Willkommen im Boot! - StopArmut 2015
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Just People? – Der <strong>StopArmut</strong>-Kurs<br />
<strong>Willkommen</strong> <strong>im</strong> <strong>Boot</strong>!<br />
Schön, dass du dich für mehr Gerechtigkeit und die Bekämpfung weltweiter<br />
Armut interessierst – genau darum geht es <strong>im</strong> Just People?-Kurs.<br />
Und das ist seine Geschichte:<br />
Als wir anfingen, uns für diese großen Themen zu interessieren, gab es keinen solchen<br />
deutschsprachigen Kurs. Es gab die Micha-Initiative in Deutschland und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> in<br />
der Schweiz – beides Kampagnen, die Christinnen und Christen zu einem gerechteren Lebensstil<br />
motivieren möchten. Aber eben keinen Kurs. Also suchten die Micha-Initiative Deutschland<br />
und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> Menschen, die einen schreiben würden. Ende 2007 fingen wir an. Titel<br />
und grobe Struktur übernahmen wir vom englischsprachigen Kurs Just People?. Alles andere<br />
haben wir selbst dazugestrickt, Fachliteratur gewälzt, Ideen in Gemeindekreisen testen lassen<br />
usw. Und das hat Geld gekostet, Geld das die Micha-Initiative Deutschland und <strong>StopArmut</strong><br />
<strong>2015</strong> bezahlten.<br />
So war das. Inzwischen wurde der Kurs bereits in einigen Gemeinden in Deutschland und<br />
der Schweiz durchgearbeitet.<br />
Darüber freuen wir uns, finden aber auch: Da geht noch mehr!<br />
Deshalb haben wir uns entschlossen, den Kurs zum kostenlosen Download anzubieten. So<br />
können mehr Menschen schneller darauf zugreifen.<br />
Aber wie das so ist: Die Micha-Initiative und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> leben nahezu ausschließlich<br />
von Spenden. Deshalb freuen wir uns, wenn du mit einer kleinen Spende die Arbeit dieser<br />
zwei Kampagnen unterstützt – und damit auch die zweite und überarbeitete Auflage des Just<br />
People?-Kurses (erscheint Anfang 2013).<br />
Zum Vergleich: Die gedruckte Version kostet 25 Franken.<br />
Kontonummer:<br />
Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7<br />
Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People<br />
Nun denn:<br />
Dank dir, ahoi und lass dich gut inspirieren und motivieren,<br />
Die Autoren<br />
www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch www.just-people.net
Just people?<br />
Der <strong>StopArmut</strong>-Kurs<br />
stopArmut <strong>2015</strong> ist eine durch den Verband Interaction verantwortete Kampagne<br />
der schweizerischen evangelischen Allianz.<br />
Dieses Buch erscheint in Zusammenarbeit mit der Micha-Initiative Deutschland.<br />
www.just-people.net
2<br />
.<br />
Impressum<br />
1. Auflage 2010<br />
Copyright Schweiz © 2010, <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch, Der Inhalt dieses Buches ist urhe-<br />
info@stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
berrechtlich geschützt. Wir bitten<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> ist eine durch den Verband Interaction verantwortete Kam- Sie/euch, den Inhalt nicht zu kopiepagne<br />
der Schweizerischen Evangelischen Allianz in Zürich, www.each.ch, ren, sofern es nicht vom Kurspro-<br />
info@each.ch.<br />
gramm erlaubt wird.<br />
Copyright Deutschland © 2010, Micha-Initiative, www.micha-initiative.de,<br />
info@micha-initiative.de<br />
Die Micha-Initiative wird von der Deutschen Evangelischen Allianz in Bad<br />
Blankenburg verantwortet, www.ead.de, info@ead.de.<br />
Herausgeber/Bearbeiter Für <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>: Stefan Hochstrasser, Thomas Wieland,<br />
Matthias Hochstrasser<br />
Für die Micha-Initiative: Alexander Gentsch, Lydia Schubert<br />
Weitere Mitarbeiter Tilman Gerber, Daniel Rempe, Caroline Richter, Maarten van der Veer<br />
Grafisches Inhaltskonzept fortiss<strong>im</strong>o : think visual AG, www.fortiss<strong>im</strong>o.ch<br />
und Umschlaggestaltung<br />
(CH)<br />
Umschlaggestaltung (DE) Robin Sharma, www.greengorillas.de<br />
Layout Matthias Hochstrasser (<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>)<br />
Cartoons Jonathan Wüst, yoni.west@yahoo.de<br />
Quelle Studie (Umschlag) Faix, Tobias und Volke, Stephan (Hg.), WELTBLICK. Was Christen über Armut<br />
denken. Die Compassion-Studie, Schwarzenfeld, 2010, 28-51.<br />
Bibelstellen in den Kursunterlagen<br />
(Seiten 13-93)<br />
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift<br />
© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart<br />
Druck Gedruckt auf 100% Recyclingpapier · www.oekoprint.net<br />
Just People?, kostenlose Online-Version © 2010 <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
Spendenkonto: Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People
Just People?, kostenlose Online-Version © 2010 <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
Spendenkonto: Interaction-Genf Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / / Just People<br />
Editorial<br />
Herzlich willkommen <strong>im</strong> Just People?-Kurs!<br />
Wir freuen uns sehr, dass du dich mit Armut und Gerechtigkeit sowie dem<br />
integralen Missionsauftrag auseinandersetzen willst. Lass dich bewegen und<br />
auf eine spannende Reise mitnehmen! Wir wünschen dir viele Aha-Erlebnisse,<br />
angeregte Diskussionen und konkrete Impulse für dein Leben.<br />
Mit diesem multifunktionalen Kursbuch hältst du auf der einen Seite alles in<br />
Händen, was du für eine erfolgreiche Kursdurchführung brauchst. Es wird<br />
dich durch die Kurseinheiten begleiten und dich <strong>im</strong>mer wieder herausfordern:<br />
<strong>im</strong> Denken und Handeln.<br />
Auf der anderen Seite dient das Kursbuch auch deiner persönlichen<br />
Beschäftigung mit Armut und Gerechtigkeit sowie dem integralen Missionsauftrag.<br />
Inhaltlich besteht der Kurs aus sechs Einheiten, die aufeinander aufbauen:<br />
Kurseinheit 1: Welt – einfach wegschauen?<br />
Kurseinheit 2: Bibel – einfach überlesen?<br />
Kurseinheit 3: Mission – einfach predigen?<br />
Kurseinheit 4: Ich – gerechter leben?<br />
Kurseinheit 5: Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
Kurseinheit 6: Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
Strukturell hat das Kursbuch drei Teile:<br />
• Alle Kursunterlagen einschließlich Referate: Kursteilnehmende arbeiten<br />
vor allem mit diesem Buchteil. Hier findest du Arbeitsblätter, die<br />
du für den Kurs brauchst. Außerdem sind alle Referate abgedruckt. So<br />
kannst du dich auch nach den Treffen mit den Themen beschäftigen.<br />
Falls du selbst an keinem Kurs teilnehmen kannst: Die Referate sowie<br />
einige Arbeitsblätter lesen sich auch allein durchaus mit viel Gewinn.<br />
• Vertiefungsartikel: Pro Kurseinheit gibt es drei Vertiefungsartikel. Acht-<br />
zehn Personen aus Deutschland und der Schweiz haben diese passend<br />
zur jeweiligen Kurseinheit geschrieben. Es sind Personen, denen eine<br />
gerechtere Welt am Herzen liegt, die sich dafür einsetzen und dadurch<br />
entsprechende Kompetenzen erlangt haben. Diese Vertiefungsartikel<br />
kannst du völlig unabhängig von einer Kursteilnahme lesen, da sie nur<br />
thematisch (nicht methodisch) mit dem Kurs verbunden sind.<br />
• Kursanleitung: Der dritte und letzte Teil enthält alle nötigen Informati-<br />
onen für Kursleiterinnen oder Kursleiter. Natürlich sind diese methodischen<br />
und didaktischen Anweisungen für Kursteilnehmende selbst weniger<br />
interessant.<br />
Allerdings: Warum nicht selbst auch einen Kurs starten? Wir freuen<br />
uns besonders, falls du be<strong>im</strong> Lesen dieses Kursbuches oder durch eine<br />
Kursteilnahme motiviert wirst, selbst einen Just People?-Kurs auf die<br />
Beine zu stellen!<br />
Bleibt nur noch eines: Herzlichen Dank! Danke für alle Offenheit, Zeit, Energie<br />
und Kreativität, die du in den Just People?-Kurs investierst. Los geht’s!<br />
Micha-Initiative Deutschland und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> Schweiz<br />
EDIToRIAL<br />
3
4<br />
InHALTSVERzEICHnIS<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Impressum .................................................................................................................2<br />
Editorial ......................................................................................................................3<br />
Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................4<br />
Vorwort von Joel Edwards .........................................................................................7<br />
Alle Kursunterlagen einschließlich Referate<br />
Besinnlicher Anfang ..................................................................................................8<br />
Besinnlicher Schluss ...............................................................................................10<br />
Kurseinheit 1: Welt – einfach wegschauen? ........................................................13<br />
Referat 1 .......................................................................................................14<br />
Die Millenniumsziele ....................................................................................22<br />
Anleitung zum Untätigsein ...........................................................................24<br />
Angepackt!....................................................................................................26<br />
Kurseinheit 2: Bibel – einfach überlesen? ..........................................................27<br />
Referat 2 .......................................................................................................28<br />
Diskussion ....................................................................................................35<br />
Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum .....................................36<br />
Definitionen von Armut Reichtum ................................................................38<br />
Angepackt!....................................................................................................41<br />
Kurseinheit 3: Mission – einfach predigen? ........................................................43<br />
Rollenspiel „Gemeindeleitung“ ...................................................................44<br />
Referat 3 .......................................................................................................45<br />
Diskussion ....................................................................................................53<br />
Mein persönliches Missionsverständnis ......................................................54<br />
Angepackt!....................................................................................................55<br />
Kurseinheit 4: Ich – gerechter leben? ..................................................................57<br />
Referat 4 .......................................................................................................58<br />
„Kleiner Lebenstest“ ....................................................................................64<br />
Angepackt!....................................................................................................68<br />
Kurseinheit 5: Gesellschaft – gerechter gestalten? ...........................................69<br />
Referat 5 .......................................................................................................70<br />
Der Micha-Aufruf .........................................................................................79<br />
Die Just People?-Aktion ...............................................................................80<br />
Angepackt!....................................................................................................84<br />
Kurseinheit 6: Kirche – gerechter nachfolgen? ...................................................85<br />
Referat 6 .......................................................................................................86<br />
Diskussion ....................................................................................................91<br />
Just People?, kostenlose Online-Version © 2010 <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
Spendenkonto: Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People
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Anhang<br />
100 Tipps für ein gerechteres Leben ...........................................................94<br />
Literaturnachweis ........................................................................................96<br />
Vertiefungsartikel<br />
Tiefer eintauchen .....................................................................................................99<br />
zu Kurseinheit 1: Welt – einfach wegschauen?<br />
Markus Meury: Welthandel heute ............................................................100<br />
Hermann Sautter: Das Millenniumsprojekt .............................................104<br />
Markus Muntwiler: Die Situation und Notwendigkeit der<br />
Entwicklungshilfe .....................................................................................108<br />
zu Kurseinheit 2: Bibel – einfach überlesen?<br />
Wolfgang neuser: Armut und Reichtum in der Bibel ..............................114<br />
Andreas Kusch: Der Kampf gegen Armut und für mehr<br />
Gerechtigkeit .............................................................................................118<br />
Paul Kleiner: Das Reich Gottes .................................................................122<br />
zu Kurseinheit 3: Mission – einfach predigen?<br />
Detlef Blöcher: Was ist integrale Mission? ..............................................126<br />
Werner Hässig: Das Evangelium <strong>im</strong> Umfeld von Konsum und<br />
Umweltproblemen ....................................................................................130<br />
Lawrence Temfwe: Integrale Mission in der Praxis ................................134<br />
zu Kurseinheit 4: Ich – gerechter leben?<br />
Pia Schmid: Woher kommt die Kraft zum Engagement? ........................138<br />
Flurina Weidmann Bieri: FairTrade ..........................................................142<br />
Hannes Leitlein: Mein fairer Lebensstil ...................................................146<br />
zu Kurseinheit 5: Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
Walter Donzé: Gesellschaftliches Engagement ......................................150<br />
T<strong>im</strong>o Plutschinski: Wirtschaft und Gerechtigkeit....................................154<br />
Alexander Gentsch: Tun, was gut ist .........................................................158<br />
zu Kurseinheit 6: Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
Rolf zwick: Die Kirche kann auch Globalisierung ...................................162<br />
Martin Bühlmann: Gerechtigkeit ..............................................................166<br />
Christina Brudereck: Wer in Gott eintaucht, wird neben den<br />
Armen auftauchen.....................................................................................170<br />
Kursanleitung<br />
Just People? – So geht’s ........................................................................................175<br />
Inhaltsverzeichnis der Kursanleitung ...................................................................176<br />
InHALTSVERzEICHnIS<br />
5
6<br />
Just PEoPlE?<br />
Bitte nicht kopieren. © <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> (CH), Micha-Initiative (DE)<br />
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Vorwort<br />
Der christliche Glaube steckt voller Gehe<strong>im</strong>nisse; die Jungfrauengeburt, die<br />
Dreieinigkeit und die Kraft des Heiligen Abendmahls sind dafür nur ein paar<br />
Beispiele.<br />
Aber die Leidenschaft Gottes für Gerechtigkeit sollte kein Gehe<strong>im</strong>nis<br />
sein! Nach der Götzenanbetung gibt es <strong>im</strong> Alten Testament kein Thema, über<br />
das Gott häufiger spricht. Und auch in der Urgemeinde ging es in der ersten<br />
großen Auseinandersetzung um Ungerechtigkeit: Griechische Witwen wurden<br />
benachteiligt, die jüdischen Witwen bevorzugt. Man könnte das auch<br />
Rassismus nennen.<br />
Gehe<strong>im</strong>nisvoll ist vielmehr, dass so wenige Menschen von so wenigen<br />
Pastoren so wenige Predigten über Gerechtigkeit hören. Wir sind alle Ergebnisse<br />
dessen, was wir aufnehmen. Und eine Kirche, die nichts von Gottes Leidenschaft<br />
für Gerechtigkeit aufn<strong>im</strong>mt, wird es nicht schaffen, nach Gerechtigkeit<br />
zu streben, Barmherzigkeit zu lieben und in Demut mit Gott zu gehen<br />
(Micha 6,8).<br />
Das Problem ist: Viele von uns haben angenommen, dass Gerechtigkeit<br />
eine „politische“ Idee von steinewerfenden Globalisierungsgegnern oder<br />
radikalen politischen Bewegungen sei. Aber nichts könnte weiter von der<br />
Wahrheit entfernt sein als das!<br />
Und es ist auch wahr, dass viele von uns glauben, Gerechtigkeit solle den<br />
Christen überlassen werden, die sich dafür in Kampagnen und Hilfswerken<br />
engagieren. Alle anderen, so denken wir, können also weiter wie bisher glauben<br />
und leben.<br />
Aber die Bibel ist hier sehr eindeutig: Heiligkeit vor Gott und gerechtes<br />
Handeln als Antwort auf Ungerechtigkeit ist für Gott ein und dasselbe. Und<br />
es ist auch eindeutig, dass gutes Regieren ohne den Einsatz für Gerechtigkeit<br />
unmöglich ist (Psalm 72,1-3). Aber Gerechtigkeit sollte genauso <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />
unseres Glaubens- und Alltagslebens stehen.<br />
Das Problem mit dem Thema Gerechtigkeit ist, dass wir vergessen haben,<br />
welche entscheidende Rolle sie in der Kirchengeschichte <strong>im</strong>mer wieder<br />
gespielt hat. Der Kerngedanke von Gerechtigkeit wurde untrennbar mit der<br />
Theologie des Kreuzes und der Erlösung verbunden. Das motivierte Christen<br />
dazu, für die Armen zu sorgen, Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen<br />
zu gründen und – trotz Widerständen aus den eigenen Reihen – sich für die<br />
Abschaffung der Sklaverei einzusetzen. In vielen westlichen Gesellschaften<br />
war es das christliche Engagement für Gerechtigkeit, das die Grundprinzipien<br />
verankerte, die heute unsere Rechtssysteme best<strong>im</strong>men.<br />
Und darum geht es bei Just People?: Dieser Kurs möchte dazu beitragen,<br />
dass biblische Gerechtigkeit (wieder) ein Thema wird, das alle etwas<br />
angeht!<br />
Die großartige Nachricht ist, dass Gott durch sein Wort und andere Menschen<br />
<strong>im</strong>mer wieder dafür sorgt, uns an seinen Auftrag zu erinnern, nach<br />
Gerechtigkeit zu streben. Und Just People? ist ein weiteres großartiges Beispiel<br />
dafür, dass die Kirche zu ihrer prophetischen Verantwortung zurückkehrt.<br />
Ich hoffe, du wirst dich durch diesen Kurs inspirieren lassen und wünsche<br />
dir viel Freude bei der Umsetzung!<br />
London, <strong>im</strong> Juli 2010<br />
Joel Edwards<br />
Foto: Privat<br />
VoRWoRT<br />
Joel Edwards (geboren 1951) ist<br />
Direktor von Micah Challenge International.<br />
Der britische Theologe mit<br />
jamaikanischen Wurzeln war mehr<br />
als zehn Jahre Generalsekretär der<br />
Evangelischen Allianz in Großbritannien.<br />
Er ist verheiratet mit Carol<br />
und Vater von zwei erwachsenen<br />
Kindern.<br />
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7
8<br />
Just PEoPlE?<br />
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Besinnlicher Anfang<br />
1. lied<br />
2. stille<br />
3. Bekenntnis<br />
E (Eine/r): Was anderes verlangt der Herr von uns, als Recht zu tun,<br />
Güte und Treue zu lieben und in Ehrfurcht den Weg zu gehen mit unserem<br />
Gott?<br />
A (Alle): Gott, öffne unsere Augen, unsere ohren und unsere Herzen für<br />
deinen Ruf.<br />
E: In einer Welt voller Ungerechtigkeit, Gewalt und Schmerz: Vergib uns,<br />
dass wir uns abgewendet haben vom Leiden deiner ganzen Schöpfung.<br />
A: Gott, öffne unsere Augen, unsere ohren und unsere Herzen für die<br />
Bedürfnisse um uns herum und in aller Welt.<br />
E: Rüste uns aus, damit wir uns in der Welt für Gerechtigkeit einsetzen<br />
können.<br />
A: Fordere uns täglich heraus, Recht zu tun, Güte und Treue zu lieben<br />
und in Ehrfurcht den Weg mit dir zu gehen.<br />
Amen.<br />
Oder:<br />
nach dem Bekenntnis von Accra (Ghana) des<br />
Reformierten Weltbundes: 1<br />
E: Wir glauben an Gott, den Schöpfer und Erhalter allen Lebens, der uns<br />
zu Partnerinnen und Partnern der Schöpfung und zur Erlösung der Welt<br />
beruft. Wir leben unter der Verheißung, dass Jesus Christus gekommen<br />
ist, damit alle Leben in Fülle haben. 2 Gestärkt und geleitet vom Heiligen<br />
Geist öffnen wir uns der Wirklichkeit der Welt.<br />
A: Wir glauben, dass die Wirtschaft dazu da ist, um der Würde und dem<br />
Wohl der Menschen <strong>im</strong> Rahmen der nachhaltigkeit der Schöpfung zu<br />
dienen.<br />
1 Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit, Bericht der Sektion Bundesschluss.<br />
Das Bekenntnis von Accra, http://warc.jalb.de/warcajsp/side.jsp?news_<br />
id=1174&&navi=46, 29.07.2010.<br />
Gekürzt durch <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>.<br />
Das Bekenntnis von Accra wurde von den Delegierten des Reformierten Weltbundes<br />
(World Alliance of Reformed Churches, WARC) auf ihrer 24. Generalversammlung<br />
in Accra (Ghana) 2004 verabschiedet.<br />
2 Johannes 10,10.<br />
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E: Darum sagen wir nein zu allen Wirtschaftssystemen, die Gottes Bund<br />
verachten, indem sie die notleidenden, die Armen und die Schöpfung in<br />
ihrer Ganzheit der Fülle des Lebens berauben.<br />
A: Wir glauben, dass Gott uns dazu aufruft, uns an die Seite der opfer<br />
von Ungerechtigkeit zu stellen. Wir wissen, was der Herr von uns fordert:<br />
„nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht<br />
den Weg gehen mit deinem Gott." 3<br />
E: Darum sagen wir nein zur Kultur des ungebändigten Konsumverhaltens,<br />
der konkurrierenden Gewinnsucht und zur Habsucht des Menschen.<br />
Weiter sagen wir auch nein zur unkontrollierten Anhäufung von<br />
Reichtum und zum grenzenlosen Wachstum, die schon jetzt das Leben<br />
von Millionen Menschen gefordert und viel von Gottes Schöpfung zerstört<br />
haben.<br />
A: Wir glauben, dass Gott ein Gott der Gerechtigkeit ist. In einer Welt<br />
voller Korruption und Ausbeutung ist Gott in einer besonderen Weise<br />
der Gott der notleidenden, der Armen, der Ausgebeuteten, der ungerecht<br />
Behandelten und der Missbrauchten. 4 Jesus selbst bringt den<br />
Unterdrückten Gerechtigkeit und den Hungernden Brot; er befreit die<br />
Gefangenen und gibt den Blinden das Augenlicht. 5<br />
E: Wir glauben, dass der Geist uns dazu aufruft, Rechenschaft für die<br />
Hoffnung abzugeben, die durch Jesus Christus in uns ist, und zu glauben,<br />
dass Gerechtigkeit siegen und Frieden herrschen wird.<br />
A: Amen.<br />
3 Micha 6,8 nach der Einheitsübersetzung, die in diesem Kurs verwendet wird.<br />
4 Vgl. Psalm 146,6-9.<br />
5 Vgl. Lukas 4,18.<br />
BESInnUnGEn<br />
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9
10<br />
Just PEoPlE?<br />
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Besinnlicher schluss<br />
1. lied<br />
2. stille/Gebetsgemeinschaft<br />
3. Gebet<br />
Gebet von Detlev Block: 6<br />
Was wir haben, lass uns teilen,<br />
nichts gehört uns ganz allein.<br />
Hilf uns not und Hunger heilen<br />
und für andre da zu sein.<br />
Amen.<br />
Oder:<br />
Gebet nach Clemens von Rom (um 100 n. Chr.): 7<br />
Wir bitten dich, Herr, uns zu helfen und zu beschützen.<br />
Erlöse die Unterdrückten,<br />
erbarme dich der Bedeutungslosen,<br />
richte die Gefallenen auf,<br />
zeige dich den Bedürftigen,<br />
heile die Kranken,<br />
bringe die Verirrten zurück,<br />
gib den Hungrigen zu essen,<br />
richte die Schwachen auf,<br />
n<strong>im</strong>m die Ketten der Gefangenen weg.<br />
Möge jede nation erfahren, dass du alleine Gott bist,<br />
dass Jesus Christus dein Sohn ist<br />
und dass wir deine Menschen sind,<br />
die Schafe, die du weiden lässt.<br />
Amen.<br />
6 Block, Detlev (1976), in: Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen<br />
Schweiz, nr. 644, Basel/zürich, 1998, 764.<br />
7 Eigene Übersetzung nach: Alkire, Sabina und newell, Edmund (Hg.), What Can One<br />
Person Do? Faith to Heal a Broken World, London, 2005, 40.<br />
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BESInnUnGEn<br />
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12<br />
Just PEoPlE?<br />
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KURSEInHEIT 1:<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
WElt – EInFACH<br />
WEGSCHAUEn?<br />
Darum geht’s: Viele Menschen müssen heute unter unfairen Bedingungen<br />
und in Armut leben.<br />
Genauer gesagt:<br />
• So sieht’s aus: zahlen und Fakten<br />
• Erklärungsversuch: So wurde der norden reich und der Süden arm<br />
• Lösungsversuch: Die Millenniumsziele der Vereinten nationen<br />
Fragen, die wir stellen: Warum ist der norden reich und der Süden<br />
arm? Was hat es zu bedeuten, dass wir <strong>im</strong> norden geboren wurden?<br />
Was ist an den MDGs anders als bei früheren zielsetzungen? Wie weit<br />
sind wir von diesen zielen noch entfernt?<br />
So machen wir’s:<br />
• Perlenspiel mit Auswertung<br />
• Referat und Diskussion<br />
• Anleitung zum Untätigsein<br />
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13
14<br />
Just PEoPlE?<br />
Anschaulich wird<br />
die Lage, wenn<br />
man sich die Welt<br />
als ein Dorf mit<br />
100 Bewohnern<br />
vorstellt. Davon<br />
sind 14 Personen<br />
unterernährt.<br />
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Referat 1:<br />
Welt – einfach wegschauen?<br />
Be<strong>im</strong> Perlenspiel habt ihr gemerkt, wie sich Ungerechtigkeit am eigenen Leib<br />
anfühlt. Natürlich vereinfacht so ein Spiel sehr stark. Und vor allem: Es ist<br />
eben nur ein Spiel.<br />
Was ist aber deutlich geworden bei diesem Spiel? Besitz bedeutet Macht.<br />
Und mit Macht kann man die Spielregeln ändern. Man kann also dafür sorgen,<br />
dass sich der eigene Besitz noch stärker vermehrt. Damit zeigt dieses<br />
einfache Spiel unsere komplexe Realität leider ziemlich gut. Einzelpersonen,<br />
Konzerne und Staaten nutzen nämlich ihre Macht aus.<br />
Und trotzdem: Wenn man sich mit den weltweiten Zusammenhängen<br />
beschäftigt, wird schnell klar: Unsere Welt kann man nicht in ein oder zwei<br />
Sätzen erklären. Schon gar nicht ihre Probleme. Wir werden euch in diesem<br />
Kurs deshalb erst einmal einen Überblick geben. Ihr selbst könnt euch zu<br />
Hause dann weiter mit den Themen beschäftigen.<br />
Heute schauen wir am Anfang einmal genauer hin. Dabei werden wir<br />
feststellen: Sehr viele Menschen müssen unter unfairen Bedingungen leben.<br />
Dann fragen wir uns, wie es dazu kam. Und schließlich werden wir nach<br />
Lösungen suchen. Ein Lösungsversuch sind die Millenniumsziele der Vereinten<br />
Nationen. Ganz oben steht dort, die extreme Armut zu halbieren – bis<br />
<strong>2015</strong>.<br />
Wenn die Welt ein Dorf wäre<br />
Anschaulich wird die globale Lage zum Beispiel, wenn man sich die Welt als<br />
Dorf vorstellt. Dieses Bild ist gar nicht so weit weg von der Realität, denn<br />
durch die Globalisierung rücken wir <strong>im</strong>mer näher zusammen: Wir können<br />
zum Beispiel für drei Tage ans Rote Meer zum Baden fliegen, unsere Tante<br />
in den USA anrufen und Schokolade mit Kakao aus Madagaskar essen. Auf<br />
den ersten Blick ist das gar nicht so schlecht. Aber sehen wir auch die Kehrseite<br />
der Medaille? Also die Mitmenschen <strong>im</strong> Dorf, die sich keine Schokolade<br />
leisten können? Und die vielleicht auch noch krank werden wegen der Chemikalien?<br />
Denn damit werden Kakaopflanzen reichlich eingesprüht, weil<br />
Schädlinge sonst die Ernte zerstören. Viele arme Dorfbewohner bekommen<br />
von diesen Chemikalien Asthma oder Hautausschlag. 1<br />
Chancen und Wohlstand sind ungleich verteilt – das ist ein offenes<br />
Gehe<strong>im</strong>nis. Durch Sendungen <strong>im</strong> Fernsehen und Radio und durch das Internet<br />
strömen Nachrichten darüber aus allen Teilen der Welt in unser Wohnz<strong>im</strong>mer.<br />
Also schalten wir doch mal ein und schauen uns unser globales Dorf<br />
näher an.<br />
Stellen wir uns vor: Die ganze Welt ist ein Dorf. In diesem Dorf leben 100<br />
Menschen:<br />
Die folgenden Punkte liest jeder am besten still für sich durch.<br />
1 Vgl. greenpeace magazin, Xocolatl – bittere Bohne,<br />
http://www.greenpeacemagazin.de/index.php?id=5765, 21.05.2010.<br />
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2<br />
• 6 Personen besitzen 60 Prozent des gesamten Reichtums,<br />
3 • 20 Personen müssen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben, davon<br />
sind mehr als zwei Drittel Frauen, 4<br />
5<br />
• 14 Personen sind unterernährt,<br />
• es gibt zwar mehr als genug Nahrung für alle <strong>im</strong> Dorf, aber 40 Prozent<br />
des Getreides werden leider an Masttiere verfüttert, um vor allem den<br />
reicheren Teil des Dorfes mit Fleisch zu versorgen, 6<br />
7<br />
• 12 Personen haben nicht einmal die Grundschule abgeschlossen,<br />
8<br />
• eine einzige Person hat einen akademischen Titel,<br />
• 30 Personen haben keinen Zugang zu den wichtigsten Medikamenten,<br />
• die 20 reichsten Dorfbewohner gehen besonders verschwenderisch mit<br />
den Ressourcen des Dorfes um, sie belasten das Dorf stark und tragen am<br />
meisten zum Kl<strong>im</strong>awandel bei, 9<br />
• die Ärmsten <strong>im</strong> Dorf leiden am meisten unter dem Kl<strong>im</strong>awandel, obwohl<br />
sie am wenigsten dazu beigetragen haben,<br />
10<br />
• jeder dritte Dorfbewohner stirbt an den Folgen von Armut.<br />
Warum sind manche arm und andere nicht?<br />
Viele haben versucht, diese Frage zu beantworten – und kommen zu sehr<br />
unterschiedlichen Ergebnissen. Auch wir wollen es wagen, uns dazu ein paar<br />
geschichtliche und politische Zusammenhänge anzusehen:<br />
• die Kolonialzeit und ihre Vorgeschichte,<br />
• den Kalten Krieg und<br />
• die heutige Globalisierung.<br />
Der Beitrag der Kolonialzeit<br />
Zunächst sehen wir uns einmal die Kolonialgeschichte näher an. Darin finden<br />
wir nämlich wesentliche Gründe für die Ungleichheit in der Welt.<br />
Im 15. Jahrhundert segelten die Europäer über die Ozeane und entdeckten<br />
neue Welten. Die erklärten sie zu ihrem Eigentum und nannten sie ihre<br />
„Kolonien“. 11 Über Jahrhunderte plünderten die europäischen Kolonialmächte<br />
12 „ihre Überseegebiete“ aus. Ziel war es, ihre eigenen Bedürfnisse zu<br />
befriedigen. Am Anfang ging es den europäischen „Mutterländern“ nur um<br />
Rohstoffe – vor allem Gold, Seide oder Tee. Aber schon bald wollten sie auch<br />
neue Märkte und Lebensräume erschließen. Über die Jahrhunderte bauten<br />
2 Vgl. Alliance Sud, Eine andere Welt ist möglich, Bern, 2005, 2.<br />
3 Vgl. United nations, The Millennium Development Goals Report 2009,<br />
new York, 2009, 4.<br />
4 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(BMz), Stärkung der Teilhabe von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />
Bonn/Berlin, 2007, 4.<br />
5 Berechnet anhand von Daten in: WFP, World Food Programme 2009, Rom, 2009, 4.<br />
6 Vgl. Alliance Sud 2005, 2.<br />
7 Vgl. United nations 2009, 4.<br />
8 Vgl. Alliance Sud 2005, 2.<br />
9 Berechnet anhand von Daten in: Dinkel, Fredy, Die Tragfähigkeit der Erde,<br />
Muttenz, 2007, 41.<br />
10 Berechnet anhand von zahlen in: Bleisch, Barbara und Schaber, Peter, Weltarmut<br />
und Ethik, Paderborn, 2007, 98.<br />
11 Wenn wir von „Kolonialgeschichte“ schreiben, meinen wir die Ausdehnung des<br />
europäischen Einflusses auf außereuropäische Gebiete, die zu Beginn des 15.<br />
Jahrhunderts begann und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dauerte.<br />
12 Portugal, Spanien, niederlande, England, Frankreich, Russland, Belgien,<br />
Deutschland und Italien.<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
In der Kolonialgeschichte<br />
finden<br />
wir wesentliche<br />
Gründe für die<br />
Ungleichheit auf<br />
der Welt.<br />
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15
16<br />
Just PEoPlE?<br />
Europa fühlte<br />
sich überlegen<br />
und sprach<br />
fremden Völkern<br />
ihr Menschsein ab.<br />
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die Europäer die Infrastruktur in den Kolonien auf und aus – zogen Straßen<br />
oder Kanäle durch das Land.<br />
Bald brach ein Wettkampf aus zwischen den europäischen Großmächten:<br />
Wer die meisten Kolonien hatte, der war am mächtigsten und bewies<br />
seinen Fortschritt. So kam es, dass Ende des 19. Jahrhunderts 85 Prozent der<br />
weltweiten Landfläche von europäischen Mächten beherrscht wurden.<br />
Was trieb die Kolonialmächte eigentlich an? Und wieso konnten sie überhaupt<br />
so viele Gebiete einnehmen und andere Völker unterwerfen?<br />
Europa fühlte sich überlegen und sprach fremden Völkern ihr Menschsein<br />
ab. Menschen wurden auf ihre Arbeitskraft reduziert, sie wurden zur<br />
Ware. So blühte bald der Handel mit Sklaven – dabei verloren 15 bis 18 Millionen<br />
Afrikaner ihre He<strong>im</strong>at und ihre Freiheit. 13 Viele von ihnen starben bereits<br />
während der unmenschlichen Überfahrt zum Beispiel nach Amerika.<br />
Das Gefühl der Überlegenheit hatte auch kulturelle Wurzeln: „Geht hin<br />
in alle Welt!“ – Diesen Missionsauftrag Jesu verstanden viele Europäer falsch.<br />
Sie dachten, sie sollten vor allem die christliche Kultur verbreiten. Christliche<br />
Kultur war für sie die bessere Kultur – und die setzten sie zum Teil sehr<br />
grausam durch. Mit Wort und Tat die frohe Botschaft zu verkünden, kam<br />
dabei leider oft zu kurz. 14<br />
Militärisch und technisch waren die Europäer tatsächlich fortschrittlicher als<br />
die meisten anderen Völker. Denn schon lange vor der Kolonialzeit hatte eine<br />
ungleiche Entwicklung begonnen: Über viele Jahrhunderte zogen die Menschen<br />
mit ihren Herden von Weide zu Weide quer durchs Land. Unter anderem<br />
in Europa aber wurden sie sesshaft, das heißt: Sie blieben an einem Ort.<br />
Warum funktionierte das? Nach einer gängigen Theorie wuchsen an einigen<br />
Orten essbare Pflanzen, die man leichter anbauen konnte. Also ließen sich<br />
die Menschen dort nieder, begannen mit dem Ackerbau, ihr Vieh graste auf<br />
Weiden und sie bauten Häuser. Man konnte in Häusern aber nicht nur wohnen,<br />
sondern auch Saatgut oder Nahrung für schlechtere Zeiten lagern. Das<br />
bedeutet: Man erwirtschaftete nicht nur den Bedarf für einen Tag, sondern<br />
für mehrere Monate. Weil <strong>im</strong>mer mehr Menschen auf diese Weise lebten,<br />
konnten manche Arbeiten nachgehen, die nicht nur die eigene Versorgung<br />
zum Ziel hatten. Während einige Felder bebauten, wurden andere beispielsweise<br />
Handwerker oder Erfinder. So „erfand“ man mit der Zeit auch Organisationsformen,<br />
mit denen man Gruppen besser kontrollieren konnte und<br />
mit denen man sich gegen andere verteidigen oder auch das Land anderer<br />
erobern konnte. Besonders gut gelang das Völkern, die <strong>im</strong> heutigen Europa<br />
lebten.<br />
Je eher eine Gruppe damit begann, sesshaft zu werden, umso besser konnte<br />
sie sich gegen andere Gruppen durchsetzen und diese unterwerfen. 15 Und<br />
auch bei der industriellen Revolution <strong>im</strong> 18. und 19. Jahrhundert gehörten<br />
die Europäer zu den Ersten, die davon profitierten. Denn was taten sie mit<br />
ihren neuen technischen Errungenschaften? Sie bauten ihre politische, wirtschaftliche<br />
und militärische Macht weiter aus.<br />
13 Vgl. UnESCo, International Year to Commemorate the Struggle against Slavery and its<br />
Abolition, 1. Auflage, Paris, 2004, 49.<br />
14 In der späteren Kolonialgeschichte spielten Missionare teilweise aber auch eine<br />
andere Rolle und legten sich nicht selten mit ihren eigenen Kolonialregierungen<br />
an, wenn sie für die Rechte der Kolonisierten eintraten. Vgl. Hanfstängl, Michael,<br />
Niemand kann zwei Herren dienen (Matthäus 6,24) – Mission und Kolonialismus,<br />
http://www.lmw-mission.de/d/themen/kolonialismus.htm, 21.05.2010.<br />
15 näher ausgeführt wird diese Theorie bei Diamond, Jared, Arm und Reich.<br />
Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, 7. Auflage, Frankfurt/Main, 2000.<br />
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Ein Blick in die Kolonialgeschichte und auf ihre Wurzeln zeigt, dass Ungleichheit<br />
eine lange Tradition hat. Manche Menschen glaubten, anderen von<br />
Grund auf überlegen zu sein. Und nicht nur das – sie verstärkten mit ihrem<br />
Handeln noch die Ungleichheit.<br />
Der Beitrag des Kalten Krieges<br />
Viele Kolonien erreichten erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre politische<br />
Unabhängigkeit.<br />
Diese ehemaligen Kolonien hatten jetzt mit großen Herausforderungen<br />
zu kämpfen: Oft produzierte man noch traditionell, also ohne oder mit alten<br />
Maschinen. Die sozialen Ordnungen waren zerstört und Traditionen vergessen.<br />
Jahrhundertelang waren Einhe<strong>im</strong>ische nur Menschen zweiter Klasse, die<br />
Befehle ausführten. Nun mussten sie nach einer neuen Identität suchen. Die<br />
Kolonialmächte hatten Landesgrenzen willkürlich und manchmal schnurgerade<br />
gezogen – ohne Rücksicht auf die Volksgruppen dort. Grenzkonflikte<br />
waren die Folge. Außerdem blieben die ehemaligen Kolonien weiterhin<br />
abhängig von ihren Mutterländern, denn von dort bekamen sie so genannte<br />
„Entwicklungshilfe“.<br />
Die Industrienationen wiederum befanden sich gerade in einem ideologischen<br />
Grabenkampf, dem so genannten „Kalten Krieg“: Auf der einen Seite<br />
wollten die sozialistischen Staaten ihre Wirtschaft planen und dann genauso<br />
umsetzen. Deshalb mussten sie alle gesellschaftlichen Bereiche kontrollieren.<br />
Auf der anderen Seite standen die kapitalistischen Länder. Sie waren<br />
der Meinung, dass nur eine freie Wirtschaft Wachstum und Wohlstand für<br />
alle bringt. 16 Wollte eine ehemalige Kolonie nun Entwicklungshilfe, erwartete<br />
man, dass sie sich für einen Machtblock entschied: entweder kommunistisch<br />
oder kapitalistisch. 17 Nur wenigen der jungen Staaten gelang es, zu<br />
beiden Blöcken Beziehungen zu pflegen. Wofür die Entwicklungshilfe eingesetzt<br />
wurde, war weniger wichtig. Es ist kein Wunder, dass sich einige der<br />
neuen Machthaber deshalb viel Geld in die eigene Tasche steckten und zu<br />
korrupten Diktatoren wurden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Joseph-Désiré<br />
Mobutu regierte von 1965 bis 1997 als diktatorischer Präsident Zaire, also die<br />
heutige Demokratische Republik Kongo. Das war ihm nur möglich, weil die<br />
USA und Frankreich ihn unterstützten. Während das Volk unter Armut und<br />
Menschenrechtsverletzungen litt, ließ es sich der Diktator gut gehen. 1984<br />
wurde sein Privatvermögen auf 4 Milliarden US-Dollar geschätzt – ähnlich<br />
hoch war damals die Auslandsverschuldung von Zaire.<br />
Fassen wir noch einmal zusammen: Vielen Entwicklungsländern fehlte<br />
eine wirtschaftliche und soziale Basis. Sie blieben weiterhin von ihren alten<br />
Mutterländern abhängig. Hinzu kam das internationale Machtgerangel <strong>im</strong><br />
Kalten Krieg und eine stetig wachsende Bevölkerung. Viele Machthaber<br />
waren zudem überfordert oder korrupt oder beides. Deshalb ging es den<br />
meisten Menschen in den ehemaligen Kolonien nach ihrer Befreiung nicht<br />
16 Vgl. nuscheler, Franz, Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, 5. Auflage,<br />
Bonn, 2004.<br />
17 nicht jede Form der Entwicklungshilfe während des Kalten Krieges war kontraproduktiv.<br />
Besonders nicht-staatliche Unterstützung kam meistens den Ärmsten<br />
der Armen zugute. Seit Ende des Kalten Krieges wird auch bei staatlicher Entwicklungshilfe<br />
sehr stark auf die Wirksamkeit der Hilfe geschaut. Das hat zu vielen<br />
positiven Veränderungen geführt. Wenn heute Kritiker von Entwicklungshilfe vorrechnen,<br />
dass die gezahlten Milliarden der vergangenen 50 Jahre so wenig Gutes<br />
bewirkt haben, vergessen sie meistens, dass sich seit den neunzigerjahren viel<br />
bewegt hat. Vgl. nuscheler, Franz, Sicherheitsinteressen über dem Entwicklungsinteresse.<br />
Rückblick auf ein halbes Jahrhundert Entwicklungspolitik, In: eins Entwicklungspolitik<br />
21/22, Frankfurt/Main, 2007.<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
Vielen Entwicklungsländern<br />
fehlte<br />
eine wirtschaftliche<br />
und soziale Basis.<br />
Sie blieben weiterhin<br />
von ihren alten<br />
Mutterländern<br />
abhängig.<br />
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17
18<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Freiheit des<br />
Kapitals allein führt<br />
nicht automatisch<br />
zu Wohlstand für<br />
alle.<br />
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besser. Im Gegenteil: Besonderes das Afrika südlich der Sahara wurde geradezu<br />
zum Sinnbild für Armut und Elend. Wenn wir heute an Afrika denken,<br />
dann sehen wir magere Kinder mit dürren Ärmchen und Beinchen, aber riesigen<br />
Bäuchen vor uns. Natürlich ist das nicht überall in Afrika so, aber solche<br />
Bilder entsprechen eben auch heute noch der Realität – nicht nur während<br />
der Hungerkrise <strong>im</strong> Äthiopien der Achtzigerjahre mussten Kinder hungern.<br />
Der Beitrag der Globalisierung<br />
Der Kapitalismus hat sich weltweit durchgesetzt. Heute werden Unternehmen<br />
meistens von Privatleuten geleitet, also nicht vom Staat. Unsere Wirtschaft<br />
ist privatisiert. Das führt häufig natürlich zu mehr Effizienz und gesundem<br />
Wettbewerb, aber nicht nur. Oft werden Leistungen eher nach wirtschaftlichen<br />
Interessen bewertet und nicht nach der Würde eines Menschen oder<br />
dem Bewahren der Schöpfung. Vor allem in den Bereichen Bildung und<br />
Gesundheit ist das verheerend. Ein Beispiel: In Bolivien, Ghana und Südafrika<br />
hat man das Wassernetz von staatlichen in private Hände gegeben – mit<br />
dem Ergebnis, dass unrentable Gebiete seitdem nicht mehr mit Wasser versorgt<br />
werden! 18<br />
Wir sehen also: Die Freiheit des Kapitals allein führt nicht automatisch<br />
zu Wohlstand für alle.<br />
Handel bietet eine große Chance<br />
für nachhaltige Entwicklung – keine<br />
Frage. Deshalb fordern vor allem<br />
Industrieländer freie Märkte, auf<br />
denen jeder mit jedem handeln kann.<br />
Diese Liberalisierung der Märkte hat<br />
allerdings nicht <strong>im</strong>mer zu den versprochenen<br />
Erfolgen geführt. Denn<br />
wer etwas produzieren will, der sucht<br />
sich heute meist den Ort aus, wo er<br />
das am billigsten tun kann. Unter den<br />
niedrigen Preisen leiden natürlich die<br />
Arbeiter und unsere Umwelt.<br />
Außerdem haben die reichen Länder<br />
auch häufig Zugang zu den Märkten<br />
in Entwicklungsländern. Diese<br />
überschwemmen sie mit ihren billigen<br />
Produkten und zerstören somit oft<br />
einhe<strong>im</strong>ische Industrien oder kaufen<br />
erfolgreiche Firmen auf.<br />
Hier ein Beispiel: Durch die Unterstützung der EU kann europäisches<br />
Geflügel so günstig auf afrikanischen Märkten verkauft werden, dass es die<br />
einhe<strong>im</strong>ischen Preise unterbietet. Lokale Produzenten werden so vom Markt<br />
verdrängt, was die Existenzgrundlage von Menschen zerstört. 19<br />
Und um noch eins draufzusetzen: Die Industrieländer schützen gleichzeitig<br />
ihre eigenen Märkte vor Produkten aus Entwicklungsländern – und<br />
zwar genau in den Bereichen, wo es Entwicklungsländern besonders weh<br />
tut. Ein Beispiel dafür ist die Baumwolle. Baumwolle aus Westafrika ist zwar<br />
18 Vgl. Lobina, Emanuele, Problems with Private Water Concessions: A Review of Experiences<br />
and Analysis of Dynamics, in: International Journal of Water Resources Development,<br />
Volume 21, Issue 1, London, 2005, 55-87.<br />
19 noch mehr solcher Beispiele zeigt der Film „We feed the world“ von Erwin Wagenhofer,<br />
2005.<br />
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billiger und qualitativ besser als die aus den USA, sie hat aber trotzdem auf<br />
dem US-Markt keine Chance. Wieso? Weil die USA ihrer eigenen Baumwollindustrie<br />
jährlich staatliche Unterstützung zahlen. Dafür geben sie sogar<br />
dre<strong>im</strong>al so viel aus wie für ihre Entwicklungshilfe an Afrika. Nicht nur die<br />
Baumwollbauern in Burkina Faso fürchten deswegen um ihre Existenz, sondern<br />
der ganze Staat, denn Baumwolle ist sein wichtigstes Exportgut. In der<br />
US-Wirtschaft spielt sie hingegen nur eine Nebenrolle. 20<br />
Und so geht es vielen Ländern in Westafrika.<br />
unsere Rolle <strong>im</strong> ursachengeflecht<br />
Noch viele weitere Faktoren für globale Armut und die ungleiche Verteilung<br />
von Wohlstand können hier genannt werden: kulturelle Faktoren, geographische<br />
Faktoren, bewaffnete Konflikte, der Kl<strong>im</strong>awandel und das globale<br />
Finanzwesen. Auch das sind noch längst nicht alle Gründe und Zusammenhänge.<br />
Wie aber schon zu Beginn erwähnt, ist eine Erkenntnis ganz besonders<br />
wichtig: Es handelt sich um ein komplexes Ursachengeflecht.<br />
Was heißt das nun für uns? Wenn wir uns an die Welt als Dorf erinnern: Wir<br />
gehören zu denen, die privilegiert geboren wurden. Wir gehören zu den<br />
Reichen. Oder denken wir an unser Perlenspiel: Wir sind in der Quadrat-<br />
Gruppe.<br />
In diesem Kurs soll gezeigt werden, dass wir eine Menge tun können, um<br />
zu einer gerechteren Welt beizutragen – in unserem Leben als christliche<br />
Gemeinde, unserem persönlichen Lebensstil oder wenn wir in der Gesellschaft<br />
mitmischen. Und wir sind nicht allein mit unseren Forderungen nach<br />
einer gerechteren Welt. Mit den Millenniumszielen haben sich führende<br />
Politiker ehrgeizige Ziele gesetzt. Nehmen wir sie be<strong>im</strong> Wort, erinnern und<br />
unterstützen wir sie!<br />
Die Millenniumsziele<br />
Im September 2000 trafen sich in New York Vertreter aus 189 Staaten, vor<br />
allem Staats- und Regierungschefs. Auf diesem so genannten „Millenniumsgipfel“<br />
diskutierten sie die größten Herausforderungen der Welt für das neue<br />
Jahrtausend. Sie verabschiedeten ihre „Millenniumserklärung“. Die globale<br />
Armut gehört dort zu den zentralen Fragen. Aus dieser Erklärung wurden <strong>im</strong><br />
Anschluss acht Ziele abgeleitet, die „Millenniumsziele“. Auch früher gab es<br />
von den Vereinten Nationen schon Initiativen gegen Armut, aber die Millenniumsziele<br />
sind anders:<br />
• Alle Staaten und die wichtigsten internationalen Organisationen wie die<br />
UNO und die Weltbank haben sie unterschrieben. Sowohl arme als auch<br />
reiche Länder wollen ihren Beitrag leisten, damit die Ziele erreicht werden.<br />
• Sie zeigen die unterschiedlichen Facetten von Armut und machen klar,<br />
dass man Armut gleichzeitig an vielen Fronten bekämpfen muss – von<br />
Bildung über Ökologie bis zum Welthandel.<br />
• Die Ziele wurden so formuliert, dass man ihre Einhaltung mit Statistiken<br />
20 Welthungerhilfe, Baumwolle – Subventionen bedrohen Entwicklungsländer, http://<br />
www.welthungerhilfe.de/baumwolle.html, 24.08.2010 und Presseportal.de, Oxfam<br />
besorgt über Festhalten der USA an Baumwollsubventionen, http://www.presseportal.<br />
de/pm/51594/608086/oxfam_deutschland_e_v, 19.10.2004.<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
Die Industrieländer<br />
schützen ihre<br />
eigenen Märkte vor<br />
Produkten aus Entwicklungsländern<br />
– und zwar genau<br />
in den Bereichen,<br />
wo es Entwicklungsländern<br />
besonders weh tut.<br />
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19
20<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Millenniumsziele<br />
zeigen<br />
viele Facetten der<br />
Armutsbekämpfung<br />
– von Bildung<br />
über Ökologie bis<br />
zum Welthandel.<br />
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•<br />
messen kann. Außerdem steht ein Zeitplan fest: bis <strong>2015</strong> sollen alle das<br />
Ziel erreicht haben. Wie die einzelnen Schritte zum Ziel nun genau aussehen,<br />
dürfen die Länder aber selbst entscheiden.<br />
Die Fortschritte sind transparent: Jedes Jahr gibt es einen globalen<br />
Bericht und alle zwei bis drei Jahre erscheinen Berichte für die einzelnen<br />
Länder. Wir als Bürger sollen diesen Prozess kritisch begleiten.<br />
Und so lauten die acht Ziele 21 :<br />
• Millenniumsziel 1:<br />
Bekämpfung der extremen Armut und des Hungers<br />
Wer mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen muss, der zählt<br />
zu den extrem Armen. Bis <strong>2015</strong> soll sich die Anzahl dieser extrem armen<br />
Menschen halbieren. Vergleichsjahr ist 1990. Auch der Anteil der hungernden<br />
Menschen soll bis <strong>2015</strong> halbiert werden.<br />
• Millenniumsziel 2:<br />
Pr<strong>im</strong>arschulbildung für alle<br />
• Millenniumsziel 3:<br />
Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frau<br />
• Millenniumsziel 4:<br />
Reduzierung der Kindersterblichkeit<br />
• Millenniumsziel 5:<br />
Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Mütter<br />
• Millenniumsziel 6:<br />
Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und weiteren Krankheiten<br />
• Millenniumsziel 7:<br />
Ökologische Nachhaltigkeit<br />
• Millenniumsziel 8:<br />
Aufbau einer globalen Partnerschaft für die Entwicklung<br />
Wie weit sind wir noch vom Ziel entfernt? Das können wir hier leider nicht<br />
bis ins Detail diskutieren. So viel kann man aber sagen: Bislang müssen<br />
wir eine gemischte Bilanz ziehen. Während in einigen Ländern das Erreichen<br />
verschiedener Ziele möglich scheint, sieht es in andern Ländern sehr<br />
schlecht aus. 22 Wenn ein Staat seine Versprechen gegenüber den Millenniumszielen<br />
bricht, wird er von der Völkergemeinschaft nicht bestraft. Aber es<br />
gibt den Druck der Öffentlichkeit, der Zivilgesellschaft. Denn Bürger können<br />
fortschrittliche Politik loben und zu wenig Engagement verurteilen. Dadurch<br />
konnte schon viel bewegt werden. Welche Rolle wir dabei spielen, soll in diesem<br />
Kurs noch intensiver diskutiert werden.<br />
21 Eine detaillierte Auflistung der ziele und Inhalte findest du auf Seite 22.<br />
22 Während vor allem in einigen Ländern Asiens das Erreichen verschiedener Millenniumsziele<br />
möglich erscheint, sieht es in vielen Ländern Afrikas sehr schlecht aus.<br />
zwar können hier mittlerweile viel mehr Kinder eine kostenlose Pr<strong>im</strong>arschulbildung<br />
genießen, aber gerade bei der Gesundheitsversorgung ist die Situation häufig<br />
nach wie vor katastrophal. noch <strong>im</strong>mer sterben in Afrika ungefähr hundertmal<br />
mehr Frauen an den Folgen einer Geburt als in Industrieländern. Auch das ziel der<br />
ökologischen nachhaltigkeit ist in weiter Ferne und bei der Schonung natürlicher<br />
Ressourcen in den meisten Ländern nichts von einer Trendumkehr zu sehen.<br />
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Haben wir unsere Verantwortung als Christen hier schon erkannt? Wo sollten<br />
wir uns mehr einmischen? Wo fordert Gott mich heraus? Wo kann ich<br />
nicht mehr wegschauen? Wo sollte ich vielleicht bewusster leben?<br />
Notizen<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
Zum Weiterlesen<br />
• Meury, Markus, Welthandel<br />
heute: Sein Beitrag zur Armut,<br />
Seite 100<br />
• Sautter, Hermann, Das Millenniumsprojekt:<br />
Der Plan der UNO<br />
zur Verwirklichung der Millenniumsziele,<br />
Seite 104<br />
• Muntwiler, Markus, Die Situation<br />
und Notwendigkeit der Entwicklungshilfe,<br />
Seite 108<br />
• Diamond, Jared, Arm und Reich.<br />
Die Schicksale menschlicher<br />
Gesellschaften, 7. Auflage,<br />
Frankfurt/Main, 2000<br />
• Le Monde diplomatique, Atlas<br />
der Globalisierung: Sehen und<br />
verstehen, was die Welt bewegt,<br />
1. Auflage, Berlin, 2009<br />
• Sachs, Jeffrey D., Das Ende<br />
der Armut. Ein ökonomisches<br />
Programm für eine gerechtere<br />
Welt, 2. Auflage, München, 2007<br />
Informationen zum aktuellen<br />
Stand der Millenniumsziele<br />
findest du bei:<br />
www.millenniumcampaign.de<br />
www.mdgmonitor.org<br />
www.un.org/millenniumgoals<br />
zum Weitersurfen lohnt sich ein<br />
Blick in unsere Link-Liste auf<br />
www.just-people.net.<br />
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21
22<br />
Just PEoPlE?<br />
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Die Millenniumsziele<br />
Wegen der Ungerechtigkeit auf unserer Welt haben die Vereinten Nationen<br />
<strong>im</strong> Jahr 2000 die Millenniumserklärung verabschiedet. Damit man diese<br />
Erklärung auch umsetzen kann, wurden daraus acht Ziele abgeleitet, die Millenniumsziele.<br />
189 Staaten haben sich damit erstmals auf genau definierte<br />
Ziele festgelegt: 1<br />
Millenniumsziel 1: Bekämpfung von extremer Armut und<br />
Hunger<br />
• Zwischen 1990 und <strong>2015</strong> den Anteil der Menschen halbieren, die weniger<br />
als den Gegenwert von einem US-Dollar2 pro Tag zum Leben haben (von<br />
1,25 Milliarden Menschen 1990 auf 625 Millionen <strong>2015</strong>).<br />
• Zwischen 1990 und <strong>2015</strong> den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger<br />
leiden.<br />
• Vollbeschäftigung in ehrbarer Arbeit für alle erreichen, auch für Frauen<br />
und Jugendliche.<br />
Millenniumsziel 2: Pr<strong>im</strong>arschulbildung für alle<br />
• Bis <strong>2015</strong> Schaffung der Grundlagen dafür, dass Kinder überall auf der<br />
Welt, Mädchen wie Jungen, in der Lage sind, einen Pr<strong>im</strong>arschulabschluss<br />
zu erwerben.<br />
Millenniumsziel 3: Gleichstellung der Geschlechter und<br />
stärkung der Rolle der Frau<br />
• Das Geschlechtergefälle in der Pr<strong>im</strong>ar- und Sekundarschulbildung beseitigen,<br />
möglichst bis 2005, und auf allen Bildungsebenen bis spätestens<br />
<strong>2015</strong>.<br />
Millenniumsziel 4: Reduzierung der Kindersterblichkeit<br />
• Zwischen 1990 und <strong>2015</strong> Senkung der Kindersterblichkeit von Unter-<br />
Fünf-Jährigen um zwei Drittel (von 10,6 Prozent auf 3,5 Prozent).<br />
Millenniumsziel 5: Verbesserung der Gesundheitsversorgung<br />
für Mütter<br />
• Zwischen 1990 und <strong>2015</strong> Senkung der Sterblichkeitsrate von Müttern um<br />
drei Viertel.<br />
• Bis <strong>2015</strong> allgemeinen Zugang zu reproduktiver Gesundheit erreichen.<br />
1 Vgl. www.millenniumcampaign.de, 15.05.2010.<br />
2 Durch neue Daten über die Preisentwicklung in den Entwicklungsländern hat die<br />
Weltbank die Armutsgrenze vergangenes Jahr angehoben. Als extrem arm gilt<br />
jetzt, wer weniger als den Gegenwert von 1,25 US-Dollar pro Tag zum (Über)Leben<br />
zur Verfügung hat. Bisher war es ein Dollar. Durch den neuen Wert ist die zahl der<br />
Armen noch höher als zuvor.<br />
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Millenniumsziel 6: Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und<br />
weiteren Krankheiten<br />
• Bis <strong>2015</strong> die Ausbreitung von HIV/Aids zum Stillstand bringen und eine<br />
Trendumkehr bewirken.<br />
• Bis 2010 weltweiten Zugang zu medizinischer Versorgung für alle HIV/<br />
Aids-Infizierten erreichen, die diese benötigen.<br />
• Bis <strong>2015</strong> die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten<br />
zum Stillstand bringen und eine Trendumkehr bewirken.<br />
Millenniumsziel 7: Ökologische Nachhaltigkeit<br />
EInFACH WEGSCHAUEn?<br />
• Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in der Politik und den<br />
Programmen der einzelnen Staaten verankern und die Vernichtung von<br />
Umweltressourcen eindämmen.<br />
• Den Verlust der Biodiversität verringern, bis 2010 eine signifikante Drosselung<br />
der Verlustrate erreichen.<br />
• Bis <strong>2015</strong> Halbierung des Anteils der Menschen ohne dauerhaft gesicherten<br />
Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser (von 65 Prozent<br />
auf 32 Prozent).<br />
• Bis 2020 eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens<br />
100 Millionen Slumbewohnerinnen und -bewohnern bewirken.<br />
Millenniumsziel 8: Aufbau einer globalen Partnerschaft für<br />
die Entwicklung<br />
• Weitere Fortschritte bei der Entwicklung eines offenen, regelgestützten,<br />
berechenbaren und nicht diskr<strong>im</strong>inierenden Handels- und Finanzsystems.<br />
Dies umfasst die Verpflichtung zu verantwortungsbewusster Regierungsführung,<br />
zu Entwicklung und zur Senkung der Armut – sowohl auf<br />
nationaler als auch auf internationaler Ebene.<br />
• Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der am wenigsten entwickelten<br />
Länder (Least Developed Countries; LDC). Das beinhaltet den<br />
Abbau von Handelshemmnissen, Schuldenerleichterung und -erlass,<br />
besondere finanzielle Unterstützung der aktiv um Armutsminderung<br />
bemühten Länder.<br />
• Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Insel-Entwicklungsländer<br />
Rechnung tragen.<br />
• Umfassende Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene<br />
zur Lösung der Schuldenprobleme der Entwicklungsländer unternehmen.<br />
• In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Schaffung<br />
menschenwürdiger und sinnvoller Arbeitsplätze für junge Menschen<br />
erarbeiten und umsetzen.<br />
• In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen Zugang zu unentbehrlichen<br />
Arzne<strong>im</strong>itteln zu erschwinglichen Preisen in Entwicklungsländern<br />
gewährleisten.<br />
• In Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor dafür sorgen, dass die Vorteile<br />
neuer Technologien, insbesondere von Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />
von Entwicklungsländern genutzt werden können.<br />
Links zum Thema<br />
1: WELT<br />
www.millenniumcampaign.de<br />
www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
www.micha-initiative.de<br />
www.mdgmonitor.org<br />
www.un.org/millenniumgoals<br />
www.worldmapper.org<br />
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24<br />
Just PEoPlE?<br />
1. Armut hat es schon <strong>im</strong>mer gegeben und wird es<br />
<strong>im</strong>mer geben.<br />
2. Je schl<strong>im</strong>mer es mit der Welt wird, desto schneller<br />
kommt Jesus zurück und dann wird die Welt sowieso<br />
ganz neu.<br />
3. Ich kann nichts dafür, dass ich hier geboren bin.<br />
Ich habe das System nicht gemacht, in dem Kinder<br />
an Hunger sterben.<br />
4. Die Armen sind selbst schuld. Sie bringen sich<br />
nicht in die Weltwirtschaft ein und entwickeln sich<br />
einfach nicht.<br />
5. Die Armutsproblematik ist extrem kompliziert und<br />
unlösbar. Jede noch so große Hilfe ist nur ein Tropfen<br />
auf den heißen Stein.<br />
6. Wer alles den Armen gibt, der will sich doch nur<br />
seinen Platz <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel verdienen. Aber durch<br />
gute Taten kommt man nicht in den H<strong>im</strong>mel. Jesus<br />
hat schon alles für mich getan.<br />
7. Jeder hat seine eigenen Probleme – ich auch.<br />
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Anleitung zum untätigsein<br />
Moment mal? Sollte es nicht heißen „Anleitung zum Tätigsein“? Geht es in<br />
diesem Kurs nicht darum, angesichts der Armut und Ungerechtigkeit auf der<br />
Welt aktiv zu werden?<br />
Eigentlich schon, aber dafür muss man sich ein bisschen anstrengen,<br />
man muss sich informieren und ein bisschen von seiner Freizeit opfern. Und<br />
selbst wenn man sich dann einmischt, wird die Welt nicht auf einen Schlag<br />
gerechter. Armutsbekämpfung ist ein Marathon und kein Sprint.<br />
Im Folgenden sind 22 Beispiele von Tatsachen und Meinungen aufgelistet,<br />
die uns <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Thema öfter begegnen. Die Tatsachen<br />
sind sehr verschieden und die Meinungen spiegeln die verschiedensten politischen<br />
und theologischen Ansichten wider. Eines haben sie aber alle gemeinsam:<br />
Sie können als Argumente gegen eigenes Engagement in der Armutsbekämpfung<br />
verwendet werden.<br />
Lies die 22 Punkte einmal durch und frage dich, was sie dir bedeuten.<br />
Sind sie für dich Argumente gegen Engagement oder nicht? Warum?<br />
Die „Anleitung zum Untätigsein“ ist ein Dokument, welches dich durch den<br />
Kurs begleitet. Wenn dir während des Kurses ein neuer Gedanke kommt,<br />
dann schreibe ihn in das entsprechende Kästchen.<br />
meine Überlegungen<br />
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8. Die korrupten Regierungen der Entwicklungsländer<br />
sind schuld.<br />
9. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt und<br />
wenn wir uns zu sehr sozial engagieren, dann<br />
leidet unsere wichtigste Mission: Menschen zu<br />
bekehren.<br />
10. Auch bei uns in den Industrienationen gibt es<br />
Armut.<br />
11. Schuld haben die wirklich Reichen.<br />
12. Geldspenden sind auch keine Lösung.<br />
13. Wir leben in einer gefallenen Welt. Es kann kein<br />
Paradies auf Erden geben und daher lohnt sich der<br />
Einsatz für eine gerechtere Welt sowieso nicht.<br />
14. Ich bin selbst knapp bei Kasse. Da kann ich nicht<br />
bei jedem Einkauf auf nachhaltigkeit und FairTrade<br />
achten.<br />
15. Schuld sind die Amerikaner.<br />
16. Andere Völker wollen und brauchen unseren<br />
Fortschritt überhaupt nicht. Den Menschen<br />
in den Entwicklungsländern würde es in ihrer<br />
ursprünglichen Kultur viel besser gehen.<br />
17. Der nutzen von Entwicklungshilfe ist umstritten.<br />
18. Ich konzentriere mich auf meine Gemeinde vor ort.<br />
19. Wenn ich Geld an Hilfsorganisationen spende, fließt<br />
alles in einen riesigen Topf. Vieles wird auch noch<br />
für die Verwaltung ausgegeben. Ich kann gar nicht<br />
überblicken, was von meinem Geld wo überhaupt<br />
ankommt.<br />
20. So schl<strong>im</strong>m ist es mit den Großkonzernen auch<br />
wieder nicht. Sie engagieren sich auch sozial.<br />
21. Die natur hat schon <strong>im</strong>mer überlebt und wird ganz<br />
sicher weiter überleben – um die müssen wir uns<br />
keine Gedanken machen.<br />
22. Ich bin einfach nicht so ein sozialer Typ.<br />
EInFACH WEGSCHAUEn? 1: WELT<br />
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26<br />
Just PEoPlE?<br />
Angepackt!<br />
Bis zur Kurseinheit 2 nehme ich mir vor:<br />
• Ich rechne aus, wie teuer das Leben in Entwicklungsländern<br />
verglichen mit meinem Leben ist.*<br />
•<br />
•<br />
* Dazu ein Beispiel aus Uganda (alle Angaben von 2007):<br />
• Verdienst eines Lehrers: 60 Euro pro Monat<br />
• Verdienst eines Bauern: unter 30 Euro pro Monat<br />
Lebenshaltungskosten (alle Prozentangaben gerundet):<br />
• Einfache Mahlzeit: 0,25 Euro (entspricht 0,4 Prozent eines Lehrergehalts und 0,8<br />
Prozent eines Bauerneinkommens)<br />
• Arztbesuch (ohne Behandlung): 7,50 Euro (entspricht 12,5 Prozent eines Lehrergehalts<br />
und 25 Prozent eines Bauerneinkommens)<br />
• Behandlung von Malaria: 4,00 Euro (entspricht 7 Prozent eines Lehrergehalts<br />
und 14 Prozent eines Bauerneinkommens)<br />
• Ausgaben für Schulbesuch pro Kind: 40,00 bis 60,00 Euro <strong>im</strong> Jahr (entspricht<br />
5,5 bis 8,3 Prozent eines Lehrergehalts und 11 bis 16,6 Prozent eines Bauerneinkommens)<br />
Nun kannst du überlegen, wie teuer eine einfache Mahlzeit oder eine Malaria-<br />
Behandlung für dich wäre, wenn sie prozentual so viel kosten würde wie in<br />
Uganda.<br />
Quelle: Vgl. http://www.akademie-klausenhof.de/tilapia/tilapia-projekte.htm, 09.08.2010.<br />
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KURSEInHEIT 2:<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
BIBEl – EInFACH<br />
ÜBERLESEn?<br />
Darum geht’s: Armut (beziehungsweise Reichtum) und Gerechtigkeit<br />
gehören zu den zentralen Themen der Bibel.<br />
Genauer gesagt:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Wir wurden als Gottes Abbilder geschaffen: Mein Gegenüber ist also<br />
auch Gottes Abbild. Und als Gottes Abbilder sind wir für die Schöpfung<br />
verantwortlich.<br />
Gott als gerechter Gott: Er möchte gerechte Verhältnisse und ergreift<br />
Partei für die Schwachen, Unterdrückten und Armen.<br />
Auch seine Menschen sollen für Gerechtigkeit kämpfen. Ein Beispiel<br />
dafür sind die Propheten des Alten Testaments.<br />
• Jesus: Messias für Arme<br />
Fragen, die wir stellen: Denken wir bei Armut vor allem an „geistliche<br />
Armut“? Wieso? Was bedeutet es, ein Abbild Gottes zu sein? Wie sieht<br />
Gottes Gerechtigkeit aus? Ist es nicht eigenartig, wie wenig die kritischen<br />
Äußerungen der alten Propheten in unseren Kirchen auftauchen?<br />
Was bedeuten Jesu Worte und sein Einsatz für die Armen für uns als<br />
Westeuropäer?<br />
So machen wir’s:<br />
• Definitionen zu Armut und Reichtum (mit Brainstorming)<br />
• Referat mit Diskussion<br />
• Überblick: Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum<br />
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27
28<br />
Just PEoPlE?<br />
Überlesen wir<br />
Bibelstellen zu<br />
Armut und Reichtum<br />
deshalb oft,<br />
weil wir unsere<br />
„Wohlstandsbrille“<br />
aufhaben?<br />
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Referat 2:<br />
Bibel – einfach überlesen?<br />
Rund 2.000 Bibelstellen zu Armut und Gerechtigkeit<br />
J<strong>im</strong> Wallis ist ein christlicher Prediger und Buchautor aus den USA. Als er noch<br />
an einem theologischen Seminar studierte, wurde dort einmal über Armut<br />
gesprochen. Zusammen mit seinen Mitstudenten beschloss er, alle Bibelstellen<br />
zu suchen, in denen die Armen, Armut und Gerechtigkeit vorkommen. 1<br />
Das Ergebnis: Über 2.000 Verse! Nachher nahm einer der Studenten eine alte<br />
Bibel und eine Schere. Er fing an, alle diese Bibelstellen herauszuschneiden.<br />
Er war sehr lange beschäftigt. Zum Schluss waren die alttestamentlichen<br />
Prophetenbücher zerfetzt, die Psalmen fast verschwunden, die Evangelien<br />
zerschnippelt und die Briefe arg zugerichtet. Anders gesagt: Die übrig gebliebene<br />
Bibel war voller Löcher. Sie fiel fast auseinander.<br />
Über 2.000 Bibelverse, also ungefähr jeder 14. Vers in der Bibel – Ist uns das<br />
bewusst? Arme, aber auch Reiche, werden in der Bibel <strong>im</strong>mer wieder explizit<br />
thematisiert oder direkt angesprochen. Natürlich kann man jetzt sofort einwenden,<br />
dass es bei den Armen nicht <strong>im</strong>mer nur um materiell Arme geht. Es<br />
gibt ja schließlich zum Beispiel auch eine „geistliche Armut“. St<strong>im</strong>mt, in den<br />
über 2.000 Bibelversen sind verschiedene Arten von Armut gemeint, so wie<br />
es auch verschiedene Arten von Reichtum gibt. Es geht auch nicht darum, die<br />
verschiedenen Aspekte von Armut und Reichtum gegeneinander auszuspielen.<br />
Allerdings muss man sagen, dass in den meisten Bibelstellen tatsächlich<br />
von materieller Armut die Rede ist. 2 Wir kommen später noch darauf zurück.<br />
An dieser Stelle nur noch ein kurzes Beispiel: Das Lukasevangelium. Dort<br />
geht es in den Kapiteln 4 bis 21, die das Wirken Jesu erzählen, in jedem 5. Vers<br />
um Armut und Reichtum. Das heißt: Jesus spricht oft konkret den Umgang<br />
mit Geld und Besitz an. 3<br />
Der Prediger und Buchautor J<strong>im</strong> Wallis sagt: „Wie hatte man ein so zentrales<br />
Anliegen derart beiseite schieben können, insbesondere in Kreisen, in denen<br />
der Glaube angeblich einzig und allein die Bibel zum Maßstab hat?“ 4 Warum<br />
sind bei diesem biblischen Befund die materiell Armen – und auf der anderen<br />
Seite die Reichen – kaum ein Thema in unseren Gottesdiensten, Jugendgruppen<br />
und Hauskreisen? Das hat wahrscheinlich Gründe, die sich niemand<br />
gerne eingesteht: Wenn wir die Bibel lesen, sind wir kein unbeschriebenes<br />
Blatt. Unsere Gesellschaft und auch unsere christliche Gemeinde haben uns<br />
geprägt und mit dieser Prägung lesen wir die Bibel. Anders gesagt: Wir lesen<br />
nicht einfach nur, sondern wir interpretieren die Bibel <strong>im</strong>mer aufgrund dessen,<br />
was wir wissen, kennen und glauben. Unsere Prägung best<strong>im</strong>mt mit,<br />
was uns an der Bibel wichtig erscheint und was wir überhaupt wahr- oder<br />
ernst nehmen.<br />
Man kann sich das so vorstellen: Wenn wir die Bibel lesen, tragen wir<br />
verschiedene Brillen. Das ist menschlich und okay. Allerdings gibt es Brillen,<br />
1 Vgl. Wallis, J<strong>im</strong>, Die Seele der Politik: Eine Vision zur spirituellen Erneuerung der Gesellschaft,<br />
München, 1995, 209, und J<strong>im</strong> Wallis auf dem Umschlagband von The Poverty<br />
and Justice Bible der American Bible Society und World Vision (new York, 2009).<br />
2 Vgl. die Definitionen von Reichtum und Armut auf Seite 38.<br />
3 Vgl. zum Beispiel Lukas 6,20-38; 12,13-34; 14,12-14; 16,1-31; 18,18-27; 19,1-10.<br />
4 Wallis 1995, 212.<br />
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die unseren Blick auf die Bibel negativ beeinträchtigen können. Eine davon<br />
nennen wir ab jetzt die „Wohlstandsbrille“. Damit sind wir be<strong>im</strong> provokanten<br />
Titel dieses Referats: „Bibel – einfach überlesen?“. Wir fragen uns nämlich,<br />
ob wir Bibelstellen über Armut und Reichtum deshalb oft überlesen, weil wir<br />
unsere „Wohlstandsbrille“ aufhaben. Diese blendet auf der einen Seite Bibelstellen<br />
aus, die Besitz und Reichtum kritisch gegenüberstehen, und auf der<br />
anderen Seite interpretiert sie Armut oft zu schnell als geistliche Armut.<br />
Heute können wir uns nur ein paar der mehr als 2.000 Bibelstellen über<br />
Armut und Gerechtigkeit genauer ansehen. Versuchen wir dabei einmal,<br />
unsere „Wohlstandsbrille“ abzulegen und die „Just People?-Brille“ aufzusetzen.<br />
Das gilt es nämlich von Anfang an einzugestehen: Auch der Just People?-<br />
Kurs ist nicht etwa brillenlos, aber bemüht sich um eine schärfere Sicht. In<br />
diesem Bewusstsein wollen wir uns dem Thema Armut und Gerechtigkeit in<br />
der Bibel nähern. Auf geht’s! Beginnen wir mit dem Alten Testament.<br />
Überblick zum Alten testament:<br />
1. Der erste Auftrag an den Menschen: Die Verantwortung<br />
für die ganze schöpfung<br />
Schlagen wir die Bibel zuerst ganz vorne auf: Gott schuf zu Beginn H<strong>im</strong>mel<br />
und Erde. Und er schuf den Menschen als sein Abbild. In 1. Mose/Genesis<br />
1,26a und 28 heißt es: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser<br />
Abbild, uns ähnlich. (…) Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar<br />
und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht<br />
über die Fische des Meeres, über die Vögel des H<strong>im</strong>mels und über alle Tiere, die<br />
sich auf dem Land regen.“<br />
Das hebräische Wort zelem, das hier mit „Abbild“ übersetzt wird, hat auch<br />
noch eine andere Bedeutung: „Statue“. Statuen waren zur Zeit des Alten Testaments<br />
meist Götterstatuen und repräsentierten die Gottheiten auf der Erde.<br />
Diese Vorstellung steht wahrscheinlich auch hinter 1. Mose/Genesis 1,26.<br />
Allerdings wird hier betont, dass nicht eine Götterstatue Gott auf Erden repräsentiert,<br />
sondern alle Menschen! 5 Das wertet den einzelnen Menschen ungemein<br />
auf. Ob reich und mächtig oder arm und unterdrückt: Alle sind Abbilder<br />
Gottes. Aber was heißt es, ein Abbild Gottes zu sein? Inwiefern repräsentieren<br />
wir Gott auf Erden?<br />
Kurzer Austausch zu zweit und kurze Diskussion <strong>im</strong> Plenum.<br />
Der Gedanke vom Abbild Gottes kann für uns zwei Auswirkungen haben. Erstens<br />
ist es eine Sicht auf den Mitmenschen: Im Gegenüber – ob reich oder<br />
absolut arm – begegnet mir <strong>im</strong>mer ein Abbild Gottes. Dieser schöne theologische<br />
Gedanke hat für das alltägliche Leben große Konsequenzen. Damit<br />
ist nämlich schon die zweite Auswirkung angesprochen, nämlich die Verantwortung:<br />
Menschen in Not sind es als Abbilder Gottes wert, dass wir ihnen<br />
helfen.<br />
Zur Verantwortung passt noch ein weiterer Gedanke: Der Mensch wird<br />
als Gottes Repräsentant auf Erden beauftragt, „die Erde zu unterwerfen“ (1.<br />
Mose/Genesis 1,28). Man könnte jetzt darüber diskutieren, was dieser Auftrag<br />
genau zu bedeuten hat. Schauen wir nur kurz die letzten beiden Jahrhunderte<br />
an: Der Mensch hat die Erde rücksichtslos ausgebeutet und tut dies<br />
5 Vgl. Keel, othmar und Schroer, Silvia, Schöpfung. Biblische Theologien <strong>im</strong> Kontext<br />
altorientalischer Religionen, Göttingen, 2002, 179f.<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Im Gegenüber – ob<br />
reich oder absolut<br />
arm – begegnet mir<br />
<strong>im</strong>mer ein Abbild<br />
Gottes.<br />
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29
30<br />
Just PEoPlE?<br />
Wenn wir in der<br />
Bibel lesen, fällt<br />
auf, wie sehr es<br />
Gott bewegt, wenn<br />
Menschen unter<br />
Unrecht oder<br />
Armut leiden.<br />
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noch heute. 6 Nur ein konkretes Beispiel an dieser Stelle: Flugreisen. Bei jedem<br />
Flug entsteht durch das Verbrennen von Treibstoff unter anderem Kohlenstoffdioxid,<br />
kurz CO2. Dieses trägt als Treibhausgas zur globalen Erwärmung<br />
bei. Bei einem Flug von Berlin nach Washington wird pro Passagier anderthalbmal<br />
so viel CO2 in die Luft gepustet wie ein Mensch in einem ganzen<br />
Jahr verursachen sollte. 7 Die globale Erwärmung, die natürlich noch viele<br />
andere Ursachen hat, wird in Zukunft ein ernsthaftes Problem für unseren<br />
Planeten: die Durchschnittstemperatur steigt, Pole und Gletscher schmelzen,<br />
die Kl<strong>im</strong>azonen verschieben sich, es kommt zu Überschwemmungen und<br />
vielen anderen Problemen.<br />
Die ganze Schöpfung leidet unter der heutigen Ausbeutung – Menschen,<br />
Tiere und Umwelt. So hat es Gott aber nicht gemeint. Es ist daher nicht vermessen<br />
zu sagen: Wir sollten diesen ersten Auftrag Gottes, „die Erde zu unterwerfen“,<br />
viel stärker mit Blick auf die ökologische Nachhaltigkeit lesen.<br />
2. Gott sieht und hört Menschen in Not und erweist sich<br />
damit als gerechter Gott<br />
Mit dem Gedanken des Abbilds drückt Gott aus, dass ihm der einzelne Mensch<br />
viel wert ist. Wenn wir in der Bibel lesen, fällt auf, wie sehr es Gott bewegt,<br />
wenn Menschen unter Unrecht oder Armut leiden. An der Exodus-Geschichte<br />
sehen wir das sehr deutlich: Das Volk Israel wird in Ägypten rücksichtslos<br />
ausgebeutet. Die Israeliten müssen als Sklaven arbeiten. Gott lässt dies aber<br />
nicht einfach zu, sondern reagiert auf das Unrecht. Er beruft Moses und sagt:<br />
„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über<br />
ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie<br />
der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein<br />
schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen“ (2. Mose/<br />
Exodus 3,7-8). Unrecht bewegt das Herz Gottes und er greift ein.<br />
Mit der Erwählung Israels setzt Gott ein klares Zeichen. Er wählt sich<br />
keine antike Supermacht, sondern ein armes Sklavenvolk. Unser Gott zeigt<br />
sich damit als ein Gott der Armen und Unterdrückten. Der Exodus bleibt<br />
keine einmalige Aktion dieser Art. Dass Gott für Unterdrückte eintritt, ist tief<br />
in seinem Wesen verankert. Das zeigen auch viele Psalmen, in denen Menschen<br />
<strong>im</strong>mer wieder fröhlich und dankbar von Gottes Wesen und seinen<br />
Taten singen.<br />
Lesen wir zum Beispiel Psalm 146,6-9:<br />
„Der Herr hat H<strong>im</strong>mel und Erde gemacht, das Meer und alle Geschöpfe; er<br />
hält ewig die Treue. Recht verschafft er den Unterdrückten, den Hungernden<br />
gibt er Brot; der Herr befreit die Gefangenen. Der Herr öffnet den Blinden die<br />
Augen, er richtet die Gebeugten auf. Der Herr beschützt die Fremden und verhilft<br />
den Waisen und Witwen zu ihrem Recht. Der Herr liebt die Gerechten, doch die<br />
Schritte der Frevler leitet er in die Irre.“<br />
Am Ende des Abschnitts lesen wir von Gerechten. Das Begriffsfeld „Gerechtigkeit“<br />
kommt <strong>im</strong> Alten Testament rund 500 Mal vor. Walter Dietrich war<br />
früher Professor für Altes Testament in Bern und er bezeichnet die Gerech-<br />
6 Vgl. dazu auch das Referat 1.<br />
7 Das kl<strong>im</strong>averträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt bei 3.000 Kilogramm<br />
Co2. Auto- und Flugzeugabgase enthalten aber nicht nur Kohlenstoffdioxid. Die<br />
hier verwendeten Größen sind umgerechnet auf die Erwärmungswirkung der<br />
entsprechenden Menge an Co2.<br />
Auf dieser Seite kann man mehr erfahren und sich seine Emissionen zum Beispiel<br />
für einen Flug ausrechnen lassen: www.atmosfair.de.<br />
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tigkeit Gottes sogar als roten Faden des Alten Testaments. 8 Gerechtigkeit ist<br />
also ein wesentlicher Aspekt des Wesens Gottes. Und weil Gott gerecht ist,<br />
sollen auch wir Menschen als seine Abbilder gerecht sein. Doch was ist unter<br />
der Gerechtigkeit Gottes zu verstehen?<br />
Kurzer Austausch zu zweit und Sammlung von möglichen Definitionen <strong>im</strong> Plenum.<br />
Im Folgenden handelt es sich um eine weitere Definition.<br />
In Anlehnung an Professor Dietrich kann Gerechtigkeit so verstanden werden:<br />
Gerechtigkeit ist die Wahrung oder Wiederherstellung ausgeglichener,<br />
wohltuend geordneter, lebensfreundlicher Verhältnisse – <strong>im</strong> menschlichen<br />
Zusammenleben wie in der Gottesbeziehung. Gottes Gerechtigkeit<br />
ist <strong>im</strong>mer „parteiisch“: Sie umfasst ein Eintreten für jemanden und dabei<br />
insbesondere für die Schwachen, Unterdrückten und Armen.<br />
Das heißt: Die Gerechtigkeit Gottes ist mehr als „Jedem das Gleiche“; sie<br />
setzt Prioritäten. Zudem meint Gerechtigkeit aus biblischer Sicht nicht nur<br />
einen Zustand, sondern eine Beziehung: Es geht um die Beziehung von Gott<br />
zu uns Menschen, um das menschliche Zusammenleben und um das Eintreten<br />
für jemanden. Für unseren eher abstrakten und unpersönlichen Gerechtigkeitsbegriff<br />
ist das vielleicht ein neuer, aber zentraler Gedanke.<br />
