think: act issue 11 - Roland Berger
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Das globale Entscheider-Magazin von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants DOSSIER: Die Rückkehr der Diversifikation Ausgabe <strong>11</strong><br />
<strong>think</strong>:<strong>act</strong><br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Josef Ackermann<br />
fordert mehr<br />
Klarheit im<br />
Finanzsystem.<br />
Robert Reich<br />
hält das Konzept<br />
CSR für<br />
überschätzt.<br />
Das globale Entscheider-Magazin Ausgabe<strong>11</strong><br />
Die Diversifikation<br />
kehrt zurück<br />
Unternehmen gehen in die<br />
Breite– und tun oft gut daran<br />
Bierbrauer gründen Airlines. Ingenieure lernen von der Kunst.<br />
Pianistinnen züchten Wölfe. Russland wird zum Tourismusmekka.<br />
Samurai schreiben Managementbücher.
BÜRO PEKING, ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS S.R.L.<br />
Suites D&E, 20th Floor, Tower A, Gateway Plaza, 18 Xiaguangli, East Third Ring North Road, Peking 100027, China<br />
Telefon: +86 10 8440-0088, Fax: +86 10 8440-0050, E-Mail: office_beijing@rolandberger.com<br />
In dieser Ausgabe von <strong>think</strong>:<strong>act</strong> stellen wir Ihnen<br />
einige Treiber der wachsenden Komplexität vor, mit denen sich<br />
Unternehmen auseinandersetzen müssen – den Klimawandel,<br />
den globalen Standortwettbewerb oder den Aufstieg der sogenannten<br />
BRIC-Länder. Und wir demonstrieren Ihnen, wie sie<br />
sich in einen Vorteil für Ihr Unternehmen verwandeln lassen.<br />
Zum Beispiel beim Thema Diversifikation, das derzeit eine<br />
Renaissance erlebt. Immer mehr Unternehmen streben eine<br />
breite Aufstellung an, um sich neue Wachstumschancen zu<br />
erschließen. In unserem Dossier geben wir Ihnen einen Überblick<br />
über diesen „neuen alten Trend“.<br />
In Europa wird Globalisierung zumeist als Drohung verstanden:<br />
Werden wir zum Beispiel in Deutschland auf Dauer Arbeit halten<br />
können? Die Antwort lautet ja – wenn die Unternehmen<br />
einen Systemkopf ausbilden, in dem die hoch wertschaffenden<br />
Tätigkeiten gebündelt sind. Das belegt eine Studie, die wir mit<br />
dem Bundesverband der Deutschen Industrie durchgeführt<br />
haben und Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen. In seinem Exklusivinterview erklärt Josef<br />
Ackermann dazu, wie sein Unternehmen, die Deutsche Bank, den Systemkopfansatz nutzt.<br />
Wir machen Sie außerdem mit Trends bekannt, die die Welt bis zum Jahr 2030 beschäftigen<br />
werden – eine Analyse, die wir gemeinsam mit den Young Global Leaders des World Economic<br />
Forum erstellt haben –, wir zeigen Ihnen, welche Industrien mit dem Klimaschutz neues<br />
Wachstum generieren, und wir präsentieren Ihnen zukunftsträchtige Unternehmungen aus<br />
Russland, China und Lateinamerika.<br />
Viel Vergnügen<br />
Dr. Burkhard Schwenker<br />
CEO <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
first views f<br />
3
p inhalt<br />
<strong>think</strong>:<strong>act</strong> erscheint in fünf Sprachen (auf Englisch, Deutsch, Chinesisch, Russisch und Polnisch)<br />
Talente aus eigenem Anbau: Der Wettbewerb um brillanten<br />
Managementnachwuchs wird härter. Immer mehr Unternehmen entwickeln<br />
daher fähige Nachwuchsbosse inhouse. Seite 50<br />
Wird CSR überschätzt? Jedenfalls steht Robert Reich, Ex-<br />
Arbeitsminister der USA, dem Moralanspruch an Unternehmen skeptisch<br />
gegenüber. In einem Exklusivessay erläutert er, warum. Seite 14<br />
Neuland: Dennis Hopper malt und sammelt Kunst. Unternehmer Vijay<br />
Mallya holt die Formel 1 nach Indien. Model Petra Nemcova gründet<br />
Stiftungen. Die Diversifizierer ihres Lebens porträtieren wir ab Seite 28<br />
Touristenzentrum aus dem Nichts. Russlands Regierung will<br />
ihre Bürger zum Urlaub im eigenen Land bewegen. Dazu braucht es<br />
Infrastruktur – und einen Imagewandel. Eine Reportage. Seite 36<br />
food for thought<br />
6 Die andere Seite des Wandels<br />
Der Kampf gegen die Klimaveränderung<br />
eröffnet auch Chancen.<br />
8 Mehr Klarheit ins System!<br />
Wie dezentral sollen Banken sein?<br />
Ein Interview mit Deutsche-Bank-<br />
CEO Josef Ackermann.<br />
12 Wissen schafft Beschäftigung<br />
Starke Unternehmenszentralen<br />
nützen Industrieländern. Ein Essay.<br />
14 Firmen dürfen nicht „gut“ sein<br />
Überschätzt der CSR-Trend das<br />
Gewissen von Unternehmen?<br />
17 Jeder Technikfreak ein Künstler?<br />
Warum ohne Kunst keine<br />
Wissenschaft gedeiht<br />
18 Blick in die Glaskugel<br />
Die Welt im Jahr 2030<br />
20 Eingreiftruppe „Bessere Welt“<br />
Young Leaders in sozialer Mission<br />
inhalt f<br />
4 5<br />
�<br />
Dossier<br />
Die Rückkehr der Diversifikation<br />
Ab Seite 21<br />
dossier<br />
21 Weitsicht statt Tunnelblick<br />
Die Diversifikation ist wieder im<br />
Kommen. Doch wie expandieren<br />
Unternehmen heute richtig?<br />
27 Kampf dem imperialen Chef!<br />
Wissenschaftlerin Belén Villalonga<br />
erklärt, warum Mischkonzerne es<br />
an der Börse schwer haben.<br />
28 Erweitere dein Leben!<br />
Fußballer schauspielern,<br />
Pianistinnen züchten Wölfe – nicht<br />
nur Unternehmen diversifizieren.<br />
34 Nähender Luxushotelier<br />
Das Beispiel des Inders Krishnan<br />
Nair zeigt: Diversifikation hat viel<br />
mit Unternehmertum zu tun.<br />
industry-report<br />
36 „Großmacht des Tourismus“<br />
Russische Regionen wollen vom<br />
wachsenden Wohlstand ihrer<br />
Landsleute profitieren.<br />
40 Beton-Olympioniken<br />
Peking rüstet sich für Olympia –<br />
und ein Staatskonzern ist der<br />
Baumeister des Booms.<br />
42 Schwierige Mauersprünge<br />
Studien zeigen, warum sich chinesische<br />
Firmen im Westen schwer<br />
tun – und Europäer in China.<br />
44 Aus Gejagten werden Jäger<br />
In Süd- und Lateinamerika entstehen<br />
neue multinationale Konzerne<br />
– eine Machtverschiebung.<br />
48 Zukunftsmärkte<br />
Asphalt absorbiert Smog, Magneten<br />
treiben Bohrer an.<br />
business-culture<br />
50 Selbermachen lohnt sich<br />
Talentierte Spitzenkräfte sind<br />
knapp. Unternehmen bilden daher<br />
Manager intern aus.<br />
53 Kosakenritt im Kapitalismus<br />
Oleg Deripaska ist einer der<br />
wichtigsten Manager Russlands.<br />
Porträt eines Oligarchen.<br />
56 Work in Progress<br />
Wie erreicht man Eliten? Und<br />
warum kommt die Szenariotechnik<br />
als Managementtool zurück?<br />
58 Die Lehren des Samurai<br />
Mit seinem „Buch der fünf Ringe“<br />
schrieb Miyamoto Musashi eine<br />
Managementbibel – vor 500 Jahren.<br />
regulars<br />
3 First View<br />
62 Service | Impressum<br />
Mit diesem Symbol versehene<br />
Beiträge können Sie auf unserer<br />
Audio-CD (Seite 63) auch hören.
p food for thought food for thought f<br />
ZAHLENWELT<br />
Gewinner des Wandels<br />
Dass der Klimawandel drastische ökologische und gesellschaftliche Schäden verursacht, ist bekannt.<br />
Doch wie jede grundlegende Veränderung eröffnet auch die Erwärmung des Weltklimas Chancen – für<br />
Unternehmen, Standorte oder Handelsrouten. Eine Übersicht der Profiteure liefert diese Doppelseite.<br />
14%<br />
der weltweiten Erdöl- und Gasvorkommen<br />
werden unter der Arktis vermutet.<br />
Mit der Abschmelzung des „ewigen<br />
Eises“ könnten diese für die Erschließung zur Verfügung<br />
stehen. Diese Schätzung beruht auf Untersuchungen des<br />
U.S. Geological Survey. Wer allerdings in welchem Maße<br />
von den arktischen Schätzen profitieren wird, ist noch un–<br />
sicher. Um die genauen Besitzrechte streiten sich die Anrainer<br />
Norwegen, Dänemark, Russland, Kanada und die USA.<br />
Quelle: U.S. Geological Survey, Anchorage Daily News<br />
2 691200<br />
Flaschen Weißwein wurden in England im Jahr<br />
2006 produziert. Dazu kommen noch einmal<br />
677 733 Flaschen Rotwein. Experten rechnen damit,<br />
dass sich die Produktionsmenge noch<br />
weiter erhöhen wird, sollten sich durch die Klimaerwärmung<br />
die Bedingungen für den<br />
Weinanbau verbessern. Auch die Qualität<br />
der englischen Weine ist auf dem Vormarsch:<br />
Bei der International Wine<br />
Challenge gewannen englische Hersteller<br />
2007 21 Medaillen. 2006 waren es<br />
16, im Jahr davor nur zehn Medaillen.<br />
Quelle: English Wine Producers<br />
990 Milliarden<br />
Euro beträgt das Weltmarktvolumen, das die Leitmärkte im Bereich<br />
Umwelttechnologien bereits im Jahr 2005 erreicht haben<br />
(siehe Abbildung unten). Laut EU-Kommission ist der Markt für<br />
Umwelttechnologien zwischen 1999 und 2004 in Europa um jährlich<br />
sieben Prozent gewachsen. Allein im Sektor nachwachsende<br />
Rohstoffe könnten bis 2020 in Europa mehr als zwei Millionen<br />
Arbeitsplätze entstehen.<br />
Weltmarktvolumen für Umwelttechnologien<br />
(Mrd. Euro)<br />
Energieeffizienz<br />
Nachhaltige<br />
Wasserwirtschaft<br />
Nachhaltige<br />
Mobilität<br />
Energieerzeugung<br />
Rohstoff- und<br />
Materialeffizienz<br />
Kreislaufwirtschaft<br />
100<br />
40<br />
30<br />
190<br />
180<br />
450<br />
Quelle: <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Vergangenes und erwartetes Wachstum<br />
deutscher Umweltfirmen<br />
Umweltfreundliche<br />
Energieerz.<br />
Energieeffizienz<br />
Rohstoff- und<br />
Materialeffizienz<br />
Kreislaufwirtschaft<br />
Nachhaltige Wasserwirtschaft<br />
Nachhaltige<br />
Mobilität<br />
30 %<br />
27 %<br />
21 %<br />
22 %<br />
<strong>11</strong> %<br />
17 %<br />
13 %<br />
<strong>11</strong> %<br />
12 %<br />
15 %<br />
29 %<br />
20 %<br />
2004–2006 2007–2009<br />
Quelle: Marktstudien, Experteninterviews, <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Hamburg<br />
Sueskanal<br />
17000<br />
Kilometer beträgt die Länge des Seeweges von Shanghai nach Hamburg über die Nordostpassage. Die bisherige<br />
Route über den Sueskanal ist 20 000 Kilometer lang. Noch ist dieser Weg nur selten nutzbar, doch Klimaforscher<br />
gehen davon aus, dass die Strecke über den Nordpol infolge der globalen Erderwärmung bald ungehindert<br />
befahrbar sein wird. Ursache ist ein Rückzug der Eisfläche im Nordpolargebiet. Schon heute ist die Nordostpassage<br />
immer länger befahrbar. Fortschritte im Bau arktistauglicher Tanker kommen hinzu. Der Seeweg<br />
zwischen Europa und Asien würde sich damit um 3,5 Tage verkürzen – vorausgesetzt, die Schiffe können mit<br />
Höchstgeschwindigkeit fahren und es gibt keine Durchfahrtsquoten zum Schutz des sensiblen Ökosystems.<br />
Unternehmen weltweit hat die Citigroup als Hauptgewinner des<br />
Klimawandels identifiziert. In ihrem Report berücksichtigten die<br />
Analysten physische Implikationen der klimatischen Veränderungen,<br />
also wärmere Winter oder eine steigende Zahl der Wirbelstürme,<br />
regulatorische Implikationen, also beispielsweise Gesetze,<br />
die die Erschließung erneuerbarer Energien begünstigen, und<br />
Verhaltensfolgen, etwa selbst auferlegte Klimastrategien der<br />
Unternehmen. Unter den Gewinnern, den „Climate Consequences<br />
Companies“, findet sich neben Energieriesen wie RWE oder Gazprom<br />
und Finanzunternehmen wie Swiss Reinsurances beispielsweise<br />
auch der indische Zucker- und Ethanolproduzent Bajaj<br />
Hindusthan.<br />
Quelle: Citigroup; Grafik: Quellen F<strong>act</strong>Set und Citigroup Investment Research<br />
Quelle: Verband Deutscher Reeder<br />
Klimagewinner wachsen stärker<br />
als der Gesamtmarkt<br />
Kursanstieg (links), verglichen mit Morgan<br />
Stanley Country Index (MSCI AC)<br />
18<br />
14<br />
Nordostpassage<br />
10<br />
Klimagewinner<br />
9<br />
Shanghai<br />
25<br />
2004 2005 2006<br />
MSCI AC<br />
19<br />
7
p food for thought<br />
Mehr Klarheit ins System!<br />
Outsourcing hin oder her – Kernfunktionen gehören in die Zentrale, so Deutsche-Bank-Chef<br />
Josef Ackermann. Auch Banken stärkt die richtige Mischung aus zentralen und dezentralen<br />
Elementen. Ackermann erläutert auch, wie die Finanzwelt auf die aktuelle Krise reagieren muss.<br />
THINK:ACT Herr Dr. Ackermann, Sie nehmen<br />
demnächst an der BDI-Konferenz zum<br />
Thema Systemkopf Deutschland teil. Was<br />
können deutsche Unternehmen von diesem<br />
Ansatz lernen?<br />
JOSEF ACKERMANN Unternehmen müssen sich<br />
zunächst über ihre Stärken bewusst werden<br />
und ihre Wettbewerbsvorteile identifizieren. Im<br />
zweiten Schritt muss dann die Frage geklärt<br />
werden, welche Unternehmensfunktionen an<br />
welchem Standort am besten aufgehoben sind.<br />
Das ist nicht leicht. Unternehmen müssen bereit<br />
sein, sich von althergebrachten Verhaltensweisen<br />
und Traditionen zu lösen, um auf Basis<br />
von klaren Kriterien entscheiden zu können.<br />
Dabei hilft der Ansatz.<br />
Welche Standortfaktoren sind in Ihrer Branche<br />
für einen Systemkopf die wichtigsten?<br />
Die klassischen Standortfaktoren haben, gerade<br />
für eine Konzernzentrale, nichts von ihrer<br />
Bedeutung eingebüßt: politische Stabilität,<br />
Rechtssicherheit, günstige steuerliche Rahmenbedingungen<br />
– und dazu wirtschaftliche und<br />
gesellschaftliche Offenheit. Speziell für die<br />
Finanzbranche ist der Schlüssel zum Erfolg<br />
zudem qualifiziertes Personal: Die Verfügbarkeit<br />
der besten Köpfe ist ein entscheidender<br />
Standortfaktor. Dazu kommen im Idealfall eine<br />
kompetente, dialogbereite Finanzaufsicht,<br />
eine umfassende und zuverlässige Infrastruktur<br />
und ein breites Angebot ergänzender Dienstleister<br />
wie Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte,<br />
Berater und so weiter.<br />
Gibt es in Ihrer Branche eine Tendenz zu<br />
mehr Zentralisierung?<br />
Vieles erfolgt bei den Banken schon heute zentral<br />
– das Risikomanagement etwa unterliegt<br />
weltweit einheitlichen Standards. Darüber<br />
hinaus werden an den internationalen Kapitalmärkten<br />
viele Produkte auf zentralen Plattformen<br />
gehandelt. Prozesse zu zentralisieren<br />
rechnet sich in vielen Bereichen, aber nicht in<br />
allen: Eine Bank muss immer auch da physisch<br />
präsent sein, wo ihr Geschäft ist, bei den Kunden.<br />
„All business is local“ – daran wird sich<br />
im Bankengeschäft auch in Zukunft nichts ändern,<br />
Beratung bleibt dezentral.<br />
Müssten die neuen Technologien nicht eigentlich<br />
eher zu mehr Dezentralität führen?<br />
Im Internetzeitalter können Sie Prozesse zentral<br />
steuern, ohne dass alle daran Beteiligten<br />
physisch am selben Ort versammelt sein müssen.<br />
Zentrale Prozesssteuerung ist nicht mehr<br />
gleichbedeutend mit geografischer Zentralität;<br />
Menschen können zum Beispiel auch per<br />
Telefonkonferenz zusammenkommen.<br />
DIE DEUTSCHE BANK ist das größte<br />
deutsche Finanzhaus und eine der drei<br />
weltweit größten Investmentbanken. Im<br />
ersten Halbjahr 2007 steigerte das Unternehmen<br />
seinen Gewinn um 30 Prozent<br />
auf 3,9 Milliarden Euro. Die Eigenkapitalrendite<br />
vor Steuern betrug 38 Prozent, einen<br />
Prozentpunkt mehr als im Vorjahreszeitraum.<br />
Zugleich übertraf das Geldhaus damit<br />
die interne Zielmarke von 25 Prozent. Rund<br />
78 000 Mitarbeiter sind weltweit für die<br />
Deutsche Bank tätig. Seit 2005 hat das Unternehmen<br />
seinen Mitarbeiterstamm damit<br />
um 23 Prozent vergrößert.<br />
food for thought f<br />
Erwarten Sie, dass sich künftig wenige<br />
globale Finanzzentren als Gewinner der<br />
Veränderungen entpuppen, oder werden<br />
verschiedene kleinere Finanzzentren<br />
gestärkt, die sich jeweils auf ein Produktfeld<br />
spezialisieren?<br />
Wir werden beides sehen. Konzentration auf<br />
die klassischen Finanzzentren, die junge Talente<br />
anziehen. Komplementär dazu werden aber<br />
neue Finanzzentren entstehen, die sich mit<br />
neuen Produkten etablieren oder in Regionen<br />
angesiedelt sind, die in der Weltwirtschaft an<br />
Gewicht gewinnen.<br />
Welche Standorte werden in den nächsten<br />
zehn Jahren aufsteigen?<br />
Ich denke, ein oder zwei Zentren im asiatischen<br />
Raum werden zu London und New York aufschließen<br />
und vermutlich auch eines in der<br />
Golfregion.<br />
Welche Rolle spielt für Sie die Kultur an<br />
einem Standort, von der manche Experten<br />
sagen, dass sie entscheidend für den Erfolg<br />
einer Organisation sei? Oder geht es in der<br />
Finanzwelt nur um harte Fakten wie Steuern<br />
oder Regulierung?<br />
Unternehmenskultur wird als Wettbewerbsfaktor<br />
immer wichtiger. Global operierende Unternehmen<br />
müssen weltweit die besten Köpfe für<br />
sich gewinnen. Diese Mitarbeiter sind mobil<br />
und nicht auf einen Standort fixiert. Entscheidend<br />
ist deshalb eine Unternehmenskultur, die<br />
alle Mitarbeiter verbindet, ihnen das Gefühl<br />
gibt, ein Team zu sein, für eine gemeinsame<br />
Vision anzutreten. Die Deutsche Bank ist stolz<br />
darauf, eine solche One Bank Culture zu<br />
9
p food for thought<br />
haben, aber keine One Culture Bank zu sein.<br />
Wir haben gemeinsame Werte wie Kundenorientierung,<br />
Teamarbeit, Innovation, Leistung<br />
und Vertrauen, die für alle Mitarbeiter verbindlich<br />
sind – unabhängig davon, aus welchem<br />
Kulturkreis sie kommen. Zugleich pflegen<br />
wir aber eine Kultur der Vielfalt – wir beschäftigen<br />
in 75 Ländern Mitarbeiter aus mehr<br />
als 130 Nationen, betreuen Kunden aller Kulturkreise.<br />
Diese Vielfalt ist ein entscheidender<br />
Wettbewerbsvorteil für die Deutsche Bank.<br />
Und wie betreibt die Deutsche Bank das<br />
bewusste Management unterschiedlicher<br />
Kulturen, das oft mit Diversity-Management<br />
umschrieben wird? Wie machen Sie daraus<br />
einen Erfolgsfaktor?<br />
Kulturelle Vielfalt heißt: unterschiedliche<br />
Erfahrungen, unterschiedliche Anregungen aus<br />
Literatur und Kunst, die Mitarbeiter aus ihren<br />
Heimatländern mitbringen, wenn sie an anderen<br />
Standorten arbeiten; sie haben verschiedene<br />
Verhaltensweisen und Strategien kennengelernt,<br />
die in ihrer Kultur zum Erfolg führen.<br />
Das ist die Stärke kulturell gemischter Teams:<br />
Nicht jeder Weg führt in jeder Situation zum<br />
Erfolg, aber je mehr unterschiedliche Wege ein<br />
Team zur Auswahl hat, desto besser.<br />
Was sind aus der aktuellen Bankenkrise die<br />
wichtigsten „Lessons learned“?<br />
Zunächst einmal: Wir dürfen nicht das Kind<br />
mit dem Bade ausschütten, wie manche jetzt<br />
fordern. Eine Rückkehr zum traditionellen<br />
Buy-and-hold-Modell ist keine Option. Denn<br />
das hieße, Banken behalten alle ihre Kreditrisiken<br />
in der eigenen Bilanz – das hat sie in der<br />
Vergangenheit in eine passive Rolle gedrängt.<br />
Wenn sie zu viele Risiken angesammelt hatten,<br />
konnten sie kein Neugeschäft mehr machen.<br />
Das zukunftsweisende Modell des Kreditgeschäfts<br />
folgt dem Prinzip „Originate and distribute“<br />
und steht für die aktive Steuerung des<br />
Kreditrisikos einer Bank. Risiken werden dabei<br />
breiter gestreut. Das nützt beiden Seiten – den<br />
Investoren, für die es neue, attraktive Asset-<br />
J0SEF ACKERMANN Seit 2002 ist<br />
der Schweizer Josef Ackermann Chef der<br />
Deutschen Bank. Im Jahr 1996 wechselte er<br />
von der Credit Suisse zu dem Frankfurter<br />
Bankkonzern. Ackermann legt regelmäßig<br />
überzeugende Profitzahlen vor, auch wenn<br />
die Deutsche Bank gemessen am Börsenwert<br />
weiterhin nicht zu den größten Bankhäusern<br />
der Welt zählt. Zu Ackermanns<br />
Erfolgen gehört auch die Integration der<br />
1999 übernommenen US-Investment-Bank<br />
„Bankers Trust“. Nach den Rücktritten der<br />
Chefs von Citigroup und Merrill Lynch wurde<br />
spekuliert, Ackermann könnte dort als<br />
Nachfolger den Chefsessel übernehmen.<br />
klassen und Investitionsmöglichkeiten gibt,<br />
aber vor allem auch den Kunden: Sie bekommen<br />
einfacher Kredite, wenn der Kreditgeber<br />
das Risiko nicht allein trägt, sondern mit einem<br />
aktiven Risikomanagement Klumpenrisiken<br />
oder Bilanzengpässe vermeiden kann. Wir<br />
haben gelernt, dass aktives Risikomanagement<br />
wichtiger ist denn je. Die zweite Lektion:<br />
Wir brauchen dringend mehr Klarheit über<br />
die tatsächliche Risikoverteilung im System.<br />
Dazu sind unter anderem auch einheitliche<br />
Bewertungsmethoden für diese Risiken nötig.<br />
Damit die internationale Finanzgemeinde<br />
mit einer Stimme spricht, wird das Institute of<br />
International Finance (IIF), dessen Vorsitzender<br />
ich bin, Wohlverhaltensregeln für das<br />
Risikomanagement in der Branche erarbeiten.<br />
Transparenz ist der entscheidende Faktor,<br />
um rasch wieder Vertrauen auf den internationalen<br />
Kreditmärkten aufzubauen.<br />
Steht mit der Krise auch das Modell des<br />
breit aufgestellten Finanzkonzerns auf dem<br />
Prüfstand?<br />
Auf keinen Fall! Die Turbulenzen der vergangenen<br />
Monate haben besonders denjenigen<br />
Banken geschadet, die einseitig engagiert<br />
waren. Wenn Risiken umsichtig kontrolliert<br />
werden und eine Bank ihre Geschäftsfelder<br />
strategisch gut koordiniert und aufeinander<br />
abstimmt, bietet das Konzept einer sowohl im<br />
Investmentbanking als auch im Privatkundengeschäft<br />
tätigen Bank erhebliche Synergiepotenziale:<br />
Innovationen aus dem Investmentbanking<br />
gelangen schnell und direkt in die<br />
Portfolios der Anleger, Firmenkunden profitieren<br />
unmittelbar von neuen Finanzierungsinstrumenten,<br />
um nur zwei Beispiele zu nennen.<br />
Zeigt die Krise auch, dass der Finanzbereich<br />
die eigentliche Achillesferse der globalen<br />
Volkswirtschaft ist? Was ist nötig, um (wieder)<br />
zu mehr makroökonomischer Stabilität<br />
zu gelangen?<br />
Das Bankensystem ist nicht die Achillesferse<br />
der globalen Volkswirtschaft, sie ist ihr Herz!<br />
food for thought f<br />
Ohne Banken fließt kein Geld, sie pumpen es<br />
um den Globus, sie bringen Investoren, die<br />
Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital suchen,<br />
und Unternehmen, die für ihre Investitionen<br />
neue Mittel benötigen, zusammen. Darüber hinaus<br />
sorgen sie für das Management der damit<br />
verbundenen Risiken und stellen eine reibungslose<br />
Abwicklung der internationalen Zahlungsströme<br />
sicher. Ohne innovative Finanzprodukte<br />
könnten Firmenkunden zudem die Risiken sehr<br />
viel schwerer beherrschen, die aus der Globalisierung<br />
ihrer Geschäfte erwachsen, internationale<br />
Großprojekte wären kaum machbar. Die<br />
Globalisierung führt dabei zu mehr und nicht<br />
zu weniger ökonomischer Stabilität: Gerade<br />
in den vergangenen Monaten hat das robuste<br />
Wachstum in den Schwellenländern enorm<br />
stabilisierend gewirkt.<br />
Welche Entwicklungen werden sich insgesamt<br />
in der Bankenlandschaft der nächsten<br />
10, 20 Jahre vollziehen? Welche Pläne und<br />
Visionen haben Sie für die Deutsche Bank?<br />
Aus meiner Sicht gibt es drei Megatrends, die<br />
die vor uns liegenden Jahre bestimmen werden:<br />
erstens, die Globalisierung setzt sich mit unverminderter<br />
Geschwindigkeit fort; zweitens,<br />
die Kapitalmärkte werden weiter wachsen –<br />
und damit der Bedarf für anspruchsvolle<br />
Finanzintermediation; drittens, der steigende<br />
Wohlstand in den entwickelten und zunehmend<br />
auch in den aufstrebenden Schwellenländern<br />
sorgt für eine immense Nachfrage nach<br />
Anlageprodukten: Millionen und Abermillionen<br />
Kunden wollen Vermögen bilden, die Ausbildung<br />
ihrer Kinder finanzieren, für das Alter<br />
vorsorgen. Unsere Strategie ist daher klar –<br />
wir werden unsere Kerngeschäftsfelder konsequent<br />
ausbauen, die Internationalisierung der<br />
Bank weiter vorantreiben und insbesondere<br />
auch in Wachstumsmärkte investieren. Als<br />
eine der weltweit führenden Investmentbanken<br />
mit einem starken Privatkunden- und Vermögensverwaltungsgeschäft<br />
sind wir optimal<br />
aufgestellt, um von den Megatrends der<br />
Zukunft zu profitieren.<br />
10 <strong>11</strong>
p food for thought<br />
12<br />
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auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />
Wissen schafft<br />
Beschäftigung<br />
Die Globalisierung als Jobkiller in Europa?<br />
Nein, sagt Burkhard Schwenker, CEO von <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy Consultants. Um erfolgreich zu<br />
sein, müssen Unternehmen ihren Systemkopf<br />
strategisch richtig konzipieren. Dieses Denken<br />
sichert auch in Hochlohnländern Jobs.<br />
: Deutschland fürchtet die Globalisierung.<br />
2006 ging der German Marshall Fund diesen<br />
Sorgen mit einer Studie auf den Grund:<br />
83 Prozent der Befragten in Deutschland<br />
befürworten den freien Welthandel, gleichzeitig<br />
treibt 51 Prozent von ihnen die Angst<br />
um, durch ebendiese Globalisierung die<br />
Arbeit zu verlieren. Und das ist nicht unbegründet.<br />
Während allein in Osteuropa die<br />
Zahl der Beschäftigten deutscher Firmentöchter<br />
zwischen 1990 und 2004 von 31000<br />
auf 757 000 stieg, gingen in Deutschland<br />
zeitgleich 120 000 Jobs durch die Verlagerung<br />
verloren.<br />
Realität ist aber auch: Wer bei der Globalisierung<br />
nicht mithält, fällt zurück. Das<br />
weltweite BIP ist seit 1990 jährlich um drei<br />
Prozent gewachsen. Zeitgleich stiegen ausländische<br />
Direktinvestitionen pro Jahr<br />
um elf Prozent. Daraus folgt: Wer überdurchschnittlich<br />
wachsen will, muss internationalisieren.<br />
Denn Internationalisierung zahlt sich aus –<br />
zum Beispiel für Deutschlands große, international<br />
tätige Unternehmen: Sie sind in<br />
Umsatz und Beschäftigung deutlich stärker<br />
gewachsen als der wesentlich geringer<br />
internationalisierte Mittelstand. Auch bei<br />
der Profitabilität liegen globalisierte<br />
Unternehmen vorn: 60 Prozent erzielten<br />
zwischen 2003 und 2006 eine Rendite von<br />
über fünf Prozent. Bei den nicht globalisierten<br />
Firmen gelang dies nur jedem zweiten<br />
Unternehmen.<br />
WAS KANN DEUTSCHLAND<br />
KÜNFTIG ÖKONOMISCH<br />
SINNVOLL VERRICHTEN?<br />
Globalisierung, wachsende Märkte und Faktorkostenvorteile<br />
auf der einen, Druck auf<br />
die heimische Beschäftigung auf der anderen<br />
