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think: act issue 11 - Roland Berger

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Das globale Entscheider-Magazin von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants DOSSIER: Die Rückkehr der Diversifikation Ausgabe <strong>11</strong><br />

<strong>think</strong>:<strong>act</strong><br />

ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />

Josef Ackermann<br />

fordert mehr<br />

Klarheit im<br />

Finanzsystem.<br />

Robert Reich<br />

hält das Konzept<br />

CSR für<br />

überschätzt.<br />

Das globale Entscheider-Magazin Ausgabe<strong>11</strong><br />

Die Diversifikation<br />

kehrt zurück<br />

Unternehmen gehen in die<br />

Breite– und tun oft gut daran<br />

Bierbrauer gründen Airlines. Ingenieure lernen von der Kunst.<br />

Pianistinnen züchten Wölfe. Russland wird zum Tourismusmekka.<br />

Samurai schreiben Managementbücher.


BÜRO PEKING, ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS S.R.L.<br />

Suites D&E, 20th Floor, Tower A, Gateway Plaza, 18 Xiaguangli, East Third Ring North Road, Peking 100027, China<br />

Telefon: +86 10 8440-0088, Fax: +86 10 8440-0050, E-Mail: office_beijing@rolandberger.com<br />

In dieser Ausgabe von <strong>think</strong>:<strong>act</strong> stellen wir Ihnen<br />

einige Treiber der wachsenden Komplexität vor, mit denen sich<br />

Unternehmen auseinandersetzen müssen – den Klimawandel,<br />

den globalen Standortwettbewerb oder den Aufstieg der sogenannten<br />

BRIC-Länder. Und wir demonstrieren Ihnen, wie sie<br />

sich in einen Vorteil für Ihr Unternehmen verwandeln lassen.<br />

Zum Beispiel beim Thema Diversifikation, das derzeit eine<br />

Renaissance erlebt. Immer mehr Unternehmen streben eine<br />

breite Aufstellung an, um sich neue Wachstumschancen zu<br />

erschließen. In unserem Dossier geben wir Ihnen einen Überblick<br />

über diesen „neuen alten Trend“.<br />

In Europa wird Globalisierung zumeist als Drohung verstanden:<br />

Werden wir zum Beispiel in Deutschland auf Dauer Arbeit halten<br />

können? Die Antwort lautet ja – wenn die Unternehmen<br />

einen Systemkopf ausbilden, in dem die hoch wertschaffenden<br />

Tätigkeiten gebündelt sind. Das belegt eine Studie, die wir mit<br />

dem Bundesverband der Deutschen Industrie durchgeführt<br />

haben und Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen. In seinem Exklusivinterview erklärt Josef<br />

Ackermann dazu, wie sein Unternehmen, die Deutsche Bank, den Systemkopfansatz nutzt.<br />

Wir machen Sie außerdem mit Trends bekannt, die die Welt bis zum Jahr 2030 beschäftigen<br />

werden – eine Analyse, die wir gemeinsam mit den Young Global Leaders des World Economic<br />

Forum erstellt haben –, wir zeigen Ihnen, welche Industrien mit dem Klimaschutz neues<br />

Wachstum generieren, und wir präsentieren Ihnen zukunftsträchtige Unternehmungen aus<br />

Russland, China und Lateinamerika.<br />

Viel Vergnügen<br />

Dr. Burkhard Schwenker<br />

CEO <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

first views f<br />

3


p inhalt<br />

<strong>think</strong>:<strong>act</strong> erscheint in fünf Sprachen (auf Englisch, Deutsch, Chinesisch, Russisch und Polnisch)<br />

Talente aus eigenem Anbau: Der Wettbewerb um brillanten<br />

Managementnachwuchs wird härter. Immer mehr Unternehmen entwickeln<br />

daher fähige Nachwuchsbosse inhouse. Seite 50<br />

Wird CSR überschätzt? Jedenfalls steht Robert Reich, Ex-<br />

Arbeitsminister der USA, dem Moralanspruch an Unternehmen skeptisch<br />

gegenüber. In einem Exklusivessay erläutert er, warum. Seite 14<br />

Neuland: Dennis Hopper malt und sammelt Kunst. Unternehmer Vijay<br />

Mallya holt die Formel 1 nach Indien. Model Petra Nemcova gründet<br />

Stiftungen. Die Diversifizierer ihres Lebens porträtieren wir ab Seite 28<br />

Touristenzentrum aus dem Nichts. Russlands Regierung will<br />

ihre Bürger zum Urlaub im eigenen Land bewegen. Dazu braucht es<br />

Infrastruktur – und einen Imagewandel. Eine Reportage. Seite 36<br />

food for thought<br />

6 Die andere Seite des Wandels<br />

Der Kampf gegen die Klimaveränderung<br />

eröffnet auch Chancen.<br />

8 Mehr Klarheit ins System!<br />

Wie dezentral sollen Banken sein?<br />

Ein Interview mit Deutsche-Bank-<br />

CEO Josef Ackermann.<br />

12 Wissen schafft Beschäftigung<br />

Starke Unternehmenszentralen<br />

nützen Industrieländern. Ein Essay.<br />

14 Firmen dürfen nicht „gut“ sein<br />

Überschätzt der CSR-Trend das<br />

Gewissen von Unternehmen?<br />

17 Jeder Technikfreak ein Künstler?<br />

Warum ohne Kunst keine<br />

Wissenschaft gedeiht<br />

18 Blick in die Glaskugel<br />

Die Welt im Jahr 2030<br />

20 Eingreiftruppe „Bessere Welt“<br />

Young Leaders in sozialer Mission<br />

inhalt f<br />

4 5<br />

�<br />

Dossier<br />

Die Rückkehr der Diversifikation<br />

Ab Seite 21<br />

dossier<br />

21 Weitsicht statt Tunnelblick<br />

Die Diversifikation ist wieder im<br />

Kommen. Doch wie expandieren<br />

Unternehmen heute richtig?<br />

27 Kampf dem imperialen Chef!<br />

Wissenschaftlerin Belén Villalonga<br />

erklärt, warum Mischkonzerne es<br />

an der Börse schwer haben.<br />

28 Erweitere dein Leben!<br />

Fußballer schauspielern,<br />

Pianistinnen züchten Wölfe – nicht<br />

nur Unternehmen diversifizieren.<br />

34 Nähender Luxushotelier<br />

Das Beispiel des Inders Krishnan<br />

Nair zeigt: Diversifikation hat viel<br />

mit Unternehmertum zu tun.<br />

industry-report<br />

36 „Großmacht des Tourismus“<br />

Russische Regionen wollen vom<br />

wachsenden Wohlstand ihrer<br />

Landsleute profitieren.<br />

40 Beton-Olympioniken<br />

Peking rüstet sich für Olympia –<br />

und ein Staatskonzern ist der<br />

Baumeister des Booms.<br />

42 Schwierige Mauersprünge<br />

Studien zeigen, warum sich chinesische<br />

Firmen im Westen schwer<br />

tun – und Europäer in China.<br />

44 Aus Gejagten werden Jäger<br />

In Süd- und Lateinamerika entstehen<br />

neue multinationale Konzerne<br />

– eine Machtverschiebung.<br />

48 Zukunftsmärkte<br />

Asphalt absorbiert Smog, Magneten<br />

treiben Bohrer an.<br />

business-culture<br />

50 Selbermachen lohnt sich<br />

Talentierte Spitzenkräfte sind<br />

knapp. Unternehmen bilden daher<br />

Manager intern aus.<br />

53 Kosakenritt im Kapitalismus<br />

Oleg Deripaska ist einer der<br />

wichtigsten Manager Russlands.<br />

Porträt eines Oligarchen.<br />

56 Work in Progress<br />

Wie erreicht man Eliten? Und<br />

warum kommt die Szenariotechnik<br />

als Managementtool zurück?<br />

58 Die Lehren des Samurai<br />

Mit seinem „Buch der fünf Ringe“<br />

schrieb Miyamoto Musashi eine<br />

Managementbibel – vor 500 Jahren.<br />

regulars<br />

3 First View<br />

62 Service | Impressum<br />

Mit diesem Symbol versehene<br />

Beiträge können Sie auf unserer<br />

Audio-CD (Seite 63) auch hören.


p food for thought food for thought f<br />

ZAHLENWELT<br />

Gewinner des Wandels<br />

Dass der Klimawandel drastische ökologische und gesellschaftliche Schäden verursacht, ist bekannt.<br />

Doch wie jede grundlegende Veränderung eröffnet auch die Erwärmung des Weltklimas Chancen – für<br />

Unternehmen, Standorte oder Handelsrouten. Eine Übersicht der Profiteure liefert diese Doppelseite.<br />

14%<br />

der weltweiten Erdöl- und Gasvorkommen<br />

werden unter der Arktis vermutet.<br />

Mit der Abschmelzung des „ewigen<br />

Eises“ könnten diese für die Erschließung zur Verfügung<br />

stehen. Diese Schätzung beruht auf Untersuchungen des<br />

U.S. Geological Survey. Wer allerdings in welchem Maße<br />

von den arktischen Schätzen profitieren wird, ist noch un–<br />

sicher. Um die genauen Besitzrechte streiten sich die Anrainer<br />

Norwegen, Dänemark, Russland, Kanada und die USA.<br />

Quelle: U.S. Geological Survey, Anchorage Daily News<br />

2 691200<br />

Flaschen Weißwein wurden in England im Jahr<br />

2006 produziert. Dazu kommen noch einmal<br />

677 733 Flaschen Rotwein. Experten rechnen damit,<br />

dass sich die Produktionsmenge noch<br />

weiter erhöhen wird, sollten sich durch die Klimaerwärmung<br />

die Bedingungen für den<br />

Weinanbau verbessern. Auch die Qualität<br />

der englischen Weine ist auf dem Vormarsch:<br />

Bei der International Wine<br />

Challenge gewannen englische Hersteller<br />

2007 21 Medaillen. 2006 waren es<br />

16, im Jahr davor nur zehn Medaillen.<br />

Quelle: English Wine Producers<br />

990 Milliarden<br />

Euro beträgt das Weltmarktvolumen, das die Leitmärkte im Bereich<br />

Umwelttechnologien bereits im Jahr 2005 erreicht haben<br />

(siehe Abbildung unten). Laut EU-Kommission ist der Markt für<br />

Umwelttechnologien zwischen 1999 und 2004 in Europa um jährlich<br />

sieben Prozent gewachsen. Allein im Sektor nachwachsende<br />

Rohstoffe könnten bis 2020 in Europa mehr als zwei Millionen<br />

Arbeitsplätze entstehen.<br />

Weltmarktvolumen für Umwelttechnologien<br />

(Mrd. Euro)<br />

Energieeffizienz<br />

Nachhaltige<br />

Wasserwirtschaft<br />

Nachhaltige<br />

Mobilität<br />

Energieerzeugung<br />

Rohstoff- und<br />

Materialeffizienz<br />

Kreislaufwirtschaft<br />

100<br />

40<br />

30<br />

190<br />

180<br />

450<br />

Quelle: <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Vergangenes und erwartetes Wachstum<br />

deutscher Umweltfirmen<br />

Umweltfreundliche<br />

Energieerz.<br />

Energieeffizienz<br />

Rohstoff- und<br />

Materialeffizienz<br />

Kreislaufwirtschaft<br />

Nachhaltige Wasserwirtschaft<br />

Nachhaltige<br />

Mobilität<br />

30 %<br />

27 %<br />

21 %<br />

22 %<br />

<strong>11</strong> %<br />

17 %<br />

13 %<br />

<strong>11</strong> %<br />

12 %<br />

15 %<br />

29 %<br />

20 %<br />

2004–2006 2007–2009<br />

Quelle: Marktstudien, Experteninterviews, <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Hamburg<br />

Sueskanal<br />

17000<br />

Kilometer beträgt die Länge des Seeweges von Shanghai nach Hamburg über die Nordostpassage. Die bisherige<br />

Route über den Sueskanal ist 20 000 Kilometer lang. Noch ist dieser Weg nur selten nutzbar, doch Klimaforscher<br />

gehen davon aus, dass die Strecke über den Nordpol infolge der globalen Erderwärmung bald ungehindert<br />

befahrbar sein wird. Ursache ist ein Rückzug der Eisfläche im Nordpolargebiet. Schon heute ist die Nordostpassage<br />

immer länger befahrbar. Fortschritte im Bau arktistauglicher Tanker kommen hinzu. Der Seeweg<br />

zwischen Europa und Asien würde sich damit um 3,5 Tage verkürzen – vorausgesetzt, die Schiffe können mit<br />

Höchstgeschwindigkeit fahren und es gibt keine Durchfahrtsquoten zum Schutz des sensiblen Ökosystems.<br />

Unternehmen weltweit hat die Citigroup als Hauptgewinner des<br />

Klimawandels identifiziert. In ihrem Report berücksichtigten die<br />

Analysten physische Implikationen der klimatischen Veränderungen,<br />

also wärmere Winter oder eine steigende Zahl der Wirbelstürme,<br />

regulatorische Implikationen, also beispielsweise Gesetze,<br />

die die Erschließung erneuerbarer Energien begünstigen, und<br />

Verhaltensfolgen, etwa selbst auferlegte Klimastrategien der<br />

Unternehmen. Unter den Gewinnern, den „Climate Consequences<br />

Companies“, findet sich neben Energieriesen wie RWE oder Gazprom<br />

und Finanzunternehmen wie Swiss Reinsurances beispielsweise<br />

auch der indische Zucker- und Ethanolproduzent Bajaj<br />

Hindusthan.<br />

Quelle: Citigroup; Grafik: Quellen F<strong>act</strong>Set und Citigroup Investment Research<br />

Quelle: Verband Deutscher Reeder<br />

Klimagewinner wachsen stärker<br />

als der Gesamtmarkt<br />

Kursanstieg (links), verglichen mit Morgan<br />

Stanley Country Index (MSCI AC)<br />

18<br />

14<br />

Nordostpassage<br />

10<br />

Klimagewinner<br />

9<br />

Shanghai<br />

25<br />

2004 2005 2006<br />

MSCI AC<br />

19<br />

7


p food for thought<br />

Mehr Klarheit ins System!<br />

Outsourcing hin oder her – Kernfunktionen gehören in die Zentrale, so Deutsche-Bank-Chef<br />

Josef Ackermann. Auch Banken stärkt die richtige Mischung aus zentralen und dezentralen<br />

Elementen. Ackermann erläutert auch, wie die Finanzwelt auf die aktuelle Krise reagieren muss.<br />

THINK:ACT Herr Dr. Ackermann, Sie nehmen<br />

demnächst an der BDI-Konferenz zum<br />

Thema Systemkopf Deutschland teil. Was<br />

können deutsche Unternehmen von diesem<br />

Ansatz lernen?<br />

JOSEF ACKERMANN Unternehmen müssen sich<br />

zunächst über ihre Stärken bewusst werden<br />

und ihre Wettbewerbsvorteile identifizieren. Im<br />

zweiten Schritt muss dann die Frage geklärt<br />

werden, welche Unternehmensfunktionen an<br />

welchem Standort am besten aufgehoben sind.<br />

Das ist nicht leicht. Unternehmen müssen bereit<br />

sein, sich von althergebrachten Verhaltensweisen<br />

und Traditionen zu lösen, um auf Basis<br />

von klaren Kriterien entscheiden zu können.<br />

Dabei hilft der Ansatz.<br />

Welche Standortfaktoren sind in Ihrer Branche<br />

für einen Systemkopf die wichtigsten?<br />

Die klassischen Standortfaktoren haben, gerade<br />

für eine Konzernzentrale, nichts von ihrer<br />

Bedeutung eingebüßt: politische Stabilität,<br />

Rechtssicherheit, günstige steuerliche Rahmenbedingungen<br />

– und dazu wirtschaftliche und<br />

gesellschaftliche Offenheit. Speziell für die<br />

Finanzbranche ist der Schlüssel zum Erfolg<br />

zudem qualifiziertes Personal: Die Verfügbarkeit<br />

der besten Köpfe ist ein entscheidender<br />

Standortfaktor. Dazu kommen im Idealfall eine<br />

kompetente, dialogbereite Finanzaufsicht,<br />

eine umfassende und zuverlässige Infrastruktur<br />

und ein breites Angebot ergänzender Dienstleister<br />

wie Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte,<br />

Berater und so weiter.<br />

Gibt es in Ihrer Branche eine Tendenz zu<br />

mehr Zentralisierung?<br />

Vieles erfolgt bei den Banken schon heute zentral<br />

– das Risikomanagement etwa unterliegt<br />

weltweit einheitlichen Standards. Darüber<br />

hinaus werden an den internationalen Kapitalmärkten<br />

viele Produkte auf zentralen Plattformen<br />

gehandelt. Prozesse zu zentralisieren<br />

rechnet sich in vielen Bereichen, aber nicht in<br />

allen: Eine Bank muss immer auch da physisch<br />

präsent sein, wo ihr Geschäft ist, bei den Kunden.<br />

„All business is local“ – daran wird sich<br />

im Bankengeschäft auch in Zukunft nichts ändern,<br />

Beratung bleibt dezentral.<br />

Müssten die neuen Technologien nicht eigentlich<br />

eher zu mehr Dezentralität führen?<br />

Im Internetzeitalter können Sie Prozesse zentral<br />

steuern, ohne dass alle daran Beteiligten<br />

physisch am selben Ort versammelt sein müssen.<br />

Zentrale Prozesssteuerung ist nicht mehr<br />

gleichbedeutend mit geografischer Zentralität;<br />

Menschen können zum Beispiel auch per<br />

Telefonkonferenz zusammenkommen.<br />

DIE DEUTSCHE BANK ist das größte<br />

deutsche Finanzhaus und eine der drei<br />

weltweit größten Investmentbanken. Im<br />

ersten Halbjahr 2007 steigerte das Unternehmen<br />

seinen Gewinn um 30 Prozent<br />

auf 3,9 Milliarden Euro. Die Eigenkapitalrendite<br />

vor Steuern betrug 38 Prozent, einen<br />

Prozentpunkt mehr als im Vorjahreszeitraum.<br />

Zugleich übertraf das Geldhaus damit<br />

die interne Zielmarke von 25 Prozent. Rund<br />

78 000 Mitarbeiter sind weltweit für die<br />

Deutsche Bank tätig. Seit 2005 hat das Unternehmen<br />

seinen Mitarbeiterstamm damit<br />

um 23 Prozent vergrößert.<br />

food for thought f<br />

Erwarten Sie, dass sich künftig wenige<br />

globale Finanzzentren als Gewinner der<br />

Veränderungen entpuppen, oder werden<br />

verschiedene kleinere Finanzzentren<br />

gestärkt, die sich jeweils auf ein Produktfeld<br />

spezialisieren?<br />

Wir werden beides sehen. Konzentration auf<br />

die klassischen Finanzzentren, die junge Talente<br />

anziehen. Komplementär dazu werden aber<br />

neue Finanzzentren entstehen, die sich mit<br />

neuen Produkten etablieren oder in Regionen<br />

angesiedelt sind, die in der Weltwirtschaft an<br />

Gewicht gewinnen.<br />

Welche Standorte werden in den nächsten<br />

zehn Jahren aufsteigen?<br />

Ich denke, ein oder zwei Zentren im asiatischen<br />

Raum werden zu London und New York aufschließen<br />

und vermutlich auch eines in der<br />

Golfregion.<br />

Welche Rolle spielt für Sie die Kultur an<br />

einem Standort, von der manche Experten<br />

sagen, dass sie entscheidend für den Erfolg<br />

einer Organisation sei? Oder geht es in der<br />

Finanzwelt nur um harte Fakten wie Steuern<br />

oder Regulierung?<br />

Unternehmenskultur wird als Wettbewerbsfaktor<br />

immer wichtiger. Global operierende Unternehmen<br />

müssen weltweit die besten Köpfe für<br />

sich gewinnen. Diese Mitarbeiter sind mobil<br />

und nicht auf einen Standort fixiert. Entscheidend<br />

ist deshalb eine Unternehmenskultur, die<br />

alle Mitarbeiter verbindet, ihnen das Gefühl<br />

gibt, ein Team zu sein, für eine gemeinsame<br />

Vision anzutreten. Die Deutsche Bank ist stolz<br />

darauf, eine solche One Bank Culture zu<br />

9


p food for thought<br />

haben, aber keine One Culture Bank zu sein.<br />

Wir haben gemeinsame Werte wie Kundenorientierung,<br />

Teamarbeit, Innovation, Leistung<br />

und Vertrauen, die für alle Mitarbeiter verbindlich<br />

sind – unabhängig davon, aus welchem<br />

Kulturkreis sie kommen. Zugleich pflegen<br />

wir aber eine Kultur der Vielfalt – wir beschäftigen<br />

in 75 Ländern Mitarbeiter aus mehr<br />

als 130 Nationen, betreuen Kunden aller Kulturkreise.<br />

Diese Vielfalt ist ein entscheidender<br />

Wettbewerbsvorteil für die Deutsche Bank.<br />

Und wie betreibt die Deutsche Bank das<br />

bewusste Management unterschiedlicher<br />

Kulturen, das oft mit Diversity-Management<br />

umschrieben wird? Wie machen Sie daraus<br />

einen Erfolgsfaktor?<br />

Kulturelle Vielfalt heißt: unterschiedliche<br />

Erfahrungen, unterschiedliche Anregungen aus<br />

Literatur und Kunst, die Mitarbeiter aus ihren<br />

Heimatländern mitbringen, wenn sie an anderen<br />

Standorten arbeiten; sie haben verschiedene<br />

Verhaltensweisen und Strategien kennengelernt,<br />

die in ihrer Kultur zum Erfolg führen.<br />

Das ist die Stärke kulturell gemischter Teams:<br />

Nicht jeder Weg führt in jeder Situation zum<br />

Erfolg, aber je mehr unterschiedliche Wege ein<br />

Team zur Auswahl hat, desto besser.<br />

Was sind aus der aktuellen Bankenkrise die<br />

wichtigsten „Lessons learned“?<br />

Zunächst einmal: Wir dürfen nicht das Kind<br />

mit dem Bade ausschütten, wie manche jetzt<br />

fordern. Eine Rückkehr zum traditionellen<br />

Buy-and-hold-Modell ist keine Option. Denn<br />

das hieße, Banken behalten alle ihre Kreditrisiken<br />

in der eigenen Bilanz – das hat sie in der<br />

Vergangenheit in eine passive Rolle gedrängt.<br />

Wenn sie zu viele Risiken angesammelt hatten,<br />

konnten sie kein Neugeschäft mehr machen.<br />

Das zukunftsweisende Modell des Kreditgeschäfts<br />

folgt dem Prinzip „Originate and distribute“<br />

und steht für die aktive Steuerung des<br />

Kreditrisikos einer Bank. Risiken werden dabei<br />

breiter gestreut. Das nützt beiden Seiten – den<br />

Investoren, für die es neue, attraktive Asset-<br />

J0SEF ACKERMANN Seit 2002 ist<br />

der Schweizer Josef Ackermann Chef der<br />

Deutschen Bank. Im Jahr 1996 wechselte er<br />

von der Credit Suisse zu dem Frankfurter<br />

Bankkonzern. Ackermann legt regelmäßig<br />

überzeugende Profitzahlen vor, auch wenn<br />

die Deutsche Bank gemessen am Börsenwert<br />

weiterhin nicht zu den größten Bankhäusern<br />

der Welt zählt. Zu Ackermanns<br />

Erfolgen gehört auch die Integration der<br />

1999 übernommenen US-Investment-Bank<br />

„Bankers Trust“. Nach den Rücktritten der<br />

Chefs von Citigroup und Merrill Lynch wurde<br />

spekuliert, Ackermann könnte dort als<br />

Nachfolger den Chefsessel übernehmen.<br />

klassen und Investitionsmöglichkeiten gibt,<br />

aber vor allem auch den Kunden: Sie bekommen<br />

einfacher Kredite, wenn der Kreditgeber<br />

das Risiko nicht allein trägt, sondern mit einem<br />

aktiven Risikomanagement Klumpenrisiken<br />

oder Bilanzengpässe vermeiden kann. Wir<br />

haben gelernt, dass aktives Risikomanagement<br />

wichtiger ist denn je. Die zweite Lektion:<br />

Wir brauchen dringend mehr Klarheit über<br />

die tatsächliche Risikoverteilung im System.<br />

Dazu sind unter anderem auch einheitliche<br />

Bewertungsmethoden für diese Risiken nötig.<br />

Damit die internationale Finanzgemeinde<br />

mit einer Stimme spricht, wird das Institute of<br />

International Finance (IIF), dessen Vorsitzender<br />

ich bin, Wohlverhaltensregeln für das<br />

Risikomanagement in der Branche erarbeiten.<br />

Transparenz ist der entscheidende Faktor,<br />

um rasch wieder Vertrauen auf den internationalen<br />

Kreditmärkten aufzubauen.<br />

Steht mit der Krise auch das Modell des<br />

breit aufgestellten Finanzkonzerns auf dem<br />

Prüfstand?<br />

Auf keinen Fall! Die Turbulenzen der vergangenen<br />

Monate haben besonders denjenigen<br />

Banken geschadet, die einseitig engagiert<br />

waren. Wenn Risiken umsichtig kontrolliert<br />

werden und eine Bank ihre Geschäftsfelder<br />

strategisch gut koordiniert und aufeinander<br />

abstimmt, bietet das Konzept einer sowohl im<br />

Investmentbanking als auch im Privatkundengeschäft<br />

tätigen Bank erhebliche Synergiepotenziale:<br />

Innovationen aus dem Investmentbanking<br />

gelangen schnell und direkt in die<br />

Portfolios der Anleger, Firmenkunden profitieren<br />

unmittelbar von neuen Finanzierungsinstrumenten,<br />

um nur zwei Beispiele zu nennen.<br />

Zeigt die Krise auch, dass der Finanzbereich<br />

die eigentliche Achillesferse der globalen<br />

Volkswirtschaft ist? Was ist nötig, um (wieder)<br />

zu mehr makroökonomischer Stabilität<br />

zu gelangen?<br />

Das Bankensystem ist nicht die Achillesferse<br />

der globalen Volkswirtschaft, sie ist ihr Herz!<br />

food for thought f<br />

Ohne Banken fließt kein Geld, sie pumpen es<br />

um den Globus, sie bringen Investoren, die<br />

Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital suchen,<br />

und Unternehmen, die für ihre Investitionen<br />

neue Mittel benötigen, zusammen. Darüber hinaus<br />

sorgen sie für das Management der damit<br />

verbundenen Risiken und stellen eine reibungslose<br />

Abwicklung der internationalen Zahlungsströme<br />

sicher. Ohne innovative Finanzprodukte<br />

könnten Firmenkunden zudem die Risiken sehr<br />

viel schwerer beherrschen, die aus der Globalisierung<br />

ihrer Geschäfte erwachsen, internationale<br />

Großprojekte wären kaum machbar. Die<br />

Globalisierung führt dabei zu mehr und nicht<br />

zu weniger ökonomischer Stabilität: Gerade<br />

in den vergangenen Monaten hat das robuste<br />

Wachstum in den Schwellenländern enorm<br />

stabilisierend gewirkt.<br />

Welche Entwicklungen werden sich insgesamt<br />

in der Bankenlandschaft der nächsten<br />

10, 20 Jahre vollziehen? Welche Pläne und<br />

Visionen haben Sie für die Deutsche Bank?<br />

Aus meiner Sicht gibt es drei Megatrends, die<br />

die vor uns liegenden Jahre bestimmen werden:<br />

erstens, die Globalisierung setzt sich mit unverminderter<br />

Geschwindigkeit fort; zweitens,<br />

die Kapitalmärkte werden weiter wachsen –<br />

und damit der Bedarf für anspruchsvolle<br />

Finanzintermediation; drittens, der steigende<br />

Wohlstand in den entwickelten und zunehmend<br />

auch in den aufstrebenden Schwellenländern<br />

sorgt für eine immense Nachfrage nach<br />

Anlageprodukten: Millionen und Abermillionen<br />

Kunden wollen Vermögen bilden, die Ausbildung<br />

ihrer Kinder finanzieren, für das Alter<br />

vorsorgen. Unsere Strategie ist daher klar –<br />

wir werden unsere Kerngeschäftsfelder konsequent<br />

ausbauen, die Internationalisierung der<br />

Bank weiter vorantreiben und insbesondere<br />

auch in Wachstumsmärkte investieren. Als<br />

eine der weltweit führenden Investmentbanken<br />

mit einem starken Privatkunden- und Vermögensverwaltungsgeschäft<br />

sind wir optimal<br />

aufgestellt, um von den Megatrends der<br />

Zukunft zu profitieren.<br />

10 <strong>11</strong>


p food for thought<br />

12<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

Wissen schafft<br />

Beschäftigung<br />

Die Globalisierung als Jobkiller in Europa?<br />

Nein, sagt Burkhard Schwenker, CEO von <strong>Roland</strong><br />

<strong>Berger</strong> Strategy Consultants. Um erfolgreich zu<br />

sein, müssen Unternehmen ihren Systemkopf<br />

strategisch richtig konzipieren. Dieses Denken<br />

sichert auch in Hochlohnländern Jobs.<br />

: Deutschland fürchtet die Globalisierung.<br />

2006 ging der German Marshall Fund diesen<br />

Sorgen mit einer Studie auf den Grund:<br />

83 Prozent der Befragten in Deutschland<br />

befürworten den freien Welthandel, gleichzeitig<br />

treibt 51 Prozent von ihnen die Angst<br />

um, durch ebendiese Globalisierung die<br />

Arbeit zu verlieren. Und das ist nicht unbegründet.<br />

Während allein in Osteuropa die<br />

Zahl der Beschäftigten deutscher Firmentöchter<br />

zwischen 1990 und 2004 von 31000<br />

auf 757 000 stieg, gingen in Deutschland<br />

zeitgleich 120 000 Jobs durch die Verlagerung<br />

verloren.<br />

Realität ist aber auch: Wer bei der Globalisierung<br />

nicht mithält, fällt zurück. Das<br />

weltweite BIP ist seit 1990 jährlich um drei<br />

Prozent gewachsen. Zeitgleich stiegen ausländische<br />

Direktinvestitionen pro Jahr<br />

um elf Prozent. Daraus folgt: Wer überdurchschnittlich<br />

wachsen will, muss internationalisieren.<br />

Denn Internationalisierung zahlt sich aus –<br />

zum Beispiel für Deutschlands große, international<br />

tätige Unternehmen: Sie sind in<br />

Umsatz und Beschäftigung deutlich stärker<br />

gewachsen als der wesentlich geringer<br />

internationalisierte Mittelstand. Auch bei<br />

der Profitabilität liegen globalisierte<br />

Unternehmen vorn: 60 Prozent erzielten<br />

zwischen 2003 und 2006 eine Rendite von<br />

über fünf Prozent. Bei den nicht globalisierten<br />

Firmen gelang dies nur jedem zweiten<br />

Unternehmen.<br />

WAS KANN DEUTSCHLAND<br />

KÜNFTIG ÖKONOMISCH<br />

SINNVOLL VERRICHTEN?<br />

Globalisierung, wachsende Märkte und Faktorkostenvorteile<br />

auf der einen, Druck auf<br />

die heimische Beschäftigung auf der anderen<br />

Seite – gibt es überhaupt noch eine<br />

Chance für die Arbeit am Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland? Unser Ansatz ist es, die<br />