3. so wie Gott sich selbst für Gerechtigkeit einsetzt, will er<br />
auch seine Menschen für Gerechtigkeit kämpfen sehen<br />
In Psalm 146 zeigt sich Gott nicht nur selbst als der Gerechte, sondern<br />
der Psalm sagt auch: „Der Herr liebt die Gerechten“ 9 . Er möchte, dass auch<br />
Menschen gerecht sind wie er. In den Worten von Psalm 146: Gott möchte,<br />
dass wir Menschen die Unterdrückten aufrichten und den Hungrigen Brot<br />
geben.<br />
Werfen wir einen kurzen Blick in die alttestamentlichen Gesetzestexte.<br />
Diese sind uns vielleicht eher fremd. Tatsächlich kann man viele Gesetze<br />
heute auch nicht mehr einfach so umsetzen. Überliest man allerdings alle<br />
Gesetzestexte, verpasst man auch wieder wesentliche Prioritäten Gottes.<br />
So haben uns die Gesetze gerade in sozialer Hinsicht viel zu sagen. Nur ein<br />
Beispiel: 10 Zur Zeit des Alten Testaments gehörten Witwen und Waisen zu<br />
den sozial besonders gefährdeten Gruppen. Sie waren meistens arm und<br />
schutzlos, weil mit dem Verlust des Ehemanns oder der Eltern auch die soziale<br />
Sicherung verloren ging. Auf der Prioritätenliste Gottes stehen sie aber<br />
besonders weit oben. Lesen wir in 2. Mose/Exodus 22,21-22: „Ihr sollt keine<br />
Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde<br />
ich auf ihren Klageschrei hören.“ Hier sehen wir wieder: Gott hört die Klage<br />
der Armen und Unterdrückten. Er möchte, dass sich sein Volk von der Not<br />
8 Vgl. Dietrich, Walter, Der rote Faden <strong>im</strong> Alten Testament, in: ders. Theopolitik. Studien<br />
zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, neukirchen-Vluyn, 2002, 13-28.<br />
9 Gerade aus neutestamentlicher Sicht stellt sich natürlich die Frage, wie ein<br />
Mensch gerecht werden kann. „Der aus Glauben Gerechte wird leben“, zitiert<br />
Paulus in Römer 1,17 aus Habakuk 2,4. Diese D<strong>im</strong>ension der Gerechtigkeit als<br />
Rechtfertigung allein aus der bedingungslosen Gnade Gottes darf natürlich nicht<br />
außer Acht gelassen werden. Die eine D<strong>im</strong>ension von Gerechtigkeit soll in diesem<br />
Kurs nicht gegen die andere ausgespielt werden. Allerdings liegt unser Fokus hier<br />
auf dem gerechten Handeln (gegenüber den Armen).<br />
10 Vgl. die Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum auf Seite 36.<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Die Gesetze haben<br />
uns gerade in<br />
sozialer Hinsicht<br />
viel zu sagen.<br />
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31
32<br />
Just PEoPlE?<br />
Speziell bei Amos,<br />
aber auch bei<br />
vielen anderen<br />
Propheten, ist die<br />
soziale Ungerechtigkeit<br />
ein Dauerbrenner.<br />
Welche<br />
Themen sind in<br />
den Kirchen heute<br />
Dauerbrenner?<br />
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anderer Menschen berühren lässt und sich für die Armen und Unterdrückten<br />
einsetzt.<br />
Revolutionär in der Gesetzgebung Israels sind das Erlassjahr (5. Mose 15,1-<br />
2) und das Jubeljahr (3. Mose 25,10-16): Das Erlassjahr verlangt, dass alle<br />
sieben Jahre die kompletten Schulden erlassen werden. 11 Im Jubeljahr sollen<br />
alle Leute nach fünfzig Jahren wieder zu ihrem ursprünglichen Grundbesitz<br />
kommen. Dahinter steht die Auffassung: Das Land und alle Güter gehören<br />
letztlich Gott selbst und daher darf niemand endgültigen Anspruch darauf<br />
erheben. Weiter sollen Erlassjahr und Jubeljahr auch der Verarmung vorbeugen.<br />
Stellt euch mal vor, so ein Gesetz wäre nachhaltig politisch umgesetzt<br />
worden! 12<br />
4. Die Propheten als sprachrohre der Gerechtigkeit Gottes<br />
Nun, wie sah das in der Realität aus? Wurden diese sozial revolutionären<br />
Gesetze wirklich umgesetzt? Leider nicht. Die Situation damals lässt sich gut<br />
mit der Situation heute vergleichen. Kaum jemand, der reich oder in leitender<br />
Position war, hat Gerechtigkeit geschaffen und sich mit seinen Möglichkeiten<br />
um lebensfreundliche Verhältnisse für alle bemüht. Menschen lassen<br />
sich eher von Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit und der Liebe zu Geld, Macht<br />
oder materiellen Gütern leiten.<br />
Israel wurde zwar von fremden Völkern unterdrückt, aber auch innerhalb<br />
des Volkes unterdrückten die Reichen die Armen. Nicht zuletzt deswegen rief<br />
Gott die alttestamentlichen Propheten auf den Plan. In ihrer vielfältigen Kritik<br />
sprachen sie unter anderem Korruption, Lüge, Betrug, Raub und Gewalt<br />
an. Sie drohten unermüdlich den Reichen, die Arme unterdrückten.<br />
Zurück zu unserer „Wohlstandsbrille“: Ist es nicht eigenartig, wie wenig die<br />
kritischen Äußerungen der alten Propheten in unseren Kirchen auftauchen?<br />
Und wie wenig wir uns damit auseinandersetzen? Wenn wir Prophetentexte<br />
lesen, dann meistens Heilsverheißungen, die wir direkt auf unser Leben<br />
beziehen. Aber wir überlesen viele Aussagen, in denen reiche Menschen<br />
kritisiert werden! 13 Ein Beispiel ist Amos 2,6b-7b. Amos nennt dort Gründe,<br />
warum Gott sein Volk straft: „Weil sie den Unschuldigen für Geld verkaufen und<br />
den Armen für ein Paar Sandalen, weil sie die Kleinen in den Staub treten und<br />
das Recht der Schwachen beugen.“ 14<br />
Speziell bei Amos, aber auch bei vielen anderen Propheten, ist die soziale<br />
Ungerechtigkeit ein Dauerbrenner. Welche Themen sind in den Kirchen heute<br />
Dauerbrenner? Gerade be<strong>im</strong> Thema der sozialen Ungerechtigkeit besteht in<br />
vielen Kirchen dringender Nachholbedarf!<br />
11 Vgl. Dietrich 2002, 188.<br />
12 Es kommt nicht von ungefähr, dass <strong>im</strong> Alten Testament gerade auch vom König<br />
erwartet wird, dass er Armut tilgt und sich für Gerechtigkeit einsetzt. Psalm 72<br />
ist ein Königsgebet, das eindrücklich davon berichtet. Königliche Herrschaft und<br />
Armenfürsorge sollen unabdingbar zusammengehören:<br />
V. 4: „Er wird Recht verschaffen den Gebeugten <strong>im</strong> Volk, Hilfe bringen den Kindern<br />
der Armen, er wird die Unterdrücker zermalmen.“<br />
V. 8: „Er herrsche von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde.“<br />
V. 11: „Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen.“<br />
V. 12-14: „Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den,<br />
der keinen Helfer hat. Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, er rettet<br />
das Leben der Armen. Von Unterdrückung und Gewalttat befreit er sie, ihr Blut ist<br />
in seinen Augen kostbar.“<br />
13 Vgl. die Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum auf Seite 36.<br />
14 Vgl. auch die Auslegung bei Hardmeier, Roland, Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu<br />
einem ganzheitlichen Missionsverständnis, Schwarzenfeld, 2009, 95f.<br />
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Für das Alte Testament stellen wir also fest: Die Bekämpfung von Armut und<br />
Unrecht ist für Gott sehr, sehr wichtig. Das kann man gar nicht oft genug<br />
betonen.<br />
Und wie sieht es damit <strong>im</strong> Neuen Testament aus?<br />
Spätestens hier empfehlen wir eine Pause von zehn Minuten.<br />
Neues testament: Jesus und die Armen aus sicht des<br />
lukasevangeliums<br />
Kommen wir zum Zentrum unseres Glaubens: Jesus Christus. Im Leben, Sterben<br />
und Auferstehen des Sohnes Gottes tritt Gott auf den Plan wie noch nie<br />
zuvor. Was Gott besonders wichtig ist, wird auch in Jesus Christus besonders<br />
deutlich.<br />
Wie zu Beginn des Referats schon angesprochen, spielen Armut und Reichtum<br />
<strong>im</strong> Lukasevangelium eine große Rolle. Das zeigt sich schon ganz zu<br />
Beginn be<strong>im</strong> Lobpreis der Maria. Die Mutter Gottes n<strong>im</strong>mt hier ganz bewusst<br />
die Sprache und das Anliegen der alttestamentlichen Propheten auf: „(…)<br />
er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden<br />
beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lukas 1,52-<br />
53). 15 Maria macht unmissverständlich klar, dass die Botschaft des Alten Testaments<br />
bezüglich der Armen auch <strong>im</strong> Neuen Testament unverändert gilt.<br />
Es wird sogar deutlich akzentuiert: Gott wird die Verhältnisse von Arm und<br />
Reich umkehren.<br />
Jesus selbst zitiert in seiner Antrittspredigt in Lukas 4 aus dem Buch Jesaja.<br />
Er bezieht diesen Text direkt auf sich und seine Berufung und sagt: „Der Geist<br />
des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt,<br />
damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die<br />
Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen<br />
in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lukas 4,18-19,<br />
zitiert aus: Jesaja 61,1).<br />
Jesus definiert hier seine pr<strong>im</strong>äre Zielgruppe: die Armen. Wen meint<br />
Jesus damit? Geht es hier vor allem um eine geistliche Haltung oder sind die<br />
materiell Armen angesprochen? Wie schon zu Beginn des Referats gesagt:<br />
Das eine soll nicht gegen das andere ausgespielt werden. Aber wer hier lediglich<br />
an geistlich Arme denkt, der liest nicht die ganze Wahrheit. Wenn Jesus<br />
anschließend von den Gefangenen, Blinden und Zerschlagenen spricht, steht<br />
die soziale Ebene <strong>im</strong> Vordergrund. Außerdem steckt hinter dem hier genannten<br />
Gnadenjahr nichts anderes als das schon angesprochene Erlass- beziehungsweise<br />
Jubeljahr! 16<br />
Nehmen wir einen weiteren Text genauer unter die Lupe, die so genannten<br />
Seligpreisungen in Lukas 6:<br />
„Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn<br />
euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt<br />
werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. (…)<br />
Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.<br />
Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr<br />
jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen“ (Lukas 6,20-26).<br />
15 zudem gibt es wörtliche Parallelen des Lobgesangs Marias zum Danklied der<br />
Hanna in 1. Samuel 2,1-11.<br />
16 Vgl. Dietrich 2002, 188.<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Gott wird die<br />
Verhältnisse von<br />
Arm und Reich<br />
umkehren.<br />
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34<br />
Just PEoPlE?<br />
Haben wir keinen<br />
Trost mehr zu<br />
erwarten, nur weil<br />
wir Westeuropäer<br />
sind?<br />
Wir müssen lernen,<br />
die Bibel auch<br />
gegen uns zu lesen.<br />
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Noch einmal die Frage – möglichst ohne „Wohlstandsbrille“: Wo müssen wir<br />
uns hier als Westeuropäer angesprochen fühlen? Wir, die wir <strong>im</strong> Vergleich<br />
mit der ganzen Welt äußerst reich sind, auch wenn wir <strong>im</strong> eigenen Land vielleicht<br />
als arm gelten? Wir, die dre<strong>im</strong>al pro Tag satt werden? Wir, die trotz<br />
Sorgen und Nöten unterem Strich viel zu lachen haben? Wie gehen wir mit<br />
diesen Aussagen von Jesus um?<br />
Kurze Diskussion zu zweit (Eventuell mit Bezug zu den Definitionen von Armut<br />
und Reichtum auf Seite 38).<br />
Was bezweckt Jesus mit dieser Konfrontation? Haben wir keinen Trost mehr<br />
zu erwarten, nur weil wir Westeuropäer sind? Vielleicht helfen folgende<br />
Gedanken, einen Umgang mit dieser Stelle zu finden: Bei Lukas kann man<br />
davon ausgehen, dass er auch hier pr<strong>im</strong>är die materiell Armen meint. Das<br />
wird schon rein durch die zweite Seligpreisung klar, bei der Jesus von denen<br />
spricht, die Hunger haben. Im Matthäusevangelium ist bei den Seligpreisungen<br />
hingegen explizit von den geistlich Armen (Matthäus 5,3: „Selig, die arm<br />
sind vor Gott“) die Rede. Armut beschreibt also bei Matthäus eine geistliche<br />
Haltung, die vielleicht so definiert werden kann: Ich bin arm, weil ich weiß,<br />
dass ich in allem von Gott abhängig bin und mich demütig für sein Reich öffne.<br />
Materieller Reichtum steht dabei oft <strong>im</strong> Wege. Man richtet sich gemütlich auf<br />
der Erde ein und lässt es sich gut gehen. Mehr noch: Man wähnt sich einerseits<br />
unabhängig von Gott und verschließt sich andererseits vor den Nöten<br />
der Menschen. In dieser Perspektive kann auch Lukas 6 als Warnung an die<br />
Reichen gelesen werden. Das Lukasevangelium liefert dazu später anschauliche<br />
Negativ-Beispiele: Der reiche Kornbauer, der sinnlos für sich selbst spart<br />
(Lukas 12,16-21), oder der reiche, egoistische Mann <strong>im</strong> Gegensatz zum armen<br />
Lazarus (Lukas 16,19-31). Jesus zeigt seinen Jüngern damit deutlich, dass wir<br />
nicht die Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse hier und jetzt suchen sollen.<br />
Vielmehr wird <strong>im</strong> Verlauf des Lukasevangeliums klar, dass sich speziell<br />
Reiche – aber letztlich alle Menschen – den Armen zuwenden sollen. Jesus<br />
selbst macht in seinem Handeln deutlich, dass die Armenfürsorge hohe Priorität<br />
hat. Er heilt Kranke, sucht Unreine, Ausgeschlossene, Verachtete und<br />
Notleidende auf und führt sie zurück in die Gemeinschaft mit den Menschen<br />
und mit Gott. Er macht damit gerade für die sozial Schwächeren seiner Zeit<br />
bessere Lebensverhältnisse möglich.<br />
Noch einmal zurück zu Matthäus 5: Wir sollen hungern und dürsten nach<br />
Gerechtigkeit, wir sollen barmherzig sein und Frieden stiften. Und das kann<br />
einiges kosten!<br />
In Jesus zeigt Gott seine Gerechtigkeit<br />
durch seine Gnade, seine Barmherzigkeit<br />
und seine Vergebung. Trotz<br />
der manchmal scharfen Kritik Jesu an<br />
den Reichen gilt der Gnadenzuspruch<br />
natürlich nicht nur Frommen und<br />
Gerechten, sondern allen – sowohl<br />
den Armen als auch den Reichen.<br />
Auf diesen Zuspruch folgt aber<br />
auch ein Anspruch, der sich <strong>im</strong> Leben<br />
Jesu radikal zeigt. Wieder gilt er allen<br />
– Armen und Reichen. Er möchte,<br />
dass die Menschen, welche Gottes<br />
Barmherzigkeit erlebt haben, diese<br />
Barmherzigkeit aus Dankbarkeit teilen:<br />
„Seid barmherzig, wie es auch euer<br />
Vater ist!“ (Lukas 6,36). Besonders in<br />
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Sachen Armutsbekämpfung bedeutet das für uns privilegierte Menschen<br />
in Westeuropa eine große Verantwortung. Eine Verantwortung, die wir als<br />
Abbilder Gottes tragen gegenüber den Abbildern Gottes, die in Not geraten<br />
sind – um noch einmal auf 1. Mose/Genesis 1,26 zurückzukommen.<br />
Es ist manchmal nötig, dass uns gewisse Bibelstellen aus der Ruhe bringen,<br />
ansonsten tragen wir wohl zu dicke „Wohlstandsbrillen“. Wir müssen lernen,<br />
die Bibel auch gegen uns zu lesen. Der erste Schritt dazu ist, dass wir die über<br />
2.000 Bibelstellen zu Armut und Gerechtigkeit nicht überlesen. Gott hat sich<br />
speziell auf die Seite der Armen gestellt. Im nächsten Kursteil werden wir uns<br />
damit beschäftigen, welche Konsequenzen das für unseren Missionsauftrag<br />
hat.<br />
Diskussion<br />
Kurze Diskussion zu zweit und <strong>im</strong> Plenum:<br />
• Was hat mich besonders angesprochen?<br />
• Wo bin ich anderer Meinung?<br />
• Wo werde ich weiterdenken?<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Zum Weiterlesen<br />
• Wolfgang neuser, Armut und<br />
Reichtum in der Bibel, Seite 114<br />
• Andreas Kusch, Der Kampf<br />
gegen Armut und für mehr<br />
Gerechtigkeit, Seite 118<br />
• Paul Kleiner, Das Reich Gottes,<br />
Seite 122<br />
• Irgendeine Bibel aus deinem<br />
Bücherregal und die Auswahl<br />
von Bibelstellen zu Armut und<br />
Reichtum auf Seite 36<br />
• The Poverty & Justice Bible,<br />
Contemporary English Version,<br />
new York, 2008 (Eine deutsche<br />
Version ist in Entwicklung:<br />
www.micha-initiative.de.)<br />
• Faix, Tobias und Volke, Stephan<br />
(Hg.), WELTBLICK. Was Christen<br />
über Armut denken. Die<br />
Compassion-Studie, Schwarzenfeld,<br />
2010<br />
zum Weitersurfen lohnt sich ein<br />
Blick in unsere Link-Liste auf<br />
www.just-people.net.<br />
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35
36<br />
Just PEoPlE?<br />
Altes Testament<br />
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Auswahl von Bibelstellen zu Armut und<br />
Reichtum<br />
Hier findest du eine Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum. Die<br />
thematische Gliederung soll dabei nur ein Versuch sein, die vielseitige und<br />
differenzierte Beschäftigung der Bibel mit diesem Thema zum Ausdruck<br />
bringen. Da es sich um eine Auswahl handelt, fehlen sicherlich einige ganz<br />
wichtige und vor allem viele weitere Stellen, welche die Aussagen der aufgeführten<br />
Bibelstellen noch einmal bestätigen würden. Schon diese Auswahl<br />
zeigt aber sehr schön, wie wichtig in der Bibel das Thema Armut und Reichtum<br />
ist.<br />
Lass dich mitnehmen auf eine spannende Entdeckungsreise!<br />
Reichtum als Segen beziehungsweise gute Gabe Gottes:<br />
• 1.Mose 24,35; 26,12-14; 27,27-28; 30,27-30; 3. Mose 26,4-10; 5. Mose 8,18; 28,3-12; Hiob 1,3; 42,10-12;<br />
Psalm 65,10-14; 112,2-3; Sprüche 10,22<br />
Gesetze in den fünf Büchern Mose zugunsten der Armen:<br />
• 3. Mose 19,9-10: Bei der Ernte auch etwas den Armen überlassen<br />
• 2. Mose 22,20-24 (vgl. Maleachi 3,5): Arme – hier: Waisen, Witwen und Fremde – nicht ausnützen<br />
• 2. Mose 23,6: Das Recht der Armen nicht beugen<br />
• 3. Mose 25,10-16: Jubeljahr: alle erhalten nach 50 Jahren wieder ihren ursprünglichen Grundbesitz<br />
• 5. Mose 14,28-29: Den zehnten alle drei Jahre an die Armen geben<br />
• 5. Mose 15,1-5: Erlassjahr: alle sieben Jahre ein Schuldenerlass<br />
• 5. Mose 24,17-18: Armenrecht<br />
Gebete von Hiob und in den Psalmen*:<br />
• Psalm 9,10; 10,18; 22,25: Gott hört das Schreien der Armen<br />
• Psalm 12,6; 22; 38; 55: Schilderung u.a. sozialer not<br />
• Psalm 41,2; 146,6-9: Wohl dem, der sich des Schwachen ann<strong>im</strong>mt…<br />
• Psalm 49; 73: Gesellschaftskritik<br />
• Psalm 72: Der König als Retter der Armen<br />
• Psalm 146: Gott als Beschützer der Armen<br />
• Hiob 24,2-5: Klage über die Gottlosen und das Leiden der Armen<br />
• Hiob 29,12-16: Gerechtigkeit bedeutet Armenfürsorge<br />
Weisheits-Sprüche über Armut und Reichtum:<br />
• Sprüche 30,8-9: Gib mir weder Armut noch Reichtum<br />
• Sprüche 6,6-8; 10,4; 12,11; 19,15; 21,17; 23,20-21; 24,30-34; 28,19: Auflistung von Gründen für eine mögliche<br />
Selbstverschuldung der Armut<br />
• Sprüche 14,31; 19,17; 28,27: Argumente für die Armenfürsorge<br />
• Sprüche 22,9: Wohlstand bringt Verantwortung<br />
• Sprüche 22,22-23: Gott streitet für die Armen<br />
Prophetische Reichtums- und Sozialkritik und Aufforderung zu Armenfürsorge:<br />
• Jesaja 5,8-9: Weh euch, die ihr Haus an Haus reiht…<br />
• Jesaja 58,6-8: Das wahre Fasten<br />
• Jeremia 5,27; 22,3-17; Hesekiel 45,9; Amos 2,6-8; 3,9-10; 5,10-15; 6,1-12: Ungerechtigkeit der Reichen und<br />
Mächtigen<br />
• Micha 2-3: Gegen die Habsüchtigen und Rechtsbrecher<br />
• Micha 6,8: Recht, Güte, Treue und Ehrfurcht<br />
* In einigen (weiteren) Psalmen beschreibt Armut auch eine Haltung der Demut gegenüber Gott.<br />
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(Prophetische) Verheißungen zugunsten der Armen:<br />
• 2. Mose 3,7-8: Gott sieht die not seines Volkes und reagiert darauf<br />
• Jesaja 11,1-5: Der Messias der Gerechtigkeit<br />
• Jesaja 61,1-3: Eine frohe Botschaft für die Armen<br />
neues Testament<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Jesus als Armer:<br />
• Lukas 2: Die Geburt Jesu in ärmsten Verhältnissen<br />
• Lukas 9,58: Der Menschensohn hat keinen ort, wo er sein Haupt hinlegen kann<br />
Jesus für die Armen und die Umkehrung der Verhältnisse:<br />
• Lukas 1,46-55: Der Lobgesang der Maria<br />
• Lukas 4,16-21: … damit ich den Armen eine gute nachricht bringe<br />
• Lukas 6,20-26: Seligpreisung der Armen (vgl. auch die Seligpreisungen in Matthäus 5,3-12)<br />
• Lukas 16,1-31: Der reiche Mann und der arme Lazarus<br />
• Jakobus 1,9-11: Der Arme darf sich rühmen, der Reiche wird vergehen<br />
Aufforderung, alles zu verlassen/zu verkaufen (und den Armen zu geben):<br />
• Lukas 9,1-6;23-27;57-62; 10,1-12; 14,25-27: nachfolge bedeutet, alles zu verlassen<br />
• Lukas 12,33: Aufforderung an die Jünger, alles zu verkaufen und Almosen zu geben<br />
• Markus 12,41-44: Das Scherflein der Witwe<br />
• Lukas 18,18-30, Matthäus 19,16-30, Markus 10,17-31: Der reiche Jüngling<br />
• 1. Korinther 13,3: ohne Liebe bringt es auch nichts, seine ganze Habe den Armen zu geben<br />
Reichtumskritik und Warnung vor der Habgier:<br />
• Matthäus 6,19-24: Mammon oder Gott<br />
• Lukas 12,13-34: Der reiche Kornbauer, falsches und rechtes Sorgen<br />
• Lukas 16,1-31: Der kluge Verwalter, der rechte Gebrauch des Reichtums, der reiche<br />
Mann und der arme Lazarus<br />
• Jakobus 4,13-5,6: negativbeispiele von Geschäftsmachern und Reichen<br />
• Römer 1,29; 1. Korinther 5,10-11; 6,10; Kolosser 3,5; 1. Thessalonicher 2,5; 4,6;<br />
1. T<strong>im</strong>otheus 6,6-11: Warnung vor der Habgier<br />
Aufforderung zur Nächstenliebe und Armenfürsorge (innerhalb und außerhalb der Gemeinde):<br />
• Matthäus 25,31-46: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt…<br />
• Lukas 3,10-14: Predigt des Täufers<br />
• Lukas 6,27-38: Bedingungslose Barmherzigkeit<br />
• Lukas 10,25-37: Der barmherzige Samariter<br />
• Lukas 14,12-14: Das Gastmahl für die Armen<br />
• Apostelgeschichte 20,35: Geben ist seliger denn nehmen<br />
• Römer 15,25-28; 1. Korinther 16,1-4; 2. Korinther 8-9: Kollektensammlung für<br />
die verarmte Gemeinde in Jerusalem<br />
• 1. Korinther 11,17-34: (Un)soziales Verhalten bei der Abendmahlsfeier<br />
• 1. Johannes 3,17-18: Gottesliebe führt zu Armenfürsorge<br />
• Jakobus 2: Unparteilichkeit, nächstenliebe, Barmherzigkeit<br />
Positivbeispiele von Reichen:<br />
• Lukas 19,1-10: zachäus<br />
• Apostelgeschichte 9,36; 10,2: Tabita und Cornelius als großzügige Reiche<br />
Immaterieller Reichtum:<br />
• Römer 2,4; Epheser 1,7: „Reichtum Gottes“ als Ausdruck des Ausmaßes der Gnade und Güte Gottes<br />
• Lukas 12,21; Jakobus 2,5: Reich-Sein (<strong>im</strong> Glauben) vor Gott<br />
Weitere:<br />
• Lukas 22,35-38: Geldbeutel behalten angesichts der kommenden Bedrängnis<br />
• 1. Thessalonicher 4,11-12: Mit eigenen Händen arbeiten, um auf niemanden angewiesen zu sein<br />
• 2. Thessalonicher 3,10b: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen<br />
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Just PEoPlE?<br />
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Definitionen von Armut und Reichtum<br />
„Armut“ und „Reichtum“ sind umfassende und vielseitig verwendete Begriffe.<br />
Da wir diese Begriffe <strong>im</strong> Kurs ständig verwenden, wollen wir euch zwei Vorschläge<br />
für die Definitionen machen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit<br />
erheben. Sie sind auf jeden Fall ergänzungsbedürftig. Wenn wir <strong>im</strong> Kurs<br />
allerdings von Armut und Reichtum sprechen, haben wir diese Definitionen<br />
<strong>im</strong> Hinterkopf. 1<br />
Eigene Defintionen:<br />
Armut<br />
Allgemeine Definition:<br />
Bei der Abgrenzung des Begriffs „Armut“ gehen die Meinungen weit auseinander<br />
– je nachdem, in welchem Zusammenhang er gebraucht wird. Möchte<br />
man Armut messen und vergleichen, steht meistens das Einkommen von<br />
Menschen <strong>im</strong> Mittelpunkt. Aber materielle Armut hängt von vielen anderen<br />
Faktoren ab. So kann man beispielsweise als Selbstständige/r durchaus<br />
genügend Nahrung, Kleidung und eine vernünftige Unterkunft besitzen,<br />
ohne dass man über ein regelmäßiges Einkommen verfügt.<br />
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich aber <strong>im</strong>mer mehr ganzheitliche<br />
Ansätze durchgesetzt, die auch zu erklären versuchen, welche Strukturen<br />
und Prozesse zu Armut führen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />
Nationen UNDP definierte 1997 Armut wie folgt:<br />
„Armut manifestiert sich in den Entbehrungen, die das Leben der Menschen<br />
best<strong>im</strong>men. Armut bedeutet häufig nicht nur das Fehlen notwendiger Vor-<br />
1 Hochstrasser, Stefan, „Selig ihr Armen – wehe euch, ihr Reichen“ (Lk 6,20.24) – Armut<br />
und Reichtum in neutestamentlicher Perspektive, Masterarbeit an der Universität<br />
Bern, 2009.<br />
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aussetzungen für materielles Wohlbefinden, sondern auch die Vorenthaltung<br />
von Chancen auf ein erträgliches Leben. (...) Entscheidend sind die Möglichkeiten,<br />
ein gesundes Leben zu führen, Bildung zu erwerben und einen<br />
angemessenen Lebensstandard zu genießen. Sie werden ergänzt durch politische<br />
Freiheiten, garantierte Menschenrechte und verschiedene Elemente<br />
der Selbstachtung.“ 2<br />
Andere Ansätze gehen noch weiter und suchen die Wurzel von Armut in<br />
Beziehungen und Machtverhältnissen: „Armut und die Armen kann man nur<br />
verstehen, wenn man die Beziehungen zwischen den Armen und den Nicht-<br />
Armen klar <strong>im</strong> Auge behält“ 3 , schreibt beispielsweise Bryant Myers. In seinem<br />
Buch „Walking with the Poor“ entwickelt er solche relationalen Armutsansätze<br />
noch weiter und betont, dass auch eine gestörte Gottesbeziehung ein<br />
Aspekt von Armut ist. In christlichen Entwicklungsprojekten spielen diese<br />
Ideen eine entscheidende Rolle.<br />
In der politischen Diskussion geht es aber zumeist nach wie vor um Einkommensarmut.<br />
Dabei gilt der als relativ arm, der mit seinen Einkünften unterhalb<br />
einer best<strong>im</strong>mten Prozentzahl des Durchschnittseinkommens liegt. 4<br />
Hier kommt es also auf die Verteilung des Reichtums in einem Land an. Als<br />
absolute Armut wird hingegen ein Zustand bezeichnet, in dem man keinen<br />
Zugang zu lebenswichtigen Gütern besitzt. Die internationale Armutsgrenze<br />
lag über Jahre bei 1 US-Dollar pro Tag, 2008 wurde die Grenze von der Weltbank<br />
auf 1,25 US-Dollar korrigiert. Trotz ihrer Schwächen hat eine solche<br />
Grenze den Vorteil, weltweite Ungleichheit sichtbar zu machen. Deshalb hat<br />
diese Armutsgrenze auch Eingang in die Millenniumsziele gefunden.<br />
In diesem Kurs geht es um Menschen, deren Armut von existenzieller Bedrohung<br />
ist. Damit sind besonders jene Menschen gemeint, die mit weniger als<br />
1,25 US-Dollar pro Tag leben müssen, also unterhalb der internationalen<br />
Armutsgrenze liegen. Allerdings sollte es für uns als Christen das Ziel sein,<br />
Armut ganzheitlich zu begegnen, damit mehr Leute ihre gottgegebene Menschenwürde<br />
erkennen und erfahren dürfen.<br />
Biblische Sicht: 5<br />
Armut ist überall in der Bibel präsent. Es gibt in der Bibel <strong>im</strong> Hebräischen<br />
und Griechischen mehrere Begriffe für Armut. Meistens ist dort materielle<br />
Armut gemeint. Allerdings können die eben genannten ganzheitlichen<br />
Armutsansätze sicherlich auch auf die Situation der Armen in der Bibel übertragen<br />
werden. Für Arme gibt es in der Bibel viele Synonyme: Waisen und<br />
Witwen, Fremde (als weitgehend Chancen- und Rechtlose in der damaligen<br />
Zeit, vgl. 2. Mose 22,20-22; Maleachi 3,5), Schwache (Psalm 12,6), Gebeugte<br />
oder Unterdrückte (Psalm 72; Hiob 24,4) und so weiter. Gerade hinter Klagepsalmen<br />
steht oft schwere materielle Armut (Psalm 22). In einigen Psalmen<br />
oder in der berühmten Stelle Matthäus 5,3 („Selig die geistlich Armen“)<br />
kann Armut allerdings auch eine (Armuts)Haltung gegenüber Gott beschreiben:<br />
Die Armen sind in diesem Kontext die bescheidenen Frommen oder <strong>im</strong><br />
Falle der Psalmen sogar das fromme Gottesvolk. Die Bibelstellen mit diesem<br />
2 UnDP, Bericht über die menschliche Entwicklung, Bonn, 1997.<br />
3 Eigene Übersetzung nach: Myers, Bryant, Walking with the Poor. Principles and Practices<br />
of Transformational Development, World Vision International, new York, 1999.<br />
4 In Deutschland und der Schweiz liegt die relative Armutsgrenze bei 50 Prozent des<br />
Durchschnittseinkommens des jeweiligen Landes.<br />
5 Die genannten Bibelstellen sind lediglich eine kleine Auswahl.<br />
EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
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Just PEoPlE?<br />
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Armutsansatz sind aber klar in der Minderheit.<br />
Materielle Armut wird nur bei der Aussendung der Jünger (Lukas 9,1-6)<br />
explizit als Bedingung genannt. Ansonsten wird in der ganzen Bibel deutlich,<br />
dass materielle Armut ein Übel und daher zu bekämpfen ist. So zieht sich die<br />
Aufforderung zur Armenfürsorge durch die ganze Bibel (5. Mose 24,17-18;<br />
Sprüche 14,31; Jesaja 58,6-8; Matthäus 25,31-46; Lukas 14,12-14; 1. Johannes<br />
3,17-18). Deutlich ist die besondere Zuwendung Gottes zu den Armen (Exodus<br />
3,7; 22,21-23; Lukas 6,20-22; Jakobus 2,5). Gerade die alttestamentlichen<br />
Propheten ergriffen deshalb <strong>im</strong>mer wieder Partei für die Armen (Amos 2,6-8;<br />
Jesaja 61,1-3). „Prototyp“ eines absolut Armen in der Bibel ist beispielsweise<br />
Lazarus in Lukas 16,19-31.<br />
Reichtum<br />
Allgemeine Definition:<br />
Das Wort „Reichtum“ bezieht sich auf die Verfügbarkeit von materiellen oder<br />
<strong>im</strong>materiellen Gütern. Reichtum lässt sich also nicht auf materielle Güter<br />
reduzieren. So kann sich auch ein materiell armer Mensch als reich betrachten,<br />
sofern er glücklich ist. Obwohl in diesem Kurs grundsätzlich der materielle<br />
Reichtum in Form von Geld und Besitz (beziehungsweise Ressourcen)<br />
<strong>im</strong> Vordergrund steht, darf der <strong>im</strong>materielle Reichtum natürlich nicht außer<br />
Acht gelassen werden. Natürlich gibt es unterschiedliche Möglichkeiten,<br />
Reichtum von Armut abzugrenzen. In der Diskussion zum Begriff „Armut“<br />
sind wir näher darauf eingegangen.<br />
Biblische Sicht: 6<br />
Es gibt zwar keine unterschiedlichen Begriffe in der Bibel für Reichtum,<br />
aber wir können aus dem jeweiligen Zusammenhang drei unterschiedliche<br />
Bedeutungen ableiten:<br />
• selten als Ausdruck des Ausmaßes der Gnade und Güte Gottes gegenüber<br />
den Menschen (Römer 2,4; Epheser 1,7),<br />
• selten als „Reich-Sein“ (<strong>im</strong> Glauben) vor Gott (Jakobus 2,5; Lukas<br />
12,21), 7<br />
• oft als Begriff für großen materiellen Besitz. Dabei wird der Reichtum<br />
<strong>im</strong> Alten Testament zunächst als Segen – beziehungsweise gute Gabe<br />
Gottes – betrachtet (Genesis 24,35; Hiob 42,10). Allerdings sind die Reichen<br />
auch regelmäßige Adressaten der Kritik der Propheten, da sie als<br />
Reiche die Armen unterdrücken (Jesaja 5,8; Jeremia 5,27; Hesekiel 45,9;<br />
Amos 3,9-10; Maleachi 3,5). Im Neuen Testament wird der materielle<br />
Reichtum meist negativ bewertet. Die Reichen müssen zuweilen pauschal<br />
Kritik einstecken (Lukas 6,24-26; Jakobus 1,9-11) und werden besonders<br />
herausgefordert (Lukas 12,16-21; 18,18-27). Allerdings sind sie auch<br />
Adressaten der liebevollen Zuwendung Jesu (Lukas 19,1-10) und können<br />
durchaus als Vorbilder genannt werden, sofern sie großzügig abgeben<br />
(Apostelgeschichte 10,2).<br />
6 Und wieder: Die genannten Bibelstellen lediglich eine kleine Auswahl.<br />
7 Wolter, Michael, Der Reichtum Gottes, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 21,<br />
neukirchen-Vluyn, 2007, 145-160.<br />
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EInFACH ÜBERLESEn? 2: BIBEL<br />
Angepackt!<br />
Bis zur Kurseinheit 3 nehme ich mir vor:<br />
• Ich überlese nicht, sondern streiche an! Bei der persönlichen<br />
Bibellektüre markiere ich Verse zu Armut und Gerechtigkeit mit<br />
derselben Farbe.<br />
•<br />
•<br />
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Just PEoPlE?<br />
Notizen<br />
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KURSEInHEIT 3:<br />
EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
MIssIoN – EInFACH<br />
PREDIGEn?<br />
Darum geht’s: Mission bezieht in der Bibel alle Aspekte des Lebens ein,<br />
sie ist integral.<br />
Genauer gesagt:<br />
• Mission: Das Herzensanliegen eines Menschen<br />
• Vorstellungen in Gemeinden von ihrer Mission: zwischen Wortverkündigung<br />
und sozialem Engagement<br />
•<br />
Micha-Erklärung: Integrale Mission versucht, allen Aspekten von<br />
Mission gerecht zu werden, also das Evangelium zu predigen und<br />
praktisch umzusetzen.<br />
• Mission <strong>im</strong> christlichen Sinne fragt nach Gottes Mission.<br />
• Biblische Beispiele für integrale Mission: Auszug aus Ägypten, der<br />
Prophet Micha (6,8), die Geschichte vom barmherzigen Samariter<br />
(Lukas 10,25-37) sowie Jesu Tod und Auferstehung<br />
• Integrale Mission als Grundhaltung und Lebensprojekt kann nur als<br />
Gemeinde umfassend gelebt werden!<br />
Fragen, die wir stellen: Wie verstehe ich Mission? Und wie meine Gemeinde?<br />
Warum wird Mission so unterschiedlich definiert? Wie kann ich<br />
von Situation zu Situation zum nächsten werden? Was bedeutet integrale<br />
Mission für die Gemeinde?<br />
So machen wir’s:<br />
• Rollenspiel „Gemeindeleitung“<br />
• Brainstorming zu Mission<br />
• Referat mit Diskussion<br />
• Formulierung des eigenen Missionsverständnisses<br />
• „Kleiner Lebenstest“<br />
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43
44<br />
Just PEoPlE?<br />
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Rollenspiel „Gemeindeleitung“<br />
Ausgangssituation: Eine Gemeindeleitung trifft sich zu einer Sitzung<br />
und diskutiert darüber, ob sie einen Just People?-Kurs in der Gemeinde<br />
starten soll oder nicht.<br />
Der Pfarrer/Prediger und „Vermittler“*: Er leitet die Sitzung und ist<br />
selbst am Kurs interessiert, weiß aber nicht so recht, ob er damit in<br />
der Gemeinde ankommt. Dass es in der Bibel viel um (soziale) Gerechtigkeit<br />
geht, ist ihm jedenfalls bewusst. Er ringt selbst mit der Frage,<br />
was dies für sein persönliches Leben, für das Gemeindeleben und für<br />
das politische und gesellschaftliche Engagement zu bedeuten hat. nun<br />
ist er gespannt, was die anderen der Gemeindeleitung über den Just<br />
People?-Kurs denken. Außerdem will er versuchen, bei Meinungsverschiedenheiten<br />
zu vermitteln.<br />
„Der Evangelist“: Er betont die Wortverkündigung. Ihm geht es darum,<br />
dass sich so viele Menschen wie möglich bekehren: Ein Gemeindekurs<br />
bringt nur dann etwas, wenn Menschenseelen gerettet werden.<br />
Alles andere ist zeitverschwendung. Er wurde in einer eher armen<br />
Familie auf dem Land groß und hat selbst hart für seinen Lebensunterhalt<br />
arbeiten müssen. Seine Überzeugung: Wer ehrlich und hart<br />
arbeitet (und natürlich täglich betet), der bekommt auch genug zum<br />
Leben. Das weiß er aus eigener Erfahrung.<br />
„Der Seelsorger“: Er fragt sich, ob momentan der richtige zeitpunkt<br />
für einen solchen Kurs ist, denn viele Gemeindeglieder schlagen sich<br />
mit persönlichen Problemen herum und brauchen deswegen Hilfe.<br />
Daher findet er es wichtiger, den Fokus mehr auf die Seelsorge zu<br />
richten. Die Gemeindeglieder brauchen Ermutigung und ein solcher<br />
Kurs führt wohl eher zu einem schlechten Gewissen.<br />
„Der Soziale“: Er will bedürftigen Menschen helfen so gut er kann.<br />
Die Gemeinde soll ein ort sein, an dem man Solidarität und praktische<br />
nächstenliebe lebt. Er selbst hatte das Privileg, in einem reichen<br />
Umfeld aufzuwachsen und will von seinem Glück etwas zurückgeben.<br />
Es wäre genial, wenn die Gemeinde den Armen mehr praktisch dienen<br />
könnte, aber der politische Aspekt des Kurses macht „dem Sozialen“<br />
Bauchschmerzen. Es ist nicht Aufgabe der Kirche, sich politisch zu engagieren!<br />
Und sowieso: Die Probleme der Welt sind schlicht unlösbar.<br />
„Der Eine-Welt-Aktivist“: Die soziale Ungerechtigkeit in der Welt<br />
macht ihn wütend! Er findet, dass sich viele in der Gemeinde kaum um<br />
die Armutsbekämpfung kümmern. Die Gemeinde ist für ihn eigentlich<br />
ein „Wohlfühl-Club“ von Leuten aus der Mittelschicht. Er selbst zitiert<br />
gerne die provokanten Verse von Amos, Jesus oder Jakobus: Wenn<br />
man schon die Bibel wörtlich nehmen will, dann muss sich das auch in<br />
der Gemeinde zeigen. Dazu gehört einerseits die nächstenliebe, aber<br />
andererseits auch das politische Engagement. Es dürfen nicht nur<br />
Symptome bekämpft werden – die Probleme müssen vielmehr strukturell<br />
von der Wurzel her gelöst werden.<br />
Der Pfarrer/Prediger eröffnet die Sitzung:<br />
„Ich möchte mit euch darüber diskutieren, ob wir Just People? in unserer<br />
Gemeinde durchführen sollen. Was meint ihr?“<br />
* natürlich dürfen sich Frauen und Männer gleichermaßen angesprochen fühlen.<br />
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Referat 3:<br />
Mission – einfach predigen?<br />
Wer hat eigentlich welche Mission?<br />
„Mission“ – dieser Begriff hat eine lange Wirkungsgeschichte. In den Gemeinden<br />
spricht man bis heute davon, „in die Mission zu gehen“. Die Missionare<br />
werden dazu von einer Gemeinde in ein fernes Land ausgesandt.<br />
Das Wort „Mission“ kommt vom lateinischen Verb mittere‚ was mit „entsenden,<br />
schicken“ übersetzt werden kann. Mission bedeutet also <strong>im</strong> ursprünglichen<br />
Wortsinn: Jemand wird mit einem best<strong>im</strong>mten Auftrag „ausgesandt“.<br />
Heute kann allerdings generell gesagt werden: Jeder Mensch hat eine Mission.<br />
Inhalt seiner Mission ist sein Herzensanliegen – also das, was er in seinem<br />
Umfeld bewirken und wie er die Welt verändern will. Im Brainstorming<br />
zu Mission sind die unterschiedlichen Aspekte von Mission und vielfältigen<br />
Missionsverständnisse deutlich hervorgetreten.<br />
Auch jede Gemeinde oder christliche Organisation fragt sich: Was ist<br />
unsere Mission? Vielleicht verwenden nicht alle den Begriff Mission, aber es<br />
ist wichtig, sich über seinen Auftrag klar zu werden. 1<br />
Schauen wir kurz zurück auf das Rollenspiel: In dieser Gemeindeleitung ist<br />
der Konflikt unvermeidbar. Die verschiedenen Mitglieder der Gemeindeleitung<br />
– „der Evangelist“, „der Seelsorger“, „der Soziale“ und „der Eine-Welt-<br />
Aktivist“ – brennen für unterschiedliche Themen und setzen deshalb unterschiedliche<br />
Schwerpunkte innerhalb der Gemeinde-Mission. Der Evangelist<br />
könnte zum Beispiel sagen: „Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt und<br />
wenn wir uns zu sehr sozial engagieren, dann leidet unsere wichtigste Mission:<br />
Menschen zu bekehren.“ 2 Und sofort bricht eine heftige Diskussion los,<br />
die sich letztlich um das Verhältnis von Wortverkündigung und sozialem<br />
Engagement dreht.<br />
Bevor wir uns in diese Diskussion einschalten, hier zunächst ein paar Fragen,<br />
über die jede und jeder für sich kurz nachdenken sollte:<br />
• Wie wird in meiner Gemeinde/unseren Gemeinden über Mission gesprochen?<br />
Gibt es eine Definition oder eine wichtige Bibelstelle für das Missionsverständnis<br />
meiner Gemeinde/unserer Gemeinden?<br />
• Zeigt sich unsere Mission in den Gemeindeprogrammen und -aktivitäten?<br />
• Oder falls kein „offizielles Missionsverständnis“ bekannt ist: Wenn ich<br />
die Gemeindeprogramme und -aktivitäten anschaue: Welches Missionsverständnis<br />
steht unbewusst dahinter?<br />
Warum wird Mission so unterschiedlich definiert? Auch das Rollenspiel hat<br />
eben gezeigt: Da gibt’s völlig unterschiedliche Missionsverständnisse. Eine<br />
1 Von McDonald’s (vgl. McDonalds Mission Statement, http://www.samples-help.<br />
org.uk/mission-statements/mcdonalds-mission-statement.htm, 14.04.2010) bis<br />
Amnesty International (vgl. Amnesty International’s Mission Statement, http://www.<br />
uoregon.edu/~amnesty/mission.html, 14.04.2010) haben heute sogar viele säkulare<br />
Firmen ein Mission Statement.<br />
2 Vgl. die Anleitung zum Untätigsein auf Seite 24.<br />
EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
Jeder Mensch hat<br />
eine Mission. Inhalt<br />
seiner Mission ist<br />
sein Herzensanliegen<br />
– also das,<br />
was er in seinem<br />
Umfeld bewirken<br />
und wie er die Welt<br />
verändern will.<br />
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46<br />
Just PEoPlE?<br />
Wozu soll man sich<br />
überhaupt sozial<br />
engagieren? Die<br />
Welt wird ja eh<br />
nicht besser!<br />
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zentrale Frage dabei lautet: In welchem Verhältnis stehen Wortverkündigung<br />
und soziales Engagement? Nicht von ungefähr waren <strong>im</strong> Rollenspiel<br />
die Konflikte zwischen „dem Evangelisten“ und „dem Sozialen“ beziehungsweise<br />
„dem Eine-Welt-Aktivisten“ am stärksten.<br />
Der Text in diesem Kasten bietet einen sehr kurzen historischen Überblick zur<br />
Diskussion um das Verhältnis von Wortverkündigung und sozialem Engagement<br />
<strong>im</strong> 20. Jahrhundert aus Sicht des Theologen John Stott. Er enthält<br />
daher interessante Zusatzinformationen, die man an dieser Stelle einfließen<br />
oder weglassen kann.<br />
Die Diskussion um das Verhältnis von Wortverkündigung<br />
und sozialem Engagement <strong>im</strong> 20. Jahrhundert<br />
Auch theoretisch haben sich Theologen <strong>im</strong>mer wieder damit beschäftigt,<br />
wie Wortverkündigung und soziales Engagement zueinander stehen oder<br />
stehen sollten. Einer dieser Theologen ist der Brite John Stott. Im ersten<br />
Band seiner Buchreihe „Christsein in den Brennpunkten unserer Zeit“<br />
schreibt er, dass in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts das<br />
soziale Engagement bei den Evangelikalen stark abgenommen habe. 3<br />
Eines vorweg: Natürlich sind die Begriffe „evangelikal“ auf der einen<br />
Seite und „liberal“ auf der anderen Seite problematisch. Dadurch kann<br />
ein gefährliches Schubladendenken entstehen, das dem einzelnen Menschen<br />
und seinem Glauben natürlich nicht gerecht wird. Evangelikal und<br />
liberal zeigen aber Tendenzen auf und können deshalb helfen, Entwicklungen<br />
besser zu verstehen und einzuordnen.<br />
Stott nennt für die Abnahme des sozialen Engagements bei den Evangelikalen<br />
folgende Gründe:<br />
• Die Konzentration auf den Kampf gegen die liberale Theologie:<br />
Die liberale Theologie kritisierte gewisse überlieferte Glaubensgrundlagen<br />
und fragte zum Beispiel, was an der Bibel historisch überhaupt<br />
glaubwürdig sei. Zudem wollten einige liberale Theologen allein durch<br />
soziales Engagement sprichwörtlich den H<strong>im</strong>mel auf Erden errichten:<br />
Sie betrachteten das Reich Gottes als das ideale menschliche Zusammenleben,<br />
das der Mensch hier und jetzt selbst verwirklichen kann.<br />
Die Menschen an sich sind nicht verloren und müssen deshalb auch<br />
nicht errettet werden. Wie reagierten die Evangelikalen darauf? Sie<br />
verteidigten ihre Glaubensüberzeugungen und konzentrierten sich<br />
aufs Predigen und Bekehren von Menschen. Dabei vernachlässigten sie<br />
aber das soziale Engagement.<br />
• Der Pess<strong>im</strong>ismus nach dem 1. Weltkrieg: Der 1. Weltkrieg hatte das<br />
Böse <strong>im</strong> Menschen einmal mehr offenbart. Eine große Ernüchterung<br />
machte sich breit, die auch bei den Evangelikalen zur Ansicht führte<br />
oder diese erst recht verstärkte: Wozu soll man sich überhaupt sozial<br />
engagieren? Die Welt wird ja eh nicht besser!<br />
• Der Einfluss eines best<strong>im</strong>mten Endzeitglaubens: Viele Christen<br />
glaubten und glauben, dass Jesus bald wiederkommt und durch ihn<br />
die Welt dann sowieso neu erschaffen wird. Ist es da nicht sinnlos, sich<br />
„jetzt noch“ für eine bessere Welt einzusetzen? Lieber so viele Men-<br />
3 Vgl. Stott, John, Christsein in den Brennpunkten unserer Zeit. Bd. 1: … in einer nichtchristlichen<br />
Gesellschaft, Marburg, 1987, 17-24.<br />
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schen wie möglich durch Wortverkündigung „aus dem sinkenden<br />
Schiff“ retten!<br />
• Das Aufkommen der Mittelschicht: Das soziale Engagement nahm<br />
auch ab, weil das Christentum <strong>im</strong> 20. Jahrhundert in den westlichen Ländern<br />
zu einer Bewegung der Mittelschicht wurde. Dies sieht man heute<br />
unter anderem anhand der durchschnittlichen Gemeindestruktur: 4<br />
Nur wenig arme Menschen verirren sich in die Kirchen des Westens.<br />
So weit, so gut. Es stellt sich aber die Frage: Ist die Problematik zwischen<br />
Wortverkündigung und sozialem Engagement erst <strong>im</strong> 20. Jahrhundert aufgetreten?<br />
War das vorher gar kein Thema? Sicherlich schon. Man könnte<br />
auch gut und gerne 2.000 Jahre Kirchengeschichte daraufhin untersuchen,<br />
aber die angesprochenen Entwicklungen <strong>im</strong> 20. Jahrhundert sind<br />
für unsere heutige Situation am ehesten aufschlussreich.<br />
Natürlich können Stotts Gründe kritisch hinterfragt werden – schon<br />
deshalb, weil er sehr komplexe Zusammenhänge vereinfacht darstellt.<br />
Unterm Strich hat er aber wohl recht, dass diese Faktoren bis heute in der<br />
evangelikalen Welt nachwirken. Gerade der letzte Punkt mit dem Aufkommen<br />
der Mittelschicht: Könnte dieser nicht unsere „Wohlstandsbrille“<br />
aus dem letzten Referat erklären? Oft ist Armut bei uns vor allem <strong>im</strong> geistlichen<br />
Sinne ein Thema.<br />
Auch auf verschiedenen Weltmissionskongressen <strong>im</strong> 20. Jahrhundert wurde<br />
das Verhältnis von Wortverkündigung und sozialem Engagement <strong>im</strong>mer<br />
wieder diskutiert. Unter anderem rief man dazu auf, Jesus „radikal“ 5 nachzufolgen<br />
und sein ganzes Leben als Mission zu begreifen. Wortverkündigung<br />
und soziales Engagement haben eine gemeinsame Quelle: das eine, ganze<br />
Evangelium. Diese Weltmissionskongresse haben einen Prozess mit nachhaltiger<br />
Wirkung ausgelöst. 6<br />
Wir lesen und behandeln jetzt einen kleinen Ausschnitt aus der Micha-<br />
Erklärung 7 . Sie steht in dieser Tradition von einer evangelikalen 8 Suche nach<br />
Ganzheitlichkeit. In der Erklärung wird ein Begriff eingeführt, der auch für<br />
Just People? grundlegend ist: „integrale Mission“.<br />
Die Micha-Erklärung zur integralen Mission<br />
Im ersten Abschnitt der Micha-Erklärung steht (jede und jeder liest für sich):<br />
Integrale Mission oder ganzheitliche Veränderung ist die Verkündigung<br />
und praktische Umsetzung des Evangeliums. Dies bedeutet nicht einfach,<br />
dass Evangelisation und soziales Engagement parallel erfolgen sollten.<br />
Vielmehr hat unsere Verkündigung bei integraler Mission soziale Kon-<br />
4 Dies allein wäre eine interessante Diskussion: Warum und wie wurde das Christentum<br />
mehrheitlich zu einer „Mittelschichts-Bewegung“?<br />
5 „Radikal“ kommt übrigens vom lateinischen radix, was Wurzel bedeutet. Radikal<br />
nachzufolgen bedeutet demnach, „verwurzelt“ <strong>im</strong> Leben und Wirken Jesu zu sein.<br />
6 Vgl. Hardmeier, Roland, Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis,<br />
Schwarzenfeld, 2009, vii.<br />
7 Die Erklärung ist die Grundlage der Kampagne Micah Challenge und von über 300<br />
weiteren christlichen Hilfswerken, die sich <strong>im</strong> weltweiten Micha-netzwerk zusammengeschlossen<br />
haben. Website des netzwerkes: www.micahnetwork.org.<br />
8 natürlich sind die Begriffe „evangelikal“ auf der einen Seite und „liberal“ auf der<br />
anderen Seite problematisch. Dadurch kann ein gefährliches Schubladendenken<br />
entstehen, das dem einzelnen Menschen und seinem Glauben natürlich nicht gerecht<br />
wird. Evangelikal und liberal zeigen aber Tendenzen auf und können deshalb<br />
helfen, Entwicklungen besser zu verstehen und einzuordnen.<br />
EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
Wortverkündigung<br />
und soziales<br />
Engagement haben<br />
eine gemeinsame<br />
Quelle: das eine,<br />
ganze Evangelium.<br />
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47
48<br />
Just PEoPlE?<br />
Es geht nie um<br />
meine Mission,<br />
sondern <strong>im</strong>mer um<br />
Gottes Mission.<br />
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sequenzen, weil wir Menschen zu Liebe und Umkehr in allen Lebensbereichen<br />
aufrufen. Ebenso hat unser soziales Engagement evangelistische<br />
Konsequenzen, da wir die umwandelnde Gnade Jesu Christi bezeugen.<br />
Die Welt zu ignorieren ist Verrat am Wort Gottes, das uns zum Dienst in<br />
der Welt beauftragt. Wenn wir das Wort Gottes ignorieren, haben wir der<br />
Welt nichts zu geben. Gerechtigkeit und die Rechtfertigung durch den<br />
Glauben, Anbetung und politische Aktion, geistliche und materielle, persönliche<br />
und strukturelle Veränderung gehören zusammen. Wie wir es <strong>im</strong><br />
Leben Jesu sehen können, ist die Verknüpfung von Sein, Tun und Reden<br />
das Herz ganzheitlicher Mission. 9<br />
Die Micha-Erklärung stellt nicht die einzig mögliche Definition von Mission<br />
dar – sie ist nur einer von vielen Versuchen, Mission auf biblischer Basis zu<br />
begründen. Wir müssen <strong>im</strong>mer wieder über Mission nachdenken, denn in<br />
der Bibel steht kein Vers, der alle Missionsaspekte in sich vereint. Es gibt aber<br />
viele verschiedene Verse, die etwas über Mission sagen. 10<br />
Bevor wir jedoch die Bibel öffnen, noch etwas ganz Wichtiges: Wenn wir<br />
über Mission nachdenken, suchen wir nach der „Mission Gottes“, nach Gottes<br />
Anliegen für unsere Welt. Dieser Mission Gottes wollen wir uns anschließen.<br />
Das heißt: Es geht nie um meine Mission, sondern <strong>im</strong>mer um Gottes<br />
Mission.<br />
Wir werden jetzt gleich ein konkretes Missionsprojekt Gottes aus dem<br />
Alten Testament genauer betrachten und uns anschließend mit zwei biblischen<br />
Missionsaufträgen beschäftigen. Gegen Ende kommen wir auf das<br />
„größte Missionsprojekt“ Gottes zu sprechen: Gott hat seinen Sohn Jesus<br />
Christus zu uns „gesandt“ – wieder sind wir be<strong>im</strong> lateinischen Wort mittere,<br />
wovon „Mission“ abgeleitet wird. Und Jesus sagt in Johannes 20,21: „Wie mich<br />
der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Speziell als Jünger Jesu können wir<br />
uns also „Nachahmer der Mission Gottes“ nennen. Wie die erste Gemeinde<br />
dies umgesetzt hat, sehen wir dann am Schluss des Referats.<br />
Ein Beispiel der integralen Mission Gottes: Der Auszug aus<br />
Ägypten<br />
Die Micha-Erklärung sagt: Integrale Mission umfasst Verkündigung und<br />
praktische Umsetzung des Evangeliums. Sie betont weiter, dass geistliche<br />
und materielle Veränderung sowie persönliche und strukturelle zusammengehören.<br />
Ein Beispiel dafür ist der Auszug aus Ägypten. Gott hat das Elend<br />
seines Volkes gesehen und es aus Ägypten herausgeführt (2. Mose 3,7-8). So<br />
fängt Gottes Mission mit seinem Volk an. Und: Gott handelt auf verschiedenen<br />
Ebenen:<br />
Zu allererst ist diese Mission politisch, denn Gott befreite sein Volk aus<br />
politischer Unterdrückung, das heißt: Israel wurde nicht mehr von einem<br />
fremden Volk regiert. Zweitens hat Gottes Mission der Befreiung auch eine<br />
wirtschaftliche D<strong>im</strong>ension: Die Zeiten der Sklavenarbeit und systematischen<br />
Ausbeutung waren vorbei.<br />
Ein dritter Aspekt beleuchtet die soziale Veränderung nach der Befreiung:<br />
Es gab keine Herren und Sklaven mehr. Die schl<strong>im</strong>me soziale Ungerechtigkeit<br />
hatte ein Ende und damit auch das Ermorden der Erstgeborenen.<br />
9 The Micah Declaration on Integral Mission, in: Chester, T<strong>im</strong> (Hg.), Justice, Mercy and<br />
Humility: Integral Mission and the Poor, Carlisle, 2002, 19. Teilweise übersetzt nach<br />
www.micha-initiative.de.<br />
10 Die Micha-Erklärung kannst du in deutscher Fassung unter www.just-people.net<br />
herunterladen.<br />
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Und viertens befreite Gott sein Volk genauso in geistlicher Hinsicht:<br />
Israel musste dem Pharao nicht mehr gehorchen, sondern konnte nur noch<br />
Gott dienen. Und Gottes Mission war es, dass sein Volk jetzt auch anderen<br />
Völkern diente. 11<br />
Welche dieser vier Ebenen ist die wichtigste? Darüber kann man diskutieren.<br />
Auf jeden Fall zeigt diese Analyse, dass Gott „integral“ an seinem Volk<br />
handelte, also ganzheitlich. Gott hat für Gerechtigkeit gesorgt, das heißt für<br />
lebensfreundliche Verhältnisse für sein Volk. Kämpfen wir heute gegen Ungerechtigkeit<br />
auf struktureller Ebene, also in Politik und Wirtschaft, stehen wir<br />
gewissermaßen in der Tradition des Auszugs aus Ägypten. Gott erwählte<br />
und befreite ein armes Sklavenvolk und zeigte damit, dass der Einsatz für<br />
die Armen und Unterdrückten ein besonderes Anliegen Gottes ist. Das Volk<br />
wird daher <strong>im</strong> Gesetz Moses und bei den Propheten <strong>im</strong>mer wieder ermahnt,<br />
sich an seine eigene Befreiung zu erinnern und vor diesem Hintergrund zu<br />
handeln. 12 Einer dieser Propheten war Micha. Ein Vers aus dem Buch Micha<br />
hat der internationalen Micah Challenge 13 , zu der auch Just People? gehört,<br />
ihren Namen gegeben. Dieser Vers enthält einen konkreten biblischen Missionsauftrag<br />
an uns Menschen. Mit dem wollen wir uns jetzt beschäftigen.<br />
Zwei Beispiele von konkreten biblischen Missionsaufträgen<br />
an die Menschen:<br />
Micha 6,8: Die Zusammenfassung der prophetischen<br />
Botschaft<br />
Micha 6,8 ist eine mögliche Zusammenfassung der gesamten prophetischen<br />
Botschaft:<br />
„Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet:<br />
Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht<br />
den Weg gehen mit deinem Gott.“<br />
Nur kurz ein paar Kommentare zu dieser dreifachen Aufforderung:<br />
• Recht tun bedeutet <strong>im</strong> Alten Testament, dass man sich an das Gesetz<br />
Moses halten soll. Dass dort unter anderem soziale Gerechtigkeit eingefordert<br />
wird, haben wir schon <strong>im</strong> letzten Referat gesehen.<br />
• Güte und Treue lieben: Hinter der Übersetzung „Güte und Treue“<br />
steht der eine hebräische Begriff chesed, der auch Loyalität, Solidarität,<br />
Freundlichkeit und Barmherzigkeit meint. Chesed drückt also eine<br />
Lebenshaltung aus.<br />
• In Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott: Wir gehen „mit“ Gott,<br />
machen uns mit ihm auf den Weg – oder anders gesagt: Wir werden Teil<br />
seiner Mission. Dazu gehört, dass wir Ehrfurcht haben vor der Hoheit<br />
Gottes und unsere eigene Niedrigkeit erkennen. Das hebräische Wort<br />
für „Ehrfurcht“ kann man übrigens auch mit „Demut“ oder „Bescheidenheit“<br />
übersetzen.<br />
11 Hardmeier, Roland, Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis,<br />
Schwarzenfeld, 2009, 155-157.<br />
12 Vgl. zum Beispiel 2. Mose 22,20 betreffend Umgang mit Fremden und Micha 6,4 als<br />
Teil der Einleitung für den zentralen Vers Micha 6,8.<br />
13 Vgl. Seite 177.<br />
EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
Kämpfen wir heute<br />
gegen Ungerechtigkeit<br />
auf struktureller<br />
Ebene, also<br />
in Politik und Wirtschaft,<br />
stehen wir<br />
gewissermaßen in<br />
der Tradition des<br />
Auszugs aus<br />
Ägypten.<br />
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49
50<br />
Just PEoPlE?<br />
nicht „Wer ist mein<br />
nächster?“, sondern<br />
„Wie kann<br />
ich von Situation<br />
zu Situation zum<br />
nächsten werden?“.<br />
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Als Jesus kritisiert, wie die Pharisäer ihren Zehnten geben, scheint er diese<br />
Worte aus Micha 6,8 aufzunehmen. Wir lesen in Matthäus 23,23: „Weh<br />
euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten<br />
von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste <strong>im</strong> Gesetz außer Acht:<br />
Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das<br />
andere zu lassen.“<br />
lukas 10,25-37: Der barmherzige samariter<br />
Damit sind wir <strong>im</strong> Neuen Testament angelangt. Schauen wir uns hier noch<br />
ein weiteres Beispiel für einen Missionsauftrag an: Ein Gesetzeslehrer fragt<br />
Jesus einmal, was er tun muss, um das ewige Leben zu gewinnen. Jesus lässt<br />
ihn daraufhin das zentrale alttestamentliche Gesetz zitieren:<br />
• „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer<br />
Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken,<br />
• und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst“ (Lukas 10,27).<br />
Die Liebe zu Gott steht über allem, aber die Nächstenliebe kommt sofort<br />
danach.<br />
So fragt der Gesetzeslehrer: Wer ist denn nun mein Nächster? Jesus antwortet<br />
mit dem berühmten Gleichnis des barmherzigen Samariters: Ein Jude<br />
wird von Räubern überfallen und schwer verletzt. Zwei Leute, von denen<br />
man erwartet hätte, dass sie helfen, gehen einfach an ihm vorbei. Erst ein<br />
Samariter n<strong>im</strong>mt sich des Verletzten an und wird damit zum barmherzigen<br />
Samariter. Über zwei wesentliche Punkte wollen wir kurz sprechen: Erstens<br />
ist dieses Gleichnis ein eindrückliches Beispiel dafür, dass die Nächstenliebe<br />
allen Menschen gelten soll. Der Samariter schaut weder auf die Nationalität<br />
des Verletzten noch auf dessen Glauben. Juden und Samariter waren damals<br />
übrigens verfeindet. Doch der Samariter hilft einfach, weil er einem Menschen<br />
begegnet, der Hilfe braucht – also einfach, weil er Mitleid mit ihm hat<br />
(Lukas 10,33). 14<br />
Liest man zweitens das Gleichnis des barmherzigen Samariters ganz<br />
genau, stellt sich am Schluss nicht mehr die Frage, wer mein Nächster ist,<br />
sondern wie ich zum Nächsten werden kann. Jesus dreht die Frage des<br />
Gesetzeslehrers einfach um:<br />
• Lukas 10,29: „Der Gesetzeslehrer (…) sagte zu Jesus: Und wer ist mein<br />
Nächster?“<br />
• Lukas 10,36-37a: „Was meinst du: Wer (…) hat sich als der Nächste des-<br />
sen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer<br />
antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.“<br />
Also noch einmal: Nicht „Wer ist mein Nächster?“, sondern „Wie kann ich<br />
von Situation zu Situation zum Nächsten werden?“. Es geht also gar nicht<br />
um Kriterien wie Verwandtschaft, Bekanntschaft, geographische Nähe oder<br />
ein best<strong>im</strong>mtes moralisches Verhalten, das jemanden zur oder zum Nächsten<br />
macht. Es geht vielmehr um die Frage, wer mein „Nahe-Sein“ nötig hat,<br />
weil sie oder er meine Hilfe braucht und ich die Möglichkeit habe zu helfen.<br />
Insgesamt enthält Jesu Antwort an den Gesetzeslehrer an dieser Stelle weder<br />
eine Reihe von Projekten, die man ausführen soll, noch eine Reihe von Lehrsätzen,<br />
an die man zu glauben hat. Stattdessen sind wir aufgefordert, Gott<br />
14 Jesus selber zeigte <strong>im</strong>mer wieder Mitleid mit den Menschen, vgl. Matthäus 9,36;<br />
14,14; 15,32; 18,27; 20,34; Markus 1,41; Lukas 7,13.<br />
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zu lieben und zur oder zum Nächsten zu werden – wo und wie auch <strong>im</strong>mer<br />
wir können. Das ist definitiv ein wichtiger Aspekt unserer Mission!<br />
Spätestens hier empfehlen wir eine Pause von zehn Minuten.<br />
Der integrale Missionsauftrag und die Gemeinde<br />
Ein kurzer Rückblick: Das Rollenspiel hat uns gezeigt, wie unterschiedlich<br />
Christen über das Verhältnis von Wortverkündigung und sozialem Engagement<br />
denken. Die Micha-Erklärung ist einer von vielen Versuchen, ein integrales<br />
Missionsverständnis zu formulieren. Dieses bezieht die verschiedenen<br />
D<strong>im</strong>ensionen des Lebens ein. Die ausgewählten Bibelstellen haben aufgezeigt,<br />
dass dieser Ansatz vieles für sich hat:<br />
• Be<strong>im</strong> Auszug aus Ägypten haben wir vier Ebenen unterschieden, auf<br />
denen Israel befreit wurde.<br />
• In Micha 6,8 gibt uns Gott drei Aufträge: Recht tun, Güte und Treue lieben,<br />
in Ehrfurcht den Weg gehen mit unserem Gott.<br />
• Jesus schließlich bezeichnet Gottesliebe und Nächstenliebe als das<br />
größte Gebot für den Menschen (vgl. Markus 12,31), das <strong>im</strong> Gleichnis des<br />
barmherzigen Samariters eindrücklich illustriert wird.<br />
Es ist offensichtlich: Sich von der „verlorenen Welt“ abzuwenden und allein<br />
auf das Seelenheil zu konzentrieren, ist nicht biblisch. Die Micha-Erklärung<br />
formuliert dazu scharf: „Die Welt zu ignorieren ist Verrat am Wort Gottes,<br />
das uns zum Dienst in der Welt beauftragt.“ 15<br />
Betrachten wir als „Nachahmer der Mission Gottes“ das Leben und Wirken<br />
Jesu, wird es sowieso unmöglich, Mission zu reduzieren auf Einzelaspekte<br />
wie Wortverkündigung, Weltmission, Armutsbekämpfung oder soziale<br />
Gerechtigkeit. Nur zusammen fassen sie die Fülle der Mission, zu der wir<br />
berufen sind. In den Worten der Micha-Erklärung: „Wie wir es <strong>im</strong> Leben Jesu<br />
sehen können, ist die Verknüpfung von Sein, Tun und Reden das Herz ganzheitlicher<br />
Mission.“ 16<br />
Wir tun gut daran, auch das Zentrum unseres Glaubens ganzheitlich zu<br />
betrachten: Jesu Tod und Auferstehung. Jesus Christus starb stellvertretend<br />
für unsere Sünden am Kreuz. 17 Das gilt für jeden Einzelnen, aber Jesu Sieg<br />
über Sünde und Tod geht darüber noch hinaus. Das Problem der Sünde ist<br />
nämlich nicht nur etwas Persönliches zwischen Gott und mir, sondern hat<br />
<strong>im</strong>mer auch mit meinen Mitmenschen zu tun: Lüge ich jemanden an, werde<br />
ich an ihm schuldig. Verhalte ich mich unbarmherzig, gilt dasselbe. Das ist<br />
die soziale D<strong>im</strong>ension der Sünde. Die Kreuzigung selbst kann auch in dieser<br />
sozialen Perspektive betrachtet werden. Ehrgeiz, Angst, Unterdrückung<br />
und Ungerechtigkeit der Menschen brachten Jesus ans Kreuz! 18 Jesus wurde<br />
grausam und ungerecht behandelt – genau wie viele Menschen noch heute.<br />
Die Auferstehung schließlich ist die Antwort der Liebe Gottes auf den Hass<br />
der Menschen und die Antwort der Gerechtigkeit Gottes auf die Ungerechtigkeit<br />
der Menschen. Weil Jesus auferstanden ist, dürfen wir heute glauben,<br />
dass das Leben über den Tod gesiegt hat. Das dürfen wir verkündigen und<br />
daraus dürfen wir leben und handeln. Die Auferstehung lehrt uns hoffen,<br />
dass sich schon heute in der Welt Dinge zum Guten verändern können. In der<br />
15 Siehe Kasten „Micha-Erklärung“ auf Seite 47.<br />
16 Siehe Kasten „Micha-Erklärung“ auf Seite 47.<br />
17 Vgl. Römer 5,8; 1. Korinther 15,3.<br />
18 Vgl. Hardmeier 2009, 291.<br />
EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
„Die Welt zu ignorieren<br />
ist Verrat am<br />
Wort Gottes, das<br />
uns zum Dienst in<br />
der Welt beauftragt.“<br />
Micha-Erklärung<br />
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51
52<br />
Just PEoPlE?<br />
In der Perspektive<br />
der Auferstehung<br />
dürfen wir zu Menschen<br />
werden, die<br />
dem Hass Liebe<br />
entgegensetzen<br />
und der UngerechtigkeitGerechtigkeit<br />
auf allen Ebenen.<br />
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Perspektive der Auferstehung dürfen wir so zu Menschen werden, die dem<br />
Hass Liebe entgegensetzen und der Ungerechtigkeit Gerechtigkeit auf allen<br />
Ebenen.<br />
Das ist integrale Mission: Sie ist sowohl eine innere Grundhaltung als auch<br />
ein umfassendes Lebensprojekt. Was das für mich als einzelne Christin oder<br />
einzelnen Christ bedeutet, besprechen wir in der nächsten Kurseinheit.<br />
Aber was heißt integrale Mission für die Gemeinde? Erinnern wir uns an<br />
das Rollenspiel vom Anfang: Es ist okay, wenn verschiedene Menschen in<br />
der Gemeinde für verschiedene Themen brennen. Logischerweise kann sich<br />
nicht jede und jeder überall engagieren. Wir sind aufeinander angewiesen.<br />
Schauen wir uns doch mal das Brainstorming vom Beginn dieser Kurseinheit<br />
an: Spiegeln sich Wortverkündigung und soziales Engagement darin <strong>im</strong><br />
richtigen Verhältnis wider? Und wenn wir unser Gemeindeleben betrachten:<br />
Leben wir die verschiedene Aspekte von Mission? Unterstützen wir einander<br />
darin oder bekämpfen wir einander? Wir stehen ständig in Gefahr, Gottes<br />
Mission zu reduzieren, damit sie in unsere Gemeindestrukturen und in unser<br />
Umfeld hineinpasst. Hier gilt es, wach zu sein!<br />
In Apostelgeschichte 2 wird das Leben der allerersten Gemeinde beschrieben<br />
(jede/r liest für sich):<br />
„Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und<br />
hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen,<br />
jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig <strong>im</strong> Tempel,<br />
brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und<br />
Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren be<strong>im</strong> ganzen Volk beliebt. Und<br />
der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten“<br />
(Apostelgeschichte 2,44-47).<br />
Diese Gemeinde ermöglicht die Beziehung zu Gott und pflegt sie regelmäßig.<br />
Sie ist als Gemeinschaft füreinander da. Außerdem herrscht eine enorme<br />
Solidarität gegenüber den Armen. 19 Diese Gemeinde lebt den integralen Missionsauftrag<br />
und dies offensichtlich mit großer Ausstrahlung und großem<br />
Erfolg. Das macht sie uns zu einem bleibenden Vorbild. Das Lukasevangelium<br />
und die Apostelgeschichte sind ja vom selben Autor, mehr noch: Die<br />
Apostelgeschichte ist die unmittelbare Fortsetzung des Lukasevangeliums.<br />
So kann das Leben dieser „idealen“ Gemeinde als „ideale“ Antwort auf das<br />
Leben und Wirken Jesu betrachtet werden.<br />
Im Referat 6 werden wir noch einmal auf diesen Text zurückkommen.<br />
Ein Bild zum Schluss: „Pan integral“ ist der spanische Ausdruck für „Vollkornbrot“.<br />
Es ist das Brot, das am gesündesten ist, weil das ganze – das volle –<br />
Getreidekorn verbacken wird. In diesem Sinne lässt auch integrale Mission<br />
nichts aus. Sie umfasst die verschiedensten Aspekte. Diese werden nicht<br />
gegeneinander ausgespielt, sondern ergänzen sich. Noch einmal mit der<br />
Micha-Erklärung gesprochen: Gerechtigkeit und die Rechtfertigung durch<br />
den Glauben, Anbetung und politische Aktion, geistliche und materielle, persönliche<br />
und strukturelle Veränderung gehören zusammen.<br />
Gottes Mission ist ein Unternehmen des ganzen Lebens. Lassen wir uns<br />
19 An dieser Stelle wird zuweilen eingewendet, dass die Armenfürsorge nur innerhalb<br />
der Gemeinde stattfand. Das mag st<strong>im</strong>men. Allerdings wirkte unter anderem<br />
genau das anziehend und die Gemeinde wuchs ständig. Sowieso kann allein<br />
aufgrund von Apostelgeschichte 2 nicht geschlossen werden, dass die Solidarität<br />
gegenüber den Armen an der Gemeindegrenze haltzumachen hat. Andere Bibelstellen<br />
wie zum Beispiel das Gleichnis des barmherzigen Samariters in Lukas<br />
10,25-37 zeigen deutlich, dass Fürsorge universal geleistet werden soll.<br />
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von Gott zu seiner Mission für diese Welt aussenden und begreifen wir <strong>im</strong>mer<br />
wieder neu, wie sehr ihm gerade die Armen bei dieser Mission am Herzen<br />
liegen! 20<br />
Diskussion<br />
Diskussion über die Referatsinhalte und/oder folgende Fragen:<br />
• Was ist Gottes Mission mit dieser Welt? Oder was sind verschiedene<br />
Aspekte von Gottes Mission?<br />
• Gibt es Aspekte unserer Mission, die wichtiger sind als andere?<br />
• Ist das Missionsverständnis unserer Gemeinde(n) integral? Falls nein:<br />
Was fehlt?<br />
• Wenn Jesus Mitglied unserer Gemeinde wäre, in welche Gemeindeprojekte<br />
und -anlässe würde er sich wohl am ehesten investieren? Warum?<br />
20 Vgl. die Betonung der Armenfürsorge <strong>im</strong> Lukasevangelium: Lukas 1,46-55; 4,18-<br />
19; 6,20-38; 10,25-37; 14,12-14; 16,1-31; 18,18-27; 19,1-10; 22,24-27.<br />
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Zum Weiterlesen<br />
• Detlef Blöcher,<br />
Was ist integrale<br />
Mission?, Seite 126<br />
• Werner Hässig, Das Evangelium<br />
<strong>im</strong> Umfeld von Konsum und<br />
Umweltproblemen, Seite 130<br />
• Lawrence Temfwe, Integrale<br />
Mission in der Praxis, Seite 134<br />
• Hardmeier, Roland, Kirche ist<br />
Mission. Auf dem Weg zu einem<br />
ganzheitlichen Missionsverständnis,<br />
Schwarzenfeld, 2009<br />
• Stott, John, Christsein in den<br />
Brennpunkten unserer Zeit. Bd.<br />
1: … in einer nicht-christlichen<br />
Gesellschaft, Marburg, 1987<br />
• Faix, Tobias, Re<strong>im</strong>er, Johannes<br />
und Brecht, Volker (Hg.), Die Welt<br />
verändern – Grundfragen einer<br />
Theologie der Transformation,<br />
Marburg, 2009<br />
zum Weitersurfen lohnt sich ein<br />
Blick in unsere Link-Liste auf<br />
www.just-people.net.<br />
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53
54<br />
Just PEoPlE?<br />
Mein persönliches Missionsverständnis<br />
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EInFACH PREDIGEn? 3: MISSIon<br />
Angepackt!<br />
Bis zur Kurseinheit 4 nehme ich mir vor:<br />
• Ich vertraue mein persönliches Missionsverständnis einer<br />
mir nahestehenden Person an. Längerfristig lasse ich mir<br />
bei der Umsetzung von ihr in die Karten gucken (dies kann<br />
auch ein Austausch sein).<br />
•<br />
•<br />
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55
56<br />
Just PEoPlE?<br />
Notizen<br />
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KURSEInHEIT 4:<br />
IcH – GERECHTER<br />
LEBEn?<br />
Darum geht’s: Ich kann etwas gegen die Ungerechtigkeit in der Welt<br />
tun!<br />
Genauer gesagt:<br />
• Vor allem als Konsument innerhalb eines globalen Wirtschaftssystems<br />
nutze ich ungerechte Strukturen.<br />
• Das Gebet: Mutmacher und Motivation<br />
• Gegen den Konsum-Strom schw<strong>im</strong>men: Teilen und bescheidener<br />
leben<br />
• Vorschläge für konkrete Schritte in einzelnen Lebensbereichen (Wohnen,<br />
Freizeit, Arbeit usw.)<br />
Fragen, die wir stellen: Was hat die Ungerechtigkeit in der Welt mit<br />
meinem Alltag zu tun? Und die integrale Mission? Brauche ich alles,<br />
was ich kaufe? Sorgen wir Menschen wirklich (genug) für die Schöpfung?<br />
Wo bin ich gefragt, zu teilen und zu verzichten? Ringe ich hier<br />
nach neuen Wegen oder bleibe ich in meinen alten, bequemen Bahnen?<br />
So machen wir’s:<br />
• Auswertung „Kleiner Lebenstest“<br />
• Referat mit Diskussion<br />
• Diskussion als stummer Dialog<br />
• Brief an sich selbst<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
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58<br />
Just PEoPlE?<br />
Viele unserer<br />
Gewohnheiten hängen<br />
oft direkt mit<br />
Weltarmut und<br />
Umweltzerstörung<br />
zusammen und<br />
mit der Bedrohung<br />
natürlicher Ressourcen.<br />
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Referat 4:<br />
Ich – gerechter leben?<br />
Was nun?<br />
Erinnern wir uns kurz: Ganz am Anfang haben wir festgestellt, dass viele<br />
Menschen auf dieser Welt ungerecht behandelt werden. In der zweiten Kurseinheit<br />
wurde die Bibel nach Aussagen zu Armut und Reichtum untersucht.<br />
Und be<strong>im</strong> letzten Referat haben wir über integrale Mission geredet, die dem<br />
ganzen Menschen helfen möchte. Heute fragen wir uns: Was nun? Was hat<br />
das alles mit unserem Alltag zu tun? Was kann ich konkret umsetzen? Wie<br />
können wir gerechter leben?<br />
Der Kurstitel Just People? ist doppeldeutig und stellt damit eine Frage, denn<br />
just kann sowohl „nur“ als auch „gerecht“ heißen. Sind wir just people, nur<br />
Menschen, sind also unsere guten Taten lediglich ein Tropfen auf den heißen<br />
Stein, oder sind wir just people, Menschen, die nach Gerechtigkeit streben?<br />
Erinnern wir uns noch einmal an die Welt als globales Dorf und die geschichtlichen<br />
Hintergründe. Dort haben wir festgestellt: Heute sind globale Ungerechtigkeiten<br />
auch mit unserem Alltag vernetzt. Viele unserer Gewohnheiten<br />
hängen oft direkt mit Weltarmut und Umweltzerstörung zusammen und mit<br />
der Bedrohung natürlicher Ressourcen. Dazu schauen wir uns jetzt ein paar<br />
grobe Zusammenhänge an, die an das erste Referat anknüpfen: Wachstum ist<br />
zum Grundprinzip unseres Wirtschaftssystems geworden. Keiner hinterfragt<br />
das mehr. Soll die Wirtschaft wachsen, müssen <strong>im</strong>mer mehr und <strong>im</strong>mer neue<br />
Produkte hergestellt und verkauft werden. Aber wie verkauft man Dinge, die<br />
schon jeder hat und/oder niemand wirklich braucht? Durch Werbung, denn<br />
die gaukelt uns vor, dass Geld ausgeben und shoppen Freude machen. Immer<br />
neue Bedürfnisse werden geweckt. Zum Beispiel gehören Fernseher, Auto,<br />
ein Flug in die Ferien oder regelmäßig ein neues Handy zum Leben vieler<br />
Menschen – obwohl das weit mehr als materielle Grundbedürfnisse sind.<br />
Solche Schein-Bedürfnisse beeinflussen unser Denken und Handeln. Aber<br />
wie weit wollen wir uns davon steuern lassen? Sind nicht andere Dinge <strong>im</strong><br />
Leben auch wichtig oder wichtiger? Interessante Fragen. Mit der geistlichen<br />
Einstellung zu Besitz beschäftigen wir uns später noch genauer.<br />
Wir als Konsumenten wissen heute außerdem gar nicht mehr, wo, wie und<br />
von wem unsere Hosen oder Tiefkühl-Pizzas produziert werden. Als Einzelne<br />
können wir die Massenproduktion und den weltweiten Handel nicht<br />
mehr überblicken. Viele unserer alltäglichen Produkte sind aber nur deswegen<br />
so billig, weil sie unter miserablen Arbeitsbedingungen hergestellt<br />
wurden. Dazu kommen massive Umweltbelastungen: die Weltmeere werden<br />
leer gefischt, Regenwälder abgebrannt und Schadstoffe vergiften unsere<br />
Böden und Gewässer. Die fossilen Energieträger (Öl, Gas, Kohle) werden in<br />
modernen Gesellschaften in großen Mengen verbrannt: zum Beispiel be<strong>im</strong><br />
Autofahren, in Hausheizungen, bei der Stromerzeugung, in unzähligen Herstellungsprozessen<br />
zum Beispiel von Produkten aus Plastik oder in der Nahrungsmittelproduktion.<br />
Das Problem: Dabei wird Kohlendioxid ausgestoßen,<br />
das als Treibhausgas die Temperatur auf der Erde erhöht und das Weltkl<strong>im</strong>a<br />
bedrohlich verändert. Besonders in Trockengebieten verstärken kl<strong>im</strong>atische<br />
Schwankungen die Verwüstung.<br />
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Entwicklungsländer leiden also am meisten unter dem Kl<strong>im</strong>awandel. 1<br />
Sie haben weniger technische Hilfsmittel für Bewässerung und Bebauung<br />
des Bodens und sind deshalb besonders von opt<strong>im</strong>alen kl<strong>im</strong>atischen Bedingungen<br />
für Aussaat und Ernte abhängig. 2 Und dies ist nur ein Beispiel dafür,<br />
wie das Thema Kl<strong>im</strong>awandel längst zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit<br />
geworden ist.<br />
Erinnern wir uns an das zweite Referat: Dort haben wir den ersten Auftrag<br />
Gottes an uns Menschen angeschaut, nämlich die Schöpfung zu bewahren.<br />
Werden wir diesem Auftrag gerecht?<br />
Ausgangspunkt Gebet<br />
Die Schöpfung leidet, die absolute<br />
Armut n<strong>im</strong>mt zu, über eine Milliarde<br />
Menschen sind heute unterernährt: 3<br />
Bei diesen Tatsachen kann sich leicht<br />
das Gefühl von Ohnmacht und Überforderung<br />
breitmachen – vor allem,<br />
wenn wir an die große biblische Herausforderung<br />
für Menschen denken,<br />
die <strong>im</strong> Wohlstand leben. Jetzt ist es<br />
das Einfachste, einfach abzublocken,<br />
sich gar nicht damit zu beschäftigen<br />
oder ohnmächtig und überfordert<br />
den Kopf zu schütteln: Das Leid ist so<br />
riesengroß – Was kann ich denn da<br />
schon als Einzelner machen? Bei Diskussionen<br />
über dieses Thema geben<br />
viele auf. Bei uns soll das Gefühl von<br />
Ohnmacht und Überforderung aber nicht der Endpunkt sein, sondern der<br />
Ausgangspunkt! Es kann es uns zu Gott bringen, wenn wir das Ausmaß der<br />
Katastrophe erkennen. Denn das Eingeständnis der eigenen Schwachheit ist<br />
eine Erfahrung, die uns die Stille und das Gebet suchen lässt.<br />
Natürlich kommt mit einem Gebet die Welt nicht schlagartig in Ordnung.<br />
Die Probleme bleiben riesig und unübersichtlich und wir bleiben Menschen<br />
mit begrenzten Möglichkeiten. Aber das Gebet kann uns Mut und Kraft<br />
geben, unsere kleinen Beiträge zu leisten, das Ausmaß zu sehen und trotzdem<br />
fröhlich anzupacken – eins nach dem anderen und jeder, wie er kann.<br />
Weil Gott mit uns ist.<br />
„Gleicht euch nicht dieser Welt an“<br />
In Römer 12,2 ermahnt uns Paulus: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern<br />
wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt,<br />
was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“<br />
1 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(BMz), http://www.desertifikation.de/bmz-cd013/BIn/DESERTIFIKATIon_UnD_<br />
KLIMAWAnDEL.HTM, 15.08.2010.<br />
2 Beispielsweise in Afrika sind 46 Prozent der Landfläche von der Wüstenbildung<br />
betroffen. Das hat Auswirkungen auf 485 Millionen Menschen.<br />
Vgl. Deutsche Gesellschaft für technische zusammenarbeit (GTz), http://www.gtz.<br />
de/de/dokumente/de-desertifikation-daten-afrika.pdf, 24.03.2010.<br />
3 „There are 1.02 billion undernourished people in the world today.“, http://www.wfp.<br />
org/hunger, 29.04.2010.<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
Bei uns soll das<br />
Gefühl von ohnmacht<br />
und Überforderung<br />
aber<br />
nicht der Endpunkt<br />
sein, sondern der<br />
Ausgangspunkt!<br />
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59
60<br />
Just PEoPlE?<br />
„Wenn du vollkommen<br />
sein willst,<br />
geh, verkauf deinen<br />
Besitz und gib das<br />
Geld den Armen;<br />
so wirst du einen<br />
bleibenden Schatz<br />
<strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel haben;<br />
dann komm und<br />
folge mir nach.“<br />
Jesus (Matthäus 19,21)<br />
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Was heißt das, sich nicht der Welt anzugleichen? Das heißt, ich muss<br />
mich selbst verändern. Wie sollte man auch die Welt verändern, wenn man<br />
nicht bei sich selbst beginnt?<br />
Aber was ist das, was Gott gefällt? Was ist gut und vollkommen? Nicht<br />
die einzige und abschließende Antwort, aber eine verblüffend konkrete findet<br />
sich in Matthäus 19,16-30: Ein junger Mann, der von sich behauptet, dass<br />
er alle Gebote hält, wollte wissen, was ihm zum ewigen Leben noch fehlt.<br />