Seite – gibt es überhaupt noch eine<br />
Chance für die Arbeit am Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland? Unser Ansatz ist es, die<br />
Frage umzukehren: Welche Arbeit ist in<br />
Deutschland in Zukunft noch ökonomisch<br />
sinnvoll zu verrichten? Welche Arbeitsformen<br />
müssen wir am Standort halten und<br />
entwickeln, um insgesamt mehr Beschäftigung<br />
zu erreichen? Diese Fragen haben wir<br />
in der Studie Systemkopf Deutschland Plus<br />
gemeinsam mit dem Bundesverband der<br />
Deutschen Industrie (BDI) untersucht. Unsere<br />
Hypothese dabei: Wissen ist weniger<br />
mobil, als es das Klischee will. Wettbewerbsrelevante<br />
Schlüsselfunktionen, die viel<br />
Know-how benötigen, können daher weiterhin<br />
erfolgreich in Deutschland durchgeführt<br />
werden. Zu diesen Systemkopffunktionen<br />
zählen zum Beispiel Forschung und Entwicklung,<br />
Fertigungsplanung und -steuerung,<br />
Vertriebssteuerung, Marketing und<br />
Design, aber auch hochwertige Produktion.<br />
Unsere Hypothese stützt sich auf harte Zahlen.<br />
Denn in allen Bereichen, in denen sehr<br />
viel Wissen gefragt ist, sind Deutschlands<br />
Unternehmen Spitze. In den Ranglisten des<br />
World Economic Forum zum Beispiel steht<br />
Deutschland in den Kategorien „Innovationskapazität“,<br />
„Niveau der Produktionsprozesse“,<br />
„Qualität lokaler Zulieferer“ und<br />
„Einzigartigkeit des Wettbewerbsvorteils“<br />
vor 125 Ländern auf Platz eins.<br />
Unsere Studie hat diese Dominanz des Wissens<br />
bestätigt: Die von uns befragten Unter-<br />
nehmen setzen auf die Systemkopffunktionen<br />
in der Heimat und bauen dabei auf ihre<br />
Stärken: Qualität, Innovation und Individualität.<br />
Die Studie weist zudem einen Ausweg<br />
aus dem Beschäftigungsverlust: Wissensintensive<br />
Systemkopffunktionen sind sehr viel<br />
weniger von Verlagerung betroffen als<br />
andere Unternehmensbereiche – aktuell<br />
und auch in der Zukunft.<br />
DER SYSTEMKOPF VON<br />
THYSSENKRUPP MARINE SYSTEMS<br />
UMFASST F&E UND PRODUKTION<br />
Die Besten zeigen, wie es geht. Sie übertreffen<br />
den Durchschnitt durch branchenspezifisch<br />
optimierte Systemkopfstrategien. Beispiel:<br />
ThyssenKrupp Marine Systems. Das<br />
Unternehmen produziert äußerst erfolgreich<br />
Marineschiffe, Megajachten und Containerschiffe<br />
in Deutschland und verknüpft<br />
dabei bewusst seine Systemkopffunktionen<br />
Forschung und Entwicklung (F&E) und Produktion<br />
am heimischen Standort. Zum<br />
einen lernt die Entwicklung enorm aus den<br />
Erfahrungen der komplexen Produktion.<br />
Zum anderen profitiert F&E von der Zusammenarbeit<br />
mit hochrangigen Forschungseinrichtungen<br />
an der deutschen Küste.<br />
Nächstes Beispiel: Bosch Kraftfahrzeugtechnik.<br />
Sowohl in der Entwicklung als auch in<br />
der Produktion sitzen die Systemköpfe in<br />
Deutschland. Während die Entwicklung<br />
einzelner Produkte durchaus auch im Ausland<br />
erfolgt, ist die Plattformentwicklung<br />
nahezu ausschließlich in Deutschland angesiedelt.<br />
Und in der Produktion nehmen die<br />
in Deutschland sitzenden Leitwerke, die sich<br />
durch herausragendes Produktions-Know-<br />
how auszeichnen, die Rolle von Paten für<br />
Werke in Niedriglohnländern wahr. Mit großem<br />
Erfolg setzen auch die anderen von uns<br />
untersuchten Unternehmen, zum Beispiel<br />
Henkel, adidas, Benteler Automobiltechnik<br />
oder Loewe, auf ihre spezifischen Stärken in<br />
heimischen Systemkopffunktionen.<br />
Die Erkenntnisse der Studie geben die Richtung<br />
vor, wie sich deutsche Unternehmen<br />
international erfolgreich aufstellen und<br />
gleichzeitig Beschäftigung in der Heimat<br />
erhalten und entwickeln können. Doch um<br />
dies zu erreichen, muss jetzt gehandelt<br />
werden. Dringend! Unternehmen und Politik<br />
müssen in einer konzertierten Aktion<br />
zusammenwirken, um gemeinsam an<br />
der Spitze der Globalisierungsbewegung<br />
zu bleiben.<br />
Unternehmen müssen ihre Systemkopffunktionen<br />
identifizieren und mit optimalen<br />
Mitteln ausstatten – personell und<br />
finanziell. Zur Identifikation dieser Funktionen<br />
müssen Unternehmen ihre Wertschöpfungskette<br />
tiefgehend analysieren. Für<br />
jedes Unternehmen sind die entscheidenden<br />
Bereiche andere: Prozesssteuerung,<br />
Logistik, Produktion, Design oder Marketing,<br />
für andere Unternehmen ist F&E eine<br />
zentrale Systemkopffunktion. Bei dieser<br />
Identifikation sind die CEOs gefragt:<br />
Welche Funktionen begründen Wettbewerbsvorteile,<br />
weil sie Mehrwert schaffen<br />
und einzigartig sind, also von Wettbewerbern<br />
nicht ohne Weiteres kopiert oder<br />
ersetzt werden können? Es ist von entscheidender<br />
Bedeutung, permanent mit<br />
höchster Priorität in diese Systemkopffunktionen<br />
zu investieren, um ständig<br />
STUDIE SYSTEMKOPF DEUTSCHLAND PLUS<br />
Die Untersuchung geht der Frage nach, welche Teile der Wertschöpfungskette auch in Zukunft<br />
Potenzial in Deutschland haben, und liefert so Ansätze, wie auch Hochlohnländer von der Globalisierung<br />
profitieren. <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants führte sie 2007 gemeinsam mit dem<br />
BDI, der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und dem Institut der deutschen Wirtschaft durch.<br />
Die Untersuchung umfasst zwei Befragungen in mehreren Tausend deutschen Unternehmen sowie<br />
13 Fallstudien, die auf Interviews mit bekannten deutschen CEOs basieren.<br />
Kontakt: Dr. Christian Krys, christian_krys@de.rolandberger.com<br />
food for thought f<br />
innovative Best-of-Class-Produkte und -Prozesse<br />
zu gestalten.<br />
Auf der Absatzseite muss es lauten: klare<br />
Fokussierung auf Innovationsführerschaft<br />
und Alleinstellungsmerkmale. Effizienzsteigerung<br />
durch Auslagerung darf auf keinen<br />
Fall auf Kosten der Produktqualität gehen.<br />
Unternehmen müssen ihre Prozesse und<br />
Organisation optimieren, damit ihre<br />
Systemkopffunktionen zu bestmöglicher<br />
Entfaltung kommen.<br />
Der Leitsatz lautet: Zentralisierung der<br />
Systemkopffunktionen, Dezentralisierung<br />
aller marktnahen Bereiche. Vonseiten des<br />
Staats müssen die Rahmenbedingungen für<br />
den Erfolg deutscher Systemköpfe geschaffen<br />
werden.<br />
Daher der Aufruf, unsere Unternehmen bei<br />
ihrer Systemkopfstrategie zu unterstützen:<br />
Steigert die Akzeptanz für Technik – denn<br />
Ingenieure sind Deutschlands Zukunft!<br />
Baut Bürokratie ab! Investiert in die<br />
Leistungsfähigkeit der Infrastruktur! Unterstützt<br />
Industrie und Institute bei Forschungsvorhaben<br />
substanziell – und nicht<br />
mit der Gießkanne! Schafft Planungssicherheit<br />
für Unternehmen bei Gesetzesvorhaben!<br />
Eine Forderung, die insbesondere im<br />
Bereich der Energiemärkte von führenden<br />
europäischen CEOs im Rahmen unseres<br />
Best of European Business CEO Survey 2007<br />
ausdrücklich bestätigt wird. Und – vielleicht<br />
die wichtigste Forderung: Investiert nachhaltig<br />
in die beste Bildung!<br />
DAMIT DER SYSTEMKOPFANSATZ<br />
FUNKTIONIERT, MÜSSEN UNTERNEHMEN<br />
UND POLITIK AN EINEM STRANG ZIEHEN<br />
Die Bedeutung der Systemkopfstrategie hört<br />
nicht an Deutschlands Grenzen auf: Sie<br />
kann ein Erfolgsmodell für alle Staaten sein,<br />
die über viel Know-how verfügen. Vorausgesetzt,<br />
Unternehmen und Politik arbeiten<br />
Hand in Hand mit einem Ziel: den Wirtschaftsstandort<br />
an der Spitze und die<br />
zentralen Wissenskompetenzen im Land<br />
zu halten, um nachhaltig Beschäftigung<br />
zu sichern.<br />
13
p food for thought food for thought f<br />
14<br />
Unternehmen dürfen nicht „gut“ sein<br />
Corporate Social Responsibility ist für viele Unternehmen inzwischen Teil ihrer Strategie. Zu Recht? In<br />
seinem neuen Buch „Supercapitalism“ und exklusiv in <strong>think</strong>:<strong>act</strong> schreibt der frühere US-amerikanische<br />
Arbeitsminister Robert Reich, dass Unternehmen Profit machen sollen – und nicht „gut“ sein können!<br />
Diesen Beitrag können Sie auch<br />
auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />
: In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts<br />
sah alles nach einem beeindruckenden<br />
Siegeszug des Kapitalismus aus.<br />
Seine gesellschaftlichen Folgewirkungen<br />
jedoch – schmutzige Städte, schlechte Löhne<br />
und lange Arbeitszeiten für die Arbeiter in<br />
der Fabrik, Kinderarbeit, zunehmende<br />
Ungleichheiten – machten vielen Menschen<br />
zu schaffen. Sozialreformer weisen schon<br />
lange auf missbräuchliche Unternehmenspraktiken<br />
hin – immer mit dem Ziel, politische<br />
Unterstützung für neue Gesetzgebungen<br />
oder Regelungen zu gewinnen, die diesen<br />
Praktiken einen Riegel vorschieben<br />
würde. Im vergangenen Jahrzehnt haben<br />
viele Unternehmen von sich behauptet,<br />
„gesellschaftlich verantwortlich“ geworden<br />
zu sein. Das Thema der Corporate Social<br />
Responsibility ist in den heutigen Vorstandsetagen<br />
längst ein etablierter Begriff.<br />
Es wird gefordert, dass ein Unternehmen<br />
nicht nur die Interessen seiner Aktionäre<br />
und Kunden, sondern auch der Gesellschaft<br />
als Ganzes vertritt. Ich bin da sehr skeptisch.<br />
NICHT UNTERNEHMEN, SONDERN DIE<br />
DEMOKRATIE MUSS ANTWORTEN AUF<br />
FRAGEN DER GESELLSCHAFT GEBEN<br />
Ohne ein konkretes, gesetzlich verankertes<br />
gesellschaftliches Ziel kann dieser Begriff für<br />
fast alles stehen. Sollte ein gesellschaftlich<br />
verantwortlicher Investmentfonds Unternehmen<br />
herausfiltern, die auf dem Feld der<br />
Atomenergie tätig sind? Umweltaktivisten,<br />
die die Atomenergie für die beste Alternative<br />
zu fossilen Brennstoffen halten, würden<br />
dies ablehnen. Sollte der Verbraucher lieber<br />
Eier von Landwirtschaftsbetrieben mit frei<br />
laufenden Hühnern kaufen, oder sollten wir<br />
Hühner im Käfig lassen, da sie so nicht mit<br />
an Vogelgrippe erkrankten Zugvögeln in<br />
Kontakt kommen können? Sollten gesellschaftsbewusste<br />
Investoren und Kunden Firmen<br />
meiden, die Alkohol herstellen, oder<br />
Medienfirmen, die sexistische oder gewalttätige<br />
Inhalte produzieren?<br />
Manager von Unternehmen sind in keiner<br />
Weise in der Lage, diese Fragen zu beantworten.<br />
Auch ist das Unterdrucksetzen von<br />
Firmen, rechtschaffener zu agieren, für Entscheidungen<br />
über komplexe gesellschaftliche<br />
Probleme ein inakzeptabler Mechanismus.<br />
Der Versuch, Unternehmen gesellschaftlich<br />
verantwortungsbewusster zu<br />
machen, ist an sich zwar ein würdiges Ziel,<br />
ROBERT BERNARD REICH war von<br />
1993 bis 1997 US-Arbeitsminister unter Präsident<br />
Bill Clinton. Während seiner Amtszeit<br />
unterstützte er insbesondere Gesetzgebungen<br />
zur Armutsbekämpfung und Arbeitsplatzregelung.<br />
Sein größter Erfolg war die Verabschiedung<br />
des Family and Medical Leave<br />
Act (FMLA), der Arbeitnehmern eine vorübergehende<br />
Auszeit ohne Lohnfortzahlung aufgrund<br />
von Krankheit oder zur Betreuung von<br />
Familienmitgliedern ermöglicht. Der Volkswirt<br />
ist Berater für Sicherheits- und Friedensfragen<br />
des renommierten Wirtschaftsmagazins<br />
Economist. Reich lehrt derzeit Public<br />
Policy an der Universität von Kalifornien in<br />
Berkeley und befasst sich dort mit Industriepolitik,<br />
Arbeitsmarktfragen, Makroökonomie<br />
und der Sozialgesetzgebung. Er ist verheiratet<br />
und hat zwei Söhne.<br />
doch sollte man es eher dadurch verfolgen,<br />
dass man den demokratischen Prozess verbessert.<br />
Wir müssen uns dafür einsetzen,<br />
dass die Öffentlichkeit Demokratie in ihrer<br />
Gesamtheit besser verstehen lernt.<br />
Ein Bürgerhandbuch zum Thema Superkapitalismus<br />
würde die Öffentlichkeit als<br />
Erstes vor Politikern oder Lobbyisten warnen,<br />
die Unternehmen und ihre Manager<br />
für die negativen gesellschaftlichen Folgeerscheinungen<br />
dieses Superkapitalismus<br />
verantwortlich machen – ob für zu niedrige<br />
oder rückläufige Löhne und Zusatzleistungen,<br />
gestrichene Stellen, zunehmende<br />
Ungleichheiten, den Verlust an Gemeinschaft,<br />
den Treibhauseffekt, unangemessene<br />
Produkte oder jede beliebige andere Sache,<br />
die oft und gern kritisiert wird.<br />
MAN KANN VON MANAGERN<br />
NICHT MEHR ERWARTEN,<br />
ALS DASS SIE GESETZE BEFOLGEN<br />
Manager von Unternehmen haben die Gesetze<br />
einzuhalten und sollten für alle illegalen<br />
Aktivitäten zur Verantwortung gezogen<br />
werden. Doch man kann – und sollte – von<br />
ihnen nicht erwarten, dass sie mehr als das<br />
tun. Ihre Aufgabe ist es, die Kunden des<br />
Unternehmens zufriedenzustellen und<br />
damit Geld für dessen Investoren zu erwirtschaften.<br />
Gelingt ihnen das nicht mindestens<br />
genauso gut wie der Konkurrenz, wird<br />
das Unternehmen von den Kunden und<br />
Investoren abgestraft, die ihr Geld nun<br />
anderweitig anlegen. Die Manager der<br />
Unternehmen gehören keiner bösartigen<br />
Verschwörung an. Negative gesellschaftliche<br />
Folgen unternehmerischen Handelns<br />
sind vielmehr oft das logische Ergebnis<br />
zunehmenden Wettbewerbs – des Versuchs,<br />
Kunden und Investoren immer attraktivere<br />
Angebote zu machen. Diese Angebote können<br />
es dann erfordern, Stellen ins personalkostengünstigere<br />
Ausland zu verlagern,<br />
Menschen durch Computer und Software zu<br />
ersetzen beziehungsweise auch Gewerk-<br />
15
p food for thought<br />
16<br />
ERFOLGSFAKTOR CSR<br />
Corporate Social Responsibility (CSR) ist<br />
kein nettes Beiwerk, sondern ein wichtiges<br />
Mittel, um neue Geschäftsfelder zu<br />
erschließen. Das glaubt Professor Björn<br />
Bloching, CSR-Experte von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />
Immer mehr Unternehmen<br />
erkennen,<br />
dass CSR kein nettes<br />
Beiwerk, sondern ein<br />
wichtiger Faktor für<br />
den Erfolg ihres<br />
Kerngeschäfts ist.<br />
Fragestellungen wie<br />
demografischer Wandel,<br />
Migration, Klimawandel<br />
oder alternative<br />
Rohstoffe erfordern<br />
die Ausrichtung<br />
Björn Bloching,<br />
Partner bei <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants<br />
vieler Unternehmensstrategien an steigenden<br />
Stakeholderanforderungen.<br />
Dennoch wird CSR oftmals noch zu sehr als<br />
PR-Thema aufgefasst oder lediglich reaktiv<br />
betrieben. Vielfach findet man auch einen<br />
Flickenteppich aus isolierten Einzelmaßnahmen<br />
vor, die teilweise keinen Bezug zum<br />
Kerngeschäft aufweisen. Da viele CSR-Maßnahmen<br />
erst langfristig wirksam werden,<br />
haben vor allem kurzfristig orientierte Unternehmen<br />
Schwierigkeiten damit, CSR als strategische<br />
Investition zu verstehen.<br />
Professionelle CSR dagegen senkt Kosten<br />
und steigert Erlöse. Wichtig dabei ist aber,<br />
dass CSR strategisch im Unternehmen verankert<br />
und zur Wettbewerbspositionierung<br />
verwendet wird. So müssen die CSR-Kundenbedürfnisse<br />
zukünftig besser verstanden<br />
werden, um sie in Produktentwicklung, Marketing<br />
und Vertrieb gewinnbringend nutzen<br />
zu können. Einige Unternehmen eröffnen<br />
sich damit völlig neue Geschäftsfelder und<br />
erschließen enorme Potenziale.<br />
Neben ihrem Auftrag, Gewinn zu erzielen,<br />
spielen Unternehmen eine wichtige Rolle in<br />
der Gestaltung der Gesellschaft. Entscheidend<br />
ist, dass beide Aspekte nicht isoliert<br />
voneinander betrachtet werden, sondern eng<br />
ineinander verwoben sind.<br />
schaften zu trotzen. Oder Angebote gehen<br />
zulasten kleiner Einzelhändler, die ihre<br />
Waren eben nicht so billig verkaufen können,<br />
oder auf Kosten ganzer Regionen, die<br />
einen großen Arbeitgeber verlieren, der<br />
seine Produktion aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit<br />
ins Ausland verlagern muss.<br />
Solche Angebote können die Fähigkeiten<br />
bestimmter Spitzen-CEOs erfordern, die<br />
dann wie Stars bezahlt werden; oder sie können<br />
sich negativ auf die Atmosphäre unseres<br />
Planeten auswirken. Gute Angebote können<br />
es mit sich b ringen, dass wir die Luft verpesten,<br />
im Fernsehen Sex und Gewalt senden<br />
oder uns die Bäuche mit Fast Food vollschlagen.<br />
Sie können bedeuten, dass im Ausland<br />
Menschenrechte missachtet oder junge Kinder<br />
zur Arbeit geschickt werden.<br />
SOZIAL VERTRÄGLICHES HANDELN UND<br />
WIRTSCHAFTLICHES GEWINNSTREBEN<br />
SCHLIESSEN SICH GEGENSEITIG AUS<br />
Solange diese Angebote legal bleiben und<br />
die Kunden und Investoren zufriedenstellen,<br />
werden die Unternehmen und ihre Manager<br />
von ihnen Gebrauch machen. Dies<br />
macht sie keineswegs „richtig“. Die einzige<br />
Möglichkeit jedoch, sie als falsche Lösung zu<br />
sanktionieren und Unternehmen davon abzuhalten,<br />
Kunden wie Investoren „gute Angebote“<br />
mit derartig negativen Begleiterscheinungen<br />
zu unterbreiten, ist es, sie illegal<br />
zu machen. Es ist unlogisch, Unternehmen<br />
dafür zu kritisieren, dass sie sich in ihren<br />
Aktivitäten an die derzeitigen Regeln halten.<br />
Wenn wir wollen, dass sie sich anders<br />
verhalten, müssen wir die Regeln ändern.<br />
Um es ganz klar zu sagen: Die Öffentlichkeit<br />
sollte jede Behauptung von Unternehmensmanagern<br />
darüber, dass ein Unternehmen<br />
etwas für das Gemeinwohl oder in Erfüllung<br />
seiner gesellschaftlichen Verantwortung tut,<br />
sehr kritisch hinterfragen. Unternehmen<br />
sind nicht am Gemeinwohl interessiert. Es<br />
liegt nicht in ihrer Verantwortung, „gut“ zu<br />
sein. Vielleicht tun sie gute Dinge, um ihr<br />
Markenimage aufzupolieren und dadurch<br />
ihren Umsatz und Gewinn zu steigern.<br />
Unternehmen tun Dinge, die für sie profitabel<br />
sind und als Begleiterscheinung gesellschaftlich<br />
vorteilhafte Effekte haben können.<br />
Aber sie tun Gutes kaum um seiner<br />
selbst willen. Warum? Die einfachste Erklärung<br />
ist, dass Unternehmen keine Menschen<br />
sind. Sie sind juristische Fiktionen – nicht<br />
mehr als eine Vielzahl vertraglicher Absprachen.<br />
Zwar gibt es Firmenkulturen, vorherrschende<br />
Stile oder Normen – wie sie jede<br />
Gruppe charakterisieren. Doch das Unternehmen<br />
existiert nicht „körperlich“. Vor<br />
allem im Superkapitalismus trifft dies zu, in<br />
dem Unternehmen rasch zu weltweiten Lieferketten<br />
mutieren können.<br />
Werden Unternehmen anthropomorphe<br />
Merkmale zugeschrieben, wenn sie öffentlich<br />
als nobel oder gemein, patriotisch oder<br />
verräterisch, rechtschaffen oder kriminell<br />
oder mit beliebigen anderen Eigenschaften,<br />
die Menschen besitzen können, dargestellt<br />
werden –, wird irreführend suggeriert, dass<br />
sie Personen gleichzusetzen sind. Ihnen<br />
werden so Pflichten auferlegt und Rechte<br />
zugesprochen, die nur Menschen zustehen.<br />
Die Grenze zwischen Kapitalismus und<br />
Demokratie verwischt; falsche öffentliche<br />
Grundsätze werden erlassen.<br />
Der Siegeszug des Superkapitalismus hat<br />
indirekt wie unabsichtlich zum Verfall der<br />
Demokratie geführt. Das ist nicht unaufhaltsam.<br />
Wir können sowohl eine dynamische<br />
Demokratie als auch einen dynamischen<br />
Kapitalismus haben. Dafür sind beide Sphären<br />
sauber zu trennen. Der Sinn des Kapitalismus<br />
besteht darin, Kunden und Investoren<br />
attraktive Angebote zu machen. Der<br />
Sinn der Demokratie ist es, Dinge zu erreichen,<br />
die dem Einzelnen allein verwehrt<br />
blieben. Wenn Unternehmen gesellschaftliche<br />
Verantwortung zu übernehmen scheinen<br />
oder die Politik dazu nutzen, ihre Wettbewerbsposition<br />
zu stärken oder zu sichern,<br />
wird diese Grenze überschritten.<br />
:<br />
Das griechische Wort für Kunst lautet<br />
Techné. Für die Griechen war das Schaffen<br />
von Neuem, egal ob unmittelbar nützlich<br />
oder ästhetisch inspirierend, dasselbe.<br />
In der Neuzeit gingen Technik und Kunst<br />
allerdings getrennte Wege. Jetzt, im Computerzeitalter,<br />
nähern sich die Disziplinen<br />
wieder an. In Troy, New York, sollen sich<br />
Technik und Kunst nun auf besondere Weise<br />
ergänzen. Das „Experimental Media and<br />
Performing Arts Center“ (EMPAC) öffnet<br />
im Oktober 2008 seine Tore. Als Teil des<br />
Rensselaer Polytechnic Institute werden<br />
dort Wissenschaftler und Künstler gemeinsam<br />
an Projekten forschen und arbeiten, um<br />
die vielseitigen Beziehungen zwischen Wissenschaft<br />
und Technik zu analysieren – und<br />
damit auch zu einer breiteren, kreativeren<br />
und gesellschaftlich verantwortungsvollen<br />
Technikentwicklung zu gelangen. Hochschulchefin<br />
Shirley Ann Jackson: „Unsere<br />
Gesellschaft braucht Wissenschaftler und<br />
Ingenieure, die ihre Meinung sagen, die<br />
Öffentlichkeit lenken. Sie müssen deshalb<br />
nicht nur technisch brillant sein, sondern<br />
auch weitblickend und human.“<br />
Das bedeutet ein verändertes Verständnis<br />
von technologischer Forschung. Wer innovativ<br />
arbeiten will, muss vor allem Offenheit<br />
mitbringen. „Ob ein Mensch innovativ ist,<br />
hängt von der Gesamtheit seiner Konstitution<br />
ab, sowohl menschlich, mental als auch<br />
vom Herzen“, sagt Johannes Goebel, Direktor<br />
von EMPAC.<br />
In seinem neuen Buch „A Whole New Mind“<br />
geht der US-Autor Daniel H. Pink noch weiter.<br />
Er vertritt die These, dass die Wirtschaft<br />
auf die Fähigkeiten der sogenannten Right<br />
Brainers, also der Menschen, deren rechte<br />
Gehirnhälfte stärker ausgeprägt ist, nicht<br />
verzichten kann. Empathie, Einfallsreichtum<br />
und das Denken in größeren Zusammenhängen<br />
können nicht automatisiert<br />
werden. „Die Left Brainers, also die Menschen<br />
mit einem ausgeprägt analytischen,<br />
regelfundierten und logischen Denken, sind<br />
zwar notwendig, aber ihre Fähigkeiten reichen<br />
nicht“, sagt Pink. Die Forderung: Die<br />
Fähigkeiten, die vor allem Künstler mitbringen,<br />
müssen in die künftigen Wirtschaftsabläufe<br />
integriert werden.<br />
KÜNSTLER WIE WISSENSCHAFTLER<br />
SEHEN LÜCKEN IN DER WELT –<br />
UND FÜLLEN SIE<br />
Speziell technische Innovation hat für Pink<br />
immer auch eine künstlerische Komponente.<br />
„Ein großartiger Künstler sieht eine<br />
Lücke in der Welt und füllt sie dann. Dasselbe<br />
gilt für einen Wissenschaftler. Beide<br />
geben den Menschen etwas, von dem sie<br />
nicht wussten, dass sie es brauchen.“<br />
Wenn Techniker von der Kunst lernen, müssen<br />
sie sich von gelernten Dogmen verabschieden.<br />
Im Gegensatz zu ihnen sind<br />
Künstler nämlich nicht auf Eindeutigkeit<br />
fokussiert. Wissenschaftliche Experimente<br />
zielen darauf, verifiziert zu werden, also bei<br />
food for thought f<br />
Steckt ein Künstler in<br />
jedem Technikfreak?<br />
Eine US-Universität will Technik und Kunst zusammenbringen.<br />
Dahinter verbirgt sich ein breites Verständnis von Innovation:<br />
weniger Linearität, mehr Chaos.<br />
Wiederholung dieselben Ergebnisse zu liefern.<br />
„Künstlerische Arbeit hingegen ist<br />
daran interessiert, sich ständig verändernde<br />
kulturelle und historische Zusammenhänge<br />
mit den persönlichen Perspektiven von Produzent<br />
und Rezipient, also Künstler und<br />
Publikum, zusammenzuführen“, erklärt<br />
Goebel. In der Uneindeutigkeit liegt kreative<br />
Freiheit. Wenn Wissenschaftler sehen,<br />
wie Künstler Maschinen umfunktionieren<br />
und in kreative Prozesse einbauen, wie zum<br />
Beispiel Tänzer, die einen Roboter als Tanzpartner<br />
wählen, werden sie selbst offener<br />
für neue Ideen.<br />
Das EMPAC selbst ist für den Grenzgang gut<br />
ausgerüstet. In seinen Aufführungsräumen<br />
etwa sind alle technischen Geräte wie die<br />
Klimaanlage oder Projektoren so leise konstruiert,<br />
dass sie das menschliche Ohr nicht<br />
wahrnehmen kann. Damit steht dem Ohr<br />
die ganze Bandbreite der künstlerischen<br />
Wahrnehmung offen.<br />
Leicht wird die Zusammenarbeit der Technik-Nerds<br />
mit den kreativen Wilden nicht.<br />
Goebel: „Die Arbeit in interdisziplinären<br />
Teams birgt ebenso große Probleme in sich,<br />
wie sie vielversprechend sein kann.“ Die<br />
Lösung sieht er in einer flachen Hierarchie.<br />
„Autonomie und damit ein großer Spielraum<br />
in Verbindung mit Verantwortlichkeit<br />
lässt Menschen in ihrer Arbeit besser werden“,<br />
sagt Pink. So schließt sich vielleicht<br />
der Kreis zur antiken Auffassung der Einheit<br />
von Technik und Kunst.<br />
17
THE FUTURE<br />
BLICK IN DIE GLASKUGEL<br />
Die Welt im Jahr 2030 – gesehen von der Künstlerin<br />
Julia Pfaller. Vorlage für diese Collage bildete das<br />
„Trend Compendium 2030“, das <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants für das Meeting der Young Global<br />
Leaders des World Economic Forum im chinesischen<br />
Dalian erarbeitet hatte. Das Kompendium<br />
stellt die wichtigsten Entwicklungen der kommenden<br />
Jahre in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Bildung,<br />
Entwicklung, Staat und Gesellschaft vor. Im<br />
Bereich Wirtschaft fragt es: Wer wird der nächste<br />
asiatische Tiger? Neben China und Indien machen<br />
die Berater Korea und Indonesien als Kraftprotze<br />
aus – vor allem in der Serviceökonomie.<br />
Der Trend des lebenslangen Lernens setzt sich<br />
durch. Wachsen dürfte die Zahl religiöser Bewegungen.<br />
Leiden werden wir weniger an infektiösen<br />
als an chronischen Krankheiten. Ausnahme:<br />
HIV. Die Zahl innerstaatlicher Konflikte droht<br />
zuzunehmen. Celebritys werden sich künftig<br />
wohl noch stärker sozial engagieren.<br />
food for thought f<br />
18 19
p food for thought<br />
20<br />
Eingreiftruppe „Bessere Welt“<br />
Das Morgen gehört ihnen. Doch schon heute setzen sich die Young Global Leaders aktiv für die Zukunft<br />
der globalen Gesellschaft ein. Gemeinsam suchen die Köpfe aus aller Welt nach Lösungen für die<br />
drängendsten Probleme unserer Erde. Die spannende Frage: Wie klassifiziert man globale Probleme?<br />
: Gesellschaftliches Engagement ist bei<br />
Entscheidern momentan en vogue. Doch<br />
