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Heft Seckau heute 850112_Heftlayout - Abtei Seckau

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„Die Sehnsucht ist der Anfang<br />

von allem.“ (Nelly Sachs)<br />

von P. Othmar Stary<br />

Engel, Meister von<br />

Grosslobming, um 1380<br />

Weiß der Adler im Hühnerstall, dass er kein Huhn ist, das unaufhörlich am Boden<br />

scharren muss, um Körner aufzupicken, sondern das Herz eines Adlers in sich<br />

trägt? Spürt er das Verlangen, sich vom Boden zu erheben und in die Höhe<br />

aufzusteigen? Wenn er zufällig aufblickt und einen Adler sieht, der am Himmel seine Kreise<br />

zieht, regt sich in ihm plötzlich das Verlangen, vom Boden abzuheben und die Luft zu<br />

durchstreifen. In ihm rührt sich die Lust, sich von der Bodenhaftung zu lösen, aus der Enge<br />

der Umzäunung auszubrechen und den schon gewohnten Bereich hinter sich zu lassen,<br />

weil er seinem Wesen nach dafür geschaffen ist. Sobald der Adler entdeckt, dass ihm die<br />

Höhe und Weite als Lebensraum zugewiesen ist, hält es ihn nicht mehr dort, wo er sich als<br />

Eingesperrter vorkommt und gleichsam als Verurteilter verkommen müsste. Der Vogel, der<br />

das Fliegen als sein Lebenselement entdeckt, kann es nicht ertragen, in einem Gefängnis<br />

festgehalten zu werden und zum Kriechen und Krabbeln verurteilt zu sein. Wenn es ihm<br />

nicht gelingt, die Einschränkung zu durchbrechen, sich aus dem Gewahrsam zu befreien,<br />

bleibt ihm nichts anderes übrig als zu verenden. Es war ihm ja nicht vergönnt, der zu werden<br />

und zu sein, wofür er geschaffen und bestimmt war.<br />

Was ist es, das dieses unstillbare Verlangen auslöst, das nicht zur Ruhe kommt, bis es sein<br />

Ziel erreicht? Es ist nicht nur dem Adler eingepflanzt, sondern bricht in jedem Menschen<br />

auf und bleibt ein dauernder Unruhestifter, der sich nicht zum Schweigen oder Verschwinden<br />

bringen lässt. Er drängt vielmehr darauf, beachtet zu werden, Berücksichtigung zu finden,<br />

damit alles unternommen wird, was seine Zielstrebigkeit für erforderlich hält. Es handelt<br />

sich um das unaufhörliche Streben nach dem „Mehr“, das sich nicht mit dem Vorhandenen<br />

zufrieden gibt. „Es muss doch mehr als alles geben“. So hat es Dorothee Sölle in<br />

einem Buch benannt, dessen Inhalt dem „Nachdenken über Gott“ gewidmet ist. Es ist<br />

damit deutlich ausgesprochen, dass dieses beständige Verlangen, diese ungestüme Sehn-<br />

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