG, dass von dem Erfor<strong>der</strong>nis<br />

<strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes nur in Ausnahmefällen abgesehen werden soll,<br />

führt zu einer Verschärfung <strong>der</strong> gesetzlichen Vorschrift.<br />

Es wird ignoriert, dass in <strong>der</strong> Praxis den bislang geduldeten Auslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt faktisch verschlossen ist.<br />

Durch den Anwendungshinweis und <strong>die</strong> behördliche Praxis erfolgt eine Einschränkung <strong>der</strong><br />

Ermessensbetätigung, so dass <strong>die</strong> Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG oft auch dann ins<br />

Leere läuft, wenn <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind.<br />

81


Die Aufenthaltserlaubnis sollte in <strong>die</strong>sen Fällen auch bei fehlen<strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

erfolgen, weil nur so <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen ein faktischer Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

geschaffen und ihnen <strong>die</strong> realistische Möglichkeit eröffnet wird, den Lebensunterhalt<br />

aus eigener Erwerbstätigkeit sicherzustellen.<br />

Auch das rigorose Beharren <strong>der</strong> Behörde auf <strong>die</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht führt dazu, dass<br />

eine wirkliche Ermessenausübung hinsichtlich des Absehens von <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Passpflicht<br />

(§ 5 Abs. 3 2. Hs. AufenthG), <strong>die</strong> vom Gesetzgeber gewollt war, nicht mehr stattfindet.<br />

Wie<strong>der</strong>um wird <strong>die</strong> Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen unnötig blockiert.<br />

Dies ist nicht sachgerecht. Schließlich liegt es grundsätzlich auch im Interesse <strong>der</strong> Betroffenen,<br />

sich einen Pass zu beschaffen. Die weitaus meisten Auslandsvertretungen <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong><br />

verlangen jedoch, dass <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausstellung eines Passes entwe<strong>der</strong> ein Aufenthaltsrecht<br />

im Bundesgebiet nachgewiesen o<strong>der</strong> zumindest <strong>die</strong> Zusicherung desselben belegt<br />

wird. Da das Verfahren auf Ausstellung eines Passes zudem mit erheblichem Zeitaufwand<br />

und Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen verbunden ist, verzögert sich <strong>die</strong> Erteilung einer<br />

Aufenthaltserlaubnis abermals. Zumindest in den Fällen, in denen <strong>die</strong> Identität und Herkunft<br />

<strong>der</strong> Betroffenen geklärt und belegt ist, erweist sich <strong>die</strong>se Vorgehensweise als<br />

schlichtweg überflüssig.<br />

Festgestellt werden kann, dass <strong>für</strong> eine wirkliche Nutzung von Ermessensspielräumen zu<br />

Gunsten <strong>der</strong> Betroffenen im Bundesland Bremen an<strong>der</strong>e Anwendungshinweise und Erlasse<br />

notwendig sind. Als positive Beispiele sind <strong>die</strong> entsprechenden Erlasslagen in Mecklenburg–Vorpommern<br />

und Rheinland- Pfalz zu erwähnen. Dort werden ausdrücklich ein langjähriger<br />

Aufenthalt und <strong>die</strong> faktische Integration und beson<strong>der</strong>e Integrationsleistungen <strong>der</strong><br />

betroffenen Auslän<strong>der</strong> zu <strong>der</strong>en Gunsten berücksichtigt.<br />

Unzureichende Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge und unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer<br />

In zahlreichen Fällen entscheidet <strong>die</strong> Behörde über <strong>die</strong> gestellten Anträge nicht in angemessener<br />

Zeit, eine Reihe von Anträgen wird gar nicht beschieden. Immer häufiger müssen<br />

Entscheidungen <strong>der</strong> Behörde deshalb mittels einer Untätigkeitsklage erzwungen werden.<br />

Die Verfahren gelangen zwar auch durch Untätigkeitsklagen nicht sogleich zum Abschluss,<br />

sie führen jedoch dazu, dass sich das Gericht mit dem Sachverhalt auseinan<strong>der</strong> zu<br />

setzen hat und in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Behörde einen rechtlichen Maßstab zur Bescheidung aufgibt.<br />

Ist eine Ermessensreduzierung auf „Null“ gegeben, d.h. kann das Ermessen ohnehin<br />

nur zu Gunsten des betroffenen Klägers ausgeübt werden, kann das Gericht <strong>die</strong> Behörde<br />

unmittelbar verpflichten, Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.<br />