Frage umzukehren: Welche Arbeit ist in<br />

Deutschland in Zukunft noch ökonomisch<br />

sinnvoll zu verrichten? Welche Arbeitsformen<br />

müssen wir am Standort halten und<br />

entwickeln, um insgesamt mehr Beschäftigung<br />

zu erreichen? Diese Fragen haben wir<br />

in der Studie Systemkopf Deutschland Plus<br />

gemeinsam mit dem Bundesverband der<br />

Deutschen Industrie (BDI) untersucht. Unsere<br />

Hypothese dabei: Wissen ist weniger<br />

mobil, als es das Klischee will. Wettbewerbsrelevante<br />

Schlüsselfunktionen, die viel<br />

Know-how benötigen, können daher weiterhin<br />

erfolgreich in Deutschland durchgeführt<br />

werden. Zu diesen Systemkopffunktionen<br />

zählen zum Beispiel Forschung und Entwicklung,<br />

Fertigungsplanung und -steuerung,<br />

Vertriebssteuerung, Marketing und<br />

Design, aber auch hochwertige Produktion.<br />

Unsere Hypothese stützt sich auf harte Zahlen.<br />

Denn in allen Bereichen, in denen sehr<br />

viel Wissen gefragt ist, sind Deutschlands<br />

Unternehmen Spitze. In den Ranglisten des<br />

World Economic Forum zum Beispiel steht<br />

Deutschland in den Kategorien „Innovationskapazität“,<br />

„Niveau der Produktionsprozesse“,<br />

„Qualität lokaler Zulieferer“ und<br />

„Einzigartigkeit des Wettbewerbsvorteils“<br />

vor 125 Ländern auf Platz eins.<br />

Unsere Studie hat diese Dominanz des Wissens<br />

bestätigt: Die von uns befragten Unter-<br />

nehmen setzen auf die Systemkopffunktionen<br />

in der Heimat und bauen dabei auf ihre<br />

Stärken: Qualität, Innovation und Individualität.<br />

Die Studie weist zudem einen Ausweg<br />

aus dem Beschäftigungsverlust: Wissensintensive<br />

Systemkopffunktionen sind sehr viel<br />

weniger von Verlagerung betroffen als<br />

andere Unternehmensbereiche – aktuell<br />

und auch in der Zukunft.<br />

DER SYSTEMKOPF VON<br />

THYSSENKRUPP MARINE SYSTEMS<br />

UMFASST F&E UND PRODUKTION<br />

Die Besten zeigen, wie es geht. Sie übertreffen<br />

den Durchschnitt durch branchenspezifisch<br />

optimierte Systemkopfstrategien. Beispiel:<br />

ThyssenKrupp Marine Systems. Das<br />

Unternehmen produziert äußerst erfolgreich<br />

Marineschiffe, Megajachten und Containerschiffe<br />

in Deutschland und verknüpft<br />

dabei bewusst seine Systemkopffunktionen<br />

Forschung und Entwicklung (F&E) und Produktion<br />

am heimischen Standort. Zum<br />

einen lernt die Entwicklung enorm aus den<br />

Erfahrungen der komplexen Produktion.<br />

Zum anderen profitiert F&E von der Zusammenarbeit<br />

mit hochrangigen Forschungseinrichtungen<br />

an der deutschen Küste.<br />

Nächstes Beispiel: Bosch Kraftfahrzeugtechnik.<br />

Sowohl in der Entwicklung als auch in<br />

der Produktion sitzen die Systemköpfe in<br />

Deutschland. Während die Entwicklung<br />

einzelner Produkte durchaus auch im Ausland<br />

erfolgt, ist die Plattformentwicklung<br />

nahezu ausschließlich in Deutschland angesiedelt.<br />

Und in der Produktion nehmen die<br />

in Deutschland sitzenden Leitwerke, die sich<br />

durch herausragendes Produktions-Know-<br />

how auszeichnen, die Rolle von Paten für<br />

Werke in Niedriglohnländern wahr. Mit großem<br />

Erfolg setzen auch die anderen von uns<br />

untersuchten Unternehmen, zum Beispiel<br />

Henkel, adidas, Benteler Automobiltechnik<br />

oder Loewe, auf ihre spezifischen Stärken in<br />

heimischen Systemkopffunktionen.<br />

Die Erkenntnisse der Studie geben die Richtung<br />

vor, wie sich deutsche Unternehmen<br />

international erfolgreich aufstellen und<br />

gleichzeitig Beschäftigung in der Heimat<br />

erhalten und entwickeln können. Doch um<br />

dies zu erreichen, muss jetzt gehandelt<br />

werden. Dringend! Unternehmen und Politik<br />

müssen in einer konzertierten Aktion<br />

zusammenwirken, um gemeinsam an<br />

der Spitze der Globalisierungsbewegung<br />

zu bleiben.<br />

Unternehmen müssen ihre Systemkopffunktionen<br />

identifizieren und mit optimalen<br />

Mitteln ausstatten – personell und<br />

finanziell. Zur Identifikation dieser Funktionen<br />

müssen Unternehmen ihre Wertschöpfungskette<br />

tiefgehend analysieren. Für<br />

jedes Unternehmen sind die entscheidenden<br />

Bereiche andere: Prozesssteuerung,<br />

Logistik, Produktion, Design oder Marketing,<br />

für andere Unternehmen ist F&E eine<br />

zentrale Systemkopffunktion. Bei dieser<br />

Identifikation sind die CEOs gefragt:<br />

Welche Funktionen begründen Wettbewerbsvorteile,<br />

weil sie Mehrwert schaffen<br />

und einzigartig sind, also von Wettbewerbern<br />

nicht ohne Weiteres kopiert oder<br />

ersetzt werden können? Es ist von entscheidender<br />

Bedeutung, permanent mit<br />

höchster Priorität in diese Systemkopffunktionen<br />

zu investieren, um ständig<br />

STUDIE SYSTEMKOPF DEUTSCHLAND PLUS<br />

Die Untersuchung geht der Frage nach, welche Teile der Wertschöpfungskette auch in Zukunft<br />

Potenzial in Deutschland haben, und liefert so Ansätze, wie auch Hochlohnländer von der Globalisierung<br />

profitieren. <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants führte sie 2007 gemeinsam mit dem<br />

BDI, der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und dem Institut der deutschen Wirtschaft durch.<br />

Die Untersuchung umfasst zwei Befragungen in mehreren Tausend deutschen Unternehmen sowie<br />

13 Fallstudien, die auf Interviews mit bekannten deutschen CEOs basieren.<br />

Kontakt: Dr. Christian Krys, christian_krys@de.rolandberger.com<br />

food for thought f<br />

innovative Best-of-Class-Produkte und -Prozesse<br />

zu gestalten.<br />

Auf der Absatzseite muss es lauten: klare<br />

Fokussierung auf Innovationsführerschaft<br />

und Alleinstellungsmerkmale. Effizienzsteigerung<br />

durch Auslagerung darf auf keinen<br />

Fall auf Kosten der Produktqualität gehen.<br />

Unternehmen müssen ihre Prozesse und<br />

Organisation optimieren, damit ihre<br />

Systemkopffunktionen zu bestmöglicher<br />

Entfaltung kommen.<br />

Der Leitsatz lautet: Zentralisierung der<br />

Systemkopffunktionen, Dezentralisierung<br />

aller marktnahen Bereiche. Vonseiten des<br />

Staats müssen die Rahmenbedingungen für<br />

den Erfolg deutscher Systemköpfe geschaffen<br />

werden.<br />

Daher der Aufruf, unsere Unternehmen bei<br />

ihrer Systemkopfstrategie zu unterstützen:<br />

Steigert die Akzeptanz für Technik – denn<br />

Ingenieure sind Deutschlands Zukunft!<br />

Baut Bürokratie ab! Investiert in die<br />

Leistungsfähigkeit der Infrastruktur! Unterstützt<br />

Industrie und Institute bei Forschungsvorhaben<br />

substanziell – und nicht<br />

mit der Gießkanne! Schafft Planungssicherheit<br />

für Unternehmen bei Gesetzesvorhaben!<br />

Eine Forderung, die insbesondere im<br />

Bereich der Energiemärkte von führenden<br />

europäischen CEOs im Rahmen unseres<br />

Best of European Business CEO Survey 2007<br />

ausdrücklich bestätigt wird. Und – vielleicht<br />

die wichtigste Forderung: Investiert nachhaltig<br />

in die beste Bildung!<br />

DAMIT DER SYSTEMKOPFANSATZ<br />

FUNKTIONIERT, MÜSSEN UNTERNEHMEN<br />

UND POLITIK AN EINEM STRANG ZIEHEN<br />

Die Bedeutung der Systemkopfstrategie hört<br />

nicht an Deutschlands Grenzen auf: Sie<br />

kann ein Erfolgsmodell für alle Staaten sein,<br />

die über viel Know-how verfügen. Vorausgesetzt,<br />

Unternehmen und Politik arbeiten<br />

Hand in Hand mit einem Ziel: den Wirtschaftsstandort<br />

an der Spitze und die<br />

zentralen Wissenskompetenzen im Land<br />

zu halten, um nachhaltig Beschäftigung<br />

zu sichern.<br />

13


p food for thought food for thought f<br />

14<br />

Unternehmen dürfen nicht „gut“ sein<br />

Corporate Social Responsibility ist für viele Unternehmen inzwischen Teil ihrer Strategie. Zu Recht? In<br />

seinem neuen Buch „Supercapitalism“ und exklusiv in <strong>think</strong>:<strong>act</strong> schreibt der frühere US-amerikanische<br />

Arbeitsminister Robert Reich, dass Unternehmen Profit machen sollen – und nicht „gut“ sein können!<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

: In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts<br />

sah alles nach einem beeindruckenden<br />

Siegeszug des Kapitalismus aus.<br />

Seine gesellschaftlichen Folgewirkungen<br />

jedoch – schmutzige Städte, schlechte Löhne<br />

und lange Arbeitszeiten für die Arbeiter in<br />

der Fabrik, Kinderarbeit, zunehmende<br />

Ungleichheiten – machten vielen Menschen<br />

zu schaffen. Sozialreformer weisen schon<br />

lange auf missbräuchliche Unternehmenspraktiken<br />

hin – immer mit dem Ziel, politische<br />

Unterstützung für neue Gesetzgebungen<br />

oder Regelungen zu gewinnen, die diesen<br />

Praktiken einen Riegel vorschieben<br />

würde. Im vergangenen Jahrzehnt haben<br />

viele Unternehmen von sich behauptet,<br />

„gesellschaftlich verantwortlich“ geworden<br />

zu sein. Das Thema der Corporate Social<br />

Responsibility ist in den heutigen Vorstandsetagen<br />

längst ein etablierter Begriff.<br />

Es wird gefordert, dass ein Unternehmen<br />

nicht nur die Interessen seiner Aktionäre<br />

und Kunden, sondern auch der Gesellschaft<br />

als Ganzes vertritt. Ich bin da sehr skeptisch.<br />

NICHT UNTERNEHMEN, SONDERN DIE<br />

DEMOKRATIE MUSS ANTWORTEN AUF<br />

FRAGEN DER GESELLSCHAFT GEBEN<br />

Ohne ein konkretes, gesetzlich verankertes<br />

gesellschaftliches Ziel kann dieser Begriff für<br />

fast alles stehen. Sollte ein gesellschaftlich<br />

verantwortlicher Investmentfonds Unternehmen<br />

herausfiltern, die auf dem Feld der<br />

Atomenergie tätig sind? Umweltaktivisten,<br />

die die Atomenergie für die beste Alternative<br />

zu fossilen Brennstoffen halten, würden<br />

dies ablehnen. Sollte der Verbraucher lieber<br />

Eier von Landwirtschaftsbetrieben mit frei<br />

laufenden Hühnern kaufen, oder sollten wir<br />

Hühner im Käfig lassen, da sie so nicht mit<br />

an Vogelgrippe erkrankten Zugvögeln in<br />

Kontakt kommen können? Sollten gesellschaftsbewusste<br />

Investoren und Kunden Firmen<br />

meiden, die Alkohol herstellen, oder<br />

Medienfirmen, die sexistische oder gewalttätige<br />

Inhalte produzieren?<br />

Manager von Unternehmen sind in keiner<br />

Weise in der Lage, diese Fragen zu beantworten.<br />

Auch ist das Unterdrucksetzen von<br />

Firmen, rechtschaffener zu agieren, für Entscheidungen<br />

über komplexe gesellschaftliche<br />

Probleme ein inakzeptabler Mechanismus.<br />

Der Versuch, Unternehmen gesellschaftlich<br />

verantwortungsbewusster zu<br />

machen, ist an sich zwar ein würdiges Ziel,<br />

ROBERT BERNARD REICH war von<br />

1993 bis 1997 US-Arbeitsminister unter Präsident<br />

Bill Clinton. Während seiner Amtszeit<br />

unterstützte er insbesondere Gesetzgebungen<br />

zur Armutsbekämpfung und Arbeitsplatzregelung.<br />

Sein größter Erfolg war die Verabschiedung<br />

des Family and Medical Leave<br />

Act (FMLA), der Arbeitnehmern eine vorübergehende<br />

Auszeit ohne Lohnfortzahlung aufgrund<br />

von Krankheit oder zur Betreuung von<br />

Familienmitgliedern ermöglicht. Der Volkswirt<br />

ist Berater für Sicherheits- und Friedensfragen<br />

des renommierten Wirtschaftsmagazins<br />

Economist. Reich lehrt derzeit Public<br />

Policy an der Universität von Kalifornien in<br />

Berkeley und befasst sich dort mit Industriepolitik,<br />

Arbeitsmarktfragen, Makroökonomie<br />

und der Sozialgesetzgebung. Er ist verheiratet<br />

und hat zwei Söhne.<br />

doch sollte man es eher dadurch verfolgen,<br />

dass man den demokratischen Prozess verbessert.<br />

Wir müssen uns dafür einsetzen,<br />

dass die Öffentlichkeit Demokratie in ihrer<br />

Gesamtheit besser verstehen lernt.<br />

Ein Bürgerhandbuch zum Thema Superkapitalismus<br />

würde die Öffentlichkeit als<br />

Erstes vor Politikern oder Lobbyisten warnen,<br />

die Unternehmen und ihre Manager<br />

für die negativen gesellschaftlichen Folgeerscheinungen<br />

dieses Superkapitalismus<br />

verantwortlich machen – ob für zu niedrige<br />

oder rückläufige Löhne und Zusatzleistungen,<br />

gestrichene Stellen, zunehmende<br />

Ungleichheiten, den Verlust an Gemeinschaft,<br />

den Treibhauseffekt, unangemessene<br />

Produkte oder jede beliebige andere Sache,<br />

die oft und gern kritisiert wird.<br />

MAN KANN VON MANAGERN<br />

NICHT MEHR ERWARTEN,<br />

ALS DASS SIE GESETZE BEFOLGEN<br />

Manager von Unternehmen haben die Gesetze<br />

einzuhalten und sollten für alle illegalen<br />

Aktivitäten zur Verantwortung gezogen<br />

werden. Doch man kann – und sollte – von<br />

ihnen nicht erwarten, dass sie mehr als das<br />

tun. Ihre Aufgabe ist es, die Kunden des<br />

Unternehmens zufriedenzustellen und<br />

damit Geld für dessen Investoren zu erwirtschaften.<br />

Gelingt ihnen das nicht mindestens<br />

genauso gut wie der Konkurrenz, wird<br />

das Unternehmen von den Kunden und<br />

Investoren abgestraft, die ihr Geld nun<br />

anderweitig anlegen. Die Manager der<br />

Unternehmen gehören keiner bösartigen<br />

Verschwörung an. Negative gesellschaftliche<br />

Folgen unternehmerischen Handelns<br />

sind vielmehr oft das logische Ergebnis<br />

zunehmenden Wettbewerbs – des Versuchs,<br />

Kunden und Investoren immer attraktivere<br />

Angebote zu machen. Diese Angebote können<br />

es dann erfordern, Stellen ins personalkostengünstigere<br />

Ausland zu verlagern,<br />

Menschen durch Computer und Software zu<br />

ersetzen beziehungsweise auch Gewerk-<br />

15


p food for thought<br />

16<br />

ERFOLGSFAKTOR CSR<br />

Corporate Social Responsibility (CSR) ist<br />

kein nettes Beiwerk, sondern ein wichtiges<br />

Mittel, um neue Geschäftsfelder zu<br />

erschließen. Das glaubt Professor Björn<br />

Bloching, CSR-Experte von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />

Immer mehr Unternehmen<br />

erkennen,<br />

dass CSR kein nettes<br />

Beiwerk, sondern ein<br />

wichtiger Faktor für<br />

den Erfolg ihres<br />

Kerngeschäfts ist.<br />

Fragestellungen wie<br />

demografischer Wandel,<br />

Migration, Klimawandel<br />

oder alternative<br />

Rohstoffe erfordern<br />

die Ausrichtung<br />

Björn Bloching,<br />

Partner bei <strong>Roland</strong><br />

<strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants<br />

vieler Unternehmensstrategien an steigenden<br />

Stakeholderanforderungen.<br />

Dennoch wird CSR oftmals noch zu sehr als<br />

PR-Thema aufgefasst oder lediglich reaktiv<br />

betrieben. Vielfach findet man auch einen<br />

Flickenteppich aus isolierten Einzelmaßnahmen<br />

vor, die teilweise keinen Bezug zum<br />

Kerngeschäft aufweisen. Da viele CSR-Maßnahmen<br />

erst langfristig wirksam werden,<br />

haben vor allem kurzfristig orientierte Unternehmen<br />

Schwierigkeiten damit, CSR als strategische<br />

Investition zu verstehen.<br />

Professionelle CSR dagegen senkt Kosten<br />

und steigert Erlöse. Wichtig dabei ist aber,<br />

dass CSR strategisch im Unternehmen verankert<br />

und zur Wettbewerbspositionierung<br />

verwendet wird. So müssen die CSR-Kundenbedürfnisse<br />

zukünftig besser verstanden<br />

werden, um sie in Produktentwicklung, Marketing<br />

und Vertrieb gewinnbringend nutzen<br />

zu können. Einige Unternehmen eröffnen<br />

sich damit völlig neue Geschäftsfelder und<br />

erschließen enorme Potenziale.<br />

Neben ihrem Auftrag, Gewinn zu erzielen,<br />

spielen Unternehmen eine wichtige Rolle in<br />

der Gestaltung der Gesellschaft. Entscheidend<br />

ist, dass beide Aspekte nicht isoliert<br />

voneinander betrachtet werden, sondern eng<br />

ineinander verwoben sind.<br />

schaften zu trotzen. Oder Angebote gehen<br />

zulasten kleiner Einzelhändler, die ihre<br />

Waren eben nicht so billig verkaufen können,<br />

oder auf Kosten ganzer Regionen, die<br />

einen großen Arbeitgeber verlieren, der<br />

seine Produktion aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit<br />

ins Ausland verlagern muss.<br />

Solche Angebote können die Fähigkeiten<br />

bestimmter Spitzen-CEOs erfordern, die<br />

dann wie Stars bezahlt werden; oder sie können<br />

sich negativ auf die Atmosphäre unseres<br />

Planeten auswirken. Gute Angebote können<br />

es mit sich b ringen, dass wir die Luft verpesten,<br />

im Fernsehen Sex und Gewalt senden<br />

oder uns die Bäuche mit Fast Food vollschlagen.<br />

Sie können bedeuten, dass im Ausland<br />

Menschenrechte missachtet oder junge Kinder<br />

zur Arbeit geschickt werden.<br />

SOZIAL VERTRÄGLICHES HANDELN UND<br />

WIRTSCHAFTLICHES GEWINNSTREBEN<br />

SCHLIESSEN SICH GEGENSEITIG AUS<br />

Solange diese Angebote legal bleiben und<br />

die Kunden und Investoren zufriedenstellen,<br />

werden die Unternehmen und ihre Manager<br />

von ihnen Gebrauch machen. Dies<br />

macht sie keineswegs „richtig“. Die einzige<br />

Möglichkeit jedoch, sie als falsche Lösung zu<br />

sanktionieren und Unternehmen davon abzuhalten,<br />

Kunden wie Investoren „gute Angebote“<br />

mit derartig negativen Begleiterscheinungen<br />

zu unterbreiten, ist es, sie illegal<br />

zu machen. Es ist unlogisch, Unternehmen<br />

dafür zu kritisieren, dass sie sich in ihren<br />

Aktivitäten an die derzeitigen Regeln halten.<br />

Wenn wir wollen, dass sie sich anders<br />

verhalten, müssen wir die Regeln ändern.<br />

Um es ganz klar zu sagen: Die Öffentlichkeit<br />

sollte jede Behauptung von Unternehmensmanagern<br />

darüber, dass ein Unternehmen<br />

etwas für das Gemeinwohl oder in Erfüllung<br />

seiner gesellschaftlichen Verantwortung tut,<br />

sehr kritisch hinterfragen. Unternehmen<br />

sind nicht am Gemeinwohl interessiert. Es<br />

liegt nicht in ihrer Verantwortung, „gut“ zu<br />

sein. Vielleicht tun sie gute Dinge, um ihr<br />

Markenimage aufzupolieren und dadurch<br />

ihren Umsatz und Gewinn zu steigern.<br />

Unternehmen tun Dinge, die für sie profitabel<br />

sind und als Begleiterscheinung gesellschaftlich<br />

vorteilhafte Effekte haben können.<br />

Aber sie tun Gutes kaum um seiner<br />

selbst willen. Warum? Die einfachste Erklärung<br />

ist, dass Unternehmen keine Menschen<br />

sind. Sie sind juristische Fiktionen – nicht<br />

mehr als eine Vielzahl vertraglicher Absprachen.<br />

Zwar gibt es Firmenkulturen, vorherrschende<br />

Stile oder Normen – wie sie jede<br />

Gruppe charakterisieren. Doch das Unternehmen<br />

existiert nicht „körperlich“. Vor<br />

allem im Superkapitalismus trifft dies zu, in<br />

dem Unternehmen rasch zu weltweiten Lieferketten<br />

mutieren können.<br />

Werden Unternehmen anthropomorphe<br />

Merkmale zugeschrieben, wenn sie öffentlich<br />

als nobel oder gemein, patriotisch oder<br />

verräterisch, rechtschaffen oder kriminell<br />

oder mit beliebigen anderen Eigenschaften,<br />

die Menschen besitzen können, dargestellt<br />

werden –, wird irreführend suggeriert, dass<br />

sie Personen gleichzusetzen sind. Ihnen<br />

werden so Pflichten auferlegt und Rechte<br />

zugesprochen, die nur Menschen zustehen.<br />

Die Grenze zwischen Kapitalismus und<br />

Demokratie verwischt; falsche öffentliche<br />

Grundsätze werden erlassen.<br />

Der Siegeszug des Superkapitalismus hat<br />

indirekt wie unabsichtlich zum Verfall der<br />

Demokratie geführt. Das ist nicht unaufhaltsam.<br />

Wir können sowohl eine dynamische<br />

Demokratie als auch einen dynamischen<br />

Kapitalismus haben. Dafür sind beide Sphären<br />

sauber zu trennen. Der Sinn des Kapitalismus<br />

besteht darin, Kunden und Investoren<br />

attraktive Angebote zu machen. Der<br />

Sinn der Demokratie ist es, Dinge zu erreichen,<br />

die dem Einzelnen allein verwehrt<br />

blieben. Wenn Unternehmen gesellschaftliche<br />

Verantwortung zu übernehmen scheinen<br />

oder die Politik dazu nutzen, ihre Wettbewerbsposition<br />

zu stärken oder zu sichern,<br />

wird diese Grenze überschritten.<br />

:<br />

Das griechische Wort für Kunst lautet<br />

Techné. Für die Griechen war das Schaffen<br />

von Neuem, egal ob unmittelbar nützlich<br />

oder ästhetisch inspirierend, dasselbe.<br />

In der Neuzeit gingen Technik und Kunst<br />

allerdings getrennte Wege. Jetzt, im Computerzeitalter,<br />

nähern sich die Disziplinen<br />

wieder an. In Troy, New York, sollen sich<br />

Technik und Kunst nun auf besondere Weise<br />

ergänzen. Das „Experimental Media and<br />

Performing Arts Center“ (EMPAC) öffnet<br />

im Oktober 2008 seine Tore. Als Teil des<br />

Rensselaer Polytechnic Institute werden<br />

dort Wissenschaftler und Künstler gemeinsam<br />

an Projekten forschen und arbeiten, um<br />

die vielseitigen Beziehungen zwischen Wissenschaft<br />

und Technik zu analysieren – und<br />

damit auch zu einer breiteren, kreativeren<br />

und gesellschaftlich verantwortungsvollen<br />

Technikentwicklung zu gelangen. Hochschulchefin<br />

Shirley Ann Jackson: „Unsere<br />

Gesellschaft braucht Wissenschaftler und<br />

Ingenieure, die ihre Meinung sagen, die<br />

Öffentlichkeit lenken. Sie müssen deshalb<br />

nicht nur technisch brillant sein, sondern<br />

auch weitblickend und human.“<br />

Das bedeutet ein verändertes Verständnis<br />

von technologischer Forschung. Wer innovativ<br />

arbeiten will, muss vor allem Offenheit<br />

mitbringen. „Ob ein Mensch innovativ ist,<br />

hängt von der Gesamtheit seiner Konstitution<br />

ab, sowohl menschlich, mental als auch<br />

vom Herzen“, sagt Johannes Goebel, Direktor<br />

von EMPAC.<br />

In seinem neuen Buch „A Whole New Mind“<br />

geht der US-Autor Daniel H. Pink noch weiter.<br />

Er vertritt die These, dass die Wirtschaft<br />

auf die Fähigkeiten der sogenannten Right<br />

Brainers, also der Menschen, deren rechte<br />

Gehirnhälfte stärker ausgeprägt ist, nicht<br />

verzichten kann. Empathie, Einfallsreichtum<br />

und das Denken in größeren Zusammenhängen<br />

können nicht automatisiert<br />

werden. „Die Left Brainers, also die Menschen<br />

mit einem ausgeprägt analytischen,<br />

regelfundierten und logischen Denken, sind<br />

zwar notwendig, aber ihre Fähigkeiten reichen<br />

nicht“, sagt Pink. Die Forderung: Die<br />

Fähigkeiten, die vor allem Künstler mitbringen,<br />

müssen in die künftigen Wirtschaftsabläufe<br />

integriert werden.<br />

KÜNSTLER WIE WISSENSCHAFTLER<br />

SEHEN LÜCKEN IN DER WELT –<br />

UND FÜLLEN SIE<br />

Speziell technische Innovation hat für Pink<br />

immer auch eine künstlerische Komponente.<br />

„Ein großartiger Künstler sieht eine<br />

Lücke in der Welt und füllt sie dann. Dasselbe<br />

gilt für einen Wissenschaftler. Beide<br />

geben den Menschen etwas, von dem sie<br />

nicht wussten, dass sie es brauchen.“<br />

Wenn Techniker von der Kunst lernen, müssen<br />

sie sich von gelernten Dogmen verabschieden.<br />

Im Gegensatz zu ihnen sind<br />

Künstler nämlich nicht auf Eindeutigkeit<br />

fokussiert. Wissenschaftliche Experimente<br />

zielen darauf, verifiziert zu werden, also bei<br />

food for thought f<br />

Steckt ein Künstler in<br />

jedem Technikfreak?<br />

Eine US-Universität will Technik und Kunst zusammenbringen.<br />

Dahinter verbirgt sich ein breites Verständnis von Innovation:<br />

weniger Linearität, mehr Chaos.<br />

Wiederholung dieselben Ergebnisse zu liefern.<br />

„Künstlerische Arbeit hingegen ist<br />

daran interessiert, sich ständig verändernde<br />

kulturelle und historische Zusammenhänge<br />

mit den persönlichen Perspektiven von Produzent<br />

und Rezipient, also Künstler und<br />

Publikum, zusammenzuführen“, erklärt<br />

Goebel. In der Uneindeutigkeit liegt kreative<br />

Freiheit. Wenn Wissenschaftler sehen,<br />

wie Künstler Maschinen umfunktionieren<br />

und in kreative Prozesse einbauen, wie zum<br />

Beispiel Tänzer, die einen Roboter als Tanzpartner<br />

wählen, werden sie selbst offener<br />

für neue Ideen.<br />

Das EMPAC selbst ist für den Grenzgang gut<br />

ausgerüstet. In seinen Aufführungsräumen<br />

etwa sind alle technischen Geräte wie die<br />

Klimaanlage oder Projektoren so leise konstruiert,<br />

dass sie das menschliche Ohr nicht<br />

wahrnehmen kann. Damit steht dem Ohr<br />

die ganze Bandbreite der künstlerischen<br />

Wahrnehmung offen.<br />

Leicht wird die Zusammenarbeit der Technik-Nerds<br />

mit den kreativen Wilden nicht.<br />

Goebel: „Die Arbeit in interdisziplinären<br />

Teams birgt ebenso große Probleme in sich,<br />

wie sie vielversprechend sein kann.“ Die<br />

Lösung sieht er in einer flachen Hierarchie.<br />

„Autonomie und damit ein großer Spielraum<br />

in Verbindung mit Verantwortlichkeit<br />

lässt Menschen in ihrer Arbeit besser werden“,<br />

sagt Pink. So schließt sich vielleicht<br />

der Kreis zur antiken Auffassung der Einheit<br />

von Technik und Kunst.<br />

17


THE FUTURE<br />

BLICK IN DIE GLASKUGEL<br />

Die Welt im Jahr 2030 – gesehen von der Künstlerin<br />

Julia Pfaller. Vorlage für diese Collage bildete das<br />

„Trend Compendium 2030“, das <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants für das Meeting der Young Global<br />

Leaders des World Economic Forum im chinesischen<br />

Dalian erarbeitet hatte. Das Kompendium<br />

stellt die wichtigsten Entwicklungen der kommenden<br />

Jahre in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Bildung,<br />

Entwicklung, Staat und Gesellschaft vor. Im<br />

Bereich Wirtschaft fragt es: Wer wird der nächste<br />

asiatische Tiger? Neben China und Indien machen<br />

die Berater Korea und Indonesien als Kraftprotze<br />

aus – vor allem in der Serviceökonomie.<br />

Der Trend des lebenslangen Lernens setzt sich<br />

durch. Wachsen dürfte die Zahl religiöser Bewegungen.<br />

Leiden werden wir weniger an infektiösen<br />

als an chronischen Krankheiten. Ausnahme:<br />

HIV. Die Zahl innerstaatlicher Konflikte droht<br />

zuzunehmen. Celebritys werden sich künftig<br />

wohl noch stärker sozial engagieren.<br />

food for thought f<br />

18 19


p food for thought<br />

20<br />

Eingreiftruppe „Bessere Welt“<br />

Das Morgen gehört ihnen. Doch schon heute setzen sich die Young Global Leaders aktiv für die Zukunft<br />

der globalen Gesellschaft ein. Gemeinsam suchen die Köpfe aus aller Welt nach Lösungen für die<br />

drängendsten Probleme unserer Erde. Die spannende Frage: Wie klassifiziert man globale Probleme?<br />

