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Ein Lager unter zwei Regimen. Spuren der Erinnerung an Lasowice<br />

In unserem Projekt befassen wir uns mit der Frage, wie Gewalterfahrungen im <strong>Europa</strong> des 20.<br />

Jahrhunderts erinnert werden. Am Beispiel der oberschlesischen Stadt Tarnowskie Góry<br />

(Tarnowitz) und deren Ortsteil Lasowice (dt. Lassowitz) wird die europäische Dimension und<br />

Erinnerung an die Gräueltaten unter zwei Regimen im lokalen Kontext untersucht. Lasowice war<br />

vor dem zweiten Weltkrieg ein kleines Dorf, von 1941-45 hieß es Tarnowitz-Nord, bis es schließlich<br />

nach dem Krieg zu Tarnowskie Góry eingemeindet wurde.<br />

Hier wurden in der Zeit des Zweiten Weltkriegs unter dem NS-Regime Lagerbaracken erbaut. Als<br />

Arbeitslager für Juden geplant, wurden in den Baracken im weiteren Verlauf der Kriegszeit<br />

sowjetische und englische Kriegsgefangene aus dem Stalag 344 Lamsdorf<br />

(Mannschaftsstammlager 344 Lamsdorf, früher VIII B, bzw. 318/VIII F, Wehrkreis VIII (Breslau))<br />

interniert. Nach Kriegsende wurde am selben Ort ein Arbeits- und Umsiedlungslager eingerichtet,<br />

in dem Oberschlesier interniert wurden, die nach den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz zur<br />

Aussiedlung aus Schlesien vorgesehen waren.<br />

Die Erinnerungen an Gewalttaten unter zwei totalitären Systemen – dem Nationalsozialismus und<br />

dem Kommunismus –, an ein und demselben Ort geschehen, verschwinden zusehends im lokalen<br />

Geschichtsbewusstsein. Es erinnern sich lediglich noch die ältesten Bewohner der Stadt an die<br />

Lagerbaracken vor Ort. Eine sichtbare Erinnerungskultur, ein Denkmal oder einen Ort der<br />

Erinnerung gibt es in Lasowice nicht.<br />

Uns erscheint das Thema gerade deshalb besonders interessant, weil es bis jetzt keine<br />

Publikationen zu der Geschichte des Ortes gibt. Das Thema findet kaum in der lokalen<br />

Öffentlichkeit Beachtung. Es läuft Gefahr, auch für ein überregionales europäisches<br />

Geschichtsbewusstsein verloren zu gehen.<br />

Für unser Projekt ist die Methode “Oral History” zentral: es geht in erster Linie darum, Zeitzeugen<br />

zu finden und ihre Erinnerungen und Zeugnisse aufzuzeichnen und zu dokumentieren. Einerseits<br />

werden wir Zeitzeugen vor Ort recherchieren, zum anderen aber auch den Internationalen<br />

Suchdienst ITS in Bad Arolsen nutzen. Hier wollen wir nach Juden suchen, die während der Zeit<br />

des zweiten Weltkrieges im Arbeitslager Lasowice als Zwangsarbeiter interniert waren. Ihre<br />

Schilderungen werden als eine Art „Innensicht“ aus dem Lager die der Zeitzeugenberichte von<br />

jenen ergänzen, die heute noch in Lasowice wohnen und das Barackenlager meist lediglich von<br />

außen kannten. Im Staatsarchiv Kattowitz und dem Archiv des Kriegsgefangenenmuseums in<br />

1


Łambinowice-Opole (Lamsdorf) suchen wir nach Kriegsgefangenen, die in Lasowice und<br />

Tarnowskie Góry zur Zeit des zweiten Weltkrieges gearbeitet haben. Im Institut für Nationales<br />

Gedenken in Kattowitz suchen wir nach Oberschlesiern die nach dem Krieg in Lasowice interniert<br />

waren.<br />

Interviews und Gespräche mit den Zeitzeugen werden gefilmt, so dass eine Aufbereitung,<br />