Jesus antwortete: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz<br />
und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel<br />
haben; dann komm und folge mir nach“ (Matthäus 19,21). Und was tat der<br />
junge Mann? Er ging betrübt weg, denn er war sehr reich. Daraufhin wendete<br />
sich Jesus an seine Jünger:<br />
„Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das H<strong>im</strong>melreich<br />
kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als<br />
dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Als die Jünger das hörten, erschraken<br />
sie sehr und sagten: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an<br />
und sagte zu ihnen: Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich“<br />
(Matthäus 19,23-26).<br />
Erschrecken wir bei dieser Geschichte auch noch wie die Jünger? Trifft<br />
sie uns Wohlhabende nicht besonders an einem wunden Punkt?<br />
Einerseits ist nur bei Gott alles möglich, das heißt: Nur seine bedingungslose<br />
Liebe und seine Gnade erretten uns und geben unserem Leben das Fundament.<br />
Durch unsere Taten können wir nicht gerecht werden. Aber legen<br />
wir deshalb die Hände in den Schoß? Hilft dieses Fundament nicht, sich mit<br />
Freude – ohne Angst und ohne Druck – auf den Weg für ein gerechteres Leben<br />
zu machen? Ohne diese Grundlage besteht die Gefahr, in eine Gesetzlichkeit<br />
und Werkgerechtigkeit abzurutschen. Doch auf dieser Grundlage folgt<br />
auch der Anspruch, vollkommener zu werden, mehr zu werden, wie Gott<br />
sich Menschen gedacht hat. Nach dieser Geschichte mit dem jungen Mann<br />
bedeutet das auch Verzicht auf Besitz und Reichtum. Wie ist diese Stelle auf<br />
mein Leben zu übertragen? Wie kann ich dieser Aufforderung gerecht werden,<br />
ohne die Radikalität des Textes abzuschwächen? Besitzt nicht materiell<br />
gesehen jeder von uns viel mehr, als er eigentlich zum Leben braucht? Und<br />
wie beeinflusst mich mein Besitz? Wie bewusst bin ich mir, was und weshalb<br />
ich etwas habe? Wo hindert mich mein Besitz daran, Jesus nachzufolgen?<br />
Darüber könnte man lange diskutieren und dafür werden wir später <strong>im</strong><br />
Kurs auch noch Zeit haben.<br />
Neben Besitz und Reichtum, die in der Geschichte vom reichen Jüngling<br />
thematisiert werden, ist heutzutage auch der Konsum ein wichtiges Thema.<br />
Konsum hat viele verschiedene Facetten und Hintergründe, die sehr individuell<br />
und unterschiedlich sind. Bin ich mir bewusst, was und weshalb ich<br />
etwas konsumiere? Welche Bedürfnisse treiben mich an, Neues zu kaufen?<br />
Wo sind es vielleicht nur Schein-Bedürfnisse? Was heißt es, sich an Jesus zu<br />
orientieren bei dem riesigen Angebot in der westlichen Welt an Esswaren,<br />
Medien oder Reisemöglichkeiten?<br />
Das sind Fragen, auf die es keine einfachen und pauschalen Antworten<br />
gibt. Aber ist das ein Grund, sie nicht zu stellen? Ringe ich hier nach neuen<br />
Wegen oder bleibe ich in meinen alten, bequemen Bahnen?<br />
Shane Claiborne ist jemand, der solche neuen Wege sucht und geht.<br />
Er wohnt in einer Lebensgemeinschaft in Philadelphia und verbindet sein<br />
Christsein phantasievoll mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit. Shane<br />
stellt folgende provokante Frage: „Ist für uns Christen die Komfortzone in der<br />
westlichen Konsumgesellschaft nicht ein gefährlicher Aufenthaltsort?“ 4<br />
4 Claiborne, Shane, Ich muss verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Exper<strong>im</strong>ente in<br />
Sachen Nächstenliebe, Gießen, 2007, 217.<br />
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Kurzer Austausch zu diesen Fragen zu zweit und kurze Diskussion <strong>im</strong> Plenum.<br />
Wie man auch in Europa bescheidener und gerechter leben kann, zeigt das<br />
Beispiel von Hannes Leitlein. Nachlesen kannst du es <strong>im</strong> Vertiefungsartikel<br />
auf Seite 146.<br />
Bescheidenheit und teilen<br />
Wie viel Komfort und Bequemlichkeit kann ich angesichts der Weltlage und<br />
meiner persönlichen Lebenssituation verantworten?<br />
Dies ist eine Frage, mit der wir auf der Suche nach einem gerechteren<br />
Leben ringen sollten.<br />
Was brauchen wir wirklich und was wünschen wir uns bloß? Brauchen<br />
wir den neuen iPod, den neuen Fotoapparat und noch exotischere Ferien?<br />
Nicht getrieben von Einfachheit, aber der Liebe verpflichtet, kann die Suche<br />
nach einem gerechteren Leben mehr Einfachheit verlangen. 5<br />
Viele Bibelstellen thematisieren Geld und Besitz. 6 Paulus äußert sich in<br />
1.T<strong>im</strong>otheus 6,7-9 folgendermaßen dazu: „Denn wir haben nichts in die Welt<br />
mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Nahrung<br />
und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will,<br />
gerät in Versuchungen und Schlingen, er verfällt vielen sinnlosen und schädlichen<br />
Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen.“<br />
Bescheidener zu leben kann heißen, mehr zum Teilen zu haben. Durch Teilen<br />
können wir unser Mitgefühl für die Armen und die ganze Schöpfung zum<br />
Ausdruck bringen. Und teilen kann man alles, was man hat – nicht nur Geld,<br />
sondern auch Zeit, Energie und Fähigkeiten zum Beispiel. Mahatma Gandhi<br />
sagte dazu: „Live s<strong>im</strong>ply so that others may s<strong>im</strong>ply live.“ – „Lebe einfach,<br />
damit andere überhaupt leben können.“<br />
Wenn wir konsequent bescheiden leben und teilen, schw<strong>im</strong>men wir<br />
gegen den Strom unserer Gesellschaft. Aber heißt Nachfolge Jesu nicht<br />
manchmal, zum „Außenseiter“ zu werden?<br />
Die Micha-Erklärung versteht unter Nachfolge Jesu integrale Mission. Sie<br />
sagt dazu:<br />
Integrale Mission betrifft jeden Christen. Wir wollen die Armen mit den<br />
Augen Jesu sehen, den, als er die Scharen von Menschen sah, tiefes Mitgefühl<br />
ergriff, denn sie waren erschöpft und hilflos wie Schafe, die keinen<br />
Hirten haben. Wir brauchen eine Nachfolge Jesu, die den verantwortlichen<br />
und nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Schöpfung und<br />
die Veränderung der moralischen, intellektuellen, ökonomischen, kulturellen<br />
und politischen D<strong>im</strong>ensionen unseres Lebens einbezieht. Für viele<br />
von uns heißt das, die biblische Bedeutung von „Haushalterschaft“ neu zu<br />
entdecken. Der Sabbat-Gedanke erinnert uns daran, dass unser Konsumverhalten<br />
Grenzen braucht. Wohlhabende Christen müssen bereit sein,<br />
ihren Wohlstand <strong>im</strong> Dienst für andere einzusetzen. 7<br />
5 Vgl. Claiborne, Shane, http://www.thes<strong>im</strong>pleway.org/about/foundation/, 15.05.2010.<br />
6 Siehe Auswahl von Bibelstellen zu Armut und Reichtum auf Seite 36.<br />
7 <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, Micah-Deklaration zur Ganzheitlichen (Integralen) Mission, http://<br />
www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch/fileadmin/user_upload/dateien/Kampagne/Micah_Deklaration.pdf,<br />
4, 25.08.2010.<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
Mahatma Gandhi<br />
sagte dazu: „Live<br />
s<strong>im</strong>ply so that<br />
others may s<strong>im</strong>ply<br />
live.“ – „Lebe einfach,<br />
damit andere<br />
überhaupt leben<br />
können.“<br />
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62<br />
Just PEoPlE?<br />
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Nachdem wir nun vor allem Bescheidenheit und Teilen thematisiert haben,<br />
kommen wir noch zu einem letzten Aspekt, der mit unserem Konsum zusammenhängt:<br />
Wenn wir Produkte kaufen, schaffen wir Geld in Firmenkassen.<br />
Wenn diese Firmen Menschen unter miserablen Bedingungen arbeiten lassen,<br />
unterstützen wir also automatisch auch diese Unrechtsstrukturen.<br />
Erinnern wir uns an das Gleichnis des barmherzigen Samariters (in Lukas<br />
10, 25-37): Gerade in einer globalisierten Welt ist es an der Zeit, die Nächstenliebe<br />
auszuweiten. Mein Nächster ist der, der ungerecht behandelt wird.<br />
Dazu ein Beispiel: Der Plantagenarbeiter in Afrika, die Kleidernäherin in<br />
Bangladesch oder der Arbeiter in einer chinesischen Computer-Fabrik wird<br />
in gewisser Weise zu meinem Nächsten, weil ihre oder seine Produkte bis zu<br />
mir gelangen. Wollen wir uns also eine Tafel Schokolade, ein T-Shirt oder<br />
einen PC kaufen, sollten wir dann nicht auch nach Herstellungsbedingungen<br />
und ökologischen Zusammenhängen fragen?<br />
Was heißt das konkret für mich?<br />
Es gibt nicht die eine Anleitung oder ein paar Rezepte, wie man gerechter<br />
leben kann. Jeder hat ein anderes, vielfältiges Leben und niemand hat denselben<br />
Handlungsspielraum.<br />
Die folgenden Fragen sollen einfach zum Nachdenken anregen. Vielleicht<br />
öffnen sie uns die Augen, wo wir zu sehr <strong>im</strong> Mainstream schw<strong>im</strong>men<br />
und nicht das Vollkommene und Gute suchen (Römer 12,2).<br />
Nach den Fragen und Vorschlägen jeweils eine kurze Denkpause einbauen.<br />
Wo ist bei mir mehr Bescheidenheit<br />
gefragt?<br />
Bin ich bereit, meine Ansprüche<br />
zu hinterfragen? zum Beispiel bei<br />
meiner Arbeit: Würde ich eine andere,<br />
vielleicht sinnvollere Arbeit<br />
annehmen, auch wenn ich damit<br />
weniger Geld verdienen würde?<br />
Was mache ich mit meinem<br />
überschüssigen Geld? Bin ich<br />
bereit, meinen Besitz mit anderen<br />
Menschen zu teilen?<br />
Wie wichtig ist mir, dass meine<br />
Lebensmittel umweltverträglich<br />
angebaut und fair gehandelt<br />
wurden? Und wie sieht das bei<br />
Kleidung, Elektronik, Schmuck<br />
und anderen Dingen aus?<br />
Vorschlag: Geld bei einer Bank<br />
anlegen, die ethische Grundsätze<br />
konsequent verfolgt; Projekte<br />
durch Spenden oder zinslose<br />
Darlehen unterstützen, die du<br />
persönlich kennst<br />
Vorschlag: he<strong>im</strong>ische Produkte<br />
nach Saison kaufen und auf<br />
biologischen Anbau achten;<br />
Bananen, zitrusfrüchte, Kaffee,<br />
Schokolade, Baumwollprodukte<br />
usw. biologisch angebaut und fair<br />
gehandelt kaufen; Kleidung aus<br />
Secondhandläden; Computer aus<br />
Recyclingwerkstatt<br />
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Welche Ansprüche habe ich<br />
bezüglich meiner Wohnform und<br />
Einrichtung?<br />
Wie umweltverträglich ist meine<br />
Mobilität?<br />
Wie verbringe ich meinen Sonntag<br />
(Sabbat)? Lasse ich mich und die<br />
Umwelt auch mal verschnaufen?<br />
Übe ich Bescheidenheit? In welchen<br />
Bereichen? Worauf kann ich<br />
eine gewisse zeit oder sogar ganz<br />
verzichten?<br />
Vorschlag: Wohn- bzw. Lebensgemeinschaft;<br />
Garten anlegen; nur<br />
bewohnte Räume heizen; Möbelstücke<br />
aus Secondhandläden<br />
Vorschlag: persönlichen Ressourcenverbrauch<br />
berechnen<br />
lassen zum Beispiel unter www.<br />
gruenerfisch.ch oder www.greenpeace.kl<strong>im</strong>a-aktiv.com;<br />
Fahrrad<br />
fahren; Fahrgemeinschaften;<br />
Ferien <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland<br />
Vorschlag: sonntags nichts<br />
kaufen; Terminkalender mal leer<br />
lassen<br />
Vorschlag: Auto; Süßigkeiten;<br />
Fleisch; exotische Früchte;<br />
best<strong>im</strong>mte Medien (Fernseher,<br />
Internet); Kleiderkauf; Elektronik<br />
Auf www.just-people.net findest du eine Link-Liste mit Websites, die dir<br />
weitere Impulse liefern können für ein gerechteres Leben.<br />
Nennen wir zum Schluss noch einmal kurz die drei Schlagwörter:<br />
Gebet – Bescheidenheit – Teilen.<br />
Damit bezeugen wir ganz praktisch, dass wir zum Gott der Gerechtigkeit<br />
gehören, diesem Gott, der sich um die Armen und Ausgegrenzten kümmert.<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
Zum Weiterlesen<br />
• Pia Schmid, Woher kommt die<br />
Kraft zum Engagement?, Seite<br />
138<br />
• Flurina Weidmann Bieri, FairTrade,<br />
Seite 142<br />
• Hannes Leitlein, Mein fairer<br />
Lebensstil: Ein Praxisbericht,<br />
Seite 146<br />
• Claiborne, Shane, Ich muss<br />
verrückt sein so zu leben.<br />
Kompromisslose Exper<strong>im</strong>ente<br />
in Sachen Nächstenliebe, 1.<br />
Auflage, Gießen, 2007<br />
• Faix, Tobias, Würde Jesus bei<br />
IKEA einkaufen? Herausforderungen<br />
zur ganzheitlichen<br />
Nachfolge, 2. Auflage, Schwarzenfeld,<br />
2007<br />
• Benton, John, Gute Gaben, alles<br />
haben? – Christen und der Konsumzwang,<br />
Friedberg, 2001<br />
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www.just-people.net.<br />
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63
64<br />
Just PEoPlE?<br />
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„Kleiner lebenstest“<br />
Im „Kleinen Lebenstest“ geht es um eine grobe Analyse deiner Lebens- und<br />
Konsumgewohnheiten: Du gehst gedanklich zum Beispiel die Klamotten in<br />
deinem Kleiderschrank durch und überlegst, unter welchen Bedingungen sie<br />
hergestellt wurden.<br />
Bitte kreuze – wenn nichts anderes angegeben – jeweils die Antwort an,<br />
die am ehesten zu deinem Lebensstil/deinen Überzeugungen passt.<br />
Dieser Fragebogen kann anschließend von der Kursleitung anonym ausgewertet<br />
werden, damit eine Statistik der ganzen Gruppe entsteht.<br />
A) Ernährung<br />
Ich teile die Lebensmittel in deinem Haushalt in Produkte aus dem Inland und Produkte aus dem Ausland ein.<br />
a<br />
b<br />
c<br />
d<br />
a<br />
b<br />
c<br />
d<br />
Gruppiere nun die Produkte aus dem Ausland nach folgenden Kriterien:<br />
Ich kenne die Bedingungen, unter denen dieses Produkt<br />
hergestellt, gepflückt, weiterverarbeitet etc. wurde.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen zwar nicht, doch das Produkt hat ein Gütesiegel, welches<br />
verspricht, dass die Produktionsschritte und Arbeitsbedingungen überprüft/kontrolliert werden.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen nicht und das<br />
Produkt hat auch kein Gütesiegel.<br />
Ich gehe davon aus, dass die Produktionsbedingungen nicht übermäßig umweltschonend sind und die<br />
Arbeiter eher schlecht bezahlt werden, habe mich aber trotzdem zum Kauf entschieden.<br />
Gruppiere nun die Produkte aus dem Inland nach folgenden Kriterien:<br />
Das Produkt kommt aus meiner Region und ich kenne die Bedingungen,<br />
unter denen das Produkt hergestellt, gepflückt, weiterverarbeitet etc. wurde.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen zwar nicht, doch das Produkt hat ein Gütesiegel, welches<br />
verspricht, dass die Produktionsschritte und Arbeitsbedingungen überprüft/kontrolliert werden.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen nicht<br />
und das Produkt hat auch kein Gütesiegel.<br />
Ich gehe davon aus, dass die Produktionsbedingungen nicht übermäßig umweltschonend sind und die<br />
Arbeiter eher schlecht bezahlt werden 1 , habe mich aber trotzdem zum Kauf entschieden.<br />
1<br />
Die größte<br />
Gruppe ist<br />
d etwa einmal pro Tag 2<br />
12<br />
1 Auch in der Schweiz und Deutschland sind es häufig Leute aus osteuropa, die als<br />
Erntehelfer schuften und nur wenig Geld verdienen. Vgl. http://www.sueddeutsche.de/bayern/erdbeerplantage-bauer-haelt-rumaenen-wie-sklaven-1.428946,<br />
30.07.2010.<br />
2 Siehe auch Informationen auf der Link-Liste auf www.just-people.net unter Ernährung.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Die größte<br />
Gruppe ist<br />
Wie oft esse ich Fleisch? 2 Antwort<br />
a nie, ich bin Vegetarier 9<br />
b weniger als einmal pro Woche 10<br />
c etwa einmal pro Woche 11<br />
e mehr als einmal pro Tag 13<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
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B) Mobilität<br />
Welche „Fortbewegungsmittel“ nutze ich täglich? (mehrere Antworten möglich) Antwort<br />
a meine Füße/mein Fahrrad (ich laufe zum Beispiel zur Arbeit oder bewege mich viel) 14<br />
b Bus/zug 15<br />
b1 bis 50 km 16<br />
b2 50 bis 100 km 17<br />
b3 über 100 km 18<br />
c Auto 19<br />
c1 bis 50 km 20<br />
c2 50 bis 100 km 21<br />
c3 über 100 km 22<br />
Wie oft mache ich eine Ferienreise pro Jahr? (Ausflüge, die länger als 3 Tage dauern) Antwort<br />
Mit welchen Verkehrsmitteln „fahre“ ich meistens in den Urlaub? (mehrere Antworten möglich) Antwort<br />
a mit meinen Füßen/Fahrrad 24<br />
b Bus/zug 25<br />
c Auto 26<br />
d Flugzeug 27<br />
Wie oft bin ich in meinem Leben mit einem Flugzeug gereist? Antwort<br />
C) Kleidung<br />
So viele Kleidungsstücke befinden sich ich in meinem Kleiderschrank: Anzahl (ca.)<br />
Jacken<br />
Schuhe<br />
Hosen<br />
Röcke<br />
Pullis<br />
T-Shirts<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
23<br />
28<br />
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65
66<br />
Just PEoPlE?<br />
Hemden<br />
Wie viele Menschen könnten sich etwa damit kleiden<br />
(eine vollständige leichte Bekleidung pro Mensch)?<br />
Ich teile meine Jacken, Schuhe, Hosen, Röcke, Pullis, T-Shirts, Hemden in folgende Gruppen auf:<br />
• Kleidungsstück ist älter als 2 Jahre<br />
• Kleidungsstück ist älter als 1 Jahr<br />
• Kleidungsstück ist 3 Monate bis 1 Jahr alt<br />
• Kleidungsstück ist unter 3 Monaten alt<br />
a<br />
b<br />
c<br />
d<br />
Gruppiere nun die Kleidungsstücke die unter einem Jahr alt sind, nach folgenden Kriterien:<br />
Ich kenne die Bedingungen, unter denen dieses Produkt<br />
hergestellt, gepflückt, weiterverarbeitet usw. wurde.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen zwar nicht, doch das Produkt hat ein Gütesiegel, welches<br />
verspricht, dass die Produktionsschritte und Arbeitsbedingungen überprüft/kontrolliert werden.<br />
Ich kenne die oben genannten Bedingungen nicht<br />
und das Produkt hat auch kein Gütesiegel.<br />
Ich gehe davon aus, dass die Produktionsbedingungen nicht übermäßig umweltschonend sind und<br />
die Arbeiter eher schlecht bezahlt werden, habe mich aber trotzdem zum Kauf entschieden.<br />
D) Geld/Ersparnisse<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
3<br />
3 energieeffizient: Die Gebäudehülle/Isolation ist in einem guten zustand, der Wärmebedarf<br />
ist dadurch klein. Die elektrischen Geräte sind keine Energieschleudern<br />
und werden sparsam gebraucht.<br />
umweltfreundlich: Der Energiebedarf wird mit Energieträgern gedeckt, die<br />
möglichst aus der Gegend stammen (zum Beispiel Holzheizung, Solaranlage,<br />
Ökostrom).<br />
29<br />
Die größte<br />
Gruppe ist<br />
(mehrere Antworten möglich) Antwort<br />
a Mein Geld liegt bei einer großen Bank. 34<br />
b<br />
c<br />
Ich habe meine Bank in erster Linie nach Service und wirtschaftlichen Kriterien<br />
ausgewählt. Aber ich wusste bislang auch nicht, dass es brauchbare Alternativen gibt.<br />
Alle Banken machen ethisch fragwürdige Geschäfte. Ich versuche, mein Geld deshalb direkt in Projekte<br />
zu investieren, zu denen ich einen Bezug habe (zum Beispiel Darlehen für Sozialprojekte).<br />
d Ich habe mein Geld bei einer Bank angelegt, die konsequent ein ethisches Konzept verfolgt. 37<br />
E) Wohnform<br />
Wie bewerte ich mein Haus/meine Wohnung? Antwort<br />
a energieeffizient/umweltfreundlich 3 38<br />
b teilweise energieeffizient/umweltfreundlich 39<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
35<br />
36<br />
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c<br />
Ich gehe davon aus, dass meine Wohnung nicht übermäßig umweltschonend<br />
geheizt wird und wenig energieeffizient ist.<br />
d Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. 41<br />
F) Arbeit<br />
Trägt meine jetzige Tätigkeit etwas zu mehr sozialer und globaler Gerechtigkeit bei? Antwort<br />
a ja, das ist ein zentraler Punkt bei meiner Tätigkeit 42<br />
b teilweise 43<br />
c nein 44<br />
d Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. 45<br />
Wie wichtig ist mir das? Antwort<br />
a sehr wichtig 46<br />
b ziemlich wichtig 47<br />
c weniger wichtig 48<br />
d nicht wichtig 49<br />
e Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. 50<br />
G) Freizeit<br />
GERECHTER LEBEn? 4: ICH<br />
Verbringe ich meine Freizeit so, dass es mir, dem Nächsten und der Umwelt gut tut? Antwort<br />
a ja 51<br />
b nein 52<br />
c teilweise 53<br />
d Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. 54<br />
40<br />
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67
68<br />
Just PEoPlE?<br />
Angepackt!<br />
Bis zur Kurseinheit 5 nehme ich mir vor:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
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KURSEInHEIT 5:<br />
GEsEllscHAFt<br />
– GERECHTER<br />
GESTALTEn?<br />
Darum geht’s: Christen sollten sich als weltweiter Leib Christi in die<br />
weltweite Gesellschaft einbringen – auch politisch!<br />
Genauer gesagt:<br />
• nachhaltige Entwicklungshilfe muss auch an den politischen Strukturen<br />
ansetzen.<br />
• Die Millenniumsziele: Eine historische Chance<br />
• Global denken und handeln: nächstenliebe und Engagement<br />
• Mitmischen: Politik gehört zur Lebenswirklichkeit der Menschen und<br />
ist damit Teil der integralen Mission.<br />
•<br />
Jesus-Revolution: Wie Jesus lebte, hatte auch politische Konse-<br />
quenzen!<br />
• Konkret drauflos: Gesellschaft gerechter mitgestalten<br />
Fragen, die wir stellen: Wo muss man ansetzen, um Armut nachhaltig<br />
zu bekämpfen? Warum sollten wir die Millenniumsziele unterstützen?<br />
Woran liegt es, dass uns das Leid in Entwicklungsländern so wenig<br />
bewegt? Sollten sich Christen aus der Politik raushalten? War Jesus<br />
politisch? Und was können wir diesbezüglich von ihm lernen?<br />
So machen wir’s:<br />
• Vorstellung Micha-Initiative beziehungsweise <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
• Referat mit Diskussion<br />
• Just People? -Aktion planen<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
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69
70<br />
Just PEoPlE?<br />
Um nachhaltig<br />
Menschen aus<br />
Armut zu befreien,<br />
muss man auch an<br />
den politischen und<br />
wirtschaftlichen<br />
Strukturen arbeiten.<br />
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Referat 5:<br />
Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
Weltweite Armut lindern – symptome oder ursachen<br />
bekämpfen?<br />
Weltweit Armut zu lindern ist ein gutes Ziel, für das sich viele gern einsetzen.<br />
Aber wie erreicht man das am besten? Hier gibt es viele verschiedene Meinungen:<br />
Manche halten konkrete Entwicklungsprojekte für den effektivsten<br />
Ansatz und spenden deshalb oder arbeiten selbst für eine gewisse Zeit vor<br />
Ort mit. Andere legen besonderen Wert auf nachhaltigen Konsum, der zu<br />
mehr Gerechtigkeit führt. Und wieder andere versuchen, in der Politik Veränderung<br />
zu erreichen.<br />
Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Ansätze nicht gegeneinander auszuspielen.<br />
Oft erreicht man das Ziel eben nur, indem man auf verschiedenen<br />
Ebenen anpackt. Dazu ein Beispiel aus Kamerun: In einem Entwicklungsprojekt<br />
versuchte man, Kleinbauern mit Hilfe von Milchkühen aus der Armut zu<br />
befreien. Man sammelte Geld und kaufte davon für arme Familien Milchkühe.<br />
Die Bauern hatten nun selbst genug Milch und konnten sogar den Überschuss<br />
auf dem lokalen Markt verkaufen und so ihr Einkommen sichern. Das Konzept<br />
nennt man „Hilfe zur Selbsthilfe“. Am Anfang lief alles super. Zur Zeit<br />
ist das Projekt allerdings gefährdet – eine große Molkerei musste bereits wieder<br />
schließen. Der Grund: Milchpulver aus der Europäischen Union, das man<br />
auch in Kamerun kaufen kann. Es ist viel billiger als he<strong>im</strong>ische Frischmilch,<br />
weil die EU ihre Landwirtschaft finanziell enorm unterstützt. Hier wird klar:<br />
Konkrete Projekte vor Ort reichen nicht. Um nachhaltig Menschen aus Armut<br />
zu befreien, muss man auch an den politischen und wirtschaftlichen Strukturen<br />
arbeiten. Daher setzen sich die Entwicklungsorganisationen jetzt auch<br />
dafür ein, dass sich die europäische Subventionspolitik ändert, damit die einhe<strong>im</strong>ischen<br />
Bauern ihre Milch wieder verkaufen können. 1 Entwicklungshilfe,<br />
die nur mit lokalen Projekten das Symptom bekämpft, greift zu kurz. Man<br />
muss auch die politischen und wirtschaftlichen Ursachen erkennen und versuchen,<br />
das Problem an der Wurzel zu packen.<br />
Der britische Theologe John Stott bringt es auf den Punkt:<br />
„Wenn es an einer Kreuzung <strong>im</strong>mer wieder Unfälle gibt, dann brauchen<br />
wir nicht noch mehr Krankenwagen, sondern wir sollten eine Ampel installieren,<br />
die weitere Unfälle vermeidet. Es ist <strong>im</strong>mer gut, den Hungrigen zu essen<br />
zu geben; es ist allerdings noch besser, wenn wir die Ursachen von Hunger<br />
beseitigen können. Wenn wir also unsere Nächsten tatsächlich lieben und<br />
ihnen dienen wollen, dann kann es passieren, dass unser Dienst fordert, uns<br />
politisch für sie einzusetzen.“ 2<br />
1 Vgl. Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Milchdumping in Kamerun. Milchpulver<br />
aus der EU gefährdet die Absatzmärkte und die Existenz von Milchbäuerinnen und<br />
-bauern in Kamerun, http://www.eed.de/milchdumping, 06.07.2010.<br />
2 Eigene Übersetzung nach: Stott, John, Issues Facing Christians Today, http://www.<br />
zondervan.com/media/samples/pdf/0551031727_samptxt.pdf, 15, 14.08.2010.<br />
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Die Millenniumsziele – Warum sollten wir sie unterstützen?<br />
Wenn es aktuell um den politischen Einsatz gegen extreme Armut weltweit<br />
geht, dann spielen die Millenniumsziele eine zentrale Rolle. Deren Umsetzung<br />
wollen auch die Micha-Initiative und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> unterstützen und<br />
einfordern. Diese Ziele bieten eine historische Chance, etwas zu bewegen:<br />
Eine so breite Zust<strong>im</strong>mung zu so vielen klar definierten Zielen in so vielen<br />
Bereichen gab es vorher noch nie. Nach der Verabschiedung der Millenniumsziele<br />
<strong>im</strong> Jahr 2000 nannte sich eine Kampagne sogar „Make Poverty<br />
History“ – „Mach Armut zur Geschichte“. 3 Aber es ist die Frage, ob wir das<br />
Potential der Millenniumsziele tatsächlich nutzen. In einer Rede vor der UN-<br />
Vollversammlung 2007 sagte der damalige englische Premierminister Gordon<br />
Brown <strong>im</strong> Hinblick auf die Millenniumsziele:<br />
„Frühere Generationen hatten die alte Ausrede:<br />
Ach, wenn wir doch nur das Wissen hätten,<br />
ach, wenn wir doch nur die Technologie hätten,<br />
ach, wenn wir doch nur die Medizin hätten,<br />
ach, wenn wir doch nur die Forschung hätten,<br />
ach, wenn wir doch nur den Wohlstand hätten.<br />
Heute haben wir die Forschung, Technologie, Medizin und den Wohlstand:<br />
Was wir jetzt brauchen, ist die Einigkeit und die feste Entschlossenheit,<br />
unsere Erkenntnisse und Ressourcen einzusetzen – und sie gut einzusetzen<br />
–, damit wir denen helfen können, die sie brauchen.“ 4<br />
Laut Brown ist es vor allem eine Frage des politischen Willens, ob wir Fortschritte<br />
machen oder nicht. Und ihm solle dabei niemand erzählen, „dass<br />
Entwicklungshilfe (…) nichts bringt. Das Einzige, was nicht funktioniert, ist<br />
Nichtstun!“<br />
In der Tat kann man einige beachtliche Verbesserungen feststellen, wenn<br />
man sieht, was zwischen 1990 (dem Ausgangsjahr für die Millenniumsziele)<br />
beziehungsweise 2000 (dem Jahr der Verabschiedung) und 2010 erreicht<br />
wurde: 5<br />
Die folgenden Punkte liest jeder am besten still für sich durch.<br />
• Einkommensarmut: Die Zahl der absolut Armen – also derer mit weniger<br />
als 1,25 US-Dollar pro Tag – ist von 1,8 Milliarden <strong>im</strong> Jahr 1990 auf 1,4<br />
Milliarden <strong>im</strong> Jahr 2008 zurückgegangen.<br />
• Bildung: Die Einschulungsrate bei den Grundschülern wuchs in Subsa-<br />
hara-Afrika seit dem Jahr 2000 auf 74 Prozent – das ist eine Steigerung<br />
um 16 Prozent. In Tansania hat sich die Einschulungsquote nach Abschaffung<br />
der Schulgebühren zwischen 2001 und 2006 sogar verdoppelt und<br />
bei 98 Prozent eingepegelt.<br />
• Gleichstellung: Zwischen 1999 und 2009 stieg der Anteil von Frauen in<br />
3 „Make Poverty History“ kann man auch mit „Lass Armut Geschichte werden“ übersetzen.<br />
Die britische Mutterkampagne „Make Poverty History“ ging 2006 zu Ende,<br />
aber ähnliche Kampagnen haben sich <strong>im</strong> internationalen netzwerk „Global Call<br />
against Poverty“ (GCAP) zusammengeschlossen. Auch hier fordern unterschiedliche<br />
organisationen gemeinsam die Umsetzung der Millenniumsziele ein. Der<br />
deutsche Ableger von GCAP ist „Deine St<strong>im</strong>me gegen Armut“: www.deine-st<strong>im</strong>megegen-armut.de.<br />
4 Eigene Übersetzung nach: number10.gov.uk, Speech to the United Nations (31 Jul<br />
07), http://www.number10.gov.uk/Page12755, 06.07.2010.<br />
5 Vgl. Un, Millennium Development Goals: At a Glance, http://www.un.org/millenniumgoals/pdf/mdgs_glance_factsheet.pdf,<br />
06.07.2010.<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
„Das Einzige, was<br />
nicht funktioniert,<br />
ist nichtstun!“<br />
Gordon Brown<br />
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71
72<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Bürgerrechtsbewegung<br />
in den USA<br />
Eigentlich steht schon in der<br />
Gründungsurkunde der USA<br />
von 1776, dass „alle Menschen<br />
gleich erschaffen wurden,<br />
dass sie vom Schöpfer<br />
mit gewissen unveräußerlichen<br />
Rechten begabt wurden,<br />
worunter Leben, Freiheit<br />
und das Streben nach Glückseligkeit<br />
sind.“ 1 In der Praxis<br />
galt das allerdings nicht<br />
für die schwarze Bevölkerung:<br />
Es gab beispielsweise<br />
Bänke für Weiße und Schwarze,<br />
Schwarze hatten nicht dieselben<br />
Bildungschancen und<br />
mussten <strong>im</strong> Bus hinten sitzen.<br />
Kein anderer Staat machte<br />
den USA wirkungsvoll Druck<br />
von außen. Aber den Schwarzen<br />
selbst wurde ihre unge-<br />
rechte Behandlung allmählich<br />
zuwider. Also widersetzen<br />
sie sich: Die näherin<br />
Rosa Parks blieb 1955 einfach<br />
sitzen, als sie <strong>im</strong> Bus ihren<br />
Platz für einen Weißen räumen<br />
sollte. Davon ermutigt,<br />
boykottierten die Schwarzen<br />
den öffentlichen nahverkehr<br />
in der Stadt Montgomery<br />
– 50.000 Menschen hielten<br />
zusammen. Ihr Pfarrer Martin<br />
Luther King unterstütze<br />
sie. Die Bürgerrechtsbewegung<br />
erfasste schließlich die<br />
gesamte USA und 1964 wurde<br />
das Bürgerrechtsgesetz verkündet,<br />
das die Rassentrennung<br />
offiziell aufhob.<br />
1 nürnberger, Christian, Mutige<br />
Menschen – für Frieden, Freiheit<br />
und Menschenrechte, Stuttgart/<br />
Wien, 2008, 131.<br />
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Parlamenten weltweit um 6 Prozent auf 19 Prozent.<br />
• Gesundheit von Kindern: Zwischen 1990 und 2010 hat sich in Nordafrika,<br />
Ostafrika, Südostasien, Lateinamerika und der Karibik die Kindersterblichkeit<br />
mehr als halbiert.<br />
• Müttergesundheit: Der Anteil der Geburten in Entwicklungsländern mit<br />
Betreuung von geschultem medizinischen Personal stieg von 53 Prozent<br />
<strong>im</strong> Jahr 1990 auf 61 Prozent <strong>im</strong> Jahr 2007.<br />
• HIV/Aids: Die Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen ging von 3,5 Millionen<br />
<strong>im</strong> Jahr 1996 auf 2,7 Millionen <strong>im</strong> Jahr 2007 zurück.<br />
• Ökologische Nachhaltigkeit: Schon 2010 erreichte man das Ziel nahezu,<br />
doppelt so vielen Menschen einen dauerhaft gesicherten Zugang zu sauberem<br />
Trinkwasser zu verschaffen.<br />
• Welthandel: Der Anteil von zollfreien Importen aus Entwicklungsländern<br />
in Industrieländer stieg von 54 Prozent <strong>im</strong> Jahr 1996 auf fast 79 Prozent<br />
<strong>im</strong> Jahr 2007.<br />
Um die Fortschritte der Millenniumsziele wirklich „messen“ zu können, muss<br />
man die Entwicklungen zum einen regional untersuchen: Das Afrika südlich<br />
der Sahara hinkt als Region zum Beispiel bei fast allen Zielen hinterher.<br />
Aber eine rein regionale Betrachtung greift zu kurz. Andererseits muss man<br />
die Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen untersuchen. Hier liegen<br />
die größten Herausforderungen in der Bekämpfung des Hungers, der<br />
umfassenden Gesundheit von Müttern und Kindern und in der Schonung der<br />
natürlichen Ressourcen. Ohne ein grundlegendes Umsteuern werden diese<br />
Ziele wohl nicht erreicht. 6<br />
Trotzdem zeigen die Teilerfolge in einzelnen Bereichen und Regionen, dass<br />
etwas bewegt werden kann, wenn man sich gezielt dafür einsetzt. Es hilft<br />
enorm, dass die Staaten ihre Wege offenlegen und Rechenschaft ablegen<br />
müssen. Alle drei bis vier Jahre werden die Fortschritte der einzelnen Staaten<br />
dann in einem Bericht zusammengefasst und analysiert. Jährliche Fortschrittsberichte<br />
informieren über den Stand auf der ganzen Welt. So kann<br />
man sehen, wie weit die Ziele schon umgesetzt wurden.<br />
Und was passiert, wenn ein Staat die Ziele nicht einhält? Die Millenniumsziele<br />
sind völkerrechtlich nicht bindend – ihr Nichteinhalten wird also<br />
nicht offiziell bestraft. Aber wie kann man dann Regierungen dazu bewegen,<br />
die Ziele einzuhalten? Die große Chance liegt hier bei der Öffentlichkeit. Sie<br />
muss über die Versprechen und den Stand der Umsetzung aufgeklärt werden.<br />
Nur so kann sie sich dann dafür einsetzen, dass die Versprechen wirklich<br />
hundertprozentig gehalten werden. Denn öffentlicher Druck kann manchmal<br />
wirkungsvoller sein als völkerrechtlich verankerte Sanktionen. Das sieht<br />
man sehr schön an der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Hier begann der<br />
Widerstand gegen die Rassentrennung mit den ganz „normalen schwarzen<br />
Leuten“, erst wenigen, die sich mutig und hartnäckig für ihre Rechte einsetzten.<br />
Schließlich erfasste die Bürgerrechtsbewegung die gesamte USA und<br />
1964 wurde die Rassentrennung aufgehoben (siehe Kasten).<br />
Man sieht also: Am Anfang reichen wenige „ganz normale Leute“, die<br />
sich leidenschaftlich für eine Sache einsetzen. Wenn daraus eine Bewegung<br />
wird, dann kann diese Öffentlichkeit einen enormen Druck auf Regierungen<br />
ausüben.<br />
Von Anfang haben die Vereinten Nationen bei den Millenniumszielen daher<br />
um die Mitwirkung der Zivilgesellschaft gebeten. Die Zivilgesellschaft ist der<br />
Teil der Gesellschaft, der sich zwischen dem Privaten, dem Staat und der<br />
6 Am besten aktuelle Daten anschauen: www.mdgmonitor.org.<br />
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Wirtschaft befindet. Dazu zählen auch die Kirchen. Die Frage ist also, ob Kirchen<br />
diese offene Tür für die Mitgestaltung der Gesellschaft nutzen oder<br />
nicht. Die Weltweite Evangelische Allianz hat sich <strong>im</strong> Jahr 2004 mit Micah<br />
Challenge dafür entschieden – nicht<br />
zuletzt, weil sie in den Millenniumszielen<br />
Inhalte sieht, die gut mit christlichen<br />
Werten zusammenpassen. 7<br />
Wir Christen sind also gefragt: Erinnern<br />
wir die Öffentlichkeit, die Medien und<br />
die Politik an die Versprechen aus dem<br />
Jahr 2000! Sagen wir doch, dass uns die<br />
Millenniumsziele wichtig sind! Wir sollten<br />
dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit,<br />
die Medien und die Politik unser Anliegen<br />
mitbekommen und sich alle an die<br />
Versprechen aus dem Jahr 2000 und den<br />
Folgejahren erinnern können.<br />
Globale Nächstenliebe und globales Engagement<br />
Allerdings interessiert sich die Öffentlichkeit nicht unbedingt für weltweite<br />
Armut und was dagegen getan werden kann. Verständlich, denn es ist schwer,<br />
globale Entwicklungen als etwas wahrzunehmen, das mit uns persönlich zu<br />
tun hat.<br />
Dazu ein Beispiel: Im August 2008 verhungerte in Deutschland ein Kind. Der<br />
tragische Tod des dreijährigen Mädchens schlug Wellen: Die Medien stellten<br />
die Behörden an den Pranger, denn das Jugendamt wusste, dass die Mutter<br />
ihre Tochter nicht ordentlich versorgte. In völliger Verwahrlosung vegetierte<br />
das Kind dahin, bis sein Körper aufgab. 8<br />
Jedem, der so einen Bericht liest, bricht einfach das Herz: Unvorstellbar!<br />
Wer lässt denn sein eigenes Kind verhungern? Jedes Mal, wenn man von verwahrlosten,<br />
verhungerten, ermordeten und missbrauchten Kinder liest, geht<br />
ein Raunen durch die Gesellschaft. Ein Feuer des Engagements wird in einer<br />
breiten Öffentlichkeit entfacht. Zu Recht verlangt man von Politikern, dass<br />
sie sich einsetzen: So etwas darf doch nie wieder passieren! Wir wollen, dass<br />
die Kleinsten, die am meisten Schutz brauchen, nicht zu Schaden kommen.<br />
7 Im so genannten „Micha-Aufruf“ heißt es: „Wenn Absichtserklärungen von führenden<br />
Politikern etwas von dem anklingen lassen, was den biblischen Propheten ein<br />
Anliegen war und was Jesus über die Armen lehrte, und wenn wir die Mittel haben,<br />
die weltweite Armut wesentlich zu reduzieren, erleben wir einen zeitpunkt der<br />
gegenwärtigen Geschichte mit einem einzigartigen Potential. Wir verpflichten uns<br />
als nachfolger von Jesus Christus, auf eine umfassende Veränderung unserer Umgebung<br />
hinzuarbeiten, nach Gerechtigkeit zu streben, leidenschaftlich Barmherzigkeit<br />
zu praktizieren und demütig vor Gott zu wandeln (Micha 6,8).“ (Micha-Initiative<br />
Deutschland, … einen Zeitpunkt der gegenwärtigen Geschichte mit einem einzigartigen<br />
Potential, http://www.micha-initiative.de/channel.php?channel=80, 09.07.2010,<br />
siehe auch Seite 79.) Damit sollen die Millenniumsziele nicht blind in den H<strong>im</strong>mel<br />
gelobt werden, denn sie haben durchaus auch Schwächen: Die extreme Armut soll<br />
nur halbiert und nicht ganz abgeschafft werden, der gesamte Menschenrechtsansatz<br />
wird ausgeklammert und sie fordern mehr Rechenschaft von den Entwicklungsländern<br />
als von den Industrienationen.<br />
Außerdem sind sie natürlich keine biblische Agenda und erfassen daher auch nicht<br />
alle D<strong>im</strong>ensionen des Reiches Gottes.<br />
8 Vgl. http://www.bild.de/BILD/news/2009/08/16/verhungerte-sarah/die-traurigstebeerdigung-dieses-wochenendes.html,<br />
08.03.2010.<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
Woran liegt es,<br />
dass uns die not<br />
anderer unterschiedlich<br />
berührt?<br />
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Just PEoPlE?<br />
Sich nicht einmischen<br />
- das<br />
geht gar nicht!<br />
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Und es ist gut, dass wir so fühlen.<br />
Aber wie ist es mit den Grausamkeiten auf globaler Ebene? Wie sehr n<strong>im</strong>mt<br />
es uns mit, dass alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger und damit verbundenen<br />
Krankheiten stirbt – noch bevor es seinen fünften Geburtstag gefeiert<br />
hat? 9<br />
Ganz klar, natürlich fühlt man mit denen mehr mit, die einem irgendwie<br />
näher stehen, mit denen man eine Lebenswirklichkeit oder einen Kulturkreis<br />
teilt. Zum anderen ist da auch einfach die Tatsache, dass uns das Leid dieser<br />
Welt in seiner Größe überwältigt. Wie können wir mit so vielen Menschen<br />
gleichzeitig mitfühlen? Oft hören wir unglaubliche Zahlen, aber uns fehlt ein<br />
Gesicht, eine persönliche Geschichte, ein Name.<br />
Woran liegt es, dass uns die Not anderer unterschiedlich berührt? Schützen<br />
wir uns vielleicht auch einfach, weil uns das millionenfache Leid überfordert?<br />
Oder denken wir, dass wir sowieso nichts dagegen machen können –<br />
und beschäftigen uns deshalb lieber gar nicht damit? Was denkt ihr?<br />
Wie können wir sensibel werden für globale Entwicklungen, also Anteil<br />
nehmen? Und wie die Öffentlichkeit?<br />
Kurze Diskussion zu zweit und die Gedanken eventuell <strong>im</strong> Plenum zusammentragen.<br />
christen: Einmischen und mitmischen, bitte!<br />
Wenn das Leid der Welt plötzlich zu unserem persönlichen Problem wird,<br />
wenn wir uns also berühren lassen, dann wächst in uns auch der Wunsch,<br />
etwas zu verändern. Und wie wir zu Beginn be<strong>im</strong> Beispiel mit den Milchbauern<br />
in Kamerun gesehen haben: Projekte vor Ort können nicht alle D<strong>im</strong>ensionen<br />
der Armutsbekämpfung abdecken, auch an den politischen Strukturen<br />
muss gearbeitet werden. Sollen Christen also in der Politik mitmischen?<br />
Die meisten westlichen Staaten betonen, dass sie für eine strikte Trennung<br />
von Staat und Kirche eintreten. Und sie berufen sich dabei zu Recht auf<br />
die unheilvolle Geschichte Europas, in der die Kirche oft unrühmlich politische<br />
Macht ausübte. Aber nicht nur Kirchenfremde halten die strikte Trennung<br />
von Staat und Kirche für eine gute Entwicklung. Umgedreht meinen<br />
auch viele Christen, dass der Staat sich nicht in religiöse Dinge einmischen<br />
sollte – weil man beispielsweise befürchtet, dass der staatliche Einfluss den<br />
Glauben verwässern oder verweltlichen könnte.<br />
Leider wurde die Trennung von Staat und Kirche oft missverstanden, zum<br />
Beispiel in Zeiten des Sklavenhandels, des Nationalismus oder in Zeiten der<br />
Apartheid. Die Kirche hat damals in großen Teilen Missstände einfach ausgeblendet<br />
und ihre Hände in Unschuld gewaschen: Das ist Politik, das geht<br />
uns nichts an. Dabei sind Christen als Teil der Zivilgesellschaft doch aufgerufen,<br />
mitzugestalten und Grenzen aufzuzeigen! Weil Christen an Gott als die<br />
oberste Instanz glauben, können sie manchmal leichter Entwicklungen kritisieren,<br />
die in der breiten Öffentlichkeit akzeptiert sind. Dietrich Bonhoeffer<br />
hat das <strong>im</strong> „Dritten Reich“ vorbildhaft getan. Politik gehört zur Lebenswirklichkeit<br />
der Menschen und ist damit Teil der integralen Mission. Christen<br />
sind aufgerufen, politisch mit anzupacken, sich – je nachdem – nicht nur<br />
querzustellen, sondern auch um Kompromisse zu ringen.<br />
9 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), fluter Ernährung, 33/Winter, Bonn/<br />
Berlin, 2009, 5.<br />
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Außerdem geht das gar nicht – sich nicht einmischen! Besonders in einem<br />
demokratischen Land: Selbst wer nicht wählt, beeinflusst das Ergebnis. 10<br />
Die Frage ist also am Ende gar nicht, ob wir politisch handeln, sondern wie<br />
bewusst wir unser politisches Handeln gestalten. Aber schauen wir doch auf<br />
Jesus. Hat er sich rausgehalten?<br />
War Jesus politisch?<br />
Keiner wird behaupten, dass Jesus ein Politiker in unserem heutigen Sinne<br />
war. Er strebte kein politisches Amt an und lehnte sogar die Möglichkeit ab,<br />
die politische Herrschaft zu übernehmen: „All die Macht und Herrlichkeit dieser<br />
Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem<br />
ich will“ (Lukas 4,6). Jesus geht nicht darauf ein. Bekannt ist auch seine Aussage:<br />
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18,36). Das sagt er<br />
vor dem Statthalter Pontius Pilatus, der prüfen soll, ob Jesus tatsächlich mit<br />
seinem politischen Einfluss Unruhe ins Römische Reich gebracht hat. Pilatus<br />
hakt aber nach: „Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich<br />
bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich<br />
für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine<br />
St<strong>im</strong>me“ (Johannes 18,37). In der Welt, aber nicht von der Welt – und Jesus als<br />
König mittendrin. Was bedeutet das? Pilatus kann mit diesem Spannungsfeld<br />
nicht umgehen und lässt das Volk entscheiden. Und wir haben auch unsere<br />
Schwierigkeiten damit. Kann man das weltliche und Gottes Reich voneinander<br />
trennen? Sollten sie getrennt werden? Wo überschneiden, beeinflussen<br />
sie sich? Wo baut das eine auf dem anderen auf?<br />
Manche lösen das Spannungsfeld so auf, dass sie die Macht und Herrschaft<br />
Jesu und sein Königreich komplett <strong>im</strong> Jenseits verorten. Aber könnte es nicht<br />
auch sein, dass Jesus schlicht und ergreifend eine ganz neue Idee von Macht<br />
und Leitung verkörpert? Der britische Autor Graham Gordon ist fest davon<br />
überzeugt. Er bezieht sich dabei vor allem auf die Stellen, in denen Jesus<br />
seinen Jüngern erklärt, warum er gekommen ist: „Ihr wisst, dass die, die als<br />
Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über<br />
die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei<br />
euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will,<br />
soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um<br />
sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Markus 10,42-45). Und dieser<br />
ganz andere Zugang zu Macht bringt Jesus <strong>im</strong>mer wieder in Konflikt mit den<br />
Regierenden und anderen Eliten seiner Zeit. Gordon fasst es so zusammen:<br />
„(...) Jesus war durchaus politisch. Er setzte sich mit der herrschenden Macht<br />
auseinander; er engagierte sich für Entscheidungen, die das Volk betrafen;<br />
er bemühte sich um Gerechtigkeit und sein Handeln brachte ihn in Konflikt<br />
mit den Machthabern – sowohl mit den religiösen als auch mit den politischen.<br />
Sein ‚politisches‘ Handeln in der Auseinandersetzung mit der Macht<br />
10 zum Beispiel <strong>im</strong> deutschen Bundesland Sachsen gab es bei der Wahl zum Landtag<br />
2009 eine Wahlbeteiligung von nur 52,2 Prozent – also hatten sich 47,8 Prozent der<br />
Wahlberechtigten entschieden, für keine Partei zu st<strong>im</strong>men. Gleichzeitig bekam die<br />
rechtsextreme Partei nPD (nationaldemokratische Partei Deutschlands) 5,6 Prozent<br />
der abgegebenen St<strong>im</strong>men (und damit de facto 2,9 Prozent der St<strong>im</strong>men aller<br />
Wahlberechtigten). Bei 5 Prozent liegt die Hürde für eine Partei, um überhaupt in<br />
den Landtag einziehen zu können. Hätten nur ein paar mehr nichtwähler für eine<br />
der anderen Parteien gest<strong>im</strong>mt, würden die Rechtsextremen nicht <strong>im</strong> sächsischen<br />
Landtag sitzen (vgl. sachsen.de, Wahlen, http://www.freistaat.sachsen.de/wahlen.<br />
htm, 09.07.2010).<br />
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Just PEoPlE?<br />
Was können wir<br />
für unser eigenes<br />
politisches Handeln<br />
von Jesus<br />
abgucken?<br />
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der Pharisäer, der Gesetzeslehrer und Sadduzäer und des Pontius Pilatus als<br />
Statthalter des römischen Kaisers brachte ihn schließlich ans Kreuz. Diejenigen,<br />
die sich durch ihn bedroht fühlten und Angst um ihren Einfluss hatten,<br />
beschlossen schließlich, ihn zu beseitigen.“ 11<br />
Wie in allen Bereichen sollten wir als Nachfolger Jesu ihm auch auf seinem<br />
politischen Weg folgen. 12 Und dabei geht es nicht einfach um Widerstand<br />
gegen die Staatsgewalt. Jesus zeigt auch, dass es sich lohnt, Gesetzen zu folgen,<br />
die das Zusammenleben regeln und nicht gegen den Willen Gottes verstoßen.<br />
Als Jesus von einigen Pharisäern gefragt wird, ob man Steuern zahlen<br />
solle, sagt er: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott<br />
gehört!“ (Markus 12,17). Christen von heute könnten vielleicht sagen: „Gebt<br />
der Demokratie, was der Demokratie gehört!“ 13 Gestaltet demokratisch mit.<br />
Auch wenn es manchmal schwer ist, überhaupt herauszufinden, was „Gott<br />
gehört“ und was sein Wille ist.<br />
Darum die Frage: Was können wir für unser eigenes politisches Handeln von<br />
Jesus abschauen?<br />
Kurze Diskussion zu zweit.<br />
christen und Parteipolitik<br />
Zum demokratischen Prozess gehören auch Kompromisse. Am Ende sollen<br />
Entscheidungen getroffen werden, die jeder mit sich und seinem Gewissen vor<br />
Gott vereinbaren kann. Es gibt nicht „das“ christliche Parteiprogramm, das<br />
uns die manchmal schwierige und langwierige Meinungsbildung abn<strong>im</strong>mt.<br />
Und nicht selten kommen Christen dabei auch zu unterschiedlichen Auffassungen.<br />
John Stott zeigt, wie verschiedene politische Ideen auf Christen ganz<br />
unterschiedlich wirken können:<br />
Das folgende Zitat liest jeder am besten still für sich durch.<br />
„Die beiden politischen Hauptideologien in westlichen Gesellschaften sprechen<br />
Christen aus ganz unterschiedlichen Gründen an. Der Kapitalismus hat<br />
seinen Reiz, weil er individuelle Initiativen und einen Unternehmergeist fördert,<br />
aber er ist auch abstoßend, weil er sich nicht um die Schwachen zu<br />
kümmern scheint, die anderen <strong>im</strong> harten Wettbewerb unterliegen, den der<br />
Kapitalismus hervorruft. Auf der anderen Seite hat der Sozialismus seinen<br />
Reiz, weil er barmherzig mit den Armen und Schwachen umgeht, aber er ist<br />
auch abstoßend, weil individuelles Handeln durch die starke Kontrolle der<br />
Regierungen erstickt wird, die mit dem Sozialismus einhergeht.“ 14<br />
Bei der Frage nach globaler Gerechtigkeit ergeben sich innerhalb verschiedener<br />
politischer Strömungen ganz unterschiedliche Ansatzpunkte. Sowohl für<br />
Christen, die mit Politikern sprechen, als auch für Christen, die sich selbst in<br />
11 Gordon, Graham, Das habt ihr mir getan. Engagiertes Christsein in einer unfairen Welt,<br />
Basel, 2004, 102.<br />
12 Auch Anhänger anderer Religionen haben sich von Jesu Umgang mit Macht und<br />
Politik beeindrucken lassen. Das prominenteste Beispiel ist wohl Gandhi, der sich<br />
bei seinem gewaltlosen Widerstand an Jesus orientierte.<br />
13 Vgl. Deutsche Evangelische Allianz, „Suchet der Stadt Bestes“. Zur Verantwortung der<br />
Christen in Staat und Gesellschaft. Eine Stellungnahme der Deutschen Evangelischen Allianz,<br />
Bad Blankenburg, 2009, 9.<br />
14 Eigene Übersetzung nach: Stott, John, Issues Facing Christians Today, Grand Rapids,<br />
2006, 42.<br />
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Parteien engagieren. Manche Parteien berufen sich auf ein christliches Menschenbild.<br />
Auf dieser Basis lässt sich gut erklären, warum aus Gottes Liebe,<br />
die Grenzen überschreitet, auch der Einsatz für arme Menschen jenseits<br />
unserer Landesgrenze folgt. In anderen politischen Bewegungen sind Solidarität<br />
oder Nachhaltigkeit zentrale Begriffe. Hier ist der Ansatzpunkt dann<br />
eher die Frage, wie Solidarität in einer globalisierten Gesellschaft gelebt werden<br />
kann. Oder dass Nachhaltigkeit nur international angegangen werden<br />
kann und die Folgen des Kl<strong>im</strong>awandels längst auch Fragen von Armut und<br />
Gerechtigkeit geworden sind.<br />
Konkrete schritte in Politik und Gesellschaft<br />
Wie können wir hier in Europa damit anfangen, Gesellschaft global zu verstehen?<br />
Und was können wir konkret tun, um unsere Welt-Gesellschaft gerechter<br />
zu gestalten?<br />
Die folgenden Punkte liest jeder am besten still für sich durch.<br />
Berichte zu den Millenniumszielen15<br />
1. Sich informieren<br />
zunächst einmal sollten wir wissen,<br />
was auf der Welt los ist und<br />
was versprochen wurde, um Armut<br />
zu bekämpfen. Und wie es mit der<br />
Umsetzung aussieht. Da ist es gut,<br />
wenn man die aktuellen Entwicklungen<br />
verfolgt.<br />
(Standaktionen 16 )17<br />
2. Andere sensibilisieren<br />
Menschen auf die weltweiten<br />
Missstände aufmerksam machen.<br />
Vorschlag:<br />
• Berichte zu den Millenniumszielen15<br />
lesen<br />
• Websites und newsletter von<br />
Hilfswerken und Kampagnen<br />
anschauen<br />
• hochwertige zeitungen und nachrichtenportale<br />
mit viel Auslandsberichterstattung,<br />
Radio- und<br />
Fernsehbeiträge verfolgen<br />
Vorschlag:<br />
• in persönlichen Diskussionen<br />
(zum Beispiel über Medienberichterstattung,Abst<strong>im</strong>mungen/Wahlen,<br />
Mode, Ernährung)<br />
16<br />
• in Leserbriefen<br />
• mit kreativen Aktionen (zum Beispiel<br />
Sammelaktionen, Stand Ups<br />
(Standaktionen) 17 , Benefizkonzerte,<br />
Gebetskonzerte, Bilder malen)<br />
• selbst als Leiterin oder Leiter<br />
einen Just People?-Kurs starten<br />
15 Die MDG-Berichte zu einzelnen Ländern gibt es hier: www.undg.org/index.<br />
cfm?P=87, die deutsche Version des aktuellen globalen jährlichen Berichtes unter<br />
der Adresse: www.dgvn.de/mdg.html, die englische Version hier: unstats.un.org/<br />
unsd/mdg.<br />
16 Ein nicht zu unterschätzendes Instrument, in den Medien Aufmerksamkeit zu<br />
erreichen. Bei den meisten zeitungen ist es sehr einfach, einen Leserbrief zu<br />
schreiben, der auch abgedruckt wird.<br />
17 Für die Aktion der Un alle Infos hier: http://www.un-kampagne.de/fileadmin/<br />
downloads/news3/Broschuere_STAnD_UP_kompakt.pdf, 18.08.2010.<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
Abgeordnetengespräche<br />
der Micha-Initiative<br />
Seit 2008 ermutigt die Micha-<br />
Initiative Gemeinden, vor ort<br />
mit ihrer beziehungsweise<br />
ihrem Abgeordneten über<br />
globale Armut und die Millenniumsziele<br />
zu sprechen.<br />
Dadurch soll das Thema wieder<br />
auf die Agenda kommen<br />
und die zusagen Deutschlands<br />
für die Armutsbekämpfung<br />
eingefordert werden.<br />
Aber ist man denn als Laie<br />
überhaupt kompetent genug,<br />
um wirklich etwas Vernünftiges<br />
zu sagen? natürlich<br />
muss man sich gut informieren<br />
und vorbereiten. Aber es<br />
kann durchaus von Vorteil<br />
sein, wenn man eben kein<br />
Lobbyexperte ist, der dafür<br />
bezahlt wird, dass er Politiker<br />
besucht. oft ist es viel<br />
wirkungsvoller, wenn „ganz<br />
normale“ Leute ihre Anliegen<br />
vortragen. Und diese Leute<br />
stehen aus Sicht der Politiker<br />
für eine viel größere zahl von<br />
Wählern, die das Anliegen<br />
teilen, aber selbst nicht den<br />
Weg ins Abgeordnetenbüro<br />
gefunden haben. zudem ist es<br />
beeindruckend, wenn Wähler<br />
nicht ihre eigenen, sondern<br />
die Interessen Dritter vertreten.<br />
Wir dürfen unsere Möglichkeiten<br />
an dieser Stelle<br />
also nicht unterschätzen.<br />
Mehr Informationen auf www.<br />
micha-initiative.de.<br />
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77
78<br />
Just PEoPlE?<br />
Petitionen von<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> initiiert und<br />
unterstützt zum Beispiel<br />
regelmäßig Petitionen <strong>im</strong><br />
Bereich der Armutsbekämpfung.<br />
Ein Ergebnis: zusammen<br />
mit vielen verschie-<br />
denen Hilfswerken und Kam-<br />
pagnen konnten 2008 über<br />
217.000 Unterschriften für<br />
die Erhöhung der Gelder für<br />
Entwicklungszusammenarbeit<br />
auf 0,7 Prozent des<br />
Bruttonationaleinkommens<br />
gesammelt werden.<br />
Zum Weiterlesen<br />
• Walter Donzé, Gesellschaftliches<br />
Engagement, Seite 150<br />
• T<strong>im</strong>o Plutschinski, Wirtschaft<br />
und Gerechtigkeit, Seite 154<br />
• Alexander Gentsch, Tun, was gut<br />
ist, Seite 158<br />
• Geißler, Heiner, Was würde Jesus<br />
heute sagen?: Die politische<br />
Botschaft des Evangeliums, 14.<br />
Auflage, Berlin, 2003<br />
• nuscheler, Franz, Lern- und Arbeitsbuch<br />
Entwicklungspolitik:<br />
Eine grundlegende Einführung<br />
in die zentralen entwicklungspolitischen<br />
Themenfelder<br />
Globalisierung, Staatsversagen,<br />
Hunger, Bevölkerung, Wirtschaft<br />
und Umwelt, 5. Auflage,<br />
Bonn, 2004<br />
• Wallis, J<strong>im</strong>, Wer, wenn nicht<br />
wir. Streitbare Visionen für eine<br />
gerechte Politik, 1. Auflage,<br />
Moers, 2007<br />
zum Weitersurfen lohnt sich ein<br />
Blick in unsere Link-Liste auf<br />
www.just-people.net.<br />
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3. Sich für andere engagieren<br />
Advocacy – <strong>im</strong> Deutschen oft ein<br />
bisschen ungeschickt mit „Fürsprache“,<br />
„anwaltschaftlicher<br />
Arbeit“ oder „Eintreten für…“<br />
übersetzt. Gemeint ist, dass man<br />
für jemanden spricht, der das in<br />
seiner Situation nicht selbst kann.<br />
So wie es in Sprüche 31,8 steht:<br />
„Öffne deinen Mund für den Stummen,<br />
für das Recht aller Schwachen!“<br />
Die weltweite Micha-Bewegung<br />
bietet gleich Raum für eine zweifache<br />
Advocacy: Einerseits sprechen<br />
die Christen <strong>im</strong> Süden für<br />
ihre armen Mitmenschen in der<br />
nachbarschaft und in ihrem Land.<br />
Innerhalb der Micha-Bewegung<br />
sagen sie uns reicheren Christen,<br />
worunter sie leiden. Und wir können<br />
andererseits unsere Mitmenschen<br />
informieren.<br />
Vorschlag:<br />
• zu aktuellen politischen Themen<br />
Stellung beziehen<br />
• Petitionen, Volksinitiativen unterstützen<br />
und starten18 • mit Politikern über zusagen der<br />
Regierung in Sachen Armutsbekämpfung<br />
reden<br />
• sich selbst in der Parteipolitik<br />
engagieren<br />
(Volks)Initiativen starten18<br />
Auch wenn das Thema hier leider nicht näher behandelt werden kann, so<br />
können auch Unternehmen eine wichtige Rolle be<strong>im</strong> Engagement gegen<br />
Armut spielen. Hierzu empfehlen wir den Vertiefungsartikel „Wirtschaft und<br />
Gerechtigkeit: Die Welt ein kleines Stück WERTEvoller machen“ von T<strong>im</strong>o<br />
Plutschinski, Seite 154.<br />
Gerechter mitprägen? – Jetzt geht’s los!<br />
Als Christen haben wir aber die spannende Aufgabe, Gesellschaft und Politik<br />
nach unseren Möglichkeiten zu prägen – und Gott <strong>im</strong>mer wieder darum zu<br />
bitten, dass er uns klar macht, was ihm dabei auf dem Herzen liegt. Alles <strong>im</strong><br />
Sinne des Gottes, der in jedem Menschen sein Ebenbild sieht.<br />
Darum geht’s jetzt auch los mit der Just People?-Aktion.<br />
18 Ein gutes erstes politisches Engagement kann auch sein, sich über Lexika zu informieren,<br />
was Petitionen und Initiativen eigentlich genau sind und wie man sie für<br />
die Armutsbekämpfung nutzen kann.<br />
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Der Micha-Aufruf<br />
Am 15. Oktober 2004 starteten die Weltweite Evangelische Allianz und<br />
das Micah Network die internationale Kampagne Micah Challenge. Der so<br />
genannte Micah Call (Micha-Aufruf) formuliert die Vision von Micah Challenge<br />
so:<br />
Wenn Absichtserklärungen von führenden Politikern etwas von dem<br />
anklingen lassen, was den biblischen Propheten ein Anliegen war und<br />
was Jesus über die Armen lehrte, und wenn wir die Mittel haben, die weltweite<br />
Armut wesentlich zu reduzieren, erleben wir einen Zeitpunkt der<br />
gegenwärtigen Geschichte mit einem einzigartigen Potential.<br />
Wir verpflichten uns als Nachfolger von Jesus Christus, auf eine umfassende<br />
Veränderung unserer Umgebung hinzuarbeiten, nach Gerechtigkeit<br />
zu streben, leidenschaftlich Barmherzigkeit zu praktizieren und demütig<br />
vor Gott zu wandeln (Micha 6,8).<br />
Wir fordern internationale und nationale Entscheidungsträger (sowohl<br />
der reichen als auch der armen Nationen) auf, ihr öffentliches Versprechen<br />
zur Erreichung der Millenniumentwicklungsziele einzuhalten<br />
und dadurch die Armut bis zum Jahr <strong>2015</strong> zu halbieren.<br />
Wir rufen Christen überall auf der Welt dazu auf, zusammen mit<br />
den Armen Hoffnungsträger <strong>im</strong> Kampf gegen die Armut zu sein. Von<br />
nationalen und internationalen Verantwortungsträgern verlangen wir<br />
Rechenschaft bezüglich ihrer Verpflichtung, sich für eine gerechtere und<br />
barmherzigere Welt einzusetzen. Um dieses Anliegen zu verwirklichen,<br />
arbeiten wir mit anderen gleichgesinnten Menschen zusammen.<br />
Im Micah Network sind 300 christliche Entwicklungshilfeorganisationen<br />
aus 75 Ländern miteinander verbunden. Der größte Teil ist auf der südlichen<br />
Erdhalbkugel behe<strong>im</strong>atet.<br />
Die <strong>im</strong> Jahr 2001 verabschiedete „Erklärung zur integralen Mission“ ist<br />
Grundlage der Zusammenarbeit <strong>im</strong> Micah Network. 1<br />
In vielen Ländern wurden mittlerweile nationale Kampagnen von Micah<br />
Challenge gegründet. Im Augenblick gibt es 40 Kampagnen, wobei 25 aus<br />
dem globalen Süden kommen und die Zahl insgesamt weiter wächst.<br />
In der Schweiz heißt die nationale Kampagne <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und in<br />
Deutschland Micha-Initiative.<br />
Weitere Infos über das Micah Network, <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und die Micha-Initiative<br />
entn<strong>im</strong>mst du dem Vertiefungsartikel von Alexander Gentsch „Tun,<br />
was gut ist“ (Seite 158) oder auf www.just-people.net, www.micha-intiative.<br />
de und www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch.<br />
1 Die Micha-Erklärung kannst du in deutscher Fassung unter www.just-people.net<br />
herunterladen.<br />
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Die Just People?-Aktion<br />
Die Just People?-Aktion ist ein wichtiger Bestandteil des Just People?-Kurses.<br />
Nach zahlreichen Argumentationen und Diskussionen soll sie eine Brücke<br />
zwischen Theorie und Praxis schlagen. Frei nach dem Motto „Reden ist Silber,<br />
Engagement ist Gold“ werden wir gemeinsam einen Schritt zu mehr<br />
Engagement gehen.<br />
Die Just People?-Aktion sollte sich in der Vorbereitung und Umsetzung an<br />
Fragen von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit orientieren. Nicht nur das Ziel<br />
der Aktion ist entscheidend, sondern auch die Art und Weise, wie es erreicht<br />
wird. Dabei stellt sich zum Beispiel die Frage: Welche Materialien verwenden<br />
wir? So wäre es schon ein bisschen paradox, eine Bewusstseinskampagne<br />
gegen Kinderarbeit zu starten und dafür T-Shirts zu bedrucken, die von<br />
Kindern unter miserablen Bedingungen hergestellt wurden.<br />
Die Just People?-Aktion soll Raum bieten, auszuprobieren und zu entdecken,<br />
wo die Gaben jedes Einzelnen liegen und wie man diese für eine<br />
gerechtere Welt einsetzen kann. Deshalb sieht die Aktion bei jeder Kursgruppe<br />
letztlich anders aus. Sie soll jede/n Teilnehmende/n einbeziehen<br />
und ist idealerweise auch wiederholbar. Best<strong>im</strong>mt Aktionsleitende, welche<br />
die Fäden in der Hand halten. Wichtig ist auch die Außenwirkung der<br />
Aktion. Überlegt, wie ihr mit eurem Engagement nach außen wirken könnt.<br />
Bezieht eventuell auch die Medien mit ein.<br />
Wichtige Hinweise (Just People?-Aktion mit Öffentlichkeitscharakter):<br />
Es ist durchaus der Sinn dieser Aktion, damit in der Öffentlichkeit aufzufallen.<br />
Folgende Punkte sind dabei aber zu beachten:<br />
• Aktionen mit Öffentlichkeitscharakter wie Kundgebungen, Standaktionen<br />
etc. erfordern meist die Erlaubnis der Behörden!<br />
• Die Namen Just People?, Micha-Initiative oder <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> dür-<br />
fen verwendet werden. Bei explizit politischen Aktionen (Petitionen,<br />
Kundgebungen, Standaktionen etc.) muss aber eine Rücksprache mit<br />
den entsprechenden Koordinationsbüros erfolgen (siehe dafür www.<br />
stoparmut<strong>2015</strong>.ch, www.micha-initiative.de).<br />
Ideen für eine Just People?-Aktion:<br />
Just People?-Basar<br />
Organisiert einen Tauschbasar, bei dem Dinge verkauft werden, die man<br />
nicht (mehr) braucht und Dinge ersteht, ohne sie wirklich zu kaufen.<br />
• Die Produkte sind allesamt in gutem Zustand, der Besitzer braucht sie<br />
aber nicht mehr – ein anderer vielleicht schon (zum Beispiel eine noch<br />
gut klingende Gitarre oder ein alter Tisch).<br />
• Die Produkte werden am Anfang von einem Team eingeschätzt und<br />
in ein Punktesystem eingetragen. Zwei Produkte mit ähnlichem Wert<br />
können getauscht werden (zum Beispiel 5 Punkte für die noch passabel<br />
klingende Gitarre und 3 Punkte für den alten Tisch).<br />
Just People?, kostenlose Online-Version © 2010 <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
Spendenkonto: Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People
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Spendenkonto: Interaction-Genf Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / / Just People<br />
• Zum Schluss werden die Punkte der Produkte, die man neu erhalten<br />
hat, zusammengezählt und jeder zahlt einen anständigen Preis dafür<br />
(zum Beispiel 10 EUR/CHF für einen Punkt, also 50 EUR/CHF für die<br />
<strong>im</strong>mer noch gut klingende Gitarre und 30 EUR/CHF für den alten<br />
Tisch).<br />
• Das Geld wird dann an ein Hilfsprojekt gespendet (zum Beispiel<br />
Soforthilfe gegen Hungersnot).<br />
Jeder hat somit etwas für sein Geld erhalten und seinen überflüssigen<br />
Kram gleichzeitig indirekt an Menschen in Not gespendet.<br />
Just People?-shoppingberater<br />
Macht eine ausgedehnte Shopping- und Erkundungstour: Findet heraus,<br />
welche Geschichte die Produkte in den Läden eurer Stadt haben.<br />
• Schaut nach, ob beziehungsweise welche Siegel die Produkte in den<br />
Läden tragen (regional, FairTrade, Bio usw.) 1 und fragt die Verkäuferin/den<br />
Verkäufer nach Produktionsbedingungen sowie Transportweg<br />
und -arten der Produkte. Für Gruppenmitglieder wird ein Geschäft erst<br />
zum Einkaufen „freigegeben“, wenn es den Just People?-Shoppingtipp<br />
erhalten hat, was so viel heißt wie: „Hier weiß man, was man kauft.“<br />
• Erstellt einen Shoppingführer für die Stadt und verteilt ihn an alle Mitglieder<br />
der Gruppe.<br />
• Man wird sich einig, nur noch in Läden einzukaufen, die den Just<br />
People?-Shoppingtipp erhalten haben. Und das zeigen wir auch!<br />
• Publiziert die Ergebnisse (zum Beispiel über Internet). Das könnt ihr<br />
dauerhaft und interaktiv mit anderen Gruppen umsetzen.<br />
Weltbankett<br />
Organisiert das Essen für eine Gemeindeveranstaltung.<br />
Jeder Gast wird nach Losentscheid in eine Gruppe eingeteilt:<br />
• 1. Gruppe (circa 10 Prozent der Gäste): reichhaltiges Menu mit Vorspeise<br />
und Dessert<br />
• 2. Gruppe (circa 60 Prozent der Gäste): einfaches Essen in begrenzter<br />
Menge (zum Beispiel Risotto mit einer Zutat)<br />
• 3. Gruppe (circa 30 Prozent der Gäste): ein paar Scheiben trockenes<br />
Brot<br />
Befragt die Leute anschließend über ihre Erfahrungen und Eindrücke<br />
während des Essens und schlagt die Brücke zur allgemeinen Weltlage, die<br />
ja ähnlich ist wie oben beschrieben (vgl. auch Referat 1). Ladet zum Nachdenken<br />
ein und vielleicht sind die Leute so interessiert und neugierig, dass<br />
ihr bald wieder einen Just People?-Kurs starten könnt.<br />
sensibilisierungsaktion zu Kinderarbeit<br />
Für diese Aktion braucht ihr Kinder, die gern mitmachen wollen (eigene<br />
Kinder, Sonntagsschule, Jungschar etc.). Baut einen Stand in der Fußgängerzone<br />
(oder auf irgendeinem öffentlichen Platz) auf (Achtung: Frühzei-<br />
1 zum Thema FairTrade siehe auch den Vertiefungsartikel von Flurina Weidmann<br />
Bieri, Seite 142.<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
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82<br />
Just PEoPlE?<br />
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tig die Erlaubnis der Behören einholen!). Ihr als erwachsene Kursteilnehmende<br />
bietet nun den Passantinnen und Passanten an, dass ihnen Kinder<br />
bei diesem Stand kostenlos die Schuhe putzen. Dabei versucht ihr, mit<br />
den „Kunden“ ins Gespräch über Kinderarbeit zu kommen.<br />
Hinweis: Diese Aktion erfordert eine gute Recherche zu aktuellen Fakten<br />
und Zahlen dieser Thematik. Zudem können sicherlich bei verschiedenen<br />
Hilfswerken und Sensibilisierungskampagnen Flyer und Informationsmaterial<br />
zum Thema Kinderarbeit bezogen werden.<br />
Just People?-Gruppenausflug<br />
Unternehmt als Gruppe einen Ausflug, der in jedem Aspekt so nachhaltig<br />
und gerecht wie möglich ist. Das heißt konkret:<br />
• Eure Kleidung stammt aus fairem Handel (praktischerweise setzt man<br />
eine Grenze an, zum Beispiel mindestens ein FairTrade-Kleidungsstück).<br />
• Das Essen besteht ausschließlich aus regionalen und biologisch angebauten<br />
Produkten (ungeachtet dessen, ob sich jeder selbst versorgt<br />
oder für die ganze Gruppe gekocht wird). Sandwiches und Knabberzeugs<br />
werden in umweltfreundlichen Mehrwegverpackungen transportiert,<br />
also zum Beispiel in Plastikboxen, Rucksäcken oder Körben.<br />
• Das Ausflugsziel wird zu Fuß, mit dem Fahrrad oder einem speziellen<br />
kl<strong>im</strong>aneutralen Beförderungsmittel erreicht.<br />
• Das Ausflugsziel bietet Unterhaltung, die nicht nur euch selbst zugutekommt,<br />
sondern auch den globalen Fokus einbezieht. Besucht<br />
zum Beispiel den Grindelwaldgletscher (CH) und studiert seine<br />
Geschichte2 , spielt Fußball mit sozial benachteiligten Menschen,<br />
beteiligt euch an Aktionen zu Just People?-Themen etc.<br />
Weitere Anregungen findet ihr nach dem Referat 5 und 6.<br />
2 Der Grindelwaldgletscher ist (leider) ein sehr illustratives Beispiel für die<br />
Kl<strong>im</strong>aerwärmung.<br />
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Spendenkonto: Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People
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Konzept für die Just People?-Aktion<br />
Titel:<br />
ziel:<br />
Aufgabenbereiche und Verantwortliche:<br />
Material:<br />
Finanzen:<br />
Daten:<br />
Werbekonzept:<br />
Genehmigungen:<br />
GERECHTER GESTALTEn? 5: GESELLSCHAFT<br />
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83
84<br />
Just PEoPlE?<br />
Angepackt!<br />
Bis zur Kurseinheit 6 nehme ich mir vor:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
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KURSEInHEIT 6:<br />
KIRcHE – GERECHTER<br />
nACHFoLGEn?<br />
Darum geht’s: Gemeinsam ist besser als einsam: nicht nur der Einzelne<br />
sollte den Missionsauftrag integral verstehen, sondern auch die<br />
Gemeinde.<br />
Genauer gesagt:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Gut geärgert: Die ersten christlichen Gemeinden fielen Außenstehen-<br />
den durch ihr soziales Engagement auf – genau das kommt heute in<br />
vielen Gemeinden zu kurz.<br />
Verantwortung der Gemeinde(leitung): Dem Einzelnen nichts vorschreiben,<br />
aber positiv anstoßen.<br />
Außenwirkung: Jede christliche Gemeinschaft sollte positiv auf die<br />
Bedürftigen ihrer zeit wirken.<br />
Hände falten und fröhlich anpacken: Soziales Engagement darf und<br />
kann Gebet nicht ersetzen, sondern soll daraus erwachsen und davon<br />
durchdrungen sein.<br />
• Konkrete Impulse: Praktisch loslegen als Gemeinde<br />
Fragen, die wir stellen: Wie wirkt unsere Gemeinde auf Außenstehende?<br />
Integrale Mission – Eine Frage der Gemeinde? Wie lebt man am<br />
besten zusammen als Gemeinde? Welche Rolle spielt Gebet bei uns<br />
heute – und bei unserem Engagement für eine gerechtere Welt?<br />
So machen wir’s:<br />
• Diskussion zur Außenwirkung der Gemeinde<br />
• Referat mit Diskussion<br />
• Just People? -Aktion umsetzen<br />
• Kursabschluss<br />
GERECHTER nACHFoLGEn? 6: KIRCHE<br />
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85
86<br />
Just PEoPlE?<br />
Kaiser Apostata<br />
nervte es, dass<br />
die Christen durch<br />
ihr soziales Engagement<br />
auffielen<br />
und dadurch viele<br />
Außenstehende<br />
anzogen.<br />
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Referat 6:<br />
Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
In den Diskussionen in diesem Referat sollten die Diskussionsgruppen wenn<br />
möglich nach Gemeinden geordnet werden, sodass <strong>im</strong>mer Leute aus derselben<br />
Gemeinde gemeinsam diskutieren. Am besten setzt man sich schon in diesen<br />
Gruppen zusammen.<br />
Vorhin haben wir uns eine herausfordernde Frage gestellt: Wie wirkt Kirche<br />
nach außen? Als Christen und als Kirche sind wir Missionare. Nach dem<br />
Ursprung des Wortes „Mission“ (mittere – gesandt, Seite 45) wurden wir in<br />
die Welt gesandt und das wirkt sich deshalb logischerweise auf die Welt aus.<br />
Aber sind diese Auswirkungen <strong>im</strong> Sinne von Gottes Mission? 1 Um an dieser<br />
Stelle weiterzukommen, kann es eben helfen, einen Schritt zurückzutreten<br />
und zu überlegen: Wie wirkt unsere Gemeinde auf Außenstehende?<br />
Die Meinung eines solchen Außenstehenden findet man schon zu den Zeiten<br />
der frühen Christen <strong>im</strong> 4. Jahrhundert. Julian Apostata, damals römischer<br />
Kaiser, hatte nicht besonders viel übrig für die Christen und versuchte,<br />
sie in ein schlechtes Licht zu rücken. Er nannte sie unter anderem „gottlose<br />
Galiläer“ 2 . Besonders aber nervte ihn, dass diese „gottlosen Galiläer“<br />
durch ihr soziales Engagement auffielen und dadurch viele Außenstehende<br />
anzogen: „Es ist eine Schmach, wenn von den Juden nicht ein einziger um<br />
Unterstützung nachsuchen muss, während die gottlosen Galiläer [die Christen]<br />
neben den ihrigen auch noch die unsrigen ernähren, die unsrigen von<br />
unserer Seite aber offenbar Hilfe entbehren müssen. (...) Wir sollten doch<br />
einsehen, dass die Gottlosigkeit [das Christentum] nur deshalb Boden hat<br />
gewinnen können, weil sie sich liebevoll um Fremde gekümmert oder auch<br />
für die Bestattung Friedhöfe besorgt hat, ganz zu schweigen von ihrer strengen<br />
Lebensführung. (…) Sooft die Armen den Eindruck haben, von Priestern<br />
nicht beachtet zu werden, sehen das die gottlosen Galiläer sofort und nutzen<br />
die Gelegenheit zur Wohltätigkeit.“ 3<br />
In diesem Zitat ärgert sich ein Außenstehender über das soziale Engagement<br />
der frühen Kirche!<br />
Worüber ärgern sich die Leute heute, wenn sie das Wort „Kirche“ hören? Was<br />
bringen sie mit Christen in Verbindung? 4 Wie wird unsere Gemeinde vor Ort<br />
wahrgenommen? Wo deckt sich das mit unserer Selbstwahrnehmung?<br />
Diese Fragen können uns helfen zu sehen, ob unsere Prioritäten richtig sind<br />
und wie erfolgreich wir sie umsetzen. Die Meinung von Außenstehenden<br />
kann uns auch motivieren, unsere Gemeindeaktivitäten so zu gestalten, dass<br />
wir mehr wirken, wie wir wirken wollen.<br />
1 Das Spannungsfeld zwischen Gottes und meiner/unserer Mission haben wir schon<br />
einmal behandelt in Referat 3, Seite 45.<br />
2 Die „Gottlosigkeit“ bezieht sich in diesem Fall darauf, dass die Christen nicht die<br />
antiken Götter verehrten.<br />
3 Markschies, Christoph, Das antike Christentum: Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen<br />
(Beck'sche Reihe), München, 2006, 128.<br />
4 Spannend ist hier auch die Frage, wie Evangelikale in der Öffentlichkeit wahrgenommen<br />
werden. Die Kursleitung sollte je nach Gruppe entscheiden, ob dieser<br />
Aspekt wichtig ist oder nicht. (Dazu ein kleines Spielchen für zuhause: Einfach<br />
„evangelikal“ durch die Internet-Suchmaschine schicken.)<br />
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Bei Bedarf noch einmal kurz über die gesammelten Punkte diskutieren zur Frage:<br />
Wie wirkt die Kirche nach außen?<br />
Die Kirche mit Mund, Händen und Füßen<br />
Der christliche Bestseller-Autor Rick Warren („Leben mit Vision“ und „Kirche<br />
mit Vision“) beschäftigte sich mit der Aids-Problematik in Südafrika und<br />
entdeckte dabei die über 2.000 Bibelverse, die von Armut reden. Beschämt<br />
fragte er sich: „Wie konnte es sein, dass ich die überlesen hatte? Ich bin zur<br />
Bibelschule gegangen, habe an zwei Universitäten studiert und habe einen<br />
Doktortitel bekommen. Wie konnte es sein, dass ich an Gottes Herz für<br />
die Armen vorbeigelesen habe? Ich sah nicht die ganze Breite von Gottes<br />
Vision.“ 5<br />
Diese Gedanken von Rick Warren erinnern uns an Kurseinheit 2: Bibel – einfach<br />
überlesen? 6 Dort haben wir versucht, unsere „Wohlstandsbrille“ abzunehmen<br />
und Armut einmal nicht nur als geistliche Armut zu verstehen,<br />
sondern auch als Armut, die hungern lässt und krank macht. Rick Warren<br />
kritisiert die Kirche mit scharfen Worten: „Die Kirche ist der Leib Christi. Die<br />
Hände und Füße wurden amputiert und wir sind nur noch ein großer Mund,<br />
mehr bekannt für das, wogegen wir sind.“ Rick Warren bezieht sich hier auf<br />
Paulus, der <strong>im</strong> ersten Brief an die Korinther die Gemeinde mit einem Leib<br />
vergleicht, der viele Glieder hat: Hände, Füße und so weiter. 7 Wenn Rick<br />
Warren sagt, dass wir nur noch ein großer Mund sind und unsere Hände und<br />
Füße amputiert wurden, spricht er das Problem an, das wir auch schon in<br />
Referat 3 behandelt haben: Soziales Engagement kommt in vielen Gemeinden<br />
gegenüber der Wortverkündigung zu kurz. Wir haben gesagt, dass beide<br />
Aspekte des Missionsauftrages zu ein und demselben Evangelium gehören<br />
und man keins von beidem vernachlässigen sollte.<br />
Auch Rick Warren zielt mit folgendem Gebet in diese Richtung: „Gott,<br />
gebrauche mich, um die Hände und Füße wieder mit dem Leib Christi zu<br />
verbinden, damit die ganze Kirche sich einsetzt für das ganze Evangelium<br />
auf eine ganz neue Weise – durch die lokale Kirche.“ 8 Denn nur so können wir<br />
unser Potential als weltweiter Leib Christi voll ausnutzen.<br />
Erinnern wir uns noch einmal an die Gedankenanstöße und die Diskussion<br />
<strong>im</strong> Referat 3. 9 Wir haben uns dort gefragt, welches Missionsverständnis hinter<br />
den Aktivitäten unserer Gemeinde steht und wo wir unsere Prioritäten<br />
setzen.<br />
Eventuell diese Diskussion kurz auffrischen (nachzulesen auf Seite 45).<br />
Integrale Mission – Eine Frage der Gemeinde?<br />
Im Referat 3 haben wir darüber gesprochen, dass integrale Mission umfassend<br />
nur als Gemeinde gelebt werden kann. Gemeinde besteht ja nun aber<br />
5 Eigene Übersetzung nach: Morgan, T<strong>im</strong>othy C., Purposedriven in Rwanda, in:<br />
Christianity Today, http://www.christianitytoday.com/ct/2005/october/17.32.html,<br />
01.08.2010.<br />
6 Vgl. Seite 28.<br />
7 Vgl. 1. Korinther 12.<br />
8 Morgan, T<strong>im</strong>othy C., Purposedriven in Rwanda, in: Christianity Today, http://www.<br />
christianitytoday.com/ct/2005/october/17.32.html, 01.08.2010.<br />
9 Vgl. Seite 45.<br />
GERECHTER nACHFoLGEn? 6: KIRCHE<br />
„Die Kirche ist der<br />
Leib Christi. Die<br />
Hände und Füße<br />
wurden amputiert<br />
und wir sind<br />
nur noch ein großer<br />
Mund, mehr<br />
bekannt für das,<br />
wogegen wir sind.“<br />
Rick Warren<br />
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88<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Gemeindestrukturen<br />
sollten<br />
den Einzelnen in<br />
seinem Engagement<br />
fördern.<br />
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aus verschiedenen Menschen. Wenn einer Gemeinde grundsätzlich integrale<br />
Mission wichtig ist, darf sie diese Haltung dann auch ihren Mitgliedern<br />