es ist ein Unterschied, ob man es bei Sonntagsreden<br />
belässt oder wirklich dafür sorgt,<br />
dass die Dinge anders laufen. Letzteres<br />
tun momentan die Young Global Leaders<br />
(YGL), eine Gruppe Nachwuchsstars in<br />
Unternehmen, Regierungen und NGOs aus<br />
aller Welt. Das World Economic Forum hat<br />
die aufstrebenden Bosse aus Wirtschaft,<br />
Politik und Gesellschaft zusammengeführt.<br />
Jetzt werden sie zunehmend zu einer globalen<br />
Eingreiftruppe in Sachen bessere Welt.<br />
Geredet wird auch auf den Treffen der YGL<br />
viel, etwa im vergangenen September im<br />
chinesischen Dalian. Was neu ist an ihrem<br />
Ansatz, verdeutlicht das Beispiel des „Table<br />
for Two“, einer Initiative der YGL. Ausgangspunkt:<br />
Die einen essen zu viel und zu ungesund,<br />
die anderen hungern. Wäre doch<br />
schön, wenn sich hier ein Ausgleich finden<br />
ließe. Die YGL haben dazu bei Unternehmen<br />
dafür geworben, ihren Mitarbeitern für<br />
einen kleinen Aufpreis gesundes Essen zu<br />
servieren – und im Gegenzug auch Schulkinder<br />
in Entwicklungsländern mit einer<br />
gesunden Mahlzeit zu versorgen. YGL<br />
James Kondo, Präsident und Vice Chairman<br />
des Health Policy Institute in Japan: „Jedes<br />
Mal, wenn jemand bei den Unterstützerfirmen<br />
eine gesunde Mahlzeit isst, fließen<br />
20 Cent in eine gesunde Schulmahlzeit in<br />
einem Entwicklungsland.“ So ist der Tisch<br />
für zwei gedeckt.<br />
Unternehmen wie Japan Airlines, NEC oder<br />
Lehman Brothers beteiligen sich an dem<br />
globalen Projekt. Ein Zusatzeffekt für die<br />
Organisationen: Ihre Mitarbeiter ernähren<br />
sich nicht nur gesünder, sondern werden<br />
zugleich für die Ernährungsproblematik auf<br />
dem Globus sensibilisiert.<br />
DIE YOUNG GLOBAL LEADERS<br />
SITZEN AN DEN SCHALTHEBELN –<br />
UND KÖNNEN IDEEN DAHER UMSETZEN<br />
Die Table-for-Two-Initiative verdeutlicht<br />
einen Vorteil der YGL: Viele sitzen in internationalen<br />
Konzernen an den Schalthebeln.<br />
Sie haben den Drive und die Macht, gute<br />
Ideen umzusetzen. Zugleich wirken bei den<br />
jungen Führern viele Köpfe aus Wissenschaft<br />
oder NGOs mit, die wissen, welche<br />
Probleme wirklich drängend sind.<br />
Genau dies ist aber gar nicht so einfach zu<br />
entscheiden. Hunger, Klimawandel, Demokratisierung<br />
– die Liste möglicher Megathemen<br />
ist lang. Wie entscheidet man, welche<br />
Fragen ganz oben auf der Prioritätenliste<br />
stehen? Eine Frage, die die aus unterschiedlichen<br />
Kulturkreisen stammenden YGL kontrovers<br />
diskutieren. Denn natürlich sind die<br />
einzelnen Leader von ihrem jeweiligen kulturellen<br />
Hintergrund geprägt – „was aber<br />
auch ein Riesenvorteil ist“, wie Manfred Reichel<br />
sagt, langjähriger Partner bei <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy Consultants, der als eine<br />
Art Coach die Taskforces der Leader unterstützt.<br />
Die offenen Diskussionen wirkten für<br />
alle befruchtend.<br />
Das glaubt auch YGL Christophe Beck,<br />
Senior Vice President beim New Yorker Ecolab:<br />
„Letztes Jahr in Vancouver hatten wir<br />
einen sehr interessanten Moment. Die Europäer<br />
diskutierten lang und breit die Frage,<br />
wie ihre Verwaltung effizient zu machen<br />
sei. Dann meldete sich ein Young Global<br />
Leader aus Mosambik zu Wort: Für ihn seien<br />
alle Alternativen, die die Europäer debattierten,<br />
Idealzustände.“<br />
Letztlich, so Beck, hänge es von der Größe<br />
und den Auswirkungen eines Problems ab,<br />
an welcher Stelle auf der Prioritätenliste es<br />
stehe – aber auch davon, was man wirklich<br />
tun kann. Ein pragmatischer Ansatz, wissenschaftlich<br />
womöglich nicht astrein, aber<br />
sehr praktikabel: An der Spitze der Agenda<br />
stehen Probleme, an denen sich etwas ändern<br />
lässt. Beck: „Wir sind keine Träumer.<br />
Viele von uns sind Unternehmer, die wollen,<br />
dass sich wirklich etwas ändert – aus Eigennutz,<br />
aber auch für künftige Generationen.“<br />
Beck selbst engagiert sich unter anderem in<br />
einer Initiative mit dem eigenwilligen<br />
Namen „Why do good people let bad things<br />
happen?“: „Wir wollen das gesellschaftliche<br />
Bewusstsein für aktuelle Genozide wie jenen<br />
in Darfur schärfen“, erklärt er. Dazu produzieren<br />
die YGL momentan einen Dokumentarfilm,<br />
in dem neben Experten auch<br />
ganz normale Menschen zu Wort kommen.<br />
Die Leader als Journalisten? Provoziert dies<br />
nicht den Vorwurf des gut gemeinten Dilettantismus?<br />
Vielleicht. Doch sind möglicherweise<br />
gerade die YGL für einen solches<br />
Unternehmen geeignet. Als Entscheider sitzen<br />
sie an den Tischen der Mächtigen. So<br />
kommen sie eher an relevante Gesprächspartner<br />
heran als Politjournalisten. Und<br />
ein Film als Waffe zur gesellschaftlichen<br />
Bewusstseinsschärfung – das hat ja schon<br />
bei Al Gore trefflich funktioniert.<br />
DIE RÜCKKEHR<br />
DER DIVERSI-<br />
FIKATION<br />
DOSSIER #<strong>11</strong><br />
Lange galt Fokussierung als die Losung der<br />
Stunde. Jetzt entdecken viele Unternehmen die<br />
Vorteile einer breiten Aufstellung wieder. Wer<br />
in mehreren Geschäftsfeldern tätig ist, streut<br />
damit sein Risiko und erarbeitet sich neue<br />
Wachstumschancen. Das ist vor allem für Unternehmen<br />
attraktiv, deren Kerngeschäft unter<br />
niedrigen Margen leidet. Aber: Nur wer seine<br />
Zielbranchen strukturiert auswählt und neue<br />
Geschäftsfelder strategisch integriert, wird<br />
langfristig Erfolg haben.<br />
„Nike sollte die weltbeste Sportfirma<br />
sein. Damit hatten wir einen Fokus –<br />
und haben gar nicht erst angefangen,<br />
Budapester Schuhe zu produzieren.“<br />
PHIL KNIGHT<br />
„Lege nie alle Eier in einen Korb!“<br />
RUDOLF-AUGUST OETKER
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation<br />
nGOOGLE<br />
DAS US-UNTERNEHMEN IST<br />
MIT SEINER INTERNETSUCH-<br />
MASCHINE BEKANNT GEWOR-<br />
DEN. HEUTE SETZEN DIE<br />
AMERIKANER ZUSÄTZLICH<br />
AUF VERWANDTE GESCHÄFTS-<br />
FELDER WIE VIDEOPORTALE.<br />
57 % Umsatzwachstum<br />
erzielte<br />
das kalifornische<br />
Unternehmen im<br />
dritten Quartal 2007.<br />
»Man sollte unbedingt<br />
Dinge versuchen,<br />
vor denen die<br />
meisten zurückschrecken<br />
würden.«<br />
L ARRY PA GE , GOOGLE-GRÜNDER<br />
ENTWICKLUNG DES GOOGLE-<br />
AKTIENKURSES<br />
Januar Januar Januar<br />
2005 2006 2007<br />
Fast stetig ging es in den vergangenen<br />
Jahren mit der Aktie bergauf.<br />
Bei knapp 700 Dollar steht das<br />
Papier momentan.<br />
800<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
Quelle: Yahoo Finance<br />
Weitsicht statt Tunnelblick<br />
Mischkonzerne galten lange als Auslaufmodell. Manager und Investoren gaben Unternehmen<br />
den Vorzug, die sich auf ein Kerngeschäft konzentrierten. Jetzt beginnt das Umdenken.<br />
Denn diversifizierte Unternehmen sind tendenziell erfolgreicher als fokussierte.<br />
s<br />
WER AKTIEN DES US-KONZERNS Google besitzt,<br />
hat beim Blick in die Wirtschaftspresse fast jeden Tag<br />
Grund zur Freude. Der Kurs des Papiers hat sich seit<br />
dem Börsenstart im Sommer 2004 mehr als verachtfacht.<br />
Grund für die Euphorie der Investoren: Google<br />
ist längst nicht mehr nur in seinem angestammten<br />
Geschäftsfeld aktiv. Neben der Suchmaschine<br />
betreibt das Unternehmen auch Karten- und E-Mail-<br />
Dienste. Außerdem haben die Google-Chefs in den vergangenen<br />
Jahren kräftig eingekauft: So übernahmen<br />
sie das Videoportal YouTube. Zuletzt beflügelte die<br />
Nachricht die Aktie, das Unternehmen verhandle mit<br />
dem Mobilfunkanbieter Verizon Wireless über eine<br />
Kooperation. Der Deal würde gut zur Strategie des<br />
Unternehmens passen. Denn Google ist eines der<br />
jüngsten Beispiele für einen Konzern, der sich nicht<br />
auf ein Geschäftsfeld beschränkt – sondern auf Diversifizierung<br />
setzt.<br />
Das Konzept der Diversifikation entstammt der<br />
Feder des Managementdenkers Harry Igor Ansoff. Der<br />
russische Mathematiker und Ökonom gilt als Vater<br />
des strategischen Managements – nicht zuletzt dank<br />
seiner Überlegungen zu Wachstumsstrategien. Unternehmen<br />
haben vier Wege, um zu wachsen, so Ansoff.<br />
Sie können ihren Markt besser durchdringen, neue<br />
Produkte entwickeln, neue Märkte mit gegebenen<br />
Produkten erschließen – oder eben ganz neue Wege<br />
gehen, mit neuen Produkten auf neuen Märkten. Das<br />
nannte Ansoff Diversifikation.<br />
IN DEN LETZTEN JAHREN ABER galt genau dieser<br />
Ansatz als überholt. Mischkonzerne und Konglomerate<br />
wurden als Auslaufmodelle gesehen; das Gebot der<br />
Stunde lautete Fokussierung. Nebenkriegsschauplätze<br />
und Randbereiche waren abzustoßen. Doch genau<br />
dieses Managementdogma gerät momentan mehr<br />
und mehr ins Wanken – nicht zuletzt aufgrund von<br />
Erfolgsbeispielen wie Google. „Diversifikationsstra-<br />
Diesen Beitrag können Sie auch<br />
auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />
tegien werden für Unternehmen wieder attraktiv“,<br />
urteilt Hauke Moje, Partner bei <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants und Autor einer aktuellen Studie über<br />
die Performance von Konglomeraten. „Der Fokussierungstrend<br />
der vergangenen Jahre scheint sich wieder<br />
umzukehren.“ Erfolgsbeispiele wie der deutsche<br />
Konzern Würth machen Mut. Die Gruppe kombiniert<br />
ein klar definiertes Kerngeschäft mit weiteren Aktivitäten<br />
– und erzielt damit ein gesundes Wachstum.<br />
MOJES TEAM HAT die Entwicklung der 1200 weltweit<br />
größten Unternehmen zwischen 1995 und 2004<br />
untersucht. Das Ergebnis: Zwar gelten nach wie vor für<br />
die Mehrheit der Konzerne die Konzentration auf ein<br />
Geschäftsfeld und die Durchsetzung möglichst hoher<br />
Preise als strategisches Ideal. Zwar straft der Kapitalmarkt<br />
Konglomerate immer noch mit einem Abschlag<br />
von 10 bis 15 Prozent auf den Kurswert ab – dem<br />
sogenannten „Conglomerate-Discount“. Doch die<br />
<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Studie beweist eindeutig: Ob ein Unternehmen<br />
diversifiziert ist, hat keinen Einfluss auf<br />
Umsatz- und Kapitalrendite.<br />
Entgegen der Theorie erweisen sich die diversifizierten<br />
Unternehmen sogar als erfolgreicher:<br />
80 Prozent legten bei Umsatz und EBIT zu. Dagegen<br />
wuchsen nur 73 Prozent der fokussierten Unternehmen<br />
in gleicher Weise. „Der Conglomerate-Discount ist<br />
nicht gerechtfertigt“, folgert Moje. „Diversifikation<br />
kann durchaus Wert generieren.“<br />
FÜR IMMER MEHR Unternehmen wird der Schritt<br />
auf neue Märkte sogar zur Überlebensfrage. Eine<br />
<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Umfrage unter 40 deutschen Konzernen<br />
und Mittelständlern zeigt, dass die Hälfte der<br />
Unternehmen in ihrem Kerngeschäftsfeld nur noch<br />
über die Verdrängung von Wettbewerbern wachsen<br />
können. Lediglich 30 Prozent gewinnen neuen Umsatz<br />
ohne Preiskämpfe oder Übernahmen. Vor allem das ist<br />
der Grund, warum mehr als 80 Prozent der befragten<br />
Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren<br />
mindestens ein komplett neues Geschäftsfeld aufgebaut<br />
haben. Der Weg in die Breite scheint sich also<br />
wieder zu lohnen.<br />
Ein Unternehmen, das dieses Konzept<br />
beherrscht wie wenige andere, ist der indische Konzern<br />
Tata. Das Unternehmen bietet Tee und Uhren<br />
ebenso an wie Stahl. Ein Werbefilm illustriert die<br />
Bandbreite der Holding so: Ein durchschnittlicher<br />
Inder wird morgens von einem Tata-Wecker aufgeweckt.<br />
Er trinkt seinen Tata-Morgentee. Das Salz auf<br />
seinem Ei kommt von Tata Chemicals. Dann fährt er<br />
mit seinem Tata Indigo ins Büro. Ein Leben mit Tata.<br />
Der breite Ansatz bedeutet für Tata aber nicht,<br />
dass die eigene Identität aufgegeben würde. Gerade<br />
bei Unternehmen mit vielen unterschiedlichen Aktivitäten<br />
spielt die Identität vielmehr eine wichtige Rolle.<br />
Chairman Ratan Tata: „Was auch immer wir machen,<br />
wir müssen technologisch vorn sein. Wir müssen als<br />
ein Unternehmen gesehen werden, das aufregende<br />
Produkte herstellt.“<br />
EINES DER HAUPTMOTIVE für die Diversifikation<br />
ist das Wachstum jenseits des Kerngeschäfts. Diese<br />
Option wird vor allem attraktiv, wenn dort die Margen<br />
dünn werden. Genau damit sehen sich momentan<br />
viele Lebensmitteleinzelhändler konfrontiert. Deren<br />
Profite stehen unter Druck. Marktanteile gewinnt, wer<br />
mit Kampfpreisen lockt. Viele Unternehmen versuchen<br />
daher, sich mit neuen Produkten auch neue<br />
Marktsegmente zu erschließen. So auch der britische<br />
Einzelhändler J. Sainsbury. Seit 1997 bietet das Unternehmen<br />
in seinen knapp 800 Geschäften auch<br />
Finanzprodukte wie Sparkonten, Versicherungen und<br />
Verbraucherkredite an. Weil damit auch Kunden angesprochen<br />
werden, die vielleicht nicht bei Sainsbury<br />
shoppen, ist der Weg des Unternehmens mehr als<br />
eine Produktentwicklung – nämlich eine Diversifikation.<br />
Für diese hat der Einzelhändler ein Joint Venture<br />
mit der Bank HBOS gegründet. „Wir wollen die Entwicklung<br />
zusätzlicher Non-Food-Produkte beschleunigen“,<br />
gibt Sainsbury-CEO Justin King als Richtung<br />
vor. Ein wichtiger Baustein dieser Strategie ist das<br />
Bankgeschäft. „Es bietet vielversprechende Wachstumsmöglichkeiten“,<br />
sagt King.<br />
Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
DIVERSIFIKATION JA – ABER WELCHE?<br />
Die wichtigsten Marktfilter sind Marktreife/Wachstum<br />
und Wettbewerbsstruktur. Eine hohe Konjunkturabhängigkeit<br />
schreckt die Unternehmen hingegen nicht.<br />
1. Marktgröße<br />
2. Marktreife/Wachstum<br />
3. Durchschnittliche Marktrendite<br />
4. Wettbewerbsstruktur<br />
5. Markteintritts-/-austrittsbarrieren<br />
6. Konjunkturabhängigkeit<br />
7. Wettbewerbsintensität<br />
8. Staatlicher Einfluss<br />
unwichtig sehr wichtig<br />
1 2 3 4 5<br />
Der wichtigste strategische Filter ist die Übertragbarkeit<br />
von Kernkompetenzen.<br />
1. Wertschöpfungsprofil<br />
2. Kernkompetenzen sind übertragbar<br />
3. Personalintensität<br />
4. B2C vs. B2B<br />
5. Kundenstruktur<br />
unwichtig sehr wichtig<br />
1 2 3 4 5<br />
Eine große Bedeutung messen die Unternehmen der<br />
politischen Stabilität eines Standorts bei.<br />
1. Gleicher regionaler Fokus<br />
wie bisheriges Geschäftsfeld<br />
2. Politische Stabilität<br />
unwichtig sehr wichtig<br />
1 2 3 4 5<br />
<strong>think</strong>:<strong>act</strong>-Grafik, Quelle: <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
22 23<br />
2,4<br />
2,9<br />
2,8<br />
3,7<br />
3,9<br />
3,8<br />
3,0<br />
3,3<br />
3,3<br />
3,9<br />
4,2<br />
4,1<br />
4,2<br />
4,0<br />
4,3
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
nWÜRTH-GRUPPE<br />
DAS KERNGESCHÄFT DER<br />
WÜRTH-GRUPPE IST DER<br />
SCHRAUBENGROSSHANDEL.<br />
DOCH DER KONZERN HAT<br />
SICH BREITER AUFGESTELLT;<br />
RUND 350 UNTERNEHMEN<br />
GEHÖREN HEUTE DAZU.<br />
54 906<br />
Mitarbeiter beschäftigt<br />
das Unternehmen<br />
heute weltweit.<br />
»Diversifizierung<br />
ist nicht an sich gut<br />
oder schlecht. Aber<br />
man kann sie mehr<br />
oder weniger gut<br />
umsetzen.«<br />
REINHOLD WÜRTH, VORSITZENDER DES<br />
STIF TUNGSAUFSICHTSRATS<br />
UMSATZ DER ADOLF<br />
WÜRTH GMBH & CO. KG<br />
(in Mio. Euro)<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
817 Mio.<br />
788 Mio.<br />
827 Mio.<br />
871 Mio.<br />
967 Mio.<br />
Quelle: Adolf Würth GmbH<br />
Seit 2004 wächst das Unternehmen<br />
solide. Nur im Jahr 2003 gab es eine<br />
Delle. Kernkompetenz ist auch nach<br />
der Diversifikation der Handel mit<br />
Befestigungs- und Montagematerial.<br />
Die <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Studie zeigt, dass die Hälfte<br />
der neuen Geschäftsfelder im Rahmen einer Diversifizierung<br />
eine deutlich höhere Rendite erwirtschaften<br />
konnten als erwartet. Nur ein Fünftel der Expansionsversuche<br />
erwiesen sich als Flops – dann allerdings<br />
häufig aus ähnlichen Gründen, wie sie Ökonomen und<br />
Manager als Nachteile der Diversifizierung vorbringen:<br />
Die Zahl der verschiedenen kleinen Geschäftsbereiche<br />
überforderte das Management. Man habe sich<br />
„verzettelt“ und nur unzureichende Kompetenzen im<br />
neuen Geschäftsfeld gehabt.<br />
WIE STARK EINE DIVERSIFIZIERUNG das Wachstum<br />
antreiben kann, zeigt das Beispiel des spanischen<br />
Unternehmens Inditex. Im Jahr 1973 hatte der<br />
Gründer Amancio Ortega Gaona in seiner Heimatstadt<br />
La Coruña mit der Textilproduktion begonnen. Schon<br />
zwei Jahre später erweiterte er seine Geschäftstätigkeit<br />
und eröffnete ein Einzelhandelsgeschäft mit dem<br />
Namen Zara. Betriebswirtschaftlich firmiert eine solche<br />
Strategie unter „vertikaler Integration“. Diese war<br />
aus Inditex-Sicht ein weiser Entschluss: Während die<br />
Textilindustrie fast komplett aus Europa abgewandert<br />
ist, gelang Gaona eine beeindruckende Wachstumsgeschichte.<br />
Heute verkauft sein Unternehmen seine<br />
Kleidung in mehr als 3500 Geschäften in 68 Ländern.<br />
Neuerdings vertreibt Inditex auch Bettwäsche, Tischdecken<br />
und Besteck.<br />
Und tut gut daran, wenn man den Empfehlungen<br />
des Strategieforschers Michael Raynor folgt, dem<br />
Autor des Buches „The Strategy Paradox“. Er warnt<br />
Unternehmen davor, sich auf zu wenige Geschäftsfelder<br />
zu konzentrieren. Wer alles auf eine Karte setzt,<br />
verliert eben auch alles, wenn das Kerngeschäftsfeld<br />
in eine Krise gerät. „Das strategische Profil von Firmen,<br />
die heute nicht mehr existieren, ähnelt auf geradezu<br />
schockierende Weise dem Profil von besonders<br />
erfolgreichen Unternehmen.“<br />
JEDENFALLS BEGINNEN auch die ersten Geldgeber,<br />
Konglomerate mit anderen Augen zu sehen. „Großaktionäre,<br />
Eigentümerfamilien und Private-Equity-<br />
Gesellschaften sind in Zukunft vermehrt bereit, die<br />
Erschließung neuer Geschäftsfelder zu finanzieren“,<br />
hat Hauke Moje beobachtet. „Sie stellen jedoch hohe<br />
Anforderungen.“ Denn sie erwarten in den neuen<br />
Geschäftsfeldern eine Gewinnmarge von rund 15 Prozent<br />
– innerhalb von vier bis fünf Jahren.<br />
Dass gerade Private-Equity-Investoren als<br />
Erste umdenken, verwundert nicht. Denn die neuen<br />
Mischkonzerne haben nicht mehr viel mit den klassischen<br />
Konglomeraten gemeinsam. Es geht ihnen selten<br />
darum, möglichst lange an einer möglichst großen<br />
Anzahl von Geschäftsgebieten festzuhalten.<br />
Stattdessen kaufen sie sich in vielversprechende<br />
Märkte ein und trennen sich genauso schnell von<br />
Engagements, die keinen Gewinn abwerfen. Mit dieser<br />
Strategie ähneln sie Private-Equity-Unternehmen.<br />
AUCH ANDERE INVESTOREN kaufen gern Aktien<br />
von diversifizierten Unternehmen – wenn deren<br />
Strategie überzeugt. Das beweist das Beispiel des<br />
französischen Mischkonzerns Saint-Gobain. Dessen<br />
Börsenwert hat sich in den vergangenen fünf Jahren<br />
verdreifacht. Damit belohnen die Anleger die Diversifizierungsstrategie<br />
der vergangenen Jahre – die bei<br />
Saint-Gobain keineswegs Tradition hat. Gegründet<br />
wurde das Unternehmen im 17. Jahrhundert und konzentrierte<br />
sich stets auf die Produktion von Glas und<br />
Spiegeln. Von anderen Geschäftsfeldern hielt man<br />
sich lange fern. Das änderte sich in den Siebzigerjahren:<br />
Saint-Gobain fusionierte mit einem Eisenproduzenten<br />
und kaufte einen Hersteller von Dämmstoffen.<br />
In den Neunzigerjahren beschleunigte sich die<br />
Diversifizierung: Die Franzosen stiegen in die Produktion<br />
von Industriekeramik, die Hohlglasindustrie, die<br />
Baustoffbranche und den Rohrleitungsbau ein. Den<br />
größten Anteil an der Diversifikation hatte der langjährige<br />
CEO Jean-Louis Beffa. Seit seinem Amtsantritt<br />
im Jahr 1986 hatte Beffa in immer kürzeren Abständen<br />
neue Unternehmen zugekauft. Kritikern begegnete<br />
er mit Selbstbewusstsein: „Es ist besser, einen Mix<br />
an Gesellschaften zu haben, aus denen man einen<br />
starken Cashflow ziehen kann.“ Der Erfolg gibt ihm<br />
recht. Zu seinem Abschied vom Amt des CEO legte<br />
Beffa im Frühjahr Rekordzahlen vor.<br />
Trotz solcher Positivbeispiele fürchten sich<br />
viele Investoren davor, dass eine Diversifizierung den<br />
Aktienkurs unter Druck setzen könnte. Doch dieses<br />
Vorurteil haben Wissenschaftler widerlegt. „Diversifikation<br />
vernichtet keinen Wert“, sagt John R. Graham,<br />
Professor für Finanzwirtschaft an der Duke Universi-<br />
ty. Er hat die Folgen der Diversifizierung auf den Börsenwert<br />
von Unternehmen untersucht. Seine Erkenntnis:<br />
Expandieren Unternehmen aus eigener Kraft in<br />
neue Geschäftsfelder, droht kein negativer Effekt.<br />
Dies gilt aber offenbar nur für bestimmte Formen<br />
der Diversifizierung, hat Julio Pindado herausgefunden.<br />
Der Professor für Finanzwirtschaft an der Universität<br />
von Salamanca hat belegt, dass es für jedes<br />
Unternehmen einen optimalen Diversifizierungslevel<br />
gibt. Der Hintergrund: „Wenn Unternehmen diversifizieren,<br />
steigt dadurch zunächst ihr Wert. Nach einem<br />
Wendepunkt verkehrt sich diese Situation aber.“ Wo<br />
dieser Wendepunkt liegt, hängt auch von der Art der<br />
Diversifizierung ab. Bleiben Unternehmen nah an<br />
ihrem Kerngeschäftsfeld, können sie auf neue Märkte<br />
vorstoßen, ohne dass der Unternehmenswert darunter<br />
leidet.<br />
ALS MUSTERBEISPIEL für die Probleme, die eine<br />
übermäßige Diversifizierung verursachen kann, gilt<br />
die Geschichte von Harold Geneen und der International<br />
Telegraph and Telephone Company (ITT). Nach seinem<br />
Amtsantritt als CEO bei ITT kaufte Geneen in den<br />
Sechzigerjahren eine Vielzahl von Unternehmen auf,<br />
rund 300 binnen zehn Jahren. Dabei schien es keine<br />
Rolle zu spielen, in welcher Branche die Firmen agierten<br />
– Hauptsache, sie waren profitabel. „Ich habe nie<br />
ein Unternehmen kennengelernt, das mich nicht interessiert<br />
hätte“, erklärte Geneen.<br />
Anfangs ging die Strategie auf, ITT glänzte mit<br />
hohen Gewinnen – auch dank Geneens Grundsätzen<br />
der Unternehmensführung: strenge Kontrolle der<br />
Finanzen und messerscharfe Analyse. Doch mit<br />
zunehmender Größe wurde das Unternehmen immer<br />
schwieriger zu kontrollieren. Mitte der Siebzigerjahre<br />
brachen die Gewinne ein. Als Geneen 1977 zurücktrat,<br />
konnten seine Nachfolger die Lücke nicht füllen. Sie<br />
verkauften viele Beteiligungen und teilten ITT in drei<br />
getrennte Unternehmen auf.<br />
„Damit der Schritt auf einen neuen Markt<br />
gelingt, müssen Unternehmen auf einen strukturierten<br />
Auswahlprozess nach klaren Kriterien achten“,<br />
weiß <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Experte Moje. Rund 80 Prozent<br />
der Unternehmen, die Moje befragte, nutzen Benchmarking<br />
und Branchenanalysen, um herauszufinden,<br />
ob sich bestimmte Märkte für neue Geschäftsfelder<br />
eignen. „Unternehmen sollten prüfen, wie reif der<br />
Markt ist, wie schnell er wächst und welche Renditen<br />
zu erwarten sind.“ Danach muss analysiert werden,<br />
ob sich Kernkompetenzen gewinnbringend auf den<br />
neuen Markt übertragen lassen und wie leicht die<br />
geeigneten Mitarbeiter zu rekrutieren sind. Und: Die<br />
richtige Integration ist wichtig. Zu Beginn sollte diese<br />
zentral gesteuert werden, dann aber in eine Phase<br />
eher dezentralen Managements übergehen.<br />
WENN EINE DIVERSIFIKATION gelingt, kann sie<br />
sich sogar als imageträchtig erweisen. Das konnte<br />
Daniel Beneish beweisen, Professor an der Kelley<br />
School of Business in Indiana. In einer Studie wies er<br />
2006 nach, dass „Sin Companies“ wie der Zigarettenhersteller<br />
Philip Morris sich gegen politische Übergriffe<br />
absichern, wenn sie Unternehmen aus fremden<br />
Geschäftsfeldern mit positivem Image kaufen.<br />
Wie man die Diversifikation als Imagefaktor<br />
nutzt, exerziert im übrigen auch Tata beispielhaft vor.<br />
Durch seine breite Aufstellung ist der Name Tata wohl<br />
jedem Inder präsent. Tata gehört gewissermaßen zur<br />
Familie. Das schafft Vertrauen.<br />
FAZIT – FÜNF ANSÄTZE ZUR<br />
ERFOLGREICHEN DIVERSIFIKATION<br />
1. Wachstum im heutigen Kerngeschäft ist<br />
sehr häufig nur noch durch Verdrängungswettbewerb<br />
möglich.<br />
2. Diversifikation schafft Wert – die Renditeerwartung<br />
der meisten befragten Unternehmen<br />
wurde übertroffen.<br />
3. Die Bereitschaft der Investoren zur<br />
Diversifikation wird weiter zunehmen.<br />
4. Werthebel eins – ein strukturierter Auswahlprozess<br />
mit klar definierten Kriterien<br />
5. Werthebel zwei – konsequent integrieren,<br />
dabei die richtige Balance von zentraler<br />
und dezentraler Führung finden<br />
24 25
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
Die in die Breite gehen<br />
Sechs Wachstumsgeschichten erfolgreicher Diversifizierer<br />
Finanzen<br />
OBST, KONSERVEN UND<br />
KREDITKARTEN<br />
Seit 1997 bietet die britische Supermarktkette<br />
J. Sainsbury ihren Kunden auch Finanzdienstleistungen<br />
an. Gemeinsam mit der<br />
Bank HBOS verkauft das Unternehmen Sparkonten,<br />
Kreditkarten, Versicherungen und<br />
Verbraucherkredite. Auf diesem Weg will<br />
Sainsbury die Kunden an das Unternehmen<br />
binden und sich gleichzeitig unabhängiger<br />
vom margenschwachen Lebensmittelgeschäft<br />
machen.<br />
Stahl<br />
chemische<br />
Produkte<br />
Uhren<br />
Motoren<br />
Hotel<br />
Lebensmittel<br />
STAHL, TEE UND MOTOREN<br />
Die indische Tata-Gruppe ist das größte<br />
Industrieunternehmen des Subkontinents.<br />
Präsident Ratan Tata herrscht über ein<br />
Imperium aus Firmen verschiedenster Branchen.<br />
Tata ist einer der weltweit führenden<br />
Stahlhersteller, produziert Motoren, Tee,<br />
Uhren und chemische Produkte. Darüber<br />
hinaus ist das Unternehmen im Hotel- und<br />
Telekommunikationsgeschäft aktiv.<br />
Tee<br />
Telekommunikation<br />