: Gesellschaftliches Engagement ist bei<br />

Entscheidern momentan en vogue. Doch<br />

es ist ein Unterschied, ob man es bei Sonntagsreden<br />

belässt oder wirklich dafür sorgt,<br />

dass die Dinge anders laufen. Letzteres<br />

tun momentan die Young Global Leaders<br />

(YGL), eine Gruppe Nachwuchsstars in<br />

Unternehmen, Regierungen und NGOs aus<br />

aller Welt. Das World Economic Forum hat<br />

die aufstrebenden Bosse aus Wirtschaft,<br />

Politik und Gesellschaft zusammengeführt.<br />

Jetzt werden sie zunehmend zu einer globalen<br />

Eingreiftruppe in Sachen bessere Welt.<br />

Geredet wird auch auf den Treffen der YGL<br />

viel, etwa im vergangenen September im<br />

chinesischen Dalian. Was neu ist an ihrem<br />

Ansatz, verdeutlicht das Beispiel des „Table<br />

for Two“, einer Initiative der YGL. Ausgangspunkt:<br />

Die einen essen zu viel und zu ungesund,<br />

die anderen hungern. Wäre doch<br />

schön, wenn sich hier ein Ausgleich finden<br />

ließe. Die YGL haben dazu bei Unternehmen<br />

dafür geworben, ihren Mitarbeitern für<br />

einen kleinen Aufpreis gesundes Essen zu<br />

servieren – und im Gegenzug auch Schulkinder<br />

in Entwicklungsländern mit einer<br />

gesunden Mahlzeit zu versorgen. YGL<br />

James Kondo, Präsident und Vice Chairman<br />

des Health Policy Institute in Japan: „Jedes<br />

Mal, wenn jemand bei den Unterstützerfirmen<br />

eine gesunde Mahlzeit isst, fließen<br />

20 Cent in eine gesunde Schulmahlzeit in<br />

einem Entwicklungsland.“ So ist der Tisch<br />

für zwei gedeckt.<br />

Unternehmen wie Japan Airlines, NEC oder<br />

Lehman Brothers beteiligen sich an dem<br />

globalen Projekt. Ein Zusatzeffekt für die<br />

Organisationen: Ihre Mitarbeiter ernähren<br />

sich nicht nur gesünder, sondern werden<br />

zugleich für die Ernährungsproblematik auf<br />

dem Globus sensibilisiert.<br />

DIE YOUNG GLOBAL LEADERS<br />

SITZEN AN DEN SCHALTHEBELN –<br />

UND KÖNNEN IDEEN DAHER UMSETZEN<br />

Die Table-for-Two-Initiative verdeutlicht<br />

einen Vorteil der YGL: Viele sitzen in internationalen<br />

Konzernen an den Schalthebeln.<br />

Sie haben den Drive und die Macht, gute<br />

Ideen umzusetzen. Zugleich wirken bei den<br />

jungen Führern viele Köpfe aus Wissenschaft<br />

oder NGOs mit, die wissen, welche<br />

Probleme wirklich drängend sind.<br />

Genau dies ist aber gar nicht so einfach zu<br />

entscheiden. Hunger, Klimawandel, Demokratisierung<br />

– die Liste möglicher Megathemen<br />

ist lang. Wie entscheidet man, welche<br />

Fragen ganz oben auf der Prioritätenliste<br />

stehen? Eine Frage, die die aus unterschiedlichen<br />

Kulturkreisen stammenden YGL kontrovers<br />

diskutieren. Denn natürlich sind die<br />

einzelnen Leader von ihrem jeweiligen kulturellen<br />

Hintergrund geprägt – „was aber<br />

auch ein Riesenvorteil ist“, wie Manfred Reichel<br />

sagt, langjähriger Partner bei <strong>Roland</strong><br />

<strong>Berger</strong> Strategy Consultants, der als eine<br />

Art Coach die Taskforces der Leader unterstützt.<br />

Die offenen Diskussionen wirkten für<br />

alle befruchtend.<br />

Das glaubt auch YGL Christophe Beck,<br />

Senior Vice President beim New Yorker Ecolab:<br />

„Letztes Jahr in Vancouver hatten wir<br />

einen sehr interessanten Moment. Die Europäer<br />

diskutierten lang und breit die Frage,<br />

wie ihre Verwaltung effizient zu machen<br />

sei. Dann meldete sich ein Young Global<br />

Leader aus Mosambik zu Wort: Für ihn seien<br />

alle Alternativen, die die Europäer debattierten,<br />

Idealzustände.“<br />

Letztlich, so Beck, hänge es von der Größe<br />

und den Auswirkungen eines Problems ab,<br />

an welcher Stelle auf der Prioritätenliste es<br />

stehe – aber auch davon, was man wirklich<br />

tun kann. Ein pragmatischer Ansatz, wissenschaftlich<br />

womöglich nicht astrein, aber<br />

sehr praktikabel: An der Spitze der Agenda<br />

stehen Probleme, an denen sich etwas ändern<br />

lässt. Beck: „Wir sind keine Träumer.<br />

Viele von uns sind Unternehmer, die wollen,<br />

dass sich wirklich etwas ändert – aus Eigennutz,<br />

aber auch für künftige Generationen.“<br />

Beck selbst engagiert sich unter anderem in<br />

einer Initiative mit dem eigenwilligen<br />

Namen „Why do good people let bad things<br />

happen?“: „Wir wollen das gesellschaftliche<br />

Bewusstsein für aktuelle Genozide wie jenen<br />

in Darfur schärfen“, erklärt er. Dazu produzieren<br />

die YGL momentan einen Dokumentarfilm,<br />

in dem neben Experten auch<br />

ganz normale Menschen zu Wort kommen.<br />

Die Leader als Journalisten? Provoziert dies<br />

nicht den Vorwurf des gut gemeinten Dilettantismus?<br />

Vielleicht. Doch sind möglicherweise<br />

gerade die YGL für einen solches<br />

Unternehmen geeignet. Als Entscheider sitzen<br />

sie an den Tischen der Mächtigen. So<br />

kommen sie eher an relevante Gesprächspartner<br />

heran als Politjournalisten. Und<br />

ein Film als Waffe zur gesellschaftlichen<br />

Bewusstseinsschärfung – das hat ja schon<br />

bei Al Gore trefflich funktioniert.<br />

DIE RÜCKKEHR<br />

DER DIVERSI-<br />

FIKATION<br />

DOSSIER #<strong>11</strong><br />

Lange galt Fokussierung als die Losung der<br />

Stunde. Jetzt entdecken viele Unternehmen die<br />

Vorteile einer breiten Aufstellung wieder. Wer<br />

in mehreren Geschäftsfeldern tätig ist, streut<br />

damit sein Risiko und erarbeitet sich neue<br />

Wachstumschancen. Das ist vor allem für Unternehmen<br />

attraktiv, deren Kerngeschäft unter<br />

niedrigen Margen leidet. Aber: Nur wer seine<br />

Zielbranchen strukturiert auswählt und neue<br />

Geschäftsfelder strategisch integriert, wird<br />

langfristig Erfolg haben.<br />

„Nike sollte die weltbeste Sportfirma<br />

sein. Damit hatten wir einen Fokus –<br />

und haben gar nicht erst angefangen,<br />

Budapester Schuhe zu produzieren.“<br />

PHIL KNIGHT<br />

„Lege nie alle Eier in einen Korb!“<br />

RUDOLF-AUGUST OETKER


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation<br />

nGOOGLE<br />

DAS US-UNTERNEHMEN IST<br />

MIT SEINER INTERNETSUCH-<br />

MASCHINE BEKANNT GEWOR-<br />

DEN. HEUTE SETZEN DIE<br />

AMERIKANER ZUSÄTZLICH<br />

AUF VERWANDTE GESCHÄFTS-<br />

FELDER WIE VIDEOPORTALE.<br />

57 % Umsatzwachstum<br />

erzielte<br />

das kalifornische<br />

Unternehmen im<br />

dritten Quartal 2007.<br />

»Man sollte unbedingt<br />

Dinge versuchen,<br />

vor denen die<br />

meisten zurückschrecken<br />

würden.«<br />

L ARRY PA GE , GOOGLE-GRÜNDER<br />

ENTWICKLUNG DES GOOGLE-<br />

AKTIENKURSES<br />

Januar Januar Januar<br />

2005 2006 2007<br />

Fast stetig ging es in den vergangenen<br />

Jahren mit der Aktie bergauf.<br />

Bei knapp 700 Dollar steht das<br />

Papier momentan.<br />

800<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

Quelle: Yahoo Finance<br />

Weitsicht statt Tunnelblick<br />

Mischkonzerne galten lange als Auslaufmodell. Manager und Investoren gaben Unternehmen<br />

den Vorzug, die sich auf ein Kerngeschäft konzentrierten. Jetzt beginnt das Umdenken.<br />

Denn diversifizierte Unternehmen sind tendenziell erfolgreicher als fokussierte.<br />

s<br />

WER AKTIEN DES US-KONZERNS Google besitzt,<br />

hat beim Blick in die Wirtschaftspresse fast jeden Tag<br />

Grund zur Freude. Der Kurs des Papiers hat sich seit<br />

dem Börsenstart im Sommer 2004 mehr als verachtfacht.<br />

Grund für die Euphorie der Investoren: Google<br />

ist längst nicht mehr nur in seinem angestammten<br />

Geschäftsfeld aktiv. Neben der Suchmaschine<br />

betreibt das Unternehmen auch Karten- und E-Mail-<br />

Dienste. Außerdem haben die Google-Chefs in den vergangenen<br />

Jahren kräftig eingekauft: So übernahmen<br />

sie das Videoportal YouTube. Zuletzt beflügelte die<br />

Nachricht die Aktie, das Unternehmen verhandle mit<br />

dem Mobilfunkanbieter Verizon Wireless über eine<br />

Kooperation. Der Deal würde gut zur Strategie des<br />

Unternehmens passen. Denn Google ist eines der<br />

jüngsten Beispiele für einen Konzern, der sich nicht<br />

auf ein Geschäftsfeld beschränkt – sondern auf Diversifizierung<br />

setzt.<br />

Das Konzept der Diversifikation entstammt der<br />

Feder des Managementdenkers Harry Igor Ansoff. Der<br />

russische Mathematiker und Ökonom gilt als Vater<br />

des strategischen Managements – nicht zuletzt dank<br />

seiner Überlegungen zu Wachstumsstrategien. Unternehmen<br />

haben vier Wege, um zu wachsen, so Ansoff.<br />

Sie können ihren Markt besser durchdringen, neue<br />

Produkte entwickeln, neue Märkte mit gegebenen<br />

Produkten erschließen – oder eben ganz neue Wege<br />

gehen, mit neuen Produkten auf neuen Märkten. Das<br />

nannte Ansoff Diversifikation.<br />

IN DEN LETZTEN JAHREN ABER galt genau dieser<br />

Ansatz als überholt. Mischkonzerne und Konglomerate<br />

wurden als Auslaufmodelle gesehen; das Gebot der<br />

Stunde lautete Fokussierung. Nebenkriegsschauplätze<br />

und Randbereiche waren abzustoßen. Doch genau<br />

dieses Managementdogma gerät momentan mehr<br />

und mehr ins Wanken – nicht zuletzt aufgrund von<br />

Erfolgsbeispielen wie Google. „Diversifikationsstra-<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

tegien werden für Unternehmen wieder attraktiv“,<br />

urteilt Hauke Moje, Partner bei <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants und Autor einer aktuellen Studie über<br />

die Performance von Konglomeraten. „Der Fokussierungstrend<br />

der vergangenen Jahre scheint sich wieder<br />

umzukehren.“ Erfolgsbeispiele wie der deutsche<br />

Konzern Würth machen Mut. Die Gruppe kombiniert<br />

ein klar definiertes Kerngeschäft mit weiteren Aktivitäten<br />

– und erzielt damit ein gesundes Wachstum.<br />

MOJES TEAM HAT die Entwicklung der 1200 weltweit<br />

größten Unternehmen zwischen 1995 und 2004<br />

untersucht. Das Ergebnis: Zwar gelten nach wie vor für<br />

die Mehrheit der Konzerne die Konzentration auf ein<br />

Geschäftsfeld und die Durchsetzung möglichst hoher<br />

Preise als strategisches Ideal. Zwar straft der Kapitalmarkt<br />

Konglomerate immer noch mit einem Abschlag<br />

von 10 bis 15 Prozent auf den Kurswert ab – dem<br />

sogenannten „Conglomerate-Discount“. Doch die<br />

<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Studie beweist eindeutig: Ob ein Unternehmen<br />

diversifiziert ist, hat keinen Einfluss auf<br />

Umsatz- und Kapitalrendite.<br />

Entgegen der Theorie erweisen sich die diversifizierten<br />

Unternehmen sogar als erfolgreicher:<br />

80 Prozent legten bei Umsatz und EBIT zu. Dagegen<br />

wuchsen nur 73 Prozent der fokussierten Unternehmen<br />

in gleicher Weise. „Der Conglomerate-Discount ist<br />

nicht gerechtfertigt“, folgert Moje. „Diversifikation<br />

kann durchaus Wert generieren.“<br />

FÜR IMMER MEHR Unternehmen wird der Schritt<br />

auf neue Märkte sogar zur Überlebensfrage. Eine<br />

<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Umfrage unter 40 deutschen Konzernen<br />

und Mittelständlern zeigt, dass die Hälfte der<br />

Unternehmen in ihrem Kerngeschäftsfeld nur noch<br />

über die Verdrängung von Wettbewerbern wachsen<br />

können. Lediglich 30 Prozent gewinnen neuen Umsatz<br />

ohne Preiskämpfe oder Übernahmen. Vor allem das ist<br />

der Grund, warum mehr als 80 Prozent der befragten<br />

Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren<br />

mindestens ein komplett neues Geschäftsfeld aufgebaut<br />

haben. Der Weg in die Breite scheint sich also<br />

wieder zu lohnen.<br />

Ein Unternehmen, das dieses Konzept<br />

beherrscht wie wenige andere, ist der indische Konzern<br />

Tata. Das Unternehmen bietet Tee und Uhren<br />

ebenso an wie Stahl. Ein Werbefilm illustriert die<br />

Bandbreite der Holding so: Ein durchschnittlicher<br />

Inder wird morgens von einem Tata-Wecker aufgeweckt.<br />

Er trinkt seinen Tata-Morgentee. Das Salz auf<br />

seinem Ei kommt von Tata Chemicals. Dann fährt er<br />

mit seinem Tata Indigo ins Büro. Ein Leben mit Tata.<br />

Der breite Ansatz bedeutet für Tata aber nicht,<br />

dass die eigene Identität aufgegeben würde. Gerade<br />

bei Unternehmen mit vielen unterschiedlichen Aktivitäten<br />

spielt die Identität vielmehr eine wichtige Rolle.<br />

Chairman Ratan Tata: „Was auch immer wir machen,<br />

wir müssen technologisch vorn sein. Wir müssen als<br />

ein Unternehmen gesehen werden, das aufregende<br />

Produkte herstellt.“<br />

EINES DER HAUPTMOTIVE für die Diversifikation<br />

ist das Wachstum jenseits des Kerngeschäfts. Diese<br />

Option wird vor allem attraktiv, wenn dort die Margen<br />

dünn werden. Genau damit sehen sich momentan<br />

viele Lebensmitteleinzelhändler konfrontiert. Deren<br />

Profite stehen unter Druck. Marktanteile gewinnt, wer<br />

mit Kampfpreisen lockt. Viele Unternehmen versuchen<br />

daher, sich mit neuen Produkten auch neue<br />

Marktsegmente zu erschließen. So auch der britische<br />

Einzelhändler J. Sainsbury. Seit 1997 bietet das Unternehmen<br />

in seinen knapp 800 Geschäften auch<br />

Finanzprodukte wie Sparkonten, Versicherungen und<br />

Verbraucherkredite an. Weil damit auch Kunden angesprochen<br />

werden, die vielleicht nicht bei Sainsbury<br />

shoppen, ist der Weg des Unternehmens mehr als<br />

eine Produktentwicklung – nämlich eine Diversifikation.<br />

Für diese hat der Einzelhändler ein Joint Venture<br />

mit der Bank HBOS gegründet. „Wir wollen die Entwicklung<br />

zusätzlicher Non-Food-Produkte beschleunigen“,<br />

gibt Sainsbury-CEO Justin King als Richtung<br />

vor. Ein wichtiger Baustein dieser Strategie ist das<br />

Bankgeschäft. „Es bietet vielversprechende Wachstumsmöglichkeiten“,<br />

sagt King.<br />

Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

DIVERSIFIKATION JA – ABER WELCHE?<br />

Die wichtigsten Marktfilter sind Marktreife/Wachstum<br />

und Wettbewerbsstruktur. Eine hohe Konjunkturabhängigkeit<br />

schreckt die Unternehmen hingegen nicht.<br />

1. Marktgröße<br />

2. Marktreife/Wachstum<br />

3. Durchschnittliche Marktrendite<br />

4. Wettbewerbsstruktur<br />

5. Markteintritts-/-austrittsbarrieren<br />

6. Konjunkturabhängigkeit<br />

7. Wettbewerbsintensität<br />

8. Staatlicher Einfluss<br />

unwichtig sehr wichtig<br />

1 2 3 4 5<br />

Der wichtigste strategische Filter ist die Übertragbarkeit<br />

von Kernkompetenzen.<br />

1. Wertschöpfungsprofil<br />

2. Kernkompetenzen sind übertragbar<br />

3. Personalintensität<br />

4. B2C vs. B2B<br />

5. Kundenstruktur<br />

unwichtig sehr wichtig<br />

1 2 3 4 5<br />

Eine große Bedeutung messen die Unternehmen der<br />

politischen Stabilität eines Standorts bei.<br />

1. Gleicher regionaler Fokus<br />

wie bisheriges Geschäftsfeld<br />

2. Politische Stabilität<br />

unwichtig sehr wichtig<br />

1 2 3 4 5<br />

<strong>think</strong>:<strong>act</strong>-Grafik, Quelle: <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

22 23<br />

2,4<br />

2,9<br />

2,8<br />

3,7<br />

3,9<br />

3,8<br />

3,0<br />

3,3<br />

3,3<br />

3,9<br />

4,2<br />

4,1<br />

4,2<br />

4,0<br />

4,3


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

nWÜRTH-GRUPPE<br />

DAS KERNGESCHÄFT DER<br />

WÜRTH-GRUPPE IST DER<br />

SCHRAUBENGROSSHANDEL.<br />

DOCH DER KONZERN HAT<br />

SICH BREITER AUFGESTELLT;<br />

RUND 350 UNTERNEHMEN<br />

GEHÖREN HEUTE DAZU.<br />

54 906<br />

Mitarbeiter beschäftigt<br />

das Unternehmen<br />

heute weltweit.<br />

»Diversifizierung<br />

ist nicht an sich gut<br />

oder schlecht. Aber<br />

man kann sie mehr<br />

oder weniger gut<br />

umsetzen.«<br />

REINHOLD WÜRTH, VORSITZENDER DES<br />

STIF TUNGSAUFSICHTSRATS<br />

UMSATZ DER ADOLF<br />

WÜRTH GMBH & CO. KG<br />

(in Mio. Euro)<br />

2002<br />

2003<br />

2004<br />

2005<br />

2006<br />

817 Mio.<br />

788 Mio.<br />

827 Mio.<br />

871 Mio.<br />

967 Mio.<br />

Quelle: Adolf Würth GmbH<br />

Seit 2004 wächst das Unternehmen<br />

solide. Nur im Jahr 2003 gab es eine<br />

Delle. Kernkompetenz ist auch nach<br />

der Diversifikation der Handel mit<br />

Befestigungs- und Montagematerial.<br />

Die <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Studie zeigt, dass die Hälfte<br />

der neuen Geschäftsfelder im Rahmen einer Diversifizierung<br />

eine deutlich höhere Rendite erwirtschaften<br />

konnten als erwartet. Nur ein Fünftel der Expansionsversuche<br />

erwiesen sich als Flops – dann allerdings<br />

häufig aus ähnlichen Gründen, wie sie Ökonomen und<br />

Manager als Nachteile der Diversifizierung vorbringen:<br />

Die Zahl der verschiedenen kleinen Geschäftsbereiche<br />

überforderte das Management. Man habe sich<br />

„verzettelt“ und nur unzureichende Kompetenzen im<br />

neuen Geschäftsfeld gehabt.<br />

WIE STARK EINE DIVERSIFIZIERUNG das Wachstum<br />

antreiben kann, zeigt das Beispiel des spanischen<br />

Unternehmens Inditex. Im Jahr 1973 hatte der<br />

Gründer Amancio Ortega Gaona in seiner Heimatstadt<br />

La Coruña mit der Textilproduktion begonnen. Schon<br />

zwei Jahre später erweiterte er seine Geschäftstätigkeit<br />

und eröffnete ein Einzelhandelsgeschäft mit dem<br />

Namen Zara. Betriebswirtschaftlich firmiert eine solche<br />

Strategie unter „vertikaler Integration“. Diese war<br />

aus Inditex-Sicht ein weiser Entschluss: Während die<br />

Textilindustrie fast komplett aus Europa abgewandert<br />

ist, gelang Gaona eine beeindruckende Wachstumsgeschichte.<br />

Heute verkauft sein Unternehmen seine<br />

Kleidung in mehr als 3500 Geschäften in 68 Ländern.<br />

Neuerdings vertreibt Inditex auch Bettwäsche, Tischdecken<br />

und Besteck.<br />

Und tut gut daran, wenn man den Empfehlungen<br />

des Strategieforschers Michael Raynor folgt, dem<br />

Autor des Buches „The Strategy Paradox“. Er warnt<br />

Unternehmen davor, sich auf zu wenige Geschäftsfelder<br />

zu konzentrieren. Wer alles auf eine Karte setzt,<br />

verliert eben auch alles, wenn das Kerngeschäftsfeld<br />

in eine Krise gerät. „Das strategische Profil von Firmen,<br />

die heute nicht mehr existieren, ähnelt auf geradezu<br />

schockierende Weise dem Profil von besonders<br />

erfolgreichen Unternehmen.“<br />

JEDENFALLS BEGINNEN auch die ersten Geldgeber,<br />

Konglomerate mit anderen Augen zu sehen. „Großaktionäre,<br />

Eigentümerfamilien und Private-Equity-<br />

Gesellschaften sind in Zukunft vermehrt bereit, die<br />

Erschließung neuer Geschäftsfelder zu finanzieren“,<br />

hat Hauke Moje beobachtet. „Sie stellen jedoch hohe<br />

Anforderungen.“ Denn sie erwarten in den neuen<br />

Geschäftsfeldern eine Gewinnmarge von rund 15 Prozent<br />

– innerhalb von vier bis fünf Jahren.<br />

Dass gerade Private-Equity-Investoren als<br />

Erste umdenken, verwundert nicht. Denn die neuen<br />

Mischkonzerne haben nicht mehr viel mit den klassischen<br />

Konglomeraten gemeinsam. Es geht ihnen selten<br />

darum, möglichst lange an einer möglichst großen<br />

Anzahl von Geschäftsgebieten festzuhalten.<br />

Stattdessen kaufen sie sich in vielversprechende<br />

Märkte ein und trennen sich genauso schnell von<br />

Engagements, die keinen Gewinn abwerfen. Mit dieser<br />

Strategie ähneln sie Private-Equity-Unternehmen.<br />

AUCH ANDERE INVESTOREN kaufen gern Aktien<br />

von diversifizierten Unternehmen – wenn deren<br />

Strategie überzeugt. Das beweist das Beispiel des<br />

französischen Mischkonzerns Saint-Gobain. Dessen<br />

Börsenwert hat sich in den vergangenen fünf Jahren<br />

verdreifacht. Damit belohnen die Anleger die Diversifizierungsstrategie<br />

der vergangenen Jahre – die bei<br />

Saint-Gobain keineswegs Tradition hat. Gegründet<br />

wurde das Unternehmen im 17. Jahrhundert und konzentrierte<br />

sich stets auf die Produktion von Glas und<br />

Spiegeln. Von anderen Geschäftsfeldern hielt man<br />

sich lange fern. Das änderte sich in den Siebzigerjahren:<br />

Saint-Gobain fusionierte mit einem Eisenproduzenten<br />

und kaufte einen Hersteller von Dämmstoffen.<br />

In den Neunzigerjahren beschleunigte sich die<br />

Diversifizierung: Die Franzosen stiegen in die Produktion<br />

von Industriekeramik, die Hohlglasindustrie, die<br />

Baustoffbranche und den Rohrleitungsbau ein. Den<br />

größten Anteil an der Diversifikation hatte der langjährige<br />

CEO Jean-Louis Beffa. Seit seinem Amtsantritt<br />

im Jahr 1986 hatte Beffa in immer kürzeren Abständen<br />

neue Unternehmen zugekauft. Kritikern begegnete<br />

er mit Selbstbewusstsein: „Es ist besser, einen Mix<br />

an Gesellschaften zu haben, aus denen man einen<br />

starken Cashflow ziehen kann.“ Der Erfolg gibt ihm<br />

recht. Zu seinem Abschied vom Amt des CEO legte<br />

Beffa im Frühjahr Rekordzahlen vor.<br />

Trotz solcher Positivbeispiele fürchten sich<br />

viele Investoren davor, dass eine Diversifizierung den<br />

Aktienkurs unter Druck setzen könnte. Doch dieses<br />

Vorurteil haben Wissenschaftler widerlegt. „Diversifikation<br />

vernichtet keinen Wert“, sagt John R. Graham,<br />

Professor für Finanzwirtschaft an der Duke Universi-<br />

ty. Er hat die Folgen der Diversifizierung auf den Börsenwert<br />

von Unternehmen untersucht. Seine Erkenntnis:<br />

Expandieren Unternehmen aus eigener Kraft in<br />

neue Geschäftsfelder, droht kein negativer Effekt.<br />

Dies gilt aber offenbar nur für bestimmte Formen<br />

der Diversifizierung, hat Julio Pindado herausgefunden.<br />

Der Professor für Finanzwirtschaft an der Universität<br />

von Salamanca hat belegt, dass es für jedes<br />

Unternehmen einen optimalen Diversifizierungslevel<br />

gibt. Der Hintergrund: „Wenn Unternehmen diversifizieren,<br />

steigt dadurch zunächst ihr Wert. Nach einem<br />

Wendepunkt verkehrt sich diese Situation aber.“ Wo<br />

dieser Wendepunkt liegt, hängt auch von der Art der<br />

Diversifizierung ab. Bleiben Unternehmen nah an<br />

ihrem Kerngeschäftsfeld, können sie auf neue Märkte<br />

vorstoßen, ohne dass der Unternehmenswert darunter<br />

leidet.<br />

ALS MUSTERBEISPIEL für die Probleme, die eine<br />

übermäßige Diversifizierung verursachen kann, gilt<br />

die Geschichte von Harold Geneen und der International<br />

Telegraph and Telephone Company (ITT). Nach seinem<br />

Amtsantritt als CEO bei ITT kaufte Geneen in den<br />

Sechzigerjahren eine Vielzahl von Unternehmen auf,<br />

rund 300 binnen zehn Jahren. Dabei schien es keine<br />

Rolle zu spielen, in welcher Branche die Firmen agierten<br />

– Hauptsache, sie waren profitabel. „Ich habe nie<br />

ein Unternehmen kennengelernt, das mich nicht interessiert<br />

hätte“, erklärte Geneen.<br />

Anfangs ging die Strategie auf, ITT glänzte mit<br />

hohen Gewinnen – auch dank Geneens Grundsätzen<br />

der Unternehmensführung: strenge Kontrolle der<br />

Finanzen und messerscharfe Analyse. Doch mit<br />

zunehmender Größe wurde das Unternehmen immer<br />

schwieriger zu kontrollieren. Mitte der Siebzigerjahre<br />

brachen die Gewinne ein. Als Geneen 1977 zurücktrat,<br />

konnten seine Nachfolger die Lücke nicht füllen. Sie<br />

verkauften viele Beteiligungen und teilten ITT in drei<br />

getrennte Unternehmen auf.<br />

„Damit der Schritt auf einen neuen Markt<br />

gelingt, müssen Unternehmen auf einen strukturierten<br />

Auswahlprozess nach klaren Kriterien achten“,<br />

weiß <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Experte Moje. Rund 80 Prozent<br />

der Unternehmen, die Moje befragte, nutzen Benchmarking<br />

und Branchenanalysen, um herauszufinden,<br />

ob sich bestimmte Märkte für neue Geschäftsfelder<br />

eignen. „Unternehmen sollten prüfen, wie reif der<br />

Markt ist, wie schnell er wächst und welche Renditen<br />

zu erwarten sind.“ Danach muss analysiert werden,<br />

ob sich Kernkompetenzen gewinnbringend auf den<br />

neuen Markt übertragen lassen und wie leicht die<br />

geeigneten Mitarbeiter zu rekrutieren sind. Und: Die<br />

richtige Integration ist wichtig. Zu Beginn sollte diese<br />

zentral gesteuert werden, dann aber in eine Phase<br />

eher dezentralen Managements übergehen.<br />

WENN EINE DIVERSIFIKATION gelingt, kann sie<br />

sich sogar als imageträchtig erweisen. Das konnte<br />

Daniel Beneish beweisen, Professor an der Kelley<br />

School of Business in Indiana. In einer Studie wies er<br />

2006 nach, dass „Sin Companies“ wie der Zigarettenhersteller<br />

Philip Morris sich gegen politische Übergriffe<br />

absichern, wenn sie Unternehmen aus fremden<br />

Geschäftsfeldern mit positivem Image kaufen.<br />

Wie man die Diversifikation als Imagefaktor<br />

nutzt, exerziert im übrigen auch Tata beispielhaft vor.<br />

Durch seine breite Aufstellung ist der Name Tata wohl<br />

jedem Inder präsent. Tata gehört gewissermaßen zur<br />

Familie. Das schafft Vertrauen.<br />

FAZIT – FÜNF ANSÄTZE ZUR<br />

ERFOLGREICHEN DIVERSIFIKATION<br />

1. Wachstum im heutigen Kerngeschäft ist<br />

sehr häufig nur noch durch Verdrängungswettbewerb<br />

möglich.<br />

2. Diversifikation schafft Wert – die Renditeerwartung<br />

der meisten befragten Unternehmen<br />

wurde übertroffen.<br />

3. Die Bereitschaft der Investoren zur<br />

Diversifikation wird weiter zunehmen.<br />

4. Werthebel eins – ein strukturierter Auswahlprozess<br />

mit klar definierten Kriterien<br />

5. Werthebel zwei – konsequent integrieren,<br />

dabei die richtige Balance von zentraler<br />

und dezentraler Führung finden<br />

24 25


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

Die in die Breite gehen<br />

Sechs Wachstumsgeschichten erfolgreicher Diversifizierer<br />

Finanzen<br />

OBST, KONSERVEN UND<br />

KREDITKARTEN<br />

Seit 1997 bietet die britische Supermarktkette<br />

J. Sainsbury ihren Kunden auch Finanzdienstleistungen<br />

an. Gemeinsam mit der<br />

Bank HBOS verkauft das Unternehmen Sparkonten,<br />

Kreditkarten, Versicherungen und<br />

Verbraucherkredite. Auf diesem Weg will<br />

Sainsbury die Kunden an das Unternehmen<br />

binden und sich gleichzeitig unabhängiger<br />

vom margenschwachen Lebensmittelgeschäft<br />

machen.<br />

Stahl<br />

chemische<br />

Produkte<br />

Uhren<br />

Motoren<br />

Hotel<br />

Lebensmittel<br />

STAHL, TEE UND MOTOREN<br />

Die indische Tata-Gruppe ist das größte<br />

Industrieunternehmen des Subkontinents.<br />

Präsident Ratan Tata herrscht über ein<br />

Imperium aus Firmen verschiedenster Branchen.<br />

Tata ist einer der weltweit führenden<br />

Stahlhersteller, produziert Motoren, Tee,<br />

Uhren und chemische Produkte. Darüber<br />

hinaus ist das Unternehmen im Hotel- und<br />

Telekommunikationsgeschäft aktiv.<br />

Tee<br />

Telekommunikation<br />

HÄFEN, EINZELHANDEL UND<br />

HOTELS<br />

Der Mischkonzern Hutchison Whampoa mit<br />

Sitz in Hongkong entstand 1977 durch die<br />

Fusion von Hutchison International und<br />

Hongkong and Whampoa Dock. Zu den Kerngeschäftsfeldern<br />

gehören das Betreiben von<br />

Häfen, das Immobilien- und Hotelgeschäft<br />

sowie der Einzelhandel, zudem Energie und<br />

Infrastruktur sowie Telekommunikation. Das<br />

Unternehmen ist weltweit tätig und beschäftigt<br />

über 200 000 Mitarbeiter.<br />

Mode<br />

Hotel<br />

Telekommunikation<br />

Immobilien<br />

Einzelhandel<br />

Häfen<br />

Infrastruktur<br />

Energie<br />

Home-<br />

Accessoires<br />

HOSEN, JACKEN UND BESTECK<br />

Im Jahr 1973 startete der spanische Bekleidungsanbieter<br />

Inditex als Textilproduzent.<br />

Dann eröffnete er auch eigene Geschäfte,<br />

deren Zahl in den vergangenen Jahren rasant<br />

auf über 3500 gestiegen ist. Außerdem führte<br />

Inditex neben seiner Stammmarke Zara zahlreiche<br />

weitere ein – und verkauft inzwischen<br />

unter der Marke Zara Home sogar Bettwäsche,<br />

Tischdecken, Besteck und Gläser.<br />

Haushaltselektronik<br />

LAMPEN, KRAFTWERKE<br />

UND KREDITE<br />

Als eines der Musterunternehmen beim<br />

Thema Diversifizierung gilt der US-amerikanische<br />

Mischkonzern General Electric. Das<br />

Unternehmen verkauft Haushaltsgeräte<br />

sowie Beleuchtungstechnik, baut Kraftwerke<br />

und Flugzeugtriebwerke. Außerdem gehören<br />

Medienunternehmen wie NBC Universal und<br />

Finanzdienstleister zu GE. Zwischen 1981<br />

und 2001 führte Managementvordenker Jack<br />

Welch das Unternehmen.<br />

Rohrleitungsbau<br />

Beleuchtungstechnik<br />

Kraftwerke<br />

Eisen<br />

Glas und<br />

Spiegel<br />

Medien<br />

Flugzeugtriebwerke<br />

Baustoffbranche<br />

Dämmstoffe<br />

Finanzen<br />

Industriekeramik<br />

GLAS, EISEN UND DÄMMSTOFFE<br />

Seinen Ursprung hat der französische Konzern<br />

Saint-Gobain in der Glas- und Spiegelproduktion.<br />

Erst in den Siebzigerjahren diversifizierten<br />

die Manager das Geschäft: Sie<br />

kauften einen Eisenproduzenten sowie einen<br />

Hersteller von Dämmstoffen und stiegen in<br />

die Produktion von Industriekeramik, die<br />

Hohlglasindustrie, die Baustoffbranche und<br />

den Rohrleitungsbau ein.<br />

Kampf dem imperialen Chef!<br />

Auch Analysten können irren – zum Beispiel, indem sie diversifizierte Firmen unterbewerten.<br />