„befehlen“? Ist es Aufgabe der Gemeinde, dem einzelnen Christen so grundsätzlich<br />
in seinen Lebensstil „reinzureden“? Oder sogar einen fairen Lebensstil<br />
aufzudrängen?<br />
Kurze Diskussion zu diesen Fragen in 4er-Gruppen. Am besten ist, wenn Teilnehmende<br />
aus derselben Gemeinde zusammen diskutieren.<br />
Soziales Engagement, das aus einem integralen Missionsverständnis<br />
erwächst, soll kein weiterer Punkt auf einer Liste sein, den man abhaken kann:<br />
Fair gehandelte Bananen gekauft? Dann kann ich ja jetzt hinter „gerechterer<br />
Lebensstil“ einen Haken machen.<br />
Nein, ein integrales Verständnis von Mission kann vielmehr nur als Herzensanliegen<br />
jedes einzelnen Christen wachsen. Wir sind alle auf einem Weg<br />
und jeder und jedem sind andere Aspekte wichtig. Es gilt, das erst einmal<br />
zu akzeptieren und niemanden zu bedrängen. Nur mit einer offenen Haltung<br />
dem anderen gegenüber kann ich ihm wirklich begegnen. Und nur so<br />
kann Austausch möglich werden. Dies ist zunächst die zwischenmenschliche<br />
Ebene. Wenn dann einzelne Christen in der Gemeinde sich für Gerechtigkeit<br />
und gegen Armut engagieren, wird dies auch Einfluss auf andere Mitglieder<br />
der Gemeinde nehmen.<br />
Was ist nun aber die Aufgabe der Gemeinde als Ganzes in diesem Austausch?<br />
Oder der Gemeindeleitung? Sie muss ihre Verantwortung wahrnehmen<br />
und relevante Fragen stellen, den Einzelnen <strong>im</strong>mer wieder herausfordern<br />
und dem Austausch wichtige Impulse geben. Die Gemeindestrukturen<br />
sollten den Einzelnen in seinem Engagement fördern. Sie sollten so ausgerichtet<br />
werden, dass die Gemeinde auch als Organisation alle Aspekte des<br />
Missionsauftrages leben kann.<br />
Manchmal wirft der Austausch innerhalb der Gemeinde auch unangenehme<br />
Fragen auf, die aber den Einzelnen positiv anregen können. Das erst macht<br />
Veränderung möglich. Und durch genau diesen offenen Austausch werden<br />
wir in den Gemeinden auch ermutigt, anders zu leben als die Gesellschaft,<br />
also gegen den Strom zu schw<strong>im</strong>men. Gerade <strong>im</strong> Bereich Konsum kann man<br />
da ein deutliches Zeichen setzen: inner- und außerhalb der Gemeinde.<br />
Global und für alle leib christi sein<br />
Lasst uns noch einmal die Bibelstelle aus Referat 3 genauer unter die Lupe<br />
nehmen.<br />
Das folgende Zitat liest jeder am besten still für sich durch.<br />
„Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten<br />
alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so<br />
viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig <strong>im</strong> Tempel, brachen<br />
in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt<br />
des Herzens. Sie lobten Gott und waren be<strong>im</strong> ganzen Volk beliebt. Und der Herr<br />
fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten“ (Apostelgeschichte<br />
2,44-47).<br />
Wie aber lebt man am besten zusammen als Gemeinde? Die Vorstellung<br />
davon reicht heute vom Gottesdienstbesuch einmal pro Woche bis hin zur<br />
Lebensgemeinschaft, bei der man auch den Alltag teilt. Wir haben hier also<br />
ein breites Spektrum.<br />
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Eine Form der engen Lebensgemeinschaft ist die Gütergemeinschaft.<br />
Dabei teilt man auch seinen Besitz. Wieso lebt man eigentlich in einer solchen<br />
Gütergemeinschaft? Hört bei Geld und Besitz die Freundschaft nicht<br />
auf? Kostet es nicht zusätzlich sehr viel Mühe, sich zum Beispiel <strong>im</strong>mer abzusprechen,<br />
wer wann das Auto nehmen darf? Und sowieso: Wird Großzügigkeit<br />
nicht oft ausgenutzt?<br />
Selbstverständlich ist auch eine Gütergemeinschaft nicht der H<strong>im</strong>mel auf<br />
Erden. Trotzdem sprechen ein paar gute Gründe für eine solch enge Lebensgemeinschaft.<br />
Einer lautet zum Beispiel, dass es einem in Gemeinschaft leichter<br />
fallen kann, Bescheidenheit, Solidarität und Genügsamkeit zu lernen und<br />
zu leben. Allein ist es manchmal schwieriger, seine eigenen Erkenntnisse in<br />
die Tat umzusetzen – gerade was den Konsum betrifft. Schließlich bekommt<br />
man <strong>im</strong> Alltag ständig von allen Seiten eingehämmert, dass man noch mehr<br />
kaufen soll. Gemeinsam kann man leichter gegen den Konsumstrom schw<strong>im</strong>men.<br />
Gemeinsam kann man sich besser motivieren, man kann sich austauschen<br />
und in einer guten Weise den anderen zum Nachdenken bringen. Oder<br />
seinen eigenen Lebensstil hinterfragen lassen.<br />
Übrigens gibt es innerhalb der Gütergemeinschaft natürlich verschiedene<br />
Formen. Man muss nicht gleich alle Bankkonten zusammenlegen. Aber wenn<br />
zum Beispiel nicht jeder das klitzekleinste Detail eines Haushalts besitzt und<br />
man sich dafür Dinge ausleiht und teilt, werden Kapazitäten und Ressourcen<br />
frei – auch für die Armen. Schon eine solche „Light-Version“ der Gütergemeinschaft<br />
kann vieles positiv verändern.<br />
Eine Gemeinde, die das Exper<strong>im</strong>ent der Gütergemeinschaft gewagt hat,<br />
ist die Jerusalemer Urgemeinde. Was tat diese Gemeinde mit ihrem Geld<br />
und ihrem Besitz? Lesen wir noch einmal: „Sie verkauften Hab und Gut und<br />
gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ Immer mehr Menschen,<br />
ob reich oder arm, wollten zur Gemeinde dazugehören. Ein Grund dafür: In<br />
der Gemeinde kümmerte man sich umeinander. Man teilte alles: Zeit, Essen,<br />
Geld. Und wie wir schon zu Beginn des Referats gesehen haben: Die Armenfürsorge<br />
beeindruckte. Christen fielen dadurch in der Gesellschaft auf.<br />
Aber bezieht sich die Bibelstelle in der Apostelgeschichte nicht nur auf<br />
die Armen in der Gemeinde? Das kann sein. Aber die Bibelstelle schließt ein<br />
Engagement für die Armen außerhalb nicht aus. Und dass Armenfürsorge<br />
nicht an der Gemeindegrenze haltmachen soll, sehen wir am Beispiel des<br />
barmherzigen Samariters: Jeder, der bedürftig ist, verdient meine Hilfe –<br />
ganz egal, ob er zu meiner Gemeinde gehört oder nicht! 10<br />
Fragen wir uns doch noch einmal: Wer ist denn heute bedürftig? Sicherlich<br />
gibt es innerhalb der eigenen Gemeinde viele Menschen, die unsere Hilfe<br />
brauchen. Oder in unserem He<strong>im</strong>atort. Aber wie wir <strong>im</strong> Kurs <strong>im</strong>mer wieder<br />
gesehen haben: Unser Blick sollte darüber hinausgehen. Weiter sehen. Bis<br />
nach Afrika, Asien und Lateinamerika. Oder hört unsere Gesellschaft an<br />
der Landesgrenze auf? An der Atlantik- oder Mittelmeerküste? Hat unsere<br />
Gemeinde, unsere Gemeinschaft, in der wir leben, noch Auswirkungen auf<br />
die Bedürftigen heute? Arme sind mehr als nur arm. Sie sind Menschen,<br />
Abbilder Gottes, mit Träumen, Ideen – und sie haben eine Geschichte. Als solche<br />
sollten wir sie sehen (lernen). In vielen Dingen können unsere Geschwister<br />
<strong>im</strong> Süden sogar unsere Vorbilder und Lehrer werden.<br />
Der Leib Christi ist eine weltweite Gemeinschaft. Nur gemeinsam mit<br />
unseren Schwestern und Brüdern <strong>im</strong> Süden können wir den Missionsauftrag<br />
umfassend leben. Sie sind unsere Geschwister auf Augenhöhe. Natürlich<br />
sollten wir sie weiterhin finanziell unterstützen – das ist richtig und wichtig!<br />
Aber es geht noch um viel mehr. Wenn wir nicht nur geben, sondern uns auch<br />
10 Vgl. Referat 3, Seite 50.<br />
GERECHTER nACHFoLGEn? 6: KIRCHE<br />
Gemeinsam kann<br />
man leichter gegen<br />
den Konsumstrom<br />
schw<strong>im</strong>men.<br />
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89
90<br />
Just PEoPlE?<br />
Arme sind mehr<br />
als nur arm. Sie<br />
sind Menschen,<br />
Abbilder Gottes,<br />
mit Träumen, Ideen<br />
– und sie haben<br />
eine Geschichte.<br />
Als solche sollten<br />
wir sie sehen (lernen).<br />
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von ihnen beschenken lassen, dann begegnen wir uns auf derselben Ebene.<br />
Dann stellt Geld und Besitz den einen nicht über den anderen. Erst dann wird<br />
ein wirklicher Austausch möglich. Und wenn wir das verpassen, sind auch<br />
wir ärmer dran.<br />
Vor allem und in allem: Gott bitten und bitten lassen<br />
Wir haben es eben gelesen und schon einmal <strong>im</strong> Referat 4 darüber geredet:<br />
Die Urgemeinde in Jerusalem betete täglich <strong>im</strong> Tempel zusammen. Aber welche<br />
Rolle spielt Gebet bei uns heute – und bei unserem Engagement für eine<br />
gerechtere Welt? Hand aufs Herz: Reden wir mit Gott über Ungerechtigkeiten,<br />
politische Missstände, über Hungertote und Aidskranke? Bitten wir ihn<br />
darum, einzugreifen? Oder resignieren wir schon, bevor wir die Hände überhaupt<br />
falten? Glauben wir wirklich, dass Gott in unsere Geschichte, in unsere<br />
Welt kam, heute noch da ist und eingreifen kann? Oder sind das alles nur<br />
fromme Floskeln, die uns eben mal schnell von der Zunge rutschen?<br />
Jesus hat sogar den Tod besiegt. Was ist Gott dann noch unmöglich? Und<br />
welchen Grund haben wir dann noch, nicht zu hoffen? Wer auf ein Leben<br />
nach dem Tod hofft, der kann auch mutig seine Hände für eine gerechtere<br />
Welt falten!<br />
Aber das Gebet führt nicht nur von mir zu Gott, das Gebet kennt auch die<br />
Gegenrichtung: Gott spricht mich an. Im Gebet lasse ich zu, dass er mir<br />
die Not der Welt aufs Herz legt. Darf mich Gott aus der Ruhe bringen und<br />
bekenne ich ihm meine manchmal abgestumpfte Gelassenheit? Als jemand,<br />
der ihm nachfolgt und ihn liebt: Sind seine Herzensanliegen auch meine Herzensanliegen?<br />
Im Gebet darf ich Gott als sein Abbild gegenübertreten, ich darf ihm erzählen,<br />
was mich wütend macht und weiß, dass Gott mich versteht. Im Gespräch mit<br />
Gott wird mir klar, dass ich nicht der Weltenretter sein kann und muss, aber<br />
eben auch, dass ich meinen Beitrag leisten kann. Und zwar nicht auf mich<br />
alleingestellt, sondern durch die Hilfe Gottes, aus Liebe und Dankbarkeit zu<br />
ihm und zusammen mit anderen Menschen. Gebet gibt Kraft und den langen<br />
Atem. Soziales Engagement darf und kann Gebet nicht ersetzen, sondern soll<br />
daraus erwachsen und davon durchdrungen sein.<br />
Je nach Situation in der Gruppe kann die Kursleitung an dieser Stelle eine<br />
gemeinsame Gebetszeit einbauen.<br />
Auf geht’s! – Gerechter nachfolgen<br />
Noch einmal zurück zur Gemeinde, die wie ein Leib<br />
mit vielen Gliedern ist: Mit den Gemeinden dieser<br />
Welt haben wir ein riesiges Netzwerk und eine gute<br />
Plattform, Mission integral in der Welt und für die<br />
Welt zu leben. Wenn wir dies in Wort und Tat und<br />
allen D<strong>im</strong>ensionen tun – mit Mund, Händen und<br />
Füßen –, wird die Welt unsere Taten sehen. Millionen<br />
von Christen weltweit haben die Möglichkeit,<br />
gemeinsam Probleme anzugehen, vieles zu verändern<br />
und neue Standards für das Zusammenleben<br />
zu setzen. Lassen wir uns von der Nächstenliebe und<br />
Barmherzigkeit antreiben!<br />
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Spendenkonto: Interaction-Genf, IBAN: CH47 0900 0000 8547 5563 7, Vermerk: <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> / Just People
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Wir wollen jetzt einige praktische Beispiele anschauen und konzentrieren<br />
uns dabei auf:<br />
• das Engagement gegen globale Armut,<br />
• den Einsatz für ökologische Nachhaltigkeit und<br />
• einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld und Besitz.<br />
Natürlich ist diese Liste nicht vollständig, best<strong>im</strong>mt kommen euch noch viele<br />
andere gute Ideen!<br />
Diskussion<br />
Ausführliche Diskussion (Gruppen wie eben) über die konkreten Möglichkeiten,<br />
die man jetzt schon in seiner Gemeinde umsetzen kann. Einige Ideen sammeln<br />
und für alle gut sichtbar aufschreiben. Warum nicht diese Ideen, wenn möglich,<br />
auch in die Just People?-Aktion einbauen und auf dem Webportal platzieren?<br />
Man kann auch Erfahrungen über bereits in anderen Gemeinden durchgeführte<br />
Projekte austauschen.<br />
Am Ende soll jede/jeder einen Punkt auswählen, den sie/er dann umsetzt.<br />
11 12<br />
Engagement gegen globale Armut:<br />
Wo kann globale Armut und Gerechtigkeit<br />
bei uns in der Gemeinde<br />
zum Thema werden?<br />
Ist in der Gemeindeleitung Armutsbekämpfung<br />
und soziale<br />
Gerechtigkeit ein Thema?<br />
Vorschlag (in regelmäßigen<br />
Gemeindeveranstaltungen): in<br />
Gottesdiensten; in Lobpreisveranstaltungen;<br />
in Gemeindekreisen,<br />
<strong>im</strong> Kindergottesdienst11 ; in Jugendgruppen<br />
etc.<br />
Vorschlag (Aktionen): Micha- und<br />
<strong>StopArmut</strong>-Sonntag; kleine Übung<br />
in Bescheidenheit: einen Monat<br />
lang kein neues Kleidungsstück<br />
kaufen; Ideen-Wettbewerbe; einen<br />
Monat lang auf Hartz-IV-niveau12 leben etc.<br />
Vorschlag: einen Arbeitszweig<br />
„Soziales/Armutsbekämpfung“<br />
initiieren (Bestehendes wie Weltmissionskreis<br />
etc. ausbauen; an<br />
vorhandene Strukturen anpassen)<br />
11 Kindern dieses Thema nahezubringen, erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Wir<br />
empfehlen zum Beispiel: olpen, Febe (Hg.), Cool - durch Teilen mehr bekommen... du<br />
kannst ein Segen sein, Gerth Medien, 1. Auflage, Aßlar, 2009.<br />
12 Hartz IV (Arbeitslosengeld II) bezieht in Deutschland ein Arbeitsloser ab dem zweiten<br />
Jahr seiner Arbeitslosigkeit. Der Regelsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
liegt bei 359 Euro <strong>im</strong> Monat (ohne Kosten für Unterkunft und Heizung, Stand:<br />
Juli 2010).<br />
GERECHTER nACHFoLGEn? 6: KIRCHE<br />
Millionen von<br />
Christen weltweit<br />
haben die Möglichkeit,<br />
gemeinsam<br />
Probleme anzugehen,<br />
vieles zu verändern<br />
und neue<br />
Standards für das<br />
zusammenleben zu<br />
setzen.<br />
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Just PEoPlE?<br />
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Engagiert sich die Gemeinde auch<br />
politisch für Gerechtigkeit?<br />
Initiiert die Gemeinde Projekte<br />
für eine gerechtere Welt selbst<br />
und/oder arbeitet sie bei anderen<br />
größeren Projekten mit? Und sind<br />
das sowohl kurzfristige Hilfsprojekte<br />
als auch langfristige?<br />
Sehen wir christliche Gemeinden<br />
<strong>im</strong> Süden als unsere gleichberechtigten<br />
Partner, mit denen wir<br />
unser Leben teilen, mit denen wir<br />
lachen, leiden, gemeinsam auf<br />
dem Weg sind, die uns auch ein<br />
ganzes Stück weiterbringen?<br />
Unterstützt die Gemeinde gerechteren<br />
Konsum? Ist sie da Vorbild<br />
für ihre Gemeindemitglieder und<br />
für ihre Umgebung? Was wird an<br />
gemeinsamen Mahlzeiten (inkl.<br />
Kaffee und Kuchen) serviert?<br />
Ist die Gemeinde auch lokal für<br />
andere da? Ist das Gemeindegebäude<br />
ein ort, an dem sich Leute<br />
auch unter der Woche wohlfühlen<br />
können? Helfen wir als Gemeinde<br />
benachteiligten Bevölkerungsgruppen?<br />
Beten wir regelmäßig für Gerechtigkeit,<br />
Frieden und menschenwürdige<br />
Lebensbedingungen<br />
weltweit? Beten wir um kreative<br />
und innovative Lösungen? Beten<br />
wir um ein größeres Bewusstsein<br />
und stärkeres Engagement für<br />
eine gerechtere Welt in der Bevölkerung?<br />
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Vorschlag: Gespräche mit Abgeordneten;<br />
Briefe an Politiker;<br />
Petitionen; Stellungnahmen;<br />
Leserbriefe; Standaktionen; in Regionalgruppen<br />
von <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
oder der Micha-Initiative mitmachen<br />
(bei Bedarf gründen) 13<br />
Vorschlag: Benefizveranstaltungen;<br />
Sammelaktionen; Einsätze<br />
in armen Ländern; Verknüpfung<br />
verschiedener Gemeinden, die ein<br />
Hilfsprojekt unterstützen<br />
Vorschlag: Kontakte zu Gemeinden<br />
<strong>im</strong> Süden suchen und aufbauen;<br />
regelmäßige Kommunikation;<br />
gemeinsame Themen in Gemeindekreisen<br />
(zum Beispiel das Thema<br />
„zeit“) und Austausch darüber;<br />
gegenseitige Besuche<br />
Vorschlag: bescheidenere Mahlzeiten<br />
mit zum Beispiel regionalen<br />
Produkten; FairTrade-Produkte<br />
verkaufen14 ; online-Plattform aufbauen;<br />
lokalen Einkaufsratgeber<br />
zusammenstellen<br />
Vorschlag: offener Mittagstisch;<br />
Kinderkrippe; Hilfe für Asylbewerber;<br />
Deutschkurse; Haushaltsarbeiten<br />
für Kranke (auch außerhalb<br />
der Gemeinde)<br />
Vorschlag: in Gottesdiensten und<br />
Gebetskreisen Anliegen aus den<br />
nachrichten aufnehmen; einen<br />
eigenen Gebetskreis für globale<br />
Gerechtigkeit gründen; zu den<br />
Gebetstreffen der <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>-<br />
und Micha-Lokalgruppen einladen;<br />
24-7-Gebet durchführen 15<br />
13 Mögliche Kampagnen: Stand Up-Kampagne (www.standagainstpoverty.org; www.<br />
stell-dich-gegen-armut.de), Kampagne für saubere Kleidung (www.cleanclothes.<br />
ch; www.saubere-kleidung.de), Erlassjahr (www.erlassjahr.de), Aktionsbündnis<br />
gegen Aids (www.aids-kampagne.de), onE Campaign (www.one.org/de). Weitere<br />
Tipps sind auf www.just-people.net zu finden.<br />
14 Gerade an Läden, die faire Kleidung anbieten, mangelt es noch. Hier könnten Gemeinden<br />
eine Vorreiterrolle spielen! Wieso nicht einen solchen Laden eröffnen?<br />
15 Anregungen zum 24-7-Gebet für Gerechtigkeit gibt es auf www.24-7prayer.de.<br />
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Einsatz für ökologische nachhaltigkeit:<br />
Wo können wir noch mehr Energie<br />
sparen?<br />
Kommen mehr Gemeindemitglieder<br />
zu Fuß/mit dem Fahrrad als<br />
mit dem Auto?<br />
Was macht eure Gemeinde sonst<br />
noch, um Ressourcen zu schonen<br />
und Energie zu sparen?<br />
Beten wir regelmäßig für die<br />
Schöpfung und dafür, dass wir<br />
weise und verantwortungsvoll mit<br />
den Ressourcen umgehen? Beten<br />
wir für gute Ideen, damit auch<br />
nachfolgende Generationen gut<br />
auf der Erde leben können?<br />
Verantwortungsvoller Umgang mit Geld und Besitz:<br />
Wie wird Gemeinschaft bei uns in<br />
der Gemeinde gelebt?<br />
Fragen wir uns innerhalb unseres<br />
gemeinschaftlichen Lebens auch,<br />
wie wir gemeinsam verantwortungsvoll<br />
mit Besitz umgehen<br />
können? In welchen Bereichen<br />
könnten wir eine Art von Gütergemeinschaft<br />
leben?<br />
Werden Gemeindemitglieder auch<br />
in ihrer persönlichen Besitzethik<br />
dazu ermutigt, gegen den Mainstream<br />
zu schw<strong>im</strong>men?<br />
GERECHTER nACHFoLGEn? 6: KIRCHE<br />
Vorschlag: Räume nur heizen,<br />
wenn sie benutzt werden; ausreichend<br />
heizen, aber nicht verschwenderisch;<br />
Stromschienen für<br />
Büros; Stand-by-Modus vermeiden<br />
Vorschlag: bei ländlichen Gemeinden<br />
Fahrgemeinschaften; bei<br />
städtischen Gemeinden auf öffentliche<br />
Verkehrsmittel verweisen;<br />
Fahrradparkplätze als Gemeinde<br />
bereitstellen<br />
Vorschlag: umweltfreundliches<br />
Papier; Mülltrennung; Solarzellen;<br />
Isolieren der Gemeinderäume;<br />
Heizsystem mit erneuerbaren<br />
Energien; Regenwasser für<br />
Toilette; Strom aus erneuerbaren<br />
Energien<br />
Vorschlag: gemeinsam feiern; gemeinsame<br />
Ausflüge; gemeinsam<br />
essen; Wohngemeinschaften von<br />
Gemeindemitgliedern; gemeinsame<br />
Urlaube<br />
Vorschlag: Garten; Auto; Ferienwohnung;<br />
nahrungsmittel;<br />
Flohmärkte etc.<br />
Vorschlag: in der Gemeinde Raum<br />
schaffen für Austausch über gerechteren<br />
Lebensstil; zeugnisse<br />
geben; füreinander beten<br />
Zum Weiterlesen<br />
• Rolf zwick, Die Kirche kann auch<br />
Globalisierung, Seite 162<br />
• Martin Bühlmann, Gerechtigkeit,<br />
Seite 166<br />
• Christina Brudereck, Wer in<br />
Gott eintaucht, wird neben den<br />
Armen auftauchen, Seite 170<br />
• Edwards, Joel, Unwiderstehlich.<br />
Kirche, die Jesus verkörpert, 1.<br />
Auflage, Schwarzenfeld, 2010<br />
• Hardmeier, Roland, Kirche ist<br />
Mission. Auf dem Weg zu einem<br />
ganzheitlichen Missionsverständnis,<br />
Schwarzenfeld, 2009<br />
• Gordon, Graham, Das habt ihr<br />
mir getan. Engagiertes Christsein<br />
in einer unfairen Welt,<br />
Basel, 2004<br />
zum Weitersurfen lohnt sich ein<br />
Blick in unsere Link-Liste auf<br />
www.just-people.net.<br />
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100 tipps für ein gerechteres leben<br />
Zu guter Letzt hier eine Liste mit 100 Tipps für ein gerechteres Leben: Lass<br />
dich anregen, überraschen und irritieren!<br />
Ich kopiere diese 100 Tipps und hänge sie dort auf, wo ich sie jeden Tag lesen kann.<br />
Ich mache mir bewusst, dass ich einem armen Wanderprediger nachfolge.<br />
„Weltverbesserer“ ist kein Sch<strong>im</strong>pfwort.<br />
Unser täglich Brot gib uns heute – selbst wenn es noch von gestern ist.<br />
Ich richte meinen Lebensstil nicht nach meiner Bequemlichkeit.<br />
Weniger ist manchmal mehr.<br />
Ich lese ein Buch über Entwicklungshilfe.<br />
Auch wenn ich hier sehr einfach lebe, ist das <strong>im</strong>mer noch luxuriös <strong>im</strong> Vergleich zum weltweiten Durchschnitt.<br />
Weil ich hier leben darf, setze ich mich für Menschen ein, die nicht so privilegiert geboren wurden.<br />
Ich erweitere die nächstenliebe zur Fernstenliebe.<br />
Den Satz „Wenn jeder kleine Schritte geht...“ finde ich eigentlich gar nicht kitschig.<br />
Ich bin mir bewusst, dass ein fairer Lebensstil Konsequenzen hat.<br />
Ich lasse mich nicht durch mein eigenes Scheitern entmutigen.<br />
Ich weiß, was ein ökologischer Fußabdruck ist.<br />
Ich weiß, was mein ökologischer Fußabdruck ist.<br />
Ich forsche nach den wesentlichen Einflüssen für meinen ökologischen Fußabdruck.<br />
nudeln werden gekocht, Kleider nicht.<br />
... und die Wäsche wird auch ohne Trockner trocken.<br />
Einkaufstaschen kann man mehrmals verwenden.<br />
nicht alles muss verpackt werden.<br />
Es ist nicht alles Abfall, was nicht mehr glänzt (zum Beispiel das ältere Handy).<br />
Kleider machen Leute, Kinder gehen zur Schule.<br />
Come, now is the t<strong>im</strong>e to fairtrade.<br />
Ich investiere zeit und Geld für die Suche nach fairer produzierten Produkten.<br />
Ich gehe nicht erst in einen Secondhandshop, wenn ich mal eine zweite Hand brauche.<br />
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – und schon gar nicht über den Atlantik.<br />
Ich kaufe Gemüse be<strong>im</strong> Bauern.<br />
Die örtliche Käserei verkauft besseren Käse als der Supermarkt.<br />
Ich habe einen eigenen Garten.<br />
An meinem Kühlschrank hängt die Saisontabelle für Gemüse.<br />
Ich esse weniger Fleisch (oder werde Vegetarier).<br />
Mein Sandwi(s)ch schmeckt auch ohne Thunfisch.<br />
Der Mais gehört in den Mund, nicht in den Tank.<br />
Diamanten sind nicht blutrot, anderer Schmuck auch nicht...<br />
Ich schaue die Filme „We feed the world“ und „Unser täglich Brot“.<br />
Ich mache mir klar, dass Hunger mehr ist als Appetit.<br />
nicht nur fairer konsumieren, sondern auch weniger konsumieren.<br />
Ich übe mich in Verzicht und Bescheidenheit und kann dabei sogar an Lebensqualität gewinnen.<br />
Ich verzichte auf eine eigene große Wohnung (und auf einen Hausneubau).<br />
Ich lebe mit anderen und teile meinen Haushalt, denn:<br />
Teilen hilft heilen.<br />
Mein Haus ist auch für Fremde offen.<br />
Ich freue mich an alternativen Energien und an alternativen Lebensstilen.<br />
Ich heize mit erneuerbaren Energien.<br />
Im Winter lässt es sich auch bei 20 Grad in der Wohnung gut leben.<br />
Ich kaufe mir einen bequemen Pulli für die kalte Jahreszeit.<br />
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Mehrere Menschen in einem Raum heizen auch (die St<strong>im</strong>mung auf).<br />
Bei meiner Duschbrause werde ich kaum nass.<br />
Ich schw<strong>im</strong>me ohne Strom (und bin trotzdem ein lebend'ger Fisch).<br />
... und Fisch esse ich sowieso nicht aus dem ozean.<br />
Mein Kühlschrank macht einen Winterschlaf. Die Kiste auf dem Balkon tut's auch.<br />
Solarkocher sind nicht nur für Afrikaner, Mitteleuropäer dürfen sie auch benutzen.<br />
Ich fahre bei jedem Wetter Fahrrad.<br />
Ich verzichte auf mein Auto.<br />
Wenn schon Autofahrten, dann in Fahrgemeinschaften.<br />
Ich fahre zug und finde das klug.<br />
Wenn Flieger hinter Fliegern fliegen, bleibe ich am Boden.<br />
Richtig abenteuerlich sind Ferien mit dem Fahrrad, zug oder per Anhalter.<br />
Kunstschneefahren ist hart und gefährlich – für die Umwelt.<br />
Ich rechne aus, wie reich ich eigentlich bin.<br />
... und wenn ich mich schon mit anderen vergleiche, dann nicht mit den wenigen Millionären, sondern auf www.globalrichlist.org.<br />
Ich nutze meine Freizeit nicht zum Spekulieren, sondern zum Agieren.<br />
Ich suche mir eine Bank, bei der ich weiß, was sie mit meinem Geld macht.<br />
Ich lasse mein Geld nicht auf der Bank brachliegen.<br />
Ich unterstütze ein Hilfsprojekt.<br />
Ich unterstütze zwei Hilfsprojekte.<br />
Ich unterstütze drei Hilfsprojekte oder mehr.<br />
Man kann den Armen das Wasser reichen.<br />
Ein gerechter Welthandel interessiert mich mehr als meine Internet-Auktionen.<br />
„Weltbank“, „IWF“ und „MDGs“ sind keine Fremdwörter für mich.<br />
Meinen Job mache ich aus Leidenschaft und nicht wegen des Geldes.<br />
Durch meinen Job wird die Welt ein kleines bisschen gerechter.<br />
Mit meinem Leben drehe ich meinen eigenen Film (und hocke daher nicht dauernd vor dem Bildschirm…).<br />
Politik ist für mich kein rotes Tuch.<br />
Ich bewerte „meine“ Politiker hinsichtlich ihrer Programme in der Armutsbekämpfung und dem Umgang mit Ressourcen.<br />
Ich lasse mich gegen das Virus „Engagement“ nicht <strong>im</strong>pfen.<br />
Ich lasse mich vom Virus „Engagement“ anstecken.<br />
Das Virus zeigt seine Symptome in Solidarität, politischen Aktionen usw.<br />
Ich stecke damit vorsätzlich andere an.<br />
Ich versuche, mich <strong>im</strong>mer wieder selbst anzustecken.<br />
nächstenliebe, Mitgefühl und Phantasie bewegen mich zu politischen Aktionen.<br />
Ich unterschreibe Petitionen <strong>im</strong> Bereich Entwicklungshilfe.<br />
Ich unterschreibe Petitionen <strong>im</strong> Bereich Umweltschutz.<br />
Ich schaue auch Katastrophenbildern ins Auge und nicht über sie hinweg.<br />
Das Unrecht auf der Welt bringt mich dazu, einen Klagepsalm zu schreiben.<br />
Ich scheue mich nicht davor, die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft zu bekämpfen.<br />
... und ich bekämpfe täglich meine eigene Gleichgültigkeit.<br />
Ich lebe eine längere zeit in einem Entwicklungsland – und reflektiere dabei meinen Lebensstil hierzulande.<br />
Reden ist Silber, Engagement ist Gold.<br />
Ich suche mir Gleichgesinnte und werde mit ihnen aktiv.<br />
Ich weiß, dass die Probleme zu groß sind für einen Menschen und gehe trotzdem fröhlich einen kleinen Schritt nach dem anderen.<br />
Ich frage nicht: „Wer ist mein nächster?“, sondern: „Wie kann ich zum nächsten werden?“.<br />
Ich lese die Bibel auch mal gegen mich.<br />
Ich entledige mich meiner Gesellschaftsbrille be<strong>im</strong> Bibellesen.<br />
Ich fühle mich angesprochen, wenn Jesus von „den Reichen“ spricht.<br />
Ich schneide alle Armutsstellen aus einer alten Bibel aus… und staune.<br />
Ich bin auf den Spuren des Herzens Gottes für die Armen.<br />
Ich will auch das Evangelium den Armen bringen (Lukas 4,18).<br />
Ich integriere das Integrale in mein Missionsverständnis.<br />
Ich schreibe eigene Tipps für ein gerechteres Leben.<br />
AnHAnG<br />
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literaturnachweis<br />
Für Referat 1:<br />
Alliance Sud, Eine andere Welt ist möglich, Bern, 2005.<br />
Bleisch, Barbara und Schaber, Peter, Weltarmut und Ethik, Paderborn, 2007.<br />
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(BMZ), Stärkung der Teilhabe von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />
Bonn/Berlin, 2007.<br />
Diamond, Jared, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften,<br />
7. Auflage, Frankfurt/Main, 2000.<br />
Dinkel, Fredy, Die Tragfähigkeit der Erde, Muttenz, 2007.<br />
Lobina, Emanuele, Problems with Private Water Concessions: A Review of Experiences<br />
and Analysis of Dynamics, in: International Journal of Water Resources<br />
Development, Volume 21, Issue 1, London, 2005.<br />
Nuscheler, Franz, Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, 5. Auflage,<br />
Bonn, 2004.<br />
Nuscheler, Franz, Sicherheitsinteressen über dem Entwicklungsinteresse. Rückblick<br />
auf ein halbes Jahrhundert Entwicklungspolitik, in: eins Entwicklungspolitik<br />
21/22, Frankfurt/Main, 2007.<br />
UNESCO, International Year to Commemorate the Struggle against Slavery and<br />
its Abolition, 1. Auflage, Paris, 2004.<br />
United Nations, The Millennium Development Goals Report 2009, New York,<br />
2009.<br />
WFP, World Food Programme 2009, Rom, 2009.<br />
Für Referat 2:<br />
Dietrich, Walter, Der rote Faden <strong>im</strong> Alten Testament, in: ders. Theopolitik. Studien<br />
zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn, 2002.<br />
Hardmeier, Roland, Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen<br />
Missionsverständnis, Schwarzenfeld, 2009.<br />
Keel, Othmar und Schroer, Silvia, Schöpfung. Biblische Theologien <strong>im</strong> Kontext<br />
altorientalischer Religionen, Göttingen, 2002.<br />
Wallis, J<strong>im</strong>, Die Seele der Politik: Eine Vision zur spirituellen Erneuerung der<br />
Gesellschaft, München, 1995.<br />
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Für Referat 3:<br />
Hardmeier, Roland, Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen<br />
Missionsverständnis, Schwarzenfeld, 2009.<br />
The Micah Declaration on Integral Mission, in: Chester, T<strong>im</strong> (Hg.), Justice,<br />
Mercy and Humility: Integral Mission and the Poor, Carlisle, 2002.<br />
Stott, John, Christsein in den Brennpunkten unserer Zeit. Bd. 1: … in einer<br />
nicht-christlichen Gesellschaft, Marburg, 1987.<br />
Für Referat 4:<br />
Claiborne, Shane, Ich muss verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Exper<strong>im</strong>ente<br />
in Sachen Nächstenliebe, Gießen, 2007.<br />
Für Referat 5:<br />
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), fluter Ernährung, 33/Winter,<br />
Bonn/Berlin, 2009.<br />
Deutsche Evangelische Allianz, „Suchet der Stadt Bestes“. Zur Verantwortung<br />
der Christen in Staat und Gesellschaft. Eine Stellungnahme der Deutschen Evangelischen<br />
Allianz, Bad Blankenburg, 2009.<br />
Gordon, Graham, Das habt ihr mir getan. Engagiertes Christsein in einer unfairen<br />
Welt, Basel, 2004.<br />
Nürnberger, Christian, Mutige Menschen – für Frieden, Freiheit und Menschenrechte,<br />
Stuttgart/Wien, 2008.<br />
Stott, John, Issues Facing Christians Today, Grand Rapids, 2006.<br />
Für Referat 6:<br />
Markschies, Christoph, Das antike Christentum: Frömmigkeit, Lebensformen,<br />
Institutionen (Beck’sche Reihe), München, 2006.<br />
Olpen, Febe (Hg.), Cool - durch Teilen mehr bekommen... du kannst ein Segen<br />
sein, Gerth Medien, 1. Auflage, Aßlar, 2009.<br />
AnHAnG<br />
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98<br />
Just PEoPlE?<br />
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tIEFER<br />
EINtAucHEN<br />
Im Folgenden sind pro Kurseinheit drei Vertiefungsartikel abgedruckt. Wie<br />
der Name schon sagt, kann man damit je nach Lust und Laune tiefer in ein<br />
Thema eintauchen. Sie können auch völlig unabhängig von einer Kursteilnahme<br />
gelesen werden, da sie nur thematisch (nicht methodisch) mit dem<br />
Kurs verbunden sind.<br />
Mit den Vertiefungsartikeln haben wir 18 verschiedene Personen zu<br />
Wort kommen lassen: Zum einen sind es ebenso viele aus Deutschland wie<br />
aus der Schweiz. Dann haben wir darauf geachtet, dass sie aus verschiedenen<br />
Gemeindekontexten stammen und verschiedenen Berufen nachgehen.<br />
Besonders wichtig war uns aber, wie sehr ihnen eine gerechtere Welt am Herzen<br />
liegt, wie sie sich dafür einsetzten und <strong>im</strong>mer noch einsetzen und welche<br />
Kompetenzen sie dadurch schon erlangt haben. Vielleicht ist auch wichtig<br />
zu sagen, dass es sich keineswegs nur um Insider der Micha-Initiative und<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> handelt. Die Autorinnen und Autoren haben natürlich ihre<br />
ganz eigene Perspektive auf die unterschiedlichen Themenfelder und schreiben<br />
ihre persönliche Meinung, die nicht <strong>im</strong>mer eins zu eins mit den Kursinhalten<br />
übereinst<strong>im</strong>men muss. Sie werden manche Aspekte aus den Kurseinheiten<br />
wiederholen oder vertiefen sowie neue Aspekte einbringen, die in den<br />
Referaten gar nicht angesprochen wurden.<br />
Du siehst: Hier wartet ein vielfältiges Lesevergnügen auf dich!<br />
Lass dich beunruhigen, herausfordern und inspirieren! Viel Freude und<br />
Motivation be<strong>im</strong> Lesen!<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL<br />
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100<br />
Just PEoPlE?<br />
Die bisherigen<br />
Regeln geben den<br />
Ländern des nordens<br />
zu große<br />
Möglichkeiten, ihre<br />
eigenen Interessen<br />
durchzusetzen<br />
– auch auf Kosten<br />
des Südens. Das ist<br />
nicht fair.<br />
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Markus Meury<br />
Welthandel heute:<br />
Sein Beitrag zur Armut<br />
Siebzig Prozent der Welthandelsströme fließen zwischen Nordamerika, Europa und<br />
den hoch entwickelten ostasiatischen Staaten. Trotzdem üben die Regeln des Welthandels<br />
einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlergehen der armen Länder aus.<br />
In diesem Text soll gezeigt werden, welche Auswirkungen die Welthandelsregeln auf<br />
die Armut haben.<br />
Die Regelmacher<br />
Die Regeln des Welthandels wurden in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich von<br />
der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization) festgelegt. Diese<br />
Struktur geht zurück auf die Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts.<br />
Die damalige Weltwirtschaftskrise wurde noch verstärkt, weil Staaten mit<br />
hohen Importzöllen ihre eigenen Märkte schützen wollten. Ausländische Waren sollten<br />
mehr kosten als Waren aus dem eigenen Land. Man nennt das Protektionismus.<br />
Diese schl<strong>im</strong>me Krise hat damals auch dem Faschismus Auftrieb gegeben. Damit das<br />
nicht wieder passiert, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 die zwischenstaatliche<br />
Handelsorganisation GATT gegründet (General Agreement on Tariffs and Trade),<br />
um den Protektionismus abzubauen und die Zölle zu senken. Diese fielen dank zahlreicher<br />
Verhandlungsrunden <strong>im</strong> Durchschnitt von 45 auf 3 Prozent. GATT heißt seit<br />
1995 WTO.<br />
Seit 2001 verhandeln nun die ärmeren Länder des Südens und die reicheren des Nordens<br />
in einer neuen Runde, der so genannten „Doha-Runde“. Doha ist die Hauptstadt<br />
von Katar am Persischen Golf und dort fanden und finden die Verhandlungen statt.<br />
Der Süden verlangt vom Norden, dass er seine Agrarmärkte öffnet und seine Exporte<br />
nicht weiter subventioniert. Das hatte er eigentlich schon längst versprochen. Der<br />
Norden erwartet dafür Zugang zu den Industrie- und Dienstleistungssektoren (inklusive<br />
der öffentlichen Grundversorgung) der Länder des Südens.<br />
Die Resultate der bisherigen Verhandlungsrunden wirkten sich für den Süden dürftig<br />
aus. Die Versprechen von Wachstum durch Handel und Investitionen aus dem Norden<br />
haben sich nicht bewahrheitet. Unterm Strich sank das Wirtschaftswachstum der 50<br />
ärmsten Länder <strong>im</strong> Vergleich zu den Siebzigerjahren. Hauptsächlich der Norden profitierte<br />
von Liberalisierungen wie dem Abbau von Zöllen und Subventionen, die den<br />
Handel eingeschränkt hatten. Auch innerhalb der Länder, <strong>im</strong> Süden und <strong>im</strong> Norden,<br />
profitierten die ärmsten Schichten nicht vom Wachstum, wie Joseph Stiglitz, ehemaliger<br />
Weltbank-Chefökonom, aufzeigt. Die ehemaligen Weltbank-Mitarbeiter Lyn<br />
Squire und Mattias Lundberg haben inzwischen nachgewiesen, dass Wachstum ohne<br />
Umverteilung die Armut nicht reduziert. Joseph Stiglitz hält fest, dass freier Handel<br />
das Potential für Wohlstand für alle hat. Aber es brauche gerechte Rahmenbedingungen.<br />
Folgen der ungerechten Machtverhältnisse<br />
Die bisherigen Regeln geben den Ländern des Nordens zu große Möglichkeiten, ihre<br />
eigenen Interessen durchzusetzen – auch auf Kosten des Südens. Das ist nicht fair.<br />
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Die USA unterstützen zum Beispiel den Export ihrer Baumwolle mit etwa 3,7 Milliarden<br />
US-Dollar. Dies drückt den Preis der Baumwolle auf dem Weltmarkt derart,<br />
dass andere Produzenten kaum mehr mithalten können – obwohl in Mali, Tschad,<br />
Burkina Faso und Benin hunderttausende Menschen von der Baumwollproduktion<br />
leben. Denn die 3,7 Milliarden US-Dollar sind so viel wie das gesamte Bruttonationaleinkommen<br />
von Burkina Faso, das sich natürlich keine Exportsubventionen leisten<br />
kann.<br />
Ein anderes Beispiel sind die Exportsubventionen der EU: Diese verbilligt europäisches<br />
Hühnchenfleisch für den Export so stark, dass es in verschiedenen afrikanischen<br />
Ländern die lokalen Produzenten vom Markt verdrängt. Tausende von bereits<br />
armen Menschen verlieren dadurch ihr Einkommen.<br />
Der Norden erlaubt es sich selbst, sensible Industrien und Landwirtschaft mit<br />
Zöllen und Subventionen zu schützen – mehr als er dem Süden erlaubt. Die Liberalisierung<br />
der Märkte ist zudem auf entwickelte Industrieländer zugeschnitten. In Afrika<br />
zum Beispiel wurde der Markt mit Importen überschwemmt, weil die Hersteller aus<br />
dem Norden mehr profitieren von ihren Exportsubventionen, einer größeren Werbemacht<br />
und auch von technischen Vorteilen. Dies führte zum Zusammenbruch ganzer<br />
junger Industrien in afrikanischen Ländern, zum Beispiel der Textilindustrie an der<br />
Elfenbeinküste. Insgesamt ist dadurch die landwirtschaftliche Produktion in Afrika<br />
zurückgegangen. Durch ihre hohe Verschuldung sind viele ärmere Länder abhängig<br />
von ihrem Hauptgläubiger, dem internationalen Währungsfonds (IWF). Und der hat<br />
die weitere Unterstützung einhe<strong>im</strong>ischer Produzenten und Infrastrukturen in manchen<br />
Ländern verboten, was natürlich die Lage noch verschärfte. Wegen der Privatisierungen<br />
sind ärmere Schichten zudem von Bereichen der öffentlichen Grundversorgung<br />
ausgeschlossen worden. In der Folge hat der Hunger in Afrika zugenommen.<br />
Achtzig Prozent der Hungernden leben auf dem Land, wo sich die Menschen eigentlich<br />
selbst ernähren könnten.<br />
Entwicklungsökonomen schätzen die Verluste des Südens durch die ungerechten<br />
Handelsregeln zwischen drei- und vierzehnmal so groß ein wie die Entwicklungshilfe<br />
aus dem Norden. Peter Niggli weist zudem nach, dass die Netto-Kapitalströme 1 heute<br />
insgesamt vom Süden in den Norden strömen – und nicht umgekehrt.<br />
Das Gegenteil der Geschichte<br />
Die meisten erfolgreichen Volkswirtschaften in europäischen Ländern, Nordamerika<br />
und Ostasien schützten früher ihre jungen Industrien, bis diese auf dem Weltmarkt<br />
konkurrenzfähig waren. Vor allem Ostasien kopierte zunächst viele Produkte aus<br />
dem Westen, bis es selbst Produkte entwickeln konnte. Dies wird heute den südlichen<br />
Ländern durch <strong>im</strong>mer strengeren Patentschutz verboten. Mit anderen Worten: Den<br />
Ländern <strong>im</strong> Süden wird nicht dasselbe erlaubt, was früher und zum Teil noch heute in<br />
europäischen Ländern, Nordamerika und Ostasien üblich war beziehungsweise ist.<br />
Fehlende Demokratie in der Wto<br />
Es ist leider normal, dass jedes Land zuerst seine eigenen Interessen durchsetzen will.<br />
Doch nicht jedes Land ist in gleichem Maße dazu fähig.<br />
1 Der netto-Kapitalstrom umfasst alle Gelder, die zwischen Staaten fließen. In den<br />
Süden strömt zwar Entwicklungshilfe, aber die südlichen Länder müssen auch<br />
Kredite abbezahlen und verlieren Geld durch zölle und Subventionen, die den<br />
norden begünstigen. Der netto-Kapitalstrom macht deutlich, dass mehr Geld vom<br />
Süden in den norden fließt als umgekehrt.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
Achtzig Prozent der<br />
Hungernden leben<br />
auf dem Land, wo<br />
sich die Menschen<br />
eigentlich selbst<br />
ernähren könnten.<br />
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102<br />
Just PEoPlE?<br />
Literaturangaben<br />
• Gerster, Richard, Globalisierung<br />
und Gerechtigkeit, zürich, 2005<br />
• niggli, Peter, Verkehrte Welt:<br />
der Süden finanziert den Norden,<br />
Dokument 14, Alliance Sud,<br />
Bern, 2008<br />
• Squire, Lyn und Lundberg, Matthias,<br />
The s<strong>im</strong>ultaneous evolution<br />
of growth and inequality, in:<br />
The Economic Journal, Vol. 113,<br />
Royal Economic Society, 2003<br />
• Stiglitz, Joseph, Die Schatten der<br />
Globalisierung, Berlin, 2002<br />
• Stiglitz, Joseph, Die Chancen der<br />
Globalisierung, München, 2006<br />
Eigene Interessen<br />
fügen sich meist<br />
in umfassende<br />
ideologische<br />
Gebäude ein, die<br />
sie zum Wohl der<br />
Allgemeinheit<br />
werden lassen.<br />
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Der WTO sind heute 153 Staaten angeschlossen. Im Gegensatz zur Weltbank und dem<br />
Internationalen Währungsfonds hat jedes Land eine St<strong>im</strong>me. Aber die Demokratie ist<br />
nur theoretisch gegeben:<br />
• Die Industrieländer haben in den Verhandlungen große Delegationen und können<br />
es sich leisten, ständig am WTO-Sitz in Genf präsent zu sein. Sie haben somit<br />
einen großen Vorsprung be<strong>im</strong> Einfluss auf WTO-Institutionen und können sich<br />
Grundlagen und Argumente für eigene Interessen leichter erarbeiten. Die armen<br />
Länder hingegen können nicht mithalten und sind durch Lobbygruppen der<br />
Unternehmen und Druck der Industrieländer leichter zu beeinflussen.<br />
• Die Industrieländer haben verschiedene Druckmittel gegenüber den einzelnen<br />
armen Ländern, da der Norden <strong>im</strong> IWF und in der Weltbank als Gläubiger über<br />
das Schicksal der verschuldeten Länder best<strong>im</strong>men kann.<br />
• Auch die multinationalen Unternehmen sind (eigentlich nicht rechtmäßig) ständig<br />
in der WTO vertreten. Sie leisten massive Lobbyarbeit für ihre Interessen.<br />
Ihr Ziel ist es, neue Märkte <strong>im</strong> Süden zu erschließen, wobei es um Milliardengeschäfte<br />
geht.<br />
• Es ist aber auch zu beobachten, dass die Vertreter des Südens oft aus den herrschenden<br />
Schichten stammen und deren Interessen vertreten statt die des eigenen<br />
Volkes.<br />
• Der Norden hält seine Verpflichtungen manchmal gar nicht ein. Arme Länder<br />
aus dem Süden haben nicht die Mittel, um dagegen langwierige Prozesse zu führen.<br />
Umgekehrt vermag der Norden viel eher seine Interessen am WTO-Gericht<br />
durchzusetzen.<br />
• Es ist wichtig festzuhalten, dass die Durchsetzung der eigenen Interessen nur<br />
selten bewusster und purer Egoismus ist. Eigene Interessen fügen sich meist in<br />
umfassende ideologische Gebäude ein, die sie zum Wohl der Allgemeinheit werden<br />
lassen. Das gilt auch für den wirtschaftlichen Liberalismus und den freien<br />
Handel.<br />
Neue Entwicklungen<br />
Anlässlich einer WTO-Verhandlung in Cancún (Mexiko) 2003 haben die Länder des<br />
Südens zum ersten Mal „Nein!“ zu den Forderungen des Nordens gesagt. Sie wollten<br />
keine weiteren Marktöffnungen als Preis für die ihnen zustehende Gerechtigkeit<br />
bezahlen. Weil man sich deshalb nicht einigen konnte, ist diese Verhandlungsrunde<br />
seit Ende 2005 zum Erliegen gekommen. Nun versuchen Industrieländer, Verträge<br />
mit einzelnen Ländern des Südens zu schließen und so deren Marktöffnungen zu<br />
erreichen. Viele ärmere Länder fühlen sich „am kürzeren Hebel“ und geben den Versprechungen<br />
des Nordens nach.<br />
Es geht hier nicht um „bessere Entwicklungshilfe“, wie mancherorts behauptet wird.<br />
Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass das Verhalten der Stärkeren nicht neu<br />
ist. Im letzten Jahrhundert wurde China von Großbritannien mit kriegerischen Mitteln<br />
zur Öffnung seines Marktes gezwungen, ja sogar zur Duldung des Opiumhandels<br />
(so genannte Opiumkriege). Japan erlitt ein ähnliches Schicksal durch die USA. Und<br />
Großbritannien verbot seiner indischen Kolonie, ihre Baumwolle selbst zu Stoffen zu<br />
verarbeiten.<br />
Bilaterale Verträge beinhalten nach Wunsch der Industrieländer keine Arbeitsbedingungen<br />
oder Menschenrechte. Dass es auch anders geht, zeigt Norwegen. Die Regierung<br />
hat <strong>im</strong> März 2009 beschlossen, den Vertrag mit Kolumbien nicht zu unterzeichnen,<br />
bis die Menschenrechte respektiert werden. Und auch <strong>im</strong> Vertrag mit Indien will<br />
Norwegen einen multilateralen Vertrag mit stärkerem Patentschutz explizit verhindern.<br />
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Forderungen: Was muss verändert werden?<br />
Entwicklungspolitisch muss der Welthandel neue Prioritäten setzen, das heißt: Die<br />
Nationen müssen Gerechtigkeit üben statt eigene Interessen zu verfolgen. Folgende<br />
Forderungen sind deshalb wichtig:<br />
• Der Norden muss alle Zölle gegenüber den armen Ländern abbauen. Dies gilt<br />
vor allem für Waren, die bereits in einem Entwicklungsland weiterverarbeitet<br />
wurden. Durch Abbau von Zöllen können sich in armen Ländern Industrien entwickeln.<br />
• Umgekehrt muss der Norden die Exportsubventionen für seine Erzeugnisse fallen<br />
lassen. Unseren Bauern, die dadurch in Schwierigkeiten kommen könnten,<br />
ist anderweitig beizustehen.<br />
• Die armen Länder müssen das Recht haben, genau wie die Industrieländer, ihre<br />
jungen Industrien gegen Konkurrenz zu schützen, bis sie konkurrenzfähig sind.<br />
• Arme Länder <strong>im</strong> Süden müssen auch das Recht haben, Industriezweige durch<br />
Kopien von Produkten aus dem Norden aufzubauen.<br />
• Dienstleistungsbereiche wie die Banken <strong>im</strong> Süden müssen sich gegen externe<br />
Schocks und Spekulationen schützen können. Denn Spekulanten aus dem Norden<br />
haben heute mehr Geld zur Verfügung als ganze Länder <strong>im</strong> Süden. Die Tobin<br />
Tax, eine weltweite Steuer auf Finanzspekulationen, kann hier große Wirkung<br />
zeigen.<br />
• Der Norden muss bereit sein, stabile Preise für Produkte aus dem Süden zu zahlen,<br />
damit sich ein Aufbau von Industrien und Landwirtschaft auch lohnt. Ebenso<br />
müssen Produkte der Spekulation entzogen werden.<br />
• Bankgehe<strong>im</strong>nisse müssen auch gegenüber ärmeren Ländern aufgeweicht werden,<br />
denn noch <strong>im</strong>mer fließt mehr Fluchtgeld2 vom Süden in den Norden als Entwicklungshilfe<br />
umgekehrt. Für ärmere Länder ist es aufgrund des Bankgehe<strong>im</strong>nisses,<br />
an dem vor allem die Schweiz gesetzlich festhält, kaum nachvollziehbar,<br />
wo ihr Geld gelandet ist.<br />
• Schulden, die von Diktatoren verursacht worden sind oder die durch überhöhte<br />
Zinsen riesige D<strong>im</strong>ensionen angenommen haben, müssen erlassen werden.<br />
• Der Schwerpunkt des IWF und der WTO auf die Freiheit der Investoren aus dem<br />
Norden muss zugunsten der „Entwicklung von unten“ 3 verschoben werden. Der<br />
Fokus muss gelegt werden auf Bildung, Mikrokredite, Empowerment4 und dem<br />
Zugang zum Gesundheitswesen. Die Entwicklung von kleineren und mittleren<br />
Unternehmen bringt mehr als die Fabriken der multinationalen Unternehmen.<br />
Um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern und eine zu starke Landflucht zu<br />
verhindern, muss in die ländlichen Gebiete investiert werden – nicht nur in die<br />
Städte.<br />
• Die Programme von IWF und Weltbank müssen zusammen mit der Zivilgesellschaft<br />
<strong>im</strong> Süden entwickelt und transparent gehalten werden.<br />
• Korruption muss von innen und von außen bekämpft werden: Auch Bestechungsanbieter<br />
müssen zur Rechenschaft gezogen werden.<br />
2 „Fluchtgeld“ nennt man das Geld von Steuerflüchtigen beziehungsweise veruntreutes<br />
Geld, das <strong>im</strong> Ausland geparkt wird.<br />
3 „Entwicklung von unten“ meint, dass ärmere Länder und ihre Bürger selbst ihre<br />
Entwicklung best<strong>im</strong>men können und sie ihnen nicht von anderen vorgeschrieben<br />
wird.<br />
4 „In der Entwicklungszusammenarbeit versteht man unter Empowerment vor allem<br />
einen Prozess, der das Selbstvertrauen benachteiligter Bevölkerungsgruppen<br />
stärkt und sie in die Lage versetzt, ihre Interessen zu artikulieren und sich am<br />
politischen Prozess zu beteiligen. Im Mittelpunkt steht dabei die Stärkung der<br />
vorhandenen Potentiale der Menschen.“ Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
zusammenarbeit und Entwicklung (BMz), http://www.bmz.de/de/service/glossar/<br />
empowerment.html, 16.05.2010.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
noch <strong>im</strong>mer fließt<br />
mehr Fluchtgeld<br />
vom Süden in den<br />
norden als Entwicklungshilfe<br />
umgekehrt.<br />
Foto: Privat<br />
Markus Meury (geboren 1970) ist<br />
Soziologe und zurzeit Leiter eines<br />
Hilfswerkes in Genf.<br />
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104<br />
Just PEoPlE?<br />
Viele der bisherigenEntwicklungsbemühungen<br />
litten<br />
unter einer mangelndenKoordinierung.<br />
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Hermann Sautter<br />
Das Millenniumsprojekt:<br />
Der Plan der Uno zur Verwirklichung<br />
der Millenniumsziele<br />
Die UNO hat nicht nur ehrgeizige Ziele formuliert; <strong>im</strong> ersten Kursreferat sind sie dargestellt<br />
worden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat auch einen Plan ausarbeiten<br />
lassen, wie die Millenniumsziele (MZ) verwirklicht werden können. Dazu<br />
wurde das Millenniums-Projekt auf den Weg gebracht, welches sich als „unabhängiges<br />
Beratungsgremium“ verstand und von dem US-amerikanischen Entwicklungsökonom<br />
Jeffrey Sachs geleitet wurde. Abgeschlossen wurde das Projekt nach drei<br />
Jahren Arbeit 2005 mit dem Bericht „In die Entwicklung investieren. Ein praktischer<br />
Plan zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele“. 1 Während die Millenniumsziele<br />
selbst von nahezu allen Regierungen der Welt unterstützt werden, ist dieser<br />
Plan lediglich als Empfehlung zu verstehen. Die Staaten sind frei, ihre eigenen Strategien<br />
zur Umsetzung der Ziele zu entwickeln. Dennoch lohnt es sich, den aus dem<br />
Millenniums-Projekt hervorgegangenen Plan anzusehen. Er gibt eine Vorstellung<br />
davon, welche Anstrengungen laut UNO unternommen werden müssen, wenn Armut<br />
in ihren vielen Erscheinungsformen verringert werden soll. Hier sollen in einem ersten<br />
Punkt die wichtigsten Inhalte dieses Plans dargestellt werden. In einem zweiten<br />
Punkt soll dieses Programm bewertet werden. Dabei ist auf einige Punkte einzugehen,<br />
die die UNO-Experten nicht erwähnt haben, die aber eine christliche Initiative<br />
nicht ausblenden kann.<br />
1. Was muss nach den Vorstellungen der uNo geschehen?<br />
Viele der bisherigen Entwicklungsbemühungen litten unter einer mangelnden Koordinierung.<br />
Die UNO fordert deshalb eine zusammenhängende Bündelung sektoraler, nationaler<br />
und internationaler Entwicklungsbemühungen zu einer „MZ-basierten<br />
Armutsbekämpfungsstrategie“. Sie soll der Angelpunkt sein, von dem ausgehend<br />
eine großflächige Ausweitung der öffentlichen Investitionen, der Mobilisierung einhe<strong>im</strong>ischer<br />
Ressourcen und der öffentlichen Entwicklungshilfe erfolgt.<br />
Bestandteil dieser Strategie sind erstens Maßnahmen, von denen die Experten des<br />
UNO-Plans schnelle Erfolge erwarten. Zu diesen Sofortmaßnahmen gehören beispielsweise<br />
die Abschaffung von Schul- und Uniformgebühren, damit sichergestellt<br />
ist, dass kein Kind aufgrund seiner Armut am Schulbesuch gehindert wird. Außerdem<br />
gehört die kostenlose Verteilung von strapazierbaren Moskitonetzen an alle Kinder in<br />
Malaria-Gebieten dazu.<br />
Weil in vielen Entwicklungsregionen der Welt die ländliche Armut besonderes krass<br />
ist, fordert die UNO zweitens Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung. Im Blick<br />
auf das südliche Afrika wird von der Notwendigkeit einer „Grünen Revolution“<br />
gesprochen: Landwirtschaftliche Berater sollen den Bauern bei der Einführung neuer<br />
1 Millenniums-Projekt, Bericht an den Generalsekretär der Vereinten nationen<br />
(2005): In die Entwicklung investieren. Ein praktischer Plan zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele,http://www.unmillenniumproject.org/documents/germanoverview.pdf,<br />
18.06.2010.<br />
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Sorten und bei der Verbesserung ihrer Produktionstechniken helfen; verarmten Bauern<br />
sollen Stickstoffdünger und andere Bodennährstoffe zu erschwinglichen Preisen<br />
angeboten werden; die Förderung von Biogasanlagen und Solaröfen wird als Beitrag<br />
zu einer nachhaltigen Energieversorgung gesehen.<br />
Drittens wird eine massive Erhöhung der Investitionen in die öffentliche Infrastruktur<br />
gefordert: in die Trinkwasserversorgung, die Abwasserentsorgung, die Elektrifizierung,<br />
in den Ausbau von Häfen, Straßen und Eisenbahnen und in den Aufbau eines<br />
Umweltmanagements. Dabei sollen auch regionale Projekte zum Zuge kommen, die<br />
den Güteraustausch der Entwicklungsländer untereinander erleichtern.<br />
Viertens wird die Förderung wirtschaftlicher Wachstumsprozesse verlangt.<br />
Rechtssicherheit, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik und die Etablierung von<br />
Wettbewerbsmärkten für private Güter sind dafür wichtige Voraussetzungen. In diesem<br />
Zusammenhang wird von gewaltigen Fortschritten in der Verringerung der Einkommensarmut<br />
gesprochen, die in Ost- und Südostasien zu verzeichnen war. Diese<br />
Fortschritte sind jedoch weniger das Ergebnis einer bewussten Armutsbekämpfungsstrategie,<br />
sondern eher die Folge hoher wirtschaftlicher Wachstumsraten.<br />
Eine fünfte Forderung zielt auf gute Regierungsführung (good governance). Damit<br />
ist ein Mindestmaß an Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse und der<br />
öffentlichen Verwaltung gemeint, eine Eindämmung der Korruption und die rechtliche<br />
Disziplinierung des politischen Handelns.<br />
Alle diese Entwicklungsbemühungen sollen eingebunden sein in eine internationale<br />
Strategie zur Bekämpfung der Weltarmut. Das ist eine sechste Forderung. Die reichen<br />
Staaten werden aufgefordert zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Entwicklungshilfe<br />
und zu einer zusammenhängenden Handels-, Umwelt- und Entwicklungspolitik.<br />
Auf der Grundlage einer Bedarfsrechnung einzelner Länder wurde ermittelt, dass zur<br />
Erreichung der Millenniumsziele die öffentliche Entwicklungshilfe der OECD-Staaten<br />
von gegenwärtig etwa 70 Milliarden US-Dollar bis zum Jahre <strong>2015</strong> auf annähernd<br />
200 Milliarden US-Dollar ansteigen müsste, also auf fast das Dreifache. Die reichen<br />
Staaten würden damit ihrer alten Verpflichtung gerecht, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens<br />
(BNE) für die öffentliche Entwicklungshilfe bereitzustellen.<br />
Die UNO-Experten waren sich offenbar <strong>im</strong> Klaren darüber, dass dies ein sehr ehrgeiziges<br />
Programm ist. Aber weniger ambitioniert vorzugehen, sei angesichts der<br />
drängenden Probleme nicht vertretbar. Die Ziele seien zwar hoch gesteckt, aber – so<br />
heißt es – sie könnten in den meisten, wenn nicht sogar allen Ländern, „noch <strong>im</strong>mer“<br />
bis zum Jahre <strong>2015</strong> erreicht werden (obwohl die bisher erreichten Erfolge nicht sehr<br />
ermutigend sind).<br />
2. Was die uNo voraussetzt und worüber sie schweigt<br />
Im „Praktischen Plan zur Erreichung der Millenniumsziele“, den die UNO vorlegt,<br />
findet man an vielen Stellen Konditionalsätze. Zwei Beispiele: Die Ziele „sind zwar<br />
hoch gesteckt, aber sie können erreicht werden, wenn alle Parteien sich intensiv<br />
darum bemühen.“ – „Jedes der Probleme ist lösbar, wenn von Seiten der Entwicklungspartner<br />
entschlossene, konkrete Maßnahmen ergriffen werden.“ Es werden also<br />
Voraussetzungen genannt, wobei völlig klar ist, dass deren Erfüllung das eigentliche<br />
Problem darstellt. Doch der Plan schweigt sich darüber aus, wie dieses Problem<br />
gelöst werden kann. Wie lässt sich beispielsweise erreichen, dass die Politiker eines<br />
Landes ernsthaft daran arbeiten, die Diskr<strong>im</strong>inierung einzelner Bevölkerungsteile <strong>im</strong><br />
Ausbildungssystem zu überwinden? Die herrschende Schicht muss gleichsam über<br />
ihren eigenen Schatten springen und eine Politik betreiben, die nicht die bestehende<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
Weniger ambitioniert<br />
vorzugehen,<br />
sei angesichts der<br />
drängenden Probleme<br />
nicht vertretbar.<br />
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106<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Liebe zu Gott<br />
ist es, die zur<br />
nächstenliebe<br />
motiviert.<br />
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Ausschließung gesellschaftlicher Randgruppen weiter vertieft, sondern deren Einbeziehung<br />
zum Ziel hat. Das wird wohl kaum ohne revolutionäre Umbrüche abgehen.<br />
Dieser ganze Bereich politischer Machtverhältnisse wird in dem Plan nicht thematisiert.<br />
2 Noch weniger werden die kulturellen Voraussetzungen einer Armutsbekämpfung<br />
zum Thema gemacht. Die Grenzen eines rein ökonomischen Denkansatzes, der<br />
diesen Plan kennzeichnet, werden hier besonders deutlich. Welche Fehleinschätzungen<br />
dadurch entstehen, illustriert ein Fall, der aus Sambia berichtet wird. 3 Im Norden<br />
des Landes sind viele Kinder chronisch unterernährt. Die Weltbank machte dafür die<br />
Einkommensarmut der Menschen verantwortlich und hatte natürlich entsprechende<br />
Ratschläge zur Bekämpfung dieser Armut parat. Sie kam nicht auf den Gedanken,<br />
dass die Unterernährung der Kinder etwas mit kulturellen Einflüssen zu tun haben<br />
könnte. Ein Sexualverhalten der Eltern, das den stammesüblichen Normen nicht entspricht,<br />
führt <strong>im</strong> Norden Sambias zur Stigmatisierung der Frau, zu einem vorzeitigen<br />
Abstillen der neugeborenen Kinder und damit zu deren Unterernährung, obwohl<br />
das Einkommen der Eltern durchaus für eine ordentliche Ernährung reichen würde.<br />
Solche Zusammenhänge bekommt man nicht in den Blick, wenn man das Armutsproblem<br />
ausschließlich aus einer technisch-ökonomischen Perspektive sieht.<br />
Dies ist ein „blinder Fleck“ in der Armutsbekämpfungsstrategie der UNO. Er verhindert<br />
auch, dass religiöse Einflüsse wahrgenommen werden. Religion kommt in dieser<br />
Strategie nicht vor. Dabei ist überhaupt nicht zu übersehen, dass in allen Gesellschaften,<br />
die noch sehr weit von der Verwirklichung der Millenniumsziele entfernt sind,<br />
religiöse Traditionen eine beherrschende Rolle spielen. Das gilt für das private wie<br />
für das öffentliche Leben. Religiöse Einstellungen sind es auch, die eine Armutsüberwindung<br />
erleichtern können. Wo Menschen durch ihre Spiritualität zu einem disziplinierten<br />
und verantwortlichen Lebensvollzug motiviert werden, bleiben wirtschaftliche<br />
Erfolge in der Regel nicht aus. Dafür gibt es unzählige Beispiele.<br />
Deshalb setzt die Micha-Initiative an der richtigen Stelle an. Sie will nach ihren<br />
eigenen Worten „die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele einfordern<br />
und unterstützen“. Das wird sie umso eher tun können, je weniger sie sich für diesen<br />
Zweck instrumentalisieren lässt. Es geht hier um die grundsätzliche Frage nach<br />
der humanitären Wirkung des christlichen Glaubens. Man kann sie nur mit einem<br />
Paradox beschreiben: Der christliche Glaube wird der Welt umso eher ein menschliches<br />
Gesicht geben können, je stärker er auf Gott ausgerichtet ist und sich nicht in<br />
erster Linie als eine humanitäre Bewegung versteht. Die Liebe zu Gott ist es, die zur<br />
Nächstenliebe motiviert, vor Resignation bewahrt, einen langen Atem vermittelt und<br />
<strong>im</strong> Mitmenschen das Ebenbild Gottes sehen lässt. Mit der Liebe zu Gott antworten<br />
wir auf Gottes Menschenliebe, die in Jesus Christus Gestalt angenommen hat. Jede<br />
humanitäre Tat eines Christen hat hier ihren Ursprung.<br />
Daraus folgt, dass bei jeder christlichen Aktion zur Überwindung von Armut der<br />
Mensch <strong>im</strong> Mittelpunkt stehen muss, nicht ein Problem. Natürlich <strong>im</strong>pliziert die Hilfe<br />
für Mitmenschen <strong>im</strong>mer auch eine sachgerechte Lösung ihrer Probleme. Aber die<br />
Fokussierung sollte nicht den Problemen gelten, sondern dem Menschen mit allen<br />
D<strong>im</strong>ensionen seines Lebens, den materiellen, seelischen, sozialen und spirituellen.<br />
2 Die verhaltenen Äußerungen des Plans zum Thema Machtverhältnisse ist vor<br />
allem auch deswegen so schade, weil die Millenniumserklärung und einige<br />
offizielle Dokumente zu den Millenniumszielen hier an sich bereits weiter waren.<br />
Gerade die Rolle der zivilgesellschaft wird dabei <strong>im</strong>mer wieder stark hervorgehoben.<br />
Das bedeutet auch, dass Regierungen und Staaten transparenter arbeiten<br />
müssen und Macht abgeben sollen. Vgl. United nations, United Nations Millennium<br />
Declaration, http://www.un.org/millennium/declaration/ares552e.htm, 28.05.2010.<br />
3 Vgl. Badenberg, R., Die unterschlagene religiös-kulturelle D<strong>im</strong>ension der Unterernährung<br />
in Nord-Sambia, in: Kusch, A. (Hg.), Transformierender Glaube, nürnberg, 2007,<br />
128-135.<br />
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Dann wird sich vielleicht zeigen, dass Menschen ihre Probleme ganz anders sehen,<br />
als ihre Helfer dies tun. Das erwähnte Beispiel unterernährter Kinder in Sambia zeigt,<br />
wie wichtig es ist, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen und nicht als einen<br />
Armuts-Problemfall. Eine ganzheitliche Sicht bewahrt möglicherweise vor Lösungen,<br />
die an den wahren Problemen vorbeigehen.<br />
Wie können wir unter diesen Voraussetzungen die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
unterstützen?<br />
• Kontakte pflegen auf persönlicher Ebene und auf der Ebene von<br />
Gemeinden<br />
Die Armut in Tansania, Indien oder Peru muss für uns ein menschliches Gesicht<br />
bekommen. Wir müssen Menschen in diesen Ländern kennenlernen. Dann lernen<br />
wir, wie wir ihnen beistehen können und wie sie uns selbst durch ihre Glaubenskraft<br />
bereichern können. Wenn wir Personen vor Augen haben, werden auch unsere<br />
Gebete konkret.<br />
• An der Einheit von Glaubensverkündigung und Lebenshilfe festhalten<br />
So hat sich Mission <strong>im</strong>mer schon verstanden. Sie kann nicht Menschen mit dem<br />
Evangelium von Jesus Christus vertraut machen, ohne ihnen auch praktisch zu einem<br />
menschenwürdigen Leben zu verhelfen.<br />
• Politische Verantwortung wahrnehmen<br />
Das kann zum einen dadurch geschehen, dass wir selbst ein politisches Mandat übernehmen<br />
und auf kommunaler Ebene, <strong>im</strong> Land oder <strong>im</strong> Bund für eine Politik eintreten,<br />
die mit der Verwirklichung der Millenniumsziele kompatibel ist. Politische Verantwortung<br />
wahrnehmen können wir zum anderen auch als Wählerinnen und Wähler,<br />
indem wir unseren Abgeordneten deutlich machen, wie wichtig uns die Verwirklichung<br />
der Millenniumsziele ist.<br />
• Als Wirtschaftsbürger verantwortlich handeln<br />
Mit unserem Kaufverhalten können wir Signale für eine sozial ausgewogene und<br />
umweltgerechte Produktion setzen. Mit unserem Sparverhalten können wir ethisch<br />
vorzugswürdige Projekte fördern.<br />
Wie können die Millenniumsentwicklungsziele erreicht werden? Die technisch-ökonomische<br />
Antwort ist klar. Die Vereinten Nationen haben dazu einen umfangreichen<br />
Plan vorgelegt. Die politische Antwort ist weniger klar. Die Verwirklichung dieser<br />
Ziele setzt in vielen Ländern einen Wandel in den politischen Prioritäten voraus. Als<br />
Christen können wir diesen Wandel unterstützen. Wir werden das mit Nachdruck<br />
und zugleich mit Gelassenheit tun können, weil wir wissen, dass nicht wir es sind, die<br />
das Schicksal der Welt in der Hand haben. Es liegt in der Hand des Gottes, an den wir<br />
glauben. Er hat sein eigenes Ziel mit dieser Welt. Je mehr wir uns darauf einst<strong>im</strong>men,<br />
umso besser werden wir denen helfen können, denen die besondere Fürsorge Gottes<br />
gilt.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
Es ist wichtig, den<br />
Menschen in seiner<br />
Ganzheit zu sehen<br />
und nicht als einen<br />
Armuts-Problemfall.<br />
Foto: Privat<br />
Prof. a. D. Dr. Hermann Sautter<br />
(geboren 1938) studierte Volkswirtschaftslehre,<br />
war Reisesekretär der<br />
SMD (Studentenmission Deutschland),<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
eines Forschungsinstituts und<br />
schließlich Professor für Volkswirtschaftslehre<br />
mit spezieller Ausrichtung<br />
auf Entwicklungsökonomik in<br />
Frankfurt am Main und Göttingen.<br />
Als Student hatte er den Eindruck,<br />
christlicher Glaube und volkswirtschaftliches<br />
Wissen seien am ehesten<br />
miteinander zu verbinden, wenn<br />
man die weltweite Armutsüberwindung<br />
zu seinem Arbeitsschwerpunkt<br />
macht. Daraus ergab sich<br />
sein weiterer Berufsweg.<br />
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108<br />
Just PEoPlE?<br />
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Markus Muntwiler<br />
Die situation und Notwendigkeit der<br />
Entwicklungshilfe<br />
Entstehung und Rechtfertigung der öffentlichen<br />
Entwicklungszusammenarbeit<br />
Die Notwendigkeit, Entwicklungszusammenarbeit zu gewähren, wird in der Schweiz<br />
ebenso wie in anderen Ländern mit historischen, politischen, ökonomischen, ökologischen<br />
und moralischen Argumenten begründet.<br />
Das historische Argument lautet, die koloniale Ausbeutung der Dritten Welt verpflichte<br />
die Industriestaaten zur Wiedergutmachung. Die Schweiz hatte zwar keine<br />
Kolonien, profitierte indirekt aber wirtschaftlich von der Ausbeutung der Kolonien<br />
durch die Nachbarstaaten Frankreich, Deutschland und Italien. Zu den politischen<br />
Motiven zählen vor allem außen- und sicherheitspolitische Interessen. Ökonomische<br />
Motive gewinnen in wirtschaftlichen Krisensituationen an Bedeutung. Hierbei geht<br />
es vor allem um die Sicherung der Rohstoffversorgung. Schließlich wird die Entwicklungshilfe<br />
mit globaler Solidarität gerechtfertigt. Aus dieser moralischen Perspektive<br />
ist eine Welt ethisch nicht hinnehmbar, in der ein großer Teil der Menschen nicht einmal<br />
über Mindestvoraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz verfügt, während<br />
ein kleiner Teil ein privilegiertes Leben mit üppigem Konsum führt. Entwicklungszusammenarbeit<br />
wird dabei als internationale Umverteilungs- und Sozialpolitik<br />
(internationale Wohlfahrt) gesehen.<br />
Entwicklung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit<br />
Wie in den meisten westlichen Ländern setzte die staatliche Entwicklungszusammenarbeit<br />
auch in der Schweiz vorwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Am Anfang<br />
lagen die wenig koordinierten Aktivitäten in den Händen privater Hilfsorganisationen<br />
und des Bundes.<br />
In den vergangenen 45 Jahren haben sich die finanziellen Aufwendungen der Schweizer<br />
Entwicklungshilfe enorm erhöht.<br />
Jahr Gesamtausgaben<br />
Entwicklungshilfe<br />
in Mio CHF<br />
Ausgaben pro Einwohner<br />
der Schweiz<br />
in CHF<br />
1960 15,1 3 0,04%<br />
2005 2200,8 297 0,44%<br />
Bruttonationaleinkommen<br />
(BnE)<br />
Quelle: Direktion für Entwicklung und zusammenarbeit (DEzA), Freiheit und Eigenverantwortung<br />
statt Abhängigkeit und Korruption, Positionspapier der Schweizerischen Volkspartei zur<br />
Entwicklungshilfe, 2008, 20.<br />
Der Entwicklungsausschuss der OECD 1 , das so genannte Development Assistance<br />
Commitee (DAC), veröffentlicht regelmäßig die wichtigsten Kennzahlen zur Ent-<br />
1 organisation for Economic Cooperation and Development (organisation für<br />
Wirtschaftliche zusammenarbeit und Entwicklung).<br />
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wicklungszusammenarbeit seiner Mitgliedsländer. Als Vergleichsgrundlage dient<br />
der prozentuale Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen<br />
2 . Die öffentliche Entwicklungshilfe sämtlicher 22 Industrieländer (DAC-Länder)<br />
erreichte 2008 die Rekordsumme von 119,8 Milliarden US-Dollar. Die durchschnittliche<br />
Leistung der DAC-Länder belief sich auf 0,47 Prozent des BNE. Mit 0,41 Prozent<br />
liegt die Schweiz unter den 22 DAC-Ländern auf Rang 12.<br />
Private Entwicklungshilfe aus der schweiz<br />
Die private schweizerische Hilfe an die Entwicklungsländer hat eine lange Tradition.<br />
Sie spielte eine Vorreiterrolle, lange bevor der Bund ab den frühen Sechzigerjahren<br />
die Entwicklungshilfe als staatliche Tätigkeit aufnahm. Wie aus dem neuen Schweizerischen<br />
Jahrbuch für Entwicklungspolitik 2008 des Genfer Institut de Hautes Études<br />
Internationales et du Développement hervorgeht, gaben die Nichtregierungsorganisationen<br />
der Schweiz 2006 insgesamt 507,5 Millionen Franken ihrer Spendeneinnahmen<br />
für Entwicklungshilfe aus. Machte die private Hilfe in den Neunzigerjahren rund<br />
20 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe aus, so waren es 2006 rund 25 Prozent.<br />
In der Schweiz spielt die private Hilfe traditionell eine große Rolle. Bei den 22<br />
Ländern, die <strong>im</strong> OECD-Entwicklungsausschuss DAC organisiert sind, liegt der durchschnittliche<br />
Anteil der privaten Entwicklungshilfe am BNE bei 0,03 Prozent.<br />
In der Schweiz leisten knapp 340 private Organisationen Entwicklungshilfe. Die 38<br />
größten tragen 83,4 Prozent zur privaten Hilfe bei. Die drei größten privaten Entwicklungshilfsorganisationen<br />
in der Schweiz sind die Caritas, das Schweizerische<br />
Rote Kreuz und Ärzte ohne Grenzen. Aber auch viele oft kleinere schweizerische<br />
Hilfswerke unterstützen meist – unabhängig von den lokalen Regierungen – bilaterale<br />
Projekte von örtlichen Organisationen. In vielen Fällen erreichen die Gelder ihr<br />
Ziel direkt und mit großer Effizienz. Diese Hilfswerke stützen sich auf großzügige<br />
Spenden der Schweizer Bürger.<br />
Nutzen und Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit<br />
In den letzten Jahren werden der Nutzen und die Wirkung der öffentlichen und privaten<br />
Entwicklungszusammenarbeit wieder vermehrt diskutiert. Es kommt zu teilweise<br />
heftigen Auseinandersetzungen von Befürwortern und Gegnern dieser Hilfe für die<br />
Länder des Südens. Beide Seiten verfügen über Fallbeispiele, die aufzeigen, wie wirksam<br />
oder zerstörerisch die Entwicklungszusammenarbeit für die Empfänger der Hilfe<br />
sein kann.<br />
Von Befürwortern und Gegnern wird anerkannt, dass Entwicklung ein Prozess sozialer,<br />
politischer und kultureller Auseinandersetzungen ist, der nicht von außen in<br />
Gang gesetzt werden kann. Es gibt keine „Helfer“, welche die Eigeninitiative ersetzen<br />
können. Deshalb spielt Entwicklungszusammenarbeit nur eine zweitrangige Rolle.<br />
Die schwierige Lage vieler Entwicklungsländer wird zu Recht mit der fraglichen Qualität<br />
der Regierungen und politischen Eliten sowie der schlecht oder gar nicht funktionierenden<br />
staatlichen Institutionen in Beziehung gesetzt. Das charakterisiert die Entwicklungsländer<br />
und zeigt, dass viele Fragen des Zusammenlebens ungelöst sind.<br />
2 Das Bruttonationaleinkommen (bis 1999 auch Bruttosozialprodukt) bezeichnet die<br />
gesamte wirtschaftliche Leistung, die ein Land erbracht hat. Es drückt den Wert<br />
aller Waren und Dienstleistungen aus, die in einem Jahr von einer Volkswirtschaft<br />
produziert werden. Quelle: zandonella, Bruno, Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten,<br />
Bonn, 2007, 17.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
Es gibt keine<br />
„Helfer“, welche<br />
die Eigeninitiative<br />
ersetzen können.<br />
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110<br />
Just PEoPlE?<br />
Gemeinsames Lernen<br />
auf gleicher<br />
Augenhöhe – Entwicklungszusammenarbeit<br />
eben.<br />
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Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit von kirchlicher<br />
seite<br />
Die Heilsarmee und auch andere Kirchen kritisieren an der öffentlichen Entwicklungshilfe,<br />
dass sie auf rein technisch-materiellen Prinzipien aufbaut. In der öffentlichen<br />
und teilweise auch privaten Entwicklungszusammenarbeit wird Gott nicht nur<br />
ausgelassen, sondern die Menschen werden von Gott abgedrängt. Damit macht man<br />
die so genannte „Dritte Welt“ erst zur Dritten Welt. Es braucht eine ganzheitliche Entwicklung,<br />
die auch die göttliche D<strong>im</strong>ension einbezieht. Grundlage einer nachhaltigen<br />
Entwicklung ist die von Gott bewirkte Veränderung/Wiederherstellung/Bekehrung<br />
des einzelnen Menschen und des wirtschaftlichen, politischen und religiösen Systems.<br />
3<br />
Für eine christlich fundierte Entwicklungspolitik ist entscheidend, von welchem<br />
Menschenbild sie ausgeht: Was ist die Rolle, Aufgabe und Verantwortung von uns<br />
Menschen in der Schöpfung? Wie wir die Ansprüche, Rechte und Pflichten von uns<br />
und anderen sehen, hängt entscheidend vom Menschenbild ab. Das christliche Menschenbild<br />
des 21. Jahrhunderts muss von dem partnerschaftlichen Bild Jesu ausgehen,<br />
der seine Jünger „Freunde, nicht mehr Knechte“ nennt (Johannes 15,15). 4<br />
steward statt Global Player<br />
Die oder der Steward (Haushalter) ist verantwortlich für die ihr oder ihm anvertraute<br />
„Haushaltung“. Stewardship heißt also, das Eigentum von jemand anderem verantwortlich<br />
und kreativ managen, verwalten und gestalten. Die Haushälterin oder der<br />
Haushalter – deutsch sind die Begriffe kaum noch brauchbar und durch Managerin<br />
oder Manager zu ersetzen – sind eben nicht Besitzer, sondern gegenüber dem Besitzer<br />
verantwortlich. Das gilt für den Menschen gegenüber Gott <strong>im</strong> Umgang mit der Schöpfung<br />
und dem ganzen „Haus Erde“. Stewardship ist eng mit dem heutigen Modewort<br />
Accountability verbunden, der transparenten Rechenschaftspflicht gegenüber den<br />
Besitzern und übrigen Beteiligten. Damit kommt ein anderes Menschenbild in den<br />
Blick als jenes vom Global Player, wie es vor allem für internationale Unternehmen<br />
gebraucht wird. Be<strong>im</strong> Global Player ist weniger die Verantwortung entscheidend,<br />
sondern vielmehr der Kampf mit den wenigen globalen Konkurrenten einer Branche<br />
um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. 5<br />
careholder statt shareholder<br />
Dieselbe Grundhaltung wie be<strong>im</strong> Steward kommt <strong>im</strong> Begriff des Careholders zum<br />
Ausdruck. Während der Shareholder Besitzer von shares (von Anteilen) an etwas ist<br />
und damit vor allem seine Interessen an diesem Besitz verteidigt, ist der Careholder<br />
einer, der sich um das Wohl des ihm Anvertrauten sorgt und kümmert. Er ist wie der<br />
Steward Gärtner, gestaltender Verwalter, Mitinhaber, Chefbeamter, Hausverwalter,<br />
Hotelier, Garant und Fürsorger <strong>im</strong> besten Sinne des Wortes. 6<br />
3 Vgl. Myers, Bryant L., Walking with the Poor. Principles and Practice of Transformational<br />
Development, Maryknoll, new York, 1999.<br />
4 Vgl. Prof. Dr. Stückelberger, Christoph, Grundwerte und Prioritäten globaler Entwicklung,<br />
in: Zeitschrift für Entwicklungspolitik 14/15, 2004, 34-38.<br />
5 Vgl. Ebd.<br />
6 Vgl. Ebd.<br />
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Wirksame kirchliche und private<br />
Entwicklungszusammenarbeit<br />
Ganzheitliche und wirksame Entwicklungszusammenarbeit christlicher Werke und<br />
Kirchen muss vermehrt das Miteinander-unterwegs-Sein in den Vordergrund stellen.<br />
Der Schwerpunkt müsste viel stärker auf kleinen Projekten mit geringem Kapital-<br />
und hohem Personaleinsatz liegen. Es gilt, mit der Bevölkerung vor Ort zusammenzuleben,<br />
auf sie zu hören und gemeinsam mit ihnen Projekte zu entwickeln; echte<br />
Partnerschaft und Teilhabe an Prozessen; gemeinsames Lernen auf gleicher Augen-<br />
höhe – Entwicklungszusammenarbeit eben. Viele Projektleiter klassischer Projekte<br />
sind einhe<strong>im</strong>ische Experten, die zum Bildungsbürgertum gehören, ihre Ausbildung<br />
<strong>im</strong> Westen erhalten haben und jetzt in der Hauptstadt leben. Sie gelten als „einhe<strong>im</strong>ische<br />
Partner“, haben sich jedoch oft von der betroffenen Bevölkerung weit entfernt.<br />
Es kommt darauf an, mit den Betroffenen zusammenzuleben, ihre Sorgen und Nöte<br />
wirklich kennenzulernen, mit den Menschen zu teilen und ihnen auch seelsorgerlich<br />
beizustehen. Aus diesem Grund kommt der Zusammenarbeit mit lokalen Kirchen,<br />
aber auch den Organisationen der Zivilgesellschaften, eine besondere Bedeutung zu.<br />
Einhe<strong>im</strong>ische und ausländische Missionare/Mitarbeiter haben einen unschätzbaren<br />
Einfluss und nachhaltige Wirkung, denn sie leben bei den Menschen.<br />
Wirksame staatliche Entwicklungszusammenarbeit<br />
Eine große Rolle bei innenpolitischen Auseinandersetzungen spielen Regierungen,<br />
die internationale Gemeinschaft oder auch multinationale Unternehmen. Sie können<br />
die Auseinandersetzungen verschärfen oder helfen, dass Machthaber und ihre Kontrahenten<br />
offene Auseinandersetzungen führen und zu allen Kontakte pflegen. Das<br />
opt<strong>im</strong>iert die Bedingungen für innenpolitische Fortschritte. Gute staatliche Entwicklungszusammenarbeit<br />
kann hier wichtige Dienste leisten. 7<br />