Interpretation und langfristige Dokumentation möglich ist. Für unsere Projektarbeit werden wir<br />

einen Katalog mit Fragen nach Erinnerungen zu dem Lager in Lasowice zur Zeit des Krieges, den<br />

damit verbundenen Geschichten/Ereignissen sowie zu der unmittelbaren Nachkriegszeit erstellen.<br />

Es sollen offene Fragen sein, die keine Antwortmöglichkeiten vorgeben. Die interviewten Personen<br />

können in einem Leitfadeninterview frei berichten, kommentieren und erklären, das Gespräch auch<br />

auf neue Gesichtspunkte richten und es so erweitern. Wir werden also das Interview durch den<br />

Leitfaden steuern, die Reihenfolge der Fragestellung ist aber nicht zwingend einzuhalten.<br />

In unserem Projekt werden wir auch nach schriftlichen Zeitzeugenberichten, Unterlagen und<br />

Spuren in Archiven und Museen suchen. Das Archiv des Zentralen Kriegsgefangenenmuseums<br />

Łambinowice-Opole und das Staatsarchiv Kattowitz, aber auch der Internationale Suchdienst ITS<br />

in Bad Arolsen stehen dabei im Fokus unseres Interesses. Gerade in der Vorbereitung spielen<br />

Recherche und Dokumentenanalyse eine wichtige Rolle. Wir suchen historisch relevante<br />

Dokumente, um sie später mit den Erinnerungen der Bewohner zu kombinieren. Konkret sind dies:<br />

erstens im Staatsarchiv Kattowitz die Verwaltungsberichte der Stadt Tarnowitz, Berichte von<br />

Betrieben, in denen die Juden und Kriegsgefangene gearbeitet haben, Akten vom Reservelazarett<br />

in Tarnowitz sowie Verzeichnisse und Zahlen der internierten Juden und Kriegsgefangenen.<br />

Zweitens suchen wir im Archiv des Zentralen Kriegsgefangenenmuseums nach Berichten der<br />

Lager in Lamsdorf über Arbeitskommandos in Tarnowitz, Verzeichnisse der Kriegsgefangenen<br />

sowie Berichte des Roten Kreuzes, die die Arbeitskommandos kontrolliert haben. Zum Dritten<br />

suchen wir im ITS Bad Arolsen nach Berichten über das lassowitzer Lager nach dem Krieg. Und<br />

zur Ergänzung suchen wir im Zentralen Kriegsgefangenenmuseum Lamsdorf nach materiellen<br />

Spuren der Kriegsgefangenen, wie Gegenstände, schriftliche Erinnerungen, Tagebücher. Hier<br />

hoffen wir auf diese Spuren zu treffen, weil die Kriegsgefangenen aus Lassowitz dem<br />

Lagerkomplex in Lamsdorf untergeordnet waren.<br />

Mit unserem Projekt möchten wir die noch vorhandenen Erinnerungen festhalten und so neue<br />

Impulse für die Arbeit am geschichtlichen Bewusstsein geben. Unser Projektergebnis, einen<br />

Dokumentarfilm, möchten wir in der Stadt Tarnowskie Góry präsentieren und dem Museum vor<br />

Ort sowie einer Initiative, die eine Gedenkstätte einrichten möchte, das dokumentarische Material<br />

zur Verfügung stellen.<br />

Alicja Schatton<br />

Isabel Theiler<br />

2


Literaturauswahl:<br />

Bogdan Cybulski, Żydzi polscy w prowincji górnośląskiej w okresie II wojny światowej, in: Z dziejów ludności żydowskiej<br />

na Śląsku. Materiały z sesji we Wrocławiu, 10-12 VII 1988 r., "Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka", Wrocław 1989, nr<br />

1, S. 137-149.<br />

Wolf Gruner, Jewish Forced Labor under the Nazis. Economic Needs and Racial Aims 1938–1944, Cambridge 2006.<br />