Harvard-Wissenschaftlerin Belén Villalonga erklärt, weshalb der Gang in die<br />

Breite dennoch an Popularität gewinnt.<br />

THINK:ACT Professor Villalonga, warum haben Unternehmen<br />

zuletzt wenig diversifiziert?<br />

BELÉN VILLALONGA Das mag daran liegen, dass<br />

Marktbeobachter die Misserfolge bei Übernahmen<br />

früherer Fusionswellen oftmals der Diversifizierung<br />

zugeschrieben haben – und nicht etwa schlechtem<br />

Management.<br />

Wird die Strategie heute wieder attraktiver?<br />

Wenn Sie mit attraktiver „wieder in Mode“ meinen,<br />

kann man das bejahen. Die Stimmung unter Investoren<br />

schwingt seit Jahrzehnten wie ein Pendel<br />

hin und her. In den späten Achtziger- und den<br />

Neunzigerjahren war ein Extrem erreicht, und seitdem<br />

findet bei der Einstellung zur Diversifizierung<br />

eine Gegenbewegung statt. Die zugrunde liegenden<br />

wirtschaftlichen Bedingungen haben sich jedoch<br />

nicht geändert.<br />

Welche Unternehmen diversifizieren erfolgreich?<br />

General Electric ist ein klassisches Beispiel. Das Unternehmen<br />

kombiniert kluge Ausgangsentscheidungen<br />

– Investitionen werden nur in Branchen getätigt,<br />

in denen das Unternehmen eine führende Position<br />

einnehmen kann – mit mehrwertschaffendem Management:<br />

Die Schulungs- und Leistungsbewertungspraktiken<br />

des Unternehmens stellen sicher,<br />

dass jede Führungskraft auch ein guter General<br />

Manager ist und ihre Kenntnisse von einem Unternehmen<br />

auf andere übertragen kann.<br />

Welche Rolle spielen Private-Equity-Fonds?<br />

Sie machen einen großen Teil aller heutigen Diversifizierungen<br />

aus. Zu ihren Strategien gehören<br />

sowohl Diversifizierungen in begrenzte Segmente<br />

(Fonds, die etwa nur in Infrastruktur, Energie oder<br />

Biotechnologie investieren) als auch Diversifizierungen<br />

in voneinander unabhängige Segmente.<br />

Diversifizieren sich Unternehmen heute eher in verwandte<br />

Segmente?<br />

Ich glaube, dass die meisten Diversifizierungen von<br />

Fonds auf voneinander unabhängige Segmente entfallen<br />

– die meisten von Unternehmen hingegen<br />

eher auf begrenzte Segmente.<br />

Gibt es Regionen, deren Unternehmen mehr als andere<br />

gewillt sind zu diversifizieren?<br />

Abgesehen von Fonds, entfällt ein Großteil der<br />

weltweiten Diversifizierung auf Unternehmen aus<br />

Schwellenmärkten in Asien oder Südamerika. Unternehmen<br />

in Volkswirtschaften mit ineffizienten Märkten<br />

können wertvolle innere Märkte für Kapital,<br />

Arbeitskräfte und Managementtalent aufbauen. Weil<br />

diese Unternehmen oft von Einzelpersonen oder Familien<br />

kontrolliert werden, bieten sie diesen die Möglichkeit,<br />

persönliche Investments zu streuen.<br />

Werden diversifizierte Unternehmen an den Aktienmärkten<br />

unterbewertet?<br />

Analysten spezialisieren sich häufig auf bestimmte<br />

Branchen. Das bedeutet, dass es ihnen oft gar<br />

nicht möglich ist, diversifizierte Unternehmen zu<br />

verstehen, weshalb sie diese niedriger bewerten.<br />

Außerdem gibt es zwei wirtschaftliche Argumente,<br />

die den Diversifizierungsabschlag erklären: imperiales<br />

Management und die Inkompetenz des Managements<br />

– weil es nach der Diversifikation Ressourcen<br />

ineffizient einsetzt. In beiden Fällen werden die<br />

Aktionäre als das Opfer gesehen, das den Preis für<br />

den Missbrauch oder die Fehler des Managements<br />

zu zahlen hat.<br />

Ist das ein Argument dafür, nicht zu diversifizieren –<br />

weil die Aktienmärkte die Regeln vorgeben?<br />

Ja, deshalb erfolgen heute in den USA die meisten<br />

Diversifizierungen durch Private-Equity-Firmen.<br />

BELÉN VILLALONGA ist<br />

Associate Professor im Finanzbereich<br />

an der Harvard Business<br />

School. Seit 2001 lehrt sie an der<br />

bekannten Business School Promovenden<br />

und MBAs und ist in der<br />

Executive Education tätig. Ihren<br />

Management-PhD machte sie an<br />

der University of California in Los<br />

Angeles. Einen PhD-Titel in Business-Economics<br />

erwarb sie an der<br />

Madrider Complutense-Universität.<br />

26 27


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

BUSINESS IM BILD<br />

Erweitere dein Leben!<br />

Vereinfacht gesagt, lautet das Prinzip der Diversifikation: Man suche sich neue<br />

Betätigungsfelder. Dies kann nicht nur Unternehmen, sondern auch Individuen<br />

befruchten. Wie kreative Köpfe ihr Leben erweitern, zeigen diese Fallbeispiele.<br />

[Der Oscar-Verächter]<br />

WOODY ALLEN<br />

Als Regisseur hat Woody Allen Millionen treuer<br />

Fans. Anders sieht die Sache aus, wenn er<br />

als Musiker auftritt. Dann ist dies ein intimer<br />

Moment: Gerade mal 90 Zuhörer passen in<br />

das Carlyle Cafe, den Club des gleichnamigen<br />

New Yorker Hotels.<br />

Seit Jahren gastiert Allen dort immer montags<br />

mit seiner siebenköpfigen New Orleans<br />

Jazz Band. Er selbst spielt Klarinette – ein<br />

Instrument, das ihn seit seinem 15. Lebensjahr<br />

begleitet. Der Regisseur gilt als ausge-<br />

zeichneter Musiker. Wer ihm zuhören will,<br />

muss auch gleich das Dinner in edlem Ambiente<br />

dazubuchen.<br />

So wichtig ist dem 72-Jährigen seine zweite<br />

Profession, dass er sogar große Feierlichkeiten<br />

dafür sausen lässt. Bei den Oscar-Verleihungen<br />

vermisst die Hollywood-Prominenz<br />

den Regisseur meist. Selbst 1978, als<br />

seine „Stadtneurotiker“ zwei der begehrten<br />

Trophäen erhielten, kam Allen nicht – er<br />

musste Klarinette spielen.<br />

[Die Überlebende]<br />

PETRA NEMCOVA<br />

Auf dem Laufsteg präsentiert Petra Nemcova<br />

einen Hauch von Wäsche und sehr viel nackte<br />

Haut. Wie viel Kraft in ihrem schlanken Körper<br />

steckt, zeigte das tschechische Topmodel,<br />

als es ums nackte Überleben kämpfte. Im<br />

Dezember 2004 gehörte Petra Nemcova<br />

im thailändischen Phuket zu den zahllosen<br />

Tsunami-Opfern. Geschlagene acht Stunden<br />

lang klammerte sie sich an eine Palme, um<br />

nicht in den Fluten unterzugehen. Schwer<br />

verletzt wurde sie gerettet.<br />

Diese Erfahrung hat sie offenbar nachhaltig<br />

geprägt. Von ihrem Glück jedenfalls möchte<br />

die heute 28-Jährige etwas weitergeben: mit<br />

der von ihr gegründeten „Happy Hearts“-<br />

Stiftung, die in Zusammenarbeit mit lokalen<br />

Hilfsorganisationen traumatisierte Waisen<br />

psychologisch betreut und Schulen in der<br />

Katastrophenregion baut. Seit 2005 ist die<br />

schöne Blondine hier aktiv am Ball. Ihre<br />

jüngste Spendengala in New York erbrachte<br />

Einnahmen von 3,2 Millionen Dollar.<br />

28 29


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

[Die Axt]<br />

VINNIE JONES<br />

Von Haus aus ist Vinnie Jones englischer<br />

Profifußballer. Er war weltberühmt wegen seiner<br />

Erfolge mit dem FC Wimbledon und dem<br />

FC Chelsea, berüchtigt wegen seiner ruppigen<br />

Spielweise. Jones hält den Weltrekord der<br />

schnellsten Gelben Karte im bezahlten Fußball<br />

– ganze drei Sekunden brauchte er. Sein<br />

Spitzname als Kicker: „Vinnie the Axe“.<br />

So charismatisch war seine Vorstellung auf<br />

dem Rasen, dass Regisseur Guy Ritchie ihm<br />

1998 anbot, in dem Film „Lock, Stock and Two<br />

Smoking Barrels“ mitzuspielen. Als Gehilfe<br />

eines Gangsterbosses verkörperte Jones –<br />

wen schon? – den Bad Guy. Offenbar überzeugend:<br />

Kritik und Publikum waren begeistert.<br />

Es folgte der viel beachtete Streifen<br />

„Snatch“. Und der Ex-Sportler gab wieder eine<br />

beeindruckende Vorstellung. Jones wurde<br />

überschüttet mit Preisen, spielte in „Mean<br />

Machine“ und „Passwort: Swordfish“. Zuletzt<br />

lieh er Kater Garfield seine Stimme. Katzen<br />

haben sieben Leben, Jones mindestens zwei.<br />

[Die mit dem Wolf spricht]<br />

HÉLÈNE GRIMAUD<br />

Hélène Grimaud ist eine der besten Pianistinnen<br />

der Welt. Doch das reicht ihr nicht. Wenn<br />

sie nicht durch die Konzerthallen der Welt<br />

tourt oder Bücher schreibt, verbringt sie die<br />

Zeit am liebsten in einer Wolfsaufzuchtstation<br />

nördlich von New York. Ihrer eigenen.<br />

Was sie da macht? Vor allem zuhören. „Mit<br />

einem wilden Tier muss man nach seinen<br />

eigenen Regeln kommunizieren. Es lehrt<br />

dich zuzuhören. Es bringt dir bei, sehr, sehr<br />

authentisch zu sein.“<br />

Die Grimaud betreibt ihr Wolfsgehege, seit sie<br />

bei einem Spaziergang einem domestizierten<br />

Wolf über den Weg lief. Das Refugium wirkt<br />

wie ihr Ausbruch aus der Welt der Musik – und<br />

ist wohl das Resultat einer Sucht nach einem<br />

möglichst intensiven Leben. „Das Einzige,<br />

wovon ich träumte“, schrieb sie kürzlich in<br />

einem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit,<br />

„war die Ausdehnung meines Selbst, eine<br />

Erweiterung meines Lebens.“ So lässt sich<br />

Diversifikation auch definieren.<br />

30 31


DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

[Der Reiter auf vielen Hochzeiten] [Der Power-CEO]<br />

DENNIS HOPPER<br />

Dennis Hopper kann nichts dagegen tun:<br />

Auch wenn er immer wieder auf der Leinwand<br />

brilliert – sein berühmtester Film<br />

ist „Easy Rider“ aus dem Jahr 1969. In der<br />

Folgezeit machte er durch Alkohol und<br />

Drogen von sich reden. In der Filmbranche<br />

galt er als unberechenbar. Erst mit „Blue<br />

Velvet“ gelang 1986 sein Comeback als<br />

Hauptdarsteller. Feuilleton-Leser wissen,<br />

was dazwischen passierte: Hopper begann,<br />

Kunst zu sammeln. Außerdem foto-<br />

grafiert er selbst, malt und fertigt Collagen.<br />

Seine Werke sind weltweit zu sehen. Die<br />

jüngste Ausstellung hieß „The Art of Motorcycle“<br />

und fand in der Eremitage statt.<br />

Ob als Reminiszenz an alte Zeiten, PR-Gag<br />

oder aus Abenteuerlust: Dafür schwang<br />

sich der inzwischen 71-Jährige noch einmal<br />

in den Sattel und fuhr von St. Petersburg<br />

nach Moskau. Allerdings nicht auf einer<br />

Harley-Davidson, sondern etwas komfortabler<br />

mit einer BMW.<br />

VIJAY MALLYA<br />

Vijay Mallya liebt nicht nur sein Heimatland<br />

Indien, er hat auch ein untrügliches Gespür<br />

für wirtschaftliche Potenziale. Es ist daher<br />

wohl mehr als pure Symbolik, wenn der indische<br />

Bierbaron und Besitzer von Kingfisher<br />

Airlines nun anstrebt, die Formel 1 nach<br />

Indien zu holen. Seit zwei Jahren setzt er sich<br />

dafür ein – weil er glaubt, dass sich mit dem<br />

Rennsport in Indien Geld verdienen lässt.<br />

Mit dem Rennzirkus auf dem Subkontinent<br />

will Mallya, der Paradiesvogel unter Asiens<br />

CEOs, einmal mehr Lifestyle mit Mobilität<br />

verknüpfen. Der Entrepreneur und bekennende<br />

Party-Tiger kann als Insider die Begeisterungsfähigkeit,<br />

aber auch die Kaufkraft der<br />

aufstrebenden jungen Generation bestens<br />

einschätzen. In Bernie Ecclestone hat er<br />

einen mächtigen Verbündeten gefunden.<br />

Wirtschaftlicher Kooperationspartner ist<br />

Toyota. Wenn es nach Mallya geht, dann fällt<br />

der Startschuss für „Der Große Preis von<br />

Indien“ spätestens 2010.<br />

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DOSSIER #<strong>11</strong> Die Rückkehr der Diversifikation<br />

34<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

Nähender Luxushotelier<br />

Ein Näher auf Abwegen: Der indische Textilexporteur Captain Krishnan Nair macht seit<br />

Jahren in der Hotelbranche von sich reden. Die Nähereien liefern das Kapital. Ein Fall, der<br />

zeigt: Diversifikation hat immer auch etwas mit Unternehmergeist zu tun.<br />

sCaptain Krishnan Nair hat Großes vor. Der<br />

Inder lässt gerade fünf Hotels in seiner Heimat<br />

bauen. Über 270 Millionen US-Dollar fließen in die<br />

Expansion. Wenn in drei Jahren der letzte neue<br />

Bau seine Pforten öffnet, wird Nair 2640 Zimmer zu<br />

vermieten haben – und zwar ausschließlich in der<br />

Luxusklasse. Eine bemerkenswerte Expansion: Denn<br />

eigentlich betreibt Nair Nähereien. Seine Firma Leela<br />

Lace ist der größte indische Exporteur von Kleidung<br />

in die USA. Schon bald, verspricht der Unternehmer,<br />

kommt ein zweiter Superlativ dazu: wenn Leela für die<br />

profitabelste und größte Luxushotelkette des Landes<br />

steht. Den Schritt vom Lieferanten für Polo Jeans,<br />

Tommy Hilfiger, Ralph Lauren und Co. zum Fünf-Sterne-Hotelier<br />

hatte Nair schon in den Fünfzigerjahren<br />

geplant – oder vielmehr nur erträumt.<br />

Denn die Idee, ein Hotel zu errichten, entstand<br />

keineswegs aus geschäftlichem Interesse: „Ich war<br />

damals mehrmals als Mitglied von Wirtschaftsdelegationen<br />

nach Europa gereist und hatte in den besten<br />

Hotels übernachtet“, erinnert sich der mittlerweile<br />

85-jährige, noch immer hochaktive Geschäftsmann.<br />

„Da wusste ich: Etwas Derartiges will ich auch in Indien<br />

bauen.“ So träumen echte Vollblutunternehmer.<br />

Seine Frau Leela, die dem Unternehmen den<br />

Namen gab, dämpfte zunächst noch die Euphorie. Er<br />

habe überhaupt keine Ahnung vom Hotelgeschäft,<br />

argumentierte sie – und zumindest einer in der Familie<br />

müsse erst einmal etwas darüber lernen. Das überzeugte<br />

den Boss. So schickte dieser Vivek, den Älteren<br />

der beiden Söhne, der sich gerade am Fashion<br />

Insitute of Technology in New York eingeschrieben<br />

hatte, kurzerhand auf die Cornell-Universität, wo der<br />

Sprössling Hotelmanagement studierte. Der jüngere<br />

Sohn Dinesh sollte derweil die Textilsparte führen.<br />

Vater Nair nutzte zwischenzeitlich das Kapital<br />

aus dem boomenden Bekleidungsgeschäft, um ein<br />

Grundstück in Mumbai, dem früheren Bombay, zu<br />

kaufen. Im wirtschaftlichen Zentrum des Subkontinents,<br />

in dem er bis heute auch fünf seiner 20 Kleidungsfabriken<br />

betreibt, eröffnete er schließlich 1986<br />

The Leela: sein erstes First-Class-Hotel für Geschäftsreisende,<br />

direkt am Flughafen der Metropole.<br />

Bald stellte sich heraus, dass sich mit Hotels<br />

offenbar nicht nur ein Traum erfüllen, sondern auch<br />

gutes Geld verdienen ließ. Und so errichtete Nair eine<br />

zweite Anlage am berühmten Strand von Goa – weil er<br />

hoffte, dass nach den Hippies bald zahlungskräftige<br />

Touristen die Region entdecken würden. Als auch diese<br />

Rechnung aufging, folgte sein vorläufiges Meisterstück:<br />

2001 eröffnete in Bengaluru, das als Bangalore<br />

und boomender IT-Outsourcing-Standort längst berühmt<br />

geworden ist, das dritte Haus der Leela-Kette:<br />

nicht weniger als der Nachbau eines Sultanspalastes,<br />

den der Unternehmer 100 Kilometer weiter südlich<br />

gesehen und bewundert hatte.<br />

IM SEITENFLÜGEL dieses prächtigsten Baus<br />

seiner Kette, zu der ein weiteres Strandhotel in Kerala<br />

gehört, betreibt Nair nebenbei auch noch die größte<br />

Mall der Stadt. Und während außerhalb der Hotelmauern<br />

Alkohol nur in kleinen Dosen und vor Sonnenuntergang<br />

zu haben ist – der Bundesstaat Karnataka<br />

bemüht sich um eine strikte Antidrogenpolitik –, führt<br />

der Küchenchef im Salonrestaurant der Klubgästeetage<br />

gern seine Sammlung edler Weine vor – und<br />

offeriert zum Hummerkrabbengang selbstverständlich<br />

ein Glas Champagner.<br />

Hinter der Palastfassade steckt Kalkül: Das<br />

Haus steht seit seiner Eröffnung in den Top-Zehn-<br />

Listen der weltbesten Geschäftshotels. Gerade wählten<br />

Leser des US-Magazins Condé Nast Traveller den<br />

Die Rückkehr der Diversifikation DOSSIER #<strong>11</strong><br />

Palast sogar auf Platz eins dieser Kategorie – vor Traditionsadressen<br />

wie Hotel George V in Paris, Park<br />

Hyatt in Tokio oder Four Seasons in New York. Zugleich<br />

kann Nair sich rühmen, das Hotel zu führen, das mit<br />

durchschnittlich 300 Euro pro Nacht den höchsten<br />

Zimmerpreis in ganz Indien verlangen kann. So steuert<br />

es rund die Hälfte zum Gesamtertrag der heutigen<br />

Leela-Hotelkette bei.<br />

UND DER PALAST verhalf dem Textilunternehmer<br />

zum großen Wurf im Beherbergungsgeschäft:<br />

Gemeinsam mit der Hotelgruppe Kempinski, die für<br />

ihr Indien-Geschäft mittlerweile ganz auf eine Kooperation<br />

mit Leela setzt und drei der heutigen sowie alle<br />

neuen Häuser managt, entstehen landesweit fünf<br />

zusätzliche Luxusherbergen – darunter gleich drei<br />

weitere Palastbauten.<br />

Unter dem gemeinsamen Firmendach sorgt<br />

derweil weiterhin der Textilexport von Leela Lace für<br />

den Grundstock zur Hotelexpansion. Genau darin liegt<br />

vermutlich der Schlüssel zu Nairs Diversifikationserfolg:<br />

Das laufende Geschäft, das 15 000 Mitarbeiter<br />

in 20 Fabriken betreiben, stützt das stark wachsende,<br />

aber auch kapitalintensive Engagement in der Hotelbranche.<br />

Das Brot-und-Butter-Geschäft befeuert die<br />

Luxusvisionen der Unternehmerfamilie.<br />

DASS DAS HOTELGESCHÄFT nun immer schneller<br />

wachsen wird, davon geht mittlerweile auch die<br />

US-Ratingagentur Standard & Poor’s aus. Sie hat<br />

Leela Venture in eine Liste von 300 mittelgroßen<br />

Firmen weltweit aufgenommen, denen man wegen<br />

ihres sprunghaften Wachstums zutraut, im globalen<br />

Wettbewerb künftig etablierte Konzerne anzugreifen.<br />

„Wir fühlen uns durchaus wohl in dieser Rolle“,<br />

sagt Captain Krishnan Nair. Schließlich handle er<br />

nach der Devise, die Dinge einmal gut zu machen –<br />

und dann immer wieder.<br />

Und das kann er nun bald schon außerhalb seines<br />

Heimatlandes. Kürzlich nämlich fragten gleich<br />

mehrere Hotelinvestoren aus dem Mittleren Osten an,<br />

ob Leela nicht in Abu Dhabi und Dubai für sie arbeiten<br />

wolle. Das passt bestens zu den jüngsten Plänen des<br />

Unternehmens: Nairs Söhne, die den Vorstand bilden,<br />

haben gerade entschieden, eine neue Tochterfirma zu<br />

gründen – und in Nahost zu investieren.<br />

CAPTAIN KRISHNAN NAIR<br />

ist das Paradebeispiel dafür, dass<br />

Diversifikation oft auch viel mit<br />

Unternehmergeist zu tun hat. Nair<br />

ist Textilunternehmer. Doch 1986<br />

eröffnete er sein erstes Luxushotel.<br />

Das Hotelbusiness expandiert<br />

heute und wurde von Standard &<br />

Poor’s in eine Liste künftiger Wachstumsfirmen<br />

aufgenommen. Doch<br />

mit 15 000 Mitarbeitern in 20 Fabriken<br />

bleibt das Kerngeschäft der<br />

Träger der Diversifikation.<br />

35


p industry-report<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

„Großmacht des Tourismus“<br />

: Als ich Anfang der Neunzigerjahre zum<br />

ersten Mal nach Sibirien reiste, schlug<br />

mich die Schönheit der Landschaft sofort in<br />

ihren Bann. Wie eine endlose Kette glitten<br />

die Wälder mit Birken, Tannen und Lärchen<br />

an mir vorbei. Hunderte von Seen glitzerten<br />

im Sonnenlicht. Ich dachte an den Schriftsteller<br />

Anton Tschechow. Er hatte über Sibirien,<br />

das sich 7000 Kilometer von Ost nach<br />

West und 3500 Kilometer von Nord nach Süd<br />

erstreckt, geschrieben: „Wo es endet, wissen<br />

nur die Zugvögel.“<br />

Auf dem Flug zurück nach Moskau sah ich<br />

aus dem Fenster auf die gewaltige Landmasse,<br />

und es reifte der Entschluss, dort unten<br />

einmal die Ferien mit Kind und Kegel zu<br />

verbringen. Das Problem dabei: Die unwirtlichen<br />

Ferienpensionate aus der Sowjetzeit<br />

sind oft das einzige Übernachtungsangebot<br />

– Symbol einer kaum existierenden<br />

touristischen Infrastruktur.<br />

Und wie ich halten es bis heute Millionen<br />

Russen. Nach dem Ende des Kommunismus<br />

nutzen sie gern die neue Freiheit, um ins<br />

Ausland zu reisen. Seit dem Wirtschaftsaufschwung<br />

haben immer mehr Bürger Geld<br />

dafür. Eine Mittelklasse entsteht. Die durchschnittlichen<br />

Jahreseinkommen sind auf<br />

rund 9000 Euro angewachsen. Für ihre<br />

Ferien flogen viele Russen bisher lieber in<br />

die Türkei oder nach Ägypten. Das war<br />

nicht nur billiger, sondern auch besser. Nach<br />

Ägypten etwa reisten im vergangenen Jahr<br />

erstmals mehr Touristen aus den Ländern<br />

der ehemaligen Sowjetunion als Deutsche.<br />

Die Zahl der Bewohner des Riesenlandes,<br />

die sich einen Ferientrip ins Ausland gönnen,<br />

schnellte im Jahr 2006 auf 14 Millionen<br />

industry-report f<br />

Jahrelang mieden Russen und Ausländer in Sachen Urlaub das Riesenreich. Nun investiert Moskau<br />

Milliarden in sieben Zielregionen. Der Leiter des Moskau-Büros des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“,<br />

Matthias Schepp, berichtet über ein Land in Erwartung des Touristenbooms.<br />

empor. Das ist ein enormer Zuwachs von<br />

rund 30 Prozent im Vergleich zum Ergebnis<br />

des Vorjahres.<br />

Dass aber auch Ferien und Urlaub im eigenen<br />

Land sich lohnen, davon wollen Tourismusexperten<br />

die Russen überzeugen. Sie<br />

wissen um die Chancen, die das Land bietet.<br />

„In ganz Russland ist das Potenzial für Tourismus<br />

bei Weitem nicht ausgeschöpft, die<br />

Voraussetzungen für einen Tourismusboom<br />

aber sind gut“, erklärt Wladimir Boruzkij<br />

von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> in Moskau.<br />

Russland, das sich über elf Zeitzonen erstreckt,<br />

gleicht einem Kontinent. Es ist<br />

eines der schönsten und vielfältigsten Reiseländer,<br />

gesegnet mit spektakulären Naturwundern<br />

und Perlen der menschlichen Zivilisation.<br />

St. Petersburg und Moskau haben<br />

sich zu dynamischen Metropolen von Weltrang<br />

entwickelt.<br />

MOSKAU UND PETERSBURG<br />

SIND AUF DEM WEG ZUM PARIS<br />

UND LONDON DES OSTENS<br />

Marco Fien, Direktor eines der sechs Moskauer<br />

Hotels der Marriott-Gruppe, sagt:<br />

„Dass in Russland ein neues Tourismuszeitalter<br />

anbricht, merken wir hier tagtäglich.<br />

Moskau und Petersburg etablieren sich auf<br />

einem Niveau mit London und Paris.“<br />

Besonders in Moskau haben es Hoteliers<br />

und Investoren derzeit gut getroffen. In der<br />

Stadt explodieren die Hotelpreise. Die<br />

Hauptstadt mit ihren 14 Millionen Einwohnern<br />

verfügt lediglich über 215 Hotels. In<br />

Paris mit knapp zwölf Millionen Einwohnern<br />

sind es 1500. Wegen dieses Defizits<br />

liegt der durchschnittliche Zimmerpreis in<br />

Moskau bei 200 Euro pro Nacht. Die Stadtregierung<br />

von Bürgermeister Jurij Luschkow<br />

hat deshalb ein Programm aufgelegt, das<br />

die Zahl der Hotels bis zum Jahr 2010 auf<br />

550 mehr als verdoppeln soll. Die Margen<br />

der Fünf-Sterne-Hotels sind die höchsten<br />

der Welt. Das Ritz-Carlton, das in diesem<br />

Sommer eröffnete, war bereits nach wenigen<br />

Wochen ausgebucht. Der Ausbau der touristischen<br />

Strukturen in den Metropolen ist<br />

aber nur der Anfang. Bei Marriott weiß man<br />

um die Schönheiten des Landes. Deshalb<br />

plane man, so Marriott-Direktor Fien, die Eröffnung<br />

von zehn Courtyard-Hotels im östlichen<br />

Teil des Riesenreichs.<br />

Mit der Wolga hat Russland den längsten<br />

Fluss und mit dem Elbrus den höchsten<br />

Berg Europas. Der Baikalsee ist das größte<br />

Binnengewässer der Welt. Und viele der reisefreudigen<br />

Russen warten nur darauf, im<br />

eigenen Land Urlaub zu machen. Dann müssen<br />

sie sich nicht mit Fremdsprachen herumschlagen<br />

und können sich in einer vertrauten<br />

Kultur erholen. Von der wachsenden<br />

Lust am Urlaub im eigenen Land zeugen<br />

auch die jüngsten Zahlen. Nach Angaben<br />

der Föderalen Agentur für Tourismus wuchs<br />

der nationale Tourismus 2006 um 15 Prozent<br />

auf knapp 25 Millionen Reisende an. Weltweit<br />

betrug die Zuwachsrate der Tourismusbranche<br />

nur vier Prozent.<br />

Das überzeugte die Politik in der Hauptstadt.<br />

Die Regierung, gewohnt, vorrangig<br />

auf die gewinnträchtige Rohstoffindustrie<br />

zu schauen, entdeckt nun den Tourismus<br />

als Wachstumssparte. Der stellvertretende<br />

Premierminister Sergej Naryschkin kündigte<br />

an, Russland zu einer „Tourismusgroß-<br />

Besucher des Strands von Morskoje auf der<br />

Kurischen Nehrung. Die zum UNESCO-Weltnaturerbe<br />

zählende Halbinsel gehört zur<br />

Region Kaliningrad (Königsberg). Deren<br />

Tourismusindustrie fördert die Regierung in<br />

Moskau mit einem Investitionsprogramm<br />

in Höhe von rund 70 Millionen Euro.<br />

36 37


p industry-report<br />

Das Skigebiet von Krasnaja Poljana im Westkaukasus ist Austragungsort der Biathlon-, Alpinski- und Skiflugwettbewerbe während der Olympischen Winterspiele 2014.<br />