In <strong>der</strong> täglichen Praxis bedeutet <strong>die</strong>s, dass das Gericht <strong>die</strong> Lücken füllt, <strong>die</strong> durch Versäumnisse<br />

des Innensenators entstanden sind.<br />

Diese Vorgehensweise führt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen zu <strong>der</strong> nicht hinnehmbaren Situation, dass<br />

sich selbst offenkundig positiv zu entscheidende Vorgänge über Gebühr lange hinziehen.<br />

Darüber hinaus entsteht <strong>für</strong> <strong>die</strong> Behörde durch <strong>die</strong> Gerichtsverfahren ein weiterer, nicht<br />

unerheblicher Aufwand. Zudem verursachen sie zumeist auch zusätzliche Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

82


Behörde, da in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Behörde <strong>die</strong> Tragung <strong>der</strong> Gerichtskosten und <strong>der</strong> Kosten <strong>für</strong><br />

den bevollmächtigten Anwalt auferlegt werden. Auch werden <strong>die</strong> Gerichte zusätzlich mit<br />

einer erheblichen Kapazität mit <strong>der</strong> Abarbeitung <strong>der</strong> Verfahren belastet.<br />

Der Beispielsfall Semra S. belegt in eindrucksvoller Weise, wie erst durch jahrelange Verfahrenstätigkeit,<br />

einschließlich <strong>der</strong> Führung von zwei Gerichtsverfahren, eine (vorläufige)<br />

Entscheidung zu Gunsten <strong>der</strong> Betroffenen herbeigeführt worden ist.<br />

Wäre <strong>die</strong> Bereitschaft vorhanden gewesen, <strong>die</strong> vorhandenen Ermessensspielräume bereits<br />

im frühen Verfahrensstadium, als eine dauerhafte Reiseunfähigkeit durch ein amtliches<br />

Gutachten festgestellt wurde, zu Gunsten <strong>der</strong> Betroffenen zu nutzen, hätte eine Aufenthaltserlaubnis<br />

viel früher erteilt werden können. Der Behörde wären nicht unbeträchtliche<br />

Gerichts- und Verfahrenskosten erspart geblieben. Die jungen Menschen <strong>der</strong> Familie hätte<br />

sich eine Perspektive eröffnet, Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse zu erwerben.<br />

Als bezeichnend <strong>für</strong> den mangelnden politischen Willen, <strong>die</strong> Integrationsbereitschaft <strong>der</strong><br />

Betroffenen zu för<strong>der</strong>n, erweist sich <strong>die</strong> inhaltliche Ausgestaltung <strong>der</strong> erteilten Aufenthaltserlaubnisse.<br />

Den mittlerweile fast volljährigen, in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

geborenen und aufgewachsenen, Antragstellern wird mitgeteilt, <strong>die</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnisse<br />

erfolge nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, anschließend müssten<br />

sie ausreisen. Deutlicher lassen sich Integrationshemmnisse kaum zum Ausdruck bringen.<br />

Neue Verwaltungs- und Gerichtsverfahren werden dadurch vorprogrammiert. Durch<br />

<strong>die</strong>se Behördenpraxis wird <strong>die</strong> Integrationswilligkeit und -bereitschaft <strong>der</strong> betoffenen Jugendlichen<br />

torpe<strong>die</strong>rt und blockiert.<br />

Auch wenn <strong>die</strong> hier untersuchten Bereiche vornehmlich den Bereich <strong>der</strong> ausreisepflichtigen<br />

Auslän<strong>der</strong> betreffen, so haben <strong>die</strong>se Feststellungen dennoch exemplarischen Charakter<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> gesamte Behördentätigkeit.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e bei komplexen Sachverhalten und einer schwierigen Rechtslage sind <strong>die</strong><br />

Sachbearbeiter oftmals überfor<strong>der</strong>t. In <strong>die</strong>sen Fällen werden <strong>die</strong> Vorgänge dann zumeist<br />

den Abschnittsleitern vorgelegt. Dies führt zu einer weiteren Verzögerung, so dass <strong>die</strong>sbezügliche<br />