HÄFEN, EINZELHANDEL UND<br />
HOTELS<br />
Der Mischkonzern Hutchison Whampoa mit<br />
Sitz in Hongkong entstand 1977 durch die<br />
Fusion von Hutchison International und<br />
Hongkong and Whampoa Dock. Zu den Kerngeschäftsfeldern<br />
gehören das Betreiben von<br />
Häfen, das Immobilien- und Hotelgeschäft<br />
sowie der Einzelhandel, zudem Energie und<br />
Infrastruktur sowie Telekommunikation. Das<br />
Unternehmen ist weltweit tätig und beschäftigt<br />
über 200 000 Mitarbeiter.<br />
Mode<br />
Hotel<br />
Telekommunikation<br />
Immobilien<br />
Einzelhandel<br />
Häfen<br />
Infrastruktur<br />
Energie<br />
Home-<br />
Accessoires<br />
HOSEN, JACKEN UND BESTECK<br />
Im Jahr 1973 startete der spanische Bekleidungsanbieter<br />
Inditex als Textilproduzent.<br />
Dann eröffnete er auch eigene Geschäfte,<br />
deren Zahl in den vergangenen Jahren rasant<br />
auf über 3500 gestiegen ist. Außerdem führte<br />
Inditex neben seiner Stammmarke Zara zahlreiche<br />
weitere ein – und verkauft inzwischen<br />
unter der Marke Zara Home sogar Bettwäsche,<br />
Tischdecken, Besteck und Gläser.<br />
Haushaltselektronik<br />
LAMPEN, KRAFTWERKE<br />
UND KREDITE<br />
Als eines der Musterunternehmen beim<br />
Thema Diversifizierung gilt der US-amerikanische<br />
Mischkonzern General Electric. Das<br />
Unternehmen verkauft Haushaltsgeräte<br />
sowie Beleuchtungstechnik, baut Kraftwerke<br />
und Flugzeugtriebwerke. Außerdem gehören<br />
Medienunternehmen wie NBC Universal und<br />
Finanzdienstleister zu GE. Zwischen 1981<br />
und 2001 führte Managementvordenker Jack<br />
Welch das Unternehmen.<br />
Rohrleitungsbau<br />
Beleuchtungstechnik<br />
Kraftwerke<br />
Eisen<br />
Glas und<br />
Spiegel<br />
Medien<br />
Flugzeugtriebwerke<br />
Baustoffbranche<br />
Dämmstoffe<br />
Finanzen<br />
Industriekeramik<br />
GLAS, EISEN UND DÄMMSTOFFE<br />
Seinen Ursprung hat der französische Konzern<br />
Saint-Gobain in der Glas- und Spiegelproduktion.<br />
Erst in den Siebzigerjahren diversifizierten<br />
die Manager das Geschäft: Sie<br />
kauften einen Eisenproduzenten sowie einen<br />
Hersteller von Dämmstoffen und stiegen in<br />
die Produktion von Industriekeramik, die<br />
Hohlglasindustrie, die Baustoffbranche und<br />
den Rohrleitungsbau ein.<br />
Kampf dem imperialen Chef!<br />
Auch Analysten können irren – zum Beispiel, indem sie diversifizierte Firmen unterbewerten.<br />
Harvard-Wissenschaftlerin Belén Villalonga erklärt, weshalb der Gang in die<br />
Breite dennoch an Popularität gewinnt.<br />
THINK:ACT Professor Villalonga, warum haben Unternehmen<br />
zuletzt wenig diversifiziert?<br />
BELÉN VILLALONGA Das mag daran liegen, dass<br />
Marktbeobachter die Misserfolge bei Übernahmen<br />
früherer Fusionswellen oftmals der Diversifizierung<br />
zugeschrieben haben – und nicht etwa schlechtem<br />
Management.<br />
Wird die Strategie heute wieder attraktiver?<br />
Wenn Sie mit attraktiver „wieder in Mode“ meinen,<br />
kann man das bejahen. Die Stimmung unter Investoren<br />
schwingt seit Jahrzehnten wie ein Pendel<br />
hin und her. In den späten Achtziger- und den<br />
Neunzigerjahren war ein Extrem erreicht, und seitdem<br />
findet bei der Einstellung zur Diversifizierung<br />
eine Gegenbewegung statt. Die zugrunde liegenden<br />
wirtschaftlichen Bedingungen haben sich jedoch<br />
nicht geändert.<br />
Welche Unternehmen diversifizieren erfolgreich?<br />
General Electric ist ein klassisches Beispiel. Das Unternehmen<br />
kombiniert kluge Ausgangsentscheidungen<br />
– Investitionen werden nur in Branchen getätigt,<br />
in denen das Unternehmen eine führende Position<br />
einnehmen kann – mit mehrwertschaffendem Management:<br />
Die Schulungs- und Leistungsbewertungspraktiken<br />
des Unternehmens stellen sicher,<br />
dass jede Führungskraft auch ein guter General<br />
Manager ist und ihre Kenntnisse von einem Unternehmen<br />
auf andere übertragen kann.<br />
Welche Rolle spielen Private-Equity-Fonds?<br />
Sie machen einen großen Teil aller heutigen Diversifizierungen<br />
aus. Zu ihren Strategien gehören<br />
sowohl Diversifizierungen in begrenzte Segmente<br />
(Fonds, die etwa nur in Infrastruktur, Energie oder<br />
Biotechnologie investieren) als auch Diversifizierungen<br />
in voneinander unabhängige Segmente.<br />
Diversifizieren sich Unternehmen heute eher in verwandte<br />
Segmente?<br />
Ich glaube, dass die meisten Diversifizierungen von<br />
Fonds auf voneinander unabhängige Segmente entfallen<br />
– die meisten von Unternehmen hingegen<br />
eher auf begrenzte Segmente.<br />
Gibt es Regionen, deren Unternehmen mehr als andere<br />
gewillt sind zu diversifizieren?<br />
Abgesehen von Fonds, entfällt ein Großteil der<br />
weltweiten Diversifizierung auf Unternehmen aus<br />
Schwellenmärkten in Asien oder Südamerika. Unternehmen<br />
in Volkswirtschaften mit ineffizienten Märkten<br />
können wertvolle innere Märkte für Kapital,<br />
Arbeitskräfte und Managementtalent aufbauen. Weil<br />
diese Unternehmen oft von Einzelpersonen oder Familien<br />
kontrolliert werden, bieten sie diesen die Möglichkeit,<br />
persönliche Investments zu streuen.<br />
Werden diversifizierte Unternehmen an den Aktienmärkten<br />
unterbewertet?<br />
Analysten spezialisieren sich häufig auf bestimmte<br />
Branchen. Das bedeutet, dass es ihnen oft gar<br />
nicht möglich ist, diversifizierte Unternehmen zu<br />
verstehen, weshalb sie diese niedriger bewerten.<br />
Außerdem gibt es zwei wirtschaftliche Argumente,<br />
die den Diversifizierungsabschlag erklären: imperiales<br />
Management und die Inkompetenz des Managements<br />
– weil es nach der Diversifikation Ressourcen<br />
ineffizient einsetzt. In beiden Fällen werden die<br />
Aktionäre als das Opfer gesehen, das den Preis für<br />
den Missbrauch oder die Fehler des Managements<br />
zu zahlen hat.<br />
Ist das ein Argument dafür, nicht zu diversifizieren –<br />
weil die Aktienmärkte die Regeln vorgeben?<br />
Ja, deshalb erfolgen heute in den USA die meisten<br />
Diversifizierungen durch Private-Equity-Firmen.<br />
BELÉN VILLALONGA ist<br />
Associate Professor im Finanzbereich<br />
an der Harvard Business<br />
School. Seit 2001 lehrt sie an der<br />
bekannten Business School Promovenden<br />
und MBAs und ist in der<br />
Executive Education tätig. Ihren<br />
Management-PhD machte sie an<br />
der University of California in Los<br />
Angeles. Einen PhD-Titel in Business-Economics<br />
erwarb sie an der<br />
Madrider Complutense-Universität.<br />
26 27
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
BUSINESS IM BILD<br />
Erweitere dein Leben!<br />
Vereinfacht gesagt, lautet das Prinzip der Diversifikation: Man suche sich neue<br />
Betätigungsfelder. Dies kann nicht nur Unternehmen, sondern auch Individuen<br />
befruchten. Wie kreative Köpfe ihr Leben erweitern, zeigen diese Fallbeispiele.<br />
[Der Oscar-Verächter]<br />
WOODY ALLEN<br />
Als Regisseur hat Woody Allen Millionen treuer<br />
Fans. Anders sieht die Sache aus, wenn er<br />
als Musiker auftritt. Dann ist dies ein intimer<br />
Moment: Gerade mal 90 Zuhörer passen in<br />
das Carlyle Cafe, den Club des gleichnamigen<br />
New Yorker Hotels.<br />
Seit Jahren gastiert Allen dort immer montags<br />
mit seiner siebenköpfigen New Orleans<br />
Jazz Band. Er selbst spielt Klarinette – ein<br />
Instrument, das ihn seit seinem 15. Lebensjahr<br />
begleitet. Der Regisseur gilt als ausge-<br />
zeichneter Musiker. Wer ihm zuhören will,<br />
muss auch gleich das Dinner in edlem Ambiente<br />
dazubuchen.<br />
So wichtig ist dem 72-Jährigen seine zweite<br />
Profession, dass er sogar große Feierlichkeiten<br />
dafür sausen lässt. Bei den Oscar-Verleihungen<br />
vermisst die Hollywood-Prominenz<br />
den Regisseur meist. Selbst 1978, als<br />
seine „Stadtneurotiker“ zwei der begehrten<br />
Trophäen erhielten, kam Allen nicht – er<br />
musste Klarinette spielen.<br />
[Die Überlebende]<br />
PETRA NEMCOVA<br />
Auf dem Laufsteg präsentiert Petra Nemcova<br />
einen Hauch von Wäsche und sehr viel nackte<br />
Haut. Wie viel Kraft in ihrem schlanken Körper<br />
steckt, zeigte das tschechische Topmodel,<br />
als es ums nackte Überleben kämpfte. Im<br />
Dezember 2004 gehörte Petra Nemcova<br />
im thailändischen Phuket zu den zahllosen<br />
Tsunami-Opfern. Geschlagene acht Stunden<br />
lang klammerte sie sich an eine Palme, um<br />
nicht in den Fluten unterzugehen. Schwer<br />
verletzt wurde sie gerettet.<br />
Diese Erfahrung hat sie offenbar nachhaltig<br />
geprägt. Von ihrem Glück jedenfalls möchte<br />
die heute 28-Jährige etwas weitergeben: mit<br />
der von ihr gegründeten „Happy Hearts“-<br />
Stiftung, die in Zusammenarbeit mit lokalen<br />
Hilfsorganisationen traumatisierte Waisen<br />
psychologisch betreut und Schulen in der<br />
Katastrophenregion baut. Seit 2005 ist die<br />
schöne Blondine hier aktiv am Ball. Ihre<br />
jüngste Spendengala in New York erbrachte<br />
Einnahmen von 3,2 Millionen Dollar.<br />
28 29
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
[Die Axt]<br />
VINNIE JONES<br />
Von Haus aus ist Vinnie Jones englischer<br />
Profifußballer. Er war weltberühmt wegen seiner<br />
Erfolge mit dem FC Wimbledon und dem<br />
FC Chelsea, berüchtigt wegen seiner ruppigen<br />
Spielweise. Jones hält den Weltrekord der<br />
schnellsten Gelben Karte im bezahlten Fußball<br />
– ganze drei Sekunden brauchte er. Sein<br />
Spitzname als Kicker: „Vinnie the Axe“.<br />
So charismatisch war seine Vorstellung auf<br />
dem Rasen, dass Regisseur Guy Ritchie ihm<br />
1998 anbot, in dem Film „Lock, Stock and Two<br />
Smoking Barrels“ mitzuspielen. Als Gehilfe<br />
eines Gangsterbosses verkörperte Jones –<br />
wen schon? – den Bad Guy. Offenbar überzeugend:<br />
Kritik und Publikum waren begeistert.<br />
Es folgte der viel beachtete Streifen<br />
„Snatch“. Und der Ex-Sportler gab wieder eine<br />
beeindruckende Vorstellung. Jones wurde<br />
überschüttet mit Preisen, spielte in „Mean<br />
Machine“ und „Passwort: Swordfish“. Zuletzt<br />
lieh er Kater Garfield seine Stimme. Katzen<br />
haben sieben Leben, Jones mindestens zwei.<br />
[Die mit dem Wolf spricht]<br />
HÉLÈNE GRIMAUD<br />
Hélène Grimaud ist eine der besten Pianistinnen<br />
der Welt. Doch das reicht ihr nicht. Wenn<br />
sie nicht durch die Konzerthallen der Welt<br />
tourt oder Bücher schreibt, verbringt sie die<br />
Zeit am liebsten in einer Wolfsaufzuchtstation<br />
nördlich von New York. Ihrer eigenen.<br />
Was sie da macht? Vor allem zuhören. „Mit<br />
einem wilden Tier muss man nach seinen<br />
eigenen Regeln kommunizieren. Es lehrt<br />
dich zuzuhören. Es bringt dir bei, sehr, sehr<br />
authentisch zu sein.“<br />
Die Grimaud betreibt ihr Wolfsgehege, seit sie<br />
bei einem Spaziergang einem domestizierten<br />
Wolf über den Weg lief. Das Refugium wirkt<br />
wie ihr Ausbruch aus der Welt der Musik – und<br />
ist wohl das Resultat einer Sucht nach einem<br />
möglichst intensiven Leben. „Das Einzige,<br />
wovon ich träumte“, schrieb sie kürzlich in<br />
einem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit,<br />
„war die Ausdehnung meines Selbst, eine<br />
Erweiterung meines Lebens.“ So lässt sich<br />
Diversifikation auch definieren.<br />
30 31
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
[Der Reiter auf vielen Hochzeiten] [Der Power-CEO]<br />
DENNIS HOPPER<br />
Dennis Hopper kann nichts dagegen tun:<br />
Auch wenn er immer wieder auf der Leinwand<br />
brilliert – sein berühmtester Film<br />
ist „Easy Rider“ aus dem Jahr 1969. In der<br />
Folgezeit machte er durch Alkohol und<br />
Drogen von sich reden. In der Filmbranche<br />
galt er als unberechenbar. Erst mit „Blue<br />
Velvet“ gelang 1986 sein Comeback als<br />
Hauptdarsteller. Feuilleton-Leser wissen,<br />
was dazwischen passierte: Hopper begann,<br />
Kunst zu sammeln. Außerdem foto-<br />
grafiert er selbst, malt und fertigt Collagen.<br />
Seine Werke sind weltweit zu sehen. Die<br />
jüngste Ausstellung hieß „The Art of Motorcycle“<br />
und fand in der Eremitage statt.<br />
Ob als Reminiszenz an alte Zeiten, PR-Gag<br />
oder aus Abenteuerlust: Dafür schwang<br />
sich der inzwischen 71-Jährige noch einmal<br />
in den Sattel und fuhr von St. Petersburg<br />
nach Moskau. Allerdings nicht auf einer<br />
Harley-Davidson, sondern etwas komfortabler<br />
mit einer BMW.<br />
VIJAY MALLYA<br />
Vijay Mallya liebt nicht nur sein Heimatland<br />
Indien, er hat auch ein untrügliches Gespür<br />
für wirtschaftliche Potenziale. Es ist daher<br />
wohl mehr als pure Symbolik, wenn der indische<br />
Bierbaron und Besitzer von Kingfisher<br />
Airlines nun anstrebt, die Formel 1 nach<br />
Indien zu holen. Seit zwei Jahren setzt er sich<br />
dafür ein – weil er glaubt, dass sich mit dem<br />
Rennsport in Indien Geld verdienen lässt.<br />
Mit dem Rennzirkus auf dem Subkontinent<br />
will Mallya, der Paradiesvogel unter Asiens<br />
CEOs, einmal mehr Lifestyle mit Mobilität<br />
verknüpfen. Der Entrepreneur und bekennende<br />
Party-Tiger kann als Insider die Begeisterungsfähigkeit,<br />
aber auch die Kaufkraft der<br />
aufstrebenden jungen Generation bestens<br />
einschätzen. In Bernie Ecclestone hat er<br />
einen mächtigen Verbündeten gefunden.<br />
Wirtschaftlicher Kooperationspartner ist<br />
Toyota. Wenn es nach Mallya geht, dann fällt<br />
der Startschuss für „Der Große Preis von<br />
Indien“ spätestens 2010.<br />
32 33
DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation<br />
34<br />
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Nähender Luxushotelier<br />
Ein Näher auf Abwegen: Der indische Textilexporteur Captain Krishnan Nair macht seit<br />
Jahren in der Hotelbranche von sich reden. Die Nähereien liefern das Kapital. Ein Fall, der<br />
zeigt: Diversifikation hat immer auch etwas mit Unternehmergeist zu tun.<br />
sCaptain Krishnan Nair hat Großes vor. Der<br />
Inder lässt gerade fünf Hotels in seiner Heimat<br />
bauen. Über 270 Millionen US-Dollar fließen in die<br />
Expansion. Wenn in drei Jahren der letzte neue<br />
Bau seine Pforten öffnet, wird Nair 2640 Zimmer zu<br />
vermieten haben – und zwar ausschließlich in der<br />
Luxusklasse. Eine bemerkenswerte Expansion: Denn<br />
eigentlich betreibt Nair Nähereien. Seine Firma Leela<br />
Lace ist der größte indische Exporteur von Kleidung<br />
in die USA. Schon bald, verspricht der Unternehmer,<br />
kommt ein zweiter Superlativ dazu: wenn Leela für die<br />
profitabelste und größte Luxushotelkette des Landes<br />
steht. Den Schritt vom Lieferanten für Polo Jeans,<br />
Tommy Hilfiger, Ralph Lauren und Co. zum Fünf-Sterne-Hotelier<br />
hatte Nair schon in den Fünfzigerjahren<br />
geplant – oder vielmehr nur erträumt.<br />
Denn die Idee, ein Hotel zu errichten, entstand<br />
keineswegs aus geschäftlichem Interesse: „Ich war<br />
damals mehrmals als Mitglied von Wirtschaftsdelegationen<br />
nach Europa gereist und hatte in den besten<br />
Hotels übernachtet“, erinnert sich der mittlerweile<br />
85-jährige, noch immer hochaktive Geschäftsmann.<br />
„Da wusste ich: Etwas Derartiges will ich auch in Indien<br />
bauen.“ So träumen echte Vollblutunternehmer.<br />
Seine Frau Leela, die dem Unternehmen den<br />
Namen gab, dämpfte zunächst noch die Euphorie. Er<br />
habe überhaupt keine Ahnung vom Hotelgeschäft,<br />
argumentierte sie – und zumindest einer in der Familie<br />
müsse erst einmal etwas darüber lernen. Das überzeugte<br />
den Boss. So schickte dieser Vivek, den Älteren<br />
der beiden Söhne, der sich gerade am Fashion<br />
Insitute of Technology in New York eingeschrieben<br />
hatte, kurzerhand auf die Cornell-Universität, wo der<br />
Sprössling Hotelmanagement studierte. Der jüngere<br />
Sohn Dinesh sollte derweil die Textilsparte führen.<br />
Vater Nair nutzte zwischenzeitlich das Kapital<br />
aus dem boomenden Bekleidungsgeschäft, um ein<br />
Grundstück in Mumbai, dem früheren Bombay, zu<br />
kaufen. Im wirtschaftlichen Zentrum des Subkontinents,<br />
in dem er bis heute auch fünf seiner 20 Kleidungsfabriken<br />
betreibt, eröffnete er schließlich 1986<br />
The Leela: sein erstes First-Class-Hotel für Geschäftsreisende,<br />
direkt am Flughafen der Metropole.<br />
Bald stellte sich heraus, dass sich mit Hotels<br />
offenbar nicht nur ein Traum erfüllen, sondern auch<br />
gutes Geld verdienen ließ. Und so errichtete Nair eine<br />
zweite Anlage am berühmten Strand von Goa – weil er<br />
hoffte, dass nach den Hippies bald zahlungskräftige<br />
Touristen die Region entdecken würden. Als auch diese<br />
Rechnung aufging, folgte sein vorläufiges Meisterstück:<br />
2001 eröffnete in Bengaluru, das als Bangalore<br />
und boomender IT-Outsourcing-Standort längst berühmt<br />
geworden ist, das dritte Haus der Leela-Kette:<br />
nicht weniger als der Nachbau eines Sultanspalastes,<br />
den der Unternehmer 100 Kilometer weiter südlich<br />
gesehen und bewundert hatte.<br />
IM SEITENFLÜGEL dieses prächtigsten Baus<br />
seiner Kette, zu der ein weiteres Strandhotel in Kerala<br />
gehört, betreibt Nair nebenbei auch noch die größte<br />
Mall der Stadt. Und während außerhalb der Hotelmauern<br />
Alkohol nur in kleinen Dosen und vor Sonnenuntergang<br />
zu haben ist – der Bundesstaat Karnataka<br />
bemüht sich um eine strikte Antidrogenpolitik –, führt<br />
der Küchenchef im Salonrestaurant der Klubgästeetage<br />
gern seine Sammlung edler Weine vor – und<br />
offeriert zum Hummerkrabbengang selbstverständlich<br />
ein Glas Champagner.<br />
Hinter der Palastfassade steckt Kalkül: Das<br />
Haus steht seit seiner Eröffnung in den Top-Zehn-<br />
Listen der weltbesten Geschäftshotels. Gerade wählten<br />
Leser des US-Magazins Condé Nast Traveller den<br />
Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />
Palast sogar auf Platz eins dieser Kategorie – vor Traditionsadressen<br />
wie Hotel George V in Paris, Park<br />
Hyatt in Tokio oder Four Seasons in New York. Zugleich<br />
kann Nair sich rühmen, das Hotel zu führen, das mit<br />
durchschnittlich 300 Euro pro Nacht den höchsten<br />
Zimmerpreis in ganz Indien verlangen kann. So steuert<br />
es rund die Hälfte zum Gesamtertrag der heutigen<br />
Leela-Hotelkette bei.<br />
UND DER PALAST verhalf dem Textilunternehmer<br />
zum großen Wurf im Beherbergungsgeschäft:<br />
Gemeinsam mit der Hotelgruppe Kempinski, die für<br />
ihr Indien-Geschäft mittlerweile ganz auf eine Kooperation<br />
mit Leela setzt und drei der heutigen sowie alle<br />
neuen Häuser managt, entstehen landesweit fünf<br />
zusätzliche Luxusherbergen – darunter gleich drei<br />
weitere Palastbauten.<br />
Unter dem gemeinsamen Firmendach sorgt<br />
derweil weiterhin der Textilexport von Leela Lace für<br />
den Grundstock zur Hotelexpansion. Genau darin liegt<br />
vermutlich der Schlüssel zu Nairs Diversifikationserfolg:<br />
Das laufende Geschäft, das 15 000 Mitarbeiter<br />
in 20 Fabriken betreiben, stützt das stark wachsende,<br />
aber auch kapitalintensive Engagement in der Hotelbranche.<br />
Das Brot-und-Butter-Geschäft befeuert die<br />
Luxusvisionen der Unternehmerfamilie.<br />
DASS DAS HOTELGESCHÄFT nun immer schneller<br />
wachsen wird, davon geht mittlerweile auch die<br />
US-Ratingagentur Standard & Poor’s aus. Sie hat<br />
Leela Venture in eine Liste von 300 mittelgroßen<br />
Firmen weltweit aufgenommen, denen man wegen<br />
ihres sprunghaften Wachstums zutraut, im globalen<br />
Wettbewerb künftig etablierte Konzerne anzugreifen.<br />
„Wir fühlen uns durchaus wohl in dieser Rolle“,<br />
sagt Captain Krishnan Nair. Schließlich handle er<br />
nach der Devise, die Dinge einmal gut zu machen –<br />
und dann immer wieder.<br />
Und das kann er nun bald schon außerhalb seines<br />
Heimatlandes. Kürzlich nämlich fragten gleich<br />
mehrere Hotelinvestoren aus dem Mittleren Osten an,<br />
ob Leela nicht in Abu Dhabi und Dubai für sie arbeiten<br />
wolle. Das passt bestens zu den jüngsten Plänen des<br />
Unternehmens: Nairs Söhne, die den Vorstand bilden,<br />
haben gerade entschieden, eine neue Tochterfirma zu<br />
gründen – und in Nahost zu investieren.<br />
CAPTAIN KRISHNAN NAIR<br />
ist das Paradebeispiel dafür, dass<br />
Diversifikation oft auch viel mit<br />
Unternehmergeist zu tun hat. Nair<br />
ist Textilunternehmer. Doch 1986<br />
eröffnete er sein erstes Luxushotel.<br />
Das Hotelbusiness expandiert<br />
heute und wurde von Standard &<br />
Poor’s in eine Liste künftiger Wachstumsfirmen<br />
aufgenommen. Doch<br />
mit 15 000 Mitarbeitern in 20 Fabriken<br />
bleibt das Kerngeschäft der<br />
Träger der Diversifikation.<br />
35
p industry-report<br />
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„Großmacht des Tourismus“<br />
: Als ich Anfang der Neunzigerjahre zum<br />
ersten Mal nach Sibirien reiste, schlug<br />
mich die Schönheit der Landschaft sofort in<br />
ihren Bann. Wie eine endlose Kette glitten<br />
die Wälder mit Birken, Tannen und Lärchen<br />
an mir vorbei. Hunderte von Seen glitzerten<br />
im Sonnenlicht. Ich dachte an den Schriftsteller<br />
Anton Tschechow. Er hatte über Sibirien,<br />
das sich 7000 Kilometer von Ost nach<br />
West und 3500 Kilometer von Nord nach Süd<br />
erstreckt, geschrieben: „Wo es endet, wissen<br />
nur die Zugvögel.“<br />
Auf dem Flug zurück nach Moskau sah ich<br />
aus dem Fenster auf die gewaltige Landmasse,<br />
und es reifte der Entschluss, dort unten<br />
einmal die Ferien mit Kind und Kegel zu<br />
verbringen. Das Problem dabei: Die unwirtlichen<br />
Ferienpensionate aus der Sowjetzeit<br />
sind oft das einzige Übernachtungsangebot<br />
– Symbol einer kaum existierenden<br />
touristischen Infrastruktur.<br />
Und wie ich halten es bis heute Millionen<br />
Russen. Nach dem Ende des Kommunismus<br />
nutzen sie gern die neue Freiheit, um ins<br />
Ausland zu reisen. Seit dem Wirtschaftsaufschwung<br />
haben immer mehr Bürger Geld<br />
dafür. Eine Mittelklasse entsteht. Die durchschnittlichen<br />
Jahreseinkommen sind auf<br />
rund 9000 Euro angewachsen. Für ihre<br />
Ferien flogen viele Russen bisher lieber in<br />
die Türkei oder nach Ägypten. Das war<br />
nicht nur billiger, sondern auch besser. Nach<br />
Ägypten etwa reisten im vergangenen Jahr<br />
erstmals mehr Touristen aus den Ländern<br />
der ehemaligen Sowjetunion als Deutsche.<br />
Die Zahl der Bewohner des Riesenlandes,<br />
die sich einen Ferientrip ins Ausland gönnen,<br />
schnellte im Jahr 2006 auf 14 Millionen<br />
industry-report f<br />
Jahrelang mieden Russen und Ausländer in Sachen Urlaub das Riesenreich. Nun investiert Moskau<br />
Milliarden in sieben Zielregionen. Der Leiter des Moskau-Büros des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“,<br />
Matthias Schepp, berichtet über ein Land in Erwartung des Touristenbooms.<br />
empor. Das ist ein enormer Zuwachs von<br />
rund 30 Prozent im Vergleich zum Ergebnis<br />
des Vorjahres.<br />
Dass aber auch Ferien und Urlaub im eigenen<br />
Land sich lohnen, davon wollen Tourismusexperten<br />
die Russen überzeugen. Sie<br />
wissen um die Chancen, die das Land bietet.<br />
„In ganz Russland ist das Potenzial für Tourismus<br />
bei Weitem nicht ausgeschöpft, die<br />
Voraussetzungen für einen Tourismusboom<br />
aber sind gut“, erklärt Wladimir Boruzkij<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> in Moskau.<br />
Russland, das sich über elf Zeitzonen erstreckt,<br />
gleicht einem Kontinent. Es ist<br />
eines der schönsten und vielfältigsten Reiseländer,<br />
gesegnet mit spektakulären Naturwundern<br />
und Perlen der menschlichen Zivilisation.<br />
St. Petersburg und Moskau haben<br />
sich zu dynamischen Metropolen von Weltrang<br />
entwickelt.<br />
MOSKAU UND PETERSBURG<br />
SIND AUF DEM WEG ZUM PARIS<br />
UND LONDON DES OSTENS<br />
Marco Fien, Direktor eines der sechs Moskauer<br />
Hotels der Marriott-Gruppe, sagt:<br />
„Dass in Russland ein neues Tourismuszeitalter<br />
anbricht, merken wir hier tagtäglich.<br />
Moskau und Petersburg etablieren sich auf<br />
einem Niveau mit London und Paris.“<br />
Besonders in Moskau haben es Hoteliers<br />
und Investoren derzeit gut getroffen. In der<br />
Stadt explodieren die Hotelpreise. Die<br />
Hauptstadt mit ihren 14 Millionen Einwohnern<br />
verfügt lediglich über 215 Hotels. In<br />
Paris mit knapp zwölf Millionen Einwohnern<br />
sind es 1500. Wegen dieses Defizits<br />
liegt der durchschnittliche Zimmerpreis in<br />
Moskau bei 200 Euro pro Nacht. Die Stadtregierung<br />
von Bürgermeister Jurij Luschkow<br />
hat deshalb ein Programm aufgelegt, das<br />
die Zahl der Hotels bis zum Jahr 2010 auf<br />
550 mehr als verdoppeln soll. Die Margen<br />
der Fünf-Sterne-Hotels sind die höchsten<br />
der Welt. Das Ritz-Carlton, das in diesem<br />
Sommer eröffnete, war bereits nach wenigen<br />
Wochen ausgebucht. Der Ausbau der touristischen<br />
Strukturen in den Metropolen ist<br />
aber nur der Anfang. Bei Marriott weiß man<br />
um die Schönheiten des Landes. Deshalb<br />
plane man, so Marriott-Direktor Fien, die Eröffnung<br />
von zehn Courtyard-Hotels im östlichen<br />
Teil des Riesenreichs.<br />
Mit der Wolga hat Russland den längsten<br />
Fluss und mit dem Elbrus den höchsten<br />
Berg Europas. Der Baikalsee ist das größte<br />
Binnengewässer der Welt. Und viele der reisefreudigen<br />
Russen warten nur darauf, im<br />
eigenen Land Urlaub zu machen. Dann müssen<br />
sie sich nicht mit Fremdsprachen herumschlagen<br />
und können sich in einer vertrauten<br />
Kultur erholen. Von der wachsenden<br />
Lust am Urlaub im eigenen Land zeugen<br />
auch die jüngsten Zahlen. Nach Angaben<br />
der Föderalen Agentur für Tourismus wuchs<br />
der nationale Tourismus 2006 um 15 Prozent<br />
auf knapp 25 Millionen Reisende an. Weltweit<br />
betrug die Zuwachsrate der Tourismusbranche<br />
nur vier Prozent.<br />
Das überzeugte die Politik in der Hauptstadt.<br />
Die Regierung, gewohnt, vorrangig<br />
auf die gewinnträchtige Rohstoffindustrie<br />
zu schauen, entdeckt nun den Tourismus<br />
als Wachstumssparte. Der stellvertretende<br />
Premierminister Sergej Naryschkin kündigte<br />
an, Russland zu einer „Tourismusgroß-<br />
Besucher des Strands von Morskoje auf der<br />