Die schöne neue Konsumwelt der Edelboutiquen am Roten Platz in Moskau gegenüber dem Lenin-Mausoleum kündet von Aufbruch und befreitem Lebensgefühl.<br />

macht“ machen zu wollen. „Schon jetzt<br />

beobachten wir die Stärkung Russlands auf<br />

dem internationalen Tourismusmarkt“, ist<br />

Naryschkin zufrieden. Um den innerrussischen<br />

Tourismus zu fördern, hat die Regierung<br />

nun ein milliardenschweres Programm<br />

aufgelegt. Sie schuf sieben touristisch-freizeitorientierte<br />

Wirtschaftszonen (TWZ),<br />

deren Infrastruktur Moskau in den nächsten<br />

zehn Jahren mit 60 Milliarden Rubel (rund<br />

1,7 Milliarden Euro) auf die Sprünge helfen<br />

will. Bei der Vorstellung des TWZ-Projekts<br />

in Moskau betonte der damalige russische<br />

Wirtschaftsminister German Gref, dass in<br />

den TWZ, von denen einige in strukturschwachen<br />

Regionen liegen, nach Schätzungen<br />

seines Ministeriums mehr als 60 000<br />

Arbeitsplätze entstehen.<br />

Für die touristische Erschließung des Landes<br />

sind die Pläne schon ausgearbeitet. In<br />

Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro<br />

Albert Speer & Partner GmbH und der Agentur<br />

für Marketingkommunikation Abold<br />

haben Experten von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants im Auftrag der russischen Regierung<br />

ein TWZ-Entwicklungskonzept<br />

entworfen. Das Hauptaugenmerk gilt der<br />

Region am Schwarzen Meer rund um die Gebietshauptstadt<br />

Krasnodar. Durch die Vergabe<br />

der Olympischen Winterspiele 2014 nach<br />

Sotschi ist sie ins Blickfeld internationaler<br />

Baukonzerne und Hotelketten gerückt. „Die<br />

Olympiade wird dem Tourismus in Russland<br />

einen großen Schub bringen“, erklärt Wladimir<br />

Strschalkowski, als Chef der Föderalen<br />

Agentur für Tourismus Russlands oberster<br />

Tourismuspolitiker. „Für jeden Rubel, den<br />

der Staat investiert, fließen gleichzeitig<br />

20 Rubel aus der Privatwirtschaft.“<br />

DIE OLYMPISCHEN WINTERSPIELE 2014<br />

SIND EIN WICHTIGER IMPULS FÜR DIE<br />

ENTWICKLUNG DER SCHWARZMEERREGION<br />

Sotschi mit seinen 200 Sonnentagen im Jahr,<br />

von Moskau aus in zwei Flugstunden zu<br />

erreichen, erlebt einen Bauboom. So soll<br />

bald eine Fünf-Sterne-Herberge das älteste<br />

Hotel am Platz, die 1909 erbaute und von<br />

Lenin in ein Sanatorium umgewandelte<br />

„Kaukasische Riviera“, ersetzen. Und anstelle<br />

des „Moskau“, eines elfstöckigen Betonklotzes,<br />

planen die Stadtoberen ein Luxusresort<br />

mit Kasino. 35 Kilometer vor der Stadt, in<br />

Krasnaja Poljana, entstehen die Anlagen der<br />

Winterspiele.<br />

Schon heute überzeugt die Schwarzmeerküste<br />

mit ihrer Länge von 740 Kilometern<br />

und dem gebirgigen Hinterland des Kaukasus<br />

als attraktive Ganzjahres-Ferienregion.<br />

Mit zehn Millionen Gästen kommt inzwi-<br />

schen ein Drittel aller Inlandstouristen in<br />

die Gegend rund um Krasnodar, die Zahl<br />

soll in den nächsten Jahren auf 17 Millionen<br />

steigen. Die Region verzeichnet ein hohes<br />

Wirtschaftswachstum und freut sich über<br />

einen Anteil von elf Prozent aller innerrussischen<br />

Investitionen. Dies wird nur von<br />

den Boomstädten Moskau und Petersburg<br />

übertroffen.<br />

Das größte Projekt ist deshalb in dieser<br />

Wachstumszone geplant, in Anapa an der<br />

Schwarzmeerküste. Auf 780 Hektar soll,<br />

nur 25 Kilometer vom nächsten Flughafen<br />

entfernt, eine Ferienlandschaft im mediterranen<br />

Stil entstehen, deren Resorts und<br />

Hotels es in Qualität und Service mit den<br />

Konkurrenten in Griechenland, Zypern und<br />

der Türkei aufnehmen können. „Nowaja<br />

Anapa“ bietet einen sieben Kilometer langen<br />

Strand. In einer nahen Lagune ist eine<br />

Marina mit Jachtklub geplant, ein womöglich<br />

hochprofitables Unterfangen. Bisher<br />

gibt es an der russischen Schwarzmeerküste<br />

zu wenig Liegeplätze für die ständig<br />

wachsende Zahl von Booten und Jachten.<br />

Der Ort soll 360 000 Erholungsuchende pro<br />

Jahr anziehen.<br />

In einer der reizvollsten Landschaften Sibiriens,<br />

dem Altai-Gebirge, sind zwei TWZs<br />

geplant. Das Projekt Birjusowaja Katun setzt<br />

Badegäste an einem der Strände des Kur- und Badeortes Sotschi. Die Stadt der Olympischen Winterspiele 2014 liegt am Schwarzen Meer und ist teilweise auf die Ausläufer<br />

des Kaukasus-Massivs gebaut. Blick auf den Baikalsee in Südsibirien, den mit 1637 Metern tiefsten und mit 25 Millionen Jahren ältesten Süßwassersee der Welt.<br />

auf Eco- und Extremtouristen und soll die<br />

erhofften <strong>11</strong>5 000 Gäste pro Jahr mit Raftingtouren,<br />

Skisportarten, Bergsteigen, Mountainbiking<br />

und Paragliding überzeugen. Die<br />

zweite Planung betrifft die Region Gornij<br />

Altai und ist auf Familien ausgerichtet.<br />

Eltern und ihr Nachwuchs entspannen sich<br />

dort in einem Klubhotel, Bungalows und<br />

Apartments, die sich an einen künstlichen<br />

See schmiegen. Per Flugzeug dauert die<br />

Anreise von Moskau nach Gornij Altai wie<br />

auch Birjusowaja Katun rund vier Stunden.<br />

In Bijsk, rund 90 Kilometer entfernt, ist der<br />

nächste Regionalflughafen. Der bisher eher<br />

ländliche Airport soll, so ein ehrgeiziges<br />

Lufttransportprogramm aus der Regierungszentrale,<br />

bis 2010 massiv für den Lufttransport<br />

ausgebaut werden.<br />

ANGEBOTE WIE EXTREMBERGSTEIGEN<br />

UND FAMILIENURLAUB SOLLEN VIELFÄLTIGE<br />

BESUCHERINTERESSEN ABDECKEN<br />

Für die vierte TWZ in und um Kaliningrad,<br />

das ehemalige Königsberg, zählen die Tourismusplaner<br />

nicht nur auf russische Reisenden,<br />

sondern vor allem auch auf Gäste aus<br />

Deutschland. Die Zentralregierung in Moskau<br />

will die Freizeitindustrie in der Region mit<br />

2,5 Milliarden Rubel fördern, umgerechnet<br />

rund 70 Millionen Euro. Der Großteil dieser<br />

Mittel soll bis zum Jahr 2013 freigegeben<br />

werden. Kaliningrad besticht durch attraktive<br />

Ostseestrände. Die Kurische Nehrung, ein<br />

98 Kilometer langer Landstreifen, von dem<br />

heute 46 Kilometer zu Russland gehören,<br />

besteht aus riesigen Wanderdünen. Sie<br />

trennt das Kurische Haff, ein Binnengewässer,<br />

von der Ostsee. Der russische Teil ist<br />

bisher touristisch wenig erschlossen. Viele<br />

Kaliningrader haben hier ihre Wochenendhäuschen.<br />

Jüngst hat in den Nehrungsdörfern<br />

eine rege Bautätigkeit eingesetzt,<br />

Russen errichten Ferienhäuser. Im Jahr 2000<br />

wurde die Kurische Nehrung, benannt nach<br />

dem baltischen Volksstamm der Kuren, von<br />

der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. In<br />

dieser TWZ soll ein nobler Ferienort für bis<br />

zu 60 000 Besucher im Jahr entstehen. Ein<br />

Fünf- und ein Vier-Sterne-Komplex sollen<br />

Kunden mit attraktiven Wellness- und Anti-<br />

Aging-Programmen anlocken. Und am Haff<br />

planen die Experten ein kurisches Dorf –<br />

mit Shops, Cafés und Restaurants, angepasst<br />

an die Freizeitbedürfnisse im 21. Jahrhundert.<br />

Dazu gehört auch ein Pier als Anlegestelle<br />

für edle Jachten.<br />

Als Wirtschaftsminister Gref das Programm<br />

zur Förderung der touristischen Infrastruktur<br />

vorstellte, freute ich mich, dass auch der<br />

Großraum um den Baikalsee unter den Ziel-<br />

gebieten war. Geformt wie eine Banane,<br />

erstreckt sich der Baikalsee 636 Kilometer<br />

von Nord nach Süd. Er ist 60 Kilometer breit<br />

und bis zu 1700 Meter tief und birgt ein<br />

Fünftel aller Süßwasservorräte der Erde,<br />

mehr als die Ostsee Wasser hat.<br />

Ich habe die Gegend mehrfach bereist. Zum<br />

Beispiel begleitete ich 1996 eine Oldtimerrallye.<br />

Damals herrschte bei den meisten<br />

Menschen in Russland Endzeitstimmung.<br />

Heute sind die Zeichen des Fortschritts<br />

unübersehbar: Die Straßen haben weniger<br />

Löcher, die Menschen sind besser gekleidet<br />

und haben ein Lächeln im Gesicht. Und<br />

in den Hotels ziehen die Insekten aus und<br />

mehr und mehr ausländische Geschäftsleute<br />

und russische Touristen ein. Ferienheime<br />

mit bröckelnden Fassaden, die Namen wie<br />

Dynamo und Rotfront tragen, warten auf<br />

die Abrissbirne. Ihre Nachfolger sind schon<br />

am Entstehen: schmucke Hotels in Privatbesitz<br />

– Boten der neuen Zeiten.<br />

MATTHIAS SCHEPP, 43, Leiter des Moskauer<br />

„Spiegel“-Büros, berichtet seit 20 Jahren aus Russland.<br />

Von 1998 bis 2005 arbeitete er in China und<br />

Amerika. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch<br />

„Von Peking nach Berlin. <strong>11</strong> 000 Kilometer auf<br />

Nachbauten der legendären BMW R 71“. Es schildert<br />

insbesondere die Reise durch Russland.<br />

38 39


p industry-report<br />

Beton-Olympioniken<br />

Peking rüstet auf für Olympia. Baumeister des Booms: der staatliche Baukonzern China State<br />

Construction Engineering. Er profitiert vom China-Boom und seiner internationalen Stärke. Im Jahr<br />

2008 will CSCEC per Börsengang zum globalen Giganten werden.<br />

: Bei den Arbeitern und Ingenieuren auf<br />

den Baustellen der olympischen Wettkampfstätten<br />

heißt der Baugigant einfach<br />

nur „China State“. Hinter dem Kürzel verbirgt<br />

sich die China State Construction<br />

Engineering Corp. (CSCEC). Erst 1982<br />

gegründet, spiegelt das Unternehmen die<br />

rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas<br />

wider. Die zunehmende Liberalisierung,<br />

Internationalisierung und höhere Transparenz<br />

der chinesischen Wirtschaft ermöglich-<br />

ten China State eine Traumkarriere. Lag vor<br />

25 Jahren der Geschäftsumsatz bei rund<br />

500 Millionen Dollar, betrug dieser 2005<br />

schon 14 Milliarden Dollar. Ein Schwergewicht<br />

mehr im immer stärker globalisierten<br />

Baugeschäft.<br />

Das CSCEC-Wachstum ist dabei eng mit<br />

dem Boom der chinesischen Wirtschaft verknüpft,<br />

der das Land zur viertstärksten<br />

Wirtschaftsmacht der Welt und zu einem<br />

Motor des globalen Wachstums gemacht<br />

hat. So überrascht es nicht, dass es kaum<br />

große Bauprojekte ohne China-State-Beteiligung<br />

gibt. Besonders prestigeträchtig: die<br />

Wettkampfstätten für die Olympischen<br />

Sommerspiele 2008.<br />

CSCEC ist ein Alleskönner unter den Betongestaltern:<br />

vom Wohnungs- und Straßenbau<br />

über Spezialistenjobs wie die Überdachung<br />

des neuen Olympiastadions oder die<br />

Testeinrichtung für die vertikale Raketenmontage<br />

im Shenzhou Space Center. Aber<br />

Die Sporthalle der Universität Peking. Der Bau ist<br />

Schauplatz des olympischen Badmintonwettbewerbs<br />

und der rhythmischen Sportgymnastik.<br />

Arbeiter am „Wasserwürfel“, wie das olympische Schwimmstadion auch genannt wird. Der spektakuläre Bau schimmert im Azurblau des nassen<br />

Elements, die strukturierte Außenhülle des Quaders soll Luftblasen im Wasser darstellen.<br />

auch Avantgardebauten wie den Hongkonger<br />

Flughafen Chek Lap Kok des Stararchitekten<br />

Sir Norman Foster führt CSCEC aus.<br />

Bei solchen Arbeitsproben überrascht es<br />

nicht, dass China State für den Weg zum<br />

globalen Baukonzern im kommenden März<br />

einen Teil ihrer Aktien auf dem offenen<br />

Markt emittieren will. Sun Wenje, CEO und<br />

Präsident von CSCEC, gibt die Regionen vor,<br />

in denen China State dies umsetzen will:<br />

„Unsere drei Hauptmärkte sind Afrika, Südund<br />

Ostasien und die Vereinigten Staaten.“<br />

CSCEC PROFITIERT VOM WACHSTUM DER<br />

CHINESISCHEN WIRTSCHAFT UND EINER<br />

STARKEN POSITION IN ASIEN UND AFRIKA<br />

Schon heute sorgen Asien und Afrika für<br />

70 Prozent des Gesamtauftragsvolumens.<br />

Hilfreich sind da die engen Beziehungen<br />

Chinas zu afrikanischen Ländern. Der rohstoffhungrige<br />

Industriesektor Chinas<br />

braucht die Bodenschätze aus Afrika. Weil<br />

es dem asiatischen Land vor dem Wirtschaftsboom<br />

an Devisen mangelte, baute<br />

China State Construction viele Straßen, Fußballstadien,<br />

Krankenhäuser und Schulen im<br />

Gegenzug für Erdöl, Erdgas und andere<br />

Rohstoffe. Im Asien-Geschäft helfen CSCEC<br />

die engen kulturellen Verbindungen zwischen<br />

China und seinen Nachbarn. Die chinesische<br />

Diaspora ist über ganz Südostasien<br />

verteilt und der Konzern an vielen solchen<br />

Projekten beteiligt, beispielsweise in Vietnam<br />

und Indonesien<br />

Vom Erfolg künden auch harte Wirtschaftszahlen.<br />

2006 schaffte das Unternehmen –<br />

vier Jahre früher als geplant – den Sprung<br />

unter die Forbes Fortune Global 500 und<br />

belegte dort Platz 486. Doch Herr Sun will<br />

mehr: „Die Aufnahme in die Global-500-<br />

Liste ist nicht alles. Wir werden weiter nach<br />

oben klettern. Unser nächstes Ziel ist es, zu<br />

den zehn stärksten internationalen Baufirmen<br />

der Welt zu gehören.“ Und so wird<br />

CSCEC nach dem Willen ihres Chefs bis<br />

2010 fünf Prozent der weltweiten Bauaufträge<br />

ausführen, die internationalen Aktiva<br />

machen dann 30 Prozent des Gesamtvermögens<br />

aus, und 30 Prozent aller Mitarbeiter<br />

sitzen in den weltweiten Niederlassungen.<br />

CSCEC ist auf dem besten Weg. Die Branchenbibel<br />

„Engineering News Record“<br />

(ENR), die anders als die Forbes-Liste nur<br />

Baukonzernze erfasst, listete schon 2005<br />

China State auf Platz zwölf der globalen<br />

ENR-Hitliste, letztes Jahr gar auf dem siebten<br />

Rang. Der Umsatz aus seinem internationalen<br />

Geschäft belief sich 2005 auf 3,5 Milliarden<br />

Dollar, ein Plus von 12,9 Prozent<br />

gegenüber dem Jahr davor. Die Gewinne<br />

aus dem Auslandsgeschäft stiegen 2005 auf<br />

280 Millionen Dollar, und der Auftragswert<br />

des Auslandsgeschäfts lag im selben Jahr<br />

bei 4,4 Milliarden Dollar.<br />

Aber auch Olympia ist ein Wachstumstreiber<br />

für das Unternehmen. Wenn am 8. August<br />

2008 die Spiele eröffnet werden, haben<br />

die CSCEC-Trupps spektakuläre Olympiabauten<br />

erschaffen: das olympische<br />

Schwimmstadion, das olympische Tenniszentrum,<br />

die Schießanlage oder die Halle<br />

für die Tischtenniswettbewerbe. Die Olympiaerfahrung<br />

dürfte für China State ein<br />

gewichtiger Pluspunkt im Wettbewerb um<br />

die nächsten Großaufträge für eine Weltveranstaltung<br />

sein: die Expo 2010 in Shanghai.<br />

DIE OLYMPIA-PATRIOTEN<br />

Neben den zu erwartenden Firmenriesen<br />

aus Europa und den USA sponsern<br />

auch chinesische Unternehmen die<br />

Spiele im eigenen Land.<br />

BANK OF CHINA<br />

Das Finanzinstitut ist eine der zehn bekanntesten<br />

Marken Chinas. Die Spiele sponsert<br />

die Bank of China zusammen mit dem Kreditkartenanbieter<br />

Visa. Ziel ist es, neben<br />

dem Imagegewinn vor allem die Popularität<br />

der Bezahlkarten zu fördern. Bisher nutzen<br />

Chinesen das Plastikgeld kaum.<br />

SOHU<br />

Der Webspezialist Sohu.com ist Anbieter von<br />

Onlinediensten, Web-2.0-Tools und Content<br />

für Mobilfunk wie Internetsuchmaschine,<br />

Mapping-Provider und Spieleportal. Sohu<br />

wird die offizielle Website des Olympischen<br />

Organisationskomitees BOCOG – www.<br />

beijing2008.com – aufbauen, hosten und<br />

betreiben. Mit anderen Medienunternehmen<br />

will Sohu gemeinsam ein breites Spektrum<br />

an digitalem Medien-Content zu den Weltspielen<br />

anbieten.<br />

CHINA MOBILE<br />

China Mobile ist der führende Mobilfunkanbieter<br />

des Landes. Durch die Unterstützung<br />

der Spiele will das Unternehmen seine Position<br />

auf dem expandierenden chinesischen<br />

Handymarkt weiter festigen. Der Sponsoringvertrag<br />

sieht vor, dass China Mobile<br />

Mobilfunkleistungen für die Olympischen<br />

Sommerspiele 2008 wie auch für die Paralympischen<br />

Spiele, für das Olympische Organisationskomitee<br />

(BOCOG) und das Chinesische<br />

Olympische Komitee bereitstellt.<br />

41


p industry-report<br />

Schwierige Mauersprünge<br />

Die Chinesen kommen, raunen die Europäer. Die Europäer kommen, raunen die Chinesen.<br />

Beides stimmt – und doch ist die wirtschaftliche Expansion in die neue Welt nicht immer einfach.<br />

Zwei aktuelle Studien zeigen, wie der Grenzübertritt dennoch gelingt.<br />

China lockt. Doch das Land macht es europäischen Investoren nicht<br />

immer leicht. Den Ausländern im Reich der Mitte erschweren allerdings<br />

nicht das undurchsichtige Behördendickicht, unklare Verordnungen oder tarifäre Handelshemmnisse ihre<br />

Geschäfte. Dies ergab eine Umfrage der Europäischen Handelskammer in Peking und von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants unter gut 200 europäischen Firmen in China. Für drei Viertel der Firmen sind die mangelnde Transparenz<br />

und Widersprüche zwischen Regularien verschiedener Behörden das größte Problem, und sie stufen dies als<br />

sehr bedeutendes oder bedeutendes Geschäftshindernis ein. Auf Platz zwei der Hindernisliste folgt der unzureichende<br />

Schutz geistigen Eigentums. Trotz allem: China bleibt attraktiv. Das Land ist ein Investitionsmagnet. Nach Großbritannien<br />

und den USA fließen in die Volksrepublik die meisten Auslandsinvestitionen, mit einem globalen Anteil von acht<br />

Prozent. 2006 zog China gut 63 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen an. „Wer in seinem Sektor führend bleiben will,<br />

muss heute in China sein“, sagt Charles-Edouard Bouée, Managing Director von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> in China.<br />

Immer noch strömen scharenweise China-Neulinge ins Land und konkurrieren sowohl miteinander als auch mit den zunehmend<br />

starken lokalen Unternehmen. „Europäische Firmen schlagen sich gut in einem zunehmend wettbewerbsintensiven<br />

Geschäftsumfeld“, bilanziert Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer. 59 Prozent der Unternehmen verdienen<br />

laut der Umfrage mindestens genauso gut wie in anderen Ländern, 61 Prozent schreiben schwarze Zahlen.<br />

69 Prozent wollen ihre Aktivitäten durch weitere Investitionen ausbauen. Und das, so Wuttke, obwohl sich das regulative Umfeld<br />

nicht verbessert habe. China halte etwa an Beteiligungsobergrenzen bei Anteilskäufen oder dem Zwang zu Mindestanteilen lokaler<br />

Fertigung (Local Content) fest. Manche Sektoren wie Automobilindustrie oder Windenergie berichten gar über wachsende Anforderungen<br />

zur Lokalisierung der Teileproduktion. Zudem ist laut Wuttke weiter eng definiert, in welchen Sektoren Investitionen<br />

erwünscht sind. „Es gibt keine größeren Veränderungen beim Zugang zum Markt in regulierten Sektoren wie Transport oder Stromerzeugung“,<br />

berichtet auch Siemens-China-Chef Richard Hausmann. Der Konzern kann oftmals nicht direkt an öffentlichen Ausschreibungen<br />

teilnehmen, sondern muss dies über lokale Partner tun. Siemens wird etwa als Technologiepartner und Sublieferant lokaler Firmen um<br />

die Wagen für die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Peking und Shanghai mitbieten. Manchmal gewährt China Marktzugang<br />

nur gegen Technologietransfer.<br />

Peking setzt zudem stärker als früher auf den Aufbau eigener weltmarktfähiger Konzerne. Selbst Käufe kleiner Anteile an chinesischen<br />

Firmen gelten als politisch sensibel. 2005 blockierte Peking die Übernahme eines Bauausrüsters durch den US-Konzern Carlyle.<br />

2007 scheiterte Carlyle erneut – diesmal mit dem Versuch, acht Prozent an einer Bank im südwestchinesischen Chongqing zu<br />

kaufen. An den Chancen und Potenzialen von Chinas gigantischem Absatzmarkt kommt dennoch niemand vorbei. 61 Prozent der<br />

Befragten investierten in China, um ihre Produkte vor Ort besser vermarkten zu können, weitere 24 Prozent folgten vor allem<br />

ihren Kunden. China als Billiglohnland verliert jedoch an Bedeutung: Nur sieben Prozent nannten Kosten als Hauptgrund für<br />

ihr Investment. Zumal die Ausgaben in China steigen. Löhne und Rohstoffkosten kletterten seit drei Jahren zweistellig, so<br />

Andy Xie, Ökonom in Shanghai. „Hinzu kommt der stärkere Renminbi. All das macht das Umfeld für Direktinvestitionen<br />

härter.“ Eine der größten Herausforderungen sei zudem, ein zu China passendes Geschäftsmodell zu entwickeln, sagt<br />

Bouée. So kauften viele Konsumenten westliche Produkte zum ersten Mal. Die Märkte in den 28 Provinzen unterschieden<br />

sich stark. Von Ausländern angeheuerte Topmanager seien zudem noch nie zuvor Geschäftsführer gewesen. Der<br />

begrenzte Talentpool des Landes ist ein generelles Problem. „Vielfach ist es schwieriger, gute Manager zu halten, als<br />

sie zu finden“, erklärt Bouée. Die Firmen geben daher viel Geld aus für Boni oder Fortbildungsprogramme. Doch das<br />

vergrößert die Gesamtzahl an Spitzenkräften im Land nicht.<br />

Generell seien reale Direktinvestitionen von Firmen, die im Land langfristig produzieren wollten – anders als reine<br />

Finanzinvestments – in China noch immer sehr willkommen, sagt Xie. „Die Regionen sind aber wählerisch geworden.<br />

Wer in Shanghai ein Stahlwerk bauen will, wird dort nicht enthusiastisch empfangen werden“, betont der<br />

Ökonom. Über einen Investor für eine Halbleiterfirma würde sich Shanghai dagegen „sicher sehr freuen“.<br />

industry-report f<br />

NACH 0STEN NACH WESTEN<br />

Fünf Jahre – so lange brauchte der chinesische Autobauer Chery<br />

nur, um aus der Nische in die Spitzengruppe der Autoanbieter im<br />

Land vorzurasen. Erst 2001 erhielt der chinesische Automobilhersteller eine landesweite Verkaufslizenz. Seit 2006<br />

zählt das Unternehmen nach Verkäufen zu den fünf größten Pkw-Produzenten des Landes – und brach damit als<br />

erster Lokalmatador in die Phalanx der dominierenden Auslandsmarken ein.<br />

Jetzt geht es für Unternehmen wie Chery darum, nicht nur auf den Weltmärkten Fuß zu fassen, sondern echte Weltstandards<br />

zu setzen. Chinas Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht habe eine „wachsende Gruppe chinesischer Unternehmen“<br />

hervorgebracht, die das Potenzial haben, sich innerhalb der kommenden Dekade zu Global Players zu entwickeln,<br />

urteilt die aktuelle Studie „China goes West“ von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants. So wie Chery. In China kam der Markt<br />

für ultragünstige Kleinwagen durch den Erfolg von Cherys Miniauto QQ überhaupt erst in Gang. Längst drängt die Firma<br />

auch in andere Länder. In Russland etwa ist die Marke etabliert.<br />

Der starke Fokus auf Forschung und Entwicklung lockt Partner. Eine strategische Kooperation mit Chrysler soll den Chinesen<br />

Zugang zum US-Markt verschaffen. Im Gespräch ist auch, dass Chery für Chrysler Autos baut. Und Italiens Fiat unterzeichnete<br />

im August einen Vertrag für den Kauf von jährlich über 100 000 Pkw-Motoren. Chinas Integration in die Weltwirtschaft sei ein „klarer<br />

Trend“, der sich weiter beschleunigen werde, prophezeit die Studie.<br />

Noch steckt die Expansion im internationalen Vergleich allerdings in den Kinderschuhen. Der Anteil chinesischen Kapitals an den<br />

weltweit getätigten Auslandsinvestitionen lag 2005 bei lediglich 1,5 Prozent. Das meiste Geld haben bislang Chinas Rohstoff- und<br />

Energiekonzerne in Auslandsmärkte injiziert. Um die Versorgungssicherheit der Volksrepublik zu sichern, haben sie in Zentralasien,<br />

Lateinamerika oder Afrika mit Milliardeninvestments Ölfelder, Minen und Förderunternehmen akquiriert.<br />

Für Chinas Unternehmen wird es zunehmend wichtig, sich durch den Gang über die Grenze neues Wachstumspotenzial zu erschließen.<br />

Ihr Heimatmarkt zeigt zum Teil Sättigungstendenzen. Und dorthin strömende internationale Wettbewerber machen ihn immer enger.<br />

Aber: Leicht ist die Expansion nicht. „Nur Unternehmen mit klaren, fokussierten Strategien, starker Umsetzungsfähigkeit und substanziellem<br />

internationalen Geschäfts-Know-how können die Früchte ernten“, bilanziert die Studie von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />

Nicht immer gelingt die Expansion. Der südchinesische Konzern TCL brachte sich mit dem Kauf des französischen TV-Geräte-Produzenten<br />

Thomson und der Handysparte von Frankreichs Alcatel selbst in Schwierigkeiten. Die erhofften Synergieeffekte blieben aus.<br />

Die chinesischen und französischen Managementteams arbeiteten eher gegen- als miteinander. „Die Chinesen neigen bei Übernahmen<br />

dazu, die Kulturunterschiede zu unterschätzen“, sagt Nandani Lynton, Vice-President for Executive Education in Asia bei der<br />

internationalen Managementschule Thunderbird.<br />

TCL hat die Produktion in Europa mittlerweile weitgehend eingestellt. Weil die Zukäufe Ressourcen aufzehrten, geriet die Firma<br />

zeitgleich in ihrer Heimat ins Wanken, hinkte bei der Entwicklung von Flachbildschirmen und kreativen Handys hinterher –<br />

und verlor deutlich Marktanteile.<br />

Für viele chinesische Unternehmen ist der Mangel an international erfahrenen Managern und Markterfahrung ein entscheidender<br />

Hemmschuh beim Erobern der Weltmärkte. Das Gleiche gilt laut der Studie für unzureichende F&E-Investitionen.<br />

Dass sich Know-how-Investitionen auszeichnen, demonstriert Huawei. Der Telekommunikationsausrüster, Sieger beim<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>-Wettbewerb „Most Globally Competitive Chinese Companies“, hat seinen Jahresumsatz von 2002 bis 2006<br />

auf elf Milliarden US-Dollar mehr als vervierfacht. Statt auf Übernahmen setzt die Firma auf organisches Wachstum. Um<br />

nah am Kunden und seinen Anforderungen zu sein, hat das Unternehmen eigene F&E-Labors in Indien, den USA und<br />

Europa gegründet. Aber: Der Huawei-Weg in die Globalisierung ist bislang die Ausnahme. Weil es viel Zeit kostet,<br />

Marke, Produktion und Vertrieb im Ausland selbst aufzubauen, sind Übernahmen die bevorzugte Expansionsstrategie.<br />

Beim deutschen Investitionsförderer „Invest in Germany“ schätzt man, dass Chinesen sich bereits in mehr als<br />

200 deutsche Unternehmen eingekauft haben. Das chinesische Logistikunternehmen LinkGlobal Logistics kaufte<br />

sich im deutschen Parchim gleich einen eigenen Flughafen.<br />

42 43


p industry-report<br />

44<br />

Aus Gejagten werden Jäger<br />

In Lateinamerika wachsen multinationale Konzerne heran. Die „Multilatinas“ kaufen Konkurrenten<br />

in Nordamerika und Europa. Die längste Wachstumsphase des südlichen Kontinents hat sie stark und<br />

angriffslustig gemacht. Weiteres Plus: Ihre Manager sind erschwerte Bedingungen gewöhnt.<br />