Entscheidungen nur selten innerhalb <strong>der</strong> gesetzlich vorgesehenen 3-Monats-Frist<br />

erfolgen. Weiterhin zeigt sich, dass <strong>die</strong> vorhandenen Anwendungshinweise oftmals aus<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> Mitarbeiter nicht beachtet werden. Da sie jedoch nach Auskunft des Innensenators<br />

allen Behördenmitarbeitern über das behördeninterne Intranet zur Verfügung stehen,<br />

mangelt es offenbar an einer hinreichenden Schulung und Information <strong>der</strong> Mitarbeiter,<br />

mit <strong>die</strong>sen Anwendungshinweisen in <strong>der</strong> Praxis auch umzugehen.<br />

Zu kritisieren ist, dass <strong>die</strong> Anwendungshinweise nicht öffentlich zugänglich sind. Dies<br />

würde es zumindest den beauftragten Rechtsvertretern, Beratungsstellen und Interessensverbänden<br />

erleichtern, in <strong>der</strong> Beratungs- und Vertretungstätigkeit zielgerichtet darauf einzugehen<br />

und <strong>die</strong>se „Vorgaben“ entsprechend zu berücksichtigen. Nur so kann eine inhaltliche<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung um den Sinn und Zweck <strong>der</strong> Anwendungshinweise, ihre inhaltliche<br />

Richtigkeit erfolgen. In vielen Fällen sind <strong>die</strong> Behördenmitarbeiter mit den Anwendungshinweisen<br />

nicht vertraut, verstehen <strong>die</strong>se selber nicht o<strong>der</strong> und kennen sie schlicht<br />

nicht.<br />

83


Die Missstände in <strong>der</strong> Antragsbearbeitung werden in allen Bereichen <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen<br />

Tätigkeiten sichtbar.<br />

Stillstand bei den „Doppelidentitäten“<br />

Der Bereich <strong>der</strong> sogenannten Doppelidentitäten wurde dadurch geprägt, dass rigoros versucht<br />

wurde bei allen Betroffenen aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzusetzen. Die<br />

Behörde hat sich damit übernommen, in vielen Fällen ist es zu einem Stillstand in <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

<strong>die</strong>ser Verfahren gekommen.<br />

Angesichts <strong>der</strong> langen Verfahrensdauer und des damit einhergehenden zunehmend länger<br />

währenden Aufenthaltes, wäre es angebracht, durch eine ermessenslenkende Auslegung<br />

des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG o<strong>der</strong> durch Erlasse über ein Bleiberecht, <strong>der</strong> Behörde klare<br />

Vorgaben zu machen, in welchen Fällen aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterbleiben<br />

sollen. Auch insoweit könnte <strong>der</strong> Erlass in Mecklenburg-Vorpommern eine Hilfe sein. Es<br />

liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass eine Behörde, von <strong>der</strong> in <strong>die</strong>sem Bereich verlangt wird, möglicherweise<br />

mehr als eintausend aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzusetzen, sich selber<br />

„lahm legt“, wenn absehbar ist, dass <strong>die</strong> Kapazitäten da<strong>für</strong> nicht ausreichen und zudem<br />

ein erheblicher Teil <strong>der</strong> Personen aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben<br />

werden kann. Als Ausreisehin<strong>der</strong>nis sollte hier gerade bei jungen Menschen aus<br />

<strong>die</strong>sem Kreis, <strong>der</strong> langjährige Aufenthalt im Bundesgebiet und <strong>die</strong> soziale Integration in<br />

<strong>die</strong> hiesigen Lebensverhältnisse anerkannt werden. Wird bei bestehenden Ausreisehin<strong>der</strong>nissen<br />

gem. § 25 Abs. 5 AufenthG o<strong>der</strong> bei Vorliegen „dringen<strong>der</strong> persönlicher Gründe“,<br />

z.B. <strong>der</strong> Erwerb eines Schul- o<strong>der</strong> Berufsabschlusses (§ 25 Abs. 4 AufenthG), von aufenthaltsbeendenden<br />

Maßnahmen abgesehen, so träte eine deutliche Entlastung <strong>der</strong> Aufgaben<br />

ein.<br />

Diese Entlastung <strong>die</strong>nt letztendlich auch dazu, <strong>die</strong> Funktionsfähigkeit <strong>der</strong> Behörde im Allgemeinen<br />

zu gewährleisten.<br />

Umsetzung des “One-Stop-Governments”<br />

In <strong>der</strong> Umsetzung des „One-Stop-Governments“ ist eine Erschwernis und keine Erleichterung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> betroffenen Antragsteller eingetreten.<br />