Entwicklungskonzepte verstärken heute den Rechtsansatz (rights approach). Damit<br />
verbunden ist die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Menschenrechte zu helfen.<br />
Dazu gehört wesentlich ein funktionsfähiges Rechtssystem. Und hier besteht großer<br />
Handlungsbedarf – nicht nur die staatliche, sondern auch die private Entwicklungszusammenarbeit<br />
muss sich noch intensiver für Überwindung von Korruption in<br />
Rechtssystemen einsetzen. 8<br />
Die Globalisierung ist ein zentrales Thema heutiger staatlicher Entwicklungspolitik.<br />
Der Kampf zwischen so genannten Globalisierungsbefürwortern und -kritikern hält<br />
an. Der Basler Professor für systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik, Dr.<br />
Christoph Stückelberger, schlägt eine selektive Globalisierung vor:<br />
„Globalisierung als internationale Vernetzung ist dann und dort zu unterstützen,<br />
wenn damit die Welt als EINE Menschheit und EIN Ökosystem in ihrer wechselseitigen<br />
Abhängigkeit verstanden und gestärkt wird, wenn ein Leben in Würde für alle,<br />
gerechten Zugang zu und die gerechte Verteilung von Ressourcen und Gütern, die<br />
Freiheit zur Partizipation an politischen Entscheidungen, international friedliches<br />
und vertrauensvolles Zusammenleben und die verantwortliche Ausübung von Macht<br />
gestärkt wird.<br />
Globalisierung als internationale Vernetzung ist aber dann und dort zu bekämpfen,<br />
wenn damit die Welt in ihrer Vielfalt auf ein einheitliches Wirtschafts-, Kultur-<br />
und Politikmodell reduziert, die Macht weniger Akteure gestärkt und weniger<br />
7 Alliance Sud (Hg.), Die Entwicklung löst nicht alle Probleme. Argumente zur Kampagne<br />
„0,7% – Gemeinsam gegen die Armut“, Bern, 2006.<br />
8 Vgl. Stückelberger 2004.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
„Globalisierung<br />
als internationale<br />
Vernetzung ist<br />
dann und dort zu<br />
unterstützen, wenn<br />
damit die Welt als<br />
EInE Menschheit<br />
und EIn Ökosystem<br />
in ihrer wechselseitigenAbhängigkeit<br />
verstanden und<br />
gestärkt wird.“<br />
Prof. Stückelberger<br />
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112<br />
Just PEoPlE?<br />
Jede Träne, die<br />
einem Kind abgewischt<br />
werden<br />
kann, ist ein Stück<br />
„Fortschritt“,<br />
ist theologisch<br />
gesprochen Anwesenheit<br />
Gottes.<br />
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kontrolliert, der Vorrang der Ökonomie vor allen anderen Lebens- und Handlungsbereichen<br />
fortgesetzt, das freie Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht von Völkern und Nationen<br />
wesentlich eingeschränkt und der Friede gefährdet wird.“ 9<br />
Eine der großen entwicklungspolitischen Herausforderungen ist weiterhin die Regulierung<br />
und damit Stabilisierung der internationalen Kapital- und besonders der<br />
Devisenmärkte, also der Märkte, auf denen mit anderen Währungen gehandelt wird.<br />
Diese makroökonomischen Entwicklungen übersteigen oft die Handlungsmöglichkeiten<br />
einzelner Hilfswerke, sind aber von höchster finanzpolitischer Relevanz, wie<br />
die Finanzkrise von 2009/10 zeigt. Die Besteuerung von Devisentransaktionen ist<br />
ebenso relevant wie das weitere Abtragen der Schuldenberge. 10<br />
Verhältnis zwischen privater und öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe<br />
Private Projekte, Mikrokredite, Handelserleichterungen, Schaffung von guten Rahmenbedingungen<br />
für Firmengründungen oder professionelle Unterstützung für Systemwechsel<br />
sind in der Regel viel effizienter als staatlich finanzierte Projekte und<br />
Geldzahlungen, die schlussendlich nur die Abhängigkeit der Entwicklungsländer<br />
verstärken. Die Hilfswerke könnten ihre Fachkompetenz in den Dienst des staatlichen<br />
Auftraggebers stellen ohne Gefahr zu laufen, für politische Zwecke missbraucht zu<br />
werden. Der Staat sollte sich um Qualitätssicherung und klare vertragliche Verhältnisse<br />
zwischen Auftraggeber und Ausführenden bemühen.<br />
schlussfolgerung<br />
Neben dem Streit um Statistiken, Ausrichtung, Nutzen und Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit<br />
ist gerade aus Sicht christlicher Entwicklungspolitik der Blick<br />
auf das Einzelschicksal wichtig. Vor kurzem besuchte ich Myanmar. Thawng Kuhl<br />
erzählte mir dort von seiner Hoffnung, sein zusätzliches Einkommen, das er durch<br />
den Reisanbau verdient, in die Schulbildung der Kinder und in einen Ochsenkarren<br />
zu investieren. Mit dem will er in Zukunft ein eigenes kleines Geschäft aufziehen.<br />
Thawng wohnt <strong>im</strong> Dorf Myauk Chaw Taw <strong>im</strong> Norden Myanmars. In diesem Dorf gibt<br />
es schon länger eine Gemeinde der Heilsarmee. Vor drei Jahren hat die Heilsarmee<br />
mit angesehenen Personen <strong>im</strong> Dorf einen Fürsorgerat zusammengestellt. Der Fürsorgerat<br />
kauft mit finanzieller Unterstützung aus der Schweiz fünf Hektar Ackerland<br />
von einem Großgrundbesitzer und wählt fünf arme Familien (Tagelöhner, Landlose,<br />
Witwen) <strong>im</strong> Dorf aus, die für drei Jahre einen Hektar Ackerland zum Bebauen erhalten.<br />
Mitglieder des Fürsorgerats übernehmen die Verantwortung, diese Familien<br />
be<strong>im</strong> Bebauen des Ackers zu unterstützen und zu beraten. Jedes Jahr müssen die<br />
begünstigten Familien 10 Prozent des Ertrags an den Fürsorgerat abliefern. Damit soll<br />
mittelfristig weiteres Ackerland <strong>im</strong> Dorf erworben werden. Thawng Kuhl gehört mit<br />
seiner Familie zu einem der Projektbegünstigten. Die Hilfe ist sinnvoll – unabhängig<br />
von statistischen Erhebungen. Jede Träne, die einem Kind abgewischt werden kann,<br />
ist ein Stück „Fortschritt“, ist theologisch gesprochen Anwesenheit Gottes. Damit ist<br />
keineswegs einer individualethischen Verengung der Entwicklungspolitik das Wort<br />
geredet! 11 Vielmehr soll der Demotivierung von Statistiken die Motivationskraft von<br />
9 Stückelberger 2004, 36.<br />
Das Konzept einer neuen, multilateralen, gemeinschaftsbezogenen und nicht<br />
<strong>im</strong>perial von der einzigen Supermacht dominierten ordnung internationaler Beziehungen<br />
entwickelt neulich der amerikanische Soziologe Etzioni: Etzioni, Amitai,<br />
From Empire to Community. A New Approach to International Relations, new York,<br />
2004.<br />
10 Vgl. Stückelberger 2004.<br />
11 Vgl. Ebd.<br />
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Kinderaugen entgegengesetzt werden. Die sehr positiven Echos auf das neueste Büchlein<br />
von <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> „Parole aux pauvres“, das ohne Statistiken schlicht 27 kurze<br />
und konkrete Erfolgsgeschichten der Entwicklungszusammenarbeit erzählt und<br />
bebildert, ist eine Bestätigung dafür.<br />
literaturangaben<br />
Alliance Sud (Hg.), Die Entwicklung löst nicht alle Probleme. Argumente zur<br />
Kampagne „0,7% – Gemeinsam gegen die Armut“, Bern, 2006.<br />
Vgl. Myers, Bryant L., Walking with the Poor. Principles and Practice of Transformational<br />
Development, Maryknoll, New York, 1999.<br />
Vgl. Prof. Dr. Stückelberger, Christoph, Grundwerte und Prioritäten globaler<br />
Entwicklung, in: Zeitschrift für Entwicklungspolitik 14/15, 2004, 34-38.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 1: WELT<br />
Der Demotivierung<br />
von Statistiken soll<br />
die Motivationskraft<br />
von Kinderaugen<br />
entgegengesetzt<br />
werden.<br />
Foto: Privat<br />
Markus Muntwiler (geboren 1962)<br />
ist Agronom, Sozialarbeiter (HFS)<br />
und hat einen Master in Leadership<br />
and Management. Er lebte zwei<br />
Jahre in Sri Lanka und sieben Jahre<br />
in Papua-neuguniea als Missionar<br />
und Entwicklungsprojektberater.<br />
zurzeit leitet er den Arbeitszweig<br />
„Mission und Entwicklung“ der<br />
Heilsarmee Schweiz. Er ist verheiratet<br />
mit Iris und hat drei Kinder.<br />
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114<br />
Just PEoPlE?<br />
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Wolfgang neuser<br />
Armut und Reichtum in der Bibel<br />
1. Gott will das leben <strong>im</strong> Vollsinn<br />
Gott will Reichtum statt Armut. Keine Sorge, jetzt wird kein Wohlstandsevangelium<br />
verkündet. Es handelt sich vielmehr um die zugegebenermaßen etwas provokant formulierte<br />
Grundaussage der Bibel, dass Gott seinen Menschen das Leben <strong>im</strong> Vollsinn<br />
des Wortes schenken will. Jesus sagt beispielsweise in Johannes 10,10: „Ich bin gekommen,<br />
dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“<br />
Was die Bibel genauer zum globalen, alten und heutigen Problem Armut und<br />
Reichtum sagt und was wir als Christen tun können, will ich <strong>im</strong> Folgenden darlegen.<br />
1.1. Armenfürsorge<br />
Von Anfang an ist die Bibel weniger an der Beschreibung und Analyse von Armut und<br />
Reichtum interessiert, als vielmehr an der Beseitigung von Armut und Ungerechtigkeit.<br />
Viele Best<strong>im</strong>mungen <strong>im</strong> mosaischen Gesetz zeigen Gottes Solidarität mit den<br />
Armen. Israel soll das Recht des Armen nicht beugen (2. Mose 23,6) und dem armen<br />
Tagelöhner nicht den Lohn vorenthalten (5. Mose 24,14); die abgefallenen Beeren <strong>im</strong><br />
Weinberg sollen die Israeliten den Armen lassen (3. Mose 19,10) und bei der Ernte auf<br />
dem Feld nicht alles abschneiden sowie die Nachlese den Armen überlassen (3. Mose<br />
23,22). Der Zehnte wird zwar grundsätzlich an den Tempel entrichtet, aber alle drei<br />
Jahre soll er den Fremden, Witwen und Waisen gegeben werden, damit sie „essen und<br />
sich sättigen“ (5. Mose 14,28-29). Auch das Zinsverbot gehört zu den Schutzmaßnahmen<br />
gegen Armut: „Du sollst von dem Armen keinerlei Zinsen nehmen“ (2. Mose 22,24).<br />
Die Weisungen zum Erlassjahr gipfeln in der Aussage: „Es sollte überhaupt kein Armer<br />
unter euch sein“ (5. Mose 15,4). In Vers 11 heißt es: „Es werden allezeit Arme sein <strong>im</strong><br />
Lande; darum gebiete ich dir und sage, dass du deine Hand auftust deinem Bruder, der<br />
bedrängt und arm ist in deinem Lande.“<br />
Auch die Psalmen reden häufig davon, dass der Herr das Elend der Armen kennt<br />
und ihr Schreien hört (Psalm 9,10 und 19; 10,8; 22,25 usw.); er wird um Recht für die<br />
Armen angerufen (Psalm 72,4; 140,13 usw.).<br />
1.2. Gerechte strukturen<br />
Auch wenn Israel <strong>im</strong> weiteren Verlauf der Geschichte die Armenfürsorge <strong>im</strong>mer wieder<br />
vernachlässigt, bleibt das Thema Armut <strong>im</strong> Blick. Gott beruft Propheten wie<br />
Amos, die heftig die Missstände ihrer Zeit anklagen: Arme werden von Reichen unterdrückt<br />
(2,5-7) und vor Gericht betrogen (5,10-15); die Reichen leben auf Kosten der<br />
Armen und werden <strong>im</strong>mer reicher (6,1-7).<br />
Neben der Armenfürsorge fordert Gott also gerechte Strukturen: „Es ströme das<br />
Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24). Eine<br />
Rechtsordnung, die es erlaubt, dass Reiche den Armen ihren Acker abnehmen können,<br />
ist eine sündige Struktur (vgl. Amos 2,6-8).<br />
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1.3. teilen<br />
Die Evangelien bezeugen, dass und wie den Armen das Evangelium gepredigt wird<br />
und wie Jesus sich den Armen zuwendet. Er selbst lebt in ärmlichen Verhältnissen<br />
von der Geburt bis zum Kreuz. Er fordert den reichen Mann auf, seinen Besitz den<br />
Armen zu geben (Matthäus 19,16-26) und warnt vor den Gefahren des Reichtums:<br />
„Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“ (Matthäus 6,24). Besonders stark<br />
kommt bei Lukas das soziale Anliegen Jesu zum Ausdruck: Nur hier findet sich die<br />
Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 16) sowie vom reichen<br />
Kornbauern (Lukas 12,16-21). Beide haben weder Gott noch den Nächsten in ihrem<br />
Businessplan. Jesus kritisiert nicht ihren Reichtum als solchen, sondern ihre falsche<br />
Lebensrichtung: „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott“<br />
(Lukas 12,21).<br />
Die Urgemeinde richtet das Amt des Armenpflegers ein, um die Versorgung der<br />
Witwen und Armen zu regeln (Apostelgeschichte 6,1-7). Paulus untern<strong>im</strong>mt erhebliche<br />
Anstrengungen, um in Griechenland und Kleinasien für die arme Gemeinde in<br />
Jerusalem zu sammeln (2. Korinther 9). Und wenn nach 1. Petrus 4,10 jeder mit den<br />
ihm gegebenen Gaben dienen soll, dann sind da sicherlich die materiellen Güter eingeschlossen,<br />
zumal hier mit dem „Haushalter“ (griechisch: oikonomos) der Ökonom<br />
in den Blick kommt.<br />
Massiv klagt Jakobus die Reichen an, die den Armen Gewalt antun (Jakobus 2).<br />
Und schließlich findet sich das Thema auch in der Offenbarung des Johannes: Die<br />
reiche Gemeinde in Laodizea war für die Verfolgung weniger gewappnet (Offenbarung<br />
3,14-22).<br />
1.4. Heilung des ganzen Menschen<br />
Bisher war von Armut und Reichtum in materieller Hinsicht die Rede – in der alttestamentlichen<br />
Gesetzgebung und von den Propheten wird Armut <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> sozialökonomischen<br />
Sinne verstanden – aber das ist nicht alles, was die Bibel zu Armut und<br />
Reichtum sagt.<br />
„Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer“ (Lukas 6,20). Die Armen<br />
erhalten eine bedingungslose Heilszusage, nach Matthäus 5,3 die geistlich Armen.<br />
Gemeint sind in beiden Fällen dieselben Menschen: die Armen <strong>im</strong> doppelten Sinn der<br />
äußeren Armut und der Armut vor Gott. Jesus wird arm, damit wir reich werden (2.<br />
Korinther 8,10); er nahm die Gestalt eines Sklaven an – bis zum Tod am Kreuz (Philipper<br />
2,7-8). Die Bibel sieht den ganzen Menschen und möchte, dass er ganz heil wird,<br />
alles hat, was er zum Leben braucht. Und das ist mehr als Nahrung, Kleidung und<br />
Geld. Was nützen dem Menschen all seine Schätze, wenn er nicht reich ist bei Gott<br />
(Lukas 12,33)? Shopping befriedigt nicht die tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens<br />
(J<strong>im</strong> Wallis). Menschen können arm und doch reich sein, aber auch reich und<br />
doch arm. Die Reichen bedürfen darum des befreienden Evangeliums mindestens<br />
ebenso wie die Armen, gerade auch die Ausbeuter, die Ungerechten, die Unterdrücker<br />
– wie unfrei sie doch sind!<br />
Diese ganzheitliche Sicht des Menschen wirft ein Licht auch auf die Frage nach<br />
den Ursachen der Armut: Trägheit, Hoffnungslosigkeit, Ausbeutung, Ungerechtigkeit,<br />
Korruption; „Geldgier ist die Wurzel alles Übels“ (1. T<strong>im</strong>otheus 6,10). Das Haben<br />
scheint wichtiger als das Sein. Reiche und Arme sind Sünder – da ist kein Unterschied.<br />
Der Gott entfremdete Mensch ist ein armer Tropf, da kann er materiell noch so reich<br />
sein. Die Selbstmordrate unter den Reichen dürfte nicht geringer sein als unter den<br />
Armen, eher <strong>im</strong> Gegenteil.<br />
Ist es also am Ende besser, arm zu sein, weil einen dann die Gefahren des Reichtums<br />
noch nicht verführt haben? Zefanja 3,12: „Ich will in dir übrig lassen ein armes<br />
und geringes Volk; die werden auf den Namen des Herrn trauen.“ Gibt es einen Segen<br />
der Armut? Der Arme spürt eine größere Abhängigkeit von Gott – das entspricht der<br />
Warnung vor den Gefahren des Reichtums, aber nach Sprüche 30,8 ist die Armut<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
Die Bibel sieht<br />
den ganzen<br />
Menschen und<br />
möchte, dass er<br />
ganz heil wird,<br />
alles hat, was<br />
er zum Leben<br />
braucht.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Recht üben heißt<br />
auch helfen, wo<br />
jemand opfer<br />
geworden ist.<br />
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ebenso gefährlich wie der Reichtum: „Armut und Reichtum gib mir nicht“. Armut<br />
kann auch an Gott verzweifeln lassen.<br />
Die Bibel lehnt Eigentum und Reichtum nicht ab. Segen <strong>im</strong> Alten Testament<br />
besteht auch in Viehherden, Fruchtbarkeit des Ackers und zahlreichen Nachkommen.<br />
Abraham etwa „war sehr reich an Vieh, Silber und Gold“ (1. Mose 13,2). Oder man<br />
denke an Hiob. Aufgabe des Christseins ist nicht Armut, sondern Reichtum bei Gott<br />
und Fürsorge für die Armen. Lukas berichtet von der Begegnung Jesu mit dem reichen<br />
Zachäus, der die Hälfte seines Besitzes den Armen gibt (Lukas 19,1-10). An ihm<br />
wird deutlich, dass das Evangelium auch frohe Botschaft für die Reichen ist.<br />
Der biblische Befund zur materiellen und geistlichen Armut lautet also: Gott<br />
will, dass seine Menschen das Leben und volle Genüge haben. Er will, dass alle satt<br />
werden von „den reichen Gütern seines Hauses“ (Psalm 36,9). Der Idealzustand des<br />
Lebens ist nicht nur in der materiellen Kategorie beschreibbar, er besteht weder <strong>im</strong><br />
Arm-Sein noch <strong>im</strong> Reich-Sein, sondern <strong>im</strong> Frieden mit Gott, mit anderen und sich<br />
selbst. Reich ist, wer sagen kann: „Ich habe nichts verpasst, ich habe nie Mangel<br />
gehabt“ (vgl. Lukas 22,35). Dieser Reich-Gottes-Zustand der Erneuerung der Armen,<br />
der Reichen und der Strukturen ist mit dem ersten Kommen Jesu Christi schon angebrochen,<br />
wird aber erst mit seinem Wiederkommen vollendet. Bis dahin gilt es zu<br />
handeln (Lukas 19,13).<br />
2. Was ist zu tun?<br />
2.1. Es ist dir gesagt…<br />
Die erste alttestamentliche Zusammenfassung der Weisungen Gottes lautet: „Es ist<br />
dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort<br />
halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Micha 6,8). Und das entspricht<br />
schon sehr weitgehend dem Doppelgebot der Liebe, in dem Jesus das ganze<br />
Gesetz und die Propheten zusammengefasst hat. Michas Antwort auf die schreienden<br />
sozialen Missstände sind nicht Brandopfer, sondern Hingabe des ganzen Lebens,<br />
nämlich:<br />
Recht tun (Gottes Wort halten): Recht durchführen heißt, keine falsche Waage,<br />
Lüge, Gewalt gegen die Schwachen oder Rechtsverdrehung; Recht üben heißt auch<br />
helfen, wo jemand Opfer geworden ist. Die Gesetze zum Erlassjahr wollen alle sieben<br />
Jahre Gerechtigkeit wieder herstellen, wo sie abhanden gekommen ist: Grundbesitz<br />
wird zurückgegeben, Schulden erlassen, Sklaven die Freiheit geschenkt; „damit keiner<br />
von euch verarmt“ (5. Mose 15,4-5).<br />
Kernmaßstab ist die Würde und das Lebensrecht eines jeden (!) Menschen als<br />
Geschöpf und Ebenbild Gottes: „Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und<br />
nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden<br />
lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen und dein<br />
Dunkel wird sein wie der Mittag“ (Jesaja 58,9-10).<br />
Barmherzigkeit/Güte lieben (Liebe üben): Nur von Recht und Ordnung lebt die<br />
menschliche Gemeinschaft nicht. Gottes Gebote gipfeln <strong>im</strong> Liebesgebot. Ohne Liebe<br />
nützte es auch nichts, die ganze Habe den Armen zu geben (1. Korinther 13,3).<br />
Achtsam/wachsam/aufmerksam mitgehen mit deinem Gott (der dir den<br />
Weg bahnt; demütig sein vor deinem Gott): Wie <strong>im</strong> doppelten Liebesgebot gehören<br />
die Beziehungen zu Gott und den Menschen zusammen. Die Gottesbeziehung wird<br />
<strong>im</strong> Alten Testament <strong>im</strong>mer wieder verglichen mit dem Umgang zweier Liebender miteinander.<br />
Lieben heißt kommunizieren und beieinander bleiben.<br />
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2.2. Die uns anvertraute Welt verwalten und gestalten<br />
Das Alte und das Neue Testament relativieren die Frage nach den Grenzen des Reichtums<br />
durch eine grundsätzlich andere Sicht: Wir sind nicht Eigentümer unserer<br />
Güter, sondern nur Besitzer und Verwalter: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen<br />
ist“ (Psalm 24,1). Nicht nur der Zehnte gehört Gott, sondern alle 100 Prozent sind<br />
uns zum verantwortlichen Gebrauch anvertraut. Das Neue Testament sieht das nicht<br />
anders: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten<br />
Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Petrus 4,10). Diese andere Sicht auf Geld<br />
und Güter befreit zum verantwortlichem Umgang.<br />
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten/Pfunden (Lukas 19,11-27) zeigt,<br />
wie mit unserem Geld und unseren Gaben zu wirtschaften ist. Mit dem Lob für den<br />
Knecht, der aus einem Pfund zehn gemacht hat, eine pure kapitalistische Profitmax<strong>im</strong>ierung<br />
rechtfertigen zu wollen, ginge völlig fehl. Nicht die Vermehrung des persönlichen<br />
Reichtums ist Jesu Anliegen – das Geld gehört ja nicht dem Knecht –, sondern<br />
der fruchtbringende Einsatz des Anvertrauten.<br />
Diese Frucht (mehr als Erfolg), nämlich die erneuerte Gottesbeziehung Armer<br />
und Reicher, können wir nicht schaffen. Sie wächst <strong>im</strong> Verborgenen: in der Armensiedlung<br />
in L<strong>im</strong>a, <strong>im</strong> Krankenhaus in Hamburg, <strong>im</strong> Gefängnis in Afghanistan, in der<br />
Führungsetage eines Konzerns. Jesus Christus ist in den dunkelsten Bezirken der Welt<br />
und in den Entscheidern, die sich von ihm leiten lassen. Unsere Aufgabe ist es zu säen,<br />
zu hegen und zu ernten; Gott gibt Wachstum und Gedeihen. Das Evangelium bietet<br />
kein Rezept für eine Weltwirtschaftsordnung, sondern heilt das Herz Einzelner und<br />
heiligt ihr Tun. Es setzt die Möglichkeiten frei, die Gott jedem gegeben hat.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
Foto: CVJM<br />
Prof. Dr. Wolfgang Neuser (geboren<br />
1951) ist Rektor der CVJM-<br />
Hochschule in Kassel.<br />
Der heutige Dozent für Religions-<br />
und Gemeindepädagogik sammelte<br />
als gelernter Industriekaufmann,<br />
Pfarrer und zwischen 2005<br />
und 2010 als Generalsekretär des<br />
deutschen CVJM-Gesamtverbandes<br />
Erfahrungen in sehr unterschiedlichen<br />
Bereichen. Immer wieder<br />
beschäftigte ihn dabei besonders<br />
die Verantwortung von Christen in<br />
der Welt. neuser ist verheiratet und<br />
hat zwei erwachsene Töchter.<br />
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117
118<br />
Just PEoPlE?<br />
Menschen sollten<br />
eine neue Beziehung<br />
zu Gott, dem<br />
nächsten und zur<br />
Gesellschaft entwickeln.<br />
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Andreas Kusch<br />
Der Kampf gegen Armut und für mehr<br />
Gerechtigkeit:<br />
Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt,<br />
wie Christen die Gesellschaft verändert<br />
haben<br />
Mit schöner Regelmäßigkeit wird die Frage diskutiert, inwieweit sich Christen um<br />
soziale, politische und ökonomische Nöte der Welt kümmern sollten. Dahinter steckt<br />
die Sorge, sich nicht mit „zweitrangigen“ Dingen beschäftigen zu wollen und dadurch<br />
vom Ziel abzukommen, unserer Welt Jesus Christus zu bezeugen. Wenn wir in der<br />
Kirchengeschichte zu den Anfängen der evangelikalen Bewegung zurückgehen, werden<br />
wir entdecken, dass es diese künstliche Trennung von Evangelisation und sozialer<br />
Verantwortung damals nicht gab.<br />
Das Leben und Wirken von vielen führenden christlichen Persönlichkeiten war<br />
vielmehr Ausdruck einer tiefen Gottesliebe, das neue Leben durch Jesus Christus in<br />
alle Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens hineinzutragen. Menschen<br />
sollten eine neue Beziehung zu Gott, dem Nächsten und zur Gesellschaft entwickeln.<br />
Ein paar Beispiele gefällig?<br />
spener – Vater des Pietismus mit einem Herz für<br />
gesellschaftliche Nöte<br />
Weithin kennen wir Philipp Jakob Spener (1635-1705), den Vater des Pietismus,<br />
als den Autor der Schrift „Pia desideria“. Sie gilt bis heute als das Manifest des<br />
Pietismus – bis heute eine der wichtigsten geistlichen Erneuerungsbewegungen in<br />
Deutschland. In dieser Schrift fordert er eine Reform des persönlichen geistlichen<br />
Lebens, der Theologie und des kirchlichen Lebens. Sein ureigenster Antrieb war „die<br />
Tat Gottes, die den Menschen zur Durchsetzung seines göttlichen Liebeswillens in der<br />
Welt beruft.“ Dieser Antrieb brachte ihn aber nicht nur dazu, geistliche Missstände zu<br />
benennen, sondern auch ein kommunales Armen-, Waisen- und Arbeitshaus in Frankfurt<br />
zu initiieren, denn Armut war für ihn ein „Schandfleck unseres Christentums“.<br />
Außerdem gründete er eine Hilfsorganisation für Kriegsflüchtlinge, die täglich bis zu<br />
1.000 Personen versorgte. Spener ging aber auch über den Ansatz einer individuellen<br />
Hilfeleistung hinaus, indem er gleichzeitig für gesellschaftlich-strukturelle Veränderungen<br />
eintrat: So entwickelte er eine neue kommunale Armenordnung für die<br />
Städte Berlin und Frankfurt. Sein Plan einer staatlichen Sozialversicherung entstand<br />
schon 200 Jahre vor der Realisierung unter dem Reichskanzler Otto von Bismarck.<br />
oberlin – seelsorger, der das leben eines Dorfes<br />
veränderte<br />
Mit 27 Jahren bewarb sich der junge Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) auf eine<br />
unbeliebte Pfarrstelle in Waldersbach, einem armen und isolierten Dorf in den nördlichen<br />
Vogesen. Oberlin, von einer tiefen Jesusliebe geprägt, besuchte viel und gerne<br />
diese Menschen. Er verließ nie die Häuser, ohne mit den Menschen gebetet zu haben.<br />
Auch in seiner persönlichen Fürbitte betete er täglich für seine Leute. In den Begeg-<br />
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nungen mit ihnen bekam er die Sorgen und Nöte aus erster Hand mit. Oberlin erarbeitete<br />
ein Schulsystem, in dem Kinder von 3 bis 16 Jahren unterrichtet wurden. Die<br />
Schule dafür wurde von den Dorfleuten selbst gebaut. Das alles war einmalig zu einer<br />
Zeit, als noch niemand an eine allgemeine Schulpflicht dachte. Um die schlechte<br />
Ernährungssituation zu verbessern, legte Oberlin einen Mustergarten an, der durch<br />
die neuen Methoden der Stalldungnutzung und Kompostierung hohe Erträge abwarf.<br />
Das überzeugte die Bauern mit der Zeit! Oberlin half, Felsen zu sprengen und entwässerte<br />
Wiesen, um neues Ackerland zu gewinnen, organisierte Düngemittel, neues<br />
Saatgut und Zuchtvieh. Um die finanzielle Ausbeutung durch Wucherer zu unterbinden,<br />
schuf er eine Leih- und Kreditanstalt. Und zur besseren Vermarktung der landwirtschaftlichen<br />
Überschüsse baute er mit den Leuten eine Verbindungsstraße zum<br />
bestehenden Verkehrsnetz. Georg Büchner hat in seiner Erzählung „Lenz“ die Lebenshaltung<br />
Oberlins brillant zusammengefasst: „In den Hütten war es lebendig: man<br />
drängte sich um Oberlin, er wies zurecht, gab Rat, tröstete; überall zutrauensvolle<br />
Blicke, Gebet (…) Dann rasch ins praktische Leben: Wege angelegt, Kanäle gegraben,<br />
die Schule besucht.“<br />
Mez – Badischer Erweckter und unternehmer mit<br />
sozialpolitischer Vision<br />
Carl Christian Mez (1808-1877) war eine führende Persönlichkeit der geistlichen<br />
Erneuerung unter Christen in Baden. Seine Überzeugung, die seinem Unternehmertum<br />
und seinem politischen Engagement zugrunde lag, fasste Mez einmal so zusammen:<br />
„Christi Gebot ‚Liebet euch untereinander, denn ihr seid Brüder‘ enthält nach<br />
meiner Ansicht die einzige Politik, welche die Menschheit beglücken kann.“ Deshalb<br />
gab es in seinem Unternehmen mit über 1.200 Arbeitern für seine Zeit bahnbrechende<br />
Einrichtungen wie ein Wohnhe<strong>im</strong> für alleinstehende Frauen, eine Werkskantine, eine<br />
Pflichtkrankenversicherung, eine Betriebssparkasse und Arbeitnehmerbeteiligung<br />
am Unternehmen. Mez verkürzte die Arbeitszeit seiner Beschäftigten und verzichtete<br />
auf die übliche Kinderarbeit. Er versuchte, diesen Innovationen auch auf politischer<br />
Ebene (bis hin zur Mitgliedschaft in der Frankfurter Nationalversammlung) Nachdruck<br />
zu verleihen. Hätten damals mehr christliche Unternehmer und Politiker seine<br />
Ideen aufgegriffen, hätte sich die schon abzeichnende Abkehr der Arbeiterschicht<br />
vom christlichen Glauben und der Kirche vermutlich nicht in dieser Weise vollzogen.<br />
carey – Pionier der Weltmission und gesellschaftlicher<br />
Reformer<br />
William Carey (1761-1834) ist bekannt als der Vater der „modernen Weltmission“. In<br />
ihm brannte der tiefe Wunsch, die Christen seiner Zeit für das Anliegen der Weltmission<br />
zu begeistern. Da er in seinem Umfeld auf Unverständnis und Ablehnung<br />
stieß, gründete er seine eigene Missionsgesellschaft. Carey selbst war in Indien tätig<br />
und wurde dort Professor für Bengali und Sanskrit. Er erlernte ungefähr 40 indische<br />
Sprachen, in die er dann die Bibel oder Bibelteile übersetzte. Mit diesen Tätigkeiten<br />
gingen auch die Gründung einer Schule, einer Universität und eines Krankenhauses<br />
einher. Diese Einrichtungen wurden zu einem Vorbild, das in Indien vielfach nachgeahmt<br />
wurde. Carey scheute keine Auseinandersetzung mit den Mächtigen seiner Zeit.<br />
Politisch war Carey eine sehr einflussreiche Persönlichkeit, die sich in Indien gegen<br />
Witwenverbrennung, Frauenunterdrückung und Kindstötung sowie das diskr<strong>im</strong>inierende<br />
Kastenwesen einsetzte. Auch gründete er eine Gesellschaft für Landwirtschaft,<br />
um die Ernährungssituation des Landes zu verbessern. In einem Artikel forderte<br />
Carey eine Landreform für Indien – ein zu der Zeit revolutionärer Gedanke. In seiner<br />
berühmt gewordenen Mobilisationsschrift für Weltmission rief er außerdem zum<br />
Zuckerboykott auf, weil Zucker damals ausschließlich von Sklaven angebaut und produziert<br />
wurde. Er war überzeugt: Wer Zucker konsumiert, an dessen Händen klebt<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
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120<br />
Just PEoPlE?<br />
„Religion, wenn<br />
sie etwas wert ist,<br />
sollte jede Sphäre<br />
des Lebens ausfüllen<br />
und das<br />
Verhalten in allen<br />
Beziehungen<br />
beherrschen.“<br />
Graf Shaftesbury<br />
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das Blut Unschuldiger. Um Unterstützer für seine sozialethischen Ziele zu gewinnen,<br />
gründete er die Zeitschrift „Friends of India“.<br />
Wilberforce – Evangelikaler Kämpfer für Menschenrechte<br />
Eine herausragende Persönlichkeit der englischen Evangelikalen war William Wilberforce<br />
(1759-1833). Er war für sein ausgeprägtes und intensives Gebetsleben bekannt.<br />
So war es nicht unüblich, dass in den Treffen mit seinen Freunden bis zu drei Stunden<br />
gebetet wurde. Sein Name steht ebenfalls für die Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien.<br />
Der damalige Welthandel beruhte unter anderem auf der Unterdrückung<br />
und Ausbeutung von Sklaven. Wilberforce, der sich als Berufspolitiker von Gott beauftragt<br />
sah, hat sich mit diesem von vielen als unveränderbar hingenommenen Zustand<br />
nicht abgefunden. Auf dem Fundament des Glaubens und der christlichen Ethik<br />
stellte er das ganze Welthandelssystem in Frage und griff es politisch an: Wilberforce<br />
war überzeugt, dass sich individuelle Sünde, die gesellschaftlich akzeptiert wird, zu<br />
widergöttlichen gesellschaftlichen Strukturen verfestigt. Zwanzig Jahre führte er diesen<br />
zermürbenden und mühsamen Kampf, durfte es aber dann auch kurz vor seinem<br />
Tod noch erleben, dass England die Sklaverei abschaffte. Später wurde diese Nation<br />
sogar Vorreiter <strong>im</strong> Kampf gegen den Sklavenhandel anderer Nationen.<br />
shaftesbury – Missionarischer christ, Politiker und<br />
sozialreformer<br />
Anthony Ashley Cooper, der spätere Graf Shaftesbury (1801-1885), war eine weitere<br />
herausragende Persönlichkeit der englischen evangelikalen Bewegung. Shaftesburys<br />
Lebensmotto lässt sich am besten mit seinen eigenen Worten wiedergeben: „Religion,<br />
wenn sie etwas wert ist, sollte jede Sphäre des Lebens ausfüllen und das Verhalten<br />
in allen Beziehungen beherrschen.“ In diesem Sinne kämpfte er als Abgeordneter<br />
<strong>im</strong> britischen Unterhaus zeitlebens für eine am Wohl des Menschen orientierte Politik.<br />
Engagiert in der frühen britischen Reformbewegung, wirkte er maßgeblich an<br />
der Verabschiedung von Sozialgesetzen mit, zum Beispiel be<strong>im</strong> Gesetz zum Verbot<br />
von Frauen- und Kinderarbeit in Kohleminen (1842), dem Gesetz zur Reform der<br />
Betreuung von Geisteskranken (1845) und bei der Einführung des Zehnstundentages<br />
für Fabrikarbeiter (1847). Shaftesbury förderte zudem den Bau von Wohnungen für<br />
sozial Benachteiligte, startete verschiedenste Initiativen für die Stärkung des öffentlichen<br />
Gesundheitswesens und war der entscheidende Motor für die Errichtung von<br />
über 100 Schulen, der so genannten Ragged Schools (Lumpenschulen) für arme Kinder.<br />
Darüber hinaus war Shaftesbury treibende Kraft in zahlreichen kirchlichen Missionswerken<br />
und war Präsident der britischen Bibelgesellschaft.<br />
Wesley – Erweckungsprediger mit sozialethischer<br />
D<strong>im</strong>ension<br />
John Wesley (1703-1791), einer der „geistlich durchschlagensten“ Evangelisten seines<br />
Jahrhunderts, wurde nicht müde, Menschen auf ihre Erlösungsbedürftigkeit<br />
durch Christus hinzuweisen und zur Bekehrung aufzurufen. Aber in seinen Predigten<br />
reduzierte er die Lebensumkehr nicht auf eine privat-innerliche D<strong>im</strong>ension. Er war<br />
überzeugt: Das Christentum ist eine aufs Soziale bezogene Religion – „eine Religion<br />
des Einzelnen daraus machen zu wollen heißt, das Christentum zu zerstören.“ Für<br />
Wesley war eine Erlösung durch Christus ohne einen Kampf gegen soziale und politische<br />
Missstände absolut undenkbar. Als eine der bekanntesten Persönlichkeiten des<br />
öffentlichen Lebens nahm er selbst klar Stellung gegen Sklavenhandel, Schmuggel,<br />
Arbeitskräfteausbeutung und Korruption. Noch wichtiger aber war, dass er zum theologischen<br />
und geistlichen Vater vieler christlicher Sozialreformer wie Wilberforce,<br />
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Shaftesbury oder Peel wurde. Historiker sind überzeugt, dass durch diese vom Glauben<br />
inspirierten Sozialreformen England eine Revolution, so wie sie in Frankreich<br />
stattgefunden hat, erspart geblieben ist.<br />
Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen<br />
Welche Grundüberzeugung können wir bei all diesen von Gott in besonderer Weise<br />
gebrauchten Persönlichkeiten erkennen? Es war die tiefe Liebe zu Gott, wie sie in<br />
Matthäus 22,37-39 beschrieben wird: „Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen.<br />
Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Aber gleich wichtig ist ein zweites: Liebe deinen<br />
Mitmenschen wie dich selbst.“ Wer von Gottes Liebe angesteckt ist, liebt nicht nur<br />
Gott von ganzem Herzen, sondern auch alle die, die von Gott geschaffen und geliebt<br />
sind. Gottes- und Nächstenliebe sind untrennbar miteinander verwoben. Dabei ist<br />
der Nächste nicht nur der Einzelne, sondern das Liebesgebot wird erweitert auf die<br />
Gesellschaft und Kulturen bis an das Ende der Welt. Diese Persönlichkeiten wollten<br />
Gottes neu schaffendes Leben in alle Bereiche des Menschseins hineintragen. Überall<br />
sollte und soll sichtbar werden, dass Gott durch Jesus Christus neues Leben ermöglicht<br />
– ewiges Leben und auch menschenwürdiges Leben hier auf der Erde. Deshalb<br />
gibt es keine wertende Trennung. Egal, ob wir uns für evangelistische oder soziale<br />
Ziele einsetzen: Was aus der Beziehung der Liebe zu Gott geboren ist, dient seinen<br />
Zielen, seiner Anbetung und der Ausbreitung seines Reiches. Es st<strong>im</strong>mt, was Johann<br />
Christoph Blumhardt (1805-1880) gesagt hat: „Jesus ist der Trotz Gottes gegen Sünde,<br />
Armut und Elend.“<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
„Eine Religion des<br />
Einzelnen daraus<br />
machen zu wollen,<br />
heißt das Christentum<br />
zu zerstören.“<br />
John Wesley<br />
Foto: Privat<br />
Dr. Andreas Kusch ist Dozent für<br />
transformative Entwicklungszusammenarbeit<br />
an der Akademie<br />
für Weltmission, Korntal.<br />
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121
122<br />
Just PEoPlE?<br />
Das Reich Gottes<br />
ist das, worum sich<br />
Leben und Lehre<br />
von Jesus drehte.<br />
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Paul Kleiner<br />
Das Reich Gottes<br />
Im Markusevangelium lautet der erste Satz aus dem Mund von Jesus: „Erfüllt ist die<br />
Zeit und nahe gekommen ist das Reich Gottes“ (Markus 1,15). Damit wird die Botschaft<br />
von Jesus, das „Evangelium Gottes“ (Markus 1,14), zusammengefasst. Programmatisch,<br />
mit einem Paukenschlag zum Auftakt der Geschichte von Jesus: Das Reich Gottes<br />
ist nahe gekommen!<br />
Wenn man eine Konkordanz aufschlägt, wird auch zahlenmäßig deutlich, dass das<br />
„Reich Gottes“ zentral ist für Jesus Christus: In den vier Evangelien kommt der Ausdruck<br />
81 Mal vor, in den anderen Büchern des Neuen Testaments noch 16 Mal. 1 Das<br />
Reich Gottes ist das, worum sich Leben und Lehre von Jesus drehte.<br />
Als Jesus von Nazareth um das Jahr 30 auftrat, hat er den Begriff „Reich Gottes“ nicht<br />
erfunden. Vielmehr hat er an eine lange Vorgeschichte <strong>im</strong> Judentum und Alten Testament<br />
angeknüpft. Das griechische Wort <strong>im</strong> Neuen Testament greift auf das hebräische<br />
<strong>im</strong> Alten Testament für „Königsherrschaft“ zurück.<br />
Im Alten Testament wird Gott als König geehrt. Er ist der König seines Volkes Israel<br />
(4. Mose 23,21) und König der ganzen Welt sowie aller Völker (Psalm 47). Als König<br />
hat er die Welt erschaffen; er erhält sie; er herrscht in Gerechtigkeit über sie und richtet<br />
sie (Psalm 96-99). Mit diesen Psalmen hat das alte Israel Gottes Königsherrschaft<br />
besungen. Sie ist erstens seine gegenwärtige Tätigkeit, mit der er in der Welt Gerechtigkeit<br />
erhält beziehungsweise schafft, und zweitens der ganze Bereich, über den Gott<br />
herrscht, also die ganze Welt.<br />
Man könnte sagen: Gott hat die Welt erschaffen, um seine Königsherrschaft aufzurichten.<br />
Um sie in Gerechtigkeit zu erhalten. Um seine Heiligkeit und Liebe mit ihr zu<br />
teilen – und als ein solcher Gott erkannt sowie anerkannt zu werden. Die Schöpfung<br />
sollte sein Reich werden. Das Reich Gottes ist Gottes Absicht mit der ganzen Schöpfung<br />
– und weil er Gott ist, wird er sein Reich aufrichten, seine ungehinderte Herrschaft,<br />
wo niemand und nichts ihn an seiner Gerechtigkeit und Gnade hindert.<br />
Nur: So weit ist es jetzt noch nicht. Das hat das alte Israel auch gewusst, als es die<br />
schönen Psalmen mit Gottes Königsherrschaft sang. Gott herrscht in Gerechtigkeit<br />
und doch ist die Welt nicht <strong>im</strong> Lot, genauso wenig wie das Volk Gottes. Beides war<br />
(und ist!) eben wahr: Gott herrscht als Schöpfer der Welt und erhält sie tagtäglich<br />
in ihrer Ordnung; Gott hat den Menschen seine gerechte Thora offenbart, damit der<br />
Mensch sich daran halte und lebe (5. Mose 16,20). Genau übersetzt heißt Thora „Weisung“<br />
und nicht „Gesetz“: Es geht also um die Orientierung hin zu gerechten, heilvollen<br />
Beziehungen zwischen Menschen und auch zu Gott und nicht um eine abstrakte<br />
Regel-Gerechtigkeit. Allerdings widersetzt sich der Mensch und die ganze Welt Gottes<br />
Herrschaft und macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Kain brachte seinen<br />
Bruder Abel um (1. Mose 4,8). Der Prophet Jesaja beklagt den Rechtsbruch statt des<br />
Rechtsspruchs <strong>im</strong> Volk Israel (Jesaja 5,7). Gottes Urteil über die Welt ist vernichtend:<br />
Die Erde ist verdorben und voller Gewalttat (1. Mose 6,11): Die Gewalt von Tsunamis<br />
und Erdbeben, vom Wolf gegen Schafe, das Gesetz von Fressen und Gefressen-<br />
1 Im Matthäusevangelium steht 31 Mal „Reich der H<strong>im</strong>mel“, was dasselbe bedeutet<br />
wie „Reich Gottes“. In gewissen jüdischen Kreisen war es damals üblich, aus Ehrfurcht<br />
den Gottesnamen nicht auszusprechen und ihn mit dem Begriff „H<strong>im</strong>mel“ zu<br />
ersetzen.<br />
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Werden in der Natur. Und dann die menschliche Gewalt: Strukturell versteckt mit oft<br />
katastrophalen Folgen von Hunger oder Umweltzerstörung, in kriegerischen Auseinandersetzungen,<br />
durch Terroranschläge mit Selbstmord und psychischen Terror in<br />
Beziehungen, häusliche Gewalt, Gewalt in Medien und Computerspielen… Da bleibt<br />
einem der Psalm oder das Lied „Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret“ in der<br />
Kehle stecken. Wenn diese Gewaltorgie Reich Gottes sein soll, dann lieber nicht!<br />
Das Alte Testament singt von der gegenwärtigen Herrschaft Gottes – und weiß gleichzeitig,<br />
dass Gott erst in der Zukunft König werden wird. Das ist die ganz große Hoffnung<br />
und Erwartung; das ist das Evangelium bei Jesaja (40,9; 52,7; 61,1): Dass Gott<br />
endlich kommt, König wird und seine gerechte Herrschaft gegen alles Böse und allen<br />
Widerstand durchsetzt.<br />
Für das Judentum zur Zeit von Jesus war das Reich Gottes also ein Begriff! Für die<br />
einen (die Pharisäer) stand Gottes gegenwärtige Herrschaft über sein Volk durch die<br />
Thora <strong>im</strong> Vordergrund; sie nahmen das Joch des Reiches Gottes <strong>im</strong> genauen Gehorsam<br />
allen Geboten gegenüber auf sich. Andere (die Zeloten) wollten die Fremdherrschaft<br />
der verhassten Römer abschütteln, die das Land mit Götzenbildern verunreinigten;<br />
sie kämpften mit Waffengewalt, um Gottes Herrschaft unter dem versprochenen<br />
König auf Davids Thron aufzurichten. Wieder andere (apokalyptische Kreise) warteten<br />
auf das nahende Weltende, wenn Gott die Völker richten und seinem Volk Israel<br />
Heil verschaffen wird.<br />
In dieser Atmosphäre verkündet Jesus von Nazareth: „Das Reich Gottes ist nahe<br />
gekommen.“ Mit seiner Zeit und mit dem Alten Testament redet er von dem zukünftigen<br />
Reich: Um dessen Kommen lehrt er seine Jünger beten (Matthäus 6,10) beziehungsweise<br />
bis zu dessen Kommen sollen sie Abendmahl feiern (Matthäus 26,29; vgl.<br />
auch 13,24-30,36-43; 25,31-46). Aber Jesus legt das Hauptgewicht darauf, dass dieses<br />
Reich Gottes jetzt schon angekommen, angebrochen, gegenwärtig ist. Und zwar nicht<br />
nur allgemein in der Schöpfung oder durch die Offenbarung der Thora durch Mose.<br />
Sondern angekommen und angebrochen in seiner Person! Jesus selbst ist das Reich<br />
Gottes: Mit seinem Auftreten schafft Gott Gerechtigkeit und das Leben von Jesus ist<br />
der Bereich, in dem Gott ungehindert herrscht.<br />
Jesus selbst hat sich und sein Wirken so verstanden. Den Pharisäern hält er entgegen:<br />
„Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lukas 17,21) – eben in meiner Person, ihr müsst<br />
nicht nach anderem Ausschau halten. Dies wird insbesondere deutlich durch die Austreibung<br />
von Dämonen (Matthäus 12,28): Gottes Herrschaft bannt die bösen Mächte!<br />
Auch sind die Wunder von Jesus Hinweise auf den Anbruch der messianischen Zeit,<br />
die in Jesaja 35 beschrieben wird und in der Gott zur Rettung kommt (Matthäus 11,2-<br />
6). Die Tischgemeinschaft von Jesus mit seinen Jüngern, mit Freunden, mit „Zöllnern<br />
und Sündern“ (zum Beispiel in Markus 2,15-17) ist die Vorwegnahme des Mahls, das<br />
Gott bei seinem heilvollen Eingreifen für alle Völker zubereiten wird (Jesaja 25,6-9).<br />
Wenn Jesus Sünden vergibt (Markus 2,5), tut er das, was Gott als kommender König<br />
verheißen hat (Jesaja 33,22-24).<br />
Jesus hat den Anbruch dieser heilvollen Herrschaft Gottes in Gerechtigkeit proklamiert<br />
und gelebt: Für alle und mit allen – Arme (Matthäus 5,3; Lukas 6,20), die<br />
vom Gottesdienst ausgeschlossen waren, Frauen, Zöllner (besonders üble Sünder, da<br />
sie mit den verhassten Römern kollaborierten) und Nicht-Juden.<br />
Auch sein Sterben hat Jesus in dieser Perspektive des Reiches Gottes <strong>im</strong> Voraus gedeutet.<br />
In Markus 10,45 und 14,22 greift er auf Jesaja 43 und 53 zurück, um seinen Tod als<br />
Gottes Tat zur Aufrichtung und Durchsetzung der Gerechtigkeit angesichts menschlicher<br />
Abwendung von beziehungsweise Rebellion gegen Gott zu deuten. Seine Jünger<br />
haben dies erst nach der Auferstehung und der Ausgießung des Heiligen Geistes<br />
verstanden. Als es ihnen dann aber klar wurde, haben sie Jesus Christus ins Zentrum<br />
ihrer Botschaft gestellt: Denn Jesus, der vom Reich Gottes geredet hat, ist in Person<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
Der innere Seelenfrieden<br />
eines<br />
Einzelnen <strong>im</strong> Blick<br />
auf das Jenseits ist<br />
eine Karikatur von<br />
Gottes Reich.<br />
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124<br />
Just PEoPlE?<br />
Die Kirche hat<br />
das Evangelium<br />
vom Reich Gottes<br />
<strong>im</strong>mer wieder<br />
amputiert.<br />
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der Anbruch dieses Reiches. Paulus „verkündigte das Reich Gottes und lehrte über Jesus<br />
Christus, den Herrn“ (Apostelgeschichte 28,30; vgl. 19,8-10; 28,23). Jesus und das<br />
Reich sind dasselbe.<br />
In den neutestamentlichen Briefen verschiebt sich das Gewicht be<strong>im</strong> Gebrauch von<br />
„Reich Gottes“ gegenüber Jesus in den Evangelien: Der Begriff bezieht sich vermehrt<br />
auf die zukünftige Vollendung von Gottes Herrschaft und kommt deswegen relativ<br />
selten vor. Jesus Christus selbst steht <strong>im</strong> Zentrum der Verkündigung, in getreuer Fortsetzung<br />
zu Jesu Botschaft in den Evangelien: Gott ist schon angekommen, um seine<br />
gerechte und heilvolle Herrschaft aufzurichten; das entscheidende Ereignis ist schon<br />
geschehen durch Tod und Auferstehung von Jesus Christus und in der Ausgießung des<br />
Heiligen Geistes, der gewaltigen Gegenwart Gottes <strong>im</strong> Leben seines Volkes. Gleichzeitig<br />
wartet es mit der ganzen Welt noch auf die Vollendung von Gottes Herrschaft und<br />
auf die endgültige Überwindung von allem Bösen.<br />
Entscheidend für das christliche Verständnis des Reiches Gottes ist dreierlei:<br />
1. Jesus Christus ist das Reich Gottes.<br />
Gott schafft Gerechtigkeit und Heil durch Jesus von Nazareth. Diese geschichtliche<br />
Verankerung verbürgt einerseits die Wirklichkeit der Herrschaft Gottes: Er kommt<br />
tatsächlich, erfahrbar, wirksam in unsere Welt, in Raum und Zeit hinein. Andererseits<br />
gibt die historische Person von Jesus dem Reich Gottes ein unverwechselbares<br />
Gesicht, einen eindeutigen profilierten Gehalt.<br />
Die Kirche hat das Reich Gottes manchmal von Jesus Christus getrennt und sich<br />
auf eigenmächtige Weltverbesserung ohne Jesus oder eine individualistische weltflüchtige<br />
Jesus-Beziehung konzentriert; nur: Zum Reich Gottes gehört Jesus Christus<br />
und ihn kann man ohne das Reich nicht haben.<br />
2. Das Reich Gottes ist schon angebrochen und noch nicht vollendet.<br />
Beides gilt gleichzeitig, erscheint zwar als logischer Widerspruch, aber bewahrheitet<br />
sich <strong>im</strong> Leben: Gott herrscht schon jetzt. „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit, Frieden<br />
und Freude <strong>im</strong> Heiligen Geist“ (Römer 14,17). Das ist schon jetzt eine erfahrbare<br />
Realität – und gleichzeitig eine noch angefochtene, zerbrechliche und zerbrechende<br />
Realität. „Im Glauben gehen wir unseren Weg, nicht <strong>im</strong> Schauen“ (2. Korinther 5,7).<br />
Denn noch warten wir darauf: „Der Gott des Friedens wird den Satan in Kürze unter<br />
euren Füßen zermalmen“ (Römer 16,20). „Christus ist unser Friede“ (Epheser 2,14) –<br />
schon jetzt, indem er eine versöhnte Beziehung zu Gott, zu sich selbst und zwischen<br />
Menschen ermöglicht. Gleichzeitig ist der Heilige Geist „nur“ Erstlingsgabe und wir<br />
erwarten die Kindschaft sowie die Erlösung des Leibes (Römer 8,23).<br />
Die Kirche hat manchmal das Fasten und manchmal das Feiern überbetont. Beides<br />
gehört zum Reich Gottes: Die überschwängliche Feier und die sehnsuchtsvolle<br />
Erwartung.<br />
3. Das Reich Gottes war Gottes Absicht bei der Schöpfung der Welt.<br />
Gott will und wird herrschen über H<strong>im</strong>mel und Erde, Mensch und Tier, Materie<br />
und Geist. Der innere Seelenfrieden eines Einzelnen <strong>im</strong> Blick auf das Jenseits ist eine<br />
Karikatur von Gottes Reich. Seine heilvolle Gerechtigkeit erfasst das ganze Leben:<br />
Leib und Seele, Inneres und Beziehungen, den menschlichen Umgang mit Geld,<br />
Zeit und der Schöpfung, überhaupt die ganze Welt mit Lebewesen (vgl. Römer 8,21)<br />
und Lebensräumen (vgl. Jesaja 35). Die Gleichnisse von Jesus sind wegweisend: Das<br />
kleine Senfkorn wächst zu einem großen Baum mit nistenden Vögeln in seinen Zweigen;<br />
ein wenig Sauerteig, verborgen <strong>im</strong> Mehl, durchsäuert den ganzen Teig (Matthäus<br />
13,31-33). So ist das Reich Gottes. Auf eine einzelne Lebensgeschichte bezogen:<br />
Das Reich Gottes kann verborgen beginnen, mit einem stillen Gebet oder einer inneren<br />
Erfahrung. Dann aber wächst es und prägt Denken, Wollen und Fühlen, Verhalten<br />
und Beziehungen, eben das ganze Leben. Oder auf eine Gemeinschaft bezogen:<br />
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Auch eine unscheinbare Person, die treu an Christus glaubt und mit ihm lebt, prägt<br />
durch ihr Da-Sein und So-Sein ihre Welt, „durchsäuert“ ihren größeren oder kleineren<br />
Umkreis.<br />
Die Kirche hat das Evangelium vom Reich Gottes <strong>im</strong>mer wieder amputiert, Leib und<br />
Seele gegeneinander ausgespielt oder Individuum gegen die Gemeinschaft, den H<strong>im</strong>mel<br />
gegen die Erde, punktuelle Erfahrungen gegen kontinuierliche Prozesse, Glauben<br />
gegen Leben, Tat gegen Wort, Zukunft gegen Gegenwart. Aber Gott wird alles<br />
in Christus zusammenfassen (Epheser 1,9) und alles seiner Herrschaft unterwerfen<br />
(1. Korinther 15,25). Christus wird das vollendete Reich Gott, dem Vater, übergeben,<br />
„damit Gott alles in allem sei“ (1. Korinther 15,28).<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 2: BIBEL<br />
Foto: Privat<br />
Pfr. Dr. theol. Paul Kleiner ist Rektor<br />
des Theologisch-Diakonischen<br />
Seminars Aarau, Schweiz.<br />
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126<br />
Just PEoPlE?<br />
Integrale Mission<br />
ist das Verkündigen<br />
und Ausleben des<br />
Evangeliums. Da<br />
stehen nicht Wort<br />
und praktische<br />
Hilfe nebeneinander,<br />
sondern beide<br />
sind integral miteinander<br />
verbunden.<br />
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Detlef Blöcher<br />
Was ist integrale Mission?<br />
Jesus hat sich stets dem ganzen Menschen zugewandt und umfassend geholfen, so<br />
lesen wir in den Evangelien: „Jesus stieg aus (dem <strong>Boot</strong>) und sah die große Menge; und<br />
sie jammerten ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine<br />
lange Predigt an. Als nun der Tag fast vorüber war, traten seine Jünger zu ihm und sprachen:<br />
Es ist öde hier und der Tag ist fast vorüber; lass sie gehen, damit sie in die Höfe und<br />
Dörfer ringsum gehen und sich Brot kaufen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen:<br />
Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Markus 6,34-37).<br />
Jesus hat sich um die Seele des Menschen gekümmert, Hungrige gesättigt,<br />
Kranke geheilt, soziale Ausgrenzung überwunden. Er hat einen Menschen stets als<br />
eine Einheit gesehen, der umfassende Hilfe braucht – und letztlich erst durch die Versöhnung<br />
mit seinem Schöpfer heil wird und ewiges Leben erhält.<br />
In gleicher Mission sind auch Jesu Nachfolger unterwegs, gesandt in die Welt<br />
mit demselben Auftrag: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Johannes<br />
20,21). Integrale Mission ist das Verkündigen und Ausleben des Evangeliums. Da<br />
stehen nicht Wort und praktische Hilfe nebeneinander, sondern beide sind integral<br />
miteinander verbunden. Das Verkündigen der frohen Botschaft hat soziale Auswirkungen,<br />
indem wir Menschen einladen, von den alten Wegen umzukehren und sich<br />
Gott anzuvertrauen; und die praktische Hilfe führt zur Verkündigung, indem der Botschafter<br />
von der heilenden Gnade Jesu und neuschaffenden Kraft Gottes berichtet,<br />
die sie/er selbst erfahren hat.<br />
Geschichtliche Entwicklung<br />
Integrale Mission ist nichts Neues. Jesus hat so gelebt und auch die erste christliche<br />
Gemeinde. Die frühen Mönche haben Missionsklöster aufgebaut, Kranke versorgt,<br />
Lesen und Schreiben gelehrt, Landwirtschaft unterrichtet, die Frohe Botschaft von<br />
Jesus verkündigt und Nachfolge Jesu vorgelebt. Christen haben schon <strong>im</strong>mer umfassend<br />
geholfen in Gemeinde und Weltmission, wie zahllose Beispiele der Kirchengeschichte<br />
belegen: August Hermann Francke, Christian Friedrich Spittler, John Wesley,<br />
William Wilberforce etc. Der frühe Pietismus war außerordentlich sozial engagiert.<br />
Verkündigung des Evangeliums, sozialdiakonisches Engagement und moderne<br />
Pädagogik waren harmonisch und praxisnah ineinander verwoben. Die Herrnhuter<br />
Missionare haben ab 1732 Jesus in Wort und praktischer Hilfe in fernen Ländern<br />
verkündigt. Sie haben Notleidenden geholfen und wesentlich zu gesellschaftlichen<br />
Veränderungen und zur Gesetzgebung beigetragen: Abschaffung der Sklaverei, allgemeine<br />
Schulbildung, Sozialgesetze – um nur einige Beispiele zu nennen. „Glaube,<br />
der durch die Liebe tätig ist“ (Galater 5,6). William Carey, Pionier der neuzeitlichen<br />
evangelischen Mission, hat sich in Indien entschieden gegen Witwenverbrennung<br />
und Kindstötung und für weitere politische Veränderungen eingesetzt. Christliche<br />
Mission hatte schon <strong>im</strong>mer den Anspruch, in ihrem Kern integral zu sein, denn die<br />
Versöhnung mit Gott hat unweigerlich auch soziale Auswirkungen.<br />
Zentrum des Missionsauftrags<br />
Jesus Christus spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel und auf Erden. Darum<br />
gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des<br />
Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.<br />
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,19-20). Die<br />
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letzten Verse des Matthäusevangeliums enthalten diese bekannteste Form des Missionsauftrags.<br />
Im Zentrum steht der auferstandene Herr und König Jesus Christus.<br />
Er, dem alle Gewalt <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel und auf Erden gehört und der kraftvoll in der Welt<br />
handelt, er gibt seinen Jüngern den Auftrag: hingehen, Jünger Jesu machen, lehren,<br />
taufen. Im griechischen Grundtext ist jedoch nur einer der genannten Begriffe in der<br />
Befehlsform, der den Kern des Auftrags markiert, während die anderen drei Worte<br />
grammatikalisch Partizipien sind, also Bedingungen beschreiben, wie der Hauptauftrag<br />
erfüllt werden soll. Nach der deutschen Übersetzung würde man erwarten,<br />
dass der erste Begriff „hingehen“ diesen zentralen Auftrag darstellt, doch es ist das<br />
zweite Wort mathaeteusate, „machet zu Jüngern“. Jesus will Herr sein <strong>im</strong> Leben von<br />
Menschen, Ordnung schaffen und in ihren Herzen regieren. Das ist das Zentrum des<br />
Missionsauftrags. Alle anderen Aktivitäten sind Bedingungen, wie dieses Ziel erreicht<br />
werden soll. Wörtlich müssten wir übersetzen: Macht zu Nachfolgern Jesu, indem ihr<br />
hingeht, tauft und lehrt – und vieles andere wäre hier noch anzufügen: evangelisiert,<br />
Traktate verteilt, praktisch helft, Menschen eine Gelegenheit für eine Glaubensentscheidung<br />
gebt, schult, medizinisch helft, Notleidende versorgt, gemeinsam lernt etc.<br />
Jesus will nicht nur Retter und Heiland sein <strong>im</strong> Leben von Menschen, sondern auch<br />
ihr Herr und der König ihres Herzens. Darum müssen alle Lebensbereiche unter das<br />
Neuschaffen Jesu kommen: integrale Mission.<br />
Wo Gottes Herz schlägt<br />
In der Bibel redet Gott und gewährt uns Einblick in sein Herz. Dort heißt es: „Denn ich<br />
bin der Herr, der das Recht liebt und Raub und Unrecht hasst“ (Jesaja 61,8). „Gott hilft<br />
den Elenden auf Erden“ (Psalm 76,10). „Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen,<br />
die Unrecht leiden“ (Psalm 103,6).<br />
Als Kinder Gottes muss unser Herz dort schlagen, wo Gottes Herz schlägt. Seine Sorge<br />
wird zu unserer Sorge, sein Anliegen zu unserem Anliegen. Darum können Christen<br />
nicht zu Unrecht und Elend schweigen, sondern werden ihr Möglichstes dagegen<br />
unternehmen. Gott selbst fordert uns auf: „Schaffet Recht dem Armen und der Waise<br />
und helft dem Elenden und Bedrängten zum Recht. Errettet den Geringen und Armen und<br />
erlöst ihn aus der Gewalt der Gottlosen“ (Psalm 82,3-4). „Wer sich des Armen erbarmt,<br />
der leiht dem HERRN, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat“ (Sprüche<br />
19,17). „Wer dem Geringen Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen<br />
erbarmt, der ehrt Gott“ (Sprüche 14,31). „Lernet Gutes zu tun, trachtet nach Recht, helft<br />
den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!“ (Jesaja 1,17).<br />
Dies gilt nicht nur für das Volk Israel <strong>im</strong> Alten Testament, sondern Jesus lehrte seine<br />
Jünger das Gleiche: „Seid barmherzig, wie euer Vater (<strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel) barmherzig ist“<br />
(Lukas 6,36). „Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von<br />
dir borgen will“ (Matthäus 5,42).<br />
Und das Neue Testament lehrt alle Christen: „Wir sind sein Werk, geschaffen in<br />
Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen“<br />
(Epheser 2,10). „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut’s nicht, dem ist es Sünde“<br />
(Jakobus 4,17). „Wenn jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben<br />
und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3,17).<br />
„Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott<br />
wohl“ (Hebräer 13,16).<br />
So hat auch die erste Gemeinde in Jerusalem sich ganz selbstverständlich um Notleidende<br />
gekümmert: Die dreitausend Christen in Jerusalem „waren beieinander und<br />
hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter<br />
alle, je nachdem es einer nötig hatte“ (Apostelgeschichte 2,44-45). Sie kümmerten sich<br />
in vorbildlicher Weise um Mittellose: „Die (…) Gläubigen aber waren ein Herz und eine<br />
Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Als Kinder Gottes<br />
muss unser Herz<br />
dort schlagen,<br />
wo Gottes Herz<br />
schlägt.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Menschen <strong>im</strong> Elend<br />
fällt es schwer,<br />
die Botschaft von<br />
Jesus zu begreifen,<br />
wenn ihre unmittelbare<br />
not nicht<br />
mit angesprochen<br />
ist.<br />
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alles gemeinsam“ (Apostelgeschichte 4,32) und sie beriefen Mitarbeiter, die sich speziell<br />
um ausländische Witwen kümmerten (Apostelgeschichte 6,1-7).<br />
christen in Not<br />
In vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens herrscht heute extreme Armut<br />
und soziale Ungerechtigkeit. Menschen haben viel lokale Kenntnis, doch sie brauchen<br />
Hilfe, um diese umzusetzen. Zudem enthalten alle Kulturen (wie auch unsere)<br />
einerseits ein Stück von Gottes Glanz und andererseits Zerstörerisches. Menschen <strong>im</strong><br />
Elend fällt es schwer, die Botschaft von Jesus zu begreifen, wenn ihre unmittelbare<br />
Not nicht mit angesprochen ist. Das Evangelium muss dort sichtbar werden.<br />
Wenn wir zum einen Volk Gottes gehören, dann muss das Elend von zahllosen<br />
Christen <strong>im</strong> globalen Süden zu unserer Not werden, ihre Tränen zu unseren. Dann<br />
können wir nicht einfach vorübergehen. Jesus lehrte seine Jünger: „Was ihr getan<br />
habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus<br />
25,40). Dabei waren sich die Betreffenden gar nicht bewusst, dass sie etwas Besonderes<br />
getan hatten. Sie haben einfach Menschen in Not geholfen: Hungrigen zu essen<br />
gegeben, Fremde aufgenommen, Nackte gekleidet, Kranken geholfen und Gefangene<br />
besucht. Echte Partnerschaft und Teilen sind gefragt: integrale Mission.<br />
Ein beachtlicher Teil evangelikaler Missionare ist heute in medizinischen, sozialen<br />
oder landwirtschaftlichen Projekten sowie in der Ausbildung tätig. Meist geschieht<br />
dies in Partnerschaft mit einhe<strong>im</strong>ischen Kirchen. Gemeinsam helfen sie nachhaltig<br />
und selbstlos, damit Menschen, Gesellschaften und Kulturen durch das Evangelium<br />
neu werden.<br />
Ein Beispiel:<br />
Kleingewerbegründung in Äthiopien: Ganzheitliche Mission<br />
ganz praktisch<br />
Es ist sechs Uhr morgens in einem Dorf <strong>im</strong> Süden Äthiopiens. Die Sonne geht gerade<br />
auf. Im Hintergrund begrüßen einige Vögel den neuen Tag. Tesfaye schaut dankbar<br />
in die ersten Sonnenstrahlen, während er seine Kühe füttert. Vor fast zwei Jahren<br />
besuchte er ein „Training für Kleingewerbegründung“, das von der örtlichen Kirchengemeinde<br />
in Zusammenarbeit mit einer Missionsorganisation durchgeführt wurde.<br />
Nach einer intensiven Schulungswoche konnte Tesfaye einen Geschäftsplan erstellen,<br />
welcher der örtlichen Nachfrage und den wirtschaftlichen Gegebenheiten seines<br />
Umfelds entsprach. Er erhielt einen kleinen zinslosen Kredit, um sich zwei Milchkühe<br />
kaufen zu können. Seitdem hat sich viel getan! Innerhalb von 14 Monaten konnte er<br />
das Darlehen bereits zurückzahlen. Zwischenzeitlich wurde es Tesfaye manchmal<br />
bange und er fürchtete, die Raten nicht fristgemäß zurückzahlen zu können, doch ein<br />
„Kreditmentor“ des Projekts begleitete, ermutigte und unterstützte ihn. Er schaffte<br />
es. Mit dem zurückgezahlten Geld erhielten dann andere die Chance, ihr Leben nachhaltig<br />
zu verändern. Jetzt ist Tesfaye stolzer Eigentümer der Milchkühe. Jeden Morgen<br />
melkt er sie, bevor er seine Arbeit als Evangelist beginnt. Die Kühe geben genug<br />
Milch für seine fünfköpfige Familie. Er kann sogar einige Liter Milch auf dem nahe<br />
gelegenen Markt verkaufen. Mit dem Erlös kann er Lebensmittel, Schulbildung und<br />
Medikamente bezahlen.<br />
Das Projekt möchte Menschen wie Tesfaye unterstützen und ermutigen, aktiv der<br />
Armut entgegenzutreten, ihr Leben ganzheitlich umzugestalten und sie für die Arbeit<br />
am Reich Gottes freizusetzen. Durch die Schulung in Geschäftsgründung, Bereitstellung<br />
von Kleinkrediten und Betreuung während der Gründungs- und Rückzahlungsphase<br />
werden äthiopische Evangelisten unterstützt, ein Kleingewerbe (zum Beispiel<br />
Friseursalon, Bäckerei, Schreinerei, Schneiderei) aufzubauen, um sie unabhängig<br />
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von externer Finanzierung zu machen. Mit dem hier praktizierten Prinzip „Hilfe zur<br />
Selbsthilfe“ trägt Tesfayes Arbeit wiederum dazu bei, dass auch das Leben anderer<br />
Menschen und der Dorfgemeinschaft nachhaltig verändert wird – geistlich wie auch<br />
sozial.<br />
unerreichte Völker<br />
In der Welt gibt es noch <strong>im</strong>mer 6.000 Völker ohne eine einhe<strong>im</strong>ische Gemeinde Jesu.<br />
Ihnen muss unsere besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung gelten. Die meisten<br />
leben in musl<strong>im</strong>ischen, buddhistischen und hinduistischen Ländern, die klassischen<br />
Missionaren keinen Zugang gewähren. Doch sie sind an westlichem Know-how und<br />
internationaler Zusammenarbeit interessiert. Darum laden sie gerne westliche Fachkräfte<br />
ein – besonders solche, die Respekt vor ihrer Lebensweise und ihren kulturellen<br />
Werten haben sowie ehrlich und selbstlos leben. Darum schätzen sie christliche<br />
Fachkräfte und nehmen durchaus in Kauf, dass sie Gottes Liebe durch Wort und Tat<br />
verkündigen. Eine besondere Chance für integrale Mission an den Enden der Erde.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Foto: Privat<br />
Dr. Detlef Blöcher (geboren 1953)<br />
ist gelernter Physiker und war als<br />
Dozent in nordafrika sowie dem<br />
orient tätig. Seit 2000 leitet er als<br />
Direktor die Deutsche Missionsgemeinschaft<br />
(DMG). Schon als Student<br />
hatte er den Drang, für eine<br />
gerechtere und liebevollere Welt<br />
zu kämpfen, entdeckte aber erst in<br />
seiner Begegnung mit Jesus Christus,<br />
dass Gott genau das bewirken<br />
möchte, indem er Herzen verändert.<br />
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Just PEoPlE?<br />
zur Umkehr gehört<br />
heute zwingend<br />
auch die Abkehr<br />
von einem extremenMaterialismus.<br />
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Werner Hässig<br />
Das Evangelium <strong>im</strong> umfeld von Konsum<br />
und umweltproblemen<br />
Die frohe Botschaft von Jesus Christus muss heute dringend auch auf den materiellen<br />
Lebensstil bezogen werden. Gemeinschaft, einfacher Lebensstil und Liebe<br />
zu Benachteiligten und zur Schöpfung sind Tugenden, welche zu jeder christlichen<br />
Verkündigung gehören. Christen der Wohlstandsgesellschaften haben hier<br />
einen ganz besonderen Handlungsbedarf. Wir leben heute auf Kosten anderer.<br />
Mit einer Bilanzierung des persönlichen Ressourcen-Verbrauchs können wir<br />
erkennen, wo wir besonders viel Potential haben, unsere Schöpfungsverträglichkeit<br />
zu verbessern.<br />
Gerechtigkeit fordern heißt umweltprobleme beseitigen<br />
Jesus forderte seine Jünger auf, das Evangelium zu verkünden, Kranke zu heilen und<br />
Dämonen auszutreiben sowie sich der „Problemfälle“ (Zöllner, Prostituierte etc.)<br />
anzunehmen (nicht die Gesunden bedürfen des Arztes). Welchen Auftrag würde er<br />
seinen Jüngern wohl hier und jetzt erteilen? Die frohe Botschaft der Errettung durch<br />
Jesus Christus würde sicher auch heute <strong>im</strong> Zentrum stehen. Hingegen dürfte der<br />
Kampf gegen Habgier, Ungerechtigkeiten und Egoismus stärker ins Zentrum rücken.<br />
Obwohl – da gibt es eigentlich schon einiges: den reichen Kornbauern in Lukas 12, den<br />
Reichen und den armen Lazarus in Lukas 16 oder Jakobus 4,13 bis 5,6, um nur einige<br />
Stellen zu nennen. Es sind einfach alles Bibelstellen, die wenig beachtet werden…<br />
Angesichts der weltweiten Umwelt- und Armutsprobleme müssen wir uns ehrlich fragen,<br />
wie wir Versöhnung und Gerechtigkeit heute mehr ins Zentrum rücken können.<br />
Gott fordert uns zum Schutz und Bewahren der Schöpfung (1. Mose 1,28) auf. Wir<br />
Menschen sollen die Erde verwalten und pflegen, bis er wiederkommt. Die Schöpfung<br />
ist nicht dazu da, ausgebeutet zu werden! Die Schöpfung leidet auch unter der Sünde<br />
und wartet auf die völlige Wiederherstellung durch Jesus Christus (Römer 8,19-22).<br />
Der aktuell stattfindende Raubbau an der Schöpfung wie auch die schreiende,<br />
weltweite Ungerechtigkeit verlangen von Christen eine Überprüfung des (christlichen)<br />
Lebenswandels und des Missionsauftrages. Eine einseitige Ausrichtung auf<br />
Bekehrung als Geisteshaltung/Glaubensüberzeugung ohne Änderung des persönlichen<br />
Lebensstils ist schlicht nicht glaubwürdig. Zur Umkehr gehört heute zwingend<br />
auch die Abkehr von einem extremen Materialismus. Was führt uns zu dieser<br />
Erkenntnis?<br />
Ankunft in einer Millionenstadt eines Entwicklungslandes<br />
(Erlebnisse in chennai, Indien)<br />
Schockierendes Verkehrschaos raubt uns in mehrfacher Hinsicht den Atem. Das<br />
große Gedränge der vielen, meist schlecht geschützten Verkehrsteilnehmer weckt<br />
Angst vor Unfällen und Verletzungen. Und dies zu Recht, denn der Blutzoll des Verkehrs<br />
ist enorm (in typischen Millionenstädten je drei bis sechs Todesopfer pro Tag).<br />
Hinzu kommen Lärm und Luftverschmutzung in einem Maße, dass schwere Gesundheitsschäden<br />
bei Mensch und Tier unvermeidlich sind.<br />
Daneben fällt die allgegenwärtige Armut auf. In Lumpen gehüllte, teils verkrüppelte<br />
Menschen schleichen mit flehenden Blicken – um eine Gabe bettelnd – um die<br />
an der Ampel wartenden Autos. Die meisten rackern sich mühsam den ganzen Tag ab,<br />
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um gerade so viel zu verdienen, dass sie wenigstens nicht hungern müssen. Manchmal<br />
reicht es auch dazu nicht. Kein Schutz vor dem gefährlichen Verkehr. Angst vor<br />
Kr<strong>im</strong>inalität. Kein Rückzug in eine stillere Umgebung. Keine Ruhe für die Augen<br />
durch Anblick einer schönen Landschaft. Keine Entspannung an einem bequemen<br />
und sicheren Ort.<br />
Wer der stinkenden Großstadt eines Entwicklungslandes nicht schon früher<br />
entflohen ist, wird noch etwas anderes feststellen: Wasser ist eine Mangelware. Und<br />
falls man Wasser ausfindig macht, ist es oft unansehnlich, stinkig und generell nicht<br />
trinkbar. Da ist man nun in einem heißen Land und würde sich besonders gerne mit<br />
Wasser abkühlen, waschen und viel trinken, aber nein: Wassermangel, das heißt Wasser<br />
sparen und auf vieles verzichten! Als westliche Besucher mit viel Geld kann man<br />
sich best<strong>im</strong>mt genügend Wasser in gewünschter Qualität kaufen, aber was macht die<br />
lokale, ärmere Bevölkerung? Es ist keine Kunst sich vorzustellen, wie die schlechte<br />
Wasserverfügbarkeit auch zu vielen gesundheitlichen Problemen führt.<br />
Die Reichen verseuchen, die Armen leiden<br />
In Anbetracht dieser widrigen Umstände machte ich eine nachdenkliche Feststellung.<br />
Arme Menschen in Großstädten werden vor allem von Umweltproblemen drangsaliert.<br />
Lärm, giftige Luft, Gestank, Staub und Rauch, min<strong>im</strong>ale Flora und Fauna, fehlende<br />
Landschaft, mangelndes Wasser – alles Umweltprobleme, die von Menschen<br />
verursacht wurden. Eine große Ungerechtigkeit ist dabei, dass diejenigen, welche<br />
die größte Umweltverschmutzung verursachen, am wenigsten davon betroffen<br />
sind. Wohlhabende Menschen konsumieren viele industrielle Güter, welche in teilweise<br />
sehr schmutzigen Industrien produziert werden, während die Armen in deren<br />
Abwässern ihre Wäsche und sich selbst waschen müssen! Mit dem Erwerb solcher<br />
Güter sind wir also an diesen Nöten mitverantwortlich! Wo bleibt da die Gerechtigkeit?<br />
Eine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, von welcher die Bibel so oft spricht,<br />
wird <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Umweltproblemen von Christen kaum gefordert<br />
noch gelebt! Christen in aller Welt müssten sich vehement für einen Stopp dieser<br />
todbringenden Gewässerverschmutzungen einsetzen. Stellen wir uns das einmal<br />
realistisch vor: Praktisch alle Gewässer sind stark gesundheitsschädlich vergiftet und<br />
dies in Ländern, wo Wasser ohnehin sehr knapp ist und die wirtschaftliche Not vielen<br />
Menschen gar keine Alternative ermöglicht, als dieses ungesunde Wasser zu nutzen.<br />
Seit einigen Jahren ist auch unbestritten, dass das globale Kl<strong>im</strong>a sich ebenfalls zu<br />
Ungunsten vieler (teilweise derselben Menschen) verändert. Diese (<strong>im</strong> historischen<br />
Vergleich) sehr schnelle Kl<strong>im</strong>aerwärmung bringt zusätzliche gewaltige Umweltprobleme<br />
für dieselben Benachteiligten, aber auch direkt für uns. Da wird überdeutlich,<br />
worum es geht. Nicht nur um den Erhalt einiger Tier- und Pflanzenarten. Nein, es<br />
geht um mehr. Wir, die viel konsumierenden Menschen, machen uns via Kl<strong>im</strong>a-,<br />
Boden- und Gewässerverschmutzung am Tod unzähliger Menschen schuldig. Arme<br />
Menschen haben schon genügend mit mangelndem Einkommen und sozialer Not zu<br />
kämpfen. Wieso bürden wir ihnen auch noch den Schmutz der für uns produzierenden<br />
Industrien auf? Sind wir uns bewusst, dass Gott uns heute für diese Verfehlungen<br />
zur Umkehr ruft? Zum Beispiel in Jakobus 4,2 oder 5,1-6: Dort steht wortwörtlich,<br />
dass wir „über Leichen gehen“…<br />
Entwicklungen dürfen nicht einseitig und nicht zu schnell<br />
erfolgen<br />
Kann eine zweckmäßige Entwicklung diese Probleme lösen? Grundsätzlich ist<br />
ernüchternd festzustellen: Eine Entwicklung 1 führt tendenziell zu weniger Nach-<br />
1 Unter „Entwicklung“ versteht man <strong>im</strong> Kontext der Entwicklungszusammenarbeit die<br />
Schaffung von Einkommens-, Bildungs- und Gesundheitserhaltensmöglichkeiten.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Eine große Ungerechtigkeit<br />
ist<br />
dabei, dass diejenigen,<br />
welche die<br />
größte Umweltverschmutzung<br />
verursachen, am<br />
wenigsten davon<br />
betroffen sind.<br />
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Just PEoPlE?<br />
„Was der Westen<br />
hat, wollen wir<br />
auch.“<br />
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haltigkeit. Denn praktisch <strong>im</strong>mer werden mit komfortableren Produkten auch kom-<br />
plexere Materialien verwendet, die wiederum nur schwerlich in den natürlichen<br />
Kreislauf zurückgeführt werden können. Hierzu ein Beispiel: Jutetaschen werden<br />
durch Plastiktaschen ersetzt; diese Taschen sind zwar leichter, bunter und wasserdicht,<br />
aber auch schwieriger zu recyceln.<br />
Eine zweite Feststellung: Niemand möchte letztlich wirklich auf Entwicklung<br />
verzichten; konsequente Aussteiger gibt es kaum.<br />
Folgerung: Entwicklungen sind unverzichtbar, aber dürfen nicht einseitig (unvernetzt)<br />
und nicht zu schnell erfolgen. Was heißt einseitig? Leider ist das die heute übliche<br />
Form, wie Entwicklungen in liberalen Marktwirtschaften erfolgen. Ein entstehendes<br />
Bedürfnis wird durch findige Unternehmer möglichst rasch und günstig mit<br />
einem Produkt abgedeckt, und falls nur min<strong>im</strong>ale oder schwache Gesetze und Regulierungen<br />
vorhanden sind, ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Ansprüche. In<br />
den westlichen Industrieländern ist man bezüglich Regulierungen glücklicherweise<br />
etwas weiter: Beispielsweise versuchten Anbieter von Jet-Ski-Wasserfahrzeugen vor<br />
einigen Jahren, auch die Erlaubnis für Schweizer Seen zu erhalten. Dank griffiger<br />
Gesetze zu Geschwindigkeit und Lärm auf Gewässern und dank vollzugswilliger<br />
Behörden sind diese Fahrzeuge bis heute nicht zugelassen.<br />
In einem Entwicklungsland wie Indien denkt eigentlich noch niemand ernsthaft<br />
an Umweltschutz. Im Gegenteil, zurzeit wird der Bau von 3.000 Kilometern Autobahn<br />
geplant! Wer kann es ihnen verübeln, wir haben das ja auch. Zudem gilt bis hinauf<br />
zu Professoren: Was der Westen hat, wollen wir auch. Das heißt nichts anderes als<br />
schnelle und einseitige Entwicklung. Die Folgen sehen wir voraus: noch mehr Ungerechtigkeit,<br />
noch mehr soziale Not, noch mehr Belästigung durch Umweltverschmutzungen.<br />
Aus meiner Sicht gibt es nur einen Ausweg aus der Sackgasse und diesen<br />
könnten gerade wir Christen konsequent beschreiten.<br />
Die Verfehlungen der Wohlstandsgesellschaft sind endlich zu entlarven und in die<br />
persönliche Umkehr einzuschließen.<br />
1. Verfehlung „Konsum“: Ich bin glücklicher, je mehr ich kaufe/konsumiere.<br />
Weniger Konsum macht uns freier (mehr Zeit wird verfügbar) und kreativer. Sprechen<br />
wir mit unseren Freunden doch mehr darüber, was wir in Gemeinschaft, be<strong>im</strong><br />
Spielen und Werken sowie be<strong>im</strong> Sport und in der Natur erleben, anstelle von unseren<br />
neuesten Anschaffungen und extravaganten Bedürfnisbefriedigungen zu reden. Nehmen<br />
wir doch endlich zur Kenntnis, wie viel Zeit wir für Reparaturen, Entsorgung,<br />
Reklamationen, Verwaltung etc. und für all unsere materiellen Güter opfern!<br />
2. Verfehlung „Mobilität“: Ich bin glücklicher, je mehr Orte ich besuche.<br />
Es gibt so vieles in der Nähe, das spannend, interessant und noch unentdeckt ist.<br />
Das Fortbewegen, schnell und über weite Distanzen, verursacht enorme Probleme<br />
wie Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch, Leid durch Unfälle, Lärm, Schadstoffe<br />
usw.<br />
3. Verfehlung „Individualismus“: Ich bin glücklicher, je mehr ich meine Zeit<br />
alleine gestalten kann.<br />
Diese Konzentration auf sich selbst zerstört unsere Partnerschaften, Familien<br />
und Gesellschaft. Der Egoismus macht Menschen schlicht krank und führt ebenfalls<br />
zu mehr Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung.<br />
Diese Botschaften von mehr Konsum, mehr Erlebnissen und mehr Individualität sind<br />
tief in uns verankert und werden täglich bei uns genährt. Die besonders beliebte<br />
Masche ist der Preis: Billig, Aktion, drei für zwei kaufen usw. sind die häufigsten Botschaften,<br />
um unsere Habgier zu schüren! Nicht nur durch die böse Werbung – nein,<br />
auch durch unsere eigenen Freunde und Familienmitglieder sowie unsere eigenen<br />
Gedanken pflegen wir die Habgier! Seien wir doch ehrlich und gestehen diese Verfeh-<br />
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lungen ein und lassen wir uns durch Jesus, unseren Retter, auch in diesen Bereichen<br />
verändern. Er tut das. Wir werden bald feststellen, dass wir Genügsamkeit als größten<br />
Reichtum erleben.<br />
unser lebensstil ist quantifizierbar!<br />
Zur Feststellung der Nachhaltigkeit unseres Lebensstils existieren vereinfachte Beurteilungsraster,<br />
mit welchen wir beispielsweise unseren Energie- und CO2-Verbrauch<br />
ermitteln können. Durch das Beantworten zahlreicher Fragen gelangt man zur persönlichen<br />
CO2-Bilanz. Tabelle 1 zeigt die Zahlen für verschiedene Lebensstile. Werte<br />
unter 3.600 Kilogramm gelten als „nachhaltig“. Wo liegt Ihr Lebensstil? Errechnen<br />
Sie zum Beispiel unter www.sea-aku.ch (CO2-Rechner) Ihre Bilanz als grobe Selbsteinschätzung.<br />
Einige interessante Feststellungen: Be<strong>im</strong> Individualverkehr liegt der CO2-Ausstoß<br />
bei jährlich noch 200 Kilogramm statt den 2.900 Kilogramm eines Durchschnittschweizers.<br />
Der markanteste Effekt besteht <strong>im</strong> „Nichtgebrauch“ von Flugzeugen für<br />
Fernreisen. Hier kann man mit einem einzigen Flug zum Beispiel nach Australien<br />
bereits über 8.500 Kilogramm CO2 einsparen!<br />
Lebensbereich<br />
Lebensstil<br />
„bescheiden“<br />
Lebensstil „Durchschnittsbürger“<br />
Wohnen 1.500 2.600 > 4.600<br />
Ernährung 800 1.600 > 2.500<br />
Transport/Verkehr 200 2.900 > 5.000<br />
Flugreisen 0 300 > 8.500<br />
