Nr. 48 - epd
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Pressedienst<br />
30. November 2012<br />
<strong>48</strong><br />
INHALT Vom Volontär zum Generaldirektor<br />
Mit Hall will die BBC ihre Krise schnell überwinden / Von Christiane Link 3<br />
Im Salon des Fernsehens<br />
Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden 2012 / Von Diemut Roether 5<br />
Der letzte Atemzug<br />
Die ARD-Themenwoche „Leben mit dem Tod“ / Von Barbara Sichtermann 9<br />
Inland<br />
Insolvente dapd kündigt 98 Mitarbeitern 13<br />
ARD will Gespräche über Jugendkanal führen 14<br />
Volker Herres bleibt Programmdirektor der ARD 15<br />
Streit um „Tagesschau“-App: Spitzengespräch im Frühjahr 15<br />
Ende im Dezember: „Financial Times Deutschland“ wird eingestellt 16<br />
Weitere Inlandsmeldungen ab Seite 17<br />
Internationales<br />
Tony Hall wird Generaldirektor der BBC 30<br />
ORF darf Facebook-Seiten vorerst weiterbetreiben 30<br />
Europäisches Gericht stärkt Quellenschutz 31<br />
ZDF/ARTE-Film „Musik als Waffe“ mit Emmy ausgezeichnet 31<br />
Neue Regierung verändert georgische Medienlandschaft 32<br />
Weitere internationale Meldungen ab Seite 33<br />
Kritik<br />
„Und dennoch lieben wir“ von Tiefenbacher/Herzfeld/Kluger (ARD/Degeto) 34<br />
„Mit geradem Rücken“ von Florian Froschmayer und Sophia Krapoth (Sat.1) 35<br />
„Marie Brand und das Lied von Tod und Liebe“ von Balthasar/Stauch/Bitar (ZDF) 36<br />
„Die Tote im Moorwald“ von Hans Horn und Annika Tepelmann (ZDF) 37<br />
Weitere Kritiken ab Seite 38<br />
Dokumentation<br />
Die Preise beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden 2012 43
2 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
„Dein Netz“ versus Baskenmütze. Von Erklär-Videos und Propaganda<br />
<strong>epd</strong> Ende April 2012 wagte sich der Bund Deutscher<br />
Zeitungsverleger (BDZV) endlich in die Höhle<br />
der Löwen. Parallel zur Erstellung eines Twitterkanals<br />
(aktuell 299 Follower) wurde ein Video auf den<br />
eigenen Youtube-Kanal (aktuell 19 Abonnenten) hochgeladen,<br />
das bis heute die mit Abstand meisten Klicks<br />
erntete (aktuell 4.298). Das Video trägt den - für<br />
BDZV-Verhältnisse ziemlich knackigen - Titel „Leistungsschutzrecht<br />
für Verlage“ und widmet sich der<br />
Diskussion mit Lehrbuchbildchen und in erklärbärigem<br />
Tonfall.<br />
„An der einen Front“ (im Bild links): „Verlage, die für<br />
die Produktion der redaktionellen Inhalte sorgen“.<br />
Eine Hand schiebt eine Zeichnung von vier Menschen<br />
ins Bild. Der mit dem Sakko ist, das erfährt man später,<br />
der Verleger. Er trägt einen Vollbart, das passt zu<br />
dem lässig-intellektuellen Stil seiner Angestellten, die<br />
entweder Pulli über dem Hemd (Mann) oder Kostüm<br />
mit Rock (Frauen) tragen; die mit der Baskenmütze ist<br />
vermutlich die Kulturredakteurin.<br />
Dem Bohème-Trüppchen gegenüber stehen drei glatt<br />
gelackte Gestalten in Anzügen, mit Ziegenbärtchen,<br />
Bob oder Föhnlocke, zwei grinsen höhnisch; die<br />
Stimme aus dem Off bezeichnet sie als „gaaanz besondere<br />
Nutzer, die den Content der Verlage einsetzen,<br />