Die Anträge bleiben teilweise über Wochen und Monate unbearbeitet liegen o<strong>der</strong> werden<br />

nur schleppend bearbeitet, wobei nicht erkennbar ist, ob <strong>die</strong> Versäumnisse bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit liegen. Die Betroffenen haben keine<br />

Möglichkeit, sachgerechte Informationen über <strong>die</strong> Voraussetzungen und Chancen ihrer<br />

Anträge zu erhalten. Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist <strong>für</strong> Informationen zur sachlichen Prüfung<br />

des Antrages nicht zuständig, mit <strong>der</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit, als prüfende Behörde,<br />

besteht keine unmittelbare Kommunikationsmöglichkeit.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Regelung gem. § 5 BeschVerfV, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fälle <strong>der</strong> §§ 6 - 9 BeschVerfV <strong>die</strong><br />

Vorrangprüfung gem. § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entfallen zu lassen, sollte zur<br />

Entbürokratisierung <strong>der</strong> Vorschrift dringend eine Korrektur <strong>der</strong> Regelung in § 5 Besch-<br />

VerfV vorgenommen werden. Notwendig wäre eine Än<strong>der</strong>ung, <strong>die</strong> eine Prüfung <strong>die</strong>ser<br />

Fälle durch <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit ganz entfallen ließe, um so <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

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unmittelbar <strong>die</strong> Möglichkeit zu geben, <strong>die</strong> Beschäftigung <strong>der</strong> von <strong>die</strong>sen Regelungen erfassten<br />

Personen zu erlauben.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Regelung des § 8 BeschVerfV sollten auch geduldete Personen, <strong>die</strong> als<br />

Min<strong>der</strong>jährige eingereist sind und einen allgemeinbildenden Schulabschluss erworben haben,<br />

in <strong>die</strong> Regelung einbezogen werden, so dass ihnen <strong>der</strong> Zugang zu beruflichen Ausbildungen<br />

und Beschäftigungen offen steht. An<strong>der</strong>nfalls entstehen Leerläufe in <strong>der</strong> Ausbildungs-<br />

und Fortbildungsbiografie, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte<br />

darstellen und we<strong>der</strong> eine gesellschaftspolitisch, noch volkswirtschaftlich nachvollziehbare<br />

Logik aufweisen.<br />

Zusammenarbeit zwischen Auslän<strong>der</strong>behörde und Sozialbehörde<br />

In einer Erklärung <strong>der</strong> Landesarmutskonferenz Nie<strong>der</strong>sachsen vom 18. April 2006 wird<br />

eine deutliche Erhöhung <strong>der</strong> Regelsätze <strong>für</strong> Sozialhilfeempfänger bzw. Empfänger von<br />

Arbeitslosengeld II gefor<strong>der</strong>t, um so einer dramatischen Verarmung <strong>die</strong>ses Personenkreises<br />

entgegenzuwirken. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz liegen noch<br />

etwa 35 % unter <strong>die</strong>sem Niveau und <strong>der</strong>en Bezieher fallen damit deutlich unter <strong>die</strong> Armutsgrenze.<br />

Es ist fraglich, ob <strong>die</strong> Sicherung des Existenzminimums in <strong>die</strong>sen Fällen überhaupt<br />

noch gewahrt ist.<br />

Zwei Motive sind offenbar maßgeblich da<strong>für</strong>, <strong>die</strong> Leistungen zu begrenzen:<br />

Es sind zum einen schlichte fiskalische Interessen und es zum an<strong>der</strong>en das Interesse, durch<br />

rigorose Mittelkürzungen <strong>die</strong> Betroffenen freiwillig zu einem Verlassen <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland zu bewegen.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grund hat <strong>der</strong> Gesetzgeber ein Instrumentarium geschaffen, <strong>die</strong> ohnehin kaum<br />

den Lebensunterhalt sichernden Mittel nochmals zu senken.<br />

Der Auslän<strong>der</strong>behörde kommt dabei <strong>die</strong> Funktion zu, <strong>der</strong> Sozialbehörde umfassend mitzuteilen,<br />

wenn Tatbestände <strong>für</strong> weitere Leistungseinschränkungen gem. § 1a AsylbLG vorliegen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bezug von Leistungen analog zu SGB XII über <strong>die</strong> 3-Jahres- Grenze hinaus<br />