Freizeit/Sport 500 1.800 > 3.600<br />
Öffentl. Einrichtungen 600 600 600<br />
Jahrestotal: [kg CO2] 3.600 9.800 > 24.800<br />
Einen attraktiven, evangeliumsgemäßen lebensstil<br />
entwickeln<br />
Lebensstil<br />
„verantwortungslos“<br />
Tabelle 1: Die Treibhausgas-Emissionen (Co2-Äquivalente) für verschiedene Lebensstile und aufgegliedert<br />
nach Lebensbereichen.<br />
nachhaltig wäre ein Lebensstil mit max<strong>im</strong>al 3.600 Kilogramm Co2 pro Jahr.<br />
Um wirklich weiterzukommen, müssen wir vor allem eine Attraktivität und die richtige<br />
Sprache für diese anderen Werte finden. Denn heute wird das Attraktive gesucht,<br />
nicht der Verzicht. Mit anderen Worten: Ein genügsamer Lebensstil muss Freude<br />
machen! Das Wort „Verzicht“ ist deshalb schlicht fehl am Platz. Wie wäre es, wenn<br />
wir in Familien, Hauskreisen, <strong>im</strong> Freundeskreis und der Nachbarschaft damit beginnen<br />
würden? Spannende Familiennachmittage <strong>im</strong> Wald anbieten, Tiere in einem<br />
Naturschutzgebiet beobachten, baden <strong>im</strong> Moorsee, Mountain-Bike-Touren, wandern<br />
oder klettern mit Freunden oder Nachbarn, gemeinsam etwas herstellen, Gastfreundschaft<br />
üben…<br />
Wo ein Wille ist, ist auch vieles möglich. Entscheidend ist, den materiellen Lebensstil<br />
zu thematisieren!<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Ein genügsamer<br />
Lebensstil muss<br />
Freude machen!<br />
Foto: Privat<br />
Dr. Werner Hässig (geboren 1959)<br />
ist Maschineningenieur und Energieberater.<br />
Er ist Inhaber und<br />
Geschäftsführer von hässig sustech,<br />
Uster (CH).<br />
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Just PEoPlE?<br />
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Lawrence Temfwe<br />
Integrale Mission in der Praxis:<br />
Ein Beispiel aus Sambia<br />
Ziel dieses Artikels ist es, Christen Themen wie globale Armut und Gerechtigkeit<br />
näherzubringen. Aber was meinen wir mit „Armut“? Wenn wir in diesem Kurs das<br />
Wort „arm“ benutzen, dann berufen wir uns auf die Definitionen der Weltbank von<br />
1980:<br />
„Absolute Armut“ beschreibt demnach Lebensbedingungen, die so sehr von Unterernährung,<br />
Analphabetismus und Krankheiten gekennzeichnet sind, dass sie unterhalb<br />
jeder akzeptablen Definition von Menschenwürde liegen. „Relative Armut“ hingegen<br />
bezieht die ungleichmäßige Verteilung von Kapital, des Einkommens und von Macht<br />
mit ein. 1<br />
In diesem Artikel möchte ich zeigen, was wir unter integraler Mission verstehen<br />
und die zentrale Rolle der Kirche dabei herausstellen. Bei integraler Mission geht es<br />
darum, dass lokale Kirchen ihre direkte Umgebung erreichen, in der Menschen Christus<br />
als ihren Herrn brauchen und mit Ungerechtigkeit, Unterdrückung, materieller<br />
Armut und Unterentwicklung zu kämpfen haben. Ich möchte gern Strategien vorstellen,<br />
wie die Kirche mitten in all dem eine wichtige Kraft sein kann, die geistliche<br />
Transformation, Barmherzigkeit, Entwicklung und Gerechtigkeit bewirkt.<br />
Vor welchen komplexen Herausforderungen stehen Christen, die sich in Treue gegenüber<br />
der Heiligen Schrift für die „Geringsten unter diesen“ einsetzen wollen? Welche<br />
Alternativen gibt es zu den bisher bekannten Wegen und Möglichkeiten, mit denen<br />
wir den Armen helfen wollten? Wie können Christen armen Menschen dienen, ohne<br />
dabei deren Verlangen nach Beziehungen, die von Wechselseitigkeit und gegenseitiger<br />
Abhängigkeit leben, aus dem Blick zu verlieren? Wie können Christen ganzheitlich<br />
die Liebe Gottes widerspiegeln, indem sie auf menschliche Bedürfnisse eingehen,<br />
aber gleichzeitig nicht der Versuchung erliegen, „einfach nur Gutes zu tun“? Diesen<br />
Fragen wollen wir nachgehen.<br />
Was ist Kirche?<br />
Die Kirche ist eine Gruppe oder Versammlung von Menschen, die zu einem best<strong>im</strong>mten<br />
Zweck zusammengerufen wurde. Das Neue Testament beschreibt die Kirche so:<br />
• alle Gläubigen der Welt (Apostelgeschichte 9,31; Epheser 1,22),<br />
• eine örtliche Gruppe von Gläubigen, die sich in einem Haus trifft, um einen Gottesdienst<br />
zu feiern (1. Korinther 11,18) und<br />
• alle Gläubigen, die an einem Ort wohnen (Apostelgeschichte 8,1).<br />
Das Neue Testament zeigt uns, dass die Urgemeinde sich als eine Gemeinschaft<br />
von Gläubigen verstand, die von Gott durch Jesus Christus als ein neues Volk<br />
berufen und durch den Heiligen Geist bevollmächtigt war, in der Welt sichtbar zu<br />
sein, um das Evangelium in seiner radikalen und bedingungslosen Liebe zu seinen<br />
Geschöpfen zu verkünden (Epheser 2,11-22). Die Kirche ist eine Erfüllung der<br />
1 Christian, Jayakumar, God of the Empty-Handed, Monrovia, 1999, 17.<br />
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Berufung Israels, das „ein Licht für die Heiden“ sein sollte, „dass du das Heil seist bis<br />
an die Enden der Erde“ (Jesaja 49,6; Apostelgeschichte 13,47). Paulus nannte diese<br />
Gemeinschaft der neuen Schöpfung das „Israel Gottes“ (Galater 6,15-16). Hier<br />
wurden die traditionellen Schranken zwischen Rassen, sozialen Schichten und<br />
Geschlechtern, welche Menschen nicht nur trennten, sondern auch in über- und<br />
unterlegene Gruppen einordneten, überwunden. „Da ist weder Jude noch Grieche,<br />
da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle<br />
eins in Christus Jesus“ (Galater 3,28). Diese Einheit wird Leib Christi genannt.<br />
Aus diesem Grund ist das Ziel einer Kirche oder einer Gemeinschaft von Gläubigen,<br />
ihr Licht scheinen zu lassen (Matthäus 5,14). Das bedeutet nicht, dass die Gläubigen<br />
selbst die Erlösung herbeiführen können, aber dass sie durch ihren Charakter und<br />
ihre Taten darauf hinweisen sollen, dass es Erlösung gibt. Christen sind durch Jesus<br />
dazu berufen, mit ihrer Lebensweise für andere Christen und für die Welt Licht zu<br />
sein. Sie sollen ihr Licht in der Welt so scheinen lassen, dass man ihre guten Taten<br />
sieht und Gott dafür preist.<br />
Integrale Mission<br />
Unser Auftrag, die geistlichen und materiellen Bedürfnisse armer Menschen zu<br />
erfüllen, also integrale Mission, steht außer Frage. Die Bibel zeigt das klipp und klar<br />
(Jesaja 58; Matthäus 25,31-46). Unsere Herzen werden erfüllt, wenn wir denen in<br />
Not zum Recht verhelfen, denn „dann wirst du Freude finden in dem Herrn...“ (Jesaja<br />
48,14). Aber wie dienen wir den Armen, den Unterdrückten und den Ausgegrenzten,<br />
ohne sie von uns abhängig zu machen? Wenn wir sehen, wie Familien, Volksgruppen<br />
und Ländern (besonders afrikanischen Ländern) jedes Jahr geholfen wird, stellt sich<br />
uns die Frage, ob wir sie tatsächlich dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten, Gaben und<br />
verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um selbst aus der Armut herauszukommen.<br />
Wenn wir uns auf integrale Mission einlassen, müssen wir schwierige Fragen stellen:<br />
Wie können wir nach Gerechtigkeit streben, Liebe üben und demütig vor unserem<br />
Gott wandeln (Micha 6,8), ohne dabei die Eigeninitiative derjenigen zu zerstören,<br />
denen geholfen werden soll? Viele Christen vermeiden es, sich in diesem Spannungsfeld<br />
zu bewegen und beschränken sich lieber auf die Verkündigung des Wortes. Bei<br />
ganzheitlicher Mission geht es aber darum, unseren Glauben zu verkünden und<br />
ihn so zu leben, dass er in allen Bereichen des Lebens erkennbar ist. Das phänomenale<br />
Wachstum der Kirche in Afrika hat kaum Auswirkungen auf den sozialen und<br />
politischen Bereich, weil die Gegenwart des Reiches Gottes nur wenig spürbar ist,<br />
wenn Christen ihren ganzheitlichen Auftrag nicht verstehen. Seinen Glauben auf<br />
die Bibel zu gründen muss auch dazu führen, dass man ein tieferes Bewusstsein für<br />
Gottes Anliegen für die Armen und Unterdrückten entwickelt (Sprüche 31, 8-9; Jesaja<br />
1,10-17).<br />
Hauptursachen für Armut<br />
„Wer hat gesündigt, dass dieser Mensch blind geboren ist, dieser oder seine Eltern?“<br />
(Johannes 9,2). Wie die Juden damals glauben heute viele afrikanische Christen,<br />
dass jede Form von Leiden oder Armut ein Resultat von individueller Sünde ist. Die<br />
Jünger warfen hier die wichtige Frage auf, wer an den schrecklichen Leiden dieses<br />
blinden Mannes schuld war. Jesus beantwortete ihre Frage nicht so, wie die Jünger<br />
es erwarteten. Er sagte: „Das ist geschehen, damit die Werke Gottes an ihm offenbar<br />
werden“ (Johannes 9,3). Das Leiden selbst ist nicht einfach das Ergebnis einer gestörten<br />
Beziehung zu Gott, es bietet <strong>im</strong> Gegenteil den Raum für Gottes Handeln, das sich<br />
<strong>im</strong>mer auch an einer Wiederherstellung von Beziehungen orientiert.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Es ist das ziel einer<br />
Kirche oder einer<br />
Gemeinschaft von<br />
Gläubigen, ihr Licht<br />
scheinen zu lassen.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Eines ist aber zentral:<br />
Es geht um<br />
Menschen.<br />
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Dennoch dürfen wir nach den Ursachen von Armut fragen, die komplex und vielschichtig<br />
sind. Bryant L. Myers beschreibt die unterschiedlichen Ansätze für die Ursachen<br />
von Armut folgendermaßen:<br />
• Armut entsteht durch das Fehlen von Fähigkeiten, Wissen und Chancen.<br />
• Die Armen rebellieren gegen Gott und ihre Kultur ist der Grund für Armut.<br />
• Den Armen fehlt Liebe.<br />
• Die Armen werden von denen unterdrückt, die nicht arm sind. Armut ist ein<br />
strukturelles Problem.<br />
• Die Armen sind verloren und brauchen Erlösung.<br />
Wir müssen auf alle diese Aspekte eingehen. Eines ist aber zentral: Es geht um Menschen.<br />
Wenn wir dem Beispiel Jesu folgen, werden wir sie persönlich berühren und<br />
erreichen. Nur solche Zuwendung und Liebe reflektiert das Herz Gottes: „Was ihr<br />
einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, dass habt ihr mir getan“ (Matthäus<br />
25,40).<br />
tiefgreifende Veränderung<br />
Kirchen und christliche Initiativen in innerstädtischen Vierteln und informellen<br />
Siedlungen verzweifeln oft angesichts der Nöte und Probleme in diesen Gebieten. Es<br />
scheint oft, als ob nur die Intervention von außen Hoffnung und Veränderung bewirken<br />
könnte. Es ist wichtig zu sehen, dass auch in den ärmsten Wohngebieten noch<br />
Strukturen sind, die zu einem gewissen Grad funktionieren. Zudem ist es wichtig, das<br />
Potential lokaler Leiter zu nutzen. Nur sie kennen die einzigartige Situation in ihrer<br />
Umgebung. Mit unserer Organisation Jubilee Centre versuchen wir daher, gemeinsam<br />
mit armen Menschen in einem konkreten Gebiet weiterzukommen – in Weisheit und<br />
<strong>im</strong> Glauben. Herkömmliche Meinungen über die Hintergründe von Armut und die<br />
Strategien zu ihrer Bekämpfung werden dabei regelmäßig hinterfragt. Wir wollen<br />
nicht einfach Mitleid haben mit den Armen, sondern wir wollen ihnen helfen, ihr spezielles<br />
Wissen und ihr Potential zu entdecken und zu entfalten.<br />
Hier ein paar Beispiele für unsere Arbeit:<br />
1. Mobilisierung der Kirche: Das Jubilee Centre möchte vor allem die Zusammenarbeit<br />
unter Kirchen in armen Vierteln und informellen Siedlungen ermutigen. Mit<br />
Hilfe dieses Programms finden Gemeinden eine Plattform, wo gebetet, reflektiert,<br />
gelernt und geplant wird und wo man zu einer sichtbaren Einheit zusammenwächst,<br />
gemeinsam das Evangelium weitergibt und am Aufbau von Gemeinschaften arbeitet,<br />
die von Gerechtigkeit durchdrungen sind. Im Moment haben wir 72 Kirchen in diesem<br />
Netzwerk, die in vier verschiedenen sambischen Kommunen tätig sind. Dort gibt<br />
es mittlerweile schriftliche Vereinbarungen mit Politikern, in denen die Bedürfnisse<br />
der Menschen be<strong>im</strong> Namen genannt werden und wo auch Erwähnung findet, welche<br />
Reaktionen man von Politikern erwartet.<br />
2. Engagement gegen HIV und Aids: Wir ermutigen Kirchen, ihr Mitgefühl und ihre<br />
Liebe zu Gott und zu denen zum Ausdruck zu bringen, die von Aids infiziert oder<br />
betroffen sind. Ausgehend von diesem Engagement haben Kirchen auch eine Lobbyarbeit<br />
für eine Therapie mit antiretroviralen (ARV) Medikamenten aufgebaut. 2 Mit<br />
Erfolg: Heute werden ARV-Medikamente in allen Krankenhäusern ausgegeben und<br />
sind für die Infizierten gut zugänglich. Ein weiteres Ergebnis der Lobbyarbeit ist die<br />
Anschaffung von Maschinen zur Blutanalyse – in vielen Kliniken hatte diese notwen-<br />
2 Eine Therapie mit antiretroviralen Medikamenten ist der Versuch, die Virusvermehrung<br />
<strong>im</strong> Körper zu verlangsamen.<br />
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dige Technik gefehlt. Durch diese Initiative stieg die Anzahl der Leute, die Bluttests<br />
machen ließen, in einer Stadt auf 80 Prozent und nach einem Monat war die Zahl der<br />
Menschen, die ARV-Medikamente nahmen, um die Hälfte gestiegen.<br />
3. Jugendgruppen: Jubilee Centre hat das „It takes courage!“ 3 -Programm übernommen.<br />
Dieses Programm soll Jugendlichen helfen, eine Vision für ihr Leben zu entwickeln,<br />
gesunde persönliche Beziehungen aufzubauen, HIV und Aids zu bekämpfen<br />
und die wichtigen Rollen zu reflektieren, die sie in ihrer Familie, ihrer Umgebung<br />
und ihrem Land spielen. Über die Arbeit in 40 Schulen und 72 Kirchen erreicht Jubilee<br />
Centre 4.000 Jugendliche und ermutigt sie, in eine Zukunft mit Charakter, Mut und<br />
Hoffnung zu gehen.<br />
4. Kurzzeit-Teams: Jubilee Centre lädt Teams von Freiwilligen aus anderen Ländern<br />
zu Kurzzeiteinsätzen nach Sambia ein, um voneinander zu lernen und um in verschiedenen<br />
Projekten mitzuarbeiten wie in der Kinderbetreuung, in Pflegeeinrichtungen,<br />
medizinischen Projekten oder auch, indem sie kleine Unternehmen unterstützen. So<br />
können die Besucher ganz praktisch etwas über den ganzheitlichen Auftrag lernen.<br />
Jubilee Centre unterhält schon seit Langem eine Partnerschaft mit dem Wheaton College<br />
(USA) und dem Holy Trinity College der Cambridge University (UK). Von beiden<br />
Hochschulen kommen jedes Jahr Studenten, die lernen sollen, wie man denen dient,<br />
die in Armut leben.<br />
5. Lobby- und Kampagnenarbeit: Jubilee Centre ist ein Unterstützer der weltweiten<br />
Kampagne Micah Challenge. Jubilee beherbergt das Koordinationsbüro von Micah<br />
Challenge Zambia – 300 Kirchen beteiligen sich an der sambischen Kampagne, 500<br />
ehrenamtliche Mitarbeiter bringen sich in der laufenden Arbeit ein. Jubilee Centre ist<br />
die führende Organisation, die auf die Millenniumsziele (MDGs) aufmerksam macht<br />
und besonders darauf, an welchem Punkt Sambia bei der Erreichung der MDGs steht.<br />
Jubilee veranstaltet <strong>im</strong> ganzen Land Workshops, die über die MDGs informieren und<br />
erinnert die Regierung mit Presseerklärungen und Briefen an ihre Zusagen bezüglich<br />
der MDGs, wenn Treffen auf höchster Ebene stattfinden.<br />
Fazit<br />
Unser Herr Jesus Christus sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem<br />
Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt (…). Das andere aber ist dem gleich: Du<br />
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matthäus 23,37-40). Dieses Doppelgebot,<br />
was alles zusammenfasst, wollen wir be<strong>im</strong> Dienst für die Unterdrückten und Armen<br />
<strong>im</strong> Blick haben.<br />
3 Engl.: It takes courage = Man braucht Mut.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 3: MISSIon<br />
Foto: Privat<br />
Lawrence Temfwe (geboren 1954)<br />
ist ordinierter Pastor und Experte<br />
für den Beitrag lokaler Kirchen zu<br />
nachhaltiger Armutsbekämpfung.<br />
Am Wheaton College (USA) hat er<br />
zudem einen Master in Intercultural<br />
Studies absolviert. Lawrence koordiniert<br />
die Arbeit der sambischen<br />
Micah Challenge-Kampagne und ist<br />
der Direktor des Jubilee Centres,<br />
welches Kirchen hilft, sich in ihrer<br />
unmittelbaren Umgebung zu engagieren.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Foto: Privat<br />
Tod und Leben sind<br />
sich hier so nahe.<br />
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Pia Schmid<br />
Woher kommt die Kraft zum<br />
Engagement?<br />
Gesichter der Armut<br />
Gestern fuhr ich mit Dave Rhoton (Vineyard-Pastor in Spanien) zur Sewa-Gemeinschaft<br />
(Delhi, Indien). Sewa bedeutet auf Hindi „Dienst“ und der Ort versteht sich als<br />
Dienst an den Ultra-Poor, den Outcasts (Ausgestoßene), den Ärmsten und Schwächsten<br />
der Gesellschaft. Zur Sewa-Gemeinschaft gehört ein Krankenhaus, in das<br />
Schwerstkranke eingeliefert werden. Sewa n<strong>im</strong>mt nur Obdach- und Mittellose auf,<br />
die keine Angehörigen oder Freunde mehr haben, die ihnen beistehen könnten. Oft<br />
sind dies TBC- 1 und HIV-Patienten, krank gewordene Straßenkinder, geistig und körperlich<br />
Behinderte, Menschen, die niemanden mehr haben und die niemand haben<br />
will.<br />
Oft überleben es die Menschen trotz allem Kampf des Teams um ihr Leben nicht.<br />
Sie werden dann in ein einfaches weißes Sacktuch gewickelt, <strong>im</strong> kleinen Tempel mit<br />
ein paar gepflückten Blumen aufgebahrt und am nächsten Tag zu einem der riesigen<br />
Verbrennungsöfen von Delhi gebracht. Tod und Leben sind sich hier so nahe. Berührend<br />
wird es, wenn man Patienten näherkommt, ihre Geschichten hört, die oft ganz<br />
alltäglich irgendwo auf dem Land anfingen, dann aber durch Krankheit, Unfall oder<br />
Gier gewissenloser Menschen einen tragischen Verlauf nahmen. Die Menschen, die zu<br />
uns kommen, sind noch schlechter dran als die Leute, die in einem Slum unterkommen.<br />
Sie konnten sich keine Miete mehr leisten und niemand wollte sie mehr anstellen,<br />
nahrhaftes und sauberes Essen wurde unerschwinglich, sie wurden schwach<br />
und schwächer, bis ihr Körper dem allgegenwärtigen Schmutz und der Erniedrigung<br />
durch die Gesellschaft nicht mehr standhielt. Unweigerlich ist Unrecht involviert.<br />
Das Team, das Sewa leitet, macht eine beeindruckende Arbeit. Die Patienten werden<br />
liebevoll behandelt, die Schokolade, die ich mitbringe, wird postwendend mit<br />
ein paar Patienten geteilt. Mit Phutke zum Beispiel, einem jungen Mann, der etwa<br />
23 Jahre alt ist. Bei ihm hatte die Tuberkulose die Wirbelsäule befallen (spinale TBC)<br />
und deshalb ist er nun an beiden Beinen gelähmt. Als ich das letzte Mal hier war,<br />
haben ihm Ratten die Füße angefressen, weil er seine Beine nicht mehr spürt und<br />
deshalb nicht um Hilfe rief. Jetzt schützen wir ihn mit einem Moskitonetz. Trotz der<br />
Bemühungen des Teams (für 90 Patienten gibt es manchmal nur 3 bis 4 ausgebildete<br />
Krankenpfleger) ist Phutke voll tiefer Dekubiti (Wunden vom ständigen Liegen) an<br />
Gesäß, Knien und Füßen und übersät mit Fliegen. Der alte Katheter funktioniert nicht<br />
mehr und er bekam letzte Woche einen anderen direkt in die Blase gesteckt.<br />
Gleich daneben treffen wir Ganga, die das Sewa-Team vor ein paar Tagen aufgelesen<br />
hat. In ihrem Fuß w<strong>im</strong>melte es von Maden, der Vorfuß war blank gefressen.<br />
Maden werden hier mit Terpentin übergossen und die überlebenden mit einer Pinzette<br />
herausgefischt. Das Terpentin ist so stark und schmerzhaft, dass es die Hautoberfläche<br />
verbrennt. Ohne Narkose wird dann das verschmutzte und tote Gewebe mit einem<br />
Messer herausgeschnitten und die Wunde gesäubert. Wenn die Körperteile jedoch<br />
zu stark zerfressen sind, bleibt nichts anderes als die Amputation. Auch bei Ganga<br />
war die Amputation für den nächsten Tag geplant. Die Frau hatte versucht, an einem<br />
Bahnhof zu überleben. Ihr Mann ist Alkoholiker. Wir fragen, ob sie Schmerzen hat,<br />
was sie möchte. An ihrer Reaktion merken wir, dass sie eine tiefe Beziehung zu Jesus<br />
1 Tuberkulose: Durch Bakterien verursachte chronische Infektionskrankheit.<br />
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hat und ihm vertraut. Sie sagt: „Betet, dass ich meinen Fuß behalten kann.“ Ich bin<br />
beschämt. Diese intelligente Frau lag so lange in der Gosse, bis ihr Fuß vielleicht nicht<br />
mehr zu retten ist. Mir kommen die Tränen, während das Gesicht der Frau <strong>im</strong>mer<br />
mehr zu leuchten beginnt. Ein tiefer Friede breitet sich über ihr aus. Sie ist am richtigen<br />
Ort und Gott hat sie nicht vergessen. Tatsächlich brauchte sie am nächsten Tag<br />
keine Amputation und ihr Fuß wurde geheilt, sodass sie einer unserer Ex-Patienten in<br />
ihr Dorf nach Nepal zurückbegleiten konnte.<br />
Als Nächstes ist da Manbahadur, ein kräftiger Patient, der nach einem Unfall<br />
an beiden Beinen gelähmt ist. Auch er hat 20 Zent<strong>im</strong>eter tiefe Dekubiti <strong>im</strong> Gesäß, die<br />
wir jeden Tag mit Desinfektionsmittel spülen und mit einer Mêche stopfen. Er glaubt,<br />
dass er eines Tages wieder gehen wird – trotz seiner lahmen Beine, oft unerträglichen<br />
Krämpfen und völlig steifen Spitzfüßen. Fünf (lange) Jahre lässt Gott ihn nun schon<br />
warten. Aber in all dieser Zeit war er ein Zeugnis und eine Ermutigung für schwerkranke<br />
Patienten in seinem Klinikz<strong>im</strong>mer. Von einem Tonträger spielt er jeden Tag<br />
Hindi-Musik für sie (wie viel dies die Atmosphäre in der Klinik prägt und verändert,<br />
muss man selbst erlebt haben) und kümmert sich rührend um einen zerebral gelähmten<br />
2 Jungen, den er von Herzen liebt.<br />
Rajesh hat bis vor Kurzem noch in einem septischen Schock 3 gelegen (seine<br />
Diagnose: <strong>im</strong> ganzen Körper verstreute Tuberkulose, Aids, Blutvergiftung, Bewusstlosigkeit).<br />
Uwe, der für die Klinik verantwortlich ist, ist entmutigt. Er hatte in der<br />
Nacht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln um Rajeshs Leben gekämpft<br />
und dabei sämtliche Medikamente eingesetzt: Antibiotika, Glukoseinjektion für den<br />
völlig entgleisten Blutzucker, Noradrenalin. Es schien alles umsonst. Doch plötzlich<br />
öffnet Rajesh die Augen und versteht genug, um sein Herz für ein Gebet zu öffnen.<br />
Wie selbstverständlich n<strong>im</strong>mt er Vergebung an. Unerklärlich, aber er ist auf der Stelle<br />
geheilt und gibt später Zeugnis von dem soeben erfahrenen Wunder.<br />
Und da ist noch mein stiller, feinfühliger Freund Vikram, dessen Vater starb, als<br />
er drei Jahre alt war. Seine Mutter war auf einmal allein mit Vikram und seinen sechs<br />
Geschwistern. Er konnte nicht zur Schule gehen, mit neun Jahren musste er sich ins<br />
Arbeitsleben einreihen. In Delhi zerbrach die Polizei ihm seine kleine mobile Küche<br />
aus Wut darüber, dass er noch nach der erlaubten Zeit etwas zu verkaufen versuchte.<br />
Vikram war gebrochen. Noch mehr, seit er einem Unfall zusehen musste und half, die<br />
toten Körperteile wegzuschaffen. Albträume und Angst wurden seither seine ständigen<br />
Begleiter. Eine nässende Wunde an seiner Hüfte öffnete sich und er konnte sich<br />
nicht mehr zur Arbeit schleppen. Im Sewa zeigte das Röntgenbild die Zerstörung<br />
eines Rückenwirbels wegen Tuberkulose. Vikram braucht jetzt eine gefährliche Operation<br />
und die beidseitige Stabilisation der Wirbelsäule. Sein Herz ist völlig bereit für<br />
Gott, der schon lange gesehen hat, wie er liebevoll für einen alleinstehenden Vater<br />
gearbeitet hat, damit dieser nach seinen vier Kindern schauen konnte. Manchmal<br />
brauchen Menschen nicht nur körperlich Heilung, sie müssen auch den Mut für den<br />
Überlebenskampf wieder finden…<br />
Kr<strong>im</strong>inalisierung der Armen<br />
Der Besitz der Menschen, die in der Sewa-Gemeinschaft aufgenommen werden,<br />
beschränkt sich meist auf eine Decke, mit der sie draußen geschlafen haben, vielleicht<br />
haben sie noch einen Niem-Stengel 4 zum Zähneputzen. Sie müssen ja alles mit<br />
sich tragen, was ihnen nicht gestohlen werden soll. Dass sie in die Sewa-Gemeinschaft<br />
kamen, ist ihr Glück. In Delhi gibt es noch circa 100.000 andere Obdachlose, die unter<br />
2 Durch eine Hirnschädigung hervorgerufene Bewegungsstörung.<br />
3 Durch eine Blutvergiftung stark verringerte oder zum Erliegen gekommene Blutzirkulation,<br />
ein lebensbedrohlicher zustand.<br />
4 Samen und Blätter des neembaums haben entzündungshemmende und<br />
insektizide Wirkung. Stängel werden als zahnbürste gebraucht.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 4: ICH<br />
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Just PEoPlE?<br />
Foto: Privat<br />
Was für ein Vorrecht:<br />
Wir haben<br />
erlebt, wie „Unberührbare“<br />
von Gottes<br />
Liebe berührt<br />
wurden!<br />
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menschenunwürdigsten Verhältnissen und in unvorstellbarem Dreck leben. 5<br />
Leute, die Wunden haben und damit <strong>im</strong> Straßenstaub sitzen, bekommen meist<br />
keine Hilfe, weil Krankenhäuser nur Leute aufnehmen, die eine Person zur Betreuung<br />
mitbringen und die für sie, wenn nötig, bezahlt. Wie sollten sich diese meist Analphabeten<br />
auch durch den Krankenhausdschungel durchschlagen, bis sie zum richtigen<br />
Arzt kommen? Und wer hat schon Lust, Zeit und Mittel, einem fremden, schmutzigen<br />
Obdachlosen die Wunden zu versorgen, seine Medikamente zu bezahlen und dabei<br />
noch 24 Stunden wartend auf einem schmutzigen Krankenhausboden zu verbringen?<br />
Woher kommt die Kraft zum Engagement?<br />
1983/84 arbeitete ich zwei Jahre in Indien und Pakistan unter afghanischen Flüchtlingen.<br />
Mir ging das Bild der Inderinnen nicht mehr aus dem Sinn, die, kaum bekleidet<br />
mit einem dünnen Sari, mit kleinen Hämmern Steine zerkleinerten und mit Körben<br />
auf dem Kopf Hochhäuser bauten. Es gab so viel Not, dass es mir vorkam, als wäre<br />
alles, was ich tun könnte, nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Und doch wusste<br />
ich, dass ich eines Tages hierher zurückkommen würde. Als mich vor elf Jahren ein<br />
indischer Mitstudent in den USA bat, in seiner Organisation mitzuarbeiten, verstand<br />
ich, dass es jetzt Zeit war, wenigstens das Wenige zu tun, was mir möglich war.<br />
So kam ich nach Delhi, einer Stadt mit über 14 Millionen Einwohnern: Hitze,<br />
Mücken, Schmutz, der in den Augen schmerzt, Luft zum Ersticken, eine der höchsten<br />
Kr<strong>im</strong>inalitätsraten der Welt – aber auch wunderschöne, begabte und fröhliche<br />
Menschen. Ich versuchte, Menschen durch Arbeitsbeschaffung selbstständig werden<br />
zu lassen und gab Lehrern – zusammen mit einem pensionierten Schwerizer Lehrer –<br />
Ideen für kreativen Unterricht in neu gegründeten Slumschulen…<br />
Wenn so viele Menschen auf kleinem Platz überleben wollen, gibt es wenig<br />
Schonraum. In Ausländern sieht man vor allem eine schnelle Geldquelle. Ich wollte<br />
aber bewusst mit den Menschen leben und ihre Welt verstehen lernen. Wenn man<br />
zusammen in übervollen Bussen sitzt, lernt man vieles mit anderen Augen zu sehen.<br />
Die indische Kultur ist alt und komplex, es gelten andere Wertmaßstäbe, und ich bin<br />
<strong>im</strong>mer wieder neu herausgefordert.<br />
Heute kann ich lachen. Ich bin unbesorgter, resistenter und dadurch gelassener<br />
geworden. Dazu war mir Indien ein großes Vorbild mit seiner Fähigkeit, den<br />
Moment zu feiern und Widerwärtigkeiten und Leid standzuhalten. Was möchten<br />
wir <strong>im</strong> Leben anderes als das? Und doch versuchen wir, uns zu drücken, wenn wir<br />
meinen, es könnte unbequem werden oder wenn wir zweifeln, ob Gott uns wirklich<br />
den besten Weg führt. Wenn wir uns ihm aber ganz zur Verfügung stellen, sind wir<br />
herausgefordert zu wachsen. In einer anderen Kultur werden eigene Wertmaßstäbe<br />
durcheinandergeschüttelt und in Extremsituationen lernt man seine Schwächen erst<br />
richtig kennen. Dies macht demütiger und auch abhängiger von Gott. Ich habe diese<br />
Herausforderung nötig und bin von ganzem Herzen dankbar dafür. Immerhin werden<br />
wir unseren Charakter ewig mit uns herumtragen...<br />
Was habe ich mich schon zu beklagen, die solche Sicherheiten hat, wenn es für<br />
andere unmöglich ist, sich zu wehren oder zu einem sauberen Bett oder zu sauberem<br />
Wasser zu kommen? Wie dankbar bin ich für die Lektionen in Sachen Freiwerden<br />
vom Hängen an Materiellem, in Geduld und Vergebung (wie ungeduldig und genervt<br />
reagiere ich unter Druck <strong>im</strong>mer noch!).<br />
Es gibt da auch noch ein Gehe<strong>im</strong>nis, das stärker ist als alles, was uns sonst vielleicht<br />
in einem fremden Land perplex machen könnte: Der schönste und beste Ort<br />
5 „Gemäß der Bombay Prevention of Begging Act aus dem Jahr 1959, die von Delhi<br />
und anderen indischen Gliedstaaten übernommen wurde, können Leute, die<br />
betteln, verhaftet und von einem speziellen Bettler-Gericht zu ein bis zehn Jahren<br />
Verwahrung verurteilt werden…“ neue zürcher zeitung, Delhis Krieg gegen die Bettler,<br />
28.02.2009.<br />
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VERTIEFUnGSARTIKEL<br />
auf dieser Welt ist der, wo Gott wirkt, wo wir ein Stück von seiner Gegenwart schon in<br />
dieser Welt erleben dürfen. Was für ein Vorrecht: Wir haben erlebt, wie „Unberührbare“<br />
von Gottes Liebe berührt wurden.<br />
Und hier noch einige zusätzliche Motivationsfaktoren, die unserem inneren<br />
Motor viel Sprit geben können:<br />
• Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mir Familie geworden, auf die ich<br />
mich voll verlassen kann. Wir haben in den letzten zehn Jahren vieles zusammen<br />
erlebt und einander kennen, vertrauen und schätzen gelernt. Diese Freundschaften<br />
sind ein riesiger Motivationsfaktor für meine ganze Arbeit. Es ist auch gut<br />
zu wissen, dass jetzt viele Familien, die sonst in akuter Not wären, selbstständig<br />
geworden sind und durch das JayaHo-Nähzentrum6 ein stabiles (wenn auch<br />
<strong>im</strong>mer noch kleines) Einkommen gefunden haben. Sonst hätten einige von ihnen<br />
auch als Obdachlose auf der Straße enden können.<br />
• Ich möchte an einem Haus bauen, das Bestand hat. Nur mit Gott können wir<br />
Dinge bauen, die ewig Wert haben.<br />
• Das Wissen um die Kr<strong>im</strong>inalisierung der Armen müsste uns genügend Ansporn<br />
geben, uns für sie und ihre Rechte einzusetzen. Den Armen geschieht vielfaches<br />
Unrecht. Sie werden zum Beispiel in eine Familie geboren, in der ein Elternteil<br />
früh stirbt, werden schon als Kind ausgenutzt und haben nie die Chance, wie<br />
andere Kinder zur Schule zu gehen. In der Sewa-Gemeinschaft lebt beispielsweise<br />
ein 14-jähriger Junge, der täglich von 9 Uhr morgens bis zum nächsten Morgen<br />
4 Uhr arbeiten musste (also 19 Stunden am Tag). Und dies für einen lächerlich<br />
kleinen Lohn. Die Luft war so schlecht, dass er spinale Tuberkulose bekam und<br />
jetzt sechs Monate liegen muss.<br />
• Wenn wir in unserer Komfortzone bleiben und uns nicht um die Armen kümmern,<br />
sind wir wie die Leute in Jakobus 2,16, die einen Bruder oder eine Schwester<br />
ohne Kleider und ohne Essen sehen und zu ihnen sagen: „Geh, ich wünsche dir<br />
alles Gute, bleib warm und satt.“ Solcher Glaube ist tot.<br />
• Wir haben in der westlichen Welt einen riesigen Vorsprung an Wissen und<br />
finanziellen Ressourcen (Talente, die uns geschenkt wurden), mit denen wir verpflichtet<br />
sind zu arbeiten. Wenn wir sie für uns behalten (vergraben), hat Jesus<br />
von Dunkelheit und Zähneklappern gesprochen (Matthäus 25,14-30). All diese<br />
Talente verpflichten!<br />
• Es steht ein Königreich auf dem Spiel und kostbare Menschen, für die genauso<br />
das Angebot eines Lebens in Fülle gilt.<br />
6 Im JayaHo-nähzentrum produzieren die näherinnen und näher Produkte aus<br />
Seide, die dann fair gehandelt werden und damit den Familien der Beschäftigten<br />
ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Pia Schmid initiierte das Projekt und<br />
ist Geschäftsführerin von JayaHo.<br />
Foto: Privat<br />
Foto: Privat<br />
4: ICH<br />
Pia Schmid (geboren 1955)<br />
lernte Krankenschwester, studierte<br />
Anglistik an der Uni Bern und ist<br />
Geschäftsführerin von JayaHo.<br />
Info: pia@jayaho.ch<br />
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142<br />
Just PEoPlE?<br />
Würdest du nicht<br />
auch lieber von<br />
deiner täglichen<br />
Arbeit leben können,<br />
als auf Spenden<br />
angewiesen zu<br />
sein?<br />
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Flurina Weidmann Bieri<br />
Fairtrade<br />
„Aber Gott hat den Schrei der Arbeiter gehört, die ihr um ihren verdienten Lohn betrogen<br />
habt!“ 1<br />
Stell dir vor, du arbeitest jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Es ist<br />
schwere körperliche Arbeit, du bist ein Kaffeebauer in Lateinamerika oder eine<br />
Baumwollpflückerin in Afrika. Dein Rücken schmerzt, die eingesetzten Pestizide<br />
machen dir zu schaffen. Doch du kannst keine Pause machen – das ist nicht erlaubt.<br />
Der Lohn, den du für deine Arbeit erhältst, reicht kaum aus, um deine Familie zu<br />
ernähren, geschweige denn deine Kinder zur Schule zu schicken oder medizinische<br />
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Egal, wie viel du arbeitest, du bist und bleibst arm.<br />
Millionen Bauern, Arbeiterinnen und Handwerker in unserer Welt – insbesondere<br />
in den Ländern des Südens – bekommen nicht, was ihr Recht ist: einen gerechten<br />
Lohn und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Und das nur, damit Millionen<br />
Konsumentinnen und Konsumenten in der westlichen Welt Lebensmittel, Unterhaltungselektronik<br />
oder Kleider zu <strong>im</strong>mer tieferen Preisen kaufen können. Ist das fair?<br />
Nein, ist es nicht. Aber es ist eine Realität. Eine Antwort auf diese Ungerechtigkeit gibt<br />
FairTrade, zu Deutsch „gerechter Handel“.<br />
Was ist Fairtrade?<br />
FairTrade ist eine Strategie, um Armut zu bekämpfen und nachhaltige Entwicklung<br />
zu fördern. Er bietet denjenigen Produzierenden, die vom herkömmlichen Welt-<br />
Handelssystem wirtschaftlich benachteiligt werden, eine Chance. Die Grundidee<br />
von FairTrade heißt „trade not aid“ oder „Arbeit statt Almosen“. Allein deswegen ist<br />
FairTrade fair, denn würdest du nicht auch lieber von deiner täglichen Arbeit leben<br />
können, als auf Spenden angewiesen zu sein?<br />
Internationale FairTrade-Dachorganisationen einigten sich <strong>im</strong> Jahr 2001 auf folgende<br />
Definition von FairTrade:<br />
„Fairer Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und<br />
Respekt beruht und nach mehr Gerechtigkeit <strong>im</strong> internationalen Handel strebt.<br />
Durch bessere Handelsbedingungen und die Sicherung sozialer Rechte für benachteiligte<br />
Produzenten und Arbeiter – insbesondere in den Ländern des Südens – leistet<br />
der faire Handel einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung.“ 2<br />
Ziele des fairen Handels sind gemäß dieser Definition eine gerechtere Verteilung<br />
der Einnahmen aus dem Welthandel, Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
in wirtschaftlich benachteiligten Regionen des Südens, soziale Gerechtigkeit<br />
und Schutz der Umwelt.<br />
Mindestpreise<br />
Der FairTrade-Gedanke beinhaltet in erster Linie, dass Bäuerinnen und Handwerker<br />
in den Ländern des Südens für ihre Produkte gerechte Preise erhalten, also Preise,<br />
die höher sind als diejenigen, welche auf dem Weltmarkt für diese Produkte bezahlt<br />
werden. Durch die Festlegung von Mindestpreisen unterliegen die Produzierenden<br />
1 Jakobus 5,4.<br />
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Fairer_Handel, englischsprachiger originaltext: http://<br />
www.european-fair-trade-association.org/efta/Doc/What.pdf, 20.08.2010.<br />
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nicht den Preisschwankungen des Weltmarktes, die – je nach Angebot und Nachfrage<br />
– zum Teil enorm sein können. Das Einkommen der Produzierenden ist aber nicht nur<br />
höher, sondern auch verlässlicher, weil faire Handelsbeziehungen langfristig angelegt<br />
sind und die Produzierenden über zuverlässige Abnehmer verfügen.<br />
Es stellt sich die Frage, was ein „fairer“ Preis ist. Laut der World Fair Trade Organization<br />
(WFTO) 3 ist das ein Preis, der durch Dialog – unter Berücksichtigung des<br />
regionalen und lokalen Kontextes – festgelegt wurde. Ein solcher Preis deckt nicht<br />
nur die Produktionskosten, sondern ermöglicht eine sozial- und umweltverträgliche<br />
Produktion. Er stellt einen gerechten Lohn für Arbeiterinnen und Arbeiter nach dem<br />
Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sicher.<br />
Fairtrade-Prämien<br />
Neben festgelegten Mindestpreisen erhalten die Produzentinnen und Produzenten<br />
von fair gehandelten Produkten auch eine so genannte „FairTrade-Prämie“. Diese<br />
Prämie ist für Gemeinschaftsprojekte zur Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen<br />
oder ökologischen Situation der Produzierenden best<strong>im</strong>mt. Die Gemeinschaft entscheidet<br />
selbstständig und demokratisch darüber, welche Projekte sie mit der Prämie<br />
realisieren möchte: Sie kann die Prämie zum Beispiel für den Bau von Trinkwasserbrunnen<br />
oder Schulen, für subventionierte Arztbesuche oder für eine Umstellung auf<br />
biologische Landwirtschaft einsetzen. FairTrade gibt den Produzierenden so die Möglichkeit,<br />
ihre Dörfer und Familien aus eigener Kraft zu stärken und ihre Lebens- und<br />
Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. 4<br />
Gütesiegel<br />
Der faire Handel kann nur funktionieren, wenn sich alle Personen in der Handelskette<br />
daran beteiligen: die Produzenten, die Importeure, die Verkäufer und die Konsumenten.<br />
Die FairTrade Labelling Organizations International (FLO) vergeben ein<br />
Gütesiegel (auch „Label“ genannt), welches garantiert, dass ein Produkt unter fairen<br />
Bedingungen produziert und gehandelt wurde. Dieses Gütesiegel ist auf den fair<br />
gehandelten Produkten gut sichtbar angebracht. FLO ist der internationale Dachverband<br />
der nationalen Labelorganisationen <strong>im</strong> fairen Handel. Sie kontrolliert die Partner<br />
hinsichtlich der Einhaltung der FairTrade-Kriterien und stellt so die Glaubwürdigkeit<br />
des fairen Handels sicher. In der Schweiz vergibt Max Havelaar das FLO-Siegel,<br />
in Deutschland und Österreich ist es TransFair. Zertifizierte Produkte werden heute<br />
von Großverteilern, Bio- und Reformläden, auf FairTrade spezialisierten Geschäften<br />
und sogar <strong>im</strong> Internet angeboten.<br />
Persönliches Engagement: teartrade.ch<br />
„Wir können und müssen etwas verändern – fairer Handel ist eine Möglichkeit dazu!“,<br />
sagen Barbara und Peter Weidmann und kaufen deshalb nicht nur fair gehandelte<br />
Produkte, sondern verkaufen solche auch selber. Zusammen führen sie die Genossenschaft<br />
teartrade.ch, die über den gleichnamigen Webshop „Produkte, die zwe<strong>im</strong>al<br />
Freude machen“ verkauft. Das Angebot reicht von Konfitüren und Gewürzen über<br />
Holzspielsachen und Modeschmuck bis hin zu Haushaltsartikeln und Weihnachtsdekorationen.<br />
3 Vgl. www.wfto.com (About FairTrade, 10 Standards of FairTrade).<br />
4 Vgl. http://www.maxhavelaar.ch/de/maxhavelaar/fairer-handel, 20.08.2010.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 4: ICH<br />
Das Schweizer FLo-Siegel<br />
Max Havelaar<br />
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Just PEoPlE?<br />
„Die meisten Menschen<br />
wollen ihre<br />
Familie selbst<br />
ernähren können.“<br />
Barbara und Peter Weidmann<br />
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Alles begann mit einem Korb<br />
Die Vision des Ehepaars, Klein-Produzenten in Ländern des Südens durch FairTrade<br />
Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, begann mit einem Korb. Einem Korb, den sie 2003 auf<br />
einer Reise nach Uganda einer Gruppe Frauen abkauften. Dieser Korb zeigte ihnen,<br />
dass mit fairem Handel aktiv etwas gegen die Armut dieser Welt getan werden kann,<br />
dass gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen das Leben von Menschen nachhaltig<br />
verändern. Wieder zurück in der Schweiz wuchs der Wunsch, sich selbst aktiv<br />
für die Bekämpfung von Armut einzusetzen. Ende 2005 gab Peter Weidmann seine<br />
Stelle als Geschäftsführer eines kleineren und mittleren Unternehmens (KMU) <strong>im</strong><br />
Bereich IT-Security auf, um sich ganz seiner Vision zu widmen. Schon bald war mit<br />
TearFund Schweiz ein passender Partner gefunden und <strong>im</strong> November 2006 gründeten<br />
Barbara und Peter Weidmann zusammen mit fast 30 weiteren Genossenschaftlern<br />
teartrade.ch.<br />
Die Basis ihres Engagements sieht das Ehepaar <strong>im</strong> Lukasevangelium: „Deinen<br />
Mitmenschen sollst du so lieben wie dich selbst“ (Lukas 10,27). Deshalb setzt sich teartrade.ch<br />
dafür ein, dass auch Kleinst-Produzenten eine Chance bekommen und dass<br />
Konsumentinnen und Konsumenten eine positive Haltung gegenüber FairTrade entwickeln.<br />
Der Fokus von teartrade.ch liegt auf dem afrikanischen Kontinent, weil dort<br />
die Not am größten ist. Im Zentrum stehen zudem Klein-Produzentinnen und -Produzenten,<br />
weil diese bei großen Organisationen keine Chance haben. Des Weiteren<br />
liegt das Augenmerk auf Produkten, die in Ländern des Südens eine hohe Wertschöpfung<br />
haben, das heißt wesentlich zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.<br />
Im Gespräch<br />
Barbara und Peter Weidmann, warum habt ihr euch entschieden, euch mit<br />
FairTrade gegen die Armut in der Welt zu engagieren?<br />
Wir sehen FairTrade als eine gute Möglichkeit, um Armut zu bekämpfen. Einfach<br />
Geld zu schicken, reicht nicht aus, denn die meisten Menschen wollen ihre Familie<br />
selbst ernähren können. Durch FairTrade wird das Selbstwertgefühl der Menschen<br />
in den Ländern des Südens gestärkt, ihnen wird Achtung und Wertschätzung<br />
entgegengebracht. FairTrade wirkt motivierend, denn die Menschen realisieren,<br />
dass sie etwas erreichen können. Diese Motivation wird an die nächste Generation<br />
weitergegeben und von ihr wiederum an die nächste. Wir sehen FairTrade als<br />
eine gute Ergänzung zu Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe – einer der<br />
Gründe, weshalb wir eine Partnerschaft mit TearFund eingegangen sind.<br />
Bringt FairTrade auch wirklich etwas?<br />
Ja, auf jeden Fall. Menschen, die nach fairen Bedingungen produzieren können,<br />
haben eine echte Verbesserung in ihrem Leben. Sie haben ein höheres Einkommen,<br />
können ihre Kinder zur Schule schicken und sich die nötige medizinische<br />
Versorgung leisten. Als wir in Madagaskar waren, um Produzierende zu besuchen,<br />
hat uns eine Familie erzählt, dass ihr Sohn <strong>im</strong> Teenageralter fast an einer Infektion<br />
gestorben wäre. Da die Familie ihre Produkte zu fairen Bedingungen verkaufen<br />
kann, war genug Geld da, um den Sohn <strong>im</strong> Krankenhaus behandeln zu lassen. Er<br />
ist wieder ganz gesund geworden.<br />
Woher nehmt ihr eure Motivation?<br />
Unsere Motivation sind die Momente, in denen wir realisieren, dass wir etwas<br />
bewirken können, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Wenn<br />
du mit einem Handwerker auf dem Lehmboden sitzt und er dir erzählt, welchen<br />
Unterschied FairTrade für ihn macht, dann realisierst du, dass die Hilfe wirklich<br />
ankommt. Das ist unsere Motivation.<br />
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Was sind eure Wünsche in Bezug auf FairTrade?<br />
Wir wünschen uns, dass die Menschen in der westlichen Welt für das Thema<br />
FairTrade sensibilisiert werden und vermehrt über die Welthandelsbeziehungen<br />
nachdenken. Auch die öffentliche Hand sollte sich stärker als bisher über diese<br />
Themen Gedanken machen. Es kann doch nicht sein, dass Gemeinden Pflastersteine<br />
und Schulen Fußbälle kaufen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen<br />
– und nicht selten mit Kinderarbeit – hergestellt werden! Es ist an der Zeit,<br />
dass sich <strong>im</strong>mer mehr Menschen aktiv am FairTrade-Gedanken beteiligen.<br />
Wie kann ich mich engagieren?<br />
Das Schöne an FairTrade ist, dass sich jede und jeder daran beteiligen kann – und das<br />
ohne großen Aufwand. Es gibt zwei Dinge, die du tun kannst: FairTrade-Produkte<br />
kaufen und dein Umfeld für FairTrade sensibilisieren.<br />
Fairtrade-Produkte kaufen<br />
Mit dem Kauf von FairTrade-Produkten setzt du ein Zeichen für faire Löhne, gerechte<br />
Arbeitsbedingungen und umweltgerechte Produktion – und engagierst dich aktiv<br />
gegen Armut. Es gibt ein breites Angebot an fair gehandelten Produkten, hier ein<br />
paar Beispiele (die Liste ist nicht vollständig):<br />
• Lebensmittel wie Reis, Schokolade, Zucker, Dörrfrüchte, frische exotische<br />
Früchte, Fruchtsäfte, Nüsse, Kaffee, Tee, Honig etc.<br />
• Produkte aus FairTrade-Baumwolle wie Watte und Kleider<br />
• Geschenkartikel, Schmuck, Haushalts- und Dekoartikel, Spielwaren<br />
• Blumen und Pflanzen<br />
Fairtrade bekannt machen<br />
Damit <strong>im</strong>mer mehr Menschen in den Ländern des Südens von den Vorteilen von<br />
FairTrade profitieren können, müssen <strong>im</strong>mer mehr Menschen in der westlichen Welt<br />
FairTrade-Produkte kaufen. Erzähle also deinen Verwandten, Bekannten, Arbeitskollegen,<br />
Freundinnen und Freunden von FairTrade und seinen Vorteilen. Frage in<br />
deinem Lebensmittelgeschäft, <strong>im</strong> Restaurant, in der Kantine etc. nach FairTrade-<br />
Produkten. Je mehr Leute diese Frage stellen, umso größer ist ihr Einfluss. Und wer<br />
weiß, vielleicht hat dein Lieblingscafé plötzlich FairTrade-Kaffee <strong>im</strong> Angebot und ein<br />
Kaffeebauer aus Afrika oder Lateinamerika hat einen neuen Abnehmer gefunden…<br />
Weitere Informationen:<br />
International<br />
www.wfto.com (in Englisch)<br />
www.fairtrade.net (in Englisch)<br />
Schweiz<br />
www.maxhavelaar.ch<br />
www.claro.ch<br />
Deutschland<br />
www.transfair.org<br />
www.gepa.de<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 4: ICH<br />
Foto: Privat<br />
Flurina Weidmann Bieri (geboren<br />
1982) hat Journalismus und organisationskommunikation<br />
studiert<br />
und arbeitet zurzeit als Kommunikationsmanagerin.<br />
Sie findet, dass FairTrade selbstverständlich<br />
sein sollte und unterstützt<br />
deshalb ihre Eltern Barbara<br />
und Peter bei deren Engagement<br />
für teartrade.ch.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Wenn ich be<strong>im</strong> Einkauf<br />
spare, dann<br />
müssen womöglich<br />
andere den Preis<br />
bezahlen.<br />
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Hannes Leitlein<br />
Mein fairer lebensstil:<br />
Ein Praxisbericht<br />
Vorneweg: In dieser Praxis gibt es kein Wartez<strong>im</strong>mer, keine hustenden und die-Nasehochziehenden<br />
Patienten, die darauf warten, dass eine krächzende, kaum zu verstehende<br />
St<strong>im</strong>me aus einem Lautsprecher ertönt und sagt: „Der Nächste, bitte!“<br />
In dieser Praxis geht man nicht einfach durch eine Tür zum Halbgott in Weiß, der<br />
einem dann gegen 10 Euro Praxisgebühr pro Quartal irgendwelche Tipps gibt, wie<br />
man die unfairen Bakterien aus seinem Körper bekommt.<br />
Vielmehr geht es in diesem Bericht um eine Übung in Sachen fairer Lebensstil.<br />
Dabei ist entscheidend, dass es natürlich kein Mittelchen gibt, das regelmäßig<br />
einzunehmen ist, um täglich etwas bewusster zu konsumieren. Täglich zu lernen, zu<br />
verstehen und mich zu informieren ist auch ohne ein solches Mittelchen möglich.<br />
Und das habe ich beschlossen zu tun.<br />
Begründet ist mein Beschluss darin, dass mir bewusst wurde, wie fremd mir diese<br />
Welt ist.<br />
Mir wurde klar, dass ich Produkte konsumiere, von denen ich nicht weiß, wie sie<br />
entstanden sind. Länger schon war mir klar: Kleider machen Leute. Und dazu kam<br />
jetzt die Erkenntnis, dass es auch Leute geben muss, die diese Kleider machen, also:<br />
Leute machen Kleider.<br />
Und diese Leute kenne ich nicht. Natürlich nicht, könnte man sagen, schließlich<br />
leben sie auf der anderen Seite der Kugel. Und doch wurde mir von einem auf den<br />
anderen Tag bewusst, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen meinem Konsumverhalten<br />
und der Ungerechtigkeit auf dieser Welt.<br />
Wenn ich be<strong>im</strong> Einkauf spare, dann müssen womöglich andere den Preis bezahlen.<br />
Nicht unbedingt mit Geld, aber vielleicht mit der Schulbildung ihrer Kinder. Vielleicht<br />
ist es auch ihre Gesundheit, die zum Zahlungsmittel wird, weil sie ungeschützt und<br />
unwissend Pestizide auf den Feldern einsetzen müssen, um den Ertrag zu steigern.<br />
Letztendlich bekommt die Arbeiterin oder der Arbeiter 1 Euro von einer Jeans, die<br />
für 100 Euro verkauft wird. Die restlichen 99 Prozent gehen für Transport, Steuern,<br />
Zoll, Material und Gewinn der Fabrik <strong>im</strong> Billiglohnland drauf, für den Markennamen,<br />
Verwaltung und Werbung, Einzelhandel und natürlich Mehrwertsteuer. 1<br />
Irgendwer bezahlt also den Preis. Zum einen die Menschen am anderen Ende der<br />
Konsumkette und natürlich auch die Umwelt. Mein Anliegen hat also zwei D<strong>im</strong>ensionen:<br />
eine soziale und eine ökologische.<br />
Mir wurde klar, dass ich nicht weiter Teil dieser Problematik sein will und kann.<br />
Meine Entscheidung war verbunden mit einem Gefühl, das sich zusammensetzt<br />
aus Wut und Hass, Mut und Neugier, Hoffnung und Angst – gemischt mit großem<br />
Willen, etwas an diesen Missständen zu verändern.<br />
1 Vgl. http://www.praxis-umweltbildung.de/dwnl/kleidung/info_jeans.pdf,<br />
21.05.2010.<br />
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Ich habe mich also entschieden. Ab sofort nur noch „ökorrekt“ konsumieren. Einen<br />
fairen Lebensstil entwickeln. Und dabei komme ich wieder auf das Bild vom Anfang<br />
zurück. Ich hatte eine Ahnung davon, dass es nicht so einfach werden würde. Mir<br />
war bewusst, dass das System, in dem ich lebe, krank ist und sich von alleine nicht<br />
regenerieren würde.<br />
Ich wusste, dass ich investieren muss, damit der Körper gesund wird und das<br />
auch auf Dauer bleiben kann. Ich wusste, dass es mich Zeit und Energie kosten<br />
würde. Mein Gefühl sagte mir, dass diese Entscheidung mein Leben, meinen Alltag,<br />
von Grund auf verändern würde.<br />
Das war es mir aber wert.<br />
In diesem Alltag, von dem ich spreche, gestaltet sich meine Entscheidung seither folgendermaßen:<br />
Mit der Zeit habe ich einige Prinzipien festgelegt, an denen ich mich orientiere.<br />
Mein Glück ist, dass ich diese Prinzipien nicht alleine festlegen und durchhalten<br />
muss. Zusammen mit meiner Mitbewohnerin durchdenke ich jede Problematik und<br />
wir überlegen gemeinsam, ob wir einen Ausweg finden. Ist theoretisch ein Ausweg<br />
gefunden, machen wir uns gemeinsam an die Umsetzung. Wir hinterfragen unser<br />
Handeln, unser Verhalten und unsere Prinzipien und sehnen uns dabei nach einer<br />
besseren Welt.<br />
Erstes Prinzip: Wir werden bewusst konsumieren<br />
Uns ist bewusst, dass es einen Zusammenhang zwischen Produktion und Konsum<br />
gibt. Deshalb behalten wir bei jedem Kauf die Produktion <strong>im</strong> Hinterkopf.<br />
Bevor wir etwas kaufen, fragen wir den Verkäufer nach Material, Produktion und<br />
Arbeitsbedingungen. Kann uns dieser nicht weiterhelfen, wenden wir uns per E-Mail<br />
direkt an den Hersteller. Ist etwas nicht mit unseren Prinzipien vereinbar, wird das<br />
Produkt nicht gekauft.<br />
Natürlich haben wir auch nicht alle Lebensmittel verbrannt, nicht alle T-Shirts in<br />
den Altkleidersack gestopft und auch nicht alle Schuhe weggeworfen. Wir haben uns<br />
entschieden, alte Sachen zu behalten und vielleicht sogar wieder aufleben zu lassen.<br />
Gekauft wird also auch gerne in Secondhandläden. So unterstützen wir eine schöne<br />
Kultur der Wiederverwertung und leben gleichzeitig an den großen Konzernen und<br />
Vermarktungsstrategien vorbei.<br />
Zweites Prinzip: Wir werden nicht auf Kosten anderer leben<br />
Gandhi sagte: „Wir dürfen uns nicht abhängig machen von einem System, das uns<br />
unterdrückt.“ Jetzt ist in unserem gemeinsamen Alltag nicht sonderlich viel Unterdrückung<br />
zu spüren. Aber wir wollten auch nicht mehr Teil dieses Systems bleiben,<br />
das andere Menschen ausbeutet, unterdrückt und dabei mutwillig die Umwelt und<br />
damit die Grundlage allen Lebens zerstört.<br />
Wir fingen klein an. Mit Kaffee und Tee aus fairem Handel. Bald schon fiel der Entschluss,<br />
auch alle anderen Lebensmittel fair zu konsumieren. Bei Produkten, die es<br />
nicht aus fairem Handel gibt, kaufen wir Produkte mit dem Bio-Siegel. Das ist natürlich<br />
kein Garant für soziale Gerechtigkeit, aber schon allein der eingeschränkte Einsatz<br />
von Pestiziden und Schädlingsbekämpfungsmitteln ist für die Gesundheit der<br />
Bauern und uns selbst gut – und auch die Umwelt würde sich bedanken. Auch die<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 4: ICH<br />
Bevor wir etwas<br />
kaufen, fragen wir<br />
den Verkäufer nach<br />
Material, Produktion<br />
und Arbeitsbedingungen.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Mache ich mich<br />
selbst zum opfer<br />
meiner Entscheidung<br />
– oder besser<br />
jemand anderen?<br />
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weiteren Richtlinien, an die sich Bio-Bauern halten müssen, sind durchaus <strong>im</strong> Sinne<br />
des fairen Handels und werden nach und nach in deren Richtlinien ergänzt.<br />
Bei den anderen kleinen und großen Anschaffungen, bei den Dingen des täglichen<br />
Bedarfs und vor allem bei Kleidung, machen die fehlende Transparenz und das<br />
unübersichtliche Angebot oft eine ökorrekte Entscheidung schwer. Deshalb mussten<br />
wir noch ein ein weiteres Prinzip festlegen.<br />
Drittes Prinzip: Weniger, dafür qualitativ hochwertiger<br />
Die Frage ist, ob ich ein Produkt wirklich brauche. Schon allein diese Frage reicht<br />
meistens aus, um zu unterscheiden, ob ein Produkt seinen Zweck erfüllt oder ob es<br />
mein Ego streichelt. Beides ist erlaubt, wird aber abgewogen.<br />
Dazu kommt, dass wir durchaus auch ab und an mal wieder etwas zurückschicken.<br />
Das zum Beispiel musste ich wirklich lernen. Diesen Vorgang gab es in meinem<br />
Konsumverhalten vorher nicht. Normalerweise ging man in einen Laden, suchte sich<br />
etwas Schönes aus, probierte es an und kaufte es. Fertig.<br />
Da es aber noch nicht sonderlich viele Shops mit ökorrekter Mode in unserer Stadt<br />
gibt, sind wir vor allem auf das Internet und die wachsende Community angewiesen.<br />
Hier entwickelt sich ein kleiner, aber feiner Markt und ein schönes Angebot an stylischen<br />
Produkten für Konsumenten wie wir es sind. Ist etwas dabei, das uns auf den<br />
Bildern gefällt, heißt das natürlich leider noch nicht, dass es uns auch passt. Deshalb<br />
kommt es durchaus vor, dass Teile wieder eingepackt, zur Post gebracht und zurückgeschickt<br />
werden müssen. Inzwischen weiß ich also auch, was mit „strategischem<br />
Konsum“ gemeint ist.<br />
Unnötig ist es in meiner Lebenssituation außerdem, mehr als drei Hosen zu besitzen.<br />
Ähnliches gilt für T-Shirts, Pullover, Jacken usw. Ich habe also meinen Kleiderschrank<br />
ausgemistet und verkleinert. Alles zusammen macht eine Waschmaschine pro Woche<br />
voll.<br />
Das spart Platz und Energie. Außerdem spare ich dadurch Geld, das ich wiederum<br />
für hochwertigere Produkte ausgeben kann. Die kommen dann zum Beispiel aus<br />
fairem Handel, werden in Deutschland hergestellt und garantieren einen sozialen<br />
Standard, den ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Außerdem wird auf die<br />
Umwelt geachtet und dafür gebe ich gerne etwas mehr aus.<br />
Das sind sie, die Prinzipien. Das ist es, woran wir erinnert werden, wenn wir zum<br />
Beispiel großen Heißhunger auf Burger verspüren. Dann werden wir daran erinnert,<br />
was wir uns vorgenommen haben zu tun und zu lassen.<br />
Daran scheitern wir oft. Wir verzweifeln, sehnen, suchen, verirren, machen Fehler.<br />
Wir sind hoffnungslos, überfordert, wir lieben Burger, sind faul und wir haben<br />
Fragen.<br />
Ist es überhaupt möglich, mit dem netten Budenbesitzer um die Ecke ins Gespräch zu<br />
kommen, wenn wir seine leckeren, türkischen Spezialitäten aus Prinzip nicht essen<br />
und seinen Tee nicht trinken? Oder ist hier die Beziehung zu ihm wichtiger als unsere<br />
Prinzipien?<br />
Was ist, wenn ich nur noch 30 Euro zur Verfügung habe und dringend eine Winterjacke<br />
brauche? Nehme ich in Kauf, dass jemand am anderen Ende der Welt nicht<br />
ordentlich für seine Arbeit bezahlt wird und ich dafür <strong>im</strong> Winter nicht frieren muss?<br />
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Mache ich mich selbst zum Opfer meiner Entscheidung – oder besser jemand anderen?<br />
Das ist ein Dilemma. Hier entsteht eine Lücke, die ich alleine nicht schließen<br />
kann.<br />
An dieser Stelle meiner Überlegungen wird mir bewusst, dass ich mit meinem fairen<br />
Lebensstil nicht die Welt retten werde, dass der faire Handel nicht die Lösung für alle<br />
Missstände auf dieser Welt ist. Mir wird bewusst, dass auch der faire Handel teil des<br />
Kapitalismus ist und auch, dass <strong>im</strong> Eine-Welt-Laden best<strong>im</strong>mte Produkte auf Augenhöhe<br />
platziert werden, damit sie sich besser verkaufen.<br />
Das alles ist mir bewusst und dennoch sehne ich mich nun mal nach dieser besseren<br />
Welt.<br />
Ob mein Konsumverhalten dazu beitragen kann, weiß ich nicht. Vielleicht ist es<br />
auch naiv. Aber ich glaube, es ist ein Anfang. So empfinde ich es.<br />
Und deshalb kommt an dieser Stelle unweigerlich eine dritte D<strong>im</strong>ension zu den<br />
bereits genannten hinzu:<br />
Mein Tun und Handeln, meine Prinzipien, erlebe ich als äußerst lückenhaft. Es<br />
macht mich nicht ruhiger, es beruhigt nicht mein Gewissen, aber meine Sehnsucht<br />
zieht mich, sie treibt mich um und hält mich am Leben. Sie weist mich hin auf Gott,<br />
auf seine Gnade, auf die ich so sehr angewiesen bin.<br />
Die Lücken dieser Welt kann ich eben nicht alleine schließen. Gottes Gnade macht<br />
mich gnädig. Seine Gnade lässt mich das nicht Haltbare aushalten und tröstet mich.<br />
Sie ist es, die mich ruhig macht – nicht meine Prinzipien.<br />
Die Praxis zeigt, mein Lebensstil ist nicht mehr und nicht weniger: Mein Anfang, eine<br />
Utopie ins Leben zu übertragen, von der ich hoffe, dass sie eines Tages Wirklichkeit<br />
wird.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 4: ICH<br />
Vielleicht ist es<br />
naiv. Aber ich<br />
glaube, es ist ein<br />
Anfang.<br />
Foto: Privat<br />
Hannes Leitlein (geboren 1986)<br />
arbeitet als Grafiker und studiert<br />
evangelische Theologie. Interessiert<br />
an einer nachhaltigen und<br />
engagierten Art des Lebens, sucht<br />
er nach <strong>im</strong>mer neuer Inspiration.<br />
Er liebt und macht Musik, er liest<br />
und schreibt, moderiert und predigt,<br />
fotografiert und bereist liebend<br />
gern die Welt.<br />
Weiter Informationen und <strong>im</strong>mer<br />
neue Arbeiten, Fotos und Beobachtungen<br />
gibt es auf:<br />
www.hannesleitlein.de<br />
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149
150<br />
Just PEoPlE?<br />
Gerechtigkeit ist<br />
eines der göttlichenWesensmerkmale.<br />
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Walter Donzé<br />
Gesellschaftliches Engagement<br />
1. Als christ handeln<br />
Ernsthafte Christen neigen dazu, Gott dadurch zufriedenzustellen, dass sie einen<br />
Katalog von Vorschriften und Verboten aufstellen und diesen erfüllen. So wird Christsein<br />
auch von Außenstehenden als etwas Mühsames wahrgenommen. Das Neue Testament<br />
lehrt uns aber etwas anderes: Wir sind durch Christus befreit und befähigt<br />
worden, aus Liebe in seinem Sinne zu handeln.<br />
Je besser ich weiß, wer Gott ist, wie er denkt und was er vorhat, umso besser kann ich<br />
nach seinem Willen – und schließlich auch in seinem Namen – handeln. Reden und<br />
Handeln sind der Kontrolle des Heiligen Geistes untergeordnet, damit sie zusammenhängen,<br />
kohärent sind. Ich kann versagen und schuldig werden, aber auch Vergebung<br />
und Korrektur erfahren. Ich bleibe lebenslang ein Lernender.<br />
Gerechtigkeit ist eines der göttlichen Wesensmerkmale. Gott will gerechtes Maß,<br />
gerechte Preise, gerechte Löhne, gerechte Urteile… In der säkularen Welt herrscht<br />
aber oft Ungerechtigkeit. Das führt zum Konflikt. Ein anderes Wesensmerkmal Gottes<br />
ist die Liebe. Wie kämpfe ich für Gerechtigkeit, ohne das Liebesgebot zu verletzen?<br />
Die Suche nach Gottes Absichten, Leitung und Korrektur verleiht meinem Wirken<br />
Glaubwürdigkeit, was von meiner Umgebung ausdrücklich geschätzt wird. Ja, mehr<br />
noch: Politisches Handeln bekommt dann so etwas wie eine prophetische D<strong>im</strong>ension.<br />
Vorstöße, die zum Zeitpunkt ihrer Einreichung als „exotisch“ wahrgenommen<br />
wurden, finden ungeahnte Aktualität, weil sie nicht berechnend für das Ansehen der<br />
Partei, sondern aus dem Herzen motiviert sind. Sieben Jahre vor der großen Diskussion<br />
um das Bankkundengehe<strong>im</strong>nis haben wir gefordert, dass die Schweiz die Unterscheidung<br />
zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufgeben soll. Sechs<br />
Jahre vor der amerikanischen Immobilienkrise, die sich zur weltweiten Finanzkrise<br />
ausweitete, forderten wir ein Ethikzertifikat für Unternehmen, um gutes Verhalten zu<br />
belohnen und zum Marktvorteil zu machen.<br />
2. christen in der Politik?<br />
Noch <strong>im</strong>mer existieren Vorbehalte gegen ein Engagement von Christen in der Politik.<br />
Sie ist aber nur so weit ein „Drecksgeschäft“, wie sie mit unsauberen Motiven gestaltet<br />
wird. Auch die Politik bedarf des Salzes und des Lichts – und besonders gefällt mir<br />
das Bild vom Sauerteig: Wir können und sollen die Gesellschaft mit der befreienden<br />
Botschaft des Evangeliums beeinflussen, auch wenn wir nicht <strong>im</strong>mer Mehrheiten finden.<br />
Die Bibel gebietet uns nicht nur den Gehorsam gegenüber Behörden und Gesetz<br />
und die Fürbitte für die Regierenden, sondern ebenso, dass wir uns „tatkräftig für<br />
das Gemeinwohl einsetzen“ (Titus 3). Es ist nicht jedermanns Ding und Berufung,<br />
ein politisches Mandat auszuüben, aber die demokratische Staatsform lässt uns Möglichkeiten,<br />
uns in die Gestaltung des Zusammenlebens einzubringen. Das sollen wir<br />
<strong>im</strong> Geiste des Dienens tun.<br />
Als Mitglied der Wirtschaftskommission <strong>im</strong> nationalen Parlament saß ich zwischen<br />
Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaftsführern. Beide Seiten warben um meine<br />
Unterstützung. Ich musste mich gründlich mit den Sachgeschäften auseinandersetzen<br />
und konnte nicht selten die Entscheidung zwischen den beiden etwa gleich star-<br />
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ken Lagern herbeiführen. Nicht alle Entscheide waren mit biblischen Aussagen zu<br />
rechtfertigen, aber alle mussten sachlich und mit Anstand vertreten werden.<br />
3. Biblische Aussagen als Eckpfeiler unseres Handelns<br />
Auch wenn unsere Entscheidungen mit Sachverstand zu fällen sind, ist es möglich,<br />
uns an biblischen Beispielen und Grundsätzen zu orientieren. Wir haben dabei den<br />
Vorteil, dass sie <strong>im</strong> besten Sinne „erprobt“ sind. Gott steht zu seiner Zusage: „Wer<br />
Weisheit braucht, der bitte Gott.“<br />
Die Bibel lehrt uns Fleiß (geh zur Ameise, du Fauler), Vorsorge (wer nicht arbeiten<br />
will, soll auch nicht essen), gerechte Entlohnung (der Arbeiter ist seinen Lohn wert),<br />
Großzügigkeit (Weinbauer und Tagelöhner), Solidarität (ein Jeder sehe nicht nur auf<br />
das Seine, sondern auch auf das, was des anderen ist), Nachhaltigkeit (Grundeigentum,<br />
Erlassjahr), Sorgfalt (Verwalter), Planung (das Haus <strong>im</strong> Sturm), Bescheidenheit<br />
(sich genügen lassen), Fürsorge (Menschenrechte in Matthäus 25,34-36).<br />
Die Liste ist nicht vollständig. Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments liefert<br />
unerschöpfliche Ansätze mit höchst aktuellen Themen.<br />
4. Welche großen linien bieten sich uns an?<br />
Leben nach göttlichem Maßstab und aus seinen Ressourcen steht zum Teil in krassem<br />
Kontrast zu üblichen Normen und Verhaltensmustern. So bemerkte einmal ein Kollege<br />
in der Gemeindebehörde, er habe beobachtet, dass bei mir das Eigeninteresse<br />
„etwas verkümmert“ sei. Er meinte es als Kompl<strong>im</strong>ent, weil ich nicht meinen eigenen<br />
Vorteil beanspruchte.<br />
Meines Erachtens zählt Zufriedenheit mehr als Reichtum. Teilen macht reich,<br />
Gier ist unersättlich und führt zum grausamen Stress.<br />
Christen können starke Akzente setzen, indem sie<br />
• Lebensqualität vor Reichtum setzen,<br />
• Wettbewerb als Motivation und nicht als Verdrängungskrieg verstehen,<br />
• die Menschenwürde konkret einfordern (Einsatz für die Schwachen),<br />
• nachhaltige Lösungen erarbeiten (Nutzen statt Verbrauchen von Ressourcen),<br />
• nicht Almosen verteilen, sondern Menschen befähigen, sich selbst zu helfen und<br />
• Probleme nicht durch neue Paragrafen lösen, sondern indem sie die bestehenden<br />
einhalten.<br />
Einer der wichtigsten Sozialethiker in der Schweiz, Professor Hans Ruh, nennt vier<br />
grundlegende Ziele für die Zukunft der Menschheit angesichts der aktuellen<br />
Bedrohungen und Gefahren:<br />
• Lebensqualität<br />
• Überlebensfähigkeit<br />
• Ethik<br />
• Nachhaltigkeit<br />
Er ist Mitherausgeber eines Buches mit der Grundthese: „Die Zukunft ist ethisch –<br />
oder gar nicht“. Zukunftsfähigkeit erlangen wir, wenn wir unser Handeln in allen<br />
Lebensbereichen an ethischen Normen ausrichten. 1<br />
1 Gröbly, Thomas und Ruh, Hans, Die Zukunft ist ethisch – oder gar nicht. Wege zu einer<br />
gelingenden Gesellschaft, Frauenfeld, 2006.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Teilen macht reich,<br />
Gier ist unersättlich<br />
und führt zu<br />
Stress.<br />
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152<br />
Just PEoPlE?<br />
„Die zukunft ist<br />
ethisch – oder gar<br />
nicht!“<br />
Prof. Ruh<br />
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Was verstehen wir unter Lebensqualität? Eine groß angelegte OECD-Studie nennt<br />
dafür soziale Anliegen wie Gesundheit, Persönlichkeitsentfaltung durch Erziehung,<br />
Beschäftigung und Qualität des Arbeitslebens, Zeit und Freizeit, Verfügung über<br />
Güter und Dienstleistungen, Umwelt (inklusive Wohnverhältnisse), persönliche<br />
Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sowie Chancengleichheit und aktive Teilnahme<br />
am Leben der Gesellschaft. Das wird nach Professor Ruh nur erreicht, wenn die folgenden<br />
vier Anliegen dazukommen: gerechte Verteilung, soziale Sicherheit, Sinnorientierung<br />
und Frieden (Gewaltfreiheit).<br />
Unter Überlebensfähigkeit versteht der Sozialethiker die Erhaltung der ökologischen<br />
Lebensgrundlagen in einem Maße, das ausreicht, die erwünschte und ethisch<br />
legit<strong>im</strong>ierte Lebensqualität für alle dauernd zu sichern. Deshalb sollen Entwicklungen<br />
vermieden werden, welche für große Menschengruppen, <strong>im</strong> Extremfall für alle<br />
Menschen, unerträgliche und katastrophale Zerstörungen bringen.<br />
„Ethik“, sagt er, „ist das kritische Nachdenken über die Fragen nach dem guten Leben,<br />
dem gerechten Zusammenleben und dem verantwortungsvollen Handeln. Ethik soll<br />
letztlich dazu verhelfen, unser Handeln oder auch Nichthandeln legit<strong>im</strong>ieren und<br />
begründen zu können.“ Damit bewegt er sich in einem global anwendbaren Sinn auf<br />
dem Boden des biblischen Grundsatzes, wonach unser Handeln dem Wohl aller dienen<br />
soll. Theologie und Philosophie sind der Boden für die Ethik, die auf gesellschaftlich<br />
breit abgestützten Grundwerten basiert.<br />
Nachhaltigkeit meint, dass Lebensqualität und Überlebensfähigkeit auch für<br />
zukünftige Generationen zur Verfügung stehen sollen. Sie erfordert eine Lebens-,<br />
Gesellschafts- und Wirtschaftsform, welche unter den Bedingungen der ökologischen<br />
Grenzen, der ökonomischen Knappheit und der gesellschaftlichen Gültigkeit<br />
der Menschenrechte das Leben so gestaltet, dass unseren Nachkommen die Chance<br />
bleibt, in einer uns vergleichbaren Weise nach Erfüllung des Lebens zu streben. 2<br />
Wenn uns die Bekämpfung der Armut und die Befähigung der Menschen in einem<br />
Land von Bedeutung sind, werden wir uns bemühen um<br />
• ein gerechtes Zusammenleben,<br />
• verantwortliches Handeln,<br />
• Selbstverantwortung und Befähigung,<br />
• Respekt für jede Person als Gottes Geschöpf sowie um<br />
• nachhaltige Lösungen.<br />
5. Globalisierung<br />
Die fortschreitende Globalisierung (Transport, Information, Kommunikation) hat<br />
mit ihrer einseitig technologisch-ökonomischen Ausrichtung eine ethikfeindliche<br />
Dynamik angenommen. Die Wirtschaft hat das Pr<strong>im</strong>at über die Politik eingenommen.<br />
Als Folge sind ein Gefühl von Ohnmacht und ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotential<br />
feststellbar. Globales Handeln ist gefordert. Gültige Normen und Anweisungen<br />
müssen international ausgehandelt, angewendet, überprüft und eingefordert<br />
werden. Regierungen, zunehmend aber auch internationale Organisationen, sind in<br />
der Verantwortung. Nationale Grenzen und Gesetzgebungen machen die Sache nicht<br />
leichter. Die Herausforderungen führen zu neuen Leaderschaften.<br />
Die Wirtschaftskrise führt zu globalen Gewichtsverlagerungen. Neben der OECD<br />
gewinnen die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) an Einfluss. Das<br />
2 Vereinfacht nach Eppler, Erhard, Basler Denkanstöße, http://www.basler.denkanstoesse.ch/pages/02_f.html,<br />
14.06.2010.<br />
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kann zu einer deutlichen Werteverschiebung führen. Die Schweiz ist deshalb daran<br />
interessiert, in den Institutionen, die sich für global gültige Spielregeln einsetzen<br />
(UNO, IWF, Weltbank, OECD, regionale Entwicklungsbanken, Global Environment<br />
Facility (GEF), WTO), vertreten zu sein. Kl<strong>im</strong>awandel, Migration, Energieversorgung<br />
und Wasser gewinnen an Bedeutung. Die Armutsreduktion bleibt trotz diesen neuen<br />
Herausforderungen die weltweit wichtigste Aufgabe.<br />
Trotz aller Kritik: Entwicklungszusammenarbeit ist erfolgreich!<br />
• Innerhalb von 30 Jahren hat sich der Analphabetismus bei Erwachsenen halbiert.<br />
• In den letzten 40 Jahren stieg die Lebenserwartung bei Geburt um 20 Jahre.<br />
• In Vietnam sank die Armutsrate in nur 12 Jahren (1990 bis 2002) von 51 auf 14<br />
Prozent.<br />
• Botswana hat innerhalb von 15 Jahren die Zahl der Pr<strong>im</strong>arschüler verdoppelt.<br />
• Benin und Mali erhöhten Einschulung und Schulabschlüsse markant.<br />
Die Liste kann erweitert werden. Aber die Probleme sind <strong>im</strong>mer noch gravierend.<br />
Als Christen wollen wir unseren ganzen Einfluss geltend machen, um allen Formen<br />
der Ungerechtigkeit entgegenzutreten und Ursachen der Armut zu beseitigen. Möglicherweise<br />
geraten die Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut bis<br />
<strong>2015</strong> wegen der neuen Herausforderungen durch die Weltwirtschaftskrise etwas in<br />
den Hintergrund. Sie bleiben aber als konkrete Ansatzpunkte aktuell. Viel hängt<br />
davon ab, ob ein Land über eine gute Regierung verfügt, demokratische Ordnungen<br />
herrschen und <strong>im</strong> Innern Ruhe und Sicherheit gewährleistet sind.<br />
literaturangaben<br />
• Gordon, Graham, Das habt ihr mir getan. Engagiertes Christsein in einer unfairen<br />
Welt, Gießen, Basel, 2004.<br />
• Gröbly, Thomas und Ruh, Hans, Die Zukunft ist ethisch – oder gar nicht. Wege zu<br />
einer gelingenden Gesellschaft, Frauenfeld, 2006.<br />
• Guidici, Thomas und S<strong>im</strong>son, Wolfgang, Der Preis des Geldes. Wege zur finanziellen<br />
Freiheit, Moers, 2005.<br />
• Weber, Beat, Weisheiten aus der Bibel für ein gelingendes Leben, Gütersloh, 2002.<br />
• Strahm, Rudolf, Warum wir so reich sind – Wirtschaftsbuch Schweiz, Bern, 2010.<br />
• UNDP-Bericht über die menschliche Entwicklung, Barrieren überwinden. Migration<br />
und menschliche Entwicklung, 2009.<br />
• Web-Tipp: www.lebenswerte.ch<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Die Wirtschaft hat<br />
das Pr<strong>im</strong>at über die<br />
Politik eingenommen.<br />
Foto: Privat<br />
Walter Donzé (geboren 1946) ging in<br />
Luzern zur Schule, absolvierte eine<br />
Kaufmännische Berufslehre, wurde<br />
nach diversen Weiterbildungen<br />
Geschäftsführer des Missionswerkes<br />
MSD (Medien Schriften Dienste)<br />
und war nationalrat der EVP (Evangelische<br />
Volkspartei Schweiz).<br />
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Just PEoPlE?<br />
Aus freiem Handel<br />
muss fairer Handel<br />
werden.<br />
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T<strong>im</strong>o Plutschinski<br />
Wirtschaft und Gerechtigkeit:<br />
Die Welt ein kleines Stück WERTEvoller<br />
machen<br />
Jesus befasste sich bei der Hälfte seiner Predigten mit dem Thema Geld und Besitz.<br />
Viele seiner Gleichnisse handeln von Reichtum, Landwirtschaft, Schuldenerlass und<br />
Management – alles alltägliche Beispiele aus der Geschäftswelt.<br />
Eine der schwierigsten Fragen überhaupt ist, wie man nun den biblischen Anspruch<br />
<strong>im</strong> Blick auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse mit dem in der Wirtschaft existentiellen<br />
Streben nach Profit vereinbaren kann. Für viele ist die Vorstellung ungewohnt,<br />
dass ein Unternehmen eine breitere Agenda von Zielen verfolgen muss und nicht nur<br />
zum Wohle der Aktionäre den Profit max<strong>im</strong>ieren darf. Notwendig ist hier eine umfassende<br />
Betrachtungsweise, die gleichzeitig den Profit nicht verteufelt, denn letztlich<br />
können auch nur lukrative und effiziente Firmen den Wertzuwachs weitflächig verteilen.<br />
Eine richtig verstandene Unternehmenskultur muss deshalb kein Hemmschuh für die<br />
Rentabilität eines Betriebes sein, sondern sorgt vielmehr für langfristige Stabilität.<br />
Das gilt auch für die großen Zusammenhänge globaler Wirtschaft. Wenn die größten<br />
Aktiengesellschaften verantwortlich und in guter weltbürgerlicher Absicht handeln,<br />
wird vieles an Reibung in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und<br />
den Industrienationen abgemildert. Wenn wir die Vorteile der Globalisierung wirklich<br />
allen zugänglich machen wollen, dann muss jedoch aus freiem Handel fairer<br />
Handel werden. Das Verhalten beispielsweise der Welthandelsorganisation (WTO)<br />
be<strong>im</strong> Umgang mit Fördermitteln, die von Industrienationen für ihre eigenen Exporteure<br />
gezahlt werden, und den Zöllen, die sie den Entwicklungsländern bei der Suche<br />
nach Absatzmärkten in Industrieländern auferlegt, ist dagegen höchst anstößig.<br />
Es geht um die wirtschaftlichen Aspekte der Globalisierung, genauer gesagt um die<br />
wirtschaftliche Ordnung dieser Welt. Nach welchen Spielregeln funktioniert die<br />
Weltwirtschaft? Wer sind Gewinner, wer sind Verlierer? Sind die Spielregeln gerecht<br />
und entsprechen sie einem biblischen Menschenbild oder entsprechen sie nur dem<br />
Recht des Stärkeren?<br />
Angesichts von 30 Millionen Hungertoten <strong>im</strong> Jahr, einer wachsenden Schere zwischen<br />
Arm und Reich und Sozialabbau in den Industrieländern müssen Christen auch<br />
die Systemfrage stellen und die globalen Zusammenhänge analysieren. Sie müssen<br />
Reformvorschläge und Alternativen vorurteilsfrei prüfen, die Bibel befragen und<br />
überlegen, was die Fülle an wirtschaftlichen Regelungen dort (Zinsverbot, Erlassjahr<br />
etc.) für unsere Welt heute bedeutet.<br />
Als Christen sind wir von Gott eingesetzte Hoffnungsträger für diese Welt – auch in<br />
wirtschaftlichen Zusammenhängen. Und das muss konkrete Auswirkungen haben:<br />
• Für wirtschaftlich benachteiligte Produzenten müssen neue Möglichkeiten<br />
eröffnet werden (durch Mikrofinanzierung, Aufbau lokalökonomischer Systeme<br />
etc.).<br />
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• Transparente Handelsbeziehungen und respektvoller Umgang mit Handelspartnern<br />
müssen geschaffen werden.<br />
• Kunden müssen über Unternehmen und deren Produkte – und unter welchen<br />
Bedingungen diese produziert wurden – aufgeklärt werden.<br />
• Werbung und Verkaufsstrategien müssen aufrichtig und wahrhaftig sein.<br />
• Ein fairer Preis wird best<strong>im</strong>mt durch Dialog und Partizipation. Er deckt nicht nur<br />
die Produktionskosten ab, sondern ermöglicht auch eine sozial und ökologisch<br />
verträgliche Produktion. Er macht faire Entlohnung der Produzenten möglich.<br />
Werteorientierte Händler sichern eine pünktliche Bezahlung ihrer Partner und<br />
bieten Produzenten, wenn möglich, eine Vorfinanzierung für Ernte oder Produktion<br />
an.<br />
• Ein christliches Menschenbild gewährleistet, dass die Arbeit von Frauen und<br />
Männern gleichberechtigt gewürdigt und entlohnt wird.<br />
• Ebenso muss garantiert sein, dass Mitarbeiter unter sicheren und gesunden<br />
Bedingungen arbeiten. Die Partizipation von Kindern, wenn überhaupt vorhanden,<br />
darf nicht deren Wohlbefinden, Sicherheit, Bildungspflichten und Spielbedürfnis<br />
einschränken.<br />
• In der Wirtschaft tätige Christen müssen langfristige Beziehungen aufbauen, die<br />
auf Solidarität, Vertrauen und gegenseitigem Respekt basieren und zur Förderung<br />
eines fairen Handels beitragen.<br />
Mit diesen exemplarischen Vorschlägen eines christlich orientierten Wirtschaftens<br />
verbindet sich die Vorstellung, dass Unternehmen mehr sein sollen als ökonomische<br />
Akteure, die Gewinne erzielen, Arbeitsplätze schaffen und Konsumenten mit preiswerten<br />
Gütern und Dienstleistungen versorgen. Die gesellschaftliche Aufgabe von<br />
Unternehmen reduziert sich nicht nur auf Friedmans Max<strong>im</strong>e: „The social responsibility<br />