: Es begann im vergangenen Jahr und hört<br />

seitdem nicht mehr auf: Lateinamerikanische<br />

Konzerne gelangen immer öfter<br />

durch Übernahmen auf die Titelseiten der<br />

Wirtschaftspresse. Den Auftakt machte der<br />

brasilianische Eisenerzkonzern Companhia<br />

Vale do Rio Doce (CVRD) im August 2006.<br />

Für rund 18 Milliarden Dollar übernahm<br />

CVRD-Chef Roger Agnelli den kanadischen<br />

Nickelproduzenten Inco. Heute sind die Brasilianer<br />

weltweit die Nummer eins unter<br />

den Eisenerzproduzenten – ein wichtiger<br />

Rohstoff für die Stahlherstellung.<br />

Ähnlich erfolgreich beförderte Lorenzo<br />

Zambrano, CEO und Teilhaber des mexikanischen<br />

Zementriesen Cemex, sein Unternehmen<br />

an die Spitze: 13 Milliarden Dollar<br />

zahlte er für den australischen Baumaterialanbieter<br />

Rinker. Weil Cemex schon Milliarden<br />

in Europa investiert hatte, wurden die<br />

Mexikaner durch den Deal zur Nummer<br />

drei der Zementbranche.<br />

Was CVRD und Cemex schon geschafft haben,<br />

will auch die brasilianische Petrobras<br />

erreichen. Den Ölkonzern führt José Sérgio<br />

Gabrielli als CEO. Er investiert intensiv in<br />

die Exploration in Nigeria, Argentinien und<br />

dem Golf von Mexiko. 2020, so das Gabrielli-<br />

Ziel, soll Petrobras unter den fünf führenden<br />

Ölfördergesellschaften der Welt zu finden<br />

sein. Schon heute zählt die Aktie der<br />

Ölgesellschaft zu den wichtigsten ausländischen<br />

Titeln an der Wall Street.<br />

Multinationale Konzerne aus Lateinamerika,<br />

kurz Multilatinas, werden zunehmend<br />

zu Konkurrenten für Westunternehmen.<br />

Der Grundstein für den Boom wurde in den<br />

Neunzigerjahren gelegt. Ausländische Konkurrenz<br />

setzte damals die Lateinamerikaner<br />

CEMEX<br />

Vom mexikanischen Monterrey aus leitet Lorenzo<br />

Zambrano den drittgrößten Zementkonzern der<br />

Welt mit einer Mischung aus Bodenständigkeit,<br />

modernstem Hightech und unternehmerischer<br />

Aggressivität. Zwei Drittel seines Umsatzes macht<br />

Cemex inzwischen im Ausland. Schon seit 1991<br />

sind die weltweiten Filialen online miteinander<br />

verbunden. Zementmischer werden per Satelliten<br />

zu den Baustellen dirigiert. Als einer der Ersten<br />

spürt Zambrano, dass in den Emerging Markets<br />

Zement nicht gleich Zement ist. „Wir arbeiten in<br />

Vertrieb und Marketing sowie beim Aufbau unserer<br />

Marken wie ein Produzent von Konsumartikeln“,<br />

verrät Zambrano seinen Ansatz.<br />

v Cemex-Laster warten auf ihre Ladung in einer<br />

Zementfabrik in Mexiko-Stadt<br />

stark unter Druck. Die Folge: Der Anteil an<br />

Staatsfirmen wurde massiv zurückgefahren.<br />

Lokale Investoren bauten starke Unternehmen<br />

auf. Entstanden sind damit wettbewerbsfähige<br />

Player, die sich von Anfang an<br />

auf ungeschützten Märkten behaupten<br />

mussten. Die dynamischsten wandelten sich<br />

zu den Multilatinas von heute.<br />

ALLE MULTILATINAS SAMMELN<br />

KRÄFTE FÜR IHR GLOBALES WACHSTUM<br />

DURCH ÜBERNAHMEN IN DER REGION<br />

Für die Entwicklung zum globalen Schwergewicht<br />

trainierten sich viele Lateinamerikaner<br />

zu Hause die nötigen Muskeln durch<br />

Fusionen in der Region an. Danach gingen<br />

sie zur globalen Conquista über. OECD-<br />

Chefökonom Javier Santiso: „Zuerst erhöhen<br />

sie ihren Absatz im Ausland drastisch. Dann<br />

folgt die Übernahme strategischer Vermögenswerte<br />

im Ausland.“ Wie stark die Latinas<br />

heute sind, zeigt ihr Auslandsumsatz. So<br />

erwirtschafteten die in der Rangliste América<br />

Economía aufgeführten mexikanischen<br />

Unternehmen 47 Prozent ihres Umsatzes im<br />

Ausland, Brasilianer 39 Prozent.<br />

Möglich wurde der Siegeszug made by<br />

CVRD, Cemex & Co. laut einer Studie der<br />

Deutschen Bank Research neben dem<br />

Wachstum in großen Heimatmärkten und<br />

preiswerten Ressourcen auch dank der Manager<br />

zwischen Rio Grande und Feuerland.<br />

„Die Beispiele zeigen, dass man mit Mut<br />

weltweit eine Spitzenposition erreichen<br />

kann“, so die Autoren von DB Research. Inflation,<br />

Abwertung, Rezession und Boom<br />

wechselten sich bis vor Kurzem noch alle<br />

halbe Jahre munter ab. Zwar haben sich<br />

inzwischen die Rahmenbedingungen stabilisiert.<br />

Das unternehmerische Umfeld ist<br />

aber immer noch eine Herausforderung.<br />

Mit oft fehlender Rechtssicherheit, starken<br />

Interessengruppen, Korruption und Kriminalität,<br />

unzureichender Infrastruktur sowie<br />

abrupten Ideologiewechseln in den Regierungen<br />

müssen die CEOs dort umgehen.<br />

Vor genau diesem Hintergrund bilden sich<br />

in Lateinamerika besondere Managementtalente<br />

heraus. Die hohe Volatilität fördert<br />

sowohl die Entscheidungsfreude als auch<br />

die Fähigkeit, konsequent die Gunst der<br />

jeweiligen Stunde zu nutzen, meint Mauro<br />

Guillen, Strategieprofessor an der Wharton<br />

Business School.<br />

Davon profitierte beispielsweise der brasilianisch-belgische<br />

Brauriese Inbev. Als die<br />

belgische Interbrew mit dem brasilianischen<br />

Konkurrenten Ambev fusionierte, wollten<br />

die Belgier vor allem nicht nur Fuß fassen<br />

auf einem der wichtigsten Biermärkte welt-<br />

industry-report f<br />

CVRD<br />

Als die CVRD vor zehn Jahren privatisiert wurde,<br />

war sie ein konturloser Staatsbetrieb. Der Investmentbanker<br />

Roger Agnelli machte den Konzern in<br />

kürzester Zeit zum größten Eisenerzlieferanten<br />

der Welt – und bewies damit das richtige unternehmerische<br />

Gespür: Seit 2001 steigen die Preise<br />

für Eisenerz rasant. Und ein Ende der Hausse<br />

ist nicht vor 2010 zu erwarten. Agnelli nutzt die<br />

sprudelnden Milliardengewinne, um den Konzern<br />

auf das Ende des Aufschwungs vorzubereiten:<br />

Er kauft den Nickelproduzenten Inco, investiert<br />

weltweit in Kohlebergwerke und beteiligt sich<br />

an Stahlschmelzen.<br />

v Die Goro-Nickelmine in Neukaledonien soll im<br />

Jahr 2009 ihre Produktion aufnehmen und jährlich<br />

bis zu 60 000 Tonnen Nickel fördern<br />

weit – vor allem das Know-how des brasilianischen<br />

Konkurrenten interessierte sie.<br />

Denn die Brasilianer brauen, vertreiben<br />

und verkaufen den Gerstensaft weltweit am<br />

profitabelsten.<br />

Ihr Erfolgsgeheimnis: Effizienz. Bei Ambev<br />

teilten sich CEO und CIO den Schreibtisch,<br />

Papier war rationiert. Verkäufer fuhren graue<br />

Autos. Es ist die günstige Farbe beim Fahrzeugkauf<br />

im sonst so bunten Brasilien. Dieser<br />

Geist herrscht jetzt auch bei Inbev – brasilianische<br />

Manager haben inzwischen in der<br />

belgischen Konzernzentrale das Sagen. Vom<br />

CEO Carlos Brito abwärts sind die meisten<br />

Führungspositionen mit Brasilianern besetzt.<br />

Die belgischen Besitzer beschränken sich<br />

heute auf eine stille Teilhabe – und freuen<br />

sich über steigende Renditen.<br />

Grundlage der beginnenden weltweiten<br />

Expansion der Multilatinas sind ihre Erfolge<br />

auf heimischen Märkten. Hier kommt ihnen<br />

neben der günstigen Kostenstruktur auch<br />

ihre kulturelle Kenntnis der Konsumentenbedürfnisse<br />

zugute. OECD-Mann Santiso<br />

zufolge können Unternehmen aus Entwicklungsländern<br />

deshalb häufig „Produkte und<br />

Services anbieten, die einfacher zu bedienen<br />

sind und effizienter vertrieben werden<br />

als jene der Konkurrenz aus dem Westen“.<br />

Weil solche Unternehmen nicht nur in<br />

45


p industry-report<br />

46<br />

Lateinamerika selbst zu finden sind, sondern<br />

auch in Ländern wie Ägypten oder der<br />

Türkei, sieht Santiso als starke Wettbewerber<br />

der Multilatinas auch Unternehmen wie<br />

Indiens Bajaj, Orascom Telecom aus Ägypten<br />

oder die türkische Sabanci Holding.<br />

Den Aufschwung der Südamerikaner stoppen<br />

werden aller Voraussicht nach aber<br />

auch sie nicht. Bei den rund zwei Dutzend<br />

derzeitigen Multilatinas wird es nicht<br />

bleiben. Dafür sorgen laut Deutsche Bank<br />

Research auch zyklische Faktoren. Starke<br />

Wechselkurse sorgen für ein günstiges<br />

Klima. Weitere Anschubhilfe geben die seit<br />

fünf Jahren steigenden Rohstoffpreise.<br />

Das hat den chronischen Krisenkontinent<br />

in überraschend kurzer Zeit stabilisiert.<br />

Seit 2002 nehmen die Exporte jährlich zu<br />

und bescheren Lateinamerika zum ersten<br />

Mal seit drei Dekaden wieder eine positive<br />

Leistungsbilanz. Darüber hinaus füllen<br />

sie die Devisenkassen, stärken die Währun-<br />

EMBRAER<br />

In nur zehn Jahren wuchs der brasilianische Flugzeugbauer<br />

Embraer zum Konkurrenten von Airbus<br />

und Boeing heran (siehe Interview Seite 47).<br />

Den Brasilianern gelang es, die Europäer und<br />

Nordamerikaner gleich mehrfach abzuhängen. Ihr<br />

Rezept: Sie brachten die richtigen Modelle zum<br />

besten Zeitpunkt auf den Markt. Mit der 50-sitzigen<br />

ERJ-145 leiteten sie beispielsweise den weltweiten<br />

Boom der Regionalfliegerei ein. Bei den<br />

Flugzeugen mit bis zu <strong>11</strong>8 Passagieren ist<br />

Embraer mit seinen E-Jets bis heute konkurrenzlos.<br />

Jetzt soll eine neue Generation von Businessjets<br />

neue Märkte erschließen und erobern.<br />

Der Legacy 600, die Businessjet-Variante des k<br />

Regionalfliegers ERJ-145. Die Jets gehören zu den<br />

meistproduzierten Regionalflugzeugen der Welt.<br />

gen – und damit den Heimatmarkt eines<br />

möglichen Neukonzerns. Eine wichtige<br />

Voraussetzung für den Schritt zur Multilatina-Organisation,<br />

die dann zum globalen<br />

Sprung ansetzen kann. So glaubt auch<br />

Patrice Etlin vom Private-Equity-Fund<br />

Advent, dass die Übernahmen by Multilatina<br />

noch lange anhalten werden: „Die<br />

Mergers & Acquisitions-Welle kommt jetzt<br />

erst richtig in Bewegung.“<br />

DIE ZAHLEN BEI GEWINN,<br />

PRODUKTIVITÄT, UMSATZ PRO MITARBEITER<br />

UND KAPITALRENDITEN STEIGEN RASANT<br />

Diese Sicht stützen die neuesten Investitionszahlen.<br />

2006 begannen lateinamerikanische<br />

Unternehmen mit ihren massiven<br />

Auslandsinvestments, bis heute rund 43 Milliarden<br />

Dollar. Brasiliens Unternehmen<br />

engagierten sich damit erstmals mehr im<br />

Ausland als ausländische Konzerne im Land.<br />

Im vergangenen Jahr haben die Unterneh-<br />

men so viel verdient wie noch nie. So schossen<br />

die Gewinne der 500 größten Unternehmen<br />

gegenüber dem Rekordjahr 2005 noch<br />

einmal um 43 Prozent nach oben. Zudem<br />

konnten sie ihre Produktivität in den letzten<br />

Jahren mächtig steigern. Der Umsatz pro<br />

Mitarbeiter unter den 500 größten Konzernen<br />

hat sich seit 2004 verdoppelt. Und auch<br />

die Renditezahlen verbesserten sich im<br />

vergangenen Jahr weiter: Die Eigenkapitalrendite<br />

(ROE) stieg auf 18,5 Prozent – von<br />

14,8 Prozent im Jahr 2005 –, die Gesamtkapitalrendite<br />

(ROA) kletterte von 5,9 Prozent<br />

auf 7,4 Prozent. Die UN-Wirtschaftskommission<br />

für Lateinamerika, Cepal, rechnet vor,<br />

dass die Wirtschaft der Region in diesem<br />

Jahr um fünf Prozent und 2008 um 4,6 Prozent<br />

wachsen wird.<br />

Das Multilatina-Wachstum profitiert derzeit<br />

vor allem von der Nachfrage aus Asien. Die<br />

meisten Volkswirtschaften Lateinamerikas<br />

taugen als perfekte Zulieferer für Fernost.<br />

Denn der Doppelkontinent liefert die meisten<br />

industriellen Rohstoffe, fast alle weltweit<br />

gehandelten Agrarprodukte und exportiert<br />

neben Öl und Gas zunehmend auch<br />

alternative Treibstoffe. Brasilien (Eisenerz,<br />

Soja), Argentinien (Soja, Weizen, Mais) und<br />

Chile (Kupfer) bedienen fast im Alleingang<br />

die zusätzliche Nachfrage des boomenden<br />

China auf den Weltrohstoffmärkten. „Kein<br />

Kontinent ist weltweit besser geeignet, den<br />

Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten<br />

zu begleiten, als Südamerika“, weiß der<br />

Investmentbanker Walter Molano von BCP<br />

Sec. in den USA.<br />

WE STARK SIND DIE<br />

BRIC-STAATEN WIRKLICH?<br />

WIE LANGE HÄLT IHR BOOM AN?<br />

Nicht umsonst zählt Brasilien neben Russland,<br />

Indien und China zu den vier Emerging<br />

Markets, denen die Investmentbank<br />

Goldman Sachs unter dem Label BRIC-Staaten<br />

das größte Wachstumspotenzial weltweit<br />

zutraut. Wobei man sagen muss, dass<br />

momentan bei Experten eine gewisse Skepsis<br />

gegenüber der uneingeschränkten BRIC-<br />

Euphorie der vergangenen Jahre einzieht.<br />

Sollte sich der Boom jedoch fortsetzen, glauben<br />

Betrachter, dass die aufstrebenden<br />

Staaten im globalen Konzert jeweils ganz unterschiedliche<br />

Rollen einnehmen: Danach<br />

ist Indien die Innovationsfabrik, China die<br />

Werkhalle, Russland die Zapfsäule – und<br />

Brasilien das Rohstofflager.<br />

Mexiko ist die Volkswirtschaft, der die Goldman-Sachs-Volkswirte<br />

am ehesten zutrauen,<br />

einmal ähnlich bedeutend zu werden wie<br />

diese großen vier der Emerging Markets.<br />

Mexiko und Brasilien zusammen machen<br />

mehr als zwei Drittel der Wirtschaftskraft<br />

der Region aus. Ihre Ökonomien sind auch<br />

am weitesten diversifiziert – mit einem<br />

hohen Industrieanteil. Unter den 500 größten<br />

Konzernen der lateinamerikanischen<br />

Landmasse kommen allein 207 aus Brasilien,<br />

<strong>11</strong>1 aus Mexiko.<br />

THINK: ACT Fast alle Ihre Konkurrenten<br />

haben bei dem Versuch aufgegeben, sich<br />

in der Luftfahrtbranche neben Airbus<br />

und Boeing zu positionieren. Was hat<br />

Embraer besser gemacht?<br />

FREDERICO FLEURY CURADO Uns ist es gelungen,<br />

zwei Kulturen erfolgreich zu vereinen:<br />

die solide Ingenieurbasis aus eigener Forschungstradition<br />

zum einen und aggressives<br />

unternehmerisches Denken zum anderen.<br />

Das zusammen gab uns die Sicherheit für die<br />

richtigen strategischen Entscheidungen. Die<br />

sind in der Flugbranche überlebenswichtig.<br />

Embraer wuchs in den letzten zehn Jahren<br />

durchschnittlich um 65 Prozent pro<br />

Jahr. Können Sie das durchhalten?<br />

Je größer wir werden, umso schwieriger wird<br />

das. Der Markt ist nicht unendlich groß.<br />

In zehn Jahren haben wir unseren Personal-<br />

Für die Expansion der Konzerne ins Ausland<br />

ist es wichtig, dass sie sich für ihre Investitionen<br />

erstmals auf die in- und ausländischen<br />

Finanzmärkte stützen können: Banken,<br />

Fonds und Großinvestoren räumen den<br />

Multis aus Lateinamerika wegen der Aussicht<br />

auf gute Geschäfte fast unbegrenzten<br />

Kredit ein. Und bei den zahlreichen Börsengängen<br />

der letzten zwei Jahre haben ausländische<br />

Investoren die Kurse nach oben<br />

industry-report f<br />

FREDERICO FLEURY CURADO<br />

(47) ist seit April 2007 CEO des Flugzeugbauers<br />

Empresa Brasileira de Aeronáutica S.A.<br />

(Embraer). Der Luftfahrtingenieur verantwortete<br />

davor acht Jahre lang als Executive<br />

Vice President das zivile Luftfahrtgeschäft<br />

des Unternehmens.<br />

„Unternehmerisch<br />

aggressiv denken!“<br />

Frederico Fleury Curado, Embraer-CEO, über Erfolgsgeschichten<br />

aus Lateinamerika und die Aussichten des Flugzeugbauers<br />

stand von 3000 auf 24 000 Mitarbeiter ausgeweitet.<br />

Würden wir so weiterwachsen, hätten<br />

wir in zehn Jahren 200 000 Beschäftigte.<br />

Ihr Erfolg lockt neue Wettbewerber an.<br />

Zweifellos wird der Druck erheblich zunehmen.<br />

Aber das dauert noch. Sukhoi aus Russland<br />

kommt 2010 auf den Markt, die Chinesen<br />

vielleicht 2012, Mitsubishi noch später.<br />

Können Sie sich vorstellen, künftig auch<br />

außerhalb Brasiliens zu produzieren?<br />

Wir haben ja in China bereits eine Fabrik,<br />

die inzwischen gut ausgelastet ist. Wir<br />

schließen also neue Standorte nicht grundsätzlich<br />

aus. Denn die Welt globalisiert<br />

sich. Unsere heutige Fertigungsstruktur ist<br />

ausreichend für die nächsten Jahre. Was<br />

nach 2010 geschehen wird, das müssen wir<br />

dann neu analysieren.<br />

getrieben. Die Privatkonzerne Lateinamerikas<br />

gelten als kleineres Investitionsrisiko im<br />

Vergleich zu vielen Konkurrenten aus den<br />

Emerging Markets: Sie sind traditionell<br />

wegen der begrenzten lokalen Finanzierungsmöglichkeiten<br />

wenig verschuldet.<br />

Außerdem sind die großen Multilatinas<br />

meist transparent geführt und haben ihre<br />

Aktien oft in den USA gelistet – das schafft<br />

Vertrauen bei Anlegern.<br />

47


p industry-report<br />

48<br />

ZUKUNFTSMÄRKTE<br />

Äcker entwickeln Eigenschaften von Schwämmen. Straßenasphalt absorbiert Smog. Magneten<br />

treiben Bohrer an. Laser revolutionieren den Markt für Fernsehgeräte.<br />

schwamm für den acker<br />

70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs gehen<br />

auf das Konto der Landwirtschaft. Gesteigert werden kann<br />

der Anbau von Getreide, Gemüse oder Obst nur dann,<br />

wenn das vorhandene Wasser effizienter genutzt wird.<br />

Beispielsweise, indem man die Verdunstung verhindert.<br />

Genau dabei helfen soll die „Biomembran“, die norwegische<br />

Forscher entwickelt haben.<br />

Das Pulver aus Seetang, Fischgräten und Hühnermist<br />

wird in Wasser gelöst und die Lösung auf dem Feld versprüht,<br />

wo sie in eine Tiefe von rund zehn Zentimetern<br />

bis zu den Wurzeln der Pflanzen sickert. Dort trocknet<br />

sie zu einer gummiartigen Substanz, die Feuchtigkeit<br />

immer wieder aufnehmen und damit länger im Boden<br />

halten kann. Wie ein Schwamm saugt die Biomembran<br />

eindringendes Wasser dort auf, wo die Pflanzen es<br />

brauchen, und sorgt auf diese Weise dafür, dass es ihnen<br />

länger zur Verfügung steht.<br />

Darüber hinaus lässt sich die Membran mit weißen<br />

Pigmenten anreichern, die nicht im Boden versickern, sondern<br />

auf der Oberfläche des Ackers liegen bleiben. Sie<br />

reflektieren das Licht, bevor es sich in der Erde in Wärme<br />

verwandeln kann, und halten die Temperaturen im<br />

Erdboden dadurch niedrig. „Ein 50 Grad heißer Boden, auf<br />

dem so gut wie nichts wächst, lässt sich auf diese Weise<br />

bis auf 30 Grad kühlen und kann dann als Ackerfläche<br />

genutzt werden“, sagt Torleiv Bilstad, Professor an der<br />

Universität von Stavanger.<br />

Die Folge: Die Produktivität in der Landwirtschaft<br />

steigt, während sich die Verwüstung ganzer Landstriche<br />

verlangsamt. Schließlich gehen weltweit laut UNO jährlich<br />

sechs Millionen Hektar an Ackerboden verloren –<br />

mehr als die Fläche Kroatiens.<br />

strassen mit öko-lunge<br />

Mumbai, Tokio, Mexiko-Stadt. Immer mehr Metropolen<br />

leiden unter Dauersmog. Der katalytische Asphalt, den italienische<br />

Ingenieure entwickelt haben, könnte den Nebel<br />

lichten. Der Belag sieht aus wie ganz normaler Asphalt,<br />

wird aber mit einer rund zwei Millimeter dicken Schicht<br />

eines patentierten Mörtels bestrichen. Der Clou daran: Der<br />

Mörtel enthält Quarzpartikel und andere fotokatalytische<br />

Substanzen und kann Autoabgase absorbieren.<br />

An der Oberfläche der Partikel stoßen Licht und Luft<br />

einen oxidativen Prozess an, der organische und anorganische<br />

Substanzen wie Stickoxide und Polykondensate sowie<br />

Benzole und Kohlenmonoxid zunächst transformiert und<br />

dann zersetzt. Die italienische Autobahngesellschaft hat den<br />

katalytischen Asphalt an einigen Mautstellen bereits getestet.<br />

Das Resultat: Smogreduzierungen von bis zu 60 Prozent<br />

sind möglich. Das Wissenschaftsinstitut Consiglio<br />

Nazionale delle Ricerche (CRN) stellte durch mehrwöchige<br />

Tests sogar fest, dass die Abgase in direkter Nähe des<br />

Asphalts bei Windstille fast komplett zersetzt werden.<br />

Autoabgasentwicklung in Europa<br />

1995 2003 Veränderung<br />

Pkw-Verkehr (in Mrd. Personen-km) 3819 4444 16,4 %<br />

Autobahnstrecken (in km) 47 376 58 248 22,9 %<br />

Quelle: EU-Stat für EU-25-Länder<br />

verschleissfreie rotation<br />

Qualität und Präzision einer Bohrung hängen nicht<br />

zuletzt von der Geschwindigkeit ab, mit der gebohrt wird.<br />

In der Autoindustrie etwa werden daher Bohrungen mit<br />

Drehzahlen von bis zu 50 000 Umdrehungen pro Minute<br />

durchgeführt. Das Problem dabei: Die Getriebe der Schleifmaschinen<br />

halten dieses Tempo nicht lange durch.<br />

laser-tv<br />

Wer dachte, LCD-Monitore wären das Nonplusultra der<br />

Fernsehelektronik, muss womöglich umdenken. Die Zukunft,<br />

glauben Experten, gehört dem laserbasierten Fernsehen.<br />

Bisher galten rote, grüne oder blaue Laser als ineffizient. Bei<br />

gleichem Energieeinsatz strahlen die Halbleiter-Lichtquellen<br />

zwar kräftiger, allerdings nur im unsichtbaren Infrarotbereich.<br />

Doch nun hat die Forschung einen neuen Hoffnungsträger.<br />

Lithiumniobat nennt sich die Substanz, die voller<br />

mikroskopisch kleiner Dipol-Antennen steckt. Diese lassen<br />

sich durch Laserlicht so anregen, dass sie die Frequenz in<br />

den sichtbaren Bereich verschieben. Damit ist der entscheidende<br />

Schritt zum Laser-TV gelungen.<br />

Die Elektronikfirmen arbeiten bereits an Geräten auf<br />

Laserbasis. So stellte die Firma Arasor International Anfang<br />

2007 auf der International Electronics Show in Las Vegas<br />

einen Prototyp mit hochauflösender 50-Zoll-Bildschirmdiagonale<br />

vor. Sony zeigte sogar ein 55-Zoll-Gerät, das auch<br />

noch rank und schlank daherkommt.<br />

industry-report f<br />

Modell eines Magnetgetriebes inklusive<br />

magnetischer Feldlinien<br />

Gemeinsam mit den Esslinger Index-Werken hat das<br />

Institut für Theorie der Elektrotechnik (ITE) der<br />

Universität Stuttgart daher ein Getriebe entwickelt, bei<br />

dem die Kraftübertragung über magnetische Kräfte erfolgt.<br />

Vorteil: Das Magnetgetriebe arbeitet praktisch verschleißfrei.<br />

Den Kern bildet ein Rotor, der – wie bei einem Elektromotor<br />

– von einem Magnetfeld angetrieben wird. Die Stärke<br />

des Magnetfelds lässt sich durch einen zweiten Rotor regulieren<br />

– und zwar so, dass sich der erste Rotor schneller<br />

dreht als der zweite. Daraus ergibt sich eine Drehzahlübersetzung,<br />

die sich für ein Getriebe nutzen lässt. Die praktische<br />

Konstruktion scheiterte bislang daran, dass es nicht möglich<br />

war, die übertragbaren Kräfte genau vorherzusagen. Nun<br />

gelang es den Wissenschaftlern, die Algorithmen so weit zu<br />

vereinfachen, dass Magnete und Magnetfelder berechnet<br />

und visualisiert werden können.<br />

Weltweite TV-Geräte-Produktion<br />

2007: 173 Millionen Einheiten<br />

20<strong>11</strong>: 189 Millionen Einheiten<br />

(68 Prozent davon mit hochauflösenden Bildschirmen)<br />

Quelle: Gartner<br />

49


p business-culture<br />

50<br />

Selbermachen lohnt sich<br />

: Jack Welch liebte es, in die Grube hinabzusteigen.<br />

„The Pit“, die Grube, so nannte<br />

der ehemalige Chef des US-Konzerns General<br />

Electric (heute GE) den großen Hörsaal<br />

im konzerneigenen Fortbildungszentrum<br />

Crotonville. Alle zwei Wochen trat Managementlegende<br />

Welch dort vor rund 100 Spitzenmanagern<br />

auf. Sie nutzten die Chance,<br />

ihren Boss mit kritischen Fragen zu löchern.<br />

Der hielt sich ebenfalls nicht zurück und<br />

watschte auch schon mal Untergebene vor<br />

versammelter Runde ab.<br />

AUS ALLER WELT FLIEGT<br />

GE FÜHRUNGSTALENTE INS<br />

SCHULUNGSZENTRUM NACH CROTONVILLE<br />

Ähnlich hält es Welchs Nachfolger Jeff<br />

Immelt heute. Die zweistündigen Auftritte<br />

ihres CEO sind der Höhepunkt der Kurse,<br />

die Führungskräfte und High Potentials des<br />

Konzerns regelmäßig in Crotonville belegen<br />

müssen. Aus der ganzen Welt reisen sie an<br />

und wohnen mehrere Tage lang in einem<br />

der rund 200 eher einfachen Zimmer. Tagsüber<br />

belegen sie Seminare, nehmen an<br />

Workshops und Diskussionsrunden teil und<br />

hören Vorträge. Abends essen sie gemeinsam<br />

in den Speiseräumen der Anlage.<br />

Der Lehrplan ist streng. Nur folgerichtig<br />

also, dass der US-Konzern seine Fortbildungseinrichtung<br />

„Corporate University“<br />

nennt.<br />

Unis mit Firmenlogo sind inzwischen in vielen<br />

Unternehmen in Mode. Mehr als 100 dieser<br />

firmeneigenen Ausbildungszentren gibt<br />

es allein in Europa. Organisiert sind sie im<br />

Netzwerk „European Corporate Learning<br />

Forum“. Auch US-Firmen wie American<br />

Express, Dell, Oracle, Microsoft oder McDonald’s<br />

haben mittlerweile eigene Unis.<br />

Nur wenige Unternehmen aber praktizieren<br />

die permanente Fortbildung seiner Managementtalente<br />

so konsequent wie GE. Rund<br />

eine Milliarde Dollar jährlich lässt sich das<br />

Unternehmen seine Mitarbeiterfortbildung<br />

jährlich kosten. Allein stehen die Amerikaner<br />

mit ihrem Engagement aber längst nicht<br />

mehr. Einer Studie der Harvard Business<br />

School zufolge betrachten die Führungsetagen<br />

global agierender Unternehmen die<br />

Pflege des Managementnachwuchses inzwischen<br />

als wichtigstes Thema auf ihrer<br />

Tagesordnung. Und das aus gutem Grund.<br />

Denn die Entwicklung neuer Führungstalente<br />

kann über die Zukunft entscheiden.<br />

„Unternehmen, die besonders erfolgreich<br />

agieren, produzieren nicht nur Güter oder<br />

Dienstleistungen – sondern auch ihr eigenes<br />

Topmanagement“, sagt David Day, Professor<br />

an der Singapore Management University.<br />

Die Firmen stünden dabei vor der klassischen<br />

Make-or-buy-Frage. Immer mehr<br />

sagen heute: make.<br />

Zwar existieren keine umfassenden quantitativen<br />

Untersuchungen, die etwa die<br />

Ersparnis einer internen Managerausbildung<br />

gegenüber der Suche auf dem Markt<br />

firmenübergreifend beweisen. Dennoch ist<br />

offensichtlich: Immer mehr Unternehmen<br />

sehen in der eigenen Managerausbildung<br />

eine Waffe im War for Managementtalent.<br />

Hintergrund: Die Anforderungen an Spitzenmanager<br />

sind in den vergangenen Jahrzehnten<br />

extrem gestiegen. Die Topleute<br />

business-culture f<br />

Die Erwartungen an Topmanager der globalisierten Wirtschaft sind hoch: in multinationalem Umfeld<br />

unter extremem Zeitdruck Antworten auf komplexe Fragen geben. Solche Spitzenkräfte sind auf dem<br />