um damit Geld zu verdienen, ohne für diese Verwendung<br />
zu bezahlen“. Ein Stapel Geldscheine wird ins<br />
Bild geschoben, später kommen eine Jacht und ein<br />
Sportwagen sowie Sonnenbrillen auf den Nasen der<br />
gaaanz besonderen Nutzer hinzu.<br />
Plötzlich muss der Erzähler erkennen: „Einer ist in diesem<br />
Streit noch gar nicht um seine Meinung gefragt<br />
worden.“ Ein papiernes Wesen mit einem freundlichen<br />
lächelnden Gesichtchen tritt auf. Es ist: „der redaktionelle<br />
Beitrag“. Der steht dann da herum und wird von<br />
niemandem mehr nach seiner Meinung gefragt.<br />
Und während sich der BDZV noch in einer derart niedlichen,<br />
zumindest aber argumentativ auszutragenden<br />
Auseinandersetzung wähnt, erklären sich jene<br />
„gaaanz besonderen Nutzer“ bereits zum Opfer ei-<br />
IMPRESSUM<br />
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■ TAGEBUCH ■<br />
nes Angriffskriegs - und ordnen die Mobilmachung<br />
an: „Verteidige Dein Netz“ heißt das Video, das Google<br />
Deutschland nun publiziert hat. Darin kommen<br />
keine Frauchen und Männchen vor, sondern viele,<br />
viele Google-Suchanfragen mit 100-prozentiger Erfolgsquote;<br />
auch geht es nicht um die Erläuterung<br />
der eigenen Position, sondern schlicht und einfach<br />
um Gefühle. Genauer gesagt: um vermeintlich typisch<br />
deutsche Gefühle.<br />
Mit Begriffen wie Millennium-Bug, Euro-Starterkit, Tsunami,<br />
Lehmanns Zettel, Eisbär Knut, Eyja-irgendwas-<br />
Vulkan, Abwrackprämie, BVB, Mars-Mission, Köhler-<br />
Rücktritt, Arabischer Frühling, Stuttgart21, Rente,<br />
Herdprämie und so weiter will die Suchmaschine die<br />
nationale Historie der vergangenen Dekade als von ihr<br />
mitbestimmte vorstellen und sich darin einschreiben:<br />
„Seit über zehn Jahren kannst Du jederzeit finden, was<br />
Dich bewegt.“<br />
Zum Grübeln über den kausalen Zusammenhang von<br />
Finden und Bewegtsein bleibt allerdings keine Zeit,<br />
denn es folgt der finale Befehl: „Verteidige Dein Netz.<br />
Finde weiterhin, was Du suchst.“ Wenn ich finde, was<br />
ich suche, verteidige ich also „mein“ Netz also Google<br />
also mein Netz. . . ? Dass dieser Slogan an die existenzielle<br />
Identifizierung der „Du bist Deutschland“-<br />
Kampagne erinnert, ist freilich kein Zufall.<br />
„Verteidige Dein Netz“ ist tatsächlich noch banaler<br />
populistisch als die BDZV-Anbiederung an den Neid<br />
des Intellektuellen auf den Kapitalisten und dessen<br />
Geld, Jacht und Sportwagen. Google ist immerhin<br />
eines der wichtigsten Medienunternehmen dieser Erde<br />
- fällt denen wirklich nichts Besseres als solch ein<br />
Videolein ein? Im Grunde hat dieser Spot nicht einmal<br />
die Bezeichnung „üble Propaganda“ verdient, die<br />
der BDZV sogleich entrüstet äußerte.<br />
Für so dumm wie von Google möchte<br />
man jedenfalls nicht gehalten und<br />
verkauft werden. Dann fast noch lieber,<br />
traurig genug, die BDZV-Baskenmütze.<br />
Katrin Schuster<br />
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Vom Volontär zum Generaldirektor<br />
■ DEBATTE ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 3<br />