of business is to increase its profits.“ 1<br />
Aber welchen proaktiven Beitrag können christliche<br />
Unternehmen für eine gerechte Wirtschaft<br />
und Gesellschaft leisten, ja inwieweit und wie<br />
können sie Wirtschaft und Gesellschaft dahingehend<br />
(mit)transformieren?<br />
„The business of business is business.“ – Mit<br />
diesem lapidaren wie eingängigen Aphorismus<br />
begegnete der soeben zitierte US-amerikanische<br />
Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger<br />
Milton Friedman einst kritischen Fragen über<br />
die Verantwortung eines Unternehmens für<br />
seine Umwelt. Im Klartext heißt das: Für ein<br />
Unternehmen zählt vor allem der Profit. Dass<br />
Unternehmen neben ihren Geschäftspartnern<br />
aber auch auf ihre Mitarbeiter, Umwelt, Politik<br />
und die Öffentlichkeit, also auf die Gesamtheit<br />
ihrer Umgebung angewiesen sind, zeigen oft<br />
erst Skandale. Der Ölkonzern Shell wollte 1995<br />
seine Ölplattform Brent Spar <strong>im</strong> Meer versenken.<br />
Letztlich erlitt aber vor allem das Image<br />
des Ölkonzerns Schiffbruch – mit deutlichen<br />
Einnahmeverlusten als Folge. Heute tut sich der<br />
Ölkonzern beispielsweise in Sachen Umweltschutz<br />
besonders positiv hervor. Aus Schaden<br />
wird man ethisch.<br />
1 „Die soziale Verantwortung eines Unternehmens ist seine Profitsteigerung.“<br />
(Eigene Übersetzung nach: Friedman 1970).<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Themenübersicht<br />
Wirtschafts- und<br />
Unternehmensethik<br />
Ebene des<br />
Wirtschaftssystems:<br />
Ordnungsethik<br />
Ebene der<br />
organisation:<br />
Unternehmensethik<br />
Ebene des<br />
einzelnen Menschen:<br />
Individualethik<br />
Quelle (für Just People? angepasst): student network<br />
for ethics in economics and practice, www.sneep.info,<br />
22.05.2010.<br />
Ethische Fragen des Wirtschaftssystems<br />
(Freiheit, Gerechtigkeit, Verteilung etc.)<br />
Geld, zins, Kapital<br />
Staat , Wirtschaft, zivilgesellschaft<br />
Globalisierung und Global Governance<br />
(Sozialökologische) Marktwirtschaft<br />
(nachhaltige) Entwicklung<br />
Begriffe und Modelle des Wohlstands<br />
Korruption, Compliance und<br />
Corporate Governance<br />
Corporate Social Responsibility<br />
und Corporate Citizenship<br />
Stakeholder<br />
Ethische Unternehmensbewertung<br />
Werte, Ethik,<br />
nachhaltigkeitsmanagement<br />
non financial Reporting,<br />
nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
Unternehmensethik und Beratung<br />
Konsumethik, Bedürfnisse und Lebensstil<br />
Ethisches Investment - SRI<br />
Integrität und Bestechlichkeit<br />
Ethos und Tugenden von Unternehmen<br />
Führungsethik<br />
Individuelle Verantwortung <strong>im</strong> Betrieb<br />
(von Empowerment bis Whistleblowing)<br />
Wirtschaftssubjekt und Menschenbild<br />
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155
156<br />
Just PEoPlE?<br />
Da braucht es Menschen,<br />
die innerhalb<br />
des Systems<br />
Akzente setzen, die<br />
auf einem christlichen<br />
Menschenbild<br />
beruhen.<br />
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In den USA, Großbritannien und Skandinavien entdeckten Unternehmen schon vor<br />
einigen Jahren die wachsende Bedeutung von Unternehmensethik. Der Mittelstand,<br />
sozial und regional in sein Umfeld eingebunden, kennt das Thema schon lange. In<br />
den Neunzigerjahren galt der Shareholder-Value 2 als wichtiges Unternehmensziel.<br />
Nun erweitern sie den Begriff und sprechen von dem viel ganzheitlicheren Stakeholder-Dialog<br />
3 . Er bezieht alle Interessengruppen rund um ein Unternehmen in das strategische<br />
Denken mit ein und nicht mehr nur eine wichtige Zielgruppe.<br />
Auf der Investitionsseite spricht man mittlerweile schon vom „sozialen Kapital“, das<br />
dem Unternehmenserfolg nützt. Praktische Unternehmensethik ist weder mildtätiges<br />
Sponsoring noch fromme Theorie, sondern eine Managementaufgabe. Unternehmen<br />
tragen heute mehr denn je die Verantwortung für ihre gesamte Wertschöpfungskette<br />
aus Mensch und Umwelt.<br />
Seitdem steigt die Nachfrage nach so genannten „Ethik-Managern“. Ein Berufsstand,<br />
der mit ökologischem und sozialem Verhalten rechnet statt mit Zahlen. Daneben entstanden<br />
auch Agenturen, die viel beachtete Ratings erstellen, die Unternehmen nach<br />
ihrem ethischen Verhalten auflisten.<br />
Im Zuge der Diskussion um christliches Wirtschaften stellt sich – nebenbei gesagt –<br />
aber auch die Frage nach dem Verhalten der Kunden. Moral fordern kann man als<br />
Bürger leicht, auch wenn man sich als Konsument dann doch für das billigste Produkt<br />
entscheidet – ohne sich darüber Gedanken zu machen, auf welche Weise es eigentlich<br />
entstanden ist. Deshalb ist bei der Frage der Unternehmensethik <strong>im</strong>mer auch die<br />
„Kundensouveränität“ gefragt.<br />
Da braucht es Menschen, die innerhalb des Systems Akzente setzen, die auf einem<br />
christlichen Menschenbild beruhen.<br />
Das demokratische System hat die Wirtschaft zu einem mächtigen Organ der Gemeinschaft<br />
gemacht und darum ist es wichtig, dass genau da mit christlichen Werten<br />
eingegriffen wird und die Auswirkungen untersucht werden. Bei Phänomenen wie<br />
Kinderarbeit und Umweltverschmutzung, die ganze Wirtschaftzweige fast vollständig<br />
durchziehen, heißt Christsein in erster Linie, den Schwächsten vor einer gierigen<br />
Übermacht zu schützen. Dies fängt bei einer genauen Untersuchung der Produktionszweige<br />
und den Ressourcen an.<br />
Mit Blick auf Unternehmer besteht für Christen in der Wirtschaft die Aufgabe gerade<br />
darin, vorzuleben, wie nicht nur Aktionäre, sondern auch Kunden, Zulieferer, Mitarbeiter<br />
und letztlich die Gesellschaft, in der das Unternehmen tätig ist, von den Firmenentscheidungen<br />
profitieren.<br />
Somit ist das System Wirtschaft ein Diener, der auf der Schattenseite ohne Zweifel<br />
egoistische Bedürfnisse befriedigen kann, aber darüber hinaus auch zum Wohl der<br />
2 Engl.: shareholder = Aktionär; value = Wert; „Der Shareholder-Value-Ansatz ist ein<br />
betriebswirtschaftliches Konzept zur Steigerung des Wertes des Eigenkapitals.“<br />
http://www.verdi-bub.de/wirtschafts_abc/archiv/shareholder_value, 22.05.2010.<br />
3 Engl.: stakeholder = Interessenvertreter; „Anspruchsgruppen oder Stakeholder<br />
sind einzelne Personen, Gruppen oder Institutionen und ihre Vertreter, die persönliche,<br />
gesellschaftliche, politische Interessen vertreten oder rechtliche Anforderungen<br />
an ein Unternehmen stellen. Sie versuchen deshalb die Handlungen eines<br />
Unternehmens und seiner Manager direkt oder indirekt zu beeinflussen. Sie können<br />
umgekehrt selbst direkt oder indirekt von den Aktivitäten des Unternehmens<br />
beeinflusst sein.“ http://www.business-wissen.de/handbuch/stakeholderanalyse/<br />
das-modell-vom-stakeholder, 22.05.2010.<br />
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Menschen einer Stadt, eines Landes oder weltweit eingesetzt werden kann. Das ist<br />
eine Frage der gelebten Werte.<br />
Werden ausschließlich monetäre Interessen <strong>im</strong> Sinne des Shareholder-Values verfolgt<br />
oder werden auch andere Bedürfnisse in den Blick genommen? Der Wirtschaftswissenschaftler<br />
und Nobelpreisträger Amartya Sen beschreibt seine Grundthese der<br />
Entwicklungsökonomie interessanterweise wie folgt: „Bei der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
geht es nicht allein um die bessere materielle Ausstattung von Menschen,<br />
sondern um die Erweiterung realer Freiheiten.“<br />
Das System der Wirtschaft braucht somit mehr als die monetäre Befriedigung. Es<br />
braucht den Blick für Menschen und Werte, die Christen vermitteln können. Schon<br />
allein die Beschäftigung mit den Bedürfnissen der Menschen <strong>im</strong> Unternehmensumfeld<br />
ist ein hervorragendes Zeugnis eines ganzheitlichen Verständnisses von Christsein.<br />
Es wäre ein großer Gewinn, wenn Christen in unserem Land die Vorreiter für<br />
Social Entrepreneurship wären und sich <strong>im</strong> Dienste der Gesellschaft engagieren würden.<br />
Social Entrepreneurship bezeichnet eine best<strong>im</strong>mte Art von Unternehmertum, dessen<br />
Ziele nicht <strong>im</strong> monetären Profit, sondern <strong>im</strong> gesellschaftlichen Nutzen liegen. Es geht<br />
darum, mit innovativen Ansätzen möglichst nachhaltige Lösungen für soziale Probleme<br />
oder Missstände zu finden.<br />
Die Persönlichkeit eines Social Entrepreneurs zeichnet sich dadurch aus, dass er versucht,<br />
mit einer neuen Herangehensweise ein gesellschaftliches Defizit zu beheben.<br />
Der Erfolg des Vorhabens wird dabei an der gesellschaftlichen Veränderung und nicht<br />
am finanziellen Gewinn gemessen. Außerdem zählen für einen solchen Unternehmer<br />
best<strong>im</strong>mte Werte, die sich beispielsweise an der Wahrung der Menschenwürde orientieren.<br />
Zudem ist er in der Lage, aktive Mitstreiter sowie finanzielle und materielle<br />
Unterstützer für seine Initiative zu gewinnen. Letztere können beispielsweise geeignete<br />
Organisationen oder Kapitalgeber sein.<br />
Die Bereiche, in denen sich ein Social Entrepreneur engagiert, sind vielfältig. Die<br />
Bandbreite reicht von Diskr<strong>im</strong>inierung, Rassismus oder Armut über das Gesundheitswesen<br />
bis hin zu Bildung und Kultur. Weiter kann er sich für technischen oder sozialen<br />
Fortschritt einsetzen. Darüber hinaus werden Social Entrepreneurs in den Segmenten<br />
Umwelt- und Naturschutz, Menschenrechte oder wirtschaftliche Entwicklung aktiv.<br />
Auf vielfältige Art und Weise die Welt ein kleines Stück WERTEvoller machen – das ist<br />
das Anliegen von Social Entrepreneurship. Und das kann jeder. Und als Christen sind<br />
wir dazu aufgerufen, zu handeln und für die Bewahrung der Schöpfung, der Entfaltung<br />
von Menschen und der Entwicklung von gerechten Ökonomien zu kämpfen.<br />
Ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ob Mitarbeiter oder Manager, ob Sekretärin oder<br />
Selbständiger – jeder kann in seinem Verantwortungsbereich daran mitarbeiten,<br />
ein ausgeglichenes Wirtschaftssystem voranzubringen und so für mehr Gerechtigkeit<br />
zu sorgen. Ein System, das sich an den christlichen Prinzipien von Solidarität,<br />
sozialer Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit ausrichtet und biblische<br />
Werte zurückbringt in die Wirtschaft. Jeder kann auf die wirklich wichtigen Themen<br />
des Lebens aufmerksam machen und dazu beitragen, dass christliche Ethik Gehör<br />
bekommt. Das wäre ein wahrer Gottes-Dienst.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Es wäre ein großer<br />
Gewinn, wenn<br />
Christen in unserem<br />
Land die Vorreiter<br />
für Social<br />
Entrepreneurship<br />
wären.<br />
Foto: Privat<br />
T<strong>im</strong>o Plutschinski (geboren 1976)<br />
lebt in Düsseldorf, ist verheiratet und<br />
Geschäftsführer des christlichen<br />
Wirtschaftsverbandes Christen in<br />
der Wirtschaft e.V. (CiW). Er hat sich<br />
durch seine Tätigkeiten und Rollen<br />
als Theologe, Geschäftsmann und<br />
gesellschaftlicher Visionär schon<br />
viel mit Fragen von Gerechtig-<br />
keit, nachhaltigkeit und Armutsbekämpfung<br />
auseinandergesetzt. Im<br />
Moment bewegt ihn besonders die<br />
Frage, wie (christliche) Unternehmer<br />
zum Wohl der Gesellschaft und<br />
der Umwelt beitragen können. Seit<br />
2007 ist er Mitglied <strong>im</strong> Leitungskreis<br />
der Micha-Initiative Deutschland.<br />
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157
158<br />
Just PEoPlE?<br />
Micah Challenge<br />
war die christliche<br />
Antwort auf die<br />
so genannten<br />
Millenniumsziele.<br />
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Alexander Gentsch<br />
tun, was gut ist:<br />
Wie ein alter Prophet Christen <strong>im</strong> Heute<br />
herausfordert<br />
Ein Bericht über Micah challenge, stopArmut <strong>2015</strong> und die<br />
Micha-Initiative<br />
„Was ist denn eigentlich gerade dran?“ – So lautet die vermutlich häufigste Frage, die<br />
viele Christen mit Inbrunst stellen. Fast genauso häufig hört man Christengespräche,<br />
in denen erörtert wird, ob die eine oder der andere denn für diese oder jene ganz<br />
spezielle Aufgabe eigentlich berufen ist. Oft haben diese Fragen ihre Berechtigung.<br />
Schließlich kann nicht jeder alles machen. Und es kann unhe<strong>im</strong>lich spannend sein,<br />
sich best<strong>im</strong>mte Aufgabenfelder von Gott zeigen zu lassen oder sie mit Gott gemeinsam<br />
zu entdecken. Aber stellt man Fragen dieser Art nicht manchmal auch, obwohl<br />
man eine Menge von dem weiß und ahnt, was für Gott ganz grundsätzlich wichtig<br />
ist, was ihm am Herzen liegt, was er für gut hält (und nur erleichtert auf die befreiende<br />
göttliche Reaktion wartet, an dieser best<strong>im</strong>mten Stelle mal nicht vermeintlich<br />
„typisch christlich“ handeln zu müssen)?<br />
Was ist eigentlich gut?<br />
Gott hat schon viel von sich preisgegeben. Ganz besonders in der Person Jesus. Aber<br />
auch schon durch Propheten, die einige Jahrhunderte eher lebten. Ein Satz des Propheten<br />
Micha fasst zusammen, was Gott ganz grundsätzlich gut findet:<br />
„Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir will: Recht zu üben und<br />
Barmherzigkeit zu lieben und demütig zu gehen vor deinem Gott“ (Micha 6,8).<br />
Dieser Satz ist zum Leitvers einer Bewegung geworden, die schon seit vielen Jahren<br />
existiert, aber seit 2004 einen eigenen Namen trägt: Micah Challenge. Denn der Prophet<br />
Micha fordert tatsächlich heraus. Wie können wir denn heute so leben, dass<br />
wir Recht tun, dass wir zu mehr Gerechtigkeit 1 beitragen? Sind wir für unsere Barm-<br />
herzigkeit bekannt? Können wir von uns sagen, dass wir es lieben, barmherzig zu<br />
sein? Und weisen wir mit unserem Handeln eigentlich auf Gott hin?<br />
Was könnten Michas Worte in der heutigen Welt bedeuten?<br />
Die Weltweite Evangelische Allianz war und ist der Überzeugung, dass man diese Fragen<br />
nur angehen kann, wenn man sich den Schmerz und die Probleme dieser Welt zu<br />
eigen macht und die tiefe Sehnsucht der Menschen nach mehr Gerechtigkeit versteht.<br />
So verfolgte man besonders aufmerksam, als sich <strong>im</strong> September 2000 be<strong>im</strong> Millenniumsgipfel<br />
der Vereinten Nationen 189 Staats- und Regierungschefs trafen, um die<br />
größten Herausforderungen der Menschheit zu diskutieren und sich gemeinsame<br />
Ziele zu setzen. Erstmals messbare Ziele. Universelle Ziele. Zeitlich klar abgesteckt.<br />
1 In den meisten anderssprachigen Übersetzungen ist in Micha 6,8 von Gerechtigkeit<br />
die Rede.<br />
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Bis <strong>2015</strong> soll und sollen – ausgehend von 1990 – extreme Armut halbiert werden, alle<br />
Kinder bis zur achten Klasse in die Schule gehen können, Frauen und Mädchen nicht<br />
länger benachteiligt werden, Kinder- und Müttersterblichkeit gesenkt werden, Epidemien<br />
(insbesondere Aids) eingedämmt werden, ökologische Nachhaltigkeit erreicht<br />
werden und die Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd fairer gestaltet werden.<br />
Was will Micah challenge?<br />
Micah Challenge war die christliche Antwort auf diese so genannten Millenniumsziele.<br />
Neben der Evangelischen Allianz war nicht zufällig das Micah Network, ein<br />
internationaler Zusammenschluss von über 300 christlichen Hilfswerken, Mitinitiator<br />
dieser Kampagne. Zwei Dinge nahm man sich vor:<br />
1. Christen zum Engagement gegen Armut und für Gerechtigkeit motivieren.<br />
2. Das Erreichen der Millenniumsziele einfordern und unterstützen.<br />
Das erste Ziel kommt nicht von ungefähr. Besonders in der evangelikalen Bewegung,<br />
zu der sich die Evangelische Allianz zählt, wurde das Thema Gerechtigkeit häufig stiefmütterlich<br />
behandelt. Ein Grund dafür war bei manchen die Befürchtung, dass durch<br />
zu viel soziales Engagement die mündliche Verkündigung des Evangeliums vernachlässigt<br />
werden könnte. Andere begrüßten den diakonischen Dienst an bedürftigen<br />
und armen Menschen, waren aber nicht davon überzeugt, dass sich Christen auch<br />
auf politischem Weg für gerechtere Strukturen einsetzen sollten. Auch heute haben<br />
viele Christen diesbezüglich Fragen. Micah Challenge möchte dazu ermutigen, sich<br />
diesen Fragen zu stellen und will zeigen, dass ein biblisch fundiertes Engagement für<br />
Gerechtigkeit möglich und notwendig ist. Denn Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und<br />
das Hinweisen auf Gott gehören untrennbar zusammen.<br />
Das zweite Ziel, der Einsatz für die Millenniumsziele, soll daher auf verschiedenen<br />
Ebenen angegangen werden: Lokal, national und international. Da spielt der<br />
bewusste persönliche Konsum genauso eine Rolle wie das Unterstützen konkreter<br />
Projekte von Hilfs- und Missionswerken. Aber eben auch die Entscheidungen der großen<br />
Politik. Es gehört sogar ganz ausdrücklich zum Konzept der Millenniumsziele,<br />
dass ihre Umsetzung von der Zivilgesellschaft, zu der Christen zweifelsohne gehören,<br />
kritisch begleitet wird. Immer wieder werden Berichte herausgebracht, die Rechenschaft<br />
darüber ablegen, wie weit man sich den Zielen angenähert hat. Dabei wird die<br />
Kluft zwischen dem deutlich, was man sich vorgenommen hat, und dem, was man<br />
tatsächlich geschafft hat. Es ist wichtig, die Politiker an ihre Versprechen zu erinnern.<br />
Es darf nicht vergessen werden, dass arme Menschen eine höhere Priorität haben als<br />
Banken, Konzerne und der Wohlstand einiger weniger. Es geht darum, die St<strong>im</strong>men<br />
derer hörbar zu machen, die normalerweise nicht politisch einflussreich oder wirtschaftlich<br />
interessant sind. Die Regierungen der armen Länder müssen hier genauso<br />
erinnert werden wie die Regierungen der reichen Länder.<br />
Wo gibt es Micah challenge?<br />
Micah Challenge ist mittlerweile in 40 Ländern aktiv, 25 davon befinden sich <strong>im</strong> globalen<br />
Süden. 2<br />
Seit 2004 gibt es in der Schweiz die Micah Challenge-Kampagne <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong>, welche<br />
<strong>im</strong> französischsprachigen Teil des Landes als StopPauvreté <strong>2015</strong> bekannt ist. Ver-<br />
2 Stand: August 2010.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Es ist wichtig, die<br />
Politiker an ihre<br />
Versprechen zu<br />
erinnern.<br />
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160<br />
Just PEoPlE?<br />
Links zum Thema<br />
www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
www.micha-initiative.de<br />
www.micahchallenge.org<br />
www.fairlangen.org<br />
www.stell-dich-gegenarmut.de<br />
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antwortet wird die Kampagne von der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA)<br />
und dem Netzwerk Interaction, in dem sich zwölf christliche Hilfswerke zusammengeschlossen<br />
haben. 3 Zudem gibt es einen Freundeskreis, dem sich verschiedene<br />
christliche Organisationen und örtliche Gemeinden angeschlossen haben. Auf übergemeindlicher<br />
Ebene existieren außerdem Regionalgruppen.<br />
In Deutschland hat sich 2006 die Micha-Initiative gegründet, die von der Deutschen<br />
Evangelischen Allianz (DEA) verantwortet wird. Getragen wird die Initiative von<br />
einem breiten Unterstützerkreis, der 35 christliche Hilfs- und Missionswerke, Kirchen,<br />
Verbände und Netzwerke umfasst. 4 Auch in Deutschland gibt es Lokalgruppen, die<br />
gemeindeübergreifend arbeiten.<br />
Was machen stopArmut <strong>2015</strong> und Micha-Initiative konkret?<br />
Präsent sein und informieren<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und Micha-Initiative leisten natürlich erst einmal Informationsarbeit.<br />
Sie versuchen, bei verschiedenen christlichen Kongressen (wie Explo oder Christival)<br />
präsent zu sein. Zudem veranstalten die Kampagnen Konferenzen zum Thema integrale<br />
Mission und globale Gerechtigkeit oder unterstützen und vernetzen christliche<br />
Werke bei der Ausrichtung solcher Veranstaltungen. <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> prämiert mit<br />
dem <strong>StopArmut</strong>-Preis beispielsweise Predigten, Aktionen und Projekte, welche zur<br />
Sensibilisierung der Schweizer Bevölkerung für weltweite Armut beitragen.<br />
Einen weltweiten Gottesdienst feiern<br />
Einmal <strong>im</strong> Jahr feiern Gemeinden rund um die Welt einen besonderen Gottesdienst,<br />
in dem Christen die Herausforderungen dieser Welt vor Gott bringen und sich gegenseitig<br />
dazu motivieren, mehr für globale Gerechtigkeit zu tun. Sie bekennen ihr Versagen,<br />
beten, loben Gott, der die Welt nicht aufgibt, und zeigen in Aktionen (zum<br />
Beispiel „Stell dich gegen Armut“), dass sie mit neuer Kraft mithelfen wollen, etwas<br />
zu verändern. Der Micha-Sonntag beziehungsweise <strong>StopArmut</strong>-Sonntag findet jedes<br />
Jahr an dem Sonntag statt, der am nächsten am 17. Oktober liegt, dem Internationalen<br />
Tag für die Beseitigung von Armut.<br />
Gemeinden ermutigen, sich für Gerechtigkeit zu engagieren<br />
Aber natürlich wünschen sich <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und die Micha-Initiative, dass Gemeinden<br />
das Thema globale Gerechtigkeit dauerhaft auf dem Schirm haben. Der Kurs Just<br />
People? kann hier ein guter Anfang sein und das Gemeindeleben nachhaltig beeinflussen.<br />
Wahrhaftig nachhaltig ist zum Beispiel das Online-Portal Fairlangen.org, das<br />
die Elia-Gemeinschaft Erlangen <strong>im</strong> Zuge des Kurses entwickelt hat und gute Tipps zu<br />
mehr sozialer und ökologischer Gerechtigkeit <strong>im</strong> alltäglichen Leben bietet. Gemeinden,<br />
die das Anliegen der Micha-Kampagnen verstanden haben, bemühen sich aber<br />
auch darum, <strong>im</strong> Gemeindeleben permanent Raum für Fragen zu geben, welche die<br />
gesamte Welt <strong>im</strong> Blick haben. Gott mit den komplexen Fragen (Kinderarbeit, Welthandel,<br />
Aids, Kl<strong>im</strong>akrise etc.) in den Ohren zu liegen und sich mit anderen austauschen<br />
zu können über die ethischen Fragen des Alltags (Herstellungsbedingungen der Produkte,<br />
die ich einkaufe; Wasser- und Energieverbrauch; unser Lebensstil überhaupt).<br />
Dafür muss Raum sein. Ob in Gottesdiensten oder in Gruppen und Veranstaltungen.<br />
3 Stand: August 2010.<br />
4 Stand: August 2010.<br />
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Sich in Lokal- und Regionalgruppen treffen<br />
Außerdem haben sich bereits einige übergemeindliche Lokal- und Regionalgruppen<br />
gebildet, die genau diesen Raum für Information, Austausch und Gebet bieten wollen.<br />
Der Vorteil einer solchen Gruppe ist, dass sie in mehrere Gemeinden gleichzeitig hineinwirken<br />
kann und es einfacher ist, gemeindeübergreifende Veranstaltungen oder<br />
Aktionen – etwa <strong>im</strong> Rahmen der örtlichen Evangelischen Allianz – zu organisieren.<br />
Ob OpenAir-Gottesdienste oder Innenstadt-Aktionen (wie Flashmobs, Infostände),<br />
Kooperationen mit anderen Gruppen (zum Beispiel Eine-Welt-Läden) oder politische<br />
Kampagnen- und Lobbyarbeit – das meiste lässt sich gemeinsam viel effektiver tun<br />
als allein.<br />
Politische Kampagnen- und Lobbyarbeit leisten<br />
Mit Petitionen und Unterschriftenaktionen möchten <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und Micha-Initiative<br />
gern Einfluss auf politische Entscheidungen zugunsten der Armen nehmen. So<br />
lud <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> beispielsweise dazu ein, sich an einer Unterschriften- und Postkartenaktion<br />
zum Thema Wasser zu beteiligen. Der Schweizerische Bundespräsident<br />
wurde darin gebeten, sich für einen globalen Aktionsrahmen einzusetzen, der eine<br />
effektivere Umsetzung der Millenniumsziele ermöglicht, welche auch den Zugang<br />
zu Wasser und Sanitäranlagen vorsehen. Ein anderes Beispiel: Die Micha-Initiative<br />
ermutigte <strong>im</strong> April 2009 auf einer europaweiten Missionskonferenz 1.700 Jugendliche,<br />
Briefe an die EU-Kommission zu schreiben mit der Bitte, in Zeiten der Finanzkrise<br />
die Millenniumsziele und ganz besonders die Situation von Kindern nicht aus<br />
dem Blick zu verlieren. EU-Kommissar Ján Figel’, zuständig für Jugend und Bildung,<br />
nahm die Briefe persönlich in Empfang und nahm sich Zeit für Gespräche mit der<br />
Micha-Initiative über die Prioritäten der EU-Staaten und die Millenniumsziele.<br />
Neben diesen punktuellen Aktionen sucht die Micha-Initiative kontinuierlich das<br />
Gespräch mit Parlamentsabgeordneten. Dabei werden Christen ermutigt, sich vor<br />
Ort mit dem Abgeordneten ihres Wahlkreises zu treffen, über weltweite Armut ins<br />
Gespräch zu kommen und die Anliegen und Forderungen der Micha-Initiative vorzutragen.<br />
Die politische Arbeit von <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und Micha-Initiative wächst und<br />
entwickelt sich stetig. Schwerpunkte werden gesetzt, Netzwerke mit anderen Organisationen<br />
und Bewegungen gebildet, verschiedene politische Ebenen miteinander verbunden.<br />
Eines ist aber sehr deutlich geworden in den ersten Jahren der Kampagnen:<br />
Ohne eine aktive Basis kann auch die politische Arbeit nicht geschehen. <strong>StopArmut</strong><br />
<strong>2015</strong> und Micha-Initiative leben von dem Engagement, den Ideen und der Unermüdlichkeit<br />
von Christen, die sich ehrenamtlich einbringen.<br />
Wo ist mein Platz?<br />
Spätestens jetzt ist klar: Gutes tun kann sehr vielfältig sein. Gerade auch bei einem<br />
so breiten Themenfeld wie globale Gerechtigkeit, in dem es zudem manchmal auch<br />
keine einfachen Antworten gibt. Schnell wird einem bewusst, dass das alles nur <strong>im</strong><br />
Gebet und in Demut vor Gott geschehen kann. Und am Ende muss man vielleicht tatsächlich<br />
fragen, was von all dem Guten für einen „jetzt eigentlich dran“ ist – und ob<br />
mein Engagement am Ende das Label <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> oder Micha-Initiative trägt. Da<br />
ist es beruhigend zu wissen, dass Gott der Handelnde ist und uns mit auf eine Reise<br />
n<strong>im</strong>mt, die uns herausfordern, aber nicht überfordern wird.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 5: GESELLSCHAFT<br />
Foto: Privat<br />
Alexander Gentsch (geboren 1983)<br />
hat bei einem Auslandsjahr in<br />
Kenia seine Leidenschaft für Afrika<br />
und Gerechtigkeit entdeckt und<br />
<strong>im</strong> Anschluss in Bayreuth African<br />
Development Studies studiert. Dem<br />
folgte ein Jahr mit dem Weltbund<br />
der CVJM in Genf und das Master-<br />
Studium Global Studies, was ihn<br />
nach Leipzig, Südafrika und Polen<br />
führte. Seit Mai 2009 koordiniert er<br />
die Micha-Initiative in Deutschland.<br />
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162<br />
Just PEoPlE?<br />
Der Turmbau zu<br />
Babel ist sozusagen<br />
der erste<br />
menschliche Globalisierungsversuch.<br />
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Rolf zwick<br />
Die Kirche kann auch Globalisierung<br />
Die Globalisierung wird als das große Problem und Hindernis in Bezug auf gerechtere<br />
Strukturen in der Welt gesehen. Die Kirchen aber hätten weltweit die besten Voraussetzungen,<br />
eine alternative Globalisierung voranzubringen, die für mehr Gerechtigkeit<br />
sorgen kann.<br />
Allerdings ist auch klar, dass die großen Kirchen in Deutschland auf oft problematische<br />
Weise in die weltweiten Finanzstrukturen verwoben sind. So konnte die Oldenburgische<br />
Landeskirche 2008 4,5 Millionen Euro in den Wind schreiben, die sie bei<br />
der insolvent gegangenen Investmentbank Lehman Brothers angelegt hatte. Das Erzbistum<br />
Köln hofft, seine Schuldverschreibungen in Höhe von 5 Millionen bei Lehman<br />
Brothers wiederzubekommen, weil sie bei der deutschen Niederlassung gebucht wurden<br />
und so vom Einlagensicherungsfond gedeckt sind.<br />
Die Kirchen gehören dazu – eingewoben in das weltweite Finanznetzwerk. Und so<br />
wie jetzt einige Verluste offenbar werden, gehen wir davon aus, dass die deutschen<br />
Kirchen in der Vergangenheit auch <strong>im</strong>mer gut von diesem System profitiert haben –<br />
auch, damit wir Christen in Deutschland zu den Profiteuren der Globalisierung gehören.<br />
Die Gefahren und die Chancen der christlichen Gemeinde möchte ich zwischen den<br />
beiden Polen Babylon und Jerusalem betrachten. Dabei geht es mir um den Turmbau<br />
in Babylon aus dem Buch Genesis <strong>im</strong> Gegensatz zum Pfingsterlebnis der ersten Christen<br />
in Jerusalem.<br />
Der Turmbau zu Babel ist sozusagen der erste menschliche Globalisierungsversuch.<br />
Er widerspricht sehr deutlich der gottgegebenen Version von Freiheit und<br />
Gerechtigkeit.<br />
Die Menschen wollen eine sprachliche und kulturelle Einheit herstellen und göttliche<br />
Macht erringen. Aus Acker- und Weinbauern sind jetzt Stadtbewohner geworden.<br />
Sie beherrschen die Technologie des Ziegelbrennens und wollen als Zeichen<br />
ihrer technologischen Errungenschaften einen Turm bauen, der bis in den H<strong>im</strong>mel<br />
reicht. Gott sieht darin das zerstörerische Machtstreben der Menschen, die durch Vereinheitlichung<br />
von Kultur und Sprache meinen, alles erreichen zu können und sich<br />
nicht mehr an Gottes Weisungen halten zu müssen. Es ist der Versuch, eine Einheitskultur<br />
zu schaffen, die dann die Herrschaft über alle Menschen ermöglicht. Entdeckt<br />
ihr Parallelen?<br />
Gott selbst verhindert das größenwahnsinnige Projekt der Menschen gewaltlos,<br />
indem er ihre Sprachen verwirrt und sie in alle Länder zerstreut.<br />
Bereits zu Beginn also widerspricht das menschliche Streben, Machtverhältnisse zu<br />
eigenen Gunsten zu ordnen, dem Willen Gottes. Globalisierung nach Art des Menschen<br />
ist eine Sache. Gott hat da ganz andere Pläne. Immer wieder in der Geschichte<br />
Gottes mit seinem Volk prallen diese unterschiedlichen Sichtweisen aufeinander. Und<br />
das ist bis heute so.<br />
Wir machen, biblisch gesehen, einen großen Sprung. Zu Pfingsten wird die Sprachenvielfalt<br />
in ganz neuer Weise zu einem Zeichen Gottes: Es ist der Gegenentwurf zum<br />
Turmbau zu Babel. Die unterschiedlichsten Menschen werden Zeuge für das Wirken<br />
des Geistes Gottes. Die Menschen verstehen sich und empfinden Einheit durch den<br />
Heiligen Geist.<br />
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Eine ganz andere Globalisierung n<strong>im</strong>mt hier ihren Lauf. Petrus interpretiert dann<br />
in seiner Pfingstpredigt (nach Apostelgeschichte 2,14-21), dass es um eine grundsätzliche<br />
Erneuerung geht. Dazu zitiert er den Propheten Joel (3,1-5):<br />
„Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine St<strong>im</strong>me und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe<br />
Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine<br />
Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es<br />
doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel<br />
gesagt worden ist: [Joel 3,1-5] ‚Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da<br />
will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter<br />
sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume<br />
haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem<br />
Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am H<strong>im</strong>mel und<br />
Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis<br />
und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn<br />
kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet<br />
werden.‘“<br />
Es ist eine Umkehrung der Machtverhältnisse. Die, die sonst nichts zu sagen haben,<br />
die Jungen, die Alten, die Frauen, Mägde und Knechte, sie sagen die neue Zeit an.<br />
Durch den Geist Gottes entsteht die neue Sozialstruktur, die dann in den folgenden<br />
Kapiteln der Apostelgeschichte in ihren Auswirkungen auf die erste Gemeinde<br />
beschrieben wird.<br />
Hier geht es um gerechte Strukturen, in denen jede und jeder zu seinem Recht<br />
kommt. In vielen Texten des Neuen Testaments ist diese Umkehrung der Machtverhältnisse<br />
Thema. Jesus predigt diese Umkehrung durch seine Gleichnisse und Bildworte,<br />
aber auch in direkter Rede an die Frommen der Zeit. Er unterstreicht diese<br />
Vision vom Reich Gottes durch seine Zeichen und Wunder, die an unterschiedlichen<br />
Stellen das Machtgefüge damals hinterfragen.<br />
Es ist spannend, gerade die so gestellte Machtfrage auf die heutige Diskussion um<br />
weltweite gerechte Strukturen zu übertragen. Denn gerade wenn es um kooperative<br />
Regeln für den Welthandel geht, werden die bestehenden Machtverhältnisse nicht<br />
weiter hinterfragt. Wie können sich denn die Länder der Zweidrittel-Welt bei IWF<br />
(Internationaler Weltwährungsfonds) und Weltbank Gehör verschaffen, wenn die<br />
Industrieländer dort die Macht in Händen halten?<br />
Bei den Verhandlungen über die Neuordnung der Weltwirtschaft müsste eine Bevorzugung<br />
der armen Teilnehmer am Verhandlungstisch stattfinden. Es müsste, so wie<br />
bei Jesus, eine Priorität für die Armen geben. Tatsächlich ist es <strong>im</strong>mer noch umgekehrt.<br />
Das gilt auch für viele Beziehungen zwischen reichen und armen Kirchen weltweit.<br />
Der Wirtschaftswissenschaftler Klaus Lefringhausen hat das mal so ausgedrückt (und<br />
der Evangelist Ulrich Parzany zitiert ihn gern): „Die Vereinbarung zwischen Arm und<br />
Reich zum freien Welthandel ist in etwa wie die Vereinbarung zwischen Frosch und<br />
Storch über die Freiheit bei der Nahrungsmittelsuche.“<br />
Von Babylon bis Pfingsten lässt Gottes Wort keinen Zweifel daran, dass er kulturelle<br />
Vielfalt will, in der nicht eine Kultur über die andere herrscht. Vielmehr sollen diejenigen,<br />
die Macht haben, sie abgeben zugunsten derjenigen, die Unterdrückung erleiden.<br />
Das gilt in der Bibel von Anfang an. Und es gibt keinen Grund, dieses Gebot<br />
Gottes außer Kraft zu setzen, wenn wir über die eine neue Weltwirtschaftsordnung<br />
reden.<br />
Gott ist kein Globalisierungsgegner und Christen müssen es auch nicht sein. Aber sie<br />
sollten Globalisierungskritiker sein.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
„Die Vereinbarung<br />
zwischen Arm und<br />
Reich zum freien<br />
Welthandel ist in<br />
etwa wie die Vereinbarungzwischen<br />
Frosch und<br />
Storch über die<br />
Freiheit bei der<br />
nahrungsmittelsuche.“<br />
Klaus Lefringhausen<br />
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Just PEoPlE?<br />
In zeiten von weltweitenwirtschaftlichen<br />
Umbrüchen<br />
geht es um die<br />
Gerechtigkeit, wie<br />
sie dem Reich Gottes<br />
entspricht.<br />
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Sie sollten sich dafür stark machen, dass sich die globalen Machtverhältnisse in biblischem<br />
Sinne entwickeln. Und das bedeutet dann auf jeden Fall bessere Voraussetzungen<br />
für die Armen zu schaffen – weltweit und bei uns. Christen können deshalb ganz<br />
neue globale Netzwerke schaffen, ob das <strong>im</strong> Bereich der Kirchenverbünde und der<br />
weltweit vernetzten Vereine passiert oder speziell zu Fragen der Gerechtigkeit zum<br />
Beispiel mit der Micha-Initiative. Zeichenhaft kann diese Gemeinschaft auch vor Ort<br />
mit Menschen aller Nationen entstehen, die in unserer Nachbarschaft wohnen.<br />
Nun sind natürlich ganz schnell diejenigen auf dem Plan, die eine Politisierung des<br />
Evangeliums befürchten und gerne eine Priorität für die Verkündigung gegen das<br />
Engagement für Gerechtigkeit ausspielen wollen.<br />
Aber Jesus selbst fordert uns dazu auf, in alle Welt zu gehen und sein Evangelium zu<br />
verkündigen. Der Missionsbefehl aus Matthäus 28 („Gehet hin in alle Welt“) beinhaltet<br />
eben auch alles, was Jesus gelehrt hat. Und so gab es seit der Auferstehung Jesu eine<br />
globale Bewegung für das Reich Gottes. Und die Kirche darf man getrost als erste multi-<br />
nationale Organisation in der Geschichte bezeichnen. Denn sie reichte auch weiter<br />
als das scheinbar allmächtige Römische Reich.<br />
Bis heute werden <strong>im</strong>mer die neuesten technischen Errungenschaften genutzt, um das<br />
Evangelium in den letzten Winkeln der Erde zu verkündigen. Das war schon <strong>im</strong>mer<br />
so, ob in der Reformation mit dem Buchdruck oder heute durch das Internet.<br />
Natürlich dürfen wir nicht verdrängen, dass auch kirchliche Strukturen und die<br />
Mission für machtpolitische Zwecke missbraucht worden sind. Aber die Verkündigung<br />
des Evangeliums darf vom Inhalt her nie bestehende Ungerechtigkeiten unterstützen<br />
oder ignorieren, sondern muss versöhnend und verändernd wirken.<br />
In der weltweiten Lausanner Bewegung und der Weltweiten Evangelischen Allianz<br />
(WEA) zum Beispiel wird die verändernde Wirkung des Evangeliums mit dem Begriff<br />
„Transformation“ beschrieben. Auf einer WEA-Konferenz <strong>im</strong> Jahr 1983 hieß es: 1<br />
„Gemäß der biblischen Sicht des menschlichen Lebens ist Transformation der Wechsel<br />
von einer Existenz gegen Gottes Willen zu einem Leben, das die Fülle des Lebens in<br />
Einklang mit Gott selbst bedeutet (Johannes 10,10; Kolosser 3,8-15; Epheser 4,13).“<br />
Seit dieser Zeit ist Transformation <strong>im</strong> Sinne einer ganzheitlichen Sendung als Begriff<br />
gebraucht worden, der die Integration von Evangelisation und sozialem Engagement<br />
beschreibt. Dabei wird dieser Begriff sowohl für die Veränderung der Menschen als<br />
auch die Veränderung ganzer Gemeinschaften, Stadtteile, Dörfer oder Städte und<br />
eben auch der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen gebraucht.<br />
Es gibt keinen Lebensbereich, der für die Mission Priorität hat, weil die Herrschaft<br />
Jesu Christi für alle wirtschaftlichen, religiösen, persönlichen und politischen Aspekte<br />
des Lebens gleichermaßen gilt. Es kommt auf den jeweiligen Kontext an. In den Zeiten<br />
der Apartheid war das Zeugnis von der Gleichheit aller Menschen vor Gott entscheidend,<br />
in Zeiten des Krieges und der Kriegstreiberei das Zeugnis vom biblischen<br />
Shalom. In Zeiten der Ausländerfeindlichkeit ist die verändernde Botschaft die von<br />
der Gastfreundschaft und Liebe Gottes. In Zeiten von weltweiten wirtschaftlichen<br />
Umbrüchen geht es um die Gerechtigkeit, wie sie dem Reich Gottes entspricht.<br />
Die Transformation, sowohl <strong>im</strong> persönlichen als auch <strong>im</strong> politischen Bereich, beginnt<br />
hier und heute, wird aber erst in der Ewigkeit vollendet. Die Zukunft hinterlässt ihre<br />
Spuren in der Gegenwart:<br />
1 Vgl. Samuel, Vinay und Sugden, Christopher (Hg.), The Church in Response to Human<br />
Need, Eugene/oregon, 2003.<br />
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„Wir alle sehen mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel.<br />
Dabei werden wir selbst in sein Bild verwandelt [transformiert] und bekommen mehr<br />
und mehr Anteil an seiner Herrlichkeit“ (2. Korinther 3,18).<br />
Die Best<strong>im</strong>mung des Verhältnisses von Evangelisation und sozialer Verantwortung<br />
durch den Begriff Transformation macht die Diskussion darüber überflüssig, ob nicht<br />
die Verkündigung <strong>im</strong>mer Priorität vor allem anderen haben müsse. Es geht hier um<br />
integrale Mission, um die Veränderung, die nicht auf einzelne Bereiche des Individuums<br />
beschränkt werden darf. Der Begriff integrale Mission ist vor allem in der theologischen<br />
Grundlegung für die Micha-Initiative das Leitmotiv.<br />
Gerade in Missionsgesellschaften, insbesondere evangelikaler Prägung, wird <strong>im</strong>mer<br />
wieder die Priorität der Verkündigung betont. Gleichzeitig aber belegen Untersuchungen,<br />
dass in missionarischen Projekten weltweit nur etwa 10 Prozent der Zeit auf<br />
die Evangelisation verwandt wurde und 90 Prozent darauf, die Lebensumstände der<br />
Menschen zu verändern. 2<br />
Wenn Kirchen und Gemeinden Mission als Transformation verstehen, sich weltweit<br />
mit anderen Kirchen und Gemeinden vernetzen und diese Perspektive des Reiches<br />
Gottes in die Tat umsetzen, wird es große Fortschritte in Richtung einer gerechteren<br />
Welt <strong>im</strong> Sinne des biblischen Zeugnisses geben.<br />
Als Micha-Initiative verstehen wir uns als Teil dieser Reich-Gottes-Bewegung, die<br />
auch für eine andere Globalisierung steht.<br />
2 Vgl. Samuel, Vinay und Sugden, Chris, Mission as Transformation: A Theology of the<br />
Whole Gospel, oxford, 1999.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
Foto: Privat<br />
Rolf Zwick (geboren 1956) ist<br />
Jugendpfarrer des Weigle-Hauses<br />
in Essen, eines evangelischen<br />
Jugendhauses, das schon seit<br />
Jahrzehnten versucht, <strong>im</strong>mer wieder<br />
auf die sich wandelnden sozialen<br />
und geistlichen Bedürfnisse von<br />
Jugendlichen einzugehen.<br />
Dass Gerechtigkeit ein großes<br />
Thema für Kirchen und Christen ist,<br />
hat er vor allem während der Apartheid<br />
in Südafrika und bei Begegnungen<br />
mit Christen aus dem globalen<br />
Süden gemerkt. Rolf zwick<br />
ist Vorsitzender des Arbeitskreises<br />
Micha-Initiative.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Wenn wir bereit<br />
sind zum Geben,<br />
wird Gott durch uns<br />
und unsere Gaben<br />
wirken.<br />
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Martin Bühlmann<br />
Gerechtigkeit<br />
Als Jesus von einem Schriftgelehrten gefragt wurde, welches von den vielen Geboten<br />
der Bibel eigentlich das wichtigste sei, antwortete Jesus mit dem berühmten „Du<br />
sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit<br />
all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das<br />
zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 1 Ich habe mich mit der<br />
Frage befasst, wer mein Nächster sein könnte und wie diese Nächstenliebe, zu der ich<br />
als Christ aufgefordert bin, aussehen könnte. Als meine Nächsten sind sicher zuerst<br />
einmal die Menschen zu nennen, die sich in meinem unmittelbaren Umfeld befinden.<br />
Ich denke da etwa an Ehepartner, Familie, Freundinnen und Freunde. Im Zusammenhang<br />
dieses Artikels über Gerechtigkeit sehe ich aber pr<strong>im</strong>är und allgemein Menschen<br />
in Not als meine Nächsten.<br />
Wir lesen in der Bibel <strong>im</strong>mer wieder, wie Gott sich den Armen und Ausgegrenzten,<br />
den Menschen in Not, zugewandt hat. Jesu Nächste waren nicht bloß seine Jünger<br />
– auch dem Bettler am Tor zum Tempel oder den fünftausend hungrigen Menschen<br />
wandte er sich helfend zu, also allen Menschen, denen er begegnete und die<br />
Hilfe brauchten – unabhängig davon, ob sie ihn kannten, und unabhängig von den<br />
Gründen, warum diese Nächsten in einer Notlage steckten. Wenn wir den helfenden,<br />
den eingreifenden Jesus betrachten, sehen wir, dass es um mehr geht als menschlich<br />
oder weltlich zu helfen. Vielmehr geht es darum, Gottes Gerechtigkeit und Liebe weiterzutragen<br />
„wie <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel so auf Erden“: In der Geschichte der 5.000 Menschen,<br />
die Essen bekamen, brauchte Jesus die Bereitschaft eines Jungen, helfen zu wollen.<br />
Dieser Junge gab, was er hatte, und stellte es Jesus zur Verfügung, sodass es auf<br />
h<strong>im</strong>mlische Art und Weise vervielfacht wurde. Das bescheidene Geben dieses Jungen<br />
zeigt uns, dass wir uns nicht aus der Verantwortung ziehen können. Wir sollen geben!<br />
Wenn wir bereit sind zum Geben, wird Gott durch uns und unsere Gaben wirken. Für<br />
dich und mich geht es darum, dass wir uns an Gottes Herz orientieren: Wie fühlt Gott<br />
sich wohl bei dieser und jener Situation? Was möchte er, dass ich in dieser Situation<br />
tue? Wir als Töchter und Söhne Gottes haben die unglaubliche Möglichkeit, unser<br />
Herz mit seinem abzugleichen und unsere Sicht korrigieren zu lassen, unsere Augen<br />
und Herzen aufgehen zu lassen.<br />
Im Lukasevangelium folgt auf das wichtigste Gebot die Antwort auf die Frage, wer<br />
denn als unsere Nächste, als unser Nächster anzusehen ist. Im Gleichnis des barmherzigen<br />
Samariters zeigt Jesus auf, dass jeder, der in Not ist, der uns begegnet, als unser<br />
Nächster zu verstehen ist. Wenn wir also um die Not eines Menschen wissen und nicht<br />
handeln, sind wir wie der Priester, der am überfallenen, verletzten Mann vorübergeht.<br />
Wenn uns, um ein Beispiel zu nennen, ein drogensüchtiger Mann am Bahnhof<br />
um Kleingeld anbettelt, so haben wir meist alle unsere Prinzipien, wie wir auf so eine<br />
Situation reagieren: „Ich gebe prinzipiell nie“ oder „Ich gebe <strong>im</strong>mer“ oder „Ich gebe<br />
einmal pro Woche“. Be<strong>im</strong> Streben nach Gerechtigkeit geht es nun nicht darum herauszufinden,<br />
ob Christen prinzipiell <strong>im</strong>mer so oder anders handeln sollen. Wir müssen<br />
unsere Herzenshaltung überprüfen: Lasse ich mich von Gott gebrauchen? Dies<br />
können wir üben, indem wir auf Gottes St<strong>im</strong>me zu hören versuchen, wenn wir zum<br />
Beispiel jemanden sehen, die oder der uns gleich anbetteln wird. Dann werden wir<br />
vielleicht der Person kurz zuhören, ihr etwas Ermutigendes sagen, ihr etwas kaufen<br />
oder Geld geben. Vor allem aber sollen wir von unserer selbstgerechten Haltung wegkommen.<br />
Wenn ich denke, ich arbeite ja auch für mein Geld, dann ist das absolut<br />
1 Matthäus 22,37-39.<br />
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richtig! Aber Jesus liebt gerade die, die es nicht schaffen, die versagen und die nicht<br />
mehr aus ihrer Lage herauskommen. Unsere menschlichen Reaktionen mögen richtig<br />
sein – natürlich haben wir recht! Doch wollen wir nicht lieber über-natürlich leben?<br />
Wir wollen als lokale Gemeinde so leben, dass unser Glaube einen Unterschied macht.<br />
Also wollen wir uns mit der Gesellschaft, in der wir leben, und speziell mit ihrer Not<br />
auseinandersetzen und Wege finden, wie wir dieser Not begegnen können.<br />
Um die Not der Gesellschaft, in der die meisten von uns leben, zu veranschaulichen:<br />
Im Jahr 2005 befanden sich 13,2 Prozent der deutschen Bevölkerung – das sind 10,6<br />
Millionen Menschen – in Armut und insgesamt 34,4 Prozent der Menschen waren <strong>im</strong><br />
Niedrigeinkommensbereich tätig. 2 In der Schweiz waren <strong>im</strong> selben Jahr 360.000 Personen<br />
(8,5 Prozent) <strong>im</strong> Alter von 20 bis 59 Jahren von Armut betroffen; davon fielen<br />
12.000 in die Kategorie der Workingpoor. Das sind Menschen, die in einem Haushalt<br />
leben, in dem die Summe der geleisteten Arbeitsstunden aller Bewohner mindestens<br />
36 Stunden beträgt, aber dennoch nicht genügend Geld zusammenkommt, um über<br />
der Armutsgrenze zu sein. 3 Solche Zahlen st<strong>im</strong>men mich nachdenklich. Offensichtlich<br />
ist Armut für viele Menschen in unserem lokalen Umfeld eine Realität. Wie können<br />
wir dieser Not begegnen?<br />
Um eine Hilfe zu sein, um Gerechtigkeit zu schaffen, gibt es verschiedene Möglichkeiten.<br />
Wir können zum Beispiel Organisationen unterstützen, die sich um arme<br />
Menschen kümmern, oder können in unserer lokalen Gemeinde einen Barmherzigkeitsdienst<br />
anfangen. Solche praktischen Hilfeleistungen sind notwendig, aber als<br />
Christinnen und Christen sind wir herausgefordert, nicht dabei stehenzubleiben. Lieben<br />
erschöpft sich nicht <strong>im</strong> Geben. Es stellt sich nämlich darüber hinaus die Frage,<br />
ob wir bereit sind, den Menschen in Not zu begegnen, uns berührbar zu machen und<br />
zuzuhören. Oft liegt nämlich die Not nicht nur <strong>im</strong> finanziellen Bereich. So braucht<br />
zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter nicht bloß Unterstützung in Form von<br />
Geld, sondern auch jemanden, der sich um ihre Kinder kümmert, ihr zuhört und ein<br />
offenes Herz für sie hat. Noch viel deutlicher wird dieser Punkt an einem anderen Beispiel:<br />
In unserer Gemeinde kommt regelmäßig nach den Gottesdiensten eine drogenabhängige<br />
Frau zu mir, will mit mir sprechen und für sich beten lassen. Was also ist<br />
es, das diese Frau sucht und braucht, ist es Hilfe in Form von Geld? Sicherlich nicht,<br />
denn was sie sucht, ist Zuwendung, Menschen, die ihr zuhören und sie annehmen<br />
so wie sie ist, die sie in ihren Herausforderungen ernst nehmen und sie begleiten. So<br />
wende ich mich ihr zu, nehme sie in meine Arme und bete für sie. Auch wenn Formen<br />
der organisierten Hilfe unabdingbar sind, lässt sich die Verantwortung, die wir als<br />
Christen gegenüber Menschen in Not haben, nicht an Organisationen und Institutionen<br />
delegieren. Schließlich gilt das Liebesgebot allen. Ich bin als Einzelner herausgefordert,<br />
mich in meiner Umgebung umzusehen und auf die Not, die mir begegnet,<br />
zu reagieren. Vielleicht wohnt ja nebenan so eine alleinerziehende Mutter, die froh<br />
wäre, wenn ich ihre Kinder hüten würde. Wir sehen also, dass es darum geht, die<br />
Augen offen zu halten und berührbar zu bleiben. So kann die Liebe, die wir aufgefordert<br />
sind zu leben, bis zu meinem Nächsten durchdringen.<br />
Wir können gut <strong>im</strong> Kleinen anfangen, berührbar zu sein, auf Gott zu hören und seine<br />
Liebe und Gerechtigkeit zu leben. Denn Gründe, weshalb wir jemandem nicht dienen<br />
können, wird es <strong>im</strong>mer geben: keine Zeit, kein Geld, keine Sprachkenntnisse, keine<br />
richtigen Worte, keinen Mut und vieles mehr. Doch wir sind Kinder des mächtigen<br />
Gottes, der in unserer Schwachheit stark ist! In der Bibel finden wir als ein Beispiel<br />
2 http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Querschnittsveroeffentlichungen/Datenreport/Downloads/<br />
DEinkommen,property=file.pdf, 09.02.2009.<br />
3 http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.Document.89824.<br />
pdf, 09.02.2009.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
Unsere menschlichen<br />
Reaktionen<br />
mögen richtig sein<br />
– natürlich haben<br />
wir recht! Doch<br />
wollen wir nicht<br />
lieber über-<br />
natürlich leben?<br />
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Just PEoPlE?<br />
Es ist zum Beispiel<br />
absurd, eine<br />
Asyl- und Migrationsdebatte<br />
ohne<br />
Einbezug von wirtschaftlicherPerspektivlosigkeit<br />
in<br />
Auswanderungsländern<br />
zu führen.<br />
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dafür die Witwe, die keinen Geldbetrag spenden konnte, der wirklich weiterhilft, sondern<br />
nur ein wenig Kleingeld. Jedoch stellte sie das Geld Gott zur Verfügung und hat<br />
Gott nicht die Macht, das, was wir geben, zu vervielfachen? Der Geldbetrag spielt<br />
keine pr<strong>im</strong>äre Rolle be<strong>im</strong> Investieren in Gottes Reich, be<strong>im</strong> Herstellen von Gerechtigkeit.<br />
Wichtig sind unser Herz und unsere Beziehung zu Gott. Erst so kann die Entscheidung<br />
fallen: Doch, ich gebe! Auch wenn unzählige menschliche Gründe dagegen-<br />
sprechen. Noch einmal: Unsere weltliche Hilfe ist gut und unsere Beziehung mit Gott<br />
<strong>im</strong>mer wichtig – wenn diese zwei Bereiche verschmelzen, wenn wir Gott in unser Tun<br />
lassen und unser Tun von Gott leiten lassen, dann werden seine Kraft und Liebe durch<br />
uns fließen können!<br />
Neben praktischer Hilfe und persönlicher Zuwendung gibt es noch andere Möglichkeiten,<br />
wie wir Menschen in Not, die in unserem Umfeld leben, helfen können,<br />
nämlich indem wir uns auch politisch für die Rechte der Ausgegrenzten, der Armen<br />
und Bedürftigen einsetzen. Hierbei geht es mir weniger um Ideologien oder politische<br />
Ansichten, sondern vielmehr um die Frage, welches unsere politische Verantwortung<br />
den Armen gegenüber ist. Dass göttlich verstandene Gerechtigkeit nämlich <strong>im</strong>mer<br />
auch eine politische D<strong>im</strong>ension hat, sehen wir häufig <strong>im</strong> Alten Testament. So lesen<br />
wir in Jesaja 10,1-2: „Weh denen, die unheilvolle Gesetze erlassen und unerträgliche Vorschriften<br />
machen, um die Schwachen vom Gericht fern zu halten und den Armen meines<br />
Volkes ihr Recht zu rauben, um die Witwen auszubeuten und die Waisen auszuplündern.“<br />
Das Recht der am Rande Stehenden scheint Gott sehr wichtig zu sein – so wichtig,<br />
dass er jenen droht, die den Schwachen ihr Recht verwehren. Könnten wir dieses<br />
Anliegen Gottes sogar so verstehen, dass die politischen Rechte der Schwächeren mir<br />
wichtiger sein sollen als meine eigenen beziehungsweise mein eigener Vorteil? So<br />
oder so kommen wir nicht darum herum, unsere politischen Überzeugungen daraufhin<br />
zu prüfen, wessen Anliegen wir dabei ins Zentrum stellen. Setzen wir uns für die<br />
Menschen ein, die benachteiligt sind, die selber keine St<strong>im</strong>me haben? Informiere ich<br />
mich über Themen, die solche Menschen betreffen? Und lasse ich mich in meinen<br />
politischen Ansichten davon herausfordern?<br />
Komischerweise begegnet uns die Not in unserem Umfeld oft weniger stark als die Not<br />
in Entwicklungsländern. Dies mag an den Massenmedien liegen, sicher aber daran,<br />
dass in vielen Drittweltländern die Armut erdrückend groß ist. Da sie mir durch Werbung<br />
einer Hilfsorganisation, durch die Nachrichten oder durch Immigranten <strong>im</strong>mer<br />
wieder begegnet, komme ich nicht darum herum, auf sie zu reagieren. Ich kann nicht<br />
weitergehen mit der Einstellung, es solle sich jemand anderes darum kümmern, denn<br />
auch hier bin ich gefordert, mich mit der Not auseinanderzusetzen, um ihr entgegenwirken<br />
zu können.<br />
Im Jahr 2005 belief sich die öffentliche Entwicklungshilfe aller Industriestaaten<br />
des Nordens an die 122 Länder der Dritten Welt auf 58 Milliarden US-Dollar. In demselben<br />
Jahr überwiesen diese Länder der Dritten Welt 482 (!) Milliarden US-Dollar<br />
Schuldendienst an die Banken des Nordens. Es leben heute etwa 1,8 Milliarden Menschen<br />
in äußerstem Elend mit weniger als einem Dollar pro Tag; gleichzeitig verdienen<br />
1 Prozent der Weltbevölkerung so viel wie 57 Prozent der Ärmsten dieser Erde. 4<br />
Dass wir als Bürgerinnen und Bürger eines dieser Länder des Nordens eine globale<br />
Verantwortung haben, lässt sich angesichts dieser Zahlen nicht abstreiten – zumal<br />
wir <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum zu den reichsten 5 Prozent der Menschheit gehören.<br />
In unserem globalen Zeitalter sind die Zusammenhänge so komplex, dass sich eine<br />
Thematik oft nicht isoliert von anderen erklären lässt. Es ist zum Beispiel absurd, eine<br />
Asyl- und Migrationsdebatte ohne Einbezug von wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit<br />
in Auswanderungsländern zu führen. Diese hängt nicht nur mit Korruption, sondern<br />
auch mit mangelnder Bildung, mangelnder Gesundheit und schließlich auch mit der<br />
Verschuldung zusammen. Wir wissen, dass achtmal mehr Geld durch Schuldendienst<br />
in westliche Länder zurückfließt, als Drittweltländer an Entwicklungshilfe erhalten.<br />
4 ziegler, Jean, Das Imperium der Schande, München, 2005.<br />
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Können wir, wenn wir solche Fakten kennen, noch von einer „gerechten Ordnung“<br />
sprechen? Könnte eine Haltung, die nichts dagegen unternehmen will, nicht sogar<br />
unterlassene Hilfeleistung sein? Wenn wir aber mit dem Ausmaß der Not konfrontiert<br />
werden, fragen wir uns schnell einmal, ob Veränderung wirklich möglich ist. Dabei<br />
sollte nicht diese Frage ins Zentrum gestellt werden und unser Handeln best<strong>im</strong>men<br />
– dass die Lage aussichtslos scheint, ist klar. Vielmehr geht es um unsere Verantwortung<br />
für Gottes Schöpfung, für die von ihm gemachten und geliebten Menschen. Als<br />
Christen und somit auch als Gemeinde haben wir die Verantwortung, ein Spiegel Gottes<br />
zu sein – in allen Bereichen. Wir haben einen klaren Auftrag – Gott, unseren Vater,<br />
von ganzem Herzen zu lieben und unsere Nächsten wie uns selbst – und es geht nicht<br />
um unsere Möglichkeiten, sondern um unsere Bereitschaft, in seinen Möglichkeiten<br />
zu leben, uns <strong>im</strong> Großen wie <strong>im</strong> Kleinen dem allmächtigen Gott zur Verfügung zu<br />
stellen. Nachdem wir einen Blick auf unsere globale Verantwortung geworfen haben,<br />
was also können wir konkret tun?<br />
Zusätzlich dazu, dass wir uns überhaupt über die globalen D<strong>im</strong>ensionen der Armut<br />
informieren und dieses Thema in unseren Gemeinden ansprechen, können wir Initiativen<br />
wie die Micha-Initiative und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> unterstützen, welche sich für die<br />
Sache der Ärmsten einsetzen. Auch in unserem Alltag gibt es Gelegenheiten, sich für<br />
mehr Gerechtigkeit einzusetzen, zum Beispiel bei den anfallenden Einkäufen: Ist es<br />
mir wichtig, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, die an der Produktion eines Konsumguts<br />
beteiligt waren, auch richtig entlohnt werden? FairTrade ist nicht einfach ein<br />
nettes Etikett, sondern die Garantie, dass jede beteiligte Arbeiterin und jeder beteiligte<br />
Arbeiter angemessen entlohnt wird. Diese Sicherheit haben wir bei anderen Produkten<br />
nicht. Indem ich also einen für mich kleinen Aufpreis für FairTrade-Produkte<br />
zahle, kann ich schon sicherstellen, dass mehr und mehr Produzenten von meinen<br />
Konsumgütern angemessen entlohnt werden, dass ihre Kinder zur Schule gehen können.<br />
Ich schenke mit meinem Einkauf Perspektive!<br />
Weiter kann ich mich fragen, warum meistens einhe<strong>im</strong>isches Gemüse teurer ist als<br />
<strong>im</strong>portiertes. Neben Tiefstlöhnen und billiger, umweltschädlicher Produktion spielen<br />
auch staatliche Subventionen eine wichtige Rolle auf dem internationalen Agrarmarkt.<br />
So verlangen die meisten westlichen reichen Länder als Gegenleistung für Entwicklungshilfe<br />
oder Kredite, dass die kreditbeantragenden Länder Zollgebühren für<br />
Gemüse aus den reichen Ländern massiv senken oder ganz weglassen. Dadurch ist<br />
Gemüse aus Europa auf afrikanischen Märkten billiger als einhe<strong>im</strong>ische Produkte. In<br />
weiten Teilen Afrikas wird so die Landwirtschaft und somit ein wichtiges Standbein<br />
der jeweiligen Länder ruiniert. Wollen wir dies durch Käufe solcher subventionierter<br />
Produkte unterstützen?<br />
Als Gemeinde bieten sich uns <strong>im</strong>mer wieder Gelegenheiten, Armut zum Thema zu<br />
machen – sei es innerhalb von Gottesdiensten oder in speziellen Veranstaltungen. Wir<br />
können uns auch nach Gottes Perspektive ausstrecken, indem wir Gebetskreise gründen,<br />
in denen spezifisch für diese Thematik gebetet wird. In der Vineyard Bern haben<br />
wir eine Gruppe von Menschen, die sich für Mikrokredite für Menschen in Togo einsetzen.<br />
So haben wir viele unterschiedliche, wunderbare Möglichkeiten, uns lokal<br />
oder global nach Gottes Gerechtigkeit auszustrecken und seine Liebe zu leben.<br />
Wir als Christen sind aufgefordert, unseren Nächsten zu lieben. Unser Nächster ist<br />
der, der mir begegnet – wie mein Nachbar oder die hungerleidende Frau auf der Broschüre<br />
einer Hilfsorganisation. Das Wissen um die Not meiner Nächsten bringt Verantwortung<br />
mit sich. Ich bin nämlich herausgefordert, mich mit dieser Not auseinanderzusetzen<br />
und nach bestem Wissen und Gewissen diese meine Nächsten zu lieben<br />
– mit all meinen Möglichkeiten!<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
Foto: fortiss<strong>im</strong>o<br />
Martin Bühlmann (geboren 1955)<br />
ist Gründer und Leiter von Vineyard<br />
Bern, Leiter von Vineyard Berlin<br />
und von Vineyard D.A.CH.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Du kannst nicht<br />
Lobpreislieder singen<br />
und vorbeigehen,<br />
wenn andere<br />
verwundet sind.<br />
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Christina Brudereck<br />
Wer in Gott eintaucht, wird neben den<br />
Armen auftauchen<br />
Jesus war unterwegs. Er hatte in dieser Welt kein Zuhause. Keine feste Adresse. Kein<br />
eigenes Z<strong>im</strong>mer und kein eigenes Bett. Keine Lieblingstasse <strong>im</strong> Schrank. Er war darauf<br />
angewiesen, dass andere ihr Zuhause mit ihm teilten. Ihm ein Bett für die Nacht<br />
gaben. In ihrer Küche etwas zu essen kochten. Da heißt es, dass er oft in Bethanien<br />
war. Im Haus von drei Geschwistern: Maria, Martha und Lazarus.<br />
Eines Tages ist Jesus hier wieder zu Gast. Maria sitzt ihm zu Füßen und Martha arbeitet.<br />
Das hätte ruhig so weitergehen können; vielleicht war die Rollenverteilung klar.<br />
Aber dieses Mal beschwert sich Martha. So wurde mir die Geschichte <strong>im</strong>mer erzählt.<br />
Da gab es eine hübsche Maria, die alles richtig machte, und eine ältere Schwester<br />
Martha, die zwar sehr viel schuftete, aber am Ende das Wesentliche verpasste.<br />
Ich mochte diese Geschichte nicht. Denn ich mochte zwar Maria. Oh ja. Sehr sogar.<br />
Maria aus Bethanien. An anderer Stelle salbt sie Jesus die Füße. Sie muss weinen, so<br />
überwältigt ist sie von ihren Gefühlen ihm gegenüber. Sie verdankt ihm alles. Sie liebt<br />
viel, weil ihr viel vergeben wurde. Ich mochte, dass sie sich Zeit n<strong>im</strong>mt für Jesus. Ihm<br />
zuhört. Genau nachfragt. Wie in einer Bibelschule nur für sie alleine. Eine wunderschöne<br />
Vorstellung für mich. Aber es blieb ein blödes Gefühl, weil Martha so abgekanzelt<br />
worden war. Man sah sie vor sich: in der Küche, am Feuer, sie schwitzte und<br />
mühte sich, sie war <strong>im</strong> Stress.<br />
Könnte mal einer helfen? Mit anpacken?<br />
Was war so schlecht an der Idee, sie würden alle drei Kartoffeln schälen und dabei<br />
weiterreden? Schließlich muss die Arbeit getan werden. Ich mochte Maria. Martha<br />
tat mir leid.<br />
Lukas, der diese Geschichte aufschrieb, brachte das Ganze für mich in Balance. Denn<br />
die Geschichte der beiden Schwestern ist eingerahmt. Sie steht nicht für sich. Sie ist<br />
eingewoben in andere Dinge, die Jesus getan und gesagt hat. Dieser strenge Satz<br />
„Maria hat das gute Teil erwählt“ ist eingehüllt in mehr. Interessant, was da vorher<br />
und anschließend steht. Das „Vater Unser“ und „Das Gleichnis vom barmherzigen<br />
Samariter“.<br />
Hier entdecken wir: Jesus bringt uns ins Gleichgewicht. Er betont, wie wichtig<br />
das Beten ist. Das Hören. Die Beziehung zu Gott. Und das andere ist dem gleich und<br />
genauso wichtig: Die Beziehung zum Nächsten. Beten oder helfen, das sind keine<br />
Alternativen. Nur beide Schwestern gemeinsam beherbergen Jesus. Er war nicht<br />
alleine bei Maria zu Gast. Er besuchte sie beide.<br />
„Vater unser“ und „Barmherziger samariter“<br />
„Vater Unser“ und „Barmherziger Samariter“. Du kannst nicht beten, aber dich raushalten,<br />
wenn jemand auf der Straße liegt. Das ist die Botschaft an die Maria in uns.<br />
Und die Botschaft an die Martha in uns: Neben deiner Liebe zu den Armen brauchst<br />
du eine Quelle, die dir Kraft gibt, durchzuhalten; das ist Gott selbst.<br />
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Ein Priester und ein Oberpriester gehen an dem Verletzten vorbei. Sie, die genau<br />
wissen, was die Gebote sagen, die die Bibel kennen, kriegen die Liebe nicht von der<br />
Theorie in die Praxis, vom Kopf ins Herz und in die Hände, ins Portemonnaie. Du<br />
kannst nicht Lobpreislieder singen und vorbeigehen, wenn andere verwundet sind.<br />
Von einer Schlägerei zwischen zwei Jugendbanden. Oder verletzt von einer Bombe.<br />
In einem der vielen Kriege. Es lässt die Martha in dir nicht ruhig schlafen. Und sie hat<br />
recht.<br />
Ein Samariter, ein Außenseiter, hilft und wird zum Vorbild. Ihm sagt Jesus: Wenn<br />
du dich kümmerst, weil das Leid, das du siehst, dich in Aktion bringt, du Wunden<br />
heilst, zuhörst, dein Geld teilst, engagiert bist, für Kinder, Teens, deinen Stadtteil, für<br />
Gerechtigkeit, für Frieden, für alte Menschen, Asylbewerber, Aidswaisen, Arbeitslose<br />
– dann gibt es eine große Einladung: Mach es nicht aus eigener Kraft. Du bist nicht<br />
alleine. Du kannst beten, alles mit Gott besprechen. Dich an ihn anlehnen, bei ihm<br />
ausruhen und auftanken.<br />
Evangelikal oder sozial?<br />
Evangelikal oder sozial? Das sind keine Alternativen. Das gehört zusammen. Wie zwei<br />
Schwestern. Einseitigkeit zerstört die Balance von Jesus. Wer in Gott eintaucht, wird<br />
neben den Armen auftauchen. Das ist die jesuanische Bewegung. Sein Grundmotiv.<br />
Immer wieder nah am Herzen Gottes sein und dann Liebe weiterschenken.<br />
Jesus sprach vom Brot des Lebens und hat den Zuhörenden zu essen gegeben. Brot<br />
des Lebens: Maria war glücklich und verstand sofort. Aber hungrig kann man so<br />
schlecht zuhören. Martha kümmerte sich um die leiblichen Sorgen.<br />
Jesus hat sich in die Stille zurückgezogen, auf einen Berg, in einen Garten, am frühen<br />
Morgen Zeit mit Gott verbracht, weit weg von den Massen; dann ist er <strong>im</strong>mer wieder<br />
zurückgekommen; zu den Menschen, die ihn brauchten; Kinder, Frauen, Outcasts,<br />
suchende Gelehrte, Kranke, Arme. Er hat in Balance gelebt.<br />
War er evangelikal? Nun – das Evangelium war das Wichtigste für ihn, die gute Nachricht<br />
von der Liebe Gottes. War er evangelikal? Er war Evangelium; selber eine gute<br />
Nachricht.<br />
War er sozial? Er hat nicht für sich gelebt, sondern geteilt, was er liebt. Er war<br />
zugänglich, für alle, ohne Bedingung. Er hat in Gemeinschaft gelebt, ein großer<br />
Schenker und Ermöglicher. Er war ein Mensch in Balance. Ein Liebender. Die vier<br />
Weisen der Liebe hat er alle vollkommen gelebt: Gottesliebe, Nächstenliebe, Selbstliebe,<br />
Entfeindungsliebe. Gott ganz zugeneigt. Für den Nächsten da. Seiner selbst<br />
gewiss. Und hat seine Feinde geliebt, diese Welt versöhnt, als alles dunkel war, weitergeliebt.<br />
Als ich in Südafrika lebte, habe ich einen Prediger kennengelernt, der hatte in seiner<br />
Bibel alle Stellen markiert, in denen es um Gerechtigkeit geht. Um die Armen.<br />
Zum Beispiel um die Versorgung der Witwen. Um die Waisen. Die vielen Kinder ohne<br />
Eltern. Um Ausgleich. Um Entschuldung. Ums Teilen. Um die Gefahr des Reichtums.<br />
Um die Macht des Mammons, des Geldes. Um Frieden, um Gewalt. Dann hatte er<br />
diese Stellen ausgeschnitten. Die Bibel dieses Predigers war eine Bibel voller Löcher.<br />
Total zerfleddert. Er war selber weiß und gut ausgebildet. Und sagte zu den weißen,<br />
reichen, frommen Christen Südafrikas: Das ist die Bibel, die ihr lest. Sie hat lauter<br />
Löcher. Ihr habt sie mit eurem Verhalten kaputt gemacht. Wenn ihr betet: „Vater Unser<br />
<strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel…“, dann ist es auch der Vater der schwarzen Kinder <strong>im</strong> Slum nebenan.<br />
Aber sie werden euch nur glauben, wenn ihr von Gott, dem Vater redet, wenn ihr wei-<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
War Jesus evangelikal?<br />
– Er war<br />
Evangelium; selber<br />
eine gute nachricht.<br />
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Just PEoPlE?<br />
Gebet und Aktion<br />
brauchen sich<br />
gegenseitig. Sie<br />
gehören zu einer<br />
Familie. Wer in<br />
Gott eintaucht, wird<br />
bei Menschen auftauchen.<br />
Immer,<br />
<strong>im</strong>mer wieder.<br />
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terbetet: „Unser! tägliches Brot gib uns heute…“ Wenn ihr nicht nur an euer eigenes<br />
Brot denkt, sondern an Brot für alle. Sonst seid ihr unglaubwürdig. Entweder teilen<br />
wir oder wir sind Diebe.<br />
so eng wie zwei schwestern<br />
Das Gebet und die Aktion gehören zusammen. So eng wie zwei Schwestern. Lobpreis,<br />
singen, Jesus sagen, dass wir ihn lieben und ehren und politisches Interesse, wählen<br />
gehen, seine St<strong>im</strong>me nutzen. Evangelisation und Entwicklungshilfe. Bibel lesen<br />
und Zeitung lesen. Wasser des Lebens und Brunnenprojekte mit Trinkwasser. Gottesdienst<br />
und Politik. Schweigezeiten, Meditation, Stille und demonstrieren gehen.<br />
Sich segnen lassen und sich einmischen, mitdiskutieren. Sich Frieden zusprechen<br />
und Friedensdienst.<br />
Denn der Durst der Seele und der Durst nach frischem Wasser strecken sich in dieselbe<br />
Richtung; eben zu Gott. Ich meine, wir leben in einer Zeit, in der wir diese Balance<br />
dringend brauchen. Menschen in Balance wie Jesus. Mit Liebe zu Gott, dem Größten,<br />
was wir sagen können, unabhängige Autorität. Mit Liebe zur Familie Mensch. Verwoben<br />
mit allen, egal wo sie leben, was sie glauben, wie sie beten, welche Hautfarbe,<br />
welche Sprache. Mit Liebe zu sich selbst. Die eigene Würde, die eigene Lebensberufung.<br />
Und Liebe auch noch dann, wenn andere, du selbst, Gott dir feindlich, fremd<br />
sind.<br />
Arundhati Roy, die indische Aktivistin, Schriftstellerin, sagt es so:<br />
Liebe.<br />
Und lass dich lieben.<br />
Vergiss niemals deine eigene Bedeutung.<br />
Gewöhn dich nie an die unsagbare Gewalt,<br />
die Gemeinheit und Verzweiflung um dich herum.<br />
Such Freude und Schönheit noch in den dunkelsten Orten.<br />
Vereinfache nicht, was komplex ist,<br />
und verkompliziere nicht, was einfach ist.<br />
Respektiere Stärke, aber nicht bloße Macht.<br />
Beobachte.<br />
Und versuche, zu verstehen.<br />
Guck nicht weg.<br />
Eine andere Welt ist möglich.<br />
Sie ist auf dem Weg.<br />
An einem stillen Tag kann ich sie atmen hören.<br />
Das bedeutet konkret:<br />
Ich denke zum Beispiel an ein Abendessen vor 20 Jahren, das sehr wichtig für mich<br />
war. Um den Tisch saßen sieben Erwachsene, zwei Kinder und ich als Gast. Sie lebten<br />
in einer christlichen Kommunität. Einer davon Pfarrer, eine Diakonieschwester. Die<br />
beiden sind den ganzen Tag lang in der Gemeinde unterwegs gewesen. Wenn sie am<br />
Ende des Monats ihre Gehaltsabrechnung bekommen, sehen sie deutlich, dass die<br />
Arbeit des einen wesentlich besser bezahlt wird. Die sieben meinten irgendwann: In<br />
der ersten Gemeinde, bei Petrus und Stephanus, war das sicher nicht so und der Prediger<br />
bekam nicht mehr als der Diakon.<br />
Also beschlossen sie, zu teilen. Ein Haus, zwei Autos, ihren Glauben, Arbeit,<br />
Gemeinde, Zeit und ihr Geld. Das hat mich sehr berührt und sehr überzeugt. Ich fand<br />
einfach: Die machen das irgendwie richtig.<br />
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Ein anderes Erlebnis: Da gab es ein kleines Z<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> selben Haus, oben unterm<br />
Dach. Jemand saß da und las Bibel. Und erzählt mir von einer Entdeckung: „Heiligt<br />
das fünfzigste Jahr und verkündet Freiheit für alle Bewohner. Ein Erlassjahr soll es für<br />
euch sein“ (3. Mose/Levitikus 25,10). Aus der Entdeckung wurde eine Kampagne:<br />
„Erlassjahr 2000“.<br />
Eine Initiative, die sich für einen weit reichenden Schuldenerlass für die armen<br />
Länder der Erde stark macht.<br />
Ein weiteres Erlebnis: 10. Mai 1994, Pretoria, Südafrika. Nelson Mandela war als klarer<br />
Sieger aus den ersten freien Wahlen hervorgegangen und wurde als Präsident vereidigt.<br />
Ein schwarzer Pastor erzählt, wie er aus einer Gemeinde rausgeworfen wurde,<br />
weil er für Mandela gebetet hatte. Andere erzählen, wie sie teilweise unter Lebensgefahr<br />
für Gerechtigkeit und Freiheit gekämpft haben. Ich hörte nur zu und staunte.<br />
Dann kam Bischof Tutu strahlend auf die Bühne und las aus dem Buch des Propheten<br />
Jesaja vor: „Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben. Sie werden<br />
nicht mehr Häuser bauen, die ein anderer bewohnt. Wolf und Schaf sollen beieinander<br />
weiden“ (aus Jesaja 65,20-25).<br />
Ich habe damals eine ganze Woche lang geweint.<br />
Die News der Zeitung und der Fernsehnachrichten veränderten meine Gebete. Meine<br />
Reisen nach Indien und Afrika veränderten meine Gebete. Und nur deshalb kann ich<br />
glauben, ist auch das Umgekehrte wahr: Unsere Gebete verändern diese Welt und ihre<br />
Nachrichten. Unsere Gebete verändern meine Reisen, verändern Indien und Afrika.<br />
Gebet und Aktion brauchen sich gegenseitig. Sie gehören zu einer Familie. Wer in<br />
Gott eintaucht, wird bei Menschen auftauchen. Immer, <strong>im</strong>mer wieder.<br />
Es gibt so viele beeindruckende Geschichten. George Williams, der in der Zeit der<br />
Industrialisierung den YMCA gründete und so in London und von dort aus weltweit<br />
in den Großstädten ein Zuhause für junge Menschen schuf. Oder Mutter Teresa, die<br />
uns auffordert: Finde dein Kalkutta! Oder Bono. Er nutzt seine St<strong>im</strong>me, seine Band<br />
U2, Musik, Texte, Engagement. Oder Neela Marikkar, Christin, Friedensaktivistin aus<br />
Sri Lanka.<br />
Oder zu Hause bei mir:<br />
In meiner Gemeinde engagieren sich circa zehn junge Erwachsene bei Kapito!, einer<br />
Hausaufgabenhilfe für Kinder <strong>im</strong> sozialen Brennpunkt. Oder: Becci möchte nur noch<br />
faire Klamotten tragen. Ohne Kinderarbeit hergestellt. Konsequent schreibt sie Firmen<br />
an: Wo werden diese Turnschuhe hergestellt?<br />
Beispiele, wie Gebet und Aktion, Mission und Barmherzigkeit zusammenkommen.<br />
Eben auch diese: Vom Propheten Micha herausgefordert, entstand die Micha-<br />
Initiative. Micah Challenge ist ein weltweites Bündnis evangelikaler Gruppen. Es<br />
drängt auf die Erfüllung des Versprechens der Weltgemeinschaft, bis <strong>2015</strong> die extreme<br />
Armut weltweit zu halbieren. Denn die jungen wilden Michas haben entdeckt,<br />
dass es tatsächlich st<strong>im</strong>mt: Wer einmal in Gott eingetaucht ist, wird <strong>im</strong>mer wieder bei<br />
den Armen auftauchen.<br />
VERTIEFUnGSARTIKEL 6: KIRCHE<br />
Foto: Privat<br />
Christina Brudereck (geboren<br />
1969) ist Theologin, Schriftstellerin<br />
und viel gefragte Rednerin.<br />
Ihre Leidenschaft für eine Kirche,<br />
die sich weltweit für andere stark<br />
macht, hat sie durch zahlreiche Aufenthalte<br />
in Südostasien und Südafrika<br />
entwickelt. Sie liebt U2, Lyrik,<br />
Blumen, indisches Essen und das<br />
Ruhrgebiet, wo sie in einer christlichen<br />
Hausgemeinschaft lebt.<br />
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Just PEoPlE?<br />
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JUST PEoPLE? –<br />
so GEHt’s<br />
„Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet:<br />
Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg<br />
gehen mit deinem Gott.“<br />
(Micha 6,8)<br />
liebe Kursleitung,<br />
dieser ganze Buchteil ist vor allem für dich. Hier kannst du alle notwendigen<br />
Hintergrundinfos nachlesen, damit der Kurs ein Erfolg wird.<br />
Super, dass du mitmachst und dich engagierst! (Mehr dazu <strong>im</strong> letzten<br />
Kapitel dieser Kursanleitung: Freu dich schon mal drauf!)<br />
Also dann: Lern den Kurs kennen!<br />
Lieben Gruß,<br />
Micha-Initiative Deutschland und <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> Schweiz<br />
KURSAnLEITUnG<br />
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Just PEoPlE?<br />
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Inhaltsverzeichnis<br />
1. Zuvor ..................................................................................................................177<br />
1.1. Warum dieser Kurs Just People? heißt ..............................................177<br />
1.2. Fürs Erste: Kurzer Überblick ..............................................................177<br />
2. Wozu eigentlich Just People? ..........................................................................178<br />
2.1. Dahin! – Das wollen wir .......................................................................178<br />
2.2. Die große Idee: Integrale Mission .......................................................178<br />
2.3. Von dort kommen wir: Die Just People?-Thesen ...............................179<br />
2.4. nein! – Was der Kurs nicht ist und nicht will ......................................180<br />
3. Wortwahl: Erklärung wichtiger Begriffe ........................................................181<br />
4. Die Kurseinheiten .............................................................................................183<br />
4.1. Hier entlang! – Ablauf einer Kurseinheit ............................................183<br />
4.2. Bedien dich! – Unsere Methodenkiste ................................................184<br />
4.3. Guten Appetit! – Gemeinsam essen und trinken ................................185<br />
5. Selber machen: Die Just People?-Aktion .......................................................185<br />
5.1. Auf die Plätze! – Planung vor und <strong>im</strong> Kurs .........................................185<br />
5.2. Keine Ein-Frau/Mann-Show: Deine Rolle bei der Just People?-<br />
Aktion ..........................................................................................................185<br />
6. So klappt’s: Rahmenbedingungen des Kurses ...............................................186<br />
6.1. Generell: Wer kann teilnehmen? ........................................................186<br />
6.2. Gruppen: Wer kann mitmachen? ........................................................186<br />
6.3. Wie groß sollte die Kursgruppe sein? .................................................187<br />
6.4. Wie lang dauert Just People?..............................................................187<br />
6.5. Wohin mit Just People? .......................................................................188<br />
6.6. Welches Material braucht Just People? .............................................188<br />
7. To-do-Liste für die Kursleitung .......................................................................188<br />
7.1. Vor allem: Du selbst! ...........................................................................188<br />
7.2. Für Just People? gewinnen – Werbung und Anmeldung ...................189<br />
7.3. Da fängt’s schon an – Was vor den Kurseinheiten zu tun ist ..............189<br />
7.4. Aber <strong>im</strong>mer doch! – offen, respektvoll und ehrlich ...........................189<br />
7.5. Immer mit der Ruhe – Hilfe zum Besinnen ........................................189<br />