Arbeitsmarkt schwer zu bekommen. Deshalb investieren Unternehmen massiv in Leistungsträger.<br />

müssen in unübersichtlichen, dynamischen<br />

Geschäftsfeldern rasch die richtigen Antworten<br />

auf komplexe Fragestellungen geben,<br />

und das in multinationalen Teams. Auf<br />

dem Arbeitsmarkt sind die dabei gefragten<br />

Multitalente selten kurzfristig zu bekommen.<br />

„Unternehmen werden heute nicht<br />

mehr von einem Mangel an Geld in der Expansion<br />

gebremst, sondern von einem Mangel<br />

an gut ausgebildeten Arbeitskräften“,<br />

urteilt Geoff Colvin vom Fortune Magazine.<br />

INTERNE FÜHRUNGSPROGRAMME<br />

SIND TEUER, ABER EINE<br />

INVESTITION IN DIE ZUKUNFT<br />

Billig sind die Ausbildungsprogramme<br />

nicht. Doch die Investition lohnt sich, glaubt<br />

Alfonso Zulaica, verantwortlich für Corporate<br />

Culture bei der spanischen Finanzgruppe<br />

BBVA. „Langfristig zahlt sie sich aus.“<br />

BBVA bringt ihre wichtigsten 2000 Manager<br />

unter anderem mit einer Firmenuni und<br />

einem ausgefeilten Bewertungsprogramm<br />

auf Vordermann. „Exakt gegeneinander abwägen<br />

lassen sich die Kosten für den externen<br />

Einkauf und die interne Aus- und Fortbildung<br />

eines Topmanagers zwar nicht“, sagt<br />

Zulaica. Dafür seien die Lebensläufe, Fachkenntnisse<br />

und damit verbundenen Kosten<br />

der Mitarbeiter zu unterschiedlich. Aber das<br />

hauseigene Training sorge für mehrere positive<br />

Effekte, die sich nicht mit Geld kaufen<br />

ließen – und stärke damit die Wettbewerbsfähigkeit<br />

gegenüber Konkurrenten, die vorrangig<br />

Führungskräfte einkaufen.<br />

Vor allem ermögliche ein gezieltes Programm<br />

zur Führungskräfteentwicklung<br />

51


p business-culture business-culture f<br />

52<br />

eine harmonische Kultur und klare strategische<br />

Ziele im gesamten Unternehmen.<br />

Schließlich müsse man den Managern nicht<br />

erst mühsam die Werte und Strategien des<br />

Unternehmens vermitteln, erklärt Zulaica.<br />

Zugleich können Unternehmen mit eigenen<br />

Nachschubprojekten frei werdende Managerposten<br />

schneller wieder besetzen. Und<br />

noch etwas spricht für das Investment in die<br />

Köpfe: Nach einer guten Ausbildung bleiben<br />

die Topleute aus Loyalität länger im Unternehmen.<br />

„Wir betrachten das Geld, das wir<br />

für unser Ausbildungsprogramm ausgeben,<br />

daher als Investition und nicht als Kosten“,<br />

sagt Zulaica.<br />

DIE WEITERBILDUNG DER<br />

SPITZENMANAGER MUSS VON<br />

GANZ OBEN GELENKT WERDEN<br />

Doch damit eine Talentpipeline zuverlässig<br />

für brauchbaren Managementnachwuchs<br />

sorgt, muss sie nach Einschätzung von David<br />

Day intern ernst genommen werden.<br />

Talentmanagement muss Chefsache sein, so<br />

Day. Die oberste Führungsebene muss sich<br />

also persönlich um die werdenden Spitzenkräfte<br />

kümmern. Das bestätigt auch eine<br />

Studie der Human-Resources-Experten<br />

Hewitt Associates und RBL sowie dem Fortune<br />

Magazine. Sie haben bei weltweit<br />

530 Unternehmen die Programme zur Führungskräfte-Entwicklung<br />

sowie Reputation,<br />

Unternehmenskultur und Marktperformance<br />

untersucht. Ein Ergebnis: Bei 85 Prozent<br />

der Topunternehmen verbringen die<br />

Vorstände mindestens ein Fünftel ihrer<br />

Arbeitszeit für die Führungskräfteentwicklung.<br />

Die Vorstandschefs der erfolgreichsten<br />

Managerschmieden verwendeten sogar<br />

jede zweite Arbeitsstunde für die Nachwuchspflege.<br />

Damit werden die Nachwuchsprogramme<br />

substanzhaltiger. Und<br />

nach innen wie nach außen demonstrieren<br />

die Unternehmen so, dass sie es mit der<br />

Nachwuchsarbeit im Management wirklich<br />

ernst meinen.<br />

Managemenprofessor Day betont, dass<br />

Unternehmen die Aus- und Weiterbildung<br />

ihrer Topmanager zudem unbedingt mit<br />

der eigenen Strategie verzahnen sollten.<br />

Nur dann liefert das Programm exakt jene<br />

Manager, die in Zukunft gebraucht werden<br />

– mit Kenntnissen der wichtigen Märkte,<br />

kulturellen Unterschiede oder möglichen<br />

Expansionsstrategien. Nebenbei liefert<br />

dieser Ansatz auch eine Antwort auf die<br />

Frage, weshalb die Talente das Unternehmen<br />

nicht beim erstbesten Angebot verlassen:<br />

Ihr Know-how ist teilweise maßgeschneidert<br />

für ihren Arbeitgeber und damit<br />

dort wertvoller als bei anderen Konzernen.<br />

Ein Erfolgsfaktor eines jeden Managementprogramms:<br />

Während ihrer Ausbildung<br />

sollten die angehenden Leader schon substanzielle<br />

Erfahrungen mit konkreten Führungsprojekten<br />

sammeln, anstatt nur im<br />

Sandkasten Strategiespielchen zu spielen.<br />

Das praktiziert vorbildlich das indische<br />

Unternehmen Hindustan Unilever. „Wir<br />

glauben daran, dass nur zehn Prozent der<br />

Weiterbildung zu Topmanagern durch<br />

Kurse zu erreichen sind“, sagt Leena Nair,<br />

bei dem Konsumgüterhersteller verantwortlich<br />

für Human Resources. Der Rest sei<br />

Praxiserfahrung. Das Unternehmen lässt<br />

seine 1300 Manager darum regelmäßig konkrete<br />

Projekte aus fremden Geschäftsbereichen<br />

bearbeiten. „Menschen lernen aus<br />

Erfahrungen“, bestätigt Dave Ulrich, Professor<br />

an der Ross School of Business der Universität<br />

von Michigan, „darum ist es wichtig,<br />

künftige Führungskräfte Erfahrungen<br />

machen zu lassen, die ihren Horizont<br />

erweitern.“ Den Unternehmen steht Ulrich<br />

zufolge ein ganzes Arsenal geeigneter Mittel<br />

zur Verfügung, um ihre Rohdiamanten<br />

zu Spitzenmanagern zu verfeinern – von<br />

Mentoren- und Coachingprogrammen über<br />

Beurteilungssysteme bis zu sogenanntem<br />

Action-Learning, also dem Beteiligen der<br />

Nachwuchskräfte an der Lösung realer<br />

Probleme.<br />

Die Frage ist jedoch: Welche Praxiserfahrungen<br />

sind die besten, welche Projekte bereiten<br />

die Manager am besten auf höhere Aufgaben<br />

vor? Allgemein verbindliche Regeln<br />

gibt es hier nicht. Es gilt jedoch die Regel:<br />

Je härter die zu bewältigende Aufgabe,<br />

desto besser.<br />

AM MEISTEN LERNEN<br />

KÜNFTIGE TOPENTSCHEIDER<br />

IN KRISENSITUATIONEN<br />

Die Managementerfahrung in Krisenzeiten<br />

lehrt viele wertvolle Managementfähigkeiten:<br />

schnelles Reagieren, Handeln unter<br />

Druck, aber auch die Abwägung der Notwendigkeiten<br />

der momentanen Krise mit<br />

jenen der langfristigen Strategie.<br />

A.G. Lafley, CEO von Procter & Gamble,<br />

einem der Gewinnerunternehmen der Fortune-Untersuchung,<br />

musste sich als Chef der<br />

Asien-Operationen des Unternehmens in<br />

einer problematischen Phase bewähren – zu<br />

Zeiten der Asien-Krise nämlich. Zusätzlich<br />

erschütterte ein Erdbeben die Region.<br />

Lafley bewältigte die Turbulenzen. Heute<br />

sagt er: „Während einer Krise lernt man<br />

zehnmal mehr als zu normalen Zeiten.“<br />

Ein Problem aber stellt sich bei jeder Auswahl<br />

von „Lernaufgaben“ für künftige Spitzenmanager:<br />

Einerseits ist es sinnvoll, dass<br />

die Talente viele verschiedene Aufgaben<br />

lösen und viele Stufen durchlaufen. Andererseits<br />

entwickeln sie in jedem Job Fertigkeiten,<br />

die dem jeweiligen Unternehmensteil<br />

fehlen, wenn der Entscheider bereits<br />

nach 18 oder 24 Monaten wechselt. Eine<br />

innovative Lösung hat der Pharmakonzern<br />

Eli Lilly gefunden. Das Unternehmen belässt<br />

die Jungmanager lange auf einer Position,<br />

lässt sie aber zusätzlich Projekte in anderen<br />

Bereichen übernehmen. Für die Manager<br />

bedeutet das zwar Mehrarbeit, aber<br />

eben auch ein Mehr an Erfahrung. Und genau<br />

jenes Plus ist es vielleicht, das den<br />

Unterschied im Wetttbewerb ausmacht – für<br />

den Manager wie für das Unternehmen.<br />

Kosakenritt im Kapitalismus<br />

Er ist einer der reichsten Männer der Welt: der russische Oligarch Oleg Deripaska. Männer wie<br />

er haben sich in der Umbruchzeit durchgesetzt. Jetzt will Deripaska Autos nach Weststandard<br />

bauen. Hinter seinem Erfolg verbirgt sich ein Managementverständnis: das Prinzip Kosake.<br />

OLEG DERIPASKA ist einer der reichsten<br />

Männer Russlands. Seine Holding Basic<br />

Element engagiert sich in der Energiewirtschaft,<br />

im Auto- und Flugzeugbau ebenso wie<br />

in den Bereichen Finanzen und Immobilien.<br />

Studiert hat Deripaska an den Moskauer Eliteuniversitäten<br />

Plechanow und Lomonossow.<br />

Sein Schwiegervater ist mit einer Jelzin-<br />

Tochter verheiratet.<br />

: „Wir sind Kosaken. Wir sind immer<br />

bereit, in den Krieg zu ziehen“, sagt Oleg<br />

Wladimirowitsch Deripaska. Ein bemerkenswerter<br />

Satz, wenn er nicht von einem<br />

Literaten oder einem Schauspieler auf<br />

der Bühne kommt. Sondern von einem<br />

Unternehmer.<br />

Und Deripaska hat einen ordentlichen Parforceritt<br />

hingelegt, bei dem er in nicht einmal<br />

15 Jahren aus dem Nichts zu einem der<br />

reichsten Männer der Welt aufstieg. Die russische<br />

Fachzeitschrift Finans schätzt sein<br />

Privatvermögen auf 1,64 Milliarden Euro.<br />

Die Aktiva der Holding Basic Element,<br />

deren Gründer und Eigentümer Deripaska<br />

ist, machen 23 Milliarden Dollar aus. 300 000<br />

Beschäftigte arbeiten für sein Imperium mit<br />

Stammsitz in Moskau in den Geschäftsbereichen<br />

Aluminium/Strom, Auto/Flugzeugund<br />

Maschinenbau, Finanzdienstleistungen,<br />

Bauwirtschaft und Immobilien.<br />

OLIGARCHEN WIE DERIPASKA<br />

WAREN DIE TRÄGER DER<br />

RUSSISCHEN TRANSFORMATION<br />

Oleg Deripaska ist ein Prototyp der Spitze<br />

von Russlands neuer Wirtschaftselite –<br />

jenen Spitzenmanagern, die in der Presse<br />

häufig als „Oligarchen“ firmieren. Sein Verständnis<br />

des „Kosakenkapitalismus“ dürfte<br />

idealtypisch sein für Russlands Unternehmen.<br />

Kosakenkapitalismus begreift einer


p business-culture<br />

54<br />

„Ich mag den Präsidenten. Er arbeitet hart und hat sehr viel erreicht.“<br />

Oleg Deripaska<br />

wie Deripaska als strategische Waffe. Das<br />

Prinzip: Wie ein Steppenreiter bündelt der<br />

Oligarch Deripaska seine Kräfte am Markt.<br />

Ein Kosake ist stolz und selbstbewusst,<br />

schnell und flexibel, agiert aggressiv und<br />

expansiv, pflegt starke Allianzen unter seinesgleichen<br />

– und hat keinerlei Vorbehalte<br />

gegenüber dem Fremden und Unbekannten.<br />

Die richtige Haltung für die Wachstumsstrategie<br />

des Oleg Deripaska. Über 18 Milliarden<br />

Dollar Umsatz erwirtschaftete Basic Element<br />

nach eigenen Angaben im Jahr 2006.<br />

Das Unternehmen ist breit aufgestellt;<br />

knapp zehn Prozent hält Basic Element<br />

heute am deutschen Baukonzern Hochtief,<br />

und ein Viertel der Anteile an der österreichischen<br />

Strabag.<br />

Und die Expansion geht weiter. Zusammen<br />

mit seinen österreichischen Partnern und<br />

der ukrainischen Development Construction<br />

Holding rief Basic Element gerade eine<br />

Tochterfirma in der Ukraine ins Leben. Strabag<br />

Ukraine soll von den Investitionen in<br />

die Modernisierung der ukrainischen Infra-<br />

struktur profitieren: Brücken, Tunnel, Straßen.<br />

Deripaska: „Erfolg auf dem ukrainischen<br />

Markt erreicht, wer moderne Technologien<br />

und Erfahrung mit den lokalen<br />

Bedingungen kombiniert.“ Modernität und<br />

lokales Wissen – auch das gehört zum<br />

Prinzip Kosake.<br />

Auf dieses setzte Deripaska bereits Anfang<br />

der Neunzigerjahre. Nachdem er sein Studium<br />

an den russischen Eliteuniversitäten<br />

Plechanow und Lomonossow in Betriebswirtschaftslehre<br />

und Physik abgeschlossen<br />

hatte, zog es ihn an die Moskauer Warenund<br />

Rohstoffbörse. Dort schlug erstmals die<br />

Stunde des Kosaken. „Eine junge, professionelle,<br />

gebildete Führungskraft beherrscht<br />

die modernen Managementtechnologien“,<br />

urteilte Konstantin Borowoi, der Gründer<br />

der russischen Rohstoffbörse.<br />

Ausschließlich hieß es: mit dem Blick nach<br />

vorne galoppieren, und das mit hoher Risikobereitschaft,<br />

aber auch starken Verbündeten.<br />

Damit griff Deripaska auf den Anfang<br />

der Neunzigerjahre noch wenig erschlosse-<br />

Eine von Oleg Deripaskas Aluminiumfabriken. Mit dem Rohstoff begann der Aufstieg des Russen. Heute aber<br />

umspannt sein gar nicht mehr so kleines Imperium auch Branchen wie den Automobilbau oder Immobilien.<br />

nen Weiten der russischen Finanzmärkte an.<br />

Die Beute konnte sich sehen lassen: „Als<br />

Broker habe ich dort in Zeiten mit 1000 Prozent<br />

Inflation und guten Beziehungen zu<br />

Banken, die mir Kredite in Rubel gaben, viel<br />

Geld verdient“, erklärt Deripaska.<br />

Mit Weitblick und einem Riecher für lukrative<br />

Geschäfte spezialisierte er sich früh auf<br />

den Handel mit Aluminium und auf Aluminiumaktien.<br />

Westliche Rohstoffbarone versorgten<br />

den Aufsteiger mit frischem Geld.<br />

Er bediente alle Hebel, seine Assets zu mehren.<br />

1993 wurde Deripaska mit gerade einmal<br />

24 Jahren Generaldirektor der damals<br />

drittgrößten russischen Aluminiumschmelze.<br />

In den Folgejahren übernahm er Werk<br />

um Werk.<br />

Das Aluminiumgeschäft in Russland galt in<br />

dieser Zeit freilich auch als besonders hart.<br />

Doch nicht nur überlebte Deripaska die<br />

wilden Aufbruchjahre. Er wurde auch zu<br />

einem der ganz wichtigen Rohstoffmanager<br />

der Welt. 66 Prozent am weltgrößten Aluminiumkonzern<br />

Rusal besitzt er heute.<br />

Rusal hält nach eigenen Angaben einen<br />

Anteil von zwölf Prozent am Weltmarkt<br />

für Aluminium. Man hört daher förmlich<br />

das Raunen, mit dem Wirtschaftsjournalisten<br />

Deripaska „Herr des Aluminiums“ oder<br />

„Alugarch“ nennen.<br />

Angriff, Wachstum und unternehmerische<br />

Expansion – mit solchen Vorgaben und<br />

einem rasantem Tempo waren die Oligarchen<br />

seit Beginn der Neunzigerjahre im<br />

neuen Russland die Träger und Beschleuniger<br />

der Transformation von der Staats- zur<br />

Marktwirtschaft. Unter Präsident Jelzin<br />

stand Russland vor einem wirtschaftlichen<br />

Trümmerhaufen. Jelzin brauchte seinerzeit<br />

die Beschleunigung durch aktive Treiber des<br />

Wandels – „seine” Kosaken.<br />

Gut ausgebildet waren sie, weltläufig, mit<br />

einflussreichen Förderern im In- und Ausland,<br />

risikobereit – und stets entschlossen<br />

auch zum ganz großen Angriff. Dazu benötigten<br />

aber auch die Oligarchen den Schutz<br />

des Präsidenten. Deripaska galt als „Ziehsohn“<br />

des Präsidenten.<br />

SEINE STIMME IST LEISE.<br />

INTERVIEWS GIBT OLEG DERIPASKA<br />

EHER SELTEN.<br />

GALERIE DER OLIGARCHEN<br />

Sie sind die mächtigsten Männer der russischen Wirtschaft.<br />

<strong>think</strong>:<strong>act</strong> stellt die Entscheider von Moskau vor.<br />

ROMAN ARKADJEWITSCH ABRAMOWITSCH, 41. Stieg 1992 in den Ölhandel ein und<br />

schuf ein weitverzweigtes Firmenimperium. Zu der von ihm kontrollierten Holding<br />

Millhouse Capital gehörten 80 Prozent von Russlands fünftgrößtem Ölkonzern<br />

Sibneft, 26 Prozent der Fluggesellschaft Aeroflot sowie 37,5 Prozent des<br />

Autoproduzenten Ruspromawto. Unter dem Eindruck des Verfahrens gegen<br />

Michail Chodorkowski allerdings verkaufte der Unternehmer nach und nach seine<br />

Anteile an russischen Unternehmen.<br />

SULEJMAN ABUSAIDOWITSCH KERIMOW, 41, führt die Öl- und Investmentfirma<br />

Nafta-Moskwa, die sich neben dem ursprünglichen Ölhandel in letzter Zeit stark<br />

in großen Immobilienprojekten engagiert. Der Konzern hält 4,5 Prozent der Gazprom-Aktien,<br />

womit Kerimow nach E.ON-Ruhrgas der zweitgrößte Privataktionär<br />

des russischen Energiegiganten ist. Darüber hinaus ist Nafta-Moskwa mit sechs<br />

Prozent an der Sberbank, der größten russischen Bank, sowie mit 20 Prozent an<br />

der BIN-Bank beteiligt.<br />

WLADIMIR OLEGOWITSCH POTANIN, 46, war in den Achtzigerjahren im Außenhandelsministerium<br />

beschäftigt und 1996 und 1997 Vizepremier der russischen<br />

Regierung. Er gilt als Erfinder des Loans-for-shares-Programms, das die in<br />

Staatsbesitz befindlichen Aktien großer Rohstoffkonzerne per Auktion an Banken<br />

verleiht. Im Ergebnis wurden mehrere Banken, darunter auch die von Potanin<br />

mitgegründete Uneximbank mit der Auktionierung der staatlichen Anteile<br />

beauftragt. Dabei konnte sich Potanin Anteile am Rohstoffgiganten Norilsk<br />

Nickel und an der Erdölfirma Sidanko sichern. Seit November 2005 ist Potanin<br />

Mitglied der russischen Gesellschaftskammer.<br />

WLADIMIR LISSIN, 51, startete 1975 als Arbeiter in einer Kohlemine, wechselte<br />

dann in eine Stahlfabrik, studierte nebenbei und stieg Anfang der Neunzigerjahre<br />

in die Transworld-Gruppe mit Schwerpunkt in der Aluminiumindustrie ein. Als<br />

oberster Stahl- und Metallexperte führte er bis 1997 die Fabriken für die in London<br />

ansässige Gruppe. 1998 wechselte er in die Führung des Stahlkonzerns Novolipetsk.<br />

Als Lissin sich im Jahre 2000 von der Transworld-Gruppe trennte, erhielt er<br />

im Gegenzug die Beteiligung von Transworld an Novolipetsk. 2002 verbündete<br />

Lissin sich mit seinem Stahlkonkurrenten Alexander Abramow (Evrazholding).<br />

MIKHAIL PROCHOROW, 42, begann als Händler in einer Außenhandelsorganisation.<br />

Gemeinsam mit Wladimir Potanin baute er die Uneximbank und die Interros-Gruppe<br />

auf. Von 1993 bis 1998 leitete er die Unexim-Bank und von 2000 bis<br />

2001 die Rosbank. Seit 2001 ist Prochorow CEO von MMC Norilsk Nickel, dem<br />

weltweit führenden Produzenten von Nickel und Palladium. Das Unternehmen<br />

gehört in Verbindung mit seinem Tochterunternehmen Stillwater Mining Company<br />

zu den vier weltgrößten Produzenten von Platin und zu den zehn größten<br />

Kupferproduzenten.<br />

Dennoch: Von der breiten Öffentlichkeit zur<br />

Kenntnis genommen wurde sein Aufstieg<br />

erst 2007. Seine leise Stimme und seine<br />

Zurückhaltung bei Interviews und People-<br />

Storys mögen dazu beigetragen haben. Den-<br />

noch liefert er sich momentan mit einem<br />

medial deutlich präsenteren Russen ein<br />

Kopf-an-Kopf-Rennen um den Forbes-Titel<br />

des reichsten Russen: Roman Abramowitsch.<br />

Auch das passt zur Rolle des Kosaken.<br />

Und dessen Ritt über die Steppen des Kapitalismus<br />

geht weiter. Mit seiner Beteiligung<br />

am Magna-Konzern, dem drittgrößten Autozulieferer<br />

der Welt, verfolgt er vor allem<br />

strategische Ziele im eigenen Land. So soll<br />

Magna für Deripaskas Automobilkonzern<br />

business-culture f<br />

GAZ eine von Chrysler gekaufte Fertigungsanlage<br />

für die Modelle Chrysler Sebring und<br />

Dodge Stratus einrichten. Deripaska will<br />

Westwagen bauen und nicht mehr die<br />

Wolga-Modelle aus der Sowjetzeit.<br />

Ihm geht es wohl vor allem darum: Knowhow<br />

aus seinen internationalen Beteiligungen<br />

zu ziehen. Wissenstransfer, so die<br />

Erkenntnis des Oligarchen, ist der Schlüssel<br />

für nachhaltige Entwicklung im eigenen<br />

Land. Sein Ziel: Mit Unterstützung von<br />

Magna soll die heimische Produktion am<br />

Ende von Russen selbst fabrizierte Statussymbole<br />

liefern und sich damit den eigenen<br />

Markt erschließen.<br />

RUSSLANDS VERHÄLTNIS<br />

ZU SEINEN AUFSTEIGERN<br />

IST GESPALTEN<br />

Große Autos aus russischer Produktion –<br />

dem wachsenden Selbstvertrauen des Landes<br />

dürfte das zupasskommen und auch das<br />

ambivalente Verhältnis der russischen<br />

Bevölkerung zu ihren kometenhaften Aufsteigern<br />

beeinflussen. Einerseits bestehen<br />

Vorbehalte gegenüber ökonomischen Eliten.<br />

Weil die Schere zwischen Superreichen und<br />

Armen immer weiter aufgeht, haben diese<br />

kein gutes Image. Andererseits: Gleichzeitig<br />

können sich nach einer Untersuchung des<br />

Instituts für komplexe Sozialforschung an<br />

der Russischen Akademie der Wissenschaften<br />

fast 70 Prozent der Russen mit „Unternehmertum“<br />

identifizieren. Eine antikapitalistische<br />

Stimmung herrscht demnach nicht.<br />

Deripaska selbst setzt auf die patriotische<br />

Karte. Sein Ass ist dabei „Olympia 2014“ in<br />

Sotschi. Fünf bis sieben Milliarden Dollar<br />

wird er in die Spiele in dem Schwarzmeerkurort<br />

investieren. „Wir, ich und mein Team,<br />

sind in Russland sehr beschäftigt”, sagte<br />

Deripaska kürzlich strategisch klug im österreichischen<br />

Fernsehen, „Russland ist der<br />

beste Markt der Welt, alle sind verrückt<br />

nach diesem Markt. Eigentlich ist es so, dass<br />

man nur in Russland Profit machen kann.“<br />

55


p business-culture<br />

WORK IN PROGRESS<br />

Wie erreicht man die Elite? Dieser Frage geht ein neues Buch nach. Außerdem entdecken die<br />

<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Denker ein altes Tool wieder. Das Verhältnis von Strategie und Finanzen analysieren<br />

Burkhard Schwenker und der Wissenschaftler Klaus Spremann – hierzu ein Interview.<br />

BUCH<br />

Marketing für Entscheider:<br />

die genervte Elite<br />

In der Endphase befindet sich momentan ein<br />

Buch, das sich mit einer Zielgruppe des B2B-<br />

Marketings beschäftigt, über die alle sprechen,<br />

von der aber herzlich wenig bekannt<br />

ist: Topentscheider. Im Hyperwettbewerb um<br />

deren knappe Aufmerksamkeit setzen viele<br />

Anbieter auf eine Lawine von Einladungen,<br />

Publikationen und Events. Aber die verpuffen<br />

oft. Immer häufiger wendet sich die umworbene<br />

Elite ab, genervt und gelangweilt.<br />

„Eliten-Marketing – wie Sie Entscheider erreichen“<br />

analysiert erstmals die Strategien<br />

erfolgreicher Elitenkommunikation. Die<br />

Autoren – Torsten Oltmanns mit Christiane<br />

Diekmann und Vera Böhm – präsentieren<br />

die Ergebnisse der ersten Befragung zum<br />

Kommunikationsverhalten von Entscheidern<br />

aus den Top-100-Unternehmen Deutschlands.<br />

Spitzenmanager, etwa von ABB, Philips,<br />

RWE oder Daimler, geben Auskunft über<br />

ihre Erwartungen.<br />

Das Buch stellt kreative Ansätze vor, wie man<br />

die Chefs trotz medialer Überflutung erreicht.<br />

Es liefert erstmals ein integriertes Konzept<br />

für die zielgruppengerechte Ansprache von<br />

Entscheidern: „Com2E“. Basis dieses Konzepts<br />

ist ein neuer Weg, wie sich die nicht homogene<br />

Zielgruppe sinnvoll segmentieren lässt.<br />

„Eliten-Marketing“ unterscheidet zwischen<br />

„Orchestermusikern“, „Solisten“ und „Dirigenten“.<br />

Für jedes Segment präsentieren die<br />

Autoren Konzepte der passgenauen Ansprache.<br />

Anhand von Best-Pr<strong>act</strong>ice-Beispielen<br />

zeigen sie, wie man die anspruchsvollen Zielgruppen<br />

gemäß ihrer eigenen Interessen<br />

anspricht. Eines der diskutierten Exempel ist<br />

übrigens dieses Magazin. Die Annahme: Mit<br />

<strong>think</strong>:<strong>act</strong> ist es gelungen, eine internationale<br />

Medienmarke zu etablieren und damit<br />

ein nachhaltiges Tool zur Kommunikation<br />

mit den Topentscheidern rund um den Globus<br />

zu schaffen.<br />

WIE PROGNOSTIZIERT MAN DIE ZUKUNFT?<br />

Ein Managementtool kehrt<br />

zurück: die Szenariotechnik<br />

Unter Federführung von CEO Burkhard<br />

Schwenker erarbeitet <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />

Strategy Consultants momentan einen<br />

Ansatz, der Unternehmen angesichts zunehmend<br />

dynamischer Umwelten und<br />

angesichts der Grenzen der konventionellen<br />

Planungsinstrumente Hilfestellung bei der<br />

strategischen Planung geben soll.<br />

Im Mittelpunkt steht dabei die Szenariotechnik,<br />

an deren Renaissance die Consultingfirma<br />

glaubt. Sie ist eine Methode der<br />

strategischen Planung und basiert auf der<br />

Entwicklung und Analyse möglicher Szenarien<br />

der Zukunft. Oft werden Positiv- und<br />

Negativszenarien entworfen. Ein vergangenes<br />

Anwendungsbeispiel waren etwa die<br />

Umweltstudien des Club of Rome.<br />

Die Consultants von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> planen<br />

nun ein Beratungsprodukt, das auf der<br />

Szenariotechnik basiert. In mehreren klar<br />

definierten Schritten und unter Nutzung<br />

statistischer Tools erzeugt es plausible Zukunftsbilder,<br />

beschreibt Pfade zu diesen,<br />

leitet konkrete Handlungsoptionen ab<br />

und ermöglicht so eine schnelle Reaktion<br />

auf potenzielle Störfälle.<br />

Für das World Economic Forum hatte<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> kürzlich das „Trend Compendium<br />

2030“ erarbeitet (siehe Seite 18). Die<br />

darin dargestellten globalen Trends sollen<br />

ebenso in das Tool einfließen wie branchenspezifische<br />

Daten.<br />

PERSPEKTIVWECHSEL<br />

Innovation, anders betrachtet<br />

– aus CEO-Sicht<br />

Über Innovation schreiben viele. Aus spezifischer<br />

CEO-Sicht aber wird dieses Thema<br />

nur selten betrachtet. Diese Lücke füllen<br />

möchte ein Buch, das im Frühjahr dieses<br />

Jahres erscheinen soll. „Global Innovation<br />

Leaders. CEO Perspectives on Innovation<br />

for Growth and Profit“ wird herausgegeben<br />

von Professor <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> und Soumitra<br />