Mit Hall will die BBC ihre Krise schnell überwinden / Von Christiane Link<br />
<strong>epd</strong> Tony Hall zum Generaldirektor zu ernennen, ist<br />
nicht gerade ein Zeichen für einen Generationenwechsel<br />
bei der BBC: Mit 61 Jahren ist er sechs Jahre älter<br />
als sein Vor-Vorgänger Mark Thompson. Dennoch, die<br />
Ernennung Halls wurde mehrheitlich positiv aufgenommen<br />
(vgl. Meldung in dieser Ausgabe). Hatten manche<br />
Beobachter befürchtet, die Regierung könnte die Gunst<br />
der Stunde nutzen, um einen konservativen regierungsnahen<br />
Manager in die Führungsetage der BBC einziehen<br />
zu lassen, war sowohl in Teilen der Politik als auch in<br />
der Branche schon fast Erleichterung zu verspüren als<br />
der Name Tony Hall fiel.<br />
Einige hatten gar mit Jeremy Hunt, dem jetzigen Gesundheitsminister<br />
gerechnet. Hunt war bis zur Neuordnung<br />
des Kabinetts im September Kulturminister und damit<br />
auch für den Bereich Medien und für die geplante Übernahme<br />
von BSkyB durch Murdochs News International<br />
verantwortlich, die wegen des Abhörskandals in letzter<br />
Minute platzte.<br />
So stellte die neue Kulturministerin, Maria Miller, im<br />
Parlament auch gleich klar, dass Unabhängigkeit für die<br />
BBC das höchste Gut ist: „Die BBC ist eine unabhängige<br />
Institution und ihre Unabhängigkeit ist nicht und<br />
wird niemals in Frage gestellt werden.“ Die einzige<br />
Organisation, die das Vertrauen bei der Bevölkerung<br />
wieder herstellen könne, sei die BBC selbst. Tony Hall gilt,<br />
im Gegensatz zu Jeremy Hunt, als politisch unabhängig.<br />
Seit 2010 sitzt er als so genannter Crossbencher - also<br />
als Parteiloser - im britischen Oberhaus.<br />
Erfolgreicher Kulturmanager<br />
Hall ist zudem ein BBC-erfahrener Mann. Bevor er<br />
Geschäftsführer des Royal Opera Houses wurde, war<br />
Hall fast 30 Jahre lang für die britische Rundfunkanstalt<br />
tätig. Er kam 1973 als Volontär zur BBC, arbeitete an<br />
vielen Radio- und Fernsehprogrammen mit, bis er 1985<br />
leitender Redakteur der „BBC Nine O’Clock News“ wurde.<br />
1990 dann wurde er Direktor der Abteilung „Nachrichten<br />
und Zeitgeschehen“, bis er 2001 die BBC verließ, um<br />
das Opernhaus zu leiten. Unter seiner Führung startete<br />
die BBC Programme wie BBC Radio 5 Live, BBC News<br />
24 und BBC News Online.<br />
Aber Hall war nicht nur bei der BBC erfolgreich. Er<br />
schaffte es als Direktor des Royal Opera House, mit<br />
neuen Konzepten auch junge Leute für klassische Musik<br />
zu begeistern. Er führte ein 10-Pfund-Ticket (etwa<br />
12 Euro) für Studenten ein. Außerdem hatte er die<br />
Idee, Opernaufführungen ins ganze Land übertragen zu<br />
lassen und sie auf Leinwänden zu zeigen, unter anderem<br />
auf dem Trafalgar Square im Herzen Londons. Dass<br />
diese und andere Ideen von Erfolg gekrönt waren, lässt<br />
sich auch in Zahlen messen: Unter Hall steigerte das<br />
Opernhaus seinen Umsatz von 45 Millionen Pfund (etwa<br />
55 Millionen Euro) auf 106 Millionen Pfund (etwa 131<br />
Millionen Euro). So hat er dem Opernhaus finanzielle<br />