ausgeschlossen werden kann.<br />

Darüber hinaus hat sich Bremen mit einer Gesetzesinitiative hervorgetan, <strong>die</strong>se Leistungen<br />

grundsätzlich über <strong>die</strong>se 3-Jahres-Grenze hinaus abzusenken, scheiterte mit <strong>die</strong>sem Vorhaben<br />

aber im Bundesrat. Offenkundig wird nun durch eine rigorose Anwendung <strong>der</strong> Kürzungsmöglichkeiten<br />

versucht, <strong>die</strong> gewünschten Spareffekte zu erzielen.<br />

Dabei zeigt <strong>die</strong> Behördenpraxis auch anhand <strong>der</strong> aufgeführten gerichtlichen Entscheidungen,<br />

dass keine tatsächlich Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Es wird zumeist pauschal<br />

und in vielen Fällen sachlich unzutreffend mitgeteilt, <strong>die</strong> Betroffenen hätten ihre<br />

Mitwirkungspflichten nicht erfüllt bzw. <strong>die</strong> Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich<br />

selbst beeinflusst. In den gerichtlichen Entscheidungen wurde zudem kritisiert, dass <strong>die</strong><br />

Sozialbehörde keine eigene Prüfung vornehme, son<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Mitteilungen ungeprüft in ihre<br />

Bescheide übernehme.<br />

Diesbezüglich ergeben sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen große Schwierigkeiten, mit rechtlichen<br />

Maßnahmen gegen <strong>die</strong>se Entscheidungen vorzugehen. Eine Rechtsberatung und rechtliche<br />

Vertretung durch Rechtsanwälte kann unentgeltlich nicht in Anspruch genommen werden.<br />

Rechtsberatungsstellen sind mit <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>die</strong>ser sachlich und rechtlich komplizierten<br />

Zusammenhänge zwischen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Fragestellungen und Ansprüchen auf<br />

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Leistungen nach dem AsylbLG häufig überfor<strong>der</strong>t. So erweist sich beispielsweise <strong>die</strong><br />

Kenntnis des Inhaltes <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>akte i.d.R. als unentbehrlich.<br />

Angesichts des Umstandes, dass viele <strong>der</strong> geduldeten, ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> sich<br />

schon viele Jahre im Bundesgebiet aufhalten und voraussichtlich auch weiterhin in<br />

Deutschland aufhalten werden, führt <strong>die</strong>se Praxis dazu, dass neben dem faktischen Ausschluss<br />

vom Arbeitsmarkt eine wirtschaftliche Ausgrenzung stattfindet. Dieser wie<strong>der</strong>um<br />

folgt eine gesellschaftliche Ausgrenzung. Finanzielle Mittel zur Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben (Kino, Theater, Konzerte u. sonstige Freizeitaktivitäten) stehen <strong>die</strong>sen Kin<strong>der</strong>n,<br />

Jugendlichen und Erwachsenen nicht zur Verfügung.<br />

Fazit:<br />

Von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wird erwartet, den Aufenthalt <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong><br />

zu beenden. Weiterhin sollen <strong>die</strong> Aufenthaltsbedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Personenkreis<br />

durch vielfältige Maßnahmen so unattraktiv wie möglich gestaltet werden, damit ein<br />

Abwan<strong>der</strong>ungsdruck erzeugt wird. Für <strong>die</strong>ses Bemühen wird ein erheblicher Teil des<br />

Personals und <strong>der</strong> sonstigen Ressourcen <strong>der</strong> Behörde bebunden. Diese Erwartung<br />

kann von <strong>der</strong> Behörde nicht erfüllt werden, weil <strong>die</strong> zu Grunde liegenden Prämissen<br />

falsch sind. In zahlreichen Fällen können Abschiebungen aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen<br />

Gründen langfristig nicht durchgesetzt werden. Die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

wird damit in allen maßgeblichen Bereichen in seiner Aufgabenwahrnehmung blockiert.<br />

Der Bürgerservicegedanke bleibt auf <strong>der</strong> Strecke.<br />

Für <strong>die</strong> betroffenen Auslän<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e <strong>für</strong> Jugendliche und Heranwachsende,<br />

entstehen so Integrationshemmnisse, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft mehr schaden als nutzen.<br />

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