Kurischen Nehrung. Die zum UNESCO-Weltnaturerbe<br />
zählende Halbinsel gehört zur<br />
Region Kaliningrad (Königsberg). Deren<br />
Tourismusindustrie fördert die Regierung in<br />
Moskau mit einem Investitionsprogramm<br />
in Höhe von rund 70 Millionen Euro.<br />
36 37
p industry-report<br />
Das Skigebiet von Krasnaja Poljana im Westkaukasus ist Austragungsort der Biathlon-, Alpinski- und Skiflugwettbewerbe während der Olympischen Winterspiele 2014.<br />
Die schöne neue Konsumwelt der Edelboutiquen am Roten Platz in Moskau gegenüber dem Lenin-Mausoleum kündet von Aufbruch und befreitem Lebensgefühl.<br />
macht“ machen zu wollen. „Schon jetzt<br />
beobachten wir die Stärkung Russlands auf<br />
dem internationalen Tourismusmarkt“, ist<br />
Naryschkin zufrieden. Um den innerrussischen<br />
Tourismus zu fördern, hat die Regierung<br />
nun ein milliardenschweres Programm<br />
aufgelegt. Sie schuf sieben touristisch-freizeitorientierte<br />
Wirtschaftszonen (TWZ),<br />
deren Infrastruktur Moskau in den nächsten<br />
zehn Jahren mit 60 Milliarden Rubel (rund<br />
1,7 Milliarden Euro) auf die Sprünge helfen<br />
will. Bei der Vorstellung des TWZ-Projekts<br />
in Moskau betonte der damalige russische<br />
Wirtschaftsminister German Gref, dass in<br />
den TWZ, von denen einige in strukturschwachen<br />
Regionen liegen, nach Schätzungen<br />
seines Ministeriums mehr als 60 000<br />
Arbeitsplätze entstehen.<br />
Für die touristische Erschließung des Landes<br />
sind die Pläne schon ausgearbeitet. In<br />
Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro<br />
Albert Speer & Partner GmbH und der Agentur<br />
für Marketingkommunikation Abold<br />
haben Experten von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants im Auftrag der russischen Regierung<br />
ein TWZ-Entwicklungskonzept<br />
entworfen. Das Hauptaugenmerk gilt der<br />
Region am Schwarzen Meer rund um die Gebietshauptstadt<br />
Krasnodar. Durch die Vergabe<br />
der Olympischen Winterspiele 2014 nach<br />
Sotschi ist sie ins Blickfeld internationaler<br />
Baukonzerne und Hotelketten gerückt. „Die<br />
Olympiade wird dem Tourismus in Russland<br />
einen großen Schub bringen“, erklärt Wladimir<br />
Strschalkowski, als Chef der Föderalen<br />
Agentur für Tourismus Russlands oberster<br />
Tourismuspolitiker. „Für jeden Rubel, den<br />
der Staat investiert, fließen gleichzeitig<br />
20 Rubel aus der Privatwirtschaft.“<br />
DIE OLYMPISCHEN WINTERSPIELE 2014<br />
SIND EIN WICHTIGER IMPULS FÜR DIE<br />
ENTWICKLUNG DER SCHWARZMEERREGION<br />
Sotschi mit seinen 200 Sonnentagen im Jahr,<br />
von Moskau aus in zwei Flugstunden zu<br />
erreichen, erlebt einen Bauboom. So soll<br />
bald eine Fünf-Sterne-Herberge das älteste<br />
Hotel am Platz, die 1909 erbaute und von<br />
Lenin in ein Sanatorium umgewandelte<br />
„Kaukasische Riviera“, ersetzen. Und anstelle<br />
des „Moskau“, eines elfstöckigen Betonklotzes,<br />
planen die Stadtoberen ein Luxusresort<br />
mit Kasino. 35 Kilometer vor der Stadt, in<br />
Krasnaja Poljana, entstehen die Anlagen der<br />
Winterspiele.<br />
Schon heute überzeugt die Schwarzmeerküste<br />
mit ihrer Länge von 740 Kilometern<br />
und dem gebirgigen Hinterland des Kaukasus<br />
als attraktive Ganzjahres-Ferienregion.<br />
Mit zehn Millionen Gästen kommt inzwi-<br />
schen ein Drittel aller Inlandstouristen in<br />
die Gegend rund um Krasnodar, die Zahl<br />
soll in den nächsten Jahren auf 17 Millionen<br />
steigen. Die Region verzeichnet ein hohes<br />
Wirtschaftswachstum und freut sich über<br />
einen Anteil von elf Prozent aller innerrussischen<br />
Investitionen. Dies wird nur von<br />
den Boomstädten Moskau und Petersburg<br />
übertroffen.<br />
Das größte Projekt ist deshalb in dieser<br />
Wachstumszone geplant, in Anapa an der<br />
Schwarzmeerküste. Auf 780 Hektar soll,<br />
nur 25 Kilometer vom nächsten Flughafen<br />
entfernt, eine Ferienlandschaft im mediterranen<br />
Stil entstehen, deren Resorts und<br />
Hotels es in Qualität und Service mit den<br />
Konkurrenten in Griechenland, Zypern und<br />
der Türkei aufnehmen können. „Nowaja<br />
Anapa“ bietet einen sieben Kilometer langen<br />
Strand. In einer nahen Lagune ist eine<br />
Marina mit Jachtklub geplant, ein womöglich<br />
hochprofitables Unterfangen. Bisher<br />
gibt es an der russischen Schwarzmeerküste<br />
zu wenig Liegeplätze für die ständig<br />
wachsende Zahl von Booten und Jachten.<br />
Der Ort soll 360 000 Erholungsuchende pro<br />
Jahr anziehen.<br />
In einer der reizvollsten Landschaften Sibiriens,<br />
dem Altai-Gebirge, sind zwei TWZs<br />
geplant. Das Projekt Birjusowaja Katun setzt<br />
Badegäste an einem der Strände des Kur- und Badeortes Sotschi. Die Stadt der Olympischen Winterspiele 2014 liegt am Schwarzen Meer und ist teilweise auf die Ausläufer<br />
des Kaukasus-Massivs gebaut. Blick auf den Baikalsee in Südsibirien, den mit 1637 Metern tiefsten und mit 25 Millionen Jahren ältesten Süßwassersee der Welt.<br />
auf Eco- und Extremtouristen und soll die<br />
erhofften <strong>11</strong>5 000 Gäste pro Jahr mit Raftingtouren,<br />
Skisportarten, Bergsteigen, Mountainbiking<br />
und Paragliding überzeugen. Die<br />
zweite Planung betrifft die Region Gornij<br />
Altai und ist auf Familien ausgerichtet.<br />
Eltern und ihr Nachwuchs entspannen sich<br />
dort in einem Klubhotel, Bungalows und<br />
Apartments, die sich an einen künstlichen<br />
See schmiegen. Per Flugzeug dauert die<br />
Anreise von Moskau nach Gornij Altai wie<br />
auch Birjusowaja Katun rund vier Stunden.<br />
In Bijsk, rund 90 Kilometer entfernt, ist der<br />
nächste Regionalflughafen. Der bisher eher<br />
ländliche Airport soll, so ein ehrgeiziges<br />
Lufttransportprogramm aus der Regierungszentrale,<br />
bis 2010 massiv für den Lufttransport<br />
ausgebaut werden.<br />
ANGEBOTE WIE EXTREMBERGSTEIGEN<br />
UND FAMILIENURLAUB SOLLEN VIELFÄLTIGE<br />
BESUCHERINTERESSEN ABDECKEN<br />
Für die vierte TWZ in und um Kaliningrad,<br />
das ehemalige Königsberg, zählen die Tourismusplaner<br />
nicht nur auf russische Reisenden,<br />
sondern vor allem auch auf Gäste aus<br />
Deutschland. Die Zentralregierung in Moskau<br />
will die Freizeitindustrie in der Region mit<br />
2,5 Milliarden Rubel fördern, umgerechnet<br />
rund 70 Millionen Euro. Der Großteil dieser<br />
Mittel soll bis zum Jahr 2013 freigegeben<br />
werden. Kaliningrad besticht durch attraktive<br />
Ostseestrände. Die Kurische Nehrung, ein<br />
98 Kilometer langer Landstreifen, von dem<br />
heute 46 Kilometer zu Russland gehören,<br />
besteht aus riesigen Wanderdünen. Sie<br />
trennt das Kurische Haff, ein Binnengewässer,<br />
von der Ostsee. Der russische Teil ist<br />
bisher touristisch wenig erschlossen. Viele<br />
Kaliningrader haben hier ihre Wochenendhäuschen.<br />
Jüngst hat in den Nehrungsdörfern<br />
eine rege Bautätigkeit eingesetzt,<br />
Russen errichten Ferienhäuser. Im Jahr 2000<br />
wurde die Kurische Nehrung, benannt nach<br />
dem baltischen Volksstamm der Kuren, von<br />
der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. In<br />
dieser TWZ soll ein nobler Ferienort für bis<br />
zu 60 000 Besucher im Jahr entstehen. Ein<br />
Fünf- und ein Vier-Sterne-Komplex sollen<br />
Kunden mit attraktiven Wellness- und Anti-<br />
Aging-Programmen anlocken. Und am Haff<br />
planen die Experten ein kurisches Dorf –<br />
mit Shops, Cafés und Restaurants, angepasst<br />
an die Freizeitbedürfnisse im 21. Jahrhundert.<br />
Dazu gehört auch ein Pier als Anlegestelle<br />
für edle Jachten.<br />
Als Wirtschaftsminister Gref das Programm<br />
zur Förderung der touristischen Infrastruktur<br />
vorstellte, freute ich mich, dass auch der<br />
Großraum um den Baikalsee unter den Ziel-<br />
gebieten war. Geformt wie eine Banane,<br />
erstreckt sich der Baikalsee 636 Kilometer<br />
von Nord nach Süd. Er ist 60 Kilometer breit<br />
und bis zu 1700 Meter tief und birgt ein<br />
Fünftel aller Süßwasservorräte der Erde,<br />
mehr als die Ostsee Wasser hat.<br />
Ich habe die Gegend mehrfach bereist. Zum<br />
Beispiel begleitete ich 1996 eine Oldtimerrallye.<br />
Damals herrschte bei den meisten<br />
Menschen in Russland Endzeitstimmung.<br />
Heute sind die Zeichen des Fortschritts<br />
unübersehbar: Die Straßen haben weniger<br />
Löcher, die Menschen sind besser gekleidet<br />
und haben ein Lächeln im Gesicht. Und<br />
in den Hotels ziehen die Insekten aus und<br />
mehr und mehr ausländische Geschäftsleute<br />
und russische Touristen ein. Ferienheime<br />
mit bröckelnden Fassaden, die Namen wie<br />
Dynamo und Rotfront tragen, warten auf<br />
die Abrissbirne. Ihre Nachfolger sind schon<br />
am Entstehen: schmucke Hotels in Privatbesitz<br />
– Boten der neuen Zeiten.<br />
MATTHIAS SCHEPP, 43, Leiter des Moskauer<br />
„Spiegel“-Büros, berichtet seit 20 Jahren aus Russland.<br />
Von 1998 bis 2005 arbeitete er in China und<br />
Amerika. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch<br />
„Von Peking nach Berlin. <strong>11</strong> 000 Kilometer auf<br />
Nachbauten der legendären BMW R 71“. Es schildert<br />
insbesondere die Reise durch Russland.<br />
38 39
p industry-report<br />
Beton-Olympioniken<br />
Peking rüstet auf für Olympia. Baumeister des Booms: der staatliche Baukonzern China State<br />
Construction Engineering. Er profitiert vom China-Boom und seiner internationalen Stärke. Im Jahr<br />
2008 will CSCEC per Börsengang zum globalen Giganten werden.<br />
: Bei den Arbeitern und Ingenieuren auf<br />
den Baustellen der olympischen Wettkampfstätten<br />
heißt der Baugigant einfach<br />
nur „China State“. Hinter dem Kürzel verbirgt<br />
sich die China State Construction<br />
Engineering Corp. (CSCEC). Erst 1982<br />
gegründet, spiegelt das Unternehmen die<br />
rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas<br />
wider. Die zunehmende Liberalisierung,<br />
Internationalisierung und höhere Transparenz<br />
der chinesischen Wirtschaft ermöglich-<br />
ten China State eine Traumkarriere. Lag vor<br />
25 Jahren der Geschäftsumsatz bei rund<br />
500 Millionen Dollar, betrug dieser 2005<br />
schon 14 Milliarden Dollar. Ein Schwergewicht<br />
mehr im immer stärker globalisierten<br />
Baugeschäft.<br />
Das CSCEC-Wachstum ist dabei eng mit<br />
dem Boom der chinesischen Wirtschaft verknüpft,<br />
der das Land zur viertstärksten<br />
Wirtschaftsmacht der Welt und zu einem<br />
Motor des globalen Wachstums gemacht<br />
hat. So überrascht es nicht, dass es kaum<br />
große Bauprojekte ohne China-State-Beteiligung<br />
gibt. Besonders prestigeträchtig: die<br />
Wettkampfstätten für die Olympischen<br />
Sommerspiele 2008.<br />
CSCEC ist ein Alleskönner unter den Betongestaltern:<br />
vom Wohnungs- und Straßenbau<br />
über Spezialistenjobs wie die Überdachung<br />
des neuen Olympiastadions oder die<br />
Testeinrichtung für die vertikale Raketenmontage<br />
im Shenzhou Space Center. Aber<br />
Die Sporthalle der Universität Peking. Der Bau ist<br />
Schauplatz des olympischen Badmintonwettbewerbs<br />
und der rhythmischen Sportgymnastik.<br />
Arbeiter am „Wasserwürfel“, wie das olympische Schwimmstadion auch genannt wird. Der spektakuläre Bau schimmert im Azurblau des nassen<br />
Elements, die strukturierte Außenhülle des Quaders soll Luftblasen im Wasser darstellen.<br />
auch Avantgardebauten wie den Hongkonger<br />
Flughafen Chek Lap Kok des Stararchitekten<br />
Sir Norman Foster führt CSCEC aus.<br />
Bei solchen Arbeitsproben überrascht es<br />
nicht, dass China State für den Weg zum<br />
globalen Baukonzern im kommenden März<br />
einen Teil ihrer Aktien auf dem offenen<br />
Markt emittieren will. Sun Wenje, CEO und<br />
Präsident von CSCEC, gibt die Regionen vor,<br />
in denen China State dies umsetzen will:<br />
„Unsere drei Hauptmärkte sind Afrika, Südund<br />
Ostasien und die Vereinigten Staaten.“<br />
CSCEC PROFITIERT VOM WACHSTUM DER<br />
CHINESISCHEN WIRTSCHAFT UND EINER<br />
STARKEN POSITION IN ASIEN UND AFRIKA<br />
Schon heute sorgen Asien und Afrika für<br />
70 Prozent des Gesamtauftragsvolumens.<br />
Hilfreich sind da die engen Beziehungen<br />
Chinas zu afrikanischen Ländern. Der rohstoffhungrige<br />
Industriesektor Chinas<br />
braucht die Bodenschätze aus Afrika. Weil<br />
es dem asiatischen Land vor dem Wirtschaftsboom<br />
an Devisen mangelte, baute<br />
China State Construction viele Straßen, Fußballstadien,<br />
Krankenhäuser und Schulen im<br />
Gegenzug für Erdöl, Erdgas und andere<br />
Rohstoffe. Im Asien-Geschäft helfen CSCEC<br />
die engen kulturellen Verbindungen zwischen<br />
China und seinen Nachbarn. Die chinesische<br />
Diaspora ist über ganz Südostasien<br />
verteilt und der Konzern an vielen solchen<br />
Projekten beteiligt, beispielsweise in Vietnam<br />
und Indonesien<br />
Vom Erfolg künden auch harte Wirtschaftszahlen.<br />
2006 schaffte das Unternehmen –<br />
vier Jahre früher als geplant – den Sprung<br />
unter die Forbes Fortune Global 500 und<br />
belegte dort Platz 486. Doch Herr Sun will<br />
mehr: „Die Aufnahme in die Global-500-<br />
Liste ist nicht alles. Wir werden weiter nach<br />
oben klettern. Unser nächstes Ziel ist es, zu<br />
den zehn stärksten internationalen Baufirmen<br />
der Welt zu gehören.“ Und so wird<br />
CSCEC nach dem Willen ihres Chefs bis<br />
2010 fünf Prozent der weltweiten Bauaufträge<br />
ausführen, die internationalen Aktiva<br />
machen dann 30 Prozent des Gesamtvermögens<br />
aus, und 30 Prozent aller Mitarbeiter<br />
sitzen in den weltweiten Niederlassungen.<br />
CSCEC ist auf dem besten Weg. Die Branchenbibel<br />
„Engineering News Record“<br />
(ENR), die anders als die Forbes-Liste nur<br />
Baukonzernze erfasst, listete schon 2005<br />
China State auf Platz zwölf der globalen<br />
ENR-Hitliste, letztes Jahr gar auf dem siebten<br />
Rang. Der Umsatz aus seinem internationalen<br />
Geschäft belief sich 2005 auf 3,5 Milliarden<br />
Dollar, ein Plus von 12,9 Prozent<br />
gegenüber dem Jahr davor. Die Gewinne<br />
aus dem Auslandsgeschäft stiegen 2005 auf<br />
280 Millionen Dollar, und der Auftragswert<br />
des Auslandsgeschäfts lag im selben Jahr<br />
bei 4,4 Milliarden Dollar.<br />
Aber auch Olympia ist ein Wachstumstreiber<br />
für das Unternehmen. Wenn am 8. August<br />
2008 die Spiele eröffnet werden, haben<br />
die CSCEC-Trupps spektakuläre Olympiabauten<br />
erschaffen: das olympische<br />
Schwimmstadion, das olympische Tenniszentrum,<br />
die Schießanlage oder die Halle<br />
für die Tischtenniswettbewerbe. Die Olympiaerfahrung<br />
dürfte für China State ein<br />
gewichtiger Pluspunkt im Wettbewerb um<br />
die nächsten Großaufträge für eine Weltveranstaltung<br />
sein: die Expo 2010 in Shanghai.<br />
DIE OLYMPIA-PATRIOTEN<br />
Neben den zu erwartenden Firmenriesen<br />
aus Europa und den USA sponsern<br />
auch chinesische Unternehmen die<br />
Spiele im eigenen Land.<br />
BANK OF CHINA<br />
Das Finanzinstitut ist eine der zehn bekanntesten<br />
Marken Chinas. Die Spiele sponsert<br />
die Bank of China zusammen mit dem Kreditkartenanbieter<br />
Visa. Ziel ist es, neben<br />
dem Imagegewinn vor allem die Popularität<br />
der Bezahlkarten zu fördern. Bisher nutzen<br />
Chinesen das Plastikgeld kaum.<br />
SOHU<br />
Der Webspezialist Sohu.com ist Anbieter von<br />
Onlinediensten, Web-2.0-Tools und Content<br />
für Mobilfunk wie Internetsuchmaschine,<br />
Mapping-Provider und Spieleportal. Sohu<br />
wird die offizielle Website des Olympischen<br />
Organisationskomitees BOCOG – www.<br />
beijing2008.com – aufbauen, hosten und<br />
betreiben. Mit anderen Medienunternehmen<br />
will Sohu gemeinsam ein breites Spektrum<br />
an digitalem Medien-Content zu den Weltspielen<br />
anbieten.<br />
CHINA MOBILE<br />
China Mobile ist der führende Mobilfunkanbieter<br />
des Landes. Durch die Unterstützung<br />
der Spiele will das Unternehmen seine Position<br />
auf dem expandierenden chinesischen<br />
Handymarkt weiter festigen. Der Sponsoringvertrag<br />
sieht vor, dass China Mobile<br />
Mobilfunkleistungen für die Olympischen<br />
Sommerspiele 2008 wie auch für die Paralympischen<br />
Spiele, für das Olympische Organisationskomitee<br />
(BOCOG) und das Chinesische<br />
Olympische Komitee bereitstellt.<br />
41
p industry-report<br />
Schwierige Mauersprünge<br />
Die Chinesen kommen, raunen die Europäer. Die Europäer kommen, raunen die Chinesen.<br />
Beides stimmt – und doch ist die wirtschaftliche Expansion in die neue Welt nicht immer einfach.<br />
Zwei aktuelle Studien zeigen, wie der Grenzübertritt dennoch gelingt.<br />
China lockt. Doch das Land macht es europäischen Investoren nicht<br />
immer leicht. Den Ausländern im Reich der Mitte erschweren allerdings<br />
nicht das undurchsichtige Behördendickicht, unklare Verordnungen oder tarifäre Handelshemmnisse ihre<br />
Geschäfte. Dies ergab eine Umfrage der Europäischen Handelskammer in Peking und von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants unter gut 200 europäischen Firmen in China. Für drei Viertel der Firmen sind die mangelnde Transparenz<br />
und Widersprüche zwischen Regularien verschiedener Behörden das größte Problem, und sie stufen dies als<br />
sehr bedeutendes oder bedeutendes Geschäftshindernis ein. Auf Platz zwei der Hindernisliste folgt der unzureichende<br />
Schutz geistigen Eigentums. Trotz allem: China bleibt attraktiv. Das Land ist ein Investitionsmagnet. Nach Großbritannien<br />
und den USA fließen in die Volksrepublik die meisten Auslandsinvestitionen, mit einem globalen Anteil von acht<br />
Prozent. 2006 zog China gut 63 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen an. „Wer in seinem Sektor führend bleiben will,<br />
muss heute in China sein“, sagt Charles-Edouard Bouée, Managing Director von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> in China.<br />
Immer noch strömen scharenweise China-Neulinge ins Land und konkurrieren sowohl miteinander als auch mit den zunehmend<br />
starken lokalen Unternehmen. „Europäische Firmen schlagen sich gut in einem zunehmend wettbewerbsintensiven<br />
Geschäftsumfeld“, bilanziert Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer. 59 Prozent der Unternehmen verdienen<br />
laut der Umfrage mindestens genauso gut wie in anderen Ländern, 61 Prozent schreiben schwarze Zahlen.<br />
69 Prozent wollen ihre Aktivitäten durch weitere Investitionen ausbauen. Und das, so Wuttke, obwohl sich das regulative Umfeld<br />
nicht verbessert habe. China halte etwa an Beteiligungsobergrenzen bei Anteilskäufen oder dem Zwang zu Mindestanteilen lokaler<br />
Fertigung (Local Content) fest. Manche Sektoren wie Automobilindustrie oder Windenergie berichten gar über wachsende Anforderungen<br />
zur Lokalisierung der Teileproduktion. Zudem ist laut Wuttke weiter eng definiert, in welchen Sektoren Investitionen<br />
erwünscht sind. „Es gibt keine größeren Veränderungen beim Zugang zum Markt in regulierten Sektoren wie Transport oder Stromerzeugung“,<br />
berichtet auch Siemens-China-Chef Richard Hausmann. Der Konzern kann oftmals nicht direkt an öffentlichen Ausschreibungen<br />
teilnehmen, sondern muss dies über lokale Partner tun. Siemens wird etwa als Technologiepartner und Sublieferant lokaler Firmen um<br />
die Wagen für die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Peking und Shanghai mitbieten. Manchmal gewährt China Marktzugang<br />
nur gegen Technologietransfer.<br />
Peking setzt zudem stärker als früher auf den Aufbau eigener weltmarktfähiger Konzerne. Selbst Käufe kleiner Anteile an chinesischen<br />
Firmen gelten als politisch sensibel. 2005 blockierte Peking die Übernahme eines Bauausrüsters durch den US-Konzern Carlyle.<br />
2007 scheiterte Carlyle erneut – diesmal mit dem Versuch, acht Prozent an einer Bank im südwestchinesischen Chongqing zu<br />
kaufen. An den Chancen und Potenzialen von Chinas gigantischem Absatzmarkt kommt dennoch niemand vorbei. 61 Prozent der<br />
Befragten investierten in China, um ihre Produkte vor Ort besser vermarkten zu können, weitere 24 Prozent folgten vor allem<br />
ihren Kunden. China als Billiglohnland verliert jedoch an Bedeutung: Nur sieben Prozent nannten Kosten als Hauptgrund für<br />
ihr Investment. Zumal die Ausgaben in China steigen. Löhne und Rohstoffkosten kletterten seit drei Jahren zweistellig, so<br />
Andy Xie, Ökonom in Shanghai. „Hinzu kommt der stärkere Renminbi. All das macht das Umfeld für Direktinvestitionen<br />
härter.“ Eine der größten Herausforderungen sei zudem, ein zu China passendes Geschäftsmodell zu entwickeln, sagt<br />
Bouée. So kauften viele Konsumenten westliche Produkte zum ersten Mal. Die Märkte in den 28 Provinzen unterschieden<br />
sich stark. Von Ausländern angeheuerte Topmanager seien zudem noch nie zuvor Geschäftsführer gewesen. Der<br />
begrenzte Talentpool des Landes ist ein generelles Problem. „Vielfach ist es schwieriger, gute Manager zu halten, als<br />
sie zu finden“, erklärt Bouée. Die Firmen geben daher viel Geld aus für Boni oder Fortbildungsprogramme. Doch das<br />
vergrößert die Gesamtzahl an Spitzenkräften im Land nicht.<br />
Generell seien reale Direktinvestitionen von Firmen, die im Land langfristig produzieren wollten – anders als reine<br />
Finanzinvestments – in China noch immer sehr willkommen, sagt Xie. „Die Regionen sind aber wählerisch geworden.<br />
Wer in Shanghai ein Stahlwerk bauen will, wird dort nicht enthusiastisch empfangen werden“, betont der<br />
Ökonom. Über einen Investor für eine Halbleiterfirma würde sich Shanghai dagegen „sicher sehr freuen“.<br />
industry-report f<br />
NACH 0STEN NACH WESTEN<br />
Fünf Jahre – so lange brauchte der chinesische Autobauer Chery<br />
nur, um aus der Nische in die Spitzengruppe der Autoanbieter im<br />
Land vorzurasen. Erst 2001 erhielt der chinesische Automobilhersteller eine landesweite Verkaufslizenz. Seit 2006<br />
zählt das Unternehmen nach Verkäufen zu den fünf größten Pkw-Produzenten des Landes – und brach damit als<br />
erster Lokalmatador in die Phalanx der dominierenden Auslandsmarken ein.<br />
Jetzt geht es für Unternehmen wie Chery darum, nicht nur auf den Weltmärkten Fuß zu fassen, sondern echte Weltstandards<br />
zu setzen. Chinas Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht habe eine „wachsende Gruppe chinesischer Unternehmen“<br />
hervorgebracht, die das Potenzial haben, sich innerhalb der kommenden Dekade zu Global Players zu entwickeln,<br />
urteilt die aktuelle Studie „China goes West“ von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants. So wie Chery. In China kam der Markt<br />
für ultragünstige Kleinwagen durch den Erfolg von Cherys Miniauto QQ überhaupt erst in Gang. Längst drängt die Firma<br />
auch in andere Länder. In Russland etwa ist die Marke etabliert.<br />
Der starke Fokus auf Forschung und Entwicklung lockt Partner. Eine strategische Kooperation mit Chrysler soll den Chinesen<br />
Zugang zum US-Markt verschaffen. Im Gespräch ist auch, dass Chery für Chrysler Autos baut. Und Italiens Fiat unterzeichnete<br />
im August einen Vertrag für den Kauf von jährlich über 100 000 Pkw-Motoren. Chinas Integration in die Weltwirtschaft sei ein „klarer<br />
Trend“, der sich weiter beschleunigen werde, prophezeit die Studie.<br />
Noch steckt die Expansion im internationalen Vergleich allerdings in den Kinderschuhen. Der Anteil chinesischen Kapitals an den<br />
weltweit getätigten Auslandsinvestitionen lag 2005 bei lediglich 1,5 Prozent. Das meiste Geld haben bislang Chinas Rohstoff- und<br />
Energiekonzerne in Auslandsmärkte injiziert. Um die Versorgungssicherheit der Volksrepublik zu sichern, haben sie in Zentralasien,<br />
Lateinamerika oder Afrika mit Milliardeninvestments Ölfelder, Minen und Förderunternehmen akquiriert.<br />
Für Chinas Unternehmen wird es zunehmend wichtig, sich durch den Gang über die Grenze neues Wachstumspotenzial zu erschließen.<br />
Ihr Heimatmarkt zeigt zum Teil Sättigungstendenzen. Und dorthin strömende internationale Wettbewerber machen ihn immer enger.<br />
Aber: Leicht ist die Expansion nicht. „Nur Unternehmen mit klaren, fokussierten Strategien, starker Umsetzungsfähigkeit und substanziellem<br />
internationalen Geschäfts-Know-how können die Früchte ernten“, bilanziert die Studie von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />
Nicht immer gelingt die Expansion. Der südchinesische Konzern TCL brachte sich mit dem Kauf des französischen TV-Geräte-Produzenten<br />
Thomson und der Handysparte von Frankreichs Alcatel selbst in Schwierigkeiten. Die erhofften Synergieeffekte blieben aus.<br />
Die chinesischen und französischen Managementteams arbeiteten eher gegen- als miteinander. „Die Chinesen neigen bei Übernahmen<br />
dazu, die Kulturunterschiede zu unterschätzen“, sagt Nandani Lynton, Vice-President for Executive Education in Asia bei der<br />
internationalen Managementschule Thunderbird.<br />
TCL hat die Produktion in Europa mittlerweile weitgehend eingestellt. Weil die Zukäufe Ressourcen aufzehrten, geriet die Firma<br />
zeitgleich in ihrer Heimat ins Wanken, hinkte bei der Entwicklung von Flachbildschirmen und kreativen Handys hinterher –<br />
und verlor deutlich Marktanteile.<br />
Für viele chinesische Unternehmen ist der Mangel an international erfahrenen Managern und Markterfahrung ein entscheidender<br />
Hemmschuh beim Erobern der Weltmärkte. Das Gleiche gilt laut der Studie für unzureichende F&E-Investitionen.<br />
Dass sich Know-how-Investitionen auszeichnen, demonstriert Huawei. Der Telekommunikationsausrüster, Sieger beim<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>-Wettbewerb „Most Globally Competitive Chinese Companies“, hat seinen Jahresumsatz von 2002 bis 2006<br />
auf elf Milliarden US-Dollar mehr als vervierfacht. Statt auf Übernahmen setzt die Firma auf organisches Wachstum. Um<br />
nah am Kunden und seinen Anforderungen zu sein, hat das Unternehmen eigene F&E-Labors in Indien, den USA und<br />
Europa gegründet. Aber: Der Huawei-Weg in die Globalisierung ist bislang die Ausnahme. Weil es viel Zeit kostet,<br />
Marke, Produktion und Vertrieb im Ausland selbst aufzubauen, sind Übernahmen die bevorzugte Expansionsstrategie.<br />
Beim deutschen Investitionsförderer „Invest in Germany“ schätzt man, dass Chinesen sich bereits in mehr als<br />