Stabilität und Kreativität gebracht.<br />
Hall wird seine neue Stelle bei der BBC allerdings erst<br />
im März antreten. So lange bleibt Tim Davie kommissarischer<br />
Generaldirektor. In einer Ansprache kurz nach<br />
seiner Ernennung machte Hall den BBC-Mitarbeitern<br />
Mut: „Die vergangenen Wochen waren schwierig - aber<br />
zusammen werden wie das durchstehen.“ Er werde<br />
sicherstellen, dass die Nachrichten der BBC die Besten<br />
der Welt sind. „Ich fühle mich verpflichtet, dies zu<br />
einem Ort zu machen, an dem die besten und klügsten<br />
kreativen Menschen arbeiten möchten“, sagte er. Er<br />
wisse aus seinen ersten Tagen als Nachrichten-Volontär,<br />
aus der Zeit als er Nachrichtenchef war, aber auch aus<br />
seiner Zeit beim Royal Opera House, dass er das nicht<br />
alleine schaffen könne. „Die richtigen Teams zusammenarbeiten<br />
zu lassen, die sich gegenseitig motivieren, ist<br />
der Schlüssel.“<br />
Bereits vorher Kandidat gewesen<br />
Hall war bereits vor der Ernennung von Entwistle gefragt<br />
worden, ob er die Nachfolge von Mark Thompson<br />
antreten wolle. Das war vor acht Monaten, als Hall das<br />
hoch gelobte Kulturprojekt der Olympischen Spiele, die<br />
Cultural Olympiad, verantwortete. Er wolle das Projekt<br />
zu Ende bringen, sagte er damals Lord Patten, dem<br />
Vorsitzenden des BBC Trust. Aber die Olympischen Spiele<br />
sind zu Ende und damit auch das Kulturprojekt Cultural<br />
Olympiad. Nachdem die BBC so tief in der Krise steckt,<br />
hat sich Hall bereit erklärt, den Posten nun doch zu<br />
übernehmen.<br />
Wochenlang kam die BBC nach der Ernennung Entwistles<br />
nicht zur Ruhe. Erst erschütterten die Missbrauchsvorwürfe<br />
gegen den verstorbenen BBC-Entertainer<br />
Jimmy Savile die Organisation (<strong>epd</strong> 42, 43/12). Kurz<br />
darauf hatte die Berichterstattung über den angeblichen<br />
sexuellen Missbrauch eines Kindes durch einen<br />
hochrangigen konservativen Politiker aus der Thatcher-<br />
Ära Entwistle den Job gekostet (<strong>epd</strong> 46/12). In der<br />
Flaggschiff-Sendung der BBC, „Newsnight“, hatte ein<br />
Missbrauchsopfer berichtet, wie es als Kind in einem<br />
walisischen Kinderheim vergewaltigt wurde. Der Sender<br />
behauptete, bei dem Täter handele es sich um einen
4 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
konservativen Politiker, was sich später als falsch erwies.<br />
Bereits nach 54 Tagen im Amt trat Entwistle zurück.<br />
Über seinen Nachfolger entschied das Aufsichtsgremium<br />
der BBC, der BBC Trust, bereits zwei Wochen nach<br />
Entwistles Rücktritt. Mit der schnellen Ernennung Halls<br />
will die BBC ein deutliches Signal senden, dass sie<br />
so schnell wie möglich aus ihrer Krise herauskommen<br />
möchte. „Die BBC ist so wichtig, dass er sich entschieden<br />
hat, den Job doch zu übernehmen“, sagte Lord Patten<br />
vor dem Kultur-, Medien- und Sportausschuss des<br />
Parlaments Anfang dieser Woche. Er hoffe, dass Hall<br />
ein Team um sich herum aufbaue, so dass es künftig<br />
einfacher werde, neue Kandidaten für den Posten des<br />