Karol Jońca, Alfred Konieczny, Franciszek Połomski, Die Tätigkeit der Gestapo. Das Sonder Gerichtswesen für Polen<br />

und Juden. Lager und Gefängnisse in Schlesien, Wrocław 1964.<br />

Ryszard Kaczmarek, Pod rządami gauleiterów. Elity i instancje władzy w rejencji katowickiej w latach 1939–1945,<br />

Katowice 1998.<br />

Ryszard Kaczmarek, Sytuacja ludności żydowskiej na obszarach zachodnich i południowych Europy wcielonych do<br />

Rzeszy Niemieckiej a polityka antyżydowska na polskich terenach wcielonych - próba porównania [in:] Aleksandra<br />

Namysło (Hrsg.), Zagłada Żydów polskich na terenach wcielonych do Rzeszy, Warszawa 2008, S. 34–46.<br />

Alfred Konieczny, "Organizacja Schmelt" i jej obozy pracy dla Żydów na Śląsku w latach 1940–1944 [in:] Janusz<br />

Trzciński (Hrsg.), Studia nad Faszyzmem i Zbrodniami Hitlerowskimi, t. 15, Wrocław 1992, S. 281-314.<br />

Zdeněk Konečný, František Mainuš, Kriegsgefangenenlager in Oberschlesien /Geschichte des Stalags in Teschen/, Katowice<br />

1969.<br />

Dieter Maier, Arbeitseinsatz und Deportation, Berlin 1994.<br />

Peter Maser, Adelheid Weisser, Juden in Oberschlesien, Berlin 1992.<br />

Arnd-Michael Nohl, Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, Wiesbaden 2008.<br />

Janusz Sawczuk, Stanisław Senft, Obozy jenieckie w Lamsdorf w latach II wojny światowej, in: Edmund Nowak (Hrsg.),<br />

Obozy w Lamsdorf/Łambinowicach (1870–1946), Opole 2006, S. 117–260.<br />

Henryk Sporoń, Auf der Suche nach der historischen Wahrheit, Lublin, 2004.<br />

Andrzej Topol (Hrsg.), Obozy pracy przymusowej na Górnym Śląsku, Katowice 1994.<br />

Herwart Vorländer (Hrsg.), Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, Göttingen 1990.<br />

Martin Weimann (Hrsg.), Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfurt/Main 1999.<br />

Harald Welzer, Das Interview als Artefakt. Zur Kritik der Zeitzeugenforschung, „BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung<br />

und Oral History“, Bd. 13, Institut für Geschichte und Biographie. Fernuniversität Hagen (Hrsg.) 2000, S. 51–63.<br />

This Project is realised in the call on „War, Post War, Cold War“ of <strong>Geschichtswerkstatt</strong> <strong>Europa</strong>. It is one of 28 European<br />

projects that is funded by the foundation „Remembrance, Responsibility and Future“.<br />

<strong>Geschichtswerkstatt</strong> <strong>Europa</strong> is a programme of the foundation „Remembrance, Responsibility and Future“ addressing<br />

the issue of European remembrance. The Institute for Applied History coordinates the funding of projects in cooperation<br />

with the European University Viadrina. The International Forum is organised by the Global and European Studies<br />

Institute at the University of Leipzig.<br />

Quoting form:<br />

Schatton, Alicja / Theiler, Isabel: Ein Lager unter zwei Regimen. Spuren der Erinnerung an Lasowice in:<br />

<strong>Geschichtswerkstatt</strong> <strong>Europa</strong>, date of release<br />

http://www.geschichtswerkstatt-europa.org/media/projekte/Methodenpapier/MP_Lasowice.pdf<br />

Copyright (c) 2012 by <strong>Geschichtswerkstatt</strong> <strong>Europa</strong> and the author, all rights reserved. This work may be copied and<br />

redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders.<br />

For permission please contact info@geschichtswerkstatt-europa.org.<br />

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