200 deutsche Unternehmen eingekauft haben. Das chinesische Logistikunternehmen LinkGlobal Logistics kaufte<br />
sich im deutschen Parchim gleich einen eigenen Flughafen.<br />
42 43
p industry-report<br />
44<br />
Aus Gejagten werden Jäger<br />
In Lateinamerika wachsen multinationale Konzerne heran. Die „Multilatinas“ kaufen Konkurrenten<br />
in Nordamerika und Europa. Die längste Wachstumsphase des südlichen Kontinents hat sie stark und<br />
angriffslustig gemacht. Weiteres Plus: Ihre Manager sind erschwerte Bedingungen gewöhnt.<br />
: Es begann im vergangenen Jahr und hört<br />
seitdem nicht mehr auf: Lateinamerikanische<br />
Konzerne gelangen immer öfter<br />
durch Übernahmen auf die Titelseiten der<br />
Wirtschaftspresse. Den Auftakt machte der<br />
brasilianische Eisenerzkonzern Companhia<br />
Vale do Rio Doce (CVRD) im August 2006.<br />
Für rund 18 Milliarden Dollar übernahm<br />
CVRD-Chef Roger Agnelli den kanadischen<br />
Nickelproduzenten Inco. Heute sind die Brasilianer<br />
weltweit die Nummer eins unter<br />
den Eisenerzproduzenten – ein wichtiger<br />
Rohstoff für die Stahlherstellung.<br />
Ähnlich erfolgreich beförderte Lorenzo<br />
Zambrano, CEO und Teilhaber des mexikanischen<br />
Zementriesen Cemex, sein Unternehmen<br />
an die Spitze: 13 Milliarden Dollar<br />
zahlte er für den australischen Baumaterialanbieter<br />
Rinker. Weil Cemex schon Milliarden<br />
in Europa investiert hatte, wurden die<br />
Mexikaner durch den Deal zur Nummer<br />
drei der Zementbranche.<br />
Was CVRD und Cemex schon geschafft haben,<br />
will auch die brasilianische Petrobras<br />
erreichen. Den Ölkonzern führt José Sérgio<br />
Gabrielli als CEO. Er investiert intensiv in<br />
die Exploration in Nigeria, Argentinien und<br />
dem Golf von Mexiko. 2020, so das Gabrielli-<br />
Ziel, soll Petrobras unter den fünf führenden<br />
Ölfördergesellschaften der Welt zu finden<br />
sein. Schon heute zählt die Aktie der<br />
Ölgesellschaft zu den wichtigsten ausländischen<br />
Titeln an der Wall Street.<br />
Multinationale Konzerne aus Lateinamerika,<br />
kurz Multilatinas, werden zunehmend<br />
zu Konkurrenten für Westunternehmen.<br />
Der Grundstein für den Boom wurde in den<br />
Neunzigerjahren gelegt. Ausländische Konkurrenz<br />
setzte damals die Lateinamerikaner<br />
CEMEX<br />
Vom mexikanischen Monterrey aus leitet Lorenzo<br />
Zambrano den drittgrößten Zementkonzern der<br />
Welt mit einer Mischung aus Bodenständigkeit,<br />
modernstem Hightech und unternehmerischer<br />
Aggressivität. Zwei Drittel seines Umsatzes macht<br />
Cemex inzwischen im Ausland. Schon seit 1991<br />
sind die weltweiten Filialen online miteinander<br />
verbunden. Zementmischer werden per Satelliten<br />
zu den Baustellen dirigiert. Als einer der Ersten<br />
spürt Zambrano, dass in den Emerging Markets<br />
Zement nicht gleich Zement ist. „Wir arbeiten in<br />
Vertrieb und Marketing sowie beim Aufbau unserer<br />
Marken wie ein Produzent von Konsumartikeln“,<br />
verrät Zambrano seinen Ansatz.<br />
v Cemex-Laster warten auf ihre Ladung in einer<br />
Zementfabrik in Mexiko-Stadt<br />
stark unter Druck. Die Folge: Der Anteil an<br />
Staatsfirmen wurde massiv zurückgefahren.<br />
Lokale Investoren bauten starke Unternehmen<br />
auf. Entstanden sind damit wettbewerbsfähige<br />
Player, die sich von Anfang an<br />
auf ungeschützten Märkten behaupten<br />
mussten. Die dynamischsten wandelten sich<br />
zu den Multilatinas von heute.<br />
ALLE MULTILATINAS SAMMELN<br />
KRÄFTE FÜR IHR GLOBALES WACHSTUM<br />
DURCH ÜBERNAHMEN IN DER REGION<br />
Für die Entwicklung zum globalen Schwergewicht<br />
trainierten sich viele Lateinamerikaner<br />
zu Hause die nötigen Muskeln durch<br />
Fusionen in der Region an. Danach gingen<br />
sie zur globalen Conquista über. OECD-<br />
Chefökonom Javier Santiso: „Zuerst erhöhen<br />
sie ihren Absatz im Ausland drastisch. Dann<br />
folgt die Übernahme strategischer Vermögenswerte<br />
im Ausland.“ Wie stark die Latinas<br />
heute sind, zeigt ihr Auslandsumsatz. So<br />
erwirtschafteten die in der Rangliste América<br />
Economía aufgeführten mexikanischen<br />
Unternehmen 47 Prozent ihres Umsatzes im<br />
Ausland, Brasilianer 39 Prozent.<br />
Möglich wurde der Siegeszug made by<br />
CVRD, Cemex & Co. laut einer Studie der<br />
Deutschen Bank Research neben dem<br />
Wachstum in großen Heimatmärkten und<br />
preiswerten Ressourcen auch dank der Manager<br />
zwischen Rio Grande und Feuerland.<br />
„Die Beispiele zeigen, dass man mit Mut<br />
weltweit eine Spitzenposition erreichen<br />
kann“, so die Autoren von DB Research. Inflation,<br />
Abwertung, Rezession und Boom<br />
wechselten sich bis vor Kurzem noch alle<br />
halbe Jahre munter ab. Zwar haben sich<br />
inzwischen die Rahmenbedingungen stabilisiert.<br />
Das unternehmerische Umfeld ist<br />
aber immer noch eine Herausforderung.<br />
Mit oft fehlender Rechtssicherheit, starken<br />
Interessengruppen, Korruption und Kriminalität,<br />
unzureichender Infrastruktur sowie<br />
abrupten Ideologiewechseln in den Regierungen<br />
müssen die CEOs dort umgehen.<br />
Vor genau diesem Hintergrund bilden sich<br />
in Lateinamerika besondere Managementtalente<br />
heraus. Die hohe Volatilität fördert<br />
sowohl die Entscheidungsfreude als auch<br />
die Fähigkeit, konsequent die Gunst der<br />
jeweiligen Stunde zu nutzen, meint Mauro<br />
Guillen, Strategieprofessor an der Wharton<br />
Business School.<br />
Davon profitierte beispielsweise der brasilianisch-belgische<br />
Brauriese Inbev. Als die<br />
belgische Interbrew mit dem brasilianischen<br />
Konkurrenten Ambev fusionierte, wollten<br />
die Belgier vor allem nicht nur Fuß fassen<br />
auf einem der wichtigsten Biermärkte welt-<br />
industry-report f<br />
CVRD<br />
Als die CVRD vor zehn Jahren privatisiert wurde,<br />
war sie ein konturloser Staatsbetrieb. Der Investmentbanker<br />
Roger Agnelli machte den Konzern in<br />
kürzester Zeit zum größten Eisenerzlieferanten<br />
der Welt – und bewies damit das richtige unternehmerische<br />
Gespür: Seit 2001 steigen die Preise<br />
für Eisenerz rasant. Und ein Ende der Hausse<br />
ist nicht vor 2010 zu erwarten. Agnelli nutzt die<br />
sprudelnden Milliardengewinne, um den Konzern<br />
auf das Ende des Aufschwungs vorzubereiten:<br />
Er kauft den Nickelproduzenten Inco, investiert<br />
weltweit in Kohlebergwerke und beteiligt sich<br />
an Stahlschmelzen.<br />
v Die Goro-Nickelmine in Neukaledonien soll im<br />
Jahr 2009 ihre Produktion aufnehmen und jährlich<br />
bis zu 60 000 Tonnen Nickel fördern<br />
weit – vor allem das Know-how des brasilianischen<br />
Konkurrenten interessierte sie.<br />
Denn die Brasilianer brauen, vertreiben<br />
und verkaufen den Gerstensaft weltweit am<br />
profitabelsten.<br />
Ihr Erfolgsgeheimnis: Effizienz. Bei Ambev<br />
teilten sich CEO und CIO den Schreibtisch,<br />
Papier war rationiert. Verkäufer fuhren graue<br />
Autos. Es ist die günstige Farbe beim Fahrzeugkauf<br />
im sonst so bunten Brasilien. Dieser<br />
Geist herrscht jetzt auch bei Inbev – brasilianische<br />
Manager haben inzwischen in der<br />
belgischen Konzernzentrale das Sagen. Vom<br />
CEO Carlos Brito abwärts sind die meisten<br />
Führungspositionen mit Brasilianern besetzt.<br />
Die belgischen Besitzer beschränken sich<br />
heute auf eine stille Teilhabe – und freuen<br />
sich über steigende Renditen.<br />
Grundlage der beginnenden weltweiten<br />
Expansion der Multilatinas sind ihre Erfolge<br />
auf heimischen Märkten. Hier kommt ihnen<br />
neben der günstigen Kostenstruktur auch<br />
ihre kulturelle Kenntnis der Konsumentenbedürfnisse<br />
zugute. OECD-Mann Santiso<br />
zufolge können Unternehmen aus Entwicklungsländern<br />
deshalb häufig „Produkte und<br />
Services anbieten, die einfacher zu bedienen<br />
sind und effizienter vertrieben werden<br />
als jene der Konkurrenz aus dem Westen“.<br />
Weil solche Unternehmen nicht nur in<br />
45
p industry-report<br />
46<br />
Lateinamerika selbst zu finden sind, sondern<br />
auch in Ländern wie Ägypten oder der<br />
Türkei, sieht Santiso als starke Wettbewerber<br />
der Multilatinas auch Unternehmen wie<br />
Indiens Bajaj, Orascom Telecom aus Ägypten<br />
oder die türkische Sabanci Holding.<br />
Den Aufschwung der Südamerikaner stoppen<br />
werden aller Voraussicht nach aber<br />
auch sie nicht. Bei den rund zwei Dutzend<br />
derzeitigen Multilatinas wird es nicht<br />
bleiben. Dafür sorgen laut Deutsche Bank<br />
Research auch zyklische Faktoren. Starke<br />
Wechselkurse sorgen für ein günstiges<br />
Klima. Weitere Anschubhilfe geben die seit<br />
fünf Jahren steigenden Rohstoffpreise.<br />
Das hat den chronischen Krisenkontinent<br />
in überraschend kurzer Zeit stabilisiert.<br />
Seit 2002 nehmen die Exporte jährlich zu<br />
und bescheren Lateinamerika zum ersten<br />
Mal seit drei Dekaden wieder eine positive<br />
Leistungsbilanz. Darüber hinaus füllen<br />
sie die Devisenkassen, stärken die Währun-<br />
EMBRAER<br />
In nur zehn Jahren wuchs der brasilianische Flugzeugbauer<br />
Embraer zum Konkurrenten von Airbus<br />
und Boeing heran (siehe Interview Seite 47).<br />
Den Brasilianern gelang es, die Europäer und<br />
Nordamerikaner gleich mehrfach abzuhängen. Ihr<br />
Rezept: Sie brachten die richtigen Modelle zum<br />
besten Zeitpunkt auf den Markt. Mit der 50-sitzigen<br />
ERJ-145 leiteten sie beispielsweise den weltweiten<br />
Boom der Regionalfliegerei ein. Bei den<br />
Flugzeugen mit bis zu <strong>11</strong>8 Passagieren ist<br />
Embraer mit seinen E-Jets bis heute konkurrenzlos.<br />
Jetzt soll eine neue Generation von Businessjets<br />
neue Märkte erschließen und erobern.<br />
Der Legacy 600, die Businessjet-Variante des k<br />
Regionalfliegers ERJ-145. Die Jets gehören zu den<br />
meistproduzierten Regionalflugzeugen der Welt.<br />
gen – und damit den Heimatmarkt eines<br />
möglichen Neukonzerns. Eine wichtige<br />
Voraussetzung für den Schritt zur Multilatina-Organisation,<br />
die dann zum globalen<br />
Sprung ansetzen kann. So glaubt auch<br />
Patrice Etlin vom Private-Equity-Fund<br />
Advent, dass die Übernahmen by Multilatina<br />
noch lange anhalten werden: „Die<br />
Mergers & Acquisitions-Welle kommt jetzt<br />
erst richtig in Bewegung.“<br />
DIE ZAHLEN BEI GEWINN,<br />
PRODUKTIVITÄT, UMSATZ PRO MITARBEITER<br />
UND KAPITALRENDITEN STEIGEN RASANT<br />
Diese Sicht stützen die neuesten Investitionszahlen.<br />
2006 begannen lateinamerikanische<br />
Unternehmen mit ihren massiven<br />
Auslandsinvestments, bis heute rund 43 Milliarden<br />
Dollar. Brasiliens Unternehmen<br />
engagierten sich damit erstmals mehr im<br />
Ausland als ausländische Konzerne im Land.<br />
Im vergangenen Jahr haben die Unterneh-<br />
men so viel verdient wie noch nie. So schossen<br />
die Gewinne der 500 größten Unternehmen<br />
gegenüber dem Rekordjahr 2005 noch<br />
einmal um 43 Prozent nach oben. Zudem<br />
konnten sie ihre Produktivität in den letzten<br />
Jahren mächtig steigern. Der Umsatz pro<br />
Mitarbeiter unter den 500 größten Konzernen<br />
hat sich seit 2004 verdoppelt. Und auch<br />
die Renditezahlen verbesserten sich im<br />
vergangenen Jahr weiter: Die Eigenkapitalrendite<br />
(ROE) stieg auf 18,5 Prozent – von<br />
14,8 Prozent im Jahr 2005 –, die Gesamtkapitalrendite<br />
(ROA) kletterte von 5,9 Prozent<br />
auf 7,4 Prozent. Die UN-Wirtschaftskommission<br />
für Lateinamerika, Cepal, rechnet vor,<br />
dass die Wirtschaft der Region in diesem<br />
Jahr um fünf Prozent und 2008 um 4,6 Prozent<br />
wachsen wird.<br />
Das Multilatina-Wachstum profitiert derzeit<br />
vor allem von der Nachfrage aus Asien. Die<br />
meisten Volkswirtschaften Lateinamerikas<br />
taugen als perfekte Zulieferer für Fernost.<br />
Denn der Doppelkontinent liefert die meisten<br />
industriellen Rohstoffe, fast alle weltweit<br />
gehandelten Agrarprodukte und exportiert<br />
neben Öl und Gas zunehmend auch<br />
alternative Treibstoffe. Brasilien (Eisenerz,<br />
Soja), Argentinien (Soja, Weizen, Mais) und<br />
Chile (Kupfer) bedienen fast im Alleingang<br />
die zusätzliche Nachfrage des boomenden<br />
China auf den Weltrohstoffmärkten. „Kein<br />
Kontinent ist weltweit besser geeignet, den<br />
Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten<br />
zu begleiten, als Südamerika“, weiß der<br />
Investmentbanker Walter Molano von BCP<br />
Sec. in den USA.<br />
WE STARK SIND DIE<br />
BRIC-STAATEN WIRKLICH?<br />
WIE LANGE HÄLT IHR BOOM AN?<br />
Nicht umsonst zählt Brasilien neben Russland,<br />
Indien und China zu den vier Emerging<br />
Markets, denen die Investmentbank<br />
Goldman Sachs unter dem Label BRIC-Staaten<br />
das größte Wachstumspotenzial weltweit<br />
zutraut. Wobei man sagen muss, dass<br />
momentan bei Experten eine gewisse Skepsis<br />
gegenüber der uneingeschränkten BRIC-<br />
Euphorie der vergangenen Jahre einzieht.<br />
Sollte sich der Boom jedoch fortsetzen, glauben<br />
Betrachter, dass die aufstrebenden<br />
Staaten im globalen Konzert jeweils ganz unterschiedliche<br />
Rollen einnehmen: Danach<br />
ist Indien die Innovationsfabrik, China die<br />
Werkhalle, Russland die Zapfsäule – und<br />
Brasilien das Rohstofflager.<br />
Mexiko ist die Volkswirtschaft, der die Goldman-Sachs-Volkswirte<br />
am ehesten zutrauen,<br />
einmal ähnlich bedeutend zu werden wie<br />
diese großen vier der Emerging Markets.<br />
Mexiko und Brasilien zusammen machen<br />
mehr als zwei Drittel der Wirtschaftskraft<br />
der Region aus. Ihre Ökonomien sind auch<br />
am weitesten diversifiziert – mit einem<br />
hohen Industrieanteil. Unter den 500 größten<br />
Konzernen der lateinamerikanischen<br />
Landmasse kommen allein 207 aus Brasilien,<br />
<strong>11</strong>1 aus Mexiko.<br />
THINK: ACT Fast alle Ihre Konkurrenten<br />
haben bei dem Versuch aufgegeben, sich<br />
in der Luftfahrtbranche neben Airbus<br />
und Boeing zu positionieren. Was hat<br />
Embraer besser gemacht?<br />
FREDERICO FLEURY CURADO Uns ist es gelungen,<br />
zwei Kulturen erfolgreich zu vereinen:<br />
die solide Ingenieurbasis aus eigener Forschungstradition<br />
zum einen und aggressives<br />
unternehmerisches Denken zum anderen.<br />
Das zusammen gab uns die Sicherheit für die<br />
richtigen strategischen Entscheidungen. Die<br />
sind in der Flugbranche überlebenswichtig.<br />
Embraer wuchs in den letzten zehn Jahren<br />
durchschnittlich um 65 Prozent pro<br />
Jahr. Können Sie das durchhalten?<br />
Je größer wir werden, umso schwieriger wird<br />
das. Der Markt ist nicht unendlich groß.<br />
In zehn Jahren haben wir unseren Personal-<br />
Für die Expansion der Konzerne ins Ausland<br />
ist es wichtig, dass sie sich für ihre Investitionen<br />
erstmals auf die in- und ausländischen<br />
Finanzmärkte stützen können: Banken,<br />
Fonds und Großinvestoren räumen den<br />
Multis aus Lateinamerika wegen der Aussicht<br />
auf gute Geschäfte fast unbegrenzten<br />
Kredit ein. Und bei den zahlreichen Börsengängen<br />
der letzten zwei Jahre haben ausländische<br />
Investoren die Kurse nach oben<br />
industry-report f<br />
FREDERICO FLEURY CURADO<br />
(47) ist seit April 2007 CEO des Flugzeugbauers<br />
Empresa Brasileira de Aeronáutica S.A.<br />
(Embraer). Der Luftfahrtingenieur verantwortete<br />
davor acht Jahre lang als Executive<br />
Vice President das zivile Luftfahrtgeschäft<br />
des Unternehmens.<br />
„Unternehmerisch<br />
aggressiv denken!“<br />
Frederico Fleury Curado, Embraer-CEO, über Erfolgsgeschichten<br />
aus Lateinamerika und die Aussichten des Flugzeugbauers<br />
stand von 3000 auf 24 000 Mitarbeiter ausgeweitet.<br />
Würden wir so weiterwachsen, hätten<br />
wir in zehn Jahren 200 000 Beschäftigte.<br />
Ihr Erfolg lockt neue Wettbewerber an.<br />
Zweifellos wird der Druck erheblich zunehmen.<br />
Aber das dauert noch. Sukhoi aus Russland<br />
kommt 2010 auf den Markt, die Chinesen<br />
vielleicht 2012, Mitsubishi noch später.<br />
Können Sie sich vorstellen, künftig auch<br />
außerhalb Brasiliens zu produzieren?<br />
Wir haben ja in China bereits eine Fabrik,<br />
die inzwischen gut ausgelastet ist. Wir<br />
schließen also neue Standorte nicht grundsätzlich<br />
aus. Denn die Welt globalisiert<br />
sich. Unsere heutige Fertigungsstruktur ist<br />
ausreichend für die nächsten Jahre. Was<br />
nach 2010 geschehen wird, das müssen wir<br />
dann neu analysieren.<br />
getrieben. Die Privatkonzerne Lateinamerikas<br />
gelten als kleineres Investitionsrisiko im<br />
Vergleich zu vielen Konkurrenten aus den<br />
Emerging Markets: Sie sind traditionell<br />
wegen der begrenzten lokalen Finanzierungsmöglichkeiten<br />
wenig verschuldet.<br />
Außerdem sind die großen Multilatinas<br />
meist transparent geführt und haben ihre<br />
Aktien oft in den USA gelistet – das schafft<br />
Vertrauen bei Anlegern.<br />
47
p industry-report<br />
48<br />
ZUKUNFTSMÄRKTE<br />
Äcker entwickeln Eigenschaften von Schwämmen. Straßenasphalt absorbiert Smog. Magneten<br />
treiben Bohrer an. Laser revolutionieren den Markt für Fernsehgeräte.<br />
schwamm für den acker<br />
70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs gehen<br />
auf das Konto der Landwirtschaft. Gesteigert werden kann<br />
der Anbau von Getreide, Gemüse oder Obst nur dann,<br />
wenn das vorhandene Wasser effizienter genutzt wird.<br />
Beispielsweise, indem man die Verdunstung verhindert.<br />
Genau dabei helfen soll die „Biomembran“, die norwegische<br />
Forscher entwickelt haben.<br />
Das Pulver aus Seetang, Fischgräten und Hühnermist<br />
wird in Wasser gelöst und die Lösung auf dem Feld versprüht,<br />
wo sie in eine Tiefe von rund zehn Zentimetern<br />
bis zu den Wurzeln der Pflanzen sickert. Dort trocknet<br />
sie zu einer gummiartigen Substanz, die Feuchtigkeit<br />
immer wieder aufnehmen und damit länger im Boden<br />
halten kann. Wie ein Schwamm saugt die Biomembran<br />
eindringendes Wasser dort auf, wo die Pflanzen es<br />
brauchen, und sorgt auf diese Weise dafür, dass es ihnen<br />
länger zur Verfügung steht.<br />
Darüber hinaus lässt sich die Membran mit weißen<br />
Pigmenten anreichern, die nicht im Boden versickern, sondern<br />
auf der Oberfläche des Ackers liegen bleiben. Sie<br />
reflektieren das Licht, bevor es sich in der Erde in Wärme<br />
verwandeln kann, und halten die Temperaturen im<br />
Erdboden dadurch niedrig. „Ein 50 Grad heißer Boden, auf<br />
dem so gut wie nichts wächst, lässt sich auf diese Weise<br />
bis auf 30 Grad kühlen und kann dann als Ackerfläche<br />
genutzt werden“, sagt Torleiv Bilstad, Professor an der<br />
Universität von Stavanger.<br />
Die Folge: Die Produktivität in der Landwirtschaft<br />
steigt, während sich die Verwüstung ganzer Landstriche<br />
verlangsamt. Schließlich gehen weltweit laut UNO jährlich<br />
sechs Millionen Hektar an Ackerboden verloren –<br />
mehr als die Fläche Kroatiens.<br />
strassen mit öko-lunge<br />
Mumbai, Tokio, Mexiko-Stadt. Immer mehr Metropolen<br />
leiden unter Dauersmog. Der katalytische Asphalt, den italienische<br />
Ingenieure entwickelt haben, könnte den Nebel<br />
lichten. Der Belag sieht aus wie ganz normaler Asphalt,<br />
wird aber mit einer rund zwei Millimeter dicken Schicht<br />
eines patentierten Mörtels bestrichen. Der Clou daran: Der<br />
Mörtel enthält Quarzpartikel und andere fotokatalytische<br />
Substanzen und kann Autoabgase absorbieren.<br />
An der Oberfläche der Partikel stoßen Licht und Luft<br />
einen oxidativen Prozess an, der organische und anorganische<br />
Substanzen wie Stickoxide und Polykondensate sowie<br />
Benzole und Kohlenmonoxid zunächst transformiert und<br />
dann zersetzt. Die italienische Autobahngesellschaft hat den<br />
katalytischen Asphalt an einigen Mautstellen bereits getestet.<br />
Das Resultat: Smogreduzierungen von bis zu 60 Prozent<br />
sind möglich. Das Wissenschaftsinstitut Consiglio<br />
Nazionale delle Ricerche (CRN) stellte durch mehrwöchige<br />
Tests sogar fest, dass die Abgase in direkter Nähe des<br />
Asphalts bei Windstille fast komplett zersetzt werden.<br />
Autoabgasentwicklung in Europa<br />
1995 2003 Veränderung<br />
Pkw-Verkehr (in Mrd. Personen-km) 3819 4444 16,4 %<br />
Autobahnstrecken (in km) 47 376 58 248 22,9 %<br />
Quelle: EU-Stat für EU-25-Länder<br />
verschleissfreie rotation<br />
Qualität und Präzision einer Bohrung hängen nicht<br />
zuletzt von der Geschwindigkeit ab, mit der gebohrt wird.<br />
In der Autoindustrie etwa werden daher Bohrungen mit<br />
Drehzahlen von bis zu 50 000 Umdrehungen pro Minute<br />
durchgeführt. Das Problem dabei: Die Getriebe der Schleifmaschinen<br />
halten dieses Tempo nicht lange durch.<br />
laser-tv<br />
Wer dachte, LCD-Monitore wären das Nonplusultra der<br />
Fernsehelektronik, muss womöglich umdenken. Die Zukunft,<br />
glauben Experten, gehört dem laserbasierten Fernsehen.<br />
Bisher galten rote, grüne oder blaue Laser als ineffizient. Bei<br />
gleichem Energieeinsatz strahlen die Halbleiter-Lichtquellen<br />
zwar kräftiger, allerdings nur im unsichtbaren Infrarotbereich.<br />
Doch nun hat die Forschung einen neuen Hoffnungsträger.<br />
Lithiumniobat nennt sich die Substanz, die voller<br />
mikroskopisch kleiner Dipol-Antennen steckt. Diese lassen<br />
sich durch Laserlicht so anregen, dass sie die Frequenz in<br />
den sichtbaren Bereich verschieben. Damit ist der entscheidende<br />
Schritt zum Laser-TV gelungen.<br />
Die Elektronikfirmen arbeiten bereits an Geräten auf<br />
Laserbasis. So stellte die Firma Arasor International Anfang<br />
2007 auf der International Electronics Show in Las Vegas<br />
einen Prototyp mit hochauflösender 50-Zoll-Bildschirmdiagonale<br />
vor. Sony zeigte sogar ein 55-Zoll-Gerät, das auch<br />
noch rank und schlank daherkommt.<br />
industry-report f<br />
Modell eines Magnetgetriebes inklusive<br />
magnetischer Feldlinien<br />
Gemeinsam mit den Esslinger Index-Werken hat das<br />
Institut für Theorie der Elektrotechnik (ITE) der<br />
Universität Stuttgart daher ein Getriebe entwickelt, bei<br />
dem die Kraftübertragung über magnetische Kräfte erfolgt.<br />
Vorteil: Das Magnetgetriebe arbeitet praktisch verschleißfrei.<br />
Den Kern bildet ein Rotor, der – wie bei einem Elektromotor<br />
– von einem Magnetfeld angetrieben wird. Die Stärke<br />
des Magnetfelds lässt sich durch einen zweiten Rotor regulieren<br />
– und zwar so, dass sich der erste Rotor schneller<br />
dreht als der zweite. Daraus ergibt sich eine Drehzahlübersetzung,<br />
die sich für ein Getriebe nutzen lässt. Die praktische<br />
Konstruktion scheiterte bislang daran, dass es nicht möglich<br />
war, die übertragbaren Kräfte genau vorherzusagen. Nun<br />
gelang es den Wissenschaftlern, die Algorithmen so weit zu<br />
vereinfachen, dass Magnete und Magnetfelder berechnet<br />
und visualisiert werden können.<br />
Weltweite TV-Geräte-Produktion<br />
2007: 173 Millionen Einheiten<br />
20<strong>11</strong>: 189 Millionen Einheiten<br />
(68 Prozent davon mit hochauflösenden Bildschirmen)<br />
Quelle: Gartner<br />
49
p business-culture<br />
50<br />
Selbermachen lohnt sich<br />
: Jack Welch liebte es, in die Grube hinabzusteigen.<br />
„The Pit“, die Grube, so nannte<br />
der ehemalige Chef des US-Konzerns General<br />
Electric (heute GE) den großen Hörsaal<br />
im konzerneigenen Fortbildungszentrum<br />
Crotonville. Alle zwei Wochen trat Managementlegende<br />
Welch dort vor rund 100 Spitzenmanagern<br />
auf. Sie nutzten die Chance,<br />
ihren Boss mit kritischen Fragen zu löchern.<br />
Der hielt sich ebenfalls nicht zurück und<br />
watschte auch schon mal Untergebene vor<br />
versammelter Runde ab.<br />
AUS ALLER WELT FLIEGT<br />
GE FÜHRUNGSTALENTE INS<br />
SCHULUNGSZENTRUM NACH CROTONVILLE<br />
Ähnlich hält es Welchs Nachfolger Jeff<br />
Immelt heute. Die zweistündigen Auftritte<br />
ihres CEO sind der Höhepunkt der Kurse,<br />
die Führungskräfte und High Potentials des<br />
Konzerns regelmäßig in Crotonville belegen<br />
müssen. Aus der ganzen Welt reisen sie an<br />
und wohnen mehrere Tage lang in einem<br />
der rund 200 eher einfachen Zimmer. Tagsüber<br />
belegen sie Seminare, nehmen an<br />
Workshops und Diskussionsrunden teil und<br />
hören Vorträge. Abends essen sie gemeinsam<br />
in den Speiseräumen der Anlage.<br />
Der Lehrplan ist streng. Nur folgerichtig<br />
also, dass der US-Konzern seine Fortbildungseinrichtung<br />
„Corporate University“<br />
nennt.<br />
Unis mit Firmenlogo sind inzwischen in vielen<br />
Unternehmen in Mode. Mehr als 100 dieser<br />
firmeneigenen Ausbildungszentren gibt<br />
es allein in Europa. Organisiert sind sie im<br />
Netzwerk „European Corporate Learning<br />
Forum“. Auch US-Firmen wie American<br />
Express, Dell, Oracle, Microsoft oder McDonald’s<br />
haben mittlerweile eigene Unis.<br />
Nur wenige Unternehmen aber praktizieren<br />
die permanente Fortbildung seiner Managementtalente<br />
so konsequent wie GE. Rund<br />
eine Milliarde Dollar jährlich lässt sich das<br />
Unternehmen seine Mitarbeiterfortbildung<br />
jährlich kosten. Allein stehen die Amerikaner<br />
mit ihrem Engagement aber längst nicht<br />
mehr. Einer Studie der Harvard Business<br />
School zufolge betrachten die Führungsetagen<br />
global agierender Unternehmen die<br />
Pflege des Managementnachwuchses inzwischen<br />
als wichtigstes Thema auf ihrer<br />
Tagesordnung. Und das aus gutem Grund.<br />
Denn die Entwicklung neuer Führungstalente<br />
kann über die Zukunft entscheiden.<br />
„Unternehmen, die besonders erfolgreich<br />
agieren, produzieren nicht nur Güter oder<br />
Dienstleistungen – sondern auch ihr eigenes<br />
Topmanagement“, sagt David Day, Professor<br />
an der Singapore Management University.<br />
Die Firmen stünden dabei vor der klassischen<br />
Make-or-buy-Frage. Immer mehr<br />
sagen heute: make.<br />
Zwar existieren keine umfassenden quantitativen<br />
Untersuchungen, die etwa die<br />
Ersparnis einer internen Managerausbildung<br />
gegenüber der Suche auf dem Markt<br />
firmenübergreifend beweisen. Dennoch ist<br />
offensichtlich: Immer mehr Unternehmen<br />
sehen in der eigenen Managerausbildung<br />