Generaldirektors zu finden.<br />
Abfindung sorgt für Kritik<br />
Aber auch mit der Ernennung eines neuen Generaldirektors<br />
hat die BBC die Krise noch nicht überwunden.<br />
Noch vor Weihnachten soll der Pollard-Report veröffentlicht<br />
werden, der untersucht, wie es 2011 zu der<br />
redaktionellen Entscheidung kam, das Interview mit<br />
einem Opfer des Entertainers Jimmy Savile nicht zu<br />
senden. Die Untersuchung über die Fälle des sexuellen<br />
Missbrauchs selbst wird noch Monate dauern, sagte<br />
Lord Patten im Parlamentsausschuss.<br />
Nicht zuletzt war dort auch die Abfindungszahlung an<br />
Entwistle ein Thema. Der BBC Trust hatte Entwistle<br />
zugesagt, ihm eine Abfindung von 450.000 Pfund<br />
(rund 557.000 Euro) zu zahlen. Das entspricht einem<br />
Jahresgehalt des Generaldirektors. Seit dies bekannt<br />
wurde, muss Lord Patten sich Kritik, auch von der<br />
Regierung, gefallen lassen. Dem Ausschuss erklärte<br />
Patten, man habe keine arbeitsrechtliche Handhabe<br />
gehabt, Entwistle zu entlassen. Deshalb sei man darauf<br />
angewiesen gewesen, dass Entwistle freiwillig geht.<br />
Entwistle habe sogar eine höhere Summe verlangt, auf<br />
die Hälfte des Geldes habe er sich nicht einlassen wollen.<br />
Ihm seien die Hände gebunden gewesen, sagte Lord<br />
Patten.<br />
■ DEBATTE ■<br />
Nun muss er aufpassen, dass die Affäre nicht auch<br />
noch seinen Kopf kostet. Während der Befragung durch<br />
den Parlamentsausschuss lieferte er sich mit dem<br />
konservativen Abgeordneten Philip Davies einen wenig<br />
herzlichen Austausch. Davies fragte Lord Patten nach<br />
seinen diversen Nebenjobs, mehr als zehn sollen es sein,<br />
und stellte damit infrage, ob Lord Patten seiner Tätigkeit<br />
als Vorstand des BBC Trust genug Aufmerksamkeit<br />
schenkt - erst recht in Zeiten der Krise. Auch ob er<br />
schon mal über einen Rücktritt nachgedacht hätte,<br />
wurde er von einem Abgeordneten gefragt.<br />
Kein Bunga-Bunga<br />
„Ungefähr acht Tage die Woche“ arbeite er derzeit als<br />
Vorsitzender des BBC Trust, sagte Lord Patten sichtlich<br />
verärgert. Ein Blogger hatte eine Informationsanfrage<br />
an den BBC Trust gestellt, aus der hervorging, dass<br />
Lord Patten in den ersten sechs Monaten des Jahres<br />
durchschnittlich nur zwei Tage die Woche im Büro<br />
war. Darauf spielte der Abgeordnete an. Lord Patten<br />
aber sagte, er arbeite mindestens drei oder vier Tage in<br />
der Woche als Vorsitzender und an ein bis zwei Tagen<br />
erledige er andere BBC-Arbeiten.<br />
Aber eines machte Lord Patten deutlich: Die BBC sei in<br />
der Lage, aus der Krise wieder herauszukommen. „Die<br />
Leute bei BBC sind fassungslos darüber, was passiert<br />
ist, aber sie machen ihre Arbeit wie üblich. Die BBC ist<br />
keine Organisation, die dabei ist auseinanderzufallen“,<br />
sagte er. Er warnte davor, die BBC grundsätzlich in<br />
Frage zu stellen. Größtenteils repräsentiere die BBC die<br />
besten Werte des Landes. „Jeder, der die BBC durch<br />
den Dreck zieht, den sollte man dazu zwingen, eine<br />
Woche lang italienisches, französisches, deutsches oder