Dutta, <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Stiftungsprofessor<br />

an der französischen Managementschmiede<br />

INSEAD. Dutta ist dort zugleich Dean of<br />

External Relations.<br />

Das Buch basiert auf einstündigen Interviews<br />

mit CEOs elf innovativer Firmen aus<br />

Asien, Europa und Nordamerika: Toyota,<br />

Samsung, Infosys, Nokia, Unilever, Bosch,<br />

SAP, Telefónica, Genentech, 3M und<br />

Research in Motion. Die Bosse werden befragt,<br />

wie ihr Unternehmen Innovation fördert,<br />

welche Rolle der Vorstandschef dabei<br />

spielt und welche Innovationsstrategien in<br />

dem jeweiligen Unternehmen erfolgreich<br />

sind. Außerdem diskutieren die Forscher mit<br />

den CEOs die Fragen, ob und gegebenenfalls<br />

wie man bei Rezessionen das Innovationsverhalten<br />

ändern sollte und wie die<br />

Innovationsstrategie des Unternehmens in<br />

den nächsten fünf Jahren aussieht.<br />

Der Hauptteil des Buchs wird aus diesen<br />

Fallstudien bestehen. Eingerahmt werden<br />

sie von betriebs- und volkswirtschaftlichen<br />

Überlegungen zum Thema Innovation und<br />

einem Kapitel mit den „Lessons learned“.<br />

KLAUS SPREMANN ZUM VERHÄLTNIS VON STRATEGIE UND FINANZWIRTSCHAFT<br />

Nicht immer sind die Oberstrategen gefragt<br />

THINK:ACT Professor Spremann, was verbirgt<br />

sich hinter der Idee der Jahreszeiten<br />

der Unternehmen, das Burkhard Schwenker<br />

und Sie entwickelt haben?<br />

KLAUS SPREMANN Phasenkonzepte gab es bislang<br />

vor allem für den Produktlebenszyklus.<br />

Burkhard Schwenker und ich haben das<br />

Phasenkonzept auf die Unternehmung als<br />

Ganzes übertragen. Es ist sinnvoll, Unternehmen<br />

nach der Phase zu betrachten, in der sie<br />

sich befinden. Denn so erlauben viele phasentypische<br />

Phänomene eine differenziertere<br />

Situationserkenntnis und Analyse.<br />

Warum ist die Unterscheidung der vier<br />

Jahreszeiten wichtig?<br />

Das Hauptthema des Buchs ist der Dualismus<br />

von strategischer und finanzieller Ausrichtung<br />

der Geschäfte. Nicht immer führen<br />

der strategische Fit und die finanziellen<br />

Kennzahlen in dieselbe Richtung. Entsprechend<br />

weist der Titel unseres Buchs auf das<br />

unternehmerische Denken zwischen Strategie<br />

und Finanzen hin. Wir wollen nicht über<br />

diese Unterschiede hinwegtäuschen und<br />

behaupten, „langfristig“ werde alles gut, so<br />

oder so. Es gibt eben Entscheidungen, bei<br />

denen die Unternehmensspitze klar sagen<br />

muss, ob sie ihrer Strategie oder den Erwar-<br />

tungen der Finanzinvestoren folgen möchte.<br />

Die Forschungen, über die Burkhard<br />

Schwenker und ich berichten, zeigen dies:<br />

Die richtige Gewichtung von strategischem<br />

und finanziellem Denken hängt von der<br />

Phase ab. In den frühen Phasen oder Jahreszeiten<br />

ist die Strategie wichtiger, in den späteren<br />

gewinnen die Wertorientierung und der<br />

Rechenstift zunehmend an Bedeutung.<br />

Warum können strategisches und finanzielles<br />

Denken einander widersprechen?<br />

Die Strategie setzt ein inhaltliches Ziel, das<br />

beispielsweise so lauten kann: mehr Innovation,<br />

Kostenreduktion, kraftvolleres Wachstum,<br />

höhere Flexibilität, schnellere Reaktion<br />

auf Markterfordernisse, Wandel. Die Strategie<br />

wird aus der Situation der Unternehmung<br />

bestimmt angesichts der Ressourcen,<br />

über die sie verfügt. In der Verschmelzung<br />

entsteht der strategische Plan. Bei der Findung<br />

der Strategie haben die Besonderheiten<br />

und die Informationen der Unternehmung<br />

besonderes Gewicht. Finanzielles Denken<br />

verlangt hingegen eine Anpassung an die<br />

Wertvorstellungen des Kapitalmarkts. Hier<br />

unterwirft sich die Unternehmung letztlich<br />

der Sicht der externen Finanzinvestoren<br />

und der Analysten.<br />

business-culture f<br />

Und Sie wollen beides harmonisch verknüpfen?<br />

Nein. Wir können den Gegensatz beider<br />

Denkweisen nicht wegzaubern. Aber Burkhard<br />

Schwenker und ich sagen und begründen,<br />

in welchen Situationen eher das<br />

strategische und in welchen das finanzielle<br />

Denken die Oberhand behalten sollte.<br />

Wie gehen Sie methodisch vor?<br />

Das Buch ist in zwei Hauptkapitel gegliedert.<br />

Im ersten Hauptteil legen wir die Werkzeuge<br />

bereit. Wir erklären die strategischen Ansätze<br />

ebenso wie die Instrumente der finanziellen<br />

Führung. Eine wichtige Rolle spielen<br />

dabei die Ressourcen einer Unternehmung.<br />

Im zweiten Hauptteil entwickeln wir die<br />

Phasenbetrachtung. Wir zeigen, wie man die<br />

Phase identifizieren kann, in der sich eine<br />

Unternehmung oder ein Unternehmensbereich<br />

befindet.<br />

Eine Kernthese lautert, in späteren Jahreszeiten<br />

gewinnen finanzwirtschaftliche<br />

Kennziffern an Bedeutung. Muss dies personelle<br />

Auswirkungen haben?<br />

Jede Jahreszeit stellt eigene Managementaufgaben<br />

und Anforderungen an den Führungsstil.<br />

Wenn eine Führungskraft mit ihrem<br />

Charakter, Einsatz und ihrer Denkweise diesem<br />

Wandel nicht folgen kann, müssen andere<br />

Menschen an ihre Stelle treten.<br />

Können Unternehmen sich verjüngen,<br />

also gewissermaßen nach dem Winter<br />

wieder den Frühling erleben?<br />

Man darf nie vergessen: Auch der Bauer<br />

überlegt sich an den länger werdenden Abenden<br />

im Herbst und Winter, welches Feld er<br />

wo und womit bestellen sollte. Denn er möchte,<br />

wenn dann die Sonne wiederkommt, gut<br />

positioniert sein.<br />

KLAUS SPREMANN ist Direktor des<br />

Schweizerischen Instituts für Banken und<br />

Finanzen an der Universität St. Gallen. Die<br />

Untersuchung zu den „Vier Jahreszeiten<br />

der Unternehmung“ erarbeitete er gemeinsam<br />

mit <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Chef Burkhard<br />

Schwenker.<br />

56 57


p 500 years after<br />

58<br />

Diesen Beitrag können Sie auch<br />

auf unserer Audio-CD (Seite 63) hören.<br />

Die Lehren des Samurai<br />

Im 16. Jahrhundert schrieb Miyamoto Musashi das „Buch der Fünf Ringe“. Bis heute studieren Japans<br />

Entscheider die legendäre Schrift. Auch im Westen suchen Manager nach Erleuchtung bei dem<br />

Samurai. David McNeill, Tokio-Korrespondent des Independent, porträtiert Musashi für <strong>think</strong>:<strong>act</strong>.<br />

: Man hat es den Kodex des japanischen<br />

Büroangestellten, die Bushido-Bibel und<br />

das japanische Pendant zum Harvard-MBA<br />

genannt: das „Buch der Fünf Ringe“ des<br />

sagenumwobenen japanischen Samurai<br />

Miyamoto Musashi. Als Schwertkämpfer<br />

war Musashi legendär. Mit seinem Buch<br />

legte er die philosophischen Grundlagen für<br />

das zielgerichtete Streben Japans nach<br />

Unternehmenswachstum und Marktanteilen,<br />

das die Geschäftswelt seit den Sechzigerjahren<br />

in ihren Grundfesten erschütterte.<br />

Und er schrieb eine der ersten Managementbibeln<br />

der Welt. Das Buch der Fünf<br />

Ringe lässt sich in gewisser Hinsicht als<br />

Kampfanleitung verstehen. Es beschreibt<br />

die Strategien, die helfen, auch den stärksten<br />

Gegner zu bezwingen. Doch das Werk ist<br />

59


p 500 years after<br />

auch eine Brandschrift für Ehrlichkeit,<br />

Charakterstärke, Initiative, Disziplin – und<br />

für eine umfassende Bildung.<br />

Das Leben des Verfassers selbst ist geheimnisumwittert.<br />

Miyamoto Musashi wurde<br />

wahrscheinlich 1584 in einer von Kriegen<br />

geprägten Epoche geboren, in der zwei<br />

mächtige Kriegsherren die Einheit Japans<br />

herbeiführen wollten. Der Sohn eines Samurai,<br />

eines Angehörigen der Kriegerkaste<br />

Japans, wurde bereits vor seinem zehnten<br />

Geburtstag Vollwaise und sehr schnell<br />

erwachsen. Mit 13 Jahren gewann er seinen<br />

ersten Zweikampf gegen einen viel älteren<br />

Samurai. Bis zu seinem 30. Geburtstag soll er<br />

mindestens 60 Männer mit dem Schwert<br />

besiegt haben.<br />

Wie bei allen sagenumwobenen Gestalten<br />

vermischt sich bei Musashi Wahres mit<br />

Erfundenem. Niemand bestreitet seinen<br />

meisterlichen Umgang mit dem Schwert,<br />

aber nur wenige Historiker glauben, dass<br />

der Kämpfer wirklich, wie es in der Legende<br />

heißt, mit verbundenen Augen einen Regentropfen<br />

mit dem Schwert zweiteilen konnte.<br />

Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass er<br />

mit neun Waffen zu kämpfen verstand, dass<br />

er immer zwei Schwerter bei sich trug und –<br />

revolutionär für den damaligen Kampfstil –<br />

beide benutzte und dass er in Kämpfen<br />

Mann gegen Mann nie eine Niederlage hinnehmen<br />

musste. Auch ist einer seiner Kniffe<br />

der psychologischen Kriegsführung überliefert:<br />

Er kam oft zu spät zu Duellen, was<br />

seine Gegner wütend machte und aus ihrem<br />

Kampfkonzept brachte.<br />

MUSASHI WAR DER<br />

PROTOTYP DES EINSAMEN<br />

ZEN-KRIEGERS<br />

Trotz seines Erfolgs als Kämpfer will er<br />

dann mit rund 30 Jahren kein Blut mehr vergießen.<br />

Der Anlass ist unbekannt, sein Zweifel<br />

aber nicht ungewöhnlich. Immer wieder<br />

waren bei den auf Loyalität eingeschworenen<br />

Samurai sinnlose Befehle und Grausamkeiten<br />

umstritten. Dem zugrunde liegt das<br />

Bushido, der ungeschriebene Regelkodex<br />

der japanischen Kämpfer und innerer Handlungskompass<br />

auch von Musashi. Dieser<br />

Weg des Kriegers fordert die genaue Beachtung<br />

der sieben Samurai-Tugenden: Aufrichtigkeit<br />

und Gerechtigkeit, Mut, Güte und<br />

Respekt, Höflichkeit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit,<br />

Ehre und Treue. So stark bewegt<br />

Musashi dieses Regelwerk, dass er sich nach<br />

der verlorenen Schlacht von Sekigahara gar<br />

für den Rest seines Lebens in eine Höhle<br />

MUSASHIS WEISHEITEN FÜR ERFOLGREICHE SAMURAI<br />

k Entspannt der Feind, greife schnell und entschlossen an.<br />

k Lege lange Wege einen Schritt nach dem anderen zurück.<br />

k Widme auch kleinsten Angelegenheiten größte Aufmerksamkeit.<br />

k Zwinge Gegner in ungewohnte Lagen.<br />

k Sei an den Künsten interessiert.<br />

k Ist dein Gegner aus dem Rhythmus, kannst du gewinnen.<br />

k Verfolge deinen Gegner, wenn er müde wird, und lasse ihn nicht entkommen.<br />

k Gib deinem Gegner keine Möglichkeit, sich zu erholen.<br />

k Verschwende keine Zeit für sinnlose Tätigkeiten.<br />

k Respektiere Götter und Buddhas – aber verlasse dich nicht auf sie.<br />

k Hege keine bösen Absichten.<br />

zurückgezogen haben soll. Dort, so die<br />

Legende, habe er dann das Buch der Fünf<br />

Ringe verfasst. Musashi ist also der Prototyp<br />

des einsamen Kriegers, der auf der Suche<br />

nach dem wahren Weg abseits der Gesellschaft<br />

wandelt.<br />

In Go Rin No Sho (Das Buch der Fünf Ringe)<br />

und in dem kurz vor seinem Tod 1645 entstandenen<br />

Bändchen Dokkodo (Weg der<br />

Einsamkeit) hält er folgende Tugenden fest,<br />

die zentral seien für das Bestehen: Zielstrebigkeit,<br />

Selbstdisziplin, beständiges Üben<br />

der Grundlagen und völlige Konzentration<br />

auf die vor ihm liegenden Aufgaben sowie<br />

seine Überzeugung, dass sich nur so persönliche<br />

spirituelle Erleuchtung und Verständnis<br />

erlangen lassen. Hier wird der Einfluss<br />

des Zen-Buddhismus in Musashis Denken<br />

deutlich. Sein Gedanken- und Wertegerüst<br />

bildet bis heute sein ewiges Vermächtnis.<br />

Und fasziniert weltweit Wirtschaftseliten.<br />

Denn aus den Schriften leiten Managementexperten<br />

Anleitungen für den Wirtschaftskampf<br />

ab. So wird besonders Go Rin No Sho<br />

ein Wegweiser für eine ganze Generation<br />

legendärer Business-Samurais, die den Aufstieg<br />

Japans zur Wirtschaftsweltmacht entscheidend<br />

mitbestimmt haben – von Konosuke<br />

Matsushita, der dem Giganten der Verbraucherelektronik<br />

seinen Namen gab, bis<br />

zu Soichiro Honda, dem Begründer des<br />

Automobilkonzerns.<br />

Das Buch der Fünf Ringe ist in fünf Abschnitte<br />

unterteilt: Erde, Wasser, Feuer, Wind und<br />

Leere. Im Management besonders populär<br />

sind die Abschnitte zu Feuer und Wind.<br />

Diese beschäftigen sich in erster Linie mit<br />

Strategien, die zum Sieg führen. Die meisten<br />

Ratschläge sind einfach, aber zielführend:<br />

Nutze deine Umgebung zu deinem Vorteil;<br />

bestimme den Kampfplatz; nutze die Schwächen<br />

deiner Gegner aus; gib deinem Gegner<br />

keine Gelegenheit, sich zu entspannen;<br />

schüchtere ihn ein, und verwirre ihn mit<br />

deinen Strategien; lass deinem Gegner keinen<br />

Raum; ändere deine Strategie bei<br />

ASIENS MANAGEMENTDENKER<br />

544–496 V. CHR.<br />

Sun Tzu Mit „Die Kunst des Krieges“ verfasste<br />

Sun Tzu eines der wichtigsten Bücher zur Militärstrategie.<br />

Aber nicht nur Feldherren wie Napoleon<br />

schworen darauf; auch Topmanager glauben,<br />

dass Kriegs- und Unternehmensführung einiges<br />

gemein haben. Entscheidend sind für Sun Tzu<br />

die Zieleinschätzung und die schnelle Einstellung<br />

auf Kampfbedingungen.<br />

551–479 V. CHR.<br />

Konfuzius Der Begründer der nach ihm<br />

benannten Lehre betonte Werte wie Harmonie,<br />

Gleichmut und Gleichgewicht. Manager wie der<br />

Chef von Hutchinson Whampoa bezeichnen ihn<br />

als wichtige Inspirationsquelle. Häufig wird auch<br />

der konfuzianische Wille zur Orientierung „am<br />

Meister“ in Wirtschaftskreisen zitiert, woraus<br />

einige eine Legitimation zum Kopieren ableiten.<br />

1584–1645<br />

Miyamoto Musashi Obwohl er wie Sun Tzu in<br />

erster Linie als Kämpfer bekannt wurde, verbrachte<br />

Musashi große Teile seines Lebens als<br />

Lehrer, Künstler und Denker. Seine Gedanken<br />

und Arbeit flossen in sein Lebenswerk ein –<br />

das Buch der Fünf Ringe, das noch heute zu den<br />

100 wichtigsten Lehrbüchern für Topmanager in<br />

Japan zählt.<br />

1921–1999<br />

Akio Morita Der Mitbegründer von Sony war in<br />

den Siebziger- und Achtzigerjahren der bekannteste<br />

Japaner in Amerika. „Stellt gute Produkte<br />

her, wenn ihr mit uns konkurrieren wollt“, lautete<br />

damals sein Rat an US-Unternehmer, als diese<br />

sich vor der scheinbar übermächtigen Konkurrenz<br />

fürchteten. Morita ist der Autor des visionären<br />

Werks „Das Japan, das Nein sagen kann“.<br />

1947<br />

Chin-Ning Chu Die US-Amerikanerin chinesischer<br />

Herkunft ist Weltenbummlerin, Autorin<br />

und Interpretin asiatischer Geschäftspraktiken<br />

im Westen. Mit ihr schließt sich der Kreis zu Sun<br />

Tzu. In Seminaren zitiert sie aus der Kunst des<br />

Krieges, um die Denkweise asiatischer<br />

Geschäftsleute zu erklären. Ironischerweise<br />

bedeutet ihr Name „Reise zum Frieden“.<br />

Bedarf schnell und entschlossen; behalte<br />

immer das weitere Umfeld im Auge; ergreife<br />

die Initiative; versteife dich nicht auf eine<br />

Waffe; überlege, was dein Gegner tun<br />

würde, bevor er angreift; halte an deinem<br />

Tempo fest.<br />

IM MANAGEMENT UND IM SCHWERTKAMPF<br />

LÄSST SICH ERFOLG NUR DURCH<br />

FLEISSIGES ÜBEN ERREICHEN<br />

Kazuo Takeshita vom Thinktank Japanische<br />

Vereinigung für rationelles Management<br />

empfiehlt modernen Wirtschaftskriegern,<br />

diese Anweisungen genau zu studieren. Beispielsweise,<br />

so der Musashi-Kenner, sollten<br />

Manager die Empfehlung des Schwertkämpfers<br />

sich zu eigen machen und immer<br />

wieder die Perspektive wechseln. „Viele der<br />

heutigen Unternehmen überschätzen ihre<br />

Stärken und kennen die Schwächen ihrer<br />

Rivalen nicht. Wir glauben dagegen, dass<br />

man seine Produkte mit den Augen seiner<br />

Konkurrenten betrachten sollte, bevor man<br />

sie auf den Markt bringt.“<br />

Westliche Business-Communitys machten<br />

zum ersten Mal mit den fünf Ringen Bekanntschaft,<br />

als der japanische Wirtschaftsaufschwung<br />

an Dynamik gewann und<br />

Europa und die USA überrollte. Die erste<br />

Übersetzung ins Englische erschien 1974,<br />

doch nahm bis Anfang der Achtzigerjahre<br />

kaum jemand davon Notiz.<br />

Dann jedoch wurde das Buch plötzlich massenhaft<br />

von Unternehmensbossen und Akademikern<br />

aus dem Westen gekauft. Sie wollten<br />

diesen rätselhaften und schonungslosen<br />

neuen Rivalen verstehen, ihn in den Griff<br />

bekommen. Über eine viertel Million<br />

Bücher wurde allein von der gebundenen<br />

Version verkauft, noch viel mehr Exemplare<br />

von der Paperbackausgabe. Ein Terminkalender<br />

mit Zitaten aus dem Buch war ebenfalls<br />

schnell ausverkauft.<br />

Bis heute finden sich Musashis Businessweisheiten<br />

in den Bücherregalen vieler<br />

japanischer Geschäftsleute. Seine Erkennt-<br />

500 years after f<br />

nisse sind in Tausende Bücher und Schriften<br />

über Management, Strategie und Führung<br />

eingeflossen. Aber: Die japanische Wirtschaftsflaute<br />

hat den Glauben des Landes an<br />

seine einst bewunderten Strategien zur<br />

Eroberung der Welt ins Wanken gebracht.<br />

Die ältere Unternehmergeneration der Aufbauzeit<br />

stirbt langsam aus oder zieht sich in<br />

den Ruhestand zurück. Viele ihrer Nachfolger<br />

orientieren sich am Lehrplan moderner<br />

Business-Schools und somit eher an den USamerikanischen<br />

und britischen Managementphilosophien.<br />

Jack Welchs Autobiografie<br />

„Jack: Straight from the Gut“ oder Bill<br />

Gates‘ „Business @ the Speed of Thought“<br />

liegt ihnen mehr.<br />

SCHAFFEN JAPANS CEOS<br />

DIE SYNTHESE VON BILL GATES<br />

UND DEN LEHREN MUSASHIS?<br />

Es ist paradox: Die Wirtschaftseliten der<br />

Welt entdeckten das Denken des Samurai<br />

Musashi gerade zu dem Zeitpunkt, da ihre<br />

japanischen Kollegen sich von ihm abwendeten.<br />

Doch vielleicht steht ihm in Japan<br />

selbst ein Revival bevor. Momentan mehren<br />

sich die Zweifel an der 60-jährigen Treue<br />

Japans zum US-amerikanischen Wirtschaftsmodell.<br />

Nationalistische Bestrebungen in<br />

Politik und Kultur – die eigenen Wurzeln<br />

werden wieder stärker beachtet. Ein Wirtschaftsvordenker<br />

aus dem eigenen Land<br />

käme da gerade recht.<br />

Auch, weil die Zeiten härter geworden sind.<br />

Takeshita: „Nach dem Zerplatzen der Wirtschaftsblase<br />

leben wir in einer Zeit, die<br />

zunehmend vom Wettbewerb geprägt ist,<br />

der die Sieger von den Verlierern trennt. Die<br />

Lehren der fünf Ringe sind heute bedeutungsvoller<br />

denn je.“ Es könnte also sein,<br />

dass die neue Generation japanischer CEOs<br />

eine Symbiose schafft zwischen den Wirtschaftserkenntnissen<br />

der Moderne von<br />

Gates oder Welch – und den weisen Worten<br />

eines Samurai, der vor fünf Jahrhunderten<br />

durch Japan zog.<br />

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p service impressum<br />

62<br />

FOLLOW-UP BUCHTIPPS<br />

Geburtstag zweier Erfolgsstorys<br />

Consulting, eine rein amerikanische Sache? Das<br />

war, bevor <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> unter seinem Namen<br />

eine Strategiegesellschaft gründete. Jetzt feierte<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> seinen 70. Geburtstag. In der<br />

Münchner Residenz stieß er mit seinen Gästen<br />

nicht nur auf sein abwechslungsreiches Leben an,<br />

sondern freute sich auch über das 40-jährige Jubiläum<br />

von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants,<br />

dem Unternehmen, das auch dieses Magazin herausgibt.<br />

Am 22. November 1937 in Berlin geboren, studiert<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Betriebs- und Volkswirtschaft.<br />

Schon als Student ist er Unternehmer. Nach dem<br />

Studium steigt <strong>Berger</strong> bei der italienischen Strategieberatung<br />

Gennaro-Boston Associati ein. Noch<br />

keine 30 Jahre alt, gründet er 1967 die <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />

International Marketing Consultants.<br />

In den Siebziger- und Achtzigerjahren wächst die<br />

partnerschaftlich organisierte Beratung durch<br />

Internationalisierung: Mailand, London, Paris.<br />

Erwirtschaften 1977 rund 100 Mitarbeiter zusammen<br />

8,6 Millionen Euro, kommt das Unternehmen<br />

1990 mit 466 Mitarbeitern schon auf rund 90 Millionen<br />

Euro. Das Ende des Kommunismus ermöglicht<br />

Chancen im Osten – <strong>Berger</strong> nutzt sie. Weitere<br />

Büros eröffnen auf dem Globus, darunter auch die<br />

ersten in den USA. Mit Beginn des neuen Jahrtau-<br />

IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER<br />

Dr. Burkhard Schwenker, CEO<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Am Sandtorkai 41, 20457 Hamburg<br />

Tel.: +49 (0)40 3763100<br />

LEITUNG<br />

Torsten Oltmanns<br />

REDAKTIONSBEIRAT<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Dr. Christoph Kleppel †, Felicitas<br />

Schneider<br />

VERLAG<br />

BurdaYukom Publishing GmbH<br />

Konrad-Zuse-Platz <strong>11</strong>, 81829 München<br />

Tel.: +49 (0)89 30620-0<br />

GESCHÄFTSFÜHRER<br />

Manfred Hasenbeck,<br />

Andreas Struck<br />

VERLAGSLEITER<br />

Dr. Christian Fill<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Alexander Gutzmer (V.i.S.d.P.)<br />

ART-DIREKTION<br />

Blasius Thätter<br />

CHEF VOM DIENST<br />

Marlies Viktorin, Annette Völkel<br />

REDAKTION<br />

Tobias Knauer<br />

AUTOREN<br />

Alexander Busch (São Paulo), Clifford Coonan<br />

(Peking), Heidi Anna Friedrich (New York),<br />

Frank Grünberg, Prem Lata Gupta, Christoph<br />

Hus, Christiane Kühl (Peking), Martin Kühl<br />

(Peking), David McNeill (Tokyo), Lena Rosenthal,<br />

Matthias Schepp (Moskau), Marcus Schick,<br />

Florian Sievers, Olaf Wittrock<br />

GASTAUTOREN<br />

Robert Reich (Berkeley)<br />

LEKTORAT<br />

Dr. Michael Petrow (Ltg.), Karin Schlipphak,<br />

Jutta Schreiner<br />

GRAFIK/GESTALTUNG<br />

Heike Nachbaur, Olaf Puppe, Sabine Skrobek<br />

PRODUKTION<br />

Wolfram Götz (Ltg.), Franz Kantner,<br />

Silvana Mayrthaler, Cornelia Sauer<br />

BILDREDAKTION<br />

Beate Blank (Ltg.), Elke Maria Latinovic,<br />

Elisabeth Wighton<br />

BILDNACHWEISE<br />

Titel: Illustration Sylvia Neuner, Foto: corbis/Ed<br />

Quinn; U2: Katharina Hesse; Inhalt: Julia Pfaller,<br />

<strong>act</strong>ionpress/Berliner Studio, laif/Volk, corbis/<br />

Ed Quinn; S. 12: Rüdiger Nehmzow; S. 14/15:<br />

Sylvia Neuner, corbis/Ed Quinn; S. 17: corbis/<br />

zefa/Matthias Kulka; S. 18–20: Julia Pfaller;<br />

S. 22: gettyimages; S. 24: Thomas Geiger; S.28/<br />

29: Redferns/Mike Burnell, <strong>act</strong>ionpress, <strong>act</strong>ionpress/US<br />

Navy, akg-images/album; S. 30/31<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> , Sabine Schwenker, Karin <strong>Berger</strong> und Burkhard<br />

Schwenker beim Empfang der Gäste in der Residenz (v. l.)<br />

sends bitten nicht mehr nur Unternehmen die<br />

Marketing- und Strategieexperten um Rat. Regierungen,<br />

Verwaltungen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen<br />

fragen an. 2003 übergibt <strong>Roland</strong><br />

<strong>Berger</strong> die operative Leitung an ein fünfköpfiges<br />

Geschäftsführungsteam. Im Jahr 2007 liegt der<br />

Honorarumsatz bei über 600 Millionen Euro, die<br />

Zahl der Mitarbeiter beläuft sich auf 2000 mit<br />

33 Büros in 23 Ländern. Neben seinen Aufgaben<br />

in verschiedenen Aufsichtsräten und Advisory-<br />

Boards – unter anderem bei Fiat, Alcan und Sony –<br />

engagiert sich <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> für die Wissenschaft<br />

in verschiedenen Hochschulgremien.<br />

Bulls/MSI-MSI, Blickwinkel, <strong>act</strong>ionpress/Hans<br />

Seidenabel, Cinetext; S. 32/33: <strong>act</strong>ionpress/<br />

Berliner Studio, imago/Bryn Williams,<br />

gettyimages, akg-images/album; S. 36: laif/<br />

Siemers; S. 38/39: Focus/Photographers<br />

RU/Alexander Gronsky (2), laif/Redux,<br />

laif/Volk; S. 40/41: dpa/picture alliance (3);<br />

S. 44/45: interTopics/Landov, gettyimages;<br />

S. 46/47: Paulo Fridman, gettyimages; S. 48/49:<br />

Avenue Images (1), bw photoagentur/Delta (1);<br />

S. 50–53: Sylvia Neuner; S. 53: laif/Nicholl;<br />

S. 58/59: corbis/Asian Art & Archaeology<br />

DRUCK<br />

Pinsker Druck und Medien GmbH, 84048 Mainburg<br />

URHEBERRECHTE<br />

Die im Magazin enthaltenen Beiträge sind<br />

urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte werden<br />

vorbehalten.<br />

HINWEIS<br />

Redaktionelle Beiträge geben nicht unbedingt<br />

die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

service@<strong>think</strong>-<strong>act</strong>.info<br />

Haben Sie Fragen an den Herausgeber<br />

oder das Redaktionsteam?<br />

Interessieren Sie sich für Studien<br />

von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />

Consultants? Schreiben Sie an<br />

service@<strong>think</strong>-<strong>act</strong>.info<br />

In „Supercapitalism“ plädiert<br />

Robert Reich für ein realistischeres<br />

Verständnis von Unternehmen,<br />

ihren Aufgaben und<br />

Grenzen. Miyamoto Musashis<br />

Weisheiten aus dem alten Japan<br />

haben auch heute noch ihren<br />

Wert. In „Eliten-Marketing“<br />

zeigt Torsten Oltmanns, wie<br />

man mit der exklusivsten aller<br />

Zielgruppen kommuniziert: den<br />

CEOs. Dem Spannungsfeld des<br />

unternehmerischen Denkens<br />

„zwischen Strategie und Finanzen“<br />

widmen sich Burkhard<br />

Schwenker und Klaus Spremann.<br />

Wie Unternehmen ihre<br />

Operations-Strategy optimieren,<br />

zeigt das neue <strong>think</strong>:<strong>act</strong> Content.<br />

ROBERT REICH:<br />

Superkapitalismus.<br />

Wie die Wirtschaft<br />

unsere Demokratie<br />

untergräbt<br />

MIYAMOTO<br />

MUSASHI:<br />

Das Buch der Fünf<br />

Ringe. Klassische<br />

Strategien aus dem<br />

alten Japan<br />

TORSTEN<br />

OLTMANNS:<br />

Eliten-Marketing.<br />

Wie Sie<br />

Entscheider<br />

erreichen<br />

B. SCHWENKER,<br />

K. SPREMANN:<br />

Unternehmerisches<br />

Denken zwischen<br />

Strategie und<br />

Finanzen<br />

THINK:ACT<br />

CONTENT:<br />

Die Regeln des globalen<br />

Wettbewerbs<br />

verändern sich<br />

ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />

CONTENT<br />

Die Regeln des globalen<br />

Wettbewerbs verändern<br />

sich |Die Globalisierung<br />

bietet neue Chancen,<br />

birgt aber auch große<br />

Risiken | Wer die Trends<br />

im Auge hat, kann agieren,<br />

statt nur zu reagieren<br />

Fresh <strong>think</strong>ing for decision makers<br />

JANUAR 2008<br />

Highlights aus diesem Heft auf CD<br />

Sie können folgende Beiträge hören:<br />

kWEITSICHT STATT TUNNELBLICK (S. 21)<br />

Die Diversifikation ist wieder im Kommen. Doch wie expandieren Unternehmen heute richtig?<br />

kNÄHENDER LUXUSHOTELIER (S. 34)<br />

Das Beispiel des Inders Krishnan Nair zeigt: Diversifikation hat viel mit Unternehmertum zu tun.<br />

kWISSEN SCHAFFT BESCHÄFTIGUNG (S. 12)<br />

Starke Unternehmenszentralen nützen Industrieländern. Ein Essay.<br />

kFIRMEN DÜRFEN NICHT „GUT“ SEIN (S. 14)<br />

Überschätzt der CSR-Trend das Gewissen von Unternehmen?<br />

k „GROSSMACHT DES TOURISMUS“ (S. 36)<br />

Russische Regionen wollen vom wachsenden Wohlstand ihrer Landsleute profitieren.<br />

kDIE LEHREN DES SAMURAI (S. 58)<br />

Mit seinem „Buch der Fünf Ringe“ schrieb Miyamoto Musashi eine Managementbibel – vor 500 Jahren.

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