eine Waffe im War for Managementtalent.<br />
Hintergrund: Die Anforderungen an Spitzenmanager<br />
sind in den vergangenen Jahrzehnten<br />
extrem gestiegen. Die Topleute<br />
business-culture f<br />
Die Erwartungen an Topmanager der globalisierten Wirtschaft sind hoch: in multinationalem Umfeld<br />
unter extremem Zeitdruck Antworten auf komplexe Fragen geben. Solche Spitzenkräfte sind auf dem<br />
Arbeitsmarkt schwer zu bekommen. Deshalb investieren Unternehmen massiv in Leistungsträger.<br />
müssen in unübersichtlichen, dynamischen<br />
Geschäftsfeldern rasch die richtigen Antworten<br />
auf komplexe Fragestellungen geben,<br />
und das in multinationalen Teams. Auf<br />
dem Arbeitsmarkt sind die dabei gefragten<br />
Multitalente selten kurzfristig zu bekommen.<br />
„Unternehmen werden heute nicht<br />
mehr von einem Mangel an Geld in der Expansion<br />
gebremst, sondern von einem Mangel<br />
an gut ausgebildeten Arbeitskräften“,<br />
urteilt Geoff Colvin vom Fortune Magazine.<br />
INTERNE FÜHRUNGSPROGRAMME<br />
SIND TEUER, ABER EINE<br />
INVESTITION IN DIE ZUKUNFT<br />
Billig sind die Ausbildungsprogramme<br />
nicht. Doch die Investition lohnt sich, glaubt<br />
Alfonso Zulaica, verantwortlich für Corporate<br />
Culture bei der spanischen Finanzgruppe<br />
BBVA. „Langfristig zahlt sie sich aus.“<br />
BBVA bringt ihre wichtigsten 2000 Manager<br />
unter anderem mit einer Firmenuni und<br />
einem ausgefeilten Bewertungsprogramm<br />
auf Vordermann. „Exakt gegeneinander abwägen<br />
lassen sich die Kosten für den externen<br />
Einkauf und die interne Aus- und Fortbildung<br />
eines Topmanagers zwar nicht“, sagt<br />
Zulaica. Dafür seien die Lebensläufe, Fachkenntnisse<br />
und damit verbundenen Kosten<br />
der Mitarbeiter zu unterschiedlich. Aber das<br />
hauseigene Training sorge für mehrere positive<br />
Effekte, die sich nicht mit Geld kaufen<br />
ließen – und stärke damit die Wettbewerbsfähigkeit<br />
gegenüber Konkurrenten, die vorrangig<br />
Führungskräfte einkaufen.<br />
Vor allem ermögliche ein gezieltes Programm<br />
zur Führungskräfteentwicklung<br />
51
p business-culture business-culture f<br />
52<br />
eine harmonische Kultur und klare strategische<br />
Ziele im gesamten Unternehmen.<br />
Schließlich müsse man den Managern nicht<br />
erst mühsam die Werte und Strategien des<br />
Unternehmens vermitteln, erklärt Zulaica.<br />
Zugleich können Unternehmen mit eigenen<br />
Nachschubprojekten frei werdende Managerposten<br />
schneller wieder besetzen. Und<br />
noch etwas spricht für das Investment in die<br />
Köpfe: Nach einer guten Ausbildung bleiben<br />
die Topleute aus Loyalität länger im Unternehmen.<br />
„Wir betrachten das Geld, das wir<br />
für unser Ausbildungsprogramm ausgeben,<br />
daher als Investition und nicht als Kosten“,<br />
sagt Zulaica.<br />
DIE WEITERBILDUNG DER<br />
SPITZENMANAGER MUSS VON<br />
GANZ OBEN GELENKT WERDEN<br />
Doch damit eine Talentpipeline zuverlässig<br />
für brauchbaren Managementnachwuchs<br />
sorgt, muss sie nach Einschätzung von David<br />
Day intern ernst genommen werden.<br />
Talentmanagement muss Chefsache sein, so<br />
Day. Die oberste Führungsebene muss sich<br />
also persönlich um die werdenden Spitzenkräfte<br />
kümmern. Das bestätigt auch eine<br />
Studie der Human-Resources-Experten<br />
Hewitt Associates und RBL sowie dem Fortune<br />
Magazine. Sie haben bei weltweit<br />
530 Unternehmen die Programme zur Führungskräfte-Entwicklung<br />
sowie Reputation,<br />
Unternehmenskultur und Marktperformance<br />
untersucht. Ein Ergebnis: Bei 85 Prozent<br />
der Topunternehmen verbringen die<br />
Vorstände mindestens ein Fünftel ihrer<br />
Arbeitszeit für die Führungskräfteentwicklung.<br />
Die Vorstandschefs der erfolgreichsten<br />
Managerschmieden verwendeten sogar<br />
jede zweite Arbeitsstunde für die Nachwuchspflege.<br />
Damit werden die Nachwuchsprogramme<br />
substanzhaltiger. Und<br />
nach innen wie nach außen demonstrieren<br />
die Unternehmen so, dass sie es mit der<br />
Nachwuchsarbeit im Management wirklich<br />
ernst meinen.<br />
Managemenprofessor Day betont, dass<br />
Unternehmen die Aus- und Weiterbildung<br />
ihrer Topmanager zudem unbedingt mit<br />
der eigenen Strategie verzahnen sollten.<br />
Nur dann liefert das Programm exakt jene<br />
Manager, die in Zukunft gebraucht werden<br />
– mit Kenntnissen der wichtigen Märkte,<br />
kulturellen Unterschiede oder möglichen<br />
Expansionsstrategien. Nebenbei liefert<br />
dieser Ansatz auch eine Antwort auf die<br />
Frage, weshalb die Talente das Unternehmen<br />
nicht beim erstbesten Angebot verlassen:<br />
Ihr Know-how ist teilweise maßgeschneidert<br />
für ihren Arbeitgeber und damit<br />
dort wertvoller als bei anderen Konzernen.<br />
Ein Erfolgsfaktor eines jeden Managementprogramms:<br />
Während ihrer Ausbildung<br />
sollten die angehenden Leader schon substanzielle<br />
Erfahrungen mit konkreten Führungsprojekten<br />
sammeln, anstatt nur im<br />
Sandkasten Strategiespielchen zu spielen.<br />
Das praktiziert vorbildlich das indische<br />
Unternehmen Hindustan Unilever. „Wir<br />
glauben daran, dass nur zehn Prozent der<br />
Weiterbildung zu Topmanagern durch<br />
Kurse zu erreichen sind“, sagt Leena Nair,<br />
bei dem Konsumgüterhersteller verantwortlich<br />
für Human Resources. Der Rest sei<br />
Praxiserfahrung. Das Unternehmen lässt<br />
seine 1300 Manager darum regelmäßig konkrete<br />
Projekte aus fremden Geschäftsbereichen<br />
bearbeiten. „Menschen lernen aus<br />
Erfahrungen“, bestätigt Dave Ulrich, Professor<br />
an der Ross School of Business der Universität<br />
von Michigan, „darum ist es wichtig,<br />
künftige Führungskräfte Erfahrungen<br />
machen zu lassen, die ihren Horizont<br />
erweitern.“ Den Unternehmen steht Ulrich<br />
zufolge ein ganzes Arsenal geeigneter Mittel<br />
zur Verfügung, um ihre Rohdiamanten<br />
zu Spitzenmanagern zu verfeinern – von<br />
Mentoren- und Coachingprogrammen über<br />
Beurteilungssysteme bis zu sogenanntem<br />
Action-Learning, also dem Beteiligen der<br />
Nachwuchskräfte an der Lösung realer<br />
Probleme.<br />
Die Frage ist jedoch: Welche Praxiserfahrungen<br />
sind die besten, welche Projekte bereiten<br />
die Manager am besten auf höhere Aufgaben<br />
vor? Allgemein verbindliche Regeln<br />
gibt es hier nicht. Es gilt jedoch die Regel:<br />
Je härter die zu bewältigende Aufgabe,<br />
desto besser.<br />
AM MEISTEN LERNEN<br />
KÜNFTIGE TOPENTSCHEIDER<br />
IN KRISENSITUATIONEN<br />
Die Managementerfahrung in Krisenzeiten<br />
lehrt viele wertvolle Managementfähigkeiten:<br />
schnelles Reagieren, Handeln unter<br />
Druck, aber auch die Abwägung der Notwendigkeiten<br />
der momentanen Krise mit<br />
jenen der langfristigen Strategie.<br />
A.G. Lafley, CEO von Procter & Gamble,<br />
einem der Gewinnerunternehmen der Fortune-Untersuchung,<br />
musste sich als Chef der<br />
Asien-Operationen des Unternehmens in<br />
einer problematischen Phase bewähren – zu<br />
Zeiten der Asien-Krise nämlich. Zusätzlich<br />
erschütterte ein Erdbeben die Region.<br />
Lafley bewältigte die Turbulenzen. Heute<br />
sagt er: „Während einer Krise lernt man<br />
zehnmal mehr als zu normalen Zeiten.“<br />
Ein Problem aber stellt sich bei jeder Auswahl<br />
von „Lernaufgaben“ für künftige Spitzenmanager:<br />
Einerseits ist es sinnvoll, dass<br />
die Talente viele verschiedene Aufgaben<br />
lösen und viele Stufen durchlaufen. Andererseits<br />
entwickeln sie in jedem Job Fertigkeiten,<br />
die dem jeweiligen Unternehmensteil<br />
fehlen, wenn der Entscheider bereits<br />
nach 18 oder 24 Monaten wechselt. Eine<br />
innovative Lösung hat der Pharmakonzern<br />
Eli Lilly gefunden. Das Unternehmen belässt<br />
die Jungmanager lange auf einer Position,<br />
lässt sie aber zusätzlich Projekte in anderen<br />
Bereichen übernehmen. Für die Manager<br />
bedeutet das zwar Mehrarbeit, aber<br />
eben auch ein Mehr an Erfahrung. Und genau<br />
jenes Plus ist es vielleicht, das den<br />
Unterschied im Wetttbewerb ausmacht – für<br />
den Manager wie für das Unternehmen.<br />
Kosakenritt im Kapitalismus<br />
Er ist einer der reichsten Männer der Welt: der russische Oligarch Oleg Deripaska. Männer wie<br />
er haben sich in der Umbruchzeit durchgesetzt. Jetzt will Deripaska Autos nach Weststandard<br />
bauen. Hinter seinem Erfolg verbirgt sich ein Managementverständnis: das Prinzip Kosake.<br />
OLEG DERIPASKA ist einer der reichsten<br />
Männer Russlands. Seine Holding Basic<br />
Element engagiert sich in der Energiewirtschaft,<br />
im Auto- und Flugzeugbau ebenso wie<br />
in den Bereichen Finanzen und Immobilien.<br />
Studiert hat Deripaska an den Moskauer Eliteuniversitäten<br />
Plechanow und Lomonossow.<br />
Sein Schwiegervater ist mit einer Jelzin-<br />
Tochter verheiratet.<br />
: „Wir sind Kosaken. Wir sind immer<br />
bereit, in den Krieg zu ziehen“, sagt Oleg<br />
Wladimirowitsch Deripaska. Ein bemerkenswerter<br />
Satz, wenn er nicht von einem<br />
Literaten oder einem Schauspieler auf<br />
der Bühne kommt. Sondern von einem<br />
Unternehmer.<br />
Und Deripaska hat einen ordentlichen Parforceritt<br />
hingelegt, bei dem er in nicht einmal<br />
15 Jahren aus dem Nichts zu einem der<br />
reichsten Männer der Welt aufstieg. Die russische<br />
Fachzeitschrift Finans schätzt sein<br />
Privatvermögen auf 1,64 Milliarden Euro.<br />
Die Aktiva der Holding Basic Element,<br />
deren Gründer und Eigentümer Deripaska<br />
ist, machen 23 Milliarden Dollar aus. 300 000<br />
Beschäftigte arbeiten für sein Imperium mit<br />
Stammsitz in Moskau in den Geschäftsbereichen<br />
Aluminium/Strom, Auto/Flugzeugund<br />
Maschinenbau, Finanzdienstleistungen,<br />
Bauwirtschaft und Immobilien.<br />
OLIGARCHEN WIE DERIPASKA<br />
WAREN DIE TRÄGER DER<br />
RUSSISCHEN TRANSFORMATION<br />
Oleg Deripaska ist ein Prototyp der Spitze<br />
von Russlands neuer Wirtschaftselite –<br />
jenen Spitzenmanagern, die in der Presse<br />
häufig als „Oligarchen“ firmieren. Sein Verständnis<br />
des „Kosakenkapitalismus“ dürfte<br />
idealtypisch sein für Russlands Unternehmen.<br />
Kosakenkapitalismus begreift einer
p business-culture<br />
54<br />
„Ich mag den Präsidenten. Er arbeitet hart und hat sehr viel erreicht.“<br />
Oleg Deripaska<br />
wie Deripaska als strategische Waffe. Das<br />
Prinzip: Wie ein Steppenreiter bündelt der<br />
Oligarch Deripaska seine Kräfte am Markt.<br />
Ein Kosake ist stolz und selbstbewusst,<br />
schnell und flexibel, agiert aggressiv und<br />
expansiv, pflegt starke Allianzen unter seinesgleichen<br />
– und hat keinerlei Vorbehalte<br />
gegenüber dem Fremden und Unbekannten.<br />
Die richtige Haltung für die Wachstumsstrategie<br />
des Oleg Deripaska. Über 18 Milliarden<br />
Dollar Umsatz erwirtschaftete Basic Element<br />
nach eigenen Angaben im Jahr 2006.<br />
Das Unternehmen ist breit aufgestellt;<br />
knapp zehn Prozent hält Basic Element<br />
heute am deutschen Baukonzern Hochtief,<br />
und ein Viertel der Anteile an der österreichischen<br />
Strabag.<br />
Und die Expansion geht weiter. Zusammen<br />
mit seinen österreichischen Partnern und<br />
der ukrainischen Development Construction<br />
Holding rief Basic Element gerade eine<br />
Tochterfirma in der Ukraine ins Leben. Strabag<br />
Ukraine soll von den Investitionen in<br />
die Modernisierung der ukrainischen Infra-<br />
struktur profitieren: Brücken, Tunnel, Straßen.<br />
Deripaska: „Erfolg auf dem ukrainischen<br />
Markt erreicht, wer moderne Technologien<br />
und Erfahrung mit den lokalen<br />
Bedingungen kombiniert.“ Modernität und<br />
lokales Wissen – auch das gehört zum<br />
Prinzip Kosake.<br />
Auf dieses setzte Deripaska bereits Anfang<br />
der Neunzigerjahre. Nachdem er sein Studium<br />
an den russischen Eliteuniversitäten<br />
Plechanow und Lomonossow in Betriebswirtschaftslehre<br />
und Physik abgeschlossen<br />
hatte, zog es ihn an die Moskauer Warenund<br />
Rohstoffbörse. Dort schlug erstmals die<br />
Stunde des Kosaken. „Eine junge, professionelle,<br />
gebildete Führungskraft beherrscht<br />
die modernen Managementtechnologien“,<br />
urteilte Konstantin Borowoi, der Gründer<br />
der russischen Rohstoffbörse.<br />
Ausschließlich hieß es: mit dem Blick nach<br />
vorne galoppieren, und das mit hoher Risikobereitschaft,<br />
aber auch starken Verbündeten.<br />
Damit griff Deripaska auf den Anfang<br />
der Neunzigerjahre noch wenig erschlosse-<br />
Eine von Oleg Deripaskas Aluminiumfabriken. Mit dem Rohstoff begann der Aufstieg des Russen. Heute aber<br />
umspannt sein gar nicht mehr so kleines Imperium auch Branchen wie den Automobilbau oder Immobilien.<br />
nen Weiten der russischen Finanzmärkte an.<br />
Die Beute konnte sich sehen lassen: „Als<br />
Broker habe ich dort in Zeiten mit 1000 Prozent<br />
Inflation und guten Beziehungen zu<br />
Banken, die mir Kredite in Rubel gaben, viel<br />
Geld verdient“, erklärt Deripaska.<br />
Mit Weitblick und einem Riecher für lukrative<br />
Geschäfte spezialisierte er sich früh auf<br />
den Handel mit Aluminium und auf Aluminiumaktien.<br />
Westliche Rohstoffbarone versorgten<br />
den Aufsteiger mit frischem Geld.<br />
Er bediente alle Hebel, seine Assets zu mehren.<br />
1993 wurde Deripaska mit gerade einmal<br />
24 Jahren Generaldirektor der damals<br />
drittgrößten russischen Aluminiumschmelze.<br />
In den Folgejahren übernahm er Werk<br />
um Werk.<br />
Das Aluminiumgeschäft in Russland galt in<br />
dieser Zeit freilich auch als besonders hart.<br />
Doch nicht nur überlebte Deripaska die<br />
wilden Aufbruchjahre. Er wurde auch zu<br />
einem der ganz wichtigen Rohstoffmanager<br />
der Welt. 66 Prozent am weltgrößten Aluminiumkonzern<br />
Rusal besitzt er heute.<br />
Rusal hält nach eigenen Angaben einen<br />
Anteil von zwölf Prozent am Weltmarkt<br />
für Aluminium. Man hört daher förmlich<br />
das Raunen, mit dem Wirtschaftsjournalisten<br />
Deripaska „Herr des Aluminiums“ oder<br />
„Alugarch“ nennen.<br />
Angriff, Wachstum und unternehmerische<br />
Expansion – mit solchen Vorgaben und<br />
einem rasantem Tempo waren die Oligarchen<br />
seit Beginn der Neunzigerjahre im<br />
neuen Russland die Träger und Beschleuniger<br />
der Transformation von der Staats- zur<br />
Marktwirtschaft. Unter Präsident Jelzin<br />
stand Russland vor einem wirtschaftlichen<br />
Trümmerhaufen. Jelzin brauchte seinerzeit<br />
die Beschleunigung durch aktive Treiber des<br />
Wandels – „seine” Kosaken.<br />
Gut ausgebildet waren sie, weltläufig, mit<br />
einflussreichen Förderern im In- und Ausland,<br />
risikobereit – und stets entschlossen<br />
auch zum ganz großen Angriff. Dazu benötigten<br />
aber auch die Oligarchen den Schutz<br />
des Präsidenten. Deripaska galt als „Ziehsohn“<br />
des Präsidenten.<br />
SEINE STIMME IST LEISE.<br />
INTERVIEWS GIBT OLEG DERIPASKA<br />
EHER SELTEN.<br />
GALERIE DER OLIGARCHEN<br />
Sie sind die mächtigsten Männer der russischen Wirtschaft.<br />
<strong>think</strong>:<strong>act</strong> stellt die Entscheider von Moskau vor.<br />
ROMAN ARKADJEWITSCH ABRAMOWITSCH, 41. Stieg 1992 in den Ölhandel ein und<br />
schuf ein weitverzweigtes Firmenimperium. Zu der von ihm kontrollierten Holding<br />
Millhouse Capital gehörten 80 Prozent von Russlands fünftgrößtem Ölkonzern<br />
Sibneft, 26 Prozent der Fluggesellschaft Aeroflot sowie 37,5 Prozent des<br />
Autoproduzenten Ruspromawto. Unter dem Eindruck des Verfahrens gegen<br />
Michail Chodorkowski allerdings verkaufte der Unternehmer nach und nach seine<br />
Anteile an russischen Unternehmen.<br />
SULEJMAN ABUSAIDOWITSCH KERIMOW, 41, führt die Öl- und Investmentfirma<br />
Nafta-Moskwa, die sich neben dem ursprünglichen Ölhandel in letzter Zeit stark<br />
in großen Immobilienprojekten engagiert. Der Konzern hält 4,5 Prozent der Gazprom-Aktien,<br />
womit Kerimow nach E.ON-Ruhrgas der zweitgrößte Privataktionär<br />
des russischen Energiegiganten ist. Darüber hinaus ist Nafta-Moskwa mit sechs<br />
Prozent an der Sberbank, der größten russischen Bank, sowie mit 20 Prozent an<br />
der BIN-Bank beteiligt.<br />
WLADIMIR OLEGOWITSCH POTANIN, 46, war in den Achtzigerjahren im Außenhandelsministerium<br />
beschäftigt und 1996 und 1997 Vizepremier der russischen<br />
Regierung. Er gilt als Erfinder des Loans-for-shares-Programms, das die in<br />
Staatsbesitz befindlichen Aktien großer Rohstoffkonzerne per Auktion an Banken<br />
verleiht. Im Ergebnis wurden mehrere Banken, darunter auch die von Potanin<br />
mitgegründete Uneximbank mit der Auktionierung der staatlichen Anteile<br />
beauftragt. Dabei konnte sich Potanin Anteile am Rohstoffgiganten Norilsk<br />
Nickel und an der Erdölfirma Sidanko sichern. Seit November 2005 ist Potanin<br />
Mitglied der russischen Gesellschaftskammer.<br />
WLADIMIR LISSIN, 51, startete 1975 als Arbeiter in einer Kohlemine, wechselte<br />
dann in eine Stahlfabrik, studierte nebenbei und stieg Anfang der Neunzigerjahre<br />
in die Transworld-Gruppe mit Schwerpunkt in der Aluminiumindustrie ein. Als<br />
oberster Stahl- und Metallexperte führte er bis 1997 die Fabriken für die in London<br />
ansässige Gruppe. 1998 wechselte er in die Führung des Stahlkonzerns Novolipetsk.<br />
Als Lissin sich im Jahre 2000 von der Transworld-Gruppe trennte, erhielt er<br />
im Gegenzug die Beteiligung von Transworld an Novolipetsk. 2002 verbündete<br />
Lissin sich mit seinem Stahlkonkurrenten Alexander Abramow (Evrazholding).<br />
MIKHAIL PROCHOROW, 42, begann als Händler in einer Außenhandelsorganisation.<br />
Gemeinsam mit Wladimir Potanin baute er die Uneximbank und die Interros-Gruppe<br />
auf. Von 1993 bis 1998 leitete er die Unexim-Bank und von 2000 bis<br />
2001 die Rosbank. Seit 2001 ist Prochorow CEO von MMC Norilsk Nickel, dem<br />
weltweit führenden Produzenten von Nickel und Palladium. Das Unternehmen<br />
gehört in Verbindung mit seinem Tochterunternehmen Stillwater Mining Company<br />
zu den vier weltgrößten Produzenten von Platin und zu den zehn größten<br />
Kupferproduzenten.<br />
Dennoch: Von der breiten Öffentlichkeit zur<br />
Kenntnis genommen wurde sein Aufstieg<br />
erst 2007. Seine leise Stimme und seine<br />
Zurückhaltung bei Interviews und People-<br />
Storys mögen dazu beigetragen haben. Den-<br />
noch liefert er sich momentan mit einem<br />
medial deutlich präsenteren Russen ein<br />
Kopf-an-Kopf-Rennen um den Forbes-Titel<br />
des reichsten Russen: Roman Abramowitsch.<br />
Auch das passt zur Rolle des Kosaken.<br />
Und dessen Ritt über die Steppen des Kapitalismus<br />
geht weiter. Mit seiner Beteiligung<br />
am Magna-Konzern, dem drittgrößten Autozulieferer<br />
der Welt, verfolgt er vor allem<br />
strategische Ziele im eigenen Land. So soll<br />
Magna für Deripaskas Automobilkonzern<br />
business-culture f<br />
GAZ eine von Chrysler gekaufte Fertigungsanlage<br />
für die Modelle Chrysler Sebring und<br />
Dodge Stratus einrichten. Deripaska will<br />
Westwagen bauen und nicht mehr die<br />
Wolga-Modelle aus der Sowjetzeit.<br />
Ihm geht es wohl vor allem darum: Knowhow<br />
aus seinen internationalen Beteiligungen<br />
zu ziehen. Wissenstransfer, so die<br />
Erkenntnis des Oligarchen, ist der Schlüssel<br />
für nachhaltige Entwicklung im eigenen<br />
Land. Sein Ziel: Mit Unterstützung von<br />
Magna soll die heimische Produktion am<br />
Ende von Russen selbst fabrizierte Statussymbole<br />
liefern und sich damit den eigenen<br />
Markt erschließen.<br />
RUSSLANDS VERHÄLTNIS<br />
ZU SEINEN AUFSTEIGERN<br />
IST GESPALTEN<br />
Große Autos aus russischer Produktion –<br />
dem wachsenden Selbstvertrauen des Landes<br />
dürfte das zupasskommen und auch das<br />
ambivalente Verhältnis der russischen<br />
Bevölkerung zu ihren kometenhaften Aufsteigern<br />
beeinflussen. Einerseits bestehen<br />
Vorbehalte gegenüber ökonomischen Eliten.<br />
Weil die Schere zwischen Superreichen und<br />
Armen immer weiter aufgeht, haben diese<br />
kein gutes Image. Andererseits: Gleichzeitig<br />
können sich nach einer Untersuchung des<br />
Instituts für komplexe Sozialforschung an<br />
der Russischen Akademie der Wissenschaften<br />
fast 70 Prozent der Russen mit „Unternehmertum“<br />
identifizieren. Eine antikapitalistische<br />
Stimmung herrscht demnach nicht.<br />
Deripaska selbst setzt auf die patriotische<br />
Karte. Sein Ass ist dabei „Olympia 2014“ in<br />
Sotschi. Fünf bis sieben Milliarden Dollar<br />
wird er in die Spiele in dem Schwarzmeerkurort<br />
investieren. „Wir, ich und mein Team,<br />
sind in Russland sehr beschäftigt”, sagte<br />
Deripaska kürzlich strategisch klug im österreichischen<br />
Fernsehen, „Russland ist der<br />
beste Markt der Welt, alle sind verrückt<br />
nach diesem Markt. Eigentlich ist es so, dass<br />
man nur in Russland Profit machen kann.“<br />
55
p business-culture<br />
WORK IN PROGRESS<br />
Wie erreicht man die Elite? Dieser Frage geht ein neues Buch nach. Außerdem entdecken die<br />
<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Denker ein altes Tool wieder. Das Verhältnis von Strategie und Finanzen analysieren<br />
Burkhard Schwenker und der Wissenschaftler Klaus Spremann – hierzu ein Interview.<br />
BUCH<br />
Marketing für Entscheider:<br />
die genervte Elite<br />
In der Endphase befindet sich momentan ein<br />
Buch, das sich mit einer Zielgruppe des B2B-<br />
Marketings beschäftigt, über die alle sprechen,<br />
von der aber herzlich wenig bekannt<br />
ist: Topentscheider. Im Hyperwettbewerb um<br />
deren knappe Aufmerksamkeit setzen viele<br />
Anbieter auf eine Lawine von Einladungen,<br />
Publikationen und Events. Aber die verpuffen<br />
oft. Immer häufiger wendet sich die umworbene<br />
Elite ab, genervt und gelangweilt.<br />
„Eliten-Marketing – wie Sie Entscheider erreichen“<br />
analysiert erstmals die Strategien<br />
erfolgreicher Elitenkommunikation. Die<br />
Autoren – Torsten Oltmanns mit Christiane<br />
Diekmann und Vera Böhm – präsentieren<br />
die Ergebnisse der ersten Befragung zum<br />
Kommunikationsverhalten von Entscheidern<br />
aus den Top-100-Unternehmen Deutschlands.<br />
Spitzenmanager, etwa von ABB, Philips,<br />
RWE oder Daimler, geben Auskunft über<br />
ihre Erwartungen.<br />
Das Buch stellt kreative Ansätze vor, wie man<br />
die Chefs trotz medialer Überflutung erreicht.<br />
Es liefert erstmals ein integriertes Konzept<br />
für die zielgruppengerechte Ansprache von<br />
Entscheidern: „Com2E“. Basis dieses Konzepts<br />
ist ein neuer Weg, wie sich die nicht homogene<br />
Zielgruppe sinnvoll segmentieren lässt.<br />
„Eliten-Marketing“ unterscheidet zwischen<br />
„Orchestermusikern“, „Solisten“ und „Dirigenten“.<br />
Für jedes Segment präsentieren die<br />
Autoren Konzepte der passgenauen Ansprache.<br />
Anhand von Best-Pr<strong>act</strong>ice-Beispielen<br />
zeigen sie, wie man die anspruchsvollen Zielgruppen<br />
gemäß ihrer eigenen Interessen<br />
anspricht. Eines der diskutierten Exempel ist<br />
übrigens dieses Magazin. Die Annahme: Mit<br />
<strong>think</strong>:<strong>act</strong> ist es gelungen, eine internationale<br />
Medienmarke zu etablieren und damit<br />
ein nachhaltiges Tool zur Kommunikation<br />
mit den Topentscheidern rund um den Globus<br />
zu schaffen.<br />
WIE PROGNOSTIZIERT MAN DIE ZUKUNFT?<br />
Ein Managementtool kehrt<br />
zurück: die Szenariotechnik<br />
Unter Federführung von CEO Burkhard<br />
Schwenker erarbeitet <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />
Strategy Consultants momentan einen<br />
Ansatz, der Unternehmen angesichts zunehmend<br />
dynamischer Umwelten und<br />
angesichts der Grenzen der konventionellen<br />
Planungsinstrumente Hilfestellung bei der<br />
strategischen Planung geben soll.<br />
Im Mittelpunkt steht dabei die Szenariotechnik,<br />
an deren Renaissance die Consultingfirma<br />
glaubt. Sie ist eine Methode der<br />
strategischen Planung und basiert auf der<br />
Entwicklung und Analyse möglicher Szenarien<br />
der Zukunft. Oft werden Positiv- und<br />
Negativszenarien entworfen. Ein vergangenes<br />
Anwendungsbeispiel waren etwa die<br />
Umweltstudien des Club of Rome.<br />
Die Consultants von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> planen<br />
nun ein Beratungsprodukt, das auf der<br />
Szenariotechnik basiert. In mehreren klar<br />
definierten Schritten und unter Nutzung<br />
statistischer Tools erzeugt es plausible Zukunftsbilder,<br />
beschreibt Pfade zu diesen,<br />
leitet konkrete Handlungsoptionen ab<br />
und ermöglicht so eine schnelle Reaktion<br />
auf potenzielle Störfälle.<br />
Für das World Economic Forum hatte<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> kürzlich das „Trend Compendium<br />
2030“ erarbeitet (siehe Seite 18). Die<br />
darin dargestellten globalen Trends sollen<br />
ebenso in das Tool einfließen wie branchenspezifische<br />
Daten.<br />
PERSPEKTIVWECHSEL<br />
Innovation, anders betrachtet<br />
– aus CEO-Sicht<br />
Über Innovation schreiben viele. Aus spezifischer<br />
CEO-Sicht aber wird dieses Thema<br />
nur selten betrachtet. Diese Lücke füllen<br />
möchte ein Buch, das im Frühjahr dieses<br />
Jahres erscheinen soll. „Global Innovation<br />
Leaders. CEO Perspectives on Innovation<br />
for Growth and Profit“ wird herausgegeben<br />
von Professor <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> und Soumitra<br />
Dutta, <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Stiftungsprofessor<br />
an der französischen Managementschmiede<br />
INSEAD. Dutta ist dort zugleich Dean of<br />
External Relations.<br />
Das Buch basiert auf einstündigen Interviews<br />
mit CEOs elf innovativer Firmen aus<br />
Asien, Europa und Nordamerika: Toyota,<br />
Samsung, Infosys, Nokia, Unilever, Bosch,<br />
SAP, Telefónica, Genentech, 3M und<br />
Research in Motion. Die Bosse werden befragt,<br />
wie ihr Unternehmen Innovation fördert,<br />
welche Rolle der Vorstandschef dabei<br />
spielt und welche Innovationsstrategien in<br />
dem jeweiligen Unternehmen erfolgreich<br />
sind. Außerdem diskutieren die Forscher mit<br />
den CEOs die Fragen, ob und gegebenenfalls<br />
wie man bei Rezessionen das Innovationsverhalten<br />