7.6. Dein großer Auftritt: Referate vorbereiten und halten .......................190<br />
7.7. Und jetzt? – Wie weiter nach dem Kurs? ............................................190<br />
7.8. Hilfreiche Feedbacks: Dein Geschenk an uns ....................................191<br />
8. Frag uns! ...........................................................................................................191<br />
9. Dank dir! ............................................................................................................191<br />
Das Perlenspiel .....................................................................................................192<br />
Übersichten zu den Kurseinheiten ......................................................................195<br />
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1. Zuvor<br />
1.1. Warum dieser Kurs Just People? heißt<br />
Just People? heißt der englischsprachige Kurs von Micah Challenge UK, auf<br />
dem dieser deutschsprachige Kurs basiert. Für diesen sind <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
Schweiz und die Micha-Initiative Deutschland verantwortlich. Die beiden<br />
Kampagnen gehören zur weltweiten Micah Challenge-Kampagne, welche<br />
weltweit Regierungen an ihr Versprechen erinnern will, bis <strong>2015</strong> die extreme<br />
Armut zu halbieren. Dieses Versprechen haben <strong>im</strong> Jahr 2000 nahezu alle<br />
Regierungen der Welt <strong>im</strong> Rahmen der UN-Millenniumsziele gegeben. Weiter<br />
will Micah Challenge Christen dazu ermutigen, sich selbst mehr für die<br />
Armen dieser Welt einzusetzen. Der Bibelvers Micha 6,8 hat dieser Kampagne<br />
den Namen gegeben. 1<br />
Der Kurstitel Just People? ist doppeldeutig und stellt damit eine Frage, denn<br />
just kann sowohl „nur“ als auch „gerecht“ heißen. Sind wir just people, nur<br />
Menschen, sind also unsere guten Taten lediglich ein Tropfen auf den heißen<br />
Stein, oder sind wir just people, Menschen, die nach Gerechtigkeit streben?<br />
1.2. Fürs Erste: Kurzer Überblick<br />
Just People? besteht aus sechs Kurseinheiten und einer Aktion. Im Zentrum<br />
der Kurseinheiten steht das Referat mit Diskussionsteilen, das von anderen<br />
abwechslungsreichen Elementen ergänzt und umrahmt wird. In den ersten<br />
drei Kurseinheiten wird die Armutsproblematik aus zwei Blickwinkeln<br />
beleuchtet, nämlich von der gesamtgesellschaftlichen einerseits und von<br />
der biblisch-theologischen andererseits. Dabei führen wir ein ganzheitliches<br />
Missionsverständnis ein, das wir „integrale Mission“ nennen. Die Titel und<br />
Slogans der ersten drei Kurseinheiten lauten:<br />
1: Welt – einfach wegschauen?<br />
2: Bibel – einfach überlesen?<br />
3: Mission – einfach predigen?<br />
In den letzten drei Kurseinheiten setzen sich die Kursteilnehmerinnen und<br />
Kursteilnehmer (<strong>im</strong> Folgenden: TN) damit auseinander, wie sie ihren persönlichen<br />
Lebensstil und ihr gesellschaftliches Auftreten gerechter gestalten<br />
können. Dabei geht es auch um die Bedeutung von Kirche, da integrale Mission<br />
umfassend nur als Gemeinschaft gelebt werden kann. Die Titel und Slogans<br />
der letzten drei Kurseinheiten lauten:<br />
4: Ich – gerechter leben?<br />
5: Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
6: Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
Fester Bestandteil des Kurses ist ein konkretes Projekt, die Just People?-<br />
Aktion. Während der letzten beiden Kurseinheiten wird diese Aktion geplant<br />
und anschließend durchgeführt. Dabei soll Gelerntes kreativ umgesetzt und<br />
die Erfahrung gemacht werden, wie es ist, sich für benachteiligte Menschen<br />
in anderen Teilen der Welt einzusetzen.<br />
1 Dieser Vers wird <strong>im</strong> Referat 3 auf Seite 49 behandelt.<br />
KURSAnLEITUnG So GEHT’S<br />
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Just PEoPlE?<br />
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2. Wozu eigentlich Just People?<br />
2.1. Dahin! – Das wollen wir<br />
Just People? will die TN auf vier verschiedenen Ebenen für Armut und<br />
Gerechtigkeit sensibilisieren:<br />
• Information: Die TN werden <strong>im</strong> Kurs über die Situation auf der Welt<br />
bezüglich Armut und Gerechtigkeit informiert und lernen die biblischtheologischen<br />
Hintergründe zu diesem Thema kennen.<br />
• Reflexion: Die Kursinhalte fordern zur Reflexion des eigenen Missionsverständnisses<br />
und Lebensstils heraus.<br />
• Aktion: Im Rahmen des Kurses wird ein konkretes Projekt zum Thema<br />
ausgearbeitet und realisiert.<br />
• Multiplikation: Durch das multifunktionale Kursbuch sind alle TN<br />
grundsätzlich <strong>im</strong>stande, später selbst einen Just People?-Kurs zu starten.<br />
2.2. Die große Idee: Integrale Mission<br />
In Kurseinheit 3 wird folgender Abschnitt aus der „Micha-Erklärung zur integralen<br />
Mission“ 2 behandelt:<br />
Integrale Mission oder ganzheitliche Veränderung ist die Verkündigung<br />
und praktische Umsetzung des Evangeliums. Dies bedeutet nicht einfach,<br />
dass Evangelisation und soziales Engagement parallel erfolgen sollten.<br />
Vielmehr hat unsere Verkündigung bei integraler Mission soziale Konsequenzen,<br />
weil wir Menschen zu Liebe und Umkehr in allen Lebensbereichen<br />
aufrufen. Ebenso hat unser soziales Engagement evangelistische<br />
Konsequenzen, da wir die umwandelnde Gnade Jesu Christi bezeugen.<br />
Die Welt zu ignorieren ist Verrat am Wort Gottes, das uns zum Dienst in<br />
der Welt beauftragt. Wenn wir das Wort Gottes ignorieren, haben wir der<br />
Welt nichts zu geben. Gerechtigkeit und die Rechtfertigung durch den<br />
Glauben, Anbetung und politische Aktion, geistliche und materielle, persönliche<br />
und strukturelle Veränderung gehören zusammen. Wie wir es <strong>im</strong><br />
Leben Jesu sehen können, ist die Verknüpfung von Sein, Tun und Reden<br />
das Herz ganzheitlicher Mission. 3<br />
In vielen Gemeinden wird diskutiert, wie sich die Verkündigung des Evangeliums<br />
und dessen praktische Umsetzung, gerade in Form von sozialem und<br />
politischem Engagement beziehungsweise Armutsbekämpfung, zueinander<br />
verhalten sollten. Im Sinne der Micha-Erklärung hoffen wir, dass sich durch<br />
die verschiedensten Gemeinden hindurch die Bereitschaft (weiter)entwickeln<br />
kann, einen integralen Zugang zu Mission zu finden.<br />
2 Die Micha-Erklärung kannst du in deutscher Fassung unter www.just-people.net<br />
herunterladen.<br />
3 The Micah Declaration on Integral Mission, in: Chester, T<strong>im</strong> (Hg.), Justice, Mercy and<br />
Humility: Integral Mission and the Poor, Carlisle, 2002, 19. Teilweise übersetzt nach:<br />
www.micha-initiative.de.<br />
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2.3. Von dort kommen wir: Die Just People?-thesen<br />
Just People? geht von ein paar Grundannahmen aus, die den Inhalt und das<br />
Ziel des Kurses prägen und an dieser Stelle thesenartig formuliert sind. Im<br />
Kurs selbst tauchen sie zwar nur indirekt auf, es kann aber je nach Kursgruppe<br />
und zeitlichem Rahmen auch sinnvoll sein, dass die TN die Thesen<br />
lesen und dazu Stellung beziehen.<br />
Geht hin! – Gesunde Gemeinden wirken nach außen.<br />
Just People? versteht missionarisches Engagement als einen Schlüssel für<br />
eine gesunde Gemeinde. Die Gemeinde ist dann gesund, wenn sie auch nach<br />
außen schaut – mit einer Sehnsucht, das Evangelium von Jesus Christus zu<br />
verkündigen und zu verkörpern. In Dietrich Bonhoeffers Worten: „Die Kirche<br />
ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ 4 Dieser Fokus nach außen muss<br />
<strong>im</strong>mer wieder erneuert werden, weil man eher dazu neigt, nur das eigene<br />
Gärtchen zu pflegen. Vielleicht darf man in dieser Hinsicht sogar sagen: Gott<br />
hat keine Mission für seine Kirche, sondern eine Kirche für seine Mission.<br />
Zu kurz gekommen – Gerechtigkeit spielt in vielen Gemeinden nur eine<br />
nebenrolle.<br />
Wir glauben, dass Gerechtigkeit – und dazu gehört zwingend auch die soziale<br />
Gerechtigkeit 5 – in vielen Gemeinden stärker betont werden muss. Das<br />
betrifft sowohl die Theorie, also die Lehre und theologische Ausrichtung, aber<br />
auch die Praxis, also das Engagement und die gemeinsamen Aktionen. Zu oft<br />
spielen Christen, die sich für Gerechtigkeit engagieren, in ihren Gemeinden<br />
nur eine untergeordnete Rolle, was <strong>im</strong> krassen Widerspruch zur biblischen<br />
Überlieferung steht, in der Gerechtigkeit eines der Schlüsselthemen ist.<br />
Der Grund, zu dem ich stehe – Wer als Christ für Gerechtigkeit kämpft,<br />
steht auf einer breiten biblisch-theologischen Basis.<br />
Es ist ein wichtiges Ziel des Kurses zu verstehen, wie stark das Engagement<br />
für Gerechtigkeit – gerade zugunsten der Armen – in der Bibel zum Ausdruck<br />
kommt. Der Kurs baut auf unterschiedliche Bibeltexte des Alten und Neuen<br />
Testaments auf. Auf dieser Grundlage machen wir uns anschließend Gedanken<br />
zur konkreten Umsetzung.<br />
Komm und folge mir nach – Jesus hinterfragt unseren Lebensstil.<br />
Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Jesu Aufforderungen zu<br />
Umgang mit Geld und Besitz 6 speziell für uns materiell reiche Menschen<br />
unbequem sind. Buße und Umkehr – so altbacken und überholt sich diese<br />
Begriffe auch <strong>im</strong>mer anhören mögen – dürfen <strong>im</strong> Kurs Platz haben. Allerdings<br />
geht es uns nicht einfach darum, Schuldgefühle zu wecken und die<br />
TN dann allein zu lassen. Wir wollen uns ehrlich und offen damit auseinandersetzen,<br />
was die Botschaft Jesu <strong>im</strong> Hier und Jetzt bedeutet. Dies kann<br />
4 Bonhoeffer, Dietrich, Widerstand und Ergebung, 3. Auflage, München, 1985, 415.<br />
5 Siehe Erklärung zum Gerechtigkeitsbegriff in dieser Kursanleitung auf Seite 181.<br />
6 Vgl. zum Beispiel die Liste von Bibelstellen auf Seite 36 und die intensive Auseinandersetzung<br />
mit Lukas 6,20-26 in Kurseinheit 2 auf Seite 33.<br />
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Prozesse in Gang setzen und Veränderungen ermöglichen.<br />
Selber machen! – Wer handelt, lernt mehr.<br />
Referate, Bibelstudien und Diskussionen sind <strong>im</strong> Kurs die entscheidenden<br />
Grundlagen. Allerdings lernt man dennoch vieles erst mit Händen und<br />
Füßen: Die konkrete Umsetzung von Ideen des Kurses bleibt am besten in<br />
Erinnerung und kann nachhaltig prägen. Daher ist auch die Just People?-<br />
Aktion elementarer Bestandteil des Kurses und kein freiwilliges Extra.<br />
Step by Step – Mit kleinen Schritten zu großen Veränderungen.<br />
In vielen Gemeinden werden wir herausgefordert, unseren Glauben <strong>im</strong> Alltag<br />
zu leben und dafür auch etwas zu riskieren. Dieser Kurs wirbt auch für<br />
einen ganzheitlich gelebten Glauben. Allerdings sind wir uns bewusst, dass<br />
man diesen Weg nur in kleinen Schritten gehen kann. Integrale Mission ist<br />
ein Lebensprojekt von ganz gewöhnlichen Nachfolgern Jesu. Wir hoffen<br />
daher, dass die Kursunterlagen herausfordern und ermutigen – aber nicht<br />
überfordern.<br />
Da geht mehr! – Gerade mit einem gerechteren Lebensstil können wir in<br />
der Gesellschaft zeichen setzen.<br />
Die Gesellschaft soll an uns einen Lebensstil erkennen können, der von Gottes<br />
Werten und Anliegen geprägt ist und nicht <strong>im</strong> Strom von Egoismus und<br />
Konsum mitschw<strong>im</strong>mt. Gerade eine Leidenschaft für Gerechtigkeit kann das<br />
Interesse von Kirchenfremden wecken, wenn sie sehen, dass Christen Herausforderungen<br />
diesbezüglich anpacken.<br />
2.4. Nein! – Was der Kurs nicht ist und nicht will<br />
Just People? ist kein Glaubensgrundkurs.<br />
Just People? ist kein Glaubensgrundkurs, bedient also nicht die ganze Palette<br />
christlicher Themen, sondern konzentriert sich bewusst „nur“ auf Armut und<br />
(vor allem soziale) Gerechtigkeit. Sechs Kurseinheiten reichen schon hierfür<br />
kaum aus. Daher: Wer nur die Inhalte von Just People? zum Glaubensfundament<br />
machen will, dem fehlen wichtige Aspekte.<br />
Just People? predigt keine eine eigene Form von Gesetzlichkeit.<br />
Wie schon <strong>im</strong> Kapitel 2.2 (Seite 178) angesprochen, versucht integrale Mission<br />
Wortverkündigung und soziales Engagement zu verbinden. Da der<br />
Aspekt der Wortverkündigung in anderen Kursen und vielen Gemeindeaktivitäten<br />
<strong>im</strong> Zentrum steht, fokussieren wir in diesem Kurs auf das soziale und<br />
politische Engagement für Gerechtigkeit.<br />
Wir wollen damit keine neue christliche To-do-Liste erstellen, was denn<br />
nun ein „richtiger“ Christ zu tun oder zu lassen hat. Soziales Engagement ist<br />
auch kein Weg, sich mit guten Werken den H<strong>im</strong>mel zu verdienen. Nein, der<br />
H<strong>im</strong>mel ist unser Ausgangspunkt! Dass Gott uns liebt und uns bedingungslos<br />
vergeben hat, bildet unseren Lebens- und Handlungsgrund. Aus Dankbarkeit<br />
darüber werden wir aktiv. Das ist die eine Motivation. Die andere ist Nächs-<br />
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tenliebe und Barmherzigkeit. Das Leid unserer Mitmenschen geht uns an die<br />
Nieren und bringt uns auf die Beine.<br />
In der Bibel begegnen wir einem Gott, der <strong>im</strong>mer wieder Armut und<br />
Ungerechtigkeit anprangert und bekämpft. Just People? glaubt, dass er diese<br />
gebrochene Welt mit Hilfe von ebenso gebrochenen Menschen wie uns verändern<br />
will. Und gerade als Christen sollten Gottes Herzensanliegen auch<br />
unsere sein. Wir möchten dabei ganz bewusst herausfordern und zum Handeln<br />
an<strong>im</strong>ieren, denn es ist eine Tatsache: Wer nicht handelt, handelt trotzdem.<br />
Wer nichts sagt, st<strong>im</strong>mt zu. Es gibt keinen neutralen Rückzugsraum,<br />
kein Egal. Weil die Strukturen in unserer globalen Welt ungerecht sind,<br />
wirkt sich unser Nicht-Handeln automatisch negativ auf Menschen in Entwicklungsländern<br />
aus.<br />
Natürlich bringen uns der Wunsch nach einer gerechteren Welt einerseits<br />
und unsere beschränkten Möglichkeiten andererseits <strong>im</strong> Alltag <strong>im</strong>mer<br />
wieder in innere Konflikte und wir kommen um Kompromisse nicht herum.<br />
Bei alledem wollen wir folgendes Fundament nicht aus den Augen verlieren<br />
– in den Worten der Micha-Erklärung:<br />
Jesus Christus ist die Mitte, darauf verpflichten wir uns gegenseitig neu.<br />
Sein opferbereiter Dienst ist das Muster einer jeden christlichen Nachfolge.<br />
Durch sein Leben und durch seinen Tod gab Jesus uns ein Beispiel<br />
der Identifizierung mit den Armen und der Achtsamkeit gegenüber anderen.<br />
Am Kreuz zeigt uns Gott, wie ernst er Gerechtigkeit n<strong>im</strong>mt, denn er<br />
versöhnte beide mit sich, Reiche und Arme, indem er selbst die Forderungen<br />
seiner Gerechtigkeit erfüllte. Unser Dienst an den Armen geschieht in<br />
der Kraft dieses auferstandenen Herrn durch den Heiligen Geist. Unsere<br />
Hoffnung gründet sich darin, dass wir Christus und seinem endgültigen<br />
Sieg über das Böse alles unterstellen. Wir bekennen, dass wir allzu oft<br />
versagt haben, ein Leben gemäß dieser frohen Botschaft zu führen. 7<br />
3. Wortwahl: Erklärung wichtiger<br />
Begriffe<br />
In diesem Kurs verwenden wir eine Reihe von Begriffen, die in der Alltagssprache,<br />
den Medien, der Theologie oder den wissenschaftlichen Debatten<br />
vorkommen, die teilweise sehr unterschiedliche Bedeutungen haben und je<br />
nach Kontext unterschiedliche Akzente setzen. Daher ist es wichtig, dass wir<br />
an dieser Stelle klären, warum wir wann welchen Begriff gebrauchen und<br />
was wir damit meinen, um Missverständnissen vorzubeugen.<br />
Gerechtigkeit<br />
Im Kurs definieren wir Gerechtigkeit als „Wahrung oder Wiederherstellung<br />
ausgeglichener, wohltuend geordneter, lebensfreundlicher Verhältnisse – <strong>im</strong><br />
7 The Micah Declaration on Integral Mission, in: Chester, T<strong>im</strong> (Hg.), Justice, Mercy and<br />
Humility: Integral Mission and the Poor, Carlisle, 2002, 19. Teilweise übersetzt nach<br />
www.micha-initiative.de.<br />
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menschlichen Zusammenleben wie in der Gottesbeziehung“. 8 Darin haben<br />
auch Kreuz und Auferstehung und damit der Aspekt der Versöhnung Gottes<br />
mit den Menschen ihren Platz. Ausführlich wird das in Referat 3 behandelt. 9<br />
Gerade aus neutestamentlicher Sicht stellt sich natürlich die Frage, wie<br />
ein Mensch gerecht werden kann. „Der aus Glauben Gerechte wird leben“,<br />
zitiert Paulus in Römer 1,17 aus Habakuk 2,4. Diese D<strong>im</strong>ension der Gerechtigkeit<br />
als Rechtfertigung allein aus der bedingungslosen Gnade Gottes<br />
darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Die eine D<strong>im</strong>ension von<br />
Gerechtigkeit soll in diesem Kurs nicht gegen die andere ausgespielt werden.<br />
Allerdings liegt unser Fokus hier auf dem gerechten Handeln (gegenüber den<br />
Armen).<br />
Im Kurs sprechen wir außerdem auch oft von „sozialer Gerechtigkeit“.<br />
Dieser Begriff wird sehr unterschiedlich definiert, deshalb wollen wir uns<br />
hier auch nicht auf eine Definition festlegen. Durch den Kurs möchten wir<br />
aber Anstöße geben, wie soziale Gerechtigkeit aussehen kann und sollte. 10<br />
Für dich als Kursleitung ist es vielleicht hilfreich, wenn du dir selbst ein Bild<br />
über die Bandbreite des Begriffs machst, indem du zum Beispiel in ein Lexikon<br />
schaust oder <strong>im</strong> Internet forschst.<br />
Armut und Reichtum<br />
In Kurseinheit 2 auf Seite 38 gibt es eine eingehende Auseinandersetzung mit<br />
den Begriffen Armut und Reichtum.<br />
Entwicklungsländer und der globale Süden<br />
Abgesehen von Japan, Kanada, den USA, Australien, Neuseeland und den<br />
europäischen Ländern zählen die Vereinten Nationen alle Staaten zu den<br />
Entwicklungsländern. 11 Das ist eine starke Vereinfachung, die davon ausgeht,<br />
dass es sich um eine Gruppe von Ländern handelt, „deren (wirtschaftlich-technischer)<br />
Entwicklungsstand und der damit verbundene (soziale)<br />
Lebensstandard (sehr) niedrig ist.“ 12 Wir sind uns bewusst, dass solche<br />
Begriffe wie „Entwicklungsland“ eine Sicht der Industrienationen darstellen,<br />
dass sie (be)werten und in der Vergangenheit auch negativ ideologisch<br />
aufgeladen wurden. Im Just People?-Kurs wollen wir dennoch mit diesen groben<br />
Kategorien arbeiten, weil sich in der Alltagssprache keine Alternativen<br />
durchgesetzt haben.<br />
Zu den Entwicklungsländern zählen auch die Staaten, die aufgrund ihrer<br />
wachsenden Wirtschaftsmacht häufig als „Schwellenländer“ bezeichnet werden.<br />
Auch in den meisten dieser Staaten (beispielsweise Brasilien, Südafrika<br />
und China) leben große Teile der Bevölkerung in extremer Armut.<br />
Entwicklungsländer sind auch gemeint, wenn wir vom „(globalen)<br />
Süden“ reden. Dem steht der „(globale) Norden“ (Industrienationen) gegenüber.<br />
8 Vgl. Referat 2 auf Seite 31.<br />
9 Vgl. Referat 3 auf Seite 45.<br />
10 Im zusammenhang mit globaler Armut hört man auch <strong>im</strong>mer wieder von globaler<br />
Gerechtigkeit. Dieser Begriff betont die globale D<strong>im</strong>ension der Gerechtigkeit.<br />
11 Vgl. United nations Statistics Division, Composition of macro geographical (continental)<br />
regions, geographical sub-regions, and selected economic and other groupings,<br />
http://unstats.un.org/unsd/methods/m49/m49regin.htm, 20.05.2010.<br />
12 Schubert, Klaus und Klein, Martina, Das Politiklexikon, 4. Auflage, Bonn, 2006.<br />
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Entwicklungshilfe und Nothilfe<br />
Unter Entwicklungshilfe verstehen wir in diesem Kurs alle Leistungen,<br />
mit denen Entwicklungsländer von privater und staatlicher Seite sowie von<br />
internationalen Organisationen unterstützt und gefördert werden. Diese<br />
Unterstützung kann unterschiedliche Formen haben: Technische Hilfe und<br />
Zusammenarbeit (zum Beispiel Beratung und Bildung), Güterhilfe (beispielsweise<br />
Nahrung), Kapitalhilfe (wie Kredite) und auch Handelspolitik (etwa<br />
der Abbau von Zöllen). 13 Obwohl <strong>im</strong> politischen Bereich meist von „Entwicklungszusammenarbeit“<br />
gesprochen wird, hat sich in der Alltagssprache und<br />
den Medien der Begriff der „Entwicklungshilfe“ durchgesetzt. 14<br />
Bei Nothilfe wiederum handelt es sich um eine kurzfristige Form der Entwicklungshilfe.<br />
Sie wird in Notsituationen geleistet, die durch Naturkatastrophen<br />
oder Konflikte entstanden sind. Zentral ist hierbei die Nahrungsmittelhilfe<br />
bei Hungerkatastrophen. Nothilfeleistungen schließen häufig aber auch<br />
Wiederaufbaumaßnahmen mit ein. 15<br />
4. Die Kurseinheiten<br />
4.1. Hier entlang! – Ablauf einer Kurseinheit<br />
Wir empfehlen, einen Abend folgendermaßen zu strukturieren:<br />
• Gemeinsames Essen oder kleiner Imbiss<br />
• Besinnlicher Einstieg in die Kurseinheit<br />
• Eine interaktive Heranführung an das Thema der Kurseinheit<br />
• Eine Erarbeitungsphase mit Referat und Diskussion<br />
• Eine Vertiefungsphase für die persönliche Umsetzung und einen Ausblick<br />
auf die nächste Kurseinheit<br />
• Besinnlicher Schluss<br />
Für die Orientierung der TN empfehlen wir dir, dass du zu Beginn jeder Kurseinheit<br />
eine Folie mit dem Ablauf der jeweiligen Kurseinheit zeigst oder die<br />
TN kurz die jeweilige Übersicht (ab Seite 196) aufschlagen lässt.<br />
13 Ebd.<br />
14 Die so genannte „Öffentliche Entwicklungshilfe“ (oDA, engl.: official Development<br />
Assistance) umfasst die Bereitstellung finanzieller, technischer und personeller<br />
Leistungen nach Definition der organisation für wirtschaftliche zusammenarbeit<br />
und Entwicklung (oECD, engl.: organisation for Economic Co-operation and Development).<br />
Vgl. oECD, Glossary of Statistical Terms, Official Development Assistance<br />
(ODA), http://stats.oecd.org/glossary/detail.asp?ID=6043, 20.05.2010.<br />
15 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(BMz), Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe, http://www.bmz.<br />
de/de/themen/umwelt/naturkatastrophen/hilfe_bei_katastrophen/index.<br />
html?follow=adword, 21.05.2010.<br />
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4.2. Bedien dich! – unsere Methodenkiste<br />
Menschen lernen auf verschiedene Weise. Just People? will den TN mit ihren<br />
verschiedenen Lernpräferenzen helfen, sich aktiv zu beteiligen. Daher achten<br />
wir auf Methodenvielfalt:<br />
• Besinnung: Die Kurseinheiten beginnen und enden jeweils mit einer<br />
kurzen Besinnung. Andacht und Gebet sind ein wichtiger Teil des Kurses.<br />
Siehe dazu mehr <strong>im</strong> Kapitel 7.5 (Seite 189).<br />
• Referate: Zur Erarbeitungsphase gehört jeweils ein Referat, das zwischen<br />
25 und 40 Minuten dauert (reine Sprechzeit). Teilweise gibt es<br />
auch während der Referate kurze Diskussionsteile. Siehe dazu mehr <strong>im</strong><br />
Kapitel 7.6 (Seite 190). Achte darauf, dass du die Diskussionen möglichst<br />
kurz hältst, damit du nicht in Zeitnot gerätst (Richtwert: circa 5 Minuten<br />
pro Diskussion).<br />
• Diskussionen: Die Themen der Referate werden durch Fragerunden<br />
und Diskussionen in verschieden großen Gruppen (von 2er-Gruppen bis<br />
Plenumsdiskussionen) vertieft. Je nach Gruppengröße kann es sinnvoll<br />
sein, wenn du Diskussionsleitende einsetzt und die Diskussionen in verschiedene<br />
Räume verlegst. Dann bereitest du am besten vor der Kurseinheit<br />
mit den Diskussionsleitenden kurz die Diskussion vor. Achte darauf,<br />
dass du die vorgegebenen Zeiten für die Diskussionen in etwa einhältst.<br />
• Spielerische und kreative Elemente: Verschiedene Brainstorming-<br />
Methoden, ein Rollenspiel, das Perlenspiel zu Beginn – um nur einige<br />
Beispiele zu nennen – machen den Kurs lebhaft, spannend und erlebnisreich.<br />
• Angepackt!: Für die persönliche Nachbearbeitung der ersten drei Kurseinheiten<br />
gibt’s kurze Handlungs<strong>im</strong>pulse für kleine, konkrete Schritte bis<br />
zum nächsten Treffen: Angepackt! Bei den Einheiten vier bis fünf stecken<br />
die Handlungs<strong>im</strong>pulse schon <strong>im</strong> Referat. Dort können sich die TN dann<br />
selbst aussuchen, was sie bis zum nächsten Mal umsetzen wollen. Mach<br />
den TN Mut, anzupacken! Vielleicht könnt ihr euch dann be<strong>im</strong> nächsten<br />
Treffen auch kurz über eure Erfahrungen austauschen? Allerdings solltest<br />
du nicht erwarten, dass die TN noch nach dem Kurs Zeit investieren<br />
und alle Tipps hundertprozentig umsetzen.<br />
• Persönliche Vertiefung: Viele Kursunterlagen sind auf die persönliche<br />
Vertiefung zu Hause ausgerichtet. So gibt es zu jeder Kurseinheit drei<br />
Vertiefungsartikel, die nicht direkter Bestandteil des Kurses sind und je<br />
nach Interesse gelesen werden können. Am Schluss jeder Kurseinheit<br />
findest unter „Zum Weiterlesen“ Literaturtipps und auf Seite 96/97 eine<br />
umfassende Literaturliste. Die Link-Liste auf www.just-people.net verweist<br />
außerdem auf viele hilfreiche und praktische Websites.<br />
4.3. Guten Appetit! – Gemeinsam essen und trinken<br />
Wir empfehlen dir, die Kurseinheiten jeweils mit einem gemeinsamen Essen<br />
zu beginnen. Das schafft eine gute Atmosphäre und bietet die Gelegenheit,<br />
über die letzte Kurseinheit zu sprechen. Zum Kursthema passt ein einfaches<br />
Essen (wie Suppe und Brot) mit FairTrade-Artikeln und/oder biologischen,<br />
saisonalen und regionalen Produkten. Wenn Zeit und Geld für ein solches<br />
Essen nicht reichen, dann kannst du auch bloß Getränke und Snacks anbieten<br />
(wenn möglich auch FairTrade).<br />
Beachte: Bei Kurseinheit 1 gehört ein gemeinsames Essen (oder ein kleiner<br />
Imbiss) zum Programm.<br />
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5. selber machen: Die Just People?-<br />
Aktion<br />
5.1. Auf die Plätze! – Planung vor und <strong>im</strong> Kurs<br />
Die Just People?-Aktion ist einer der wichtigsten Bestandteile des Kurses. Sie<br />
schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Praxis. Die Aktion soll von den TN<br />
weitgehend selbstständig geplant und durchgeführt werden. Damit das auch<br />
funktioniert, haben wir in die Unterlagen zur Kurseinheit 5 auf Seite 80 eine<br />
ausführliche Anleitung geschrieben. Bitte lies dieses Dokument aufmerksam<br />
durch, bevor du hier weiterliest.<br />
Bei der Ankündigung und Werbung für Just People? solltest du erwähnen,<br />
dass neben den Kurseinheiten auch die Just People?-Aktion zum Kurs gehört.<br />
Falls du schon vorher eine Idee hast, in welche Richtung die Aktion deiner<br />
Kursgruppe gehen könnte, ist es für die Kursplanung einfacher, einen festen<br />
Termin der Aktion schon vor Kursbeginn zu vereinbaren und bekannt<br />
zu geben. Bitte beachte aber, dass die Aktion von den TN organisiert wird<br />
und daher nicht zu deinem vorher festgelegten Termin passen könnte beziehungsweise<br />
vielleicht gar nicht an best<strong>im</strong>mte Termine gebunden ist.<br />
Die Aktion selbst wird in den letzten beiden Kurseinheiten vorbereitet. Um<br />
gut planen zu können, brauchst du ein Flipchart, einen Computer oder ähnliches.<br />
Die einzelnen Gruppen planen dann am besten in verschiedenen Räumen.<br />
Je nach Aktion ist es möglich, dass die gemeinsame Vorbereitung in den<br />
Kurseinheiten 5 und 6 kürzer oder länger dauert, als wir in den Übersichten<br />
(ab Seite 206) vorgesehen haben. Achtung: Damit würde sich dann auch<br />
die Gesamtdauer dieser beiden Kurseinheiten ändern! Vielleicht müsst ihr je<br />
nach Aktion zu Hause oder anderswo auch noch zusätzlich etwas vorbereiten.<br />
Wichtig: Die Aktion sollte möglichst <strong>im</strong> Anschluss an Kurseinheit 6 stattfinden,<br />
spätestens aber zwei Monate danach. Je länger ihr wartet, desto eher<br />
riskiert ihr, dass die Aktion ins Wasser fällt. Das wäre schade, denn sie ist<br />
keine Ergänzung, sondern ein Grundpfeiler des Kurses. Außerdem schweißt<br />
eine solche Aktion die Gruppe noch einmal ganz neu zusammen, dient einem<br />
guten Zweck und macht hoffentlich auch etwas Spaß.<br />
5.2. Keine Ein-Frau/Mann-show: Deine Rolle bei der Just<br />
People?-Aktion<br />
Am besten erzählst du schon zu Beginn des Kurses den TN von der Just<br />
People?-Aktion, damit sie Ideen sammeln können. Wenn ihr in Kurseinheit 5<br />
die Aktion plant, dann solltest du das Brainstorming leiten und vielleicht ein<br />
paar Anregungen geben. Falls dir selbst keine Ideen kommen, schau auf Seite<br />
80 nach und denke von dort weiter.<br />
Du legst also den Grundstein für die Aktion. Danach fungierst du nur<br />
noch als Mentorin oder Mentor. Es ist aber sehr wichtig, dass die Aktion<br />
„einen Kopf“ hat: Best<strong>im</strong>mt als Kurs also Aktionsleitende. Achtung: In Kurseinheit<br />
5 könnte das schon zu spät sein. Daher empfehlen wir dir, bereits vor<br />
dem Kurs oder in den ersten drei Kurseinheiten TN dafür anzufragen.<br />
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Trau dich, viel Eigendynamik zuzulassen, denn wer etwas von Grund auf<br />
selbst macht, lernt am meisten. Wenn die Aktionsplanung angelaufen ist,<br />
lege zusammen mit den Aktionsleitenden dein Augenmerk auf folgende Kriterien:<br />
• Ist die Aktion durchdacht?<br />
• Werden alle TN einbezogen?<br />
• Kann man die Aktion wiederholen oder erstreckt sie sich sogar über<br />
einen längeren Zeitraum?<br />
• Ist sie öffentlichkeitswirksam?<br />
• Können wir sie finanzieren?<br />
•<br />
Wo können wir auch bei den für die Aktion benötigten Ressourcen und<br />
Materialien ein Zeichen für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit setzen (zum<br />
Beispiel Verpflegung durch FairTrade-Produkte, Drucken auf Recycling-<br />
papier usw.)?<br />
6. so klappt’s: Rahmenbedingungen des<br />
Kurses<br />
6.1. Generell: Wer kann teilnehmen?<br />
Grundsätzlich steht Just People? allen Leuten offen. Als Haupt-Zielpersonen<br />
haben wir Christen vor Augen, die sich für das Thema Armut und Gerechtigkeit<br />
interessieren, aber bisher in dieser Richtung kaum aktiv geworden sind.<br />
Der Kurs möchte also Basics vermitteln, ins Thema einzusteigen. Menschen,<br />
die sich für Armut und Gerechtigkeit schon lange interessieren und engagieren,<br />
sind natürlich auch herzlich willkommen. Sie können viele gute Impulse<br />
einbringen.<br />
Just People? kann auch für nicht kirchlich sozialisierte Personen ein<br />
Gewinn sein. Allerdings stehen Referate und Diskussionen <strong>im</strong> Kontext des<br />
christlichen Glaubens und Gemeindelebens. Inhalte sind für Außenstehende<br />
daher vielleicht interessant, machen es diesen TN aber vielleicht schwerer,<br />
mitzudiskutieren.<br />
6.2. Gruppen: Wer kann mitmachen?<br />
• Gemeinden: Wir freuen uns, wenn die gesamte Gemeinde bei Just<br />
People? mitmacht. Für die Umsetzung der verschiedenen Methoden und<br />
für die Gruppendiskussionen schlagen wir vor, dass circa pro 15 Personen<br />
eine Kursleiterin oder ein Kursleiter eingesetzt wird.<br />
• Hauskreise: Just People? ist wegen seiner ausformulierten Referate und<br />
der Vertiefungsartikel wunderbar für Hauskreise geeignet. Vielleicht<br />
kann man in diesem Rahmen die Referate sogar von den Leuten <strong>im</strong> Vorfeld<br />
lesen lassen und die Themen dann ausführlich <strong>im</strong> Hauskreis diskutieren<br />
– also viel länger, als wir in den Übersichten zu den Kurseinheiten<br />
eingeplant haben.<br />
• Teenager- und Jugendgruppen: Wir empfehlen Just People? (in der vor-<br />
liegenden Form) für Personen ab circa 16 Jahren. Für Teenager müssen<br />
wohl einige Kursinhalte angepasst werden.<br />
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• Christliche Gruppen und Organisationen: Obwohl Just People? den<br />
Bezug des integralen Missionsauftrags zur Gemeinde stark thematisiert,<br />
kann der Kurs dennoch auch von anderen christlichen Gruppen und<br />
Organisationen durchgeführt werden. Trotzdem ist es sinnvoll, wenn<br />
<strong>im</strong> Kurs gefragt wird, welche Rolle die Gemeinde in Bezug auf Armut<br />
und Gerechtigkeit spielt. Sollten die TN aus verschiedenen Konfessionen<br />
stammen, kann dies sogar sehr bereichernd sein.<br />
• Einzelpersonen: Da zu jeder Kurseinheit das ausformulierte Referat<br />
und drei Vertiefungsartikel gehören, kann man sich auch als Einzelperson<br />
einen umfassenden Überblick zu den verschiedenen Kursthemen<br />
verschaffen. Auch manche Arbeitsblätter der einzelnen Kurseinheiten<br />
eignen sich für das Selbststudium. Und wer will, kann unsere Links verfolgen<br />
oder in den Literaturtipps schauen, ob ihn ein Titel interessiert.<br />
6.3. Wie groß sollte die Kursgruppe sein?<br />
Zehn bis zwanzig Personen sind für die Kursdurchführung mit einer Kursleiterin<br />
oder einem Kursleiter opt<strong>im</strong>al. Allerdings ist der Aufwand relativ groß,<br />
wenn du den Kurs als Einzelperson leitest. Wir schlagen vor, dass mindestens<br />
zwei Leute den Kurs leiten. So hat jeder der Leitenden weniger vorzubereiten<br />
und der Kurs wird gleichzeitig abwechslungsreicher und vielseitig. Für größere<br />
Gruppen empfehlen wir, den Kurs als Team zu leiten.<br />
6.4. Wie lang dauert Just People?<br />
Wir schlagen einen Zwei-Wochen-Rhythmus vor. Damit würde der Kurs circa<br />
drei Monate dauern (ohne Just People?-Aktion). Dies ermöglicht eine längerfristige<br />
Auseinandersetzung mit den Kursthemen und bietet genügend Zeit<br />
zur Verarbeitung. Mehr als zwei Wochen Pause zwischen den Kurseinheiten<br />
ist jedoch nicht empfehlenswert, da in der Zwischenzeit vieles vergessen<br />
wird. Natürlich kann der Kurs auch wöchentlich angeboten werden. Weitere<br />
Möglichkeiten sind Wochenenden (mit mehreren Kurseinheiten pro Tag)<br />
oder Gemeindefreizeiten.<br />
Anhand der zeitlichen Vorgabe in den detaillierten Übersichten (ab Seite<br />
196) dauert jede Kurseinheit in etwa zwei Stunden (inklusive kurzer Pause,<br />
aber ohne gemeinsames Essen oder Imbiss). Allerdings ist die Zeit knapp<br />
bemessen. Deshalb kannst du <strong>im</strong> vorgegebenen Zeitrahmen kaum eigene<br />
inhaltliche Aspekte unterbringen.<br />
Vor allem Diskussionsrunden können je nach Engagement der TN den<br />
zeitlichen Rahmen sprengen. Du wirst wahrscheinlich manche Diskussionen<br />
abbrechen müssen. Es ist schlicht unmöglich, alle Fragen zu klären und<br />
die vielen verschiedenen Themenaspekte abschließend zu behandeln. Denk<br />
dran: Wir sind gemeinsam auf dem Weg. Gute Fragen sind auch viel wert!<br />
Falls manche Programmpunkte mehr Zeit in Anspruch nehmen als vorgesehen,<br />
ist es manchmal besser, andere Programmpunkte wegzulassen. Weil<br />
du diese Entscheidungen spontan treffen musst, solltest du die Kursinhalte<br />
der nächsten Kurseinheiten unbedingt kennen, damit du einschätzen kannst,<br />
was man am ehesten weglassen kann. Bitte streiche aber nicht die Besinnung<br />
am Ende der Kurseinheit. Es ist sehr wichtig, dass ihr am Schluss noch einmal<br />
das Gehörte in eurem Herzen bewegt und zusammen betet.<br />
KURSAnLEITUnG So GEHT’S<br />
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188<br />
Just PEoPlE?<br />
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6.5. Wohin mit Just People?<br />
Mit zehn bis zwanzig TN kann Just People? gut in einem einzigen Raum<br />
durchgeführt werden. Entscheide selbst, ob du die TN nur auf Stühlen oder<br />
auch an Tischen sitzen lassen willst. Einerseits könnte ein Stuhlkreis für Diskussionen<br />
angenehmer sein, andererseits wird <strong>im</strong> Kurs auch <strong>im</strong>mer wieder<br />
etwas geschrieben, was für Tische spricht.<br />
Sind es mehr als zwanzig TN, solltest du wegen der Gruppendiskussionen<br />
und -arbeiten möglichst mehrere Räume zur Verfügung haben.<br />
6.6. Welches Material braucht Just People?<br />
Die detaillierten Materialangaben findest du in einer Spalte der Übersichten<br />
zu den Kurseinheiten. Grundsätzlich benötigst du für eine Kursdurchführung<br />
folgendes Material:<br />
• einen Beamer für PowerPoints (diese findest du auf www.just-people.<br />
net)<br />
• ein Flipchart mit genügend Flipchart-Blättern<br />
• Musikinstrumente und allenfalls Liederblätter für die Besinnungen<br />
Die TN brauchen:<br />
• Kursbuch<br />
• Schreibzeug<br />
• Bibel: Die Auseinandersetzung mit biblischen Texten steht <strong>im</strong> Zentrum<br />
des Kurses. Im Kursbuch zitieren wir aus der Einheitsübersetzung der<br />
Heiligen Schrift16 .<br />
7. to-do-liste für die Kursleitung<br />
7.1. Vor allem: Du selbst!<br />
Wir empfehlen dir, dass du dich schon vor dem Kursstart persönlich mit den<br />
Kursthemen befasst. So lohnt es sich, wenn du den Kurs schon einmal für<br />
dich durchgehst und die Vertiefungsartikel liest.<br />
Du musst keine Expertin/kein Experte für Armut und Gerechtigkeit sein,<br />
sondern darfst dich vielmehr als Person „outen“, die selbst unterwegs ist und<br />
nach der Mission Gottes fragt. In diesem Sinne können bei den Referaten<br />
und Diskussionen Fragen auftauchen, welche du selber nicht beantworten<br />
kannst. Deshalb stellst du am besten gleich zu Kursbeginn klar: Antworten<br />
sollen innerhalb der Kursgruppe gesucht und gefunden werden, manche Fragen<br />
dürfen allerdings offengelassen werden. Vielleicht kannst du bei einer<br />
besonders wichtigen Frage auch versuchen, bis zum nächsten Mal eine Antwort<br />
zu finden.<br />
16 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart, 1980.<br />
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7.2. Für Just People? gewinnen – Werbung und Anmeldung<br />
Achte darauf, dass du rechtzeitig für den Kurs wirbst. Falls du den Kurs an<br />
sechs verschiedenen Tagen durchführst, sollten die Daten am besten einige<br />
Monate vorher bekannt sein. Sehr hilfreich ist natürlich, wenn du eine Organisation<br />
hinter dir hast, die dich unterstützt (zum Beispiel die Gemeinde).<br />
Am besten kündigst du den Kurs in Gottesdiensten und auf verschiedenen<br />
Werbeplattformen an. Dafür eigenen sich vor allem Auszüge aus der „Anleitung<br />
zum Untätigsein“ (Kurseinheit 1) oder die Sätze, die wir am Rand der<br />
Referate hervorgehoben haben.<br />
Wir empfehlen dir, dass sich die Leute verbindlich für die Kursteilnahme<br />
(alle sechs Kurseinheiten und die Just People?-Aktion) anmelden müssen.<br />
Weil die Kurseinheiten aufeinander aufbauen, sollten die TN möglichst an<br />
allen Terminen dabei sein. Wer einmal fehlen muss, kann die Einheit aber <strong>im</strong><br />
Kursbuch nachlesen.<br />
7.3. Da fängt’s schon an – Was vor den Kurseinheiten zu tun<br />
ist<br />
Für jede Kurseinheit musst du verschiedene Verantwortlichkeiten (Leitung,<br />
Referat, Diskussionsführung, Material, Verpflegung usw.) klären. In den<br />
Übersichten zu den jeweiligen Kurseinheiten kannst du das alles nachlesen.<br />
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn du stets mindestens die aktuelle und die<br />
darauffolgende Kurseinheit vorbereitet hast. So kannst du die aktuelle <strong>im</strong><br />
Blick auf die jeweils nächste durchführen.<br />
Es ist sicher von Vorteil, wenn du vor den jeweiligen Kurseinheiten die<br />
empfohlenen Websites besuchst (siehe auch die Link-Liste unter www.justpeople.net)<br />
und nach Möglichkeit in das eine oder andere vorgeschlagene<br />
Buch schaust (siehe jeweils „Zum Weiterlesen“ am Ende jeder Kurseinheit).<br />
So kannst du den TN gewisse Empfehlungen geben und bei Fragen konkret<br />
weiterhelfen.<br />
7.4. Aber <strong>im</strong>mer doch! – offen, respektvoll und ehrlich<br />
Just People? verfolgt eine best<strong>im</strong>mte Absicht und gibt viele Handlungs<strong>im</strong>pulse,<br />
dennoch sind die konkreten Schlussfolgerungen letztlich nicht vorgeschrieben.<br />
Es ist wichtig, dass du zu einer offenen, ehrlichen und respektvollen<br />
Auseinandersetzung mit den Herausforderungen bezüglich Armut<br />
und Gerechtigkeit in dieser Welt ermutigst. In vielen Fragen darf man dabei<br />
durchaus geteilter Meinung sein! Mit anderen Worten: Jede Kurseinheit soll<br />
einen Raum für Menschen öffnen, ihre eigenen Erfahrungen mitzuteilen und<br />
Fragen loszuwerden.<br />
In den Diskussionen darfst du die TN aber auch gern etwas herausfordern,<br />
ihnen den Spiegel vorhalten: Mit welchen Motiven wird argumentiert? Wo<br />
verstecken sich in Argumentationen vielleicht Rechtfertigungen, um alles<br />
„be<strong>im</strong> Alten“ zu lassen? Wo stecken Leute wirklich in der Zwickmühle?<br />
7.5. Immer mit der Ruhe – Hilfe zum Besinnen<br />
Zu Beginn und am Ende der Kurseinheiten stehen jeweils ein paar besinnliche<br />
Minuten (vgl. Seiten 8-10). Du brauchst die TN dabei nicht selbst anzuleiten,<br />
sondern kannst diese Aufgabe auch abgeben.<br />
Am besten wählst du allgemein bekannte Lieder für die Kursgruppe aus.<br />
KURSAnLEITUnG So GEHT’S<br />
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190<br />
Just PEoPlE?<br />
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Falls die Lieder textlich einen Bezug zum Kursthema herstellen, ist das natürlich<br />
opt<strong>im</strong>al.<br />
Für das Bekenntnis und das Schlussgebet stehen jeweils zwei Varianten<br />
zur Verfügung, damit es etwas Abwechslung gibt. Nicht jede und jeder muss<br />
bei allen liturgischen Elementen wie zum Beispiel dem Accra-Bekenntnis<br />
mitsprechen, wenn ihr oder ihm nicht danach ist. Diese Freiheit sollte klar<br />
kommuniziert werden.<br />
7.6. Dein großer Auftritt: Referate vorbereiten und halten<br />
Wir raten dir, die Referate für dich allein schon einmal (laut) durchzusprechen,<br />
bevor du sie <strong>im</strong> Kurs hältst. Natürlich darfst du Referatsinhalte in eigenen<br />
Sätzen formulieren. Außerdem kannst du natürlich auch eigene Gedanken<br />
einflechten. In diesem Fall musst du wahrscheinlich andere Aspekte<br />
kürzen, weil die Referate sonst zu lang werden. Achte dabei darauf, dass du<br />
den roten Faden der Referate beibehältst.<br />
Dass die TN die Referate auch <strong>im</strong> Kursbuch selbst gedruckt vor sich haben<br />
und mitlesen können, ist für dich als Referentin beziehungsweise Referent<br />
vielleicht unangenehm. Dennoch empfehlen wir dir, das Referat wirklich<br />
vorzutragen und nicht nur lesen zu lassen. Dies gibt den Referatsinhalten<br />
nämlich ein stärkeres Gewicht und den TN mehr Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.<br />
Einige Referate enthalten kurze Diskussionen. Dadurch können sich die<br />
TN regelmäßig selbst aktiv einbringen. Allerdings kann sich die Diskussion<br />
in eine Richtung bewegen, die thematisch in den folgenden Referatsteilen<br />
nicht aufgegriffen wird. Vielleicht notierst du dir wichtige Fragen, die ihr am<br />
Ende noch einmal besprechen könnt. Wichtig ist jedenfalls, dass du mit dem<br />
Referat an der entsprechenden Stelle weitermachst. Wenn ihr dann wieder<br />
einsteigt, können die Aussagen <strong>im</strong> Referat natürlich nicht auf alle eure offenen<br />
Fragen antworten. Du solltest den TN vermitteln, dass auch die Referatsinhalte<br />
nur weitere Gedanken oder Diskussionsanstöße zu einem spezifischen<br />
Thema liefern. Achte darauf, dass du die Diskussionen möglichst<br />
kurz hältst, damit du nicht in Zeitnot gerätst (Richtwert: circa 5 Minuten pro<br />
Diskussion).<br />
Für die Referate stehen auf der Kurs-Website (www.just-people.net)<br />
PowerPoint-Präsentationen zur Verfügung. Diese machen die Referate lebendiger<br />
und anschaulicher.<br />
7.7. und jetzt? – Wie weiter nach dem Kurs?<br />
Mit der Just People?-Aktion endet der Kurs offiziell. Deine letzte Aufgabe ist<br />
es, ein paar Monate nach Kursende die Briefe zu verschicken, welche sich die<br />
TN selbst geschrieben haben (vgl. Kurseinheit 4).<br />
Wir freuen uns natürlich, wenn es in deiner Gemeinde oder christlichen<br />
Organisation nicht „nur“ bei dieser einen Kursdurchführung bleibt. Du darfst<br />
den Kurs gern als eine Geschichte mit offenem Ende sehen! Sicherlich sind<br />
während der vielen Diskussionen Ideen entstanden und Gedanken kursiert,<br />
welche in weitere Aktionen oder sogar in eine grundsätzliche Veränderung<br />
eurer Gemeinde oder Gruppe münden können. Wir ermutigen dich also,<br />
dranzubleiben!<br />
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7.8. Hilfreiche Feedbacks: Dein Geschenk an uns<br />
Wir sind <strong>im</strong>mer dabei, den Kurs weiter zu verbessern was Kreativität, Kursinhalte<br />
und Methoden betrifft. Außerdem freuen wir uns über Literaturtipps<br />
und interessante Links. Und wir warten gespannt auf eine Nachricht von dir,<br />
wie deine Just People?-Aktion gelaufen ist. Wir sind also an einem Austausch<br />
mit dir interessiert. Bitte n<strong>im</strong>m mit uns Kontakt auf.<br />
8. Frag uns!<br />
Wenn du weitere Fragen hast, kannst du dich gern an uns wenden!<br />
Dieser Kurs ist außerdem nicht die einzige Aktion von <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
Schweiz und der Micha-Initiative Deutschland. Wenn du mehr über unsere<br />
Kampagnen erfahren willst, schicken wir dir gern Material zu.<br />
Hier die Homepages (dort findest du dann die aktuellen Postadressen):<br />
Micha-Initiative Deutschland: www.micha-initiative.de<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> Schweiz: www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch<br />
9. Dank dir!<br />
Wir danken dir, dass du Menschen dazu ermutigst, Gottes Mission integral<br />
zu verstehen und zu leben. Damit leistest du einen wichtigen Beitrag für eine<br />
gerechtere Welt! Wir wünschen dir, dass der Kurs ein Erfolg wird und die<br />
TN ihr Missionsverständnis und ihren Lebensstil neu hinterfragen und, wo<br />
es angebracht ist, verändern. Wir wünschen dir aber auch, dass du in den<br />
Kurs nicht nur investierst, sondern dass du selbst überrascht und beschenkt<br />
wirst.<br />
Dank dir und los geht’s!<br />
KURSAnLEITUnG So GEHT’S<br />
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191
192<br />
Just PEoPlE?<br />
Farbe Punkte<br />
gelb 50<br />
blau 30<br />
rot 10<br />
grün 5<br />
weiß 1<br />
zusatz<br />
5 Perlen gleicher<br />
Farbe<br />
4 Perlen gleicher<br />
Farbe<br />
3 Perlen gleicher<br />
Farbe<br />
30<br />
10<br />
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5<br />
Das Perlenspiel<br />
• Anzahl Teilnehmer: mindestens 9<br />
• Bei mehr als 20 Teilnehmern empfiehlt es sich, zwei Gruppen zu bilden<br />
und das Spiel in zwei Räumen zu spielen.<br />
Idee<br />
Nach dem Zufallsprinzip werden Perlen/Murmeln (oder irgendeine andere<br />
Form von Wertmarken) verteilt. Die nun verschieden reichen Spieler versuchen<br />
durch Tauschen, ihre Situation zu verbessern. Im Verlauf des Spiels<br />
können die Reichen die Spielregeln zu ihren Gunsten ändern.<br />
Dieses Spiel regt Gespräche über Sachverhalte an, die be<strong>im</strong> Spielen<br />
erlebt werden: Benachteiligung, Unterdrückung, Befreiung, Macht etc. Das<br />
Spiel hat eine hohe Erlebnisintensität, die bei besonders lebhaften Gruppen<br />
zu starken Emotionen führen kann. Ein Auswertungsgespräch ist unerlässlich<br />
und sollte sowohl die gruppendynamischen Aspekte als auch den Realitätsbezug<br />
des Spiels untersuchen. Bunt zusammengewürfelten Gruppen<br />
bietet es auch noch Gelegenheit, sich während des Spiels kennenzulernen.<br />
Material<br />
• „Perlen“ (Murmeln, farbige Kartonstücke, gefärbte Kaffeebohnen usw.)<br />
10 gelbe, 10 blaue, 40 rote, 40 grüne, 40 weiße<br />
• Ein Gruppenzeichen pro Person. Es gibt 3 Gruppen: Quadrate, Dreiecke<br />
und Kreise (zum Beispiel Kartonstücke mit Halsband oder Sicherheitsnadel<br />
zum Befestigen)<br />
• 1 oder 3 Tafeln/Plakate zur Aufzeichnung der Gruppenergebnisse<br />
• 1 Tafel/Plakat, auf der/dem vor Spielbeginn die Punktwerte der einzelnen<br />
Perlen nach Farbe geordnet aufgezeichnet werden (siehe Tabelle<br />
links)<br />
• Filzstifte, Stoppuhr, 2 Behälter für die Perlen, 2 Servietten zum Zudecken<br />
dieser Behälter<br />
• 3 Tische mit unterschiedlichen Snacks (siehe Ende Spielablauf)<br />
Ablauf<br />
• Das Spiel benötigt zwei Spielleiter. Nach jeder Spielrunde ist der eine<br />
für die Ermittlung der erzielten Punktzahlen verantwortlich, während<br />
der andere möglichst unauffällig die Perlenschachteln vorbereitet.<br />
• Ein Spielleiter bereitet die zwei Schachteln vor. Er sorgt dafür, dass in<br />
der einen Schachtel überwiegend höherwertige Perlen liegen, also vor<br />
allem gelbe und blaue. Dann deckt er die Schachteln ab.<br />
• Alle Spieler nehmen sich nun je 5 Perlen aus einer der beiden Schachteln<br />
heraus.<br />
• Eine erste Tauschrunde findet statt (Tauschregeln siehe unten).<br />
• Die Tauschrunde dauert so lange, bis alle mit ihren Perlen zufrieden<br />
sind, max<strong>im</strong>al jedoch 5 Minuten. Die Spieler zählen ihre Punktzahl und<br />
legen die Perlen wieder zurück in die Schachteln.<br />
• Ein Spielleiter erfasst nun die Namen der Spieler und ihre Punktzahlen<br />
und beginnt be<strong>im</strong> Spieler mit der größten Punktzahl. Das Auszählen<br />
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geht am leichtesten, wenn sich die Spieler nach erzielter Punktzahl<br />
nebeneinander aufstellen. Anschließend werden die Gruppen eingeteilt:<br />
Das reichste Drittel bildet eine Gruppe und erhält ein Quadrat<br />
als Gruppenzeichen. Das mittlere Drittel erhält ein Dreieck und das<br />
ärmste einen Kreis.<br />
• Während der Gruppenzusammenstellung bereitet der andere Spielleiter<br />
die zweite Spielrunde vor. Wieder verteilt er die Perlen sehr ungleich<br />
in den beiden Schachteln.<br />
• Ein Spielleiter geht mit der Schachtel mit den wertvolleren Perlen zur<br />
Quadrat-Gruppe, der andere mit der zweiten Schachtel zur Dreiecksund<br />
Kreis-Gruppe. Die Spieler nehmen sich wieder 5 Perlen aus den<br />
Schachteln heraus.<br />
• Vor der zweiten Tauschrunde erhält die Quadrat-Gruppe das Recht,<br />
zwei neue Spielregeln für die nächste Runde zu best<strong>im</strong>men. Dieses<br />
Recht gilt für alle weiteren Tauschrunden. (Die übrigen Gruppen dürfen<br />
Vorschläge machen.) Neue Regeln müssen laut verkündet werden.<br />
• Die zweite Tauschrunde findet statt – wieder mit den zuvor ungleich<br />
verteilten Perlen.<br />
• Anschließend werden die erzielten Tauschwerte erneut errechnet und<br />
bei jedem Spieler zum vorhergehenden Resultat addiert und an die<br />
Tafel geschrieben.<br />
• Vor der dritten (und jeder weiteren) Tauschrunde wird festgestellt, ob<br />
ein Spieler der Dreiecks-Gruppe eine höhere Punktzahl hat als einer<br />
aus der Quadrat-Gruppe. Ist dies der Fall, tauschen die beiden die<br />
Gruppe inkl. Zeichen. Analog erfolgt das Prozedere zwischen Dreieckund<br />
Kreis-Gruppe. (Daher empfiehlt sich nach Möglichkeit eine Tafel,<br />
weil man die Gruppeneinteilung korrigieren kann.)<br />
• Vor der dritten und letzten Tauschrunde können die Perlen ungefähr<br />
gleichwertig in den Schachteln verteilt werden. (Weil die Quadrat-<br />
Gruppe zu diesem Zeitpunkt schon vier Regeln einführen konnte, wird<br />
es trotzdem eine Ungleichverteilung geben.)<br />
• Anmerkung: Natürlich kann man das Perlenspiel auch länger spielen,<br />
zum Beispiel mit fünf Runden. Für diesen Kurs reichen aber drei Runden<br />
aus.<br />
• Während des Spiels (sofort nach der Gruppeneinteilung) darf sich die<br />
Quadrat-Gruppe an einem Tisch mit leckeren Snacks und Getränken<br />
bedienen. Die Dreiecks-Gruppe hat nur Zugang zu einem Tisch mit<br />
Brot und Wasser, die Kreis-Gruppe schließlich nur zu einem Tisch mit<br />
Wasser.<br />
tauschregeln<br />
• Pro Runde hat man max<strong>im</strong>al 5 Minuten Zeit, um seine Punkte durch<br />
Tausch mit anderen zu vermehren.<br />
• Die Perlen sind in der Hand versteckt zu halten.<br />
• Ein Tausch beginnt <strong>im</strong>mer mit dem Handschlag. (Bei bunt zusammengewürfelten<br />
Gruppen ist dies die Gelegenheit, sich einander vorzustellen!)<br />
Während des Deals spricht man über die Perlen, die man tauschen kann,<br />
hält sie aber in der Hand versteckt. Erst wenn der Handel besiegelt ist,<br />
werden die Perlen sichtbar ausgetauscht.<br />
• Hat man sich einmal die Hand gegeben, muss ein Tausch stattfinden.<br />
• Nach einem Tausch muss ein neuer Tauschpartner aufgesucht werden.<br />
KURSAnLEITUnG DAS PERLEnSPIEL<br />
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193
194<br />
Just PEoPlE?<br />
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• Gleichwertige Perlen dürfen nicht getauscht werden. Das Verhältnis<br />
getauschter Perlen ist jedoch egal (zum Beispiel 1 gelbe gegen 3 rote).<br />
• Wer nicht (mehr) handeln will, verschränkt die Arme und darf nicht<br />
mehr angesprochen werden.<br />
• Sprechen darf man nur mit dem jeweiligen Tauschpartner oder dem<br />
Spielleiter.<br />
Das Auswertungsgespräch<br />
Zuerst wird erklärt, dass die Perlen in den Schachteln am Anfang ungleich<br />
verteilt waren.<br />
Darauf folgt das Gespräch in drei Teilen:<br />
1. Der Spielleiter stellt Fragen zu persönlichen Erlebnissen während des<br />
Spiels: Denkt ihr, dass die Chancen gleich verteilt waren? (Wieso/nicht?) Wer<br />
hat mit wem gehandelt, wer den Handel verweigert und warum? Wie habt<br />
ihr euch gefühlt, wenn ihr Punkte gewonnen oder verloren habt? (usw.)<br />
2. Dann kommen Fragen zum Verhalten der einzelnen Gruppen:<br />
Hat sich euer Verhalten gegenüber den Verlierern/Gewinnern verändert?<br />
• Zur Quadrat-Gruppe: Habt ihr gern eure Snacks gegessen oder war<br />
euch das gegenüber der Kreis- und Dreiecks-Gruppe peinlich? Worauf<br />
habt ihr bei euren neuen Regeln geachtet?<br />
• Zur Dreiecks-/Kreis-Gruppe: Habt ihr Appetit bekommen? Wie habt<br />
ihr die neuen Regeln der Quadrat-Gruppe empfunden?<br />
• Zu Auf-/Absteigern: In welcher Gruppe habt ihr euch wohler gefühlt?<br />
Warum?<br />
3. Zum Schluss kommt noch die Diskussion zum Realitätsbezug, also zu den<br />
gesellschaftlichen und politischen Aspekten:<br />
Wem/Was könnte die Quadrat-Gruppe in der Realität entsprechen? Und<br />
die anderen Gruppen? Zu welcher Gruppe gehört ihr eurer Meinung nach?<br />
Warum?<br />
Was ist <strong>im</strong> Spiel anders als in „der Realität“? Warum?<br />
Erkenntnisse der Diskussion können eventuell in Stichworten auf der Tafel/<br />
dem Plakat festgehalten werden.<br />
Zuerst sollten persönliche Erfahrungen diskutiert werden und danach das<br />
Gruppenverhalten.<br />
Quelle (für Just People? angepasst): „Brot für alle“ Schweiz.<br />
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ÜBERsIcHtEN<br />
zU DEn<br />
KURSEInHEITEn<br />
ÜBERSICHTEn<br />
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195
196<br />
Übersicht Kurseinheit 1: Welt – einfach wegschauen?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
offen offen H: Methode sollte<br />
abhängig von Alter,<br />
zusammensetzung und<br />
Vertrautheit der Gruppe<br />
vom KL gewählt werden.<br />
eine vertrauensvolle<br />
Atmosphäre schaffen<br />
10 Vorstellungsrunde gegenseitiges Vorstellen der<br />
Tn und ihrer Erwartungen an<br />
den Kurs<br />
H: Die Vorstellungsrunde<br />
und der Kursüberblick<br />
können vertauscht werden.<br />
Plenum Kursanleitung:<br />
Seite 177<br />
strukturelle und inhaltliche<br />
orientierung der Tn<br />
5 Kursüberblick kurzer Überblick anhand der<br />
Kursanleitung/Editorial<br />
Editorial: Seite 3<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
H: Bei einer Gruppengröße<br />
von über 20 Personen<br />
empfiehlt es sich,<br />
die Gruppe zu teilen und<br />
das Spiel in 2 Räume zu<br />
verlegen.<br />
Anleitung: Seite 192<br />
Murmeln, Schilder,<br />
Getränke, Snacks<br />
Spiel in 3<br />
Gruppen<br />
wirtschaftliche Mechanismen<br />
und Ungerechtigkeiten am<br />
eigenen Leib erfahren<br />
40 Perlenspiel spielerische Auseinandersetzung<br />
mit ungerechten globalen<br />
Strukturen<br />
Anleitung: Seite 194<br />
Diskussion/<br />
Plenum<br />
über persönliche Erlebnisse<br />
der Tn einen Bezug zur Realität<br />
herstellen<br />
10 Auswertung Auswertungsgespräch des<br />
Perlenspiels in 3 Teilen:<br />
• persönliche Erlebnisse<br />
• Überlegungen der einzelnen<br />
Gruppen<br />
• gesellschaftliche und politische<br />
Aspekte<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
10 Pause Getränke, Snacks<br />
vom Perlenspiel<br />
A: Vor Erwähnung der<br />
MDGs kann man eine<br />
Fragerunde einbauen<br />
oder zeit für persönliche<br />
notizen der Tn lassen.<br />
Plenum Referat 1: Seite 14<br />
Millenniumsziele:<br />
Seite 22<br />
gemeinsame Informationsbasis<br />
zu weltweiter Ungerechtigkeit<br />
und Armut schaffen<br />
Millenniumsziele (MDGs) vorstellen<br />
30 Referat Referat 1: Welt – einfach wegschauen?<br />
schluss<br />
Anleitung zum Untätigsein:<br />
Seite 24<br />
Plenum und<br />
Einzelarbeit<br />
Instrument für die Tn schaffen,<br />
um die eigene Entwicklung und<br />
Meinung während des fortlaufenden<br />
Kurses zu dokumentieren<br />
und zu bedenken<br />
Lesen der Anleitung zum<br />
Untätigsein<br />
10 Anleitung zum<br />
Untätigsein<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 1<br />
H: Angepackt! nicht<br />
vergessen!<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
Tn: Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
KL: Kursleiterinnen und Kursleiter<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
197
198<br />
Übersicht Kurseinheit 2: Bibel – einfach überlesen?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Anfang: Seite 8<br />
5 Besinnlicher<br />
Anfang<br />
A1: KL stellt provokante<br />
These auf und lässt sie<br />
diskutieren, z. B. aus der<br />
Anleitung zum Untätigsein.<br />
Definitionen von<br />
Armut und Reichtum:<br />
Seite 38<br />
eigene Beziehung zu Armut<br />
und Reichtum erforschen<br />
Vielfältigkeit der Definitionen<br />
wahrnehmen<br />
verschiedene Ebenen der Begriffe<br />
unterscheiden können<br />
•<br />
Brainstorming: Tn schreiben<br />
mögliche Definitionen von<br />
Armut und Reichtum auf<br />
Plakate<br />
Präsentation der Plakate,<br />
Möglichkeit für nachfragen<br />
Hinweis auf die Definitionen<br />
von Armut und Reichtum <strong>im</strong><br />
Kursbuch<br />
persönliche notizen ins<br />
Kursbuch<br />
•<br />
•<br />
20 Definitionen von<br />
Armut und<br />
Reichtum<br />
Plakate oder<br />
Flipchart<br />
Brainstorming<br />
und<br />
Diskussion/<br />
Plenum und<br />
Einzelarbeit<br />
•<br />
•<br />
A2: Kurzer Rückblick auf<br />
den ersten Kursteil: Wie<br />
wurden dort Armut und<br />
Reichtum definiert?<br />
•<br />
•<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
Referat 2: Seite 28 H: Bei zeitnot können die<br />
Diskussionsteile gekürzt<br />
oder weggelassen<br />
werden.<br />
Plenum bzw.<br />
2er-Gruppen<br />
Überblick über Armut und<br />
Reichtum aus biblischer Sicht<br />
Referat 2: Bibel – einfach überlesen?<br />
Referat inkl.<br />
Diskussion<br />
50<br />
+<br />
10<br />
Pause<br />
unterbrochen durch kurze<br />
Diskussionsteile<br />
während des Referats 10 Min.<br />
Pause einschalten<br />
Diskussion: Seite 35<br />
2er-Gruppen<br />
und<br />
Plenum<br />
persönliche Erkenntnisse<br />
formulieren<br />
Austausch zu den Fragen auf<br />
Seite 35 und Diskussionergebnisse<br />
<strong>im</strong> Plenum zusammentragen<br />
20 abschließende<br />
Diskussion zum<br />
Referat<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
schluss<br />
H: Kann bei zeitnot<br />
weggelassen werden.<br />
Einzelarbeit Bibelstellen zu<br />
Armut und Reichtum:<br />
Seite 36<br />
sich der großen Anzahl der<br />
Bibelstellen zu Armut und<br />
Reichtum bewusst werden<br />
10 Bibelstellen Auswahl an Bibelstellen überblicken<br />
und je nach Interesse<br />
lesen<br />
H: Angepackt! nicht<br />
vergessen!<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 2<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
199
200<br />
Übersicht Kurseinheit 3: Mission – einfach predigen?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
Rollenspiel: Seite 44<br />
vor Beginn 5 Freiwillige für das<br />
Rollenspiel „Gemeindeleitung“<br />
suchen, sie ihre Rolle lesen<br />
lassen<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Anfang: Seite 8<br />
5 Besinnlicher<br />
Anfang<br />
Plenum Rollenspiel: Seite 44 A: Das Rollenspiel ist<br />
auch in Kleingruppen<br />
möglich.<br />
Kennenlernen von und<br />
Identifikation mit verschiedenen<br />
„Missionstypen“<br />
5 Freiwillige spielen das<br />
Rollenspiel<br />
10 Rollenspiel<br />
„Gemeindeleitung“<br />
H: KL sollte Rollenspiel<br />
rechtzeitig abbrechen.<br />
Plenum A: KL kann Ergebnisse<br />
sichtbar festhalten (z.B.<br />
Klebepunkte auf Flipchart)<br />
und die Tn geben<br />
den „Missionstypen“<br />
Prioritäten-Punkte.<br />
die verschiedenen Positionen<br />
des Rollenspiels mit eigenen<br />
Meinungen ergänzen<br />
Brainstorming zu:<br />
• Was ist Mission?<br />
• Welche „Missionstypen“<br />
gibt es – <strong>im</strong> Rollenspiel und<br />
generell?<br />
10 Brainstorming zu<br />
Mission<br />
H: KL sollte abschließend<br />
darauf<br />
hinweisen, dass die Tn<br />
gegen Ende ihr eigenes<br />
Missionsverständnis aufschreiben.<br />
So können sie<br />
sich schon während des<br />
Referats dazu Gedenken<br />
machen.<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
Plenum Referat 3: Seite 45 H: Je nach Konsentrationsfähigkeit<br />
der Tn kann<br />
die Pause früher oder<br />
später eingeschoben<br />
werden.<br />
einen Ansatz des integralen<br />
Missionsauftrags kennenlernen<br />
Anregungen zur Definition des<br />
eigenen Missionsverständnisses<br />
bekommen<br />
über die Rolle der Gemeinde<br />
für den integralen Missionsauftrag<br />
nachdenken<br />
•<br />
Referat Referat 3: Mission – einfach<br />
predigen?<br />
•<br />
30<br />
+<br />
10<br />
Pause<br />
A: Im Referat gibt es<br />
einen Kasten, den man<br />
einfließen oder weglassen<br />
kann. Mit Kasten<br />
dauert das Referat ca. 35<br />
Min., ohne ca. 30 Min.<br />
•<br />
Diskussion: Seite 53 H: KL muss je nach<br />
Gruppe die Diskussion<br />
mittendrin abbrechen.<br />
Die Diskussion ist bewusst<br />
offen gehalten und<br />
muss keine definitiven<br />
Ergebnisse liefern.<br />
Kleingruppen<br />
und<br />
Plenum<br />
Vertiefung des eigenen<br />
Missionsverständnisses<br />
Diskussion über die Referats<br />
inhalte und/oder über die<br />
Fragen auf Seite 53<br />
25 abschließende<br />
Diskussion zum<br />
Referat<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 3<br />
Diskussionsergebnisse <strong>im</strong><br />
Plenum zusammentragen<br />
(ca. 5 Min.)<br />
A1: Falls noch zeit ist,<br />
können die Definitionen<br />
innerhalb der Kleingruppen<br />
diskutiert werden,<br />
wenn von den Tn gewünscht.<br />
Einzelarbeit Mein persönliches<br />
Missionsverständnis:<br />
Seite 54<br />
Festhalten des aktuellen eigenen<br />
Missionsverständnisses<br />
Tn schreiben ihre eigene<br />
Definition von Mission<br />
auf Seite 54<br />
5 eigenes Missionsverständnis<br />
A2: Die Tn können die<br />
Definitionen auf A6-<br />
Karten schreiben und zu<br />
Hause sichtbar platzieren.<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
201
202<br />
(Fortsetzung Übersicht Kurseinheit 3)<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder Hinweis<br />
(H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
schluss<br />
inhaltliche Standortbest<strong>im</strong>mung Plenum Editorial: Seite 3 H: Für den Rückblick/<br />
Ausblick liegt kein konkreter<br />
Text vor. KL sollte<br />
ihn aus ihrer/seiner<br />
Sicht und passend zur<br />
Kursgruppe geben.<br />
5 Rückblick/Ausblick • die ersten 3 Kurseinheiten<br />
kurz zusammenfassen<br />
• kurzen Ausblick auf die<br />
nächsten 3 Kurseinheiten<br />
geben<br />
• Tn motivieren, sich zu Hause<br />
mit den Kursinhalten zu beschäftigen<br />
(z.B. Bibelstellen<br />
nachlesen)<br />
A: Der „Kleine Lebenstest“<br />
kann auch von<br />
jedem Tn nur <strong>im</strong> Buch<br />
ausgefüllt werden. Die<br />
Statistik entfällt in diesem<br />
Fall.<br />
Einzelarbeit „Kleiner Lebenstest“:<br />
Seite 64<br />
Tn reflektieren ihren eigenen<br />
Lebensstil<br />
„Kleiner Lebenstest“ austeilen<br />
und/oder kurz erklären<br />
anschließend anonym ausfüllen<br />
lassen, einsammeln<br />
•<br />
15 „Kleiner<br />
Lebenstest“<br />
•<br />
Kopien davon<br />
H: Angepackt! nicht<br />
vergessen!<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
Kleingruppe: Gruppe aus 3 bis 6 Leuten<br />
Anmerkung zu „Kleiner Lebenstest“: Der „Kleine Lebenstest“ ist schon für jeden einzelnen Tn pädagogisch wertvoll. Die Ergebnisse der ganzen Gruppe können jedoch<br />
auch von der/vom KL statistisch ausgewertet und grafisch aufbereitet werden. Dazu muss der „Kleine Lebenstest“ kopiert und an die Tn verteilt werden. Ausnahmsweise<br />
ist darum das Kopieren der Seiten 64-67 erlaubt. Eine vorbereitete Excel-Tabelle zur Auswertung gibt’s auf der Homepage www.just-people.net.<br />
Bitte auf Anonymität achten (zum Beispiel nummern statt namen verwenden)!<br />
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ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 3<br />
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203
204<br />
Übersicht Kurseinheit 4: Ich – gerechter leben?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Anfang: Seite 8<br />
5 Besinnlicher<br />
Anfang<br />
erste Kurshälfte auffrischen Plenum H1: Bei großer Gruppe<br />
kann dies auch in<br />
Kleingruppen gemacht<br />
werden.<br />
5 Rückblick Kurzer Rückblick auf die<br />
ersten 3 Kurseinheiten:<br />
• Was ist hängen geblieben?<br />
• Was ist mir wichtig geworden?<br />
H: Wenn sich die Tn gut<br />
kennen, könnte man darüber<br />
reden, wieso man<br />
in einzelnen Punkten<br />
des Tests vom Gruppendurchschnitt<br />
abweicht.<br />
„Kleiner Lebenstest“:<br />
Seite 64<br />
Plenum und<br />
Kleingruppen<br />
Hinterfragen des eigenen<br />
Lebensstils in verschiedenen<br />
Bereichen<br />
Tn vergleichen sich mit der<br />
Gruppe<br />
•<br />
Testergebnisse präsentieren<br />
in Kleingruppen darüber<br />
diskutieren mit Fragen wie:<br />
- Was zeigen die Ergebnisse?<br />
- Gibt es Überraschendes?<br />
•<br />
•<br />
20 Auswertung<br />
„Kleiner Lebenstest“<br />
ausgefüllte Kopien<br />
vom letzten Mal<br />
•<br />
evt. Excel-Tabelle<br />
(Grafiken)<br />
A: Wenn keine Statistik<br />
gemacht wurde, kann<br />
man einfach nur über<br />
den Lebenstest und<br />
seine Fragen reden.<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
Plenum Referat 4: Seite 58<br />
kurzer Blick auf die Konsumgesellschaft<br />
Ansätze für ein gerechteres<br />
Leben thematisieren: Gebet,<br />
Bescheidenheit, Teilen<br />
•<br />
Referat 4: Ich – gerechter<br />
leben?<br />
30 Referat inkl.<br />
Diskussion<br />
•<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
10 Pause<br />
H: Am Ende können die<br />
Tn die stummen Dialoge<br />
der anderen Gruppen<br />
lesen.<br />
Plakate oder kleine<br />
zettel (z.B. Post-its),<br />
Stifte<br />
Kleingruppen<br />
Vertiefung und persönliche<br />
Auseinandersetzung mit dem<br />
Thema<br />
auch eher wortkarge oder<br />
scheue Tn können zum zug<br />
kommen<br />
•<br />
stummer Dialog über die<br />
Referatsinhalte<br />
Ausgangspunkt: „Gleicht<br />
euch nicht dieser Welt an…“<br />
(Römer 12,2)<br />
•<br />
•<br />
30 abschließende<br />
Diskussion als<br />
stummer Dialog<br />
•<br />
schluss<br />
H: Die Punkte für einen<br />
gerechteren Lebensstil<br />
sollten smart gewählt<br />
werden:<br />
spezifisch, messbar,<br />
angemessen, realistisch,<br />
terminiert.<br />
Einzelarbeit Papier,<br />
Briefumschläge<br />
Selbstverpflichtung der Tn;<br />
fördert nachhaltige Veränderung<br />
nach dem Kurs (Erinnerung)<br />
15 Brief an sich selbst • jede/r schreibt mindestens 3<br />
konkrete, schnell umsetzbare<br />
Punkte für einen gerechteren<br />
Lebensstil in einen<br />
Brief an sich selbst<br />
• KL sammelt Briefe ein<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 4<br />
KL schickt 2 Monate nach<br />
•<br />
Kursende den Tn ihren Brief<br />
zu<br />
H: Angepackt! nicht<br />
vergessen!<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
Anmerkung zum stummen Dialog: Die Tn erhalten kleine zettel (zum Beispiel Post-its) und sitzen in kleinen Gruppen in einem Kreis. In der Mitte liegt ein zettel mit<br />
„Gleicht euch nicht dieser Welt an…“ (Römer 12,2). nun darf schriftlich diskutiert werden: Jemand schreibt etwas auf einen zettel und legt ihn an den ersten zettel an.<br />
Andere können nun auf den zweiten zettel reagieren oder direkt auf den ersten. So entstehen nach und nach verschiedene Diskussionsstränge.<br />
Wichtig: Es darf nicht gesprochen werden, sondern alles läuft schriftlich. Es sollte ausreichend Platz vorhanden sein, damit die verschiedenen Diskussionsstränge<br />
sich gut „verästeln“ können.<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
205
206<br />
Übersicht Kurseinheit 5: Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Anfang: Seite 8<br />
5 Besinnlicher<br />
Anfang<br />
Anleitung zum<br />
Untätigsein:<br />
Seite 24<br />
Kleingruppen<br />
über eventuelle Veränderungen<br />
der eigenen Meinung<br />
nachdenken<br />
Argumente für oder gegen<br />
einzelne Punkte der Anleitung<br />
zum Untätigsein hinterfragen<br />
•<br />
die einzelnen Punkte der<br />
Anleitung zum Untätigsein<br />
noch einmal diskutieren<br />
(notizen!)<br />
10 Rückblick und<br />
Diskussion<br />
•<br />
H: Eine gute Möglichkeit<br />
mit <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> oder<br />
der Micha-Initiative in<br />
Kontakt zu bleiben, sind<br />
die newsletter, die man<br />
online abonnieren kann.<br />
Plenum Micha-Aufruf:<br />
Seite 79<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und Micha-<br />
Initiative kennenlernen<br />
Tn wissen, dass man mitmachen<br />
kann, wenn man will<br />
•<br />
landesspezifische Kampagne<br />
vorstellen<br />
•<br />
10 Vorstellung Micha-<br />
Inititiave,<br />
<strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong><br />
Vertiefungsartikel:<br />
Seite 158<br />
Homepages s.u.<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
Plenum Referat 5: Seite 70<br />
zusammenhang zwischen<br />
Politik und Engagement<br />
gegen Armut sehen<br />
Handlungsspielraum in Politik<br />
und Gesellschaft erkennen<br />
•<br />
Referat 5: Gesellschaft –<br />
gerechter gestalten?<br />
50 Referat inkl.<br />
Diskussion<br />
•<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
10 Pause<br />
Aktion<br />
H1: Punkte aus der<br />
Diskussion können nach<br />
dem Referat praktisch<br />
umgesetzt/eingebaut<br />
werden.<br />
Just People?-<br />
Aktion: Seite 80<br />
Plenum/<br />
Kleingruppen<br />
ein fertiges Konzept (jeder<br />
kennt seine Aufgaben)<br />
es ist klar, was in Kurseinheit<br />
6 be<strong>im</strong> Programmpunkt „Just<br />
People?-Aktion“ zu tun ist<br />
•<br />
Startschuss für die Just<br />
People?-Aktion<br />
• Brainstorming<br />
• Konzept<br />
• Aufgabenverteilung<br />
• Vorbereitung des Programmpunktes<br />
„Just People?-Aktion“ in<br />
Kurseinheit 6<br />
30 Just People?-<br />
Aktion<br />
•<br />
zusätzlich für<br />
KL: Just People?-<br />
Aktion: Seite 185<br />
H2: zwischen Kurseinheit<br />
5 und 6 sollte schon<br />
ein Teil des Materials<br />
beschafft werden, um<br />
in Kurseinheit 6 besser<br />
arbeiten zu können.<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 5<br />
schluss<br />
H: Angepackt! nicht<br />
vergessen!<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
Hinweis zur Vorstellung von <strong>StopArmut</strong> <strong>2015</strong> und Micha-Initiative: Just People? ist <strong>im</strong> Rahmen von Micah Challenge von den beiden nationalen Kampagnen <strong>StopArmut</strong><br />
<strong>2015</strong> und Micha-Initiative Deutschland ausgearbeitet worden. Wir bitten dich, unsere Kampagnenarbeit kurz vorzustellen. Du findest alle nötigen Informationen auf<br />
unseren Homepages. Dort kannst du auch Material bestellen: www.stoparmut<strong>2015</strong>.ch, www.micha-initiative.de.<br />
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207
208<br />
Übersicht Kurseinheit 6: Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
Just PEoPlE?<br />
Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
Einstieg<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Anfang: Seite 8<br />
5 Besinnlicher<br />
Anfang<br />
Plenum Flipchart H: Die gesammelten<br />
Punkte bleiben während<br />
des Referats sichtbar.<br />
Einst<strong>im</strong>mung auf das Referat<br />
die Kirche „mal anders“<br />
sehen<br />
•<br />
•<br />
5 Diskussion Den Tn wird folgende Frage<br />
gestellt:<br />
• Wie wirkt die Kirche nach<br />
außen?<br />
oder:<br />
• Wie reden die Leute in eurem<br />
Umfeld über die Kirche<br />
(positiv und negativ)?<br />
Antworten aufschreiben<br />
Erarbeitung und Vertiefung<br />
Referat 6: Seite 86 H1: Auf die vorher genannten<br />
Punkte eingehen, wenn<br />
sie zum Referat passen.<br />
Plenum und<br />
Kleingruppen<br />
Wirkung der Kirche und<br />
einzelnen Gemeinden kritisch<br />
hinterfragen<br />
das Potential des Gebets und<br />
der weltweiten Kirche erkennen<br />
•<br />
Referat 6: Kirche – gerechter<br />
nachfolgen?<br />
Referat inkl.<br />
Diskussion<br />
•<br />
30<br />
+ evtl.<br />
zeit<br />
für<br />
Gebet<br />
H2: KL kann <strong>im</strong> Referat<br />
Raum für Gebet geben.<br />
Dann bitte mehr zeit einplanen!<br />
H3: Einen fließenden<br />
Übergang zum nächsten<br />
Programmpunkt schaffen:<br />
Was könnte man in der Just<br />
People?-Aktion umsetzen?<br />
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Was Inhalt ziel Sozialform Material Alternative (A) oder<br />
Hinweis (H)<br />
Dauer<br />
(Min.)<br />
Diskussion: Seite 91<br />
Kleingruppen<br />
(wenn<br />
möglich aus<br />
gleichen<br />
Gemeinden)<br />
über Möglichkeiten nachdenken<br />
konkrete Schritte planen<br />
•<br />
•<br />
Austausch zu den Fragen und<br />
Handlungs<strong>im</strong>pulsen auf<br />
Seite 91<br />
15 abschließende<br />
Diskussion zum<br />
Referat<br />
10 Pause<br />
Aktion<br />
H: KL und Tn prüfen, ob<br />
alles klar ist bzgl. Just<br />
People?-Aktion.<br />
Just People?-<br />
Aktion: Seite 80<br />
Plenum/<br />
Kleingruppen<br />
möglichst viel schon <strong>im</strong> Kurs<br />
selbst vorbereiten<br />
zeitplan fertigstellen<br />
•<br />
Ideen von Kurseinheit 5 umsetzen<br />
und (wenn möglich)<br />
konkrete Arbeiten erledigen<br />
Terminplanung für Arbeiten<br />
außerhalb der Kurseinheiten<br />
•<br />
40 Just People?-<br />
Aktion<br />
•<br />
•<br />
ÜBERSICHTEn KURSEInHEIT 6<br />
schluss<br />
Plenum H: Eine kreative Tätigkeit<br />
kann unter Umständen<br />
länger dauern.<br />
Abrundung der Inhalte<br />
Motivation, Gelerntes<br />
umzusetzen<br />
•<br />
•<br />
10 Kursabschluss individuell nach Kursgruppe:<br />
• erneuter Kursüberblick<br />
• Schlussdiskussion<br />
• Rückmeldungen (Fragebogen<br />
auf www.just-people.<br />
net)<br />
• Erinnerung basteln, malen<br />
• Schlusswort<br />
• etc.<br />
Plenum Besinnlicher<br />
Schluss: Seite 10<br />
5 Besinnlicher<br />
Schluss<br />
Total: 120 Minuten<br />
Diese Seite darf kopiert werden.<br />
209
JuSt people?:<br />
Nur MeNscheN oDer gerechte MeNscheN?<br />
Eine Welt, in der weniger Menschen verhungern, in der<br />
jede und jeder wenigstens die Grundschule besuchen<br />
darf, in der Kranke einen Arzt in Reichweite haben, in<br />
der Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Eine Welt,<br />
in der Aids und Malaria bekämpft werden, in der Menschen<br />
die Schöpfung achten und bewahren, in der für<br />
Produkte ein fairer Preis bezahlt wird, damit alle leben<br />
können. Eine Welt, in der Menschen gemeinsam auf dem<br />
Weg sind, einander helfen und ihr Leben teilen…<br />
Ist das mehr als ein Traum? Ist solch eine gerechtere<br />
Welt sogar Gottes Herzensanliegen? Und wenn ja,<br />
sollten wir uns dann nicht als Christen gegen globale<br />
Armut engagieren? Für das Evangelium in Wort und<br />
Tat? Immerhin: Laut einer Umfrage von 2009 interessieren<br />
sich 80,4 Prozent der Christen in Deutschland<br />
für globale Armut, aber bei nur 26,7 Prozent spielt dieses<br />
Thema in der Gemeinde eine große Rolle und nur<br />
17,6 Prozent finden, dass Christen ihre Verantwortung<br />
in Bezug auf globale Armut ausreichend wahrnehmen.<br />
Hier setzt Just People? an.<br />
Dies ist nicht nur ein Buch, sondern ein Wegbegleiter – für<br />
Gemeinden, Hauskreise, Jugendgruppen oder einzelne<br />
Personen. In sechs spannenden und herausfordernden<br />
Kurseinheiten zu je 120 Minuten wird das Thema Armut<br />
und Gerechtigkeit aufgerollt: Den Kern jeder Kursein-<br />
heit bildet ein Referat, ergänzt von vielen kreativen und<br />
abwechslungsreichen Elementen. Der Kurs stellt Fragen<br />
und schafft Raum für Diskussionen und Austausch. Fester<br />
Bestandteil ist die Just People?-Aktion, die alle Teilnehmenden<br />
zusammen auf die Beine stellen und durchführen.<br />
Achtzehn Vertiefungsartikel bieten zusätzliche Informationen<br />
und Anregungen.<br />
Immer wieder geht es um die Frage, was der Einzelne<br />
und die christliche Gemeinde für eine gerechtere Welt<br />
tun kann:<br />
Kurseinheit 1: Welt – einfach wegschauen?<br />
Kurseinheit 2: Bibel – einfach überlesen?<br />
Kurseinheit 3: mission – einfach predigen?<br />
Kurseinheit 4: Ich – gerechter leben?<br />
Kurseinheit 5: Gesellschaft – gerechter gestalten?<br />
Kurseinheit 6: Kirche – gerechter nachfolgen?<br />
Die Frage ist: Sind wir just people, „nur Menschen“, deren<br />
Taten sowieso nichts bringen, oder sind wir just people,<br />
„gerechte Menschen“, die sich für eine bessere Welt einsetzen?<br />
Von der Antwort auf diese Frage hängt nicht<br />
weniger ab als unsere Zukunft. Weil wir zusammen auf<br />
einer Welt leben. Als Gemeinschaft.<br />
Na dann, los geht’s!<br />
stopArmut <strong>2015</strong> ist eine durch den Verband Interaction verantwortete Kampagne der schweizerischen evangelischen Allianz.<br />
In Zusammenarbeit mit<br />
sponsoren<br />
WWW.JuSt-people.net<br />
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