ändern sollte und wie die<br />
Innovationsstrategie des Unternehmens in<br />
den nächsten fünf Jahren aussieht.<br />
Der Hauptteil des Buchs wird aus diesen<br />
Fallstudien bestehen. Eingerahmt werden<br />
sie von betriebs- und volkswirtschaftlichen<br />
Überlegungen zum Thema Innovation und<br />
einem Kapitel mit den „Lessons learned“.<br />
KLAUS SPREMANN ZUM VERHÄLTNIS VON STRATEGIE UND FINANZWIRTSCHAFT<br />
Nicht immer sind die Oberstrategen gefragt<br />
THINK:ACT Professor Spremann, was verbirgt<br />
sich hinter der Idee der Jahreszeiten<br />
der Unternehmen, das Burkhard Schwenker<br />
und Sie entwickelt haben?<br />
KLAUS SPREMANN Phasenkonzepte gab es bislang<br />
vor allem für den Produktlebenszyklus.<br />
Burkhard Schwenker und ich haben das<br />
Phasenkonzept auf die Unternehmung als<br />
Ganzes übertragen. Es ist sinnvoll, Unternehmen<br />
nach der Phase zu betrachten, in der sie<br />
sich befinden. Denn so erlauben viele phasentypische<br />
Phänomene eine differenziertere<br />
Situationserkenntnis und Analyse.<br />
Warum ist die Unterscheidung der vier<br />
Jahreszeiten wichtig?<br />
Das Hauptthema des Buchs ist der Dualismus<br />
von strategischer und finanzieller Ausrichtung<br />
der Geschäfte. Nicht immer führen<br />
der strategische Fit und die finanziellen<br />
Kennzahlen in dieselbe Richtung. Entsprechend<br />
weist der Titel unseres Buchs auf das<br />
unternehmerische Denken zwischen Strategie<br />
und Finanzen hin. Wir wollen nicht über<br />
diese Unterschiede hinwegtäuschen und<br />
behaupten, „langfristig“ werde alles gut, so<br />
oder so. Es gibt eben Entscheidungen, bei<br />
denen die Unternehmensspitze klar sagen<br />
muss, ob sie ihrer Strategie oder den Erwar-<br />
tungen der Finanzinvestoren folgen möchte.<br />
Die Forschungen, über die Burkhard<br />
Schwenker und ich berichten, zeigen dies:<br />
Die richtige Gewichtung von strategischem<br />
und finanziellem Denken hängt von der<br />
Phase ab. In den frühen Phasen oder Jahreszeiten<br />
ist die Strategie wichtiger, in den späteren<br />
gewinnen die Wertorientierung und der<br />
Rechenstift zunehmend an Bedeutung.<br />
Warum können strategisches und finanzielles<br />
Denken einander widersprechen?<br />
Die Strategie setzt ein inhaltliches Ziel, das<br />
beispielsweise so lauten kann: mehr Innovation,<br />
Kostenreduktion, kraftvolleres Wachstum,<br />
höhere Flexibilität, schnellere Reaktion<br />
auf Markterfordernisse, Wandel. Die Strategie<br />
wird aus der Situation der Unternehmung<br />
bestimmt angesichts der Ressourcen,<br />
über die sie verfügt. In der Verschmelzung<br />
entsteht der strategische Plan. Bei der Findung<br />
der Strategie haben die Besonderheiten<br />
und die Informationen der Unternehmung<br />
besonderes Gewicht. Finanzielles Denken<br />
verlangt hingegen eine Anpassung an die<br />
Wertvorstellungen des Kapitalmarkts. Hier<br />
unterwirft sich die Unternehmung letztlich<br />
der Sicht der externen Finanzinvestoren<br />
und der Analysten.<br />
business-culture f<br />
Und Sie wollen beides harmonisch verknüpfen?<br />
Nein. Wir können den Gegensatz beider<br />
Denkweisen nicht wegzaubern. Aber Burkhard<br />
Schwenker und ich sagen und begründen,<br />
in welchen Situationen eher das<br />
strategische und in welchen das finanzielle<br />
Denken die Oberhand behalten sollte.<br />
Wie gehen Sie methodisch vor?<br />
Das Buch ist in zwei Hauptkapitel gegliedert.<br />
Im ersten Hauptteil legen wir die Werkzeuge<br />
bereit. Wir erklären die strategischen Ansätze<br />
ebenso wie die Instrumente der finanziellen<br />
Führung. Eine wichtige Rolle spielen<br />
dabei die Ressourcen einer Unternehmung.<br />
Im zweiten Hauptteil entwickeln wir die<br />
Phasenbetrachtung. Wir zeigen, wie man die<br />
Phase identifizieren kann, in der sich eine<br />
Unternehmung oder ein Unternehmensbereich<br />
befindet.<br />
Eine Kernthese lautert, in späteren Jahreszeiten<br />
gewinnen finanzwirtschaftliche<br />
Kennziffern an Bedeutung. Muss dies personelle<br />
Auswirkungen haben?<br />
Jede Jahreszeit stellt eigene Managementaufgaben<br />
und Anforderungen an den Führungsstil.<br />
Wenn eine Führungskraft mit ihrem<br />
Charakter, Einsatz und ihrer Denkweise diesem<br />
Wandel nicht folgen kann, müssen andere<br />
Menschen an ihre Stelle treten.<br />
Können Unternehmen sich verjüngen,<br />
also gewissermaßen nach dem Winter<br />
wieder den Frühling erleben?<br />
Man darf nie vergessen: Auch der Bauer<br />
überlegt sich an den länger werdenden Abenden<br />
im Herbst und Winter, welches Feld er<br />
wo und womit bestellen sollte. Denn er möchte,<br />
wenn dann die Sonne wiederkommt, gut<br />
positioniert sein.<br />
KLAUS SPREMANN ist Direktor des<br />
Schweizerischen Instituts für Banken und<br />
Finanzen an der Universität St. Gallen. Die<br />
Untersuchung zu den „Vier Jahreszeiten<br />
der Unternehmung“ erarbeitete er gemeinsam<br />
mit <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Chef Burkhard<br />
Schwenker.<br />
56 57
p 500 years after<br />
58<br />
Diesen Beitrag können Sie auch<br />
auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />
Die Lehren des Samurai<br />
Im 16. Jahrhundert schrieb Miyamoto Musashi das „Buch der Fünf Ringe“. Bis heute studieren Japans<br />
Entscheider die legendäre Schrift. Auch im Westen suchen Manager nach Erleuchtung bei dem<br />
Samurai. David McNeill, Tokio-Korrespondent des Independent, porträtiert Musashi für <strong>think</strong>:<strong>act</strong>.<br />
: Man hat es den Kodex des japanischen<br />
Büroangestellten, die Bushido-Bibel und<br />
das japanische Pendant zum Harvard-MBA<br />
genannt: das „Buch der Fünf Ringe“ des<br />
sagenumwobenen japanischen Samurai<br />
Miyamoto Musashi. Als Schwertkämpfer<br />
war Musashi legendär. Mit seinem Buch<br />
legte er die philosophischen Grundlagen für<br />
das zielgerichtete Streben Japans nach<br />
Unternehmenswachstum und Marktanteilen,<br />
das die Geschäftswelt seit den Sechzigerjahren<br />
in ihren Grundfesten erschütterte.<br />
Und er schrieb eine der ersten Managementbibeln<br />
der Welt. Das Buch der Fünf<br />
Ringe lässt sich in gewisser Hinsicht als<br />
Kampfanleitung verstehen. Es beschreibt<br />
die Strategien, die helfen, auch den stärksten<br />
Gegner zu bezwingen. Doch das Werk ist<br />
59
p 500 years after<br />
auch eine Brandschrift für Ehrlichkeit,<br />
Charakterstärke, Initiative, Disziplin – und<br />
für eine umfassende Bildung.<br />
Das Leben des Verfassers selbst ist geheimnisumwittert.<br />
Miyamoto Musashi wurde<br />
wahrscheinlich 1584 in einer von Kriegen<br />
geprägten Epoche geboren, in der zwei<br />
mächtige Kriegsherren die Einheit Japans<br />
herbeiführen wollten. Der Sohn eines Samurai,<br />
eines Angehörigen der Kriegerkaste<br />
Japans, wurde bereits vor seinem zehnten<br />
Geburtstag Vollwaise und sehr schnell<br />
erwachsen. Mit 13 Jahren gewann er seinen<br />
ersten Zweikampf gegen einen viel älteren<br />
Samurai. Bis zu seinem 30. Geburtstag soll er<br />
mindestens 60 Männer mit dem Schwert<br />
besiegt haben.<br />
Wie bei allen sagenumwobenen Gestalten<br />
vermischt sich bei Musashi Wahres mit<br />
Erfundenem. Niemand bestreitet seinen<br />
meisterlichen Umgang mit dem Schwert,<br />
aber nur wenige Historiker glauben, dass<br />
der Kämpfer wirklich, wie es in der Legende<br />
heißt, mit verbundenen Augen einen Regentropfen<br />
mit dem Schwert zweiteilen konnte.<br />
Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass er<br />
mit neun Waffen zu kämpfen verstand, dass<br />
er immer zwei Schwerter bei sich trug und –<br />
revolutionär für den damaligen Kampfstil –<br />
beide benutzte und dass er in Kämpfen<br />
Mann gegen Mann nie eine Niederlage hinnehmen<br />
musste. Auch ist einer seiner Kniffe<br />
der psychologischen Kriegsführung überliefert:<br />
Er kam oft zu spät zu Duellen, was<br />
seine Gegner wütend machte und aus ihrem<br />
Kampfkonzept brachte.<br />
MUSASHI WAR DER<br />
PROTOTYP DES EINSAMEN<br />
ZEN-KRIEGERS<br />
Trotz seines Erfolgs als Kämpfer will er<br />
dann mit rund 30 Jahren kein Blut mehr vergießen.<br />
Der Anlass ist unbekannt, sein Zweifel<br />
aber nicht ungewöhnlich. Immer wieder<br />
waren bei den auf Loyalität eingeschworenen<br />
Samurai sinnlose Befehle und Grausamkeiten<br />
umstritten. Dem zugrunde liegt das<br />
Bushido, der ungeschriebene Regelkodex<br />
der japanischen Kämpfer und innerer Handlungskompass<br />
auch von Musashi. Dieser<br />
Weg des Kriegers fordert die genaue Beachtung<br />
der sieben Samurai-Tugenden: Aufrichtigkeit<br />
und Gerechtigkeit, Mut, Güte und<br />
Respekt, Höflichkeit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit,<br />
Ehre und Treue. So stark bewegt<br />
Musashi dieses Regelwerk, dass er sich nach<br />
der verlorenen Schlacht von Sekigahara gar<br />
für den Rest seines Lebens in eine Höhle<br />
MUSASHIS WEISHEITEN FÜR ERFOLGREICHE SAMURAI<br />
k Entspannt der Feind, greife schnell und entschlossen an.<br />
k Lege lange Wege einen Schritt nach dem anderen zurück.<br />
k Widme auch kleinsten Angelegenheiten größte Aufmerksamkeit.<br />
k Zwinge Gegner in ungewohnte Lagen.<br />
k Sei an den Künsten interessiert.<br />
k Ist dein Gegner aus dem Rhythmus, kannst du gewinnen.<br />
k Verfolge deinen Gegner, wenn er müde wird, und lasse ihn nicht entkommen.<br />
k Gib deinem Gegner keine Möglichkeit, sich zu erholen.<br />
k Verschwende keine Zeit für sinnlose Tätigkeiten.<br />
k Respektiere Götter und Buddhas – aber verlasse dich nicht auf sie.<br />
k Hege keine bösen Absichten.<br />
zurückgezogen haben soll. Dort, so die<br />
Legende, habe er dann das Buch der Fünf<br />
Ringe verfasst. Musashi ist also der Prototyp<br />
des einsamen Kriegers, der auf der Suche<br />
nach dem wahren Weg abseits der Gesellschaft<br />
wandelt.<br />
In Go Rin No Sho (Das Buch der Fünf Ringe)<br />
und in dem kurz vor seinem Tod 1645 entstandenen<br />
Bändchen Dokkodo (Weg der<br />
Einsamkeit) hält er folgende Tugenden fest,<br />
die zentral seien für das Bestehen: Zielstrebigkeit,<br />
Selbstdisziplin, beständiges Üben<br />
der Grundlagen und völlige Konzentration<br />
auf die vor ihm liegenden Aufgaben sowie<br />
seine Überzeugung, dass sich nur so persönliche<br />
spirituelle Erleuchtung und Verständnis<br />
erlangen lassen. Hier wird der Einfluss<br />
des Zen-Buddhismus in Musashis Denken<br />
deutlich. Sein Gedanken- und Wertegerüst<br />
bildet bis heute sein ewiges Vermächtnis.<br />
Und fasziniert weltweit Wirtschaftseliten.<br />
Denn aus den Schriften leiten Managementexperten<br />
Anleitungen für den Wirtschaftskampf<br />
ab. So wird besonders Go Rin No Sho<br />
ein Wegweiser für eine ganze Generation<br />
legendärer Business-Samurais, die den Aufstieg<br />
Japans zur Wirtschaftsweltmacht entscheidend<br />
mitbestimmt haben – von Konosuke<br />
Matsushita, der dem Giganten der Verbraucherelektronik<br />
seinen Namen gab, bis<br />
zu Soichiro Honda, dem Begründer des<br />
Automobilkonzerns.<br />
Das Buch der Fünf Ringe ist in fünf Abschnitte<br />
unterteilt: Erde, Wasser, Feuer, Wind und<br />
Leere. Im Management besonders populär<br />
sind die Abschnitte zu Feuer und Wind.<br />
Diese beschäftigen sich in erster Linie mit<br />
Strategien, die zum Sieg führen. Die meisten<br />
Ratschläge sind einfach, aber zielführend:<br />
Nutze deine Umgebung zu deinem Vorteil;<br />
bestimme den Kampfplatz; nutze die Schwächen<br />
deiner Gegner aus; gib deinem Gegner<br />
keine Gelegenheit, sich zu entspannen;<br />
schüchtere ihn ein, und verwirre ihn mit<br />
deinen Strategien; lass deinem Gegner keinen<br />
Raum; ändere deine Strategie bei<br />
ASIENS MANAGEMENTDENKER<br />
544–496 V. CHR.<br />
Sun Tzu Mit „Die Kunst des Krieges“ verfasste<br />
Sun Tzu eines der wichtigsten Bücher zur Militärstrategie.<br />
Aber nicht nur Feldherren wie Napoleon<br />
schworen darauf; auch Topmanager glauben,<br />
dass Kriegs- und Unternehmensführung einiges<br />
gemein haben. Entscheidend sind für Sun Tzu<br />
die Zieleinschätzung und die schnelle Einstellung<br />
auf Kampfbedingungen.<br />
551–479 V. CHR.<br />
Konfuzius Der Begründer der nach ihm<br />
benannten Lehre betonte Werte wie Harmonie,<br />
Gleichmut und Gleichgewicht. Manager wie der<br />
Chef von Hutchinson Whampoa bezeichnen ihn<br />
als wichtige Inspirationsquelle. Häufig wird auch<br />
der konfuzianische Wille zur Orientierung „am<br />
Meister“ in Wirtschaftskreisen zitiert, woraus<br />
einige eine Legitimation zum Kopieren ableiten.<br />
1584–1645<br />
Miyamoto Musashi Obwohl er wie Sun Tzu in<br />
erster Linie als Kämpfer bekannt wurde, verbrachte<br />
Musashi große Teile seines Lebens als<br />
Lehrer, Künstler und Denker. Seine Gedanken<br />
und Arbeit flossen in sein Lebenswerk ein –<br />
das Buch der Fünf Ringe, das noch heute zu den<br />
100 wichtigsten Lehrbüchern für Topmanager in<br />
Japan zählt.<br />
1921–1999<br />
Akio Morita Der Mitbegründer von Sony war in<br />
den Siebziger- und Achtzigerjahren der bekannteste<br />
Japaner in Amerika. „Stellt gute Produkte<br />
her, wenn ihr mit uns konkurrieren wollt“, lautete<br />
damals sein Rat an US-Unternehmer, als diese<br />
sich vor der scheinbar übermächtigen Konkurrenz<br />
fürchteten. Morita ist der Autor des visionären<br />
Werks „Das Japan, das Nein sagen kann“.<br />
1947<br />
Chin-Ning Chu Die US-Amerikanerin chinesischer<br />
Herkunft ist Weltenbummlerin, Autorin<br />
und Interpretin asiatischer Geschäftspraktiken<br />
im Westen. Mit ihr schließt sich der Kreis zu Sun<br />
Tzu. In Seminaren zitiert sie aus der Kunst des<br />
Krieges, um die Denkweise asiatischer<br />
Geschäftsleute zu erklären. Ironischerweise<br />
bedeutet ihr Name „Reise zum Frieden“.<br />
Bedarf schnell und entschlossen; behalte<br />
immer das weitere Umfeld im Auge; ergreife<br />
die Initiative; versteife dich nicht auf eine<br />
Waffe; überlege, was dein Gegner tun<br />
würde, bevor er angreift; halte an deinem<br />
Tempo fest.<br />
IM MANAGEMENT UND IM SCHWERTKAMPF<br />
LÄSST SICH ERFOLG NUR DURCH<br />
FLEISSIGES ÜBEN ERREICHEN<br />
Kazuo Takeshita vom Thinktank Japanische<br />
Vereinigung für rationelles Management<br />
empfiehlt modernen Wirtschaftskriegern,<br />
diese Anweisungen genau zu studieren. Beispielsweise,<br />
so der Musashi-Kenner, sollten<br />
Manager die Empfehlung des Schwertkämpfers<br />
sich zu eigen machen und immer<br />
wieder die Perspektive wechseln. „Viele der<br />
heutigen Unternehmen überschätzen ihre<br />
Stärken und kennen die Schwächen ihrer<br />
Rivalen nicht. Wir glauben dagegen, dass<br />
man seine Produkte mit den Augen seiner<br />
Konkurrenten betrachten sollte, bevor man<br />
sie auf den Markt bringt.“<br />
Westliche Business-Communitys machten<br />
zum ersten Mal mit den fünf Ringen Bekanntschaft,<br />
als der japanische Wirtschaftsaufschwung<br />
an Dynamik gewann und<br />
Europa und die USA überrollte. Die erste<br />
Übersetzung ins Englische erschien 1974,<br />
doch nahm bis Anfang der Achtzigerjahre<br />
kaum jemand davon Notiz.<br />
Dann jedoch wurde das Buch plötzlich massenhaft<br />
von Unternehmensbossen und Akademikern<br />
aus dem Westen gekauft. Sie wollten<br />
diesen rätselhaften und schonungslosen<br />
neuen Rivalen verstehen, ihn in den Griff<br />
bekommen. Über eine viertel Million<br />
Bücher wurde allein von der gebundenen<br />
Version verkauft, noch viel mehr Exemplare<br />
von der Paperbackausgabe. Ein Terminkalender<br />
mit Zitaten aus dem Buch war ebenfalls<br />
schnell ausverkauft.<br />
Bis heute finden sich Musashis Businessweisheiten<br />
in den Bücherregalen vieler<br />
japanischer Geschäftsleute. Seine Erkennt-<br />
500 years after f<br />
nisse sind in Tausende Bücher und Schriften<br />
über Management, Strategie und Führung<br />
eingeflossen. Aber: Die japanische Wirtschaftsflaute<br />
hat den Glauben des Landes an<br />
seine einst bewunderten Strategien zur<br />
Eroberung der Welt ins Wanken gebracht.<br />
Die ältere Unternehmergeneration der Aufbauzeit<br />
stirbt langsam aus oder zieht sich in<br />
den Ruhestand zurück. Viele ihrer Nachfolger<br />
orientieren sich am Lehrplan moderner<br />
Business-Schools und somit eher an den USamerikanischen<br />
und britischen Managementphilosophien.<br />
Jack Welchs Autobiografie<br />
„Jack: Straight from the Gut“ oder Bill<br />
Gates‘ „Business @ the Speed of Thought“<br />
liegt ihnen mehr.<br />
SCHAFFEN JAPANS CEOS<br />
DIE SYNTHESE VON BILL GATES<br />
UND DEN LEHREN MUSASHIS?<br />
Es ist paradox: Die Wirtschaftseliten der<br />
Welt entdeckten das Denken des Samurai<br />
Musashi gerade zu dem Zeitpunkt, da ihre<br />
japanischen Kollegen sich von ihm abwendeten.<br />
Doch vielleicht steht ihm in Japan<br />
selbst ein Revival bevor. Momentan mehren<br />
sich die Zweifel an der 60-jährigen Treue<br />
Japans zum US-amerikanischen Wirtschaftsmodell.<br />
Nationalistische Bestrebungen in<br />
Politik und Kultur – die eigenen Wurzeln<br />
werden wieder stärker beachtet. Ein Wirtschaftsvordenker<br />
aus dem eigenen Land<br />
käme da gerade recht.<br />
Auch, weil die Zeiten härter geworden sind.<br />
Takeshita: „Nach dem Zerplatzen der Wirtschaftsblase<br />
leben wir in einer Zeit, die<br />
zunehmend vom Wettbewerb geprägt ist,<br />
der die Sieger von den Verlierern trennt. Die<br />
Lehren der fünf Ringe sind heute bedeutungsvoller<br />
denn je.“ Es könnte also sein,<br />
dass die neue Generation japanischer CEOs<br />
eine Symbiose schafft zwischen den Wirtschaftserkenntnissen<br />
der Moderne von<br />
Gates oder Welch – und den weisen Worten<br />
eines Samurai, der vor fünf Jahrhunderten<br />
durch Japan zog.<br />
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p service impressum<br />
62<br />
FOLLOW-UP BUCHTIPPS<br />
Geburtstag zweier Erfolgsstorys<br />
Consulting, eine rein amerikanische Sache? Das<br />
war, bevor <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> unter seinem Namen<br />
eine Strategiegesellschaft gründete. Jetzt feierte<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> seinen 70. Geburtstag. In der<br />
Münchner Residenz stieß er mit seinen Gästen<br />
nicht nur auf sein abwechslungsreiches Leben an,<br />
sondern freute sich auch über das 40-jährige Jubiläum<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants,<br />
dem Unternehmen, das auch dieses Magazin herausgibt.<br />
Am 22. November 1937 in Berlin geboren, studiert<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Betriebs- und Volkswirtschaft.<br />
Schon als Student ist er Unternehmer. Nach dem<br />
Studium steigt <strong>Berger</strong> bei der italienischen Strategieberatung<br />
Gennaro-Boston Associati ein. Noch<br />
keine 30 Jahre alt, gründet er 1967 die <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />
International Marketing Consultants.<br />
In den Siebziger- und Achtzigerjahren wächst die<br />
partnerschaftlich organisierte Beratung durch<br />
Internationalisierung: Mailand, London, Paris.<br />
Erwirtschaften 1977 rund 100 Mitarbeiter zusammen<br />
8,6 Millionen Euro, kommt das Unternehmen<br />
1990 mit 466 Mitarbeitern schon auf rund 90 Millionen<br />
Euro. Das Ende des Kommunismus ermöglicht<br />
Chancen im Osten – <strong>Berger</strong> nutzt sie. Weitere<br />
Büros eröffnen auf dem Globus, darunter auch die<br />
ersten in den USA. Mit Beginn des neuen Jahrtau-<br />
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER<br />
Dr. Burkhard Schwenker, CEO<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Am Sandtorkai 41, 20457 Hamburg<br />
Tel.: +49 (0)40 3763100<br />
LEITUNG<br />
Torsten Oltmanns<br />
REDAKTIONSBEIRAT<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Dr. Christoph Kleppel †, Felicitas<br />
Schneider<br />
VERLAG<br />
BurdaYukom Publishing GmbH<br />
Konrad-Zuse-Platz <strong>11</strong>, 81829 München<br />
Tel.: +49 (0)89 30620-0<br />
GESCHÄFTSFÜHRER<br />
Manfred Hasenbeck,<br />
Andreas Struck<br />
VERLAGSLEITER<br />
Dr. Christian Fill<br />
CHEFREDAKTEUR<br />
Alexander Gutzmer (V.i.S.d.P.)<br />
ART-DIREKTION<br />
Blasius Thätter<br />
CHEF VOM DIENST<br />
Marlies Viktorin, Annette Völkel<br />
REDAKTION<br />
Tobias Knauer<br />
AUTOREN<br />
Alexander Busch (São Paulo), Clifford Coonan<br />
(Peking), Heidi Anna Friedrich (New York),<br />
Frank Grünberg, Prem Lata Gupta, Christoph<br />
Hus, Christiane Kühl (Peking), Martin Kühl<br />
(Peking), David McNeill (Tokyo), Lena Rosenthal,<br />
Matthias Schepp (Moskau), Marcus Schick,<br />
Florian Sievers, Olaf Wittrock<br />
GASTAUTOREN<br />
Robert Reich (Berkeley)<br />
LEKTORAT<br />
Dr. Michael Petrow (Ltg.), Karin Schlipphak,<br />
Jutta Schreiner<br />
GRAFIK/GESTALTUNG<br />
Heike Nachbaur, Olaf Puppe, Sabine Skrobek<br />
PRODUKTION<br />
Wolfram Götz (Ltg.), Franz Kantner,<br />
Silvana Mayrthaler, Cornelia Sauer<br />
BILDREDAKTION<br />
Beate Blank (Ltg.), Elke Maria Latinovic,<br />
Elisabeth Wighton<br />
BILDNACHWEISE<br />
Titel: Illustration Sylvia Neuner, Foto: corbis/Ed<br />
Quinn; U2: Katharina Hesse; Inhalt: Julia Pfaller,<br />
<strong>act</strong>ionpress/Berliner Studio, laif/Volk, corbis/<br />
Ed Quinn; S. 12: Rüdiger Nehmzow; S. 14/15:<br />
Sylvia Neuner, corbis/Ed Quinn; S. 17: corbis/<br />
zefa/Matthias Kulka; S. 18–20: Julia Pfaller;<br />
S. 22: gettyimages; S. 24: Thomas Geiger; S.28/<br />
29: Redferns/Mike Burnell, <strong>act</strong>ionpress, <strong>act</strong>ionpress/US<br />
Navy, akg-images/album; S. 30/31<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> , Sabine Schwenker, Karin <strong>Berger</strong> und Burkhard<br />
Schwenker beim Empfang der Gäste in der Residenz (v. l.)<br />
sends bitten nicht mehr nur Unternehmen die<br />
Marketing- und Strategieexperten um Rat. Regierungen,<br />
Verwaltungen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen<br />
fragen an. 2003 übergibt <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> die operative Leitung an ein fünfköpfiges<br />
Geschäftsführungsteam. Im Jahr 2007 liegt der<br />
Honorarumsatz bei über 600 Millionen Euro, die<br />
Zahl der Mitarbeiter beläuft sich auf 2000 mit<br />
33 Büros in 23 Ländern. Neben seinen Aufgaben<br />
in verschiedenen Aufsichtsräten und Advisory-<br />
Boards – unter anderem bei Fiat, Alcan und Sony –<br />
engagiert sich <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> für die Wissenschaft<br />
in verschiedenen Hochschulgremien.<br />
Bulls/MSI-MSI, Blickwinkel, <strong>act</strong>ionpress/Hans<br />
Seidenabel, Cinetext; S. 32/33: <strong>act</strong>ionpress/<br />
Berliner Studio, imago/Bryn Williams,<br />
gettyimages, akg-images/album; S. 36: laif/<br />
Siemers; S. 38/39: Focus/Photographers<br />
RU/Alexander Gronsky (2), laif/Redux,<br />
laif/Volk; S. 40/41: dpa/picture alliance (3);<br />
S. 44/45: interTopics/Landov, gettyimages;<br />
S. 46/47: Paulo Fridman, gettyimages; S. 48/49:<br />
Avenue Images (1), bw photoagentur/Delta (1);<br />
S. 50–53: Sylvia Neuner; S. 53: laif/Nicholl;<br />
S. 58/59: corbis/Asian Art & Archaeology<br />
DRUCK<br />
Pinsker Druck und Medien GmbH, 84048 Mainburg<br />
URHEBERRECHTE<br />
Die im Magazin enthaltenen Beiträge sind<br />
urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte werden<br />
vorbehalten.<br />
HINWEIS<br />
Redaktionelle Beiträge geben nicht unbedingt<br />
die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
service@<strong>think</strong>-<strong>act</strong>.info<br />
Haben Sie Fragen an den Herausgeber<br />
oder das Redaktionsteam?<br />
Interessieren Sie sich für Studien<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants? Schreiben Sie an<br />
service@<strong>think</strong>-<strong>act</strong>.info<br />
In „Supercapitalism“ plädiert<br />
Robert Reich für ein realistischeres<br />
Verständnis von Unternehmen,<br />
ihren Aufgaben und<br />
Grenzen. Miyamoto Musashis<br />
Weisheiten aus dem alten Japan<br />
haben auch heute noch ihren<br />
Wert. In „Eliten-Marketing“<br />
zeigt Torsten Oltmanns, wie<br />
man mit der exklusivsten aller<br />
Zielgruppen kommuniziert: den<br />
CEOs. Dem Spannungsfeld des<br />
unternehmerischen Denkens<br />
„zwischen Strategie und Finanzen“<br />
widmen sich Burkhard<br />
Schwenker und Klaus Spremann.<br />
Wie Unternehmen ihre<br />
Operations-Strategy optimieren,<br />
zeigt das neue <strong>think</strong>:<strong>act</strong> Content.<br />
ROBERT REICH:<br />
Superkapitalismus.<br />
Wie die Wirtschaft<br />
unsere Demokratie<br />
untergräbt<br />
MIYAMOTO<br />
MUSASHI:<br />
Das Buch der Fünf<br />
Ringe. Klassische<br />
Strategien aus dem<br />
alten Japan<br />
TORSTEN<br />
OLTMANNS:<br />
Eliten-Marketing.<br />
Wie Sie<br />
Entscheider<br />
erreichen<br />
B. SCHWENKER,<br />
K. SPREMANN:<br />
Unternehmerisches<br />
Denken zwischen<br />
Strategie und<br />
Finanzen<br />
THINK:ACT<br />
CONTENT:<br />
Die Regeln des globalen<br />
Wettbewerbs<br />
verändern sich<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
CONTENT<br />
Die Regeln des globalen<br />
Wettbewerbs verändern<br />
sich |Die Globalisierung<br />
bietet neue Chancen,<br />
birgt aber auch große<br />
Risiken | Wer die Trends<br />
im Auge hat, kann agieren,<br />
statt nur zu reagieren<br />
Fresh <strong>think</strong>ing for decision makers<br />
JANUAR 2008<br />
Highlights aus diesem Heft auf CD<br />
Sie können folgende Beiträge hören:<br />
kWEITSICHT STATT TUNNELBLICK (S. 21)<br />
Die Diversifikation ist wieder im Kommen. Doch wie expandieren Unternehmen heute richtig?<br />
kNÄHENDER LUXUSHOTELIER (S. 34)<br />
Das Beispiel des Inders Krishnan Nair zeigt: Diversifikation hat viel mit Unternehmertum zu tun.<br />
kWISSEN SCHAFFT BESCHÄFTIGUNG (S. 12)<br />
Starke Unternehmenszentralen nützen Industrieländern. Ein Essay.<br />
kFIRMEN DÜRFEN NICHT „GUT“ SEIN (S. 14)<br />
Überschätzt der CSR-Trend das Gewissen von Unternehmen?<br />
k „GROSSMACHT DES TOURISMUS“ (S. 36)<br />
Russische Regionen wollen vom wachsenden Wohlstand ihrer Landsleute profitieren.<br />
kDIE LEHREN DES SAMURAI (S. 58)<br />
Mit seinem „Buch der Fünf Ringe“ schrieb Miyamoto Musashi eine Managementbibel – vor 500 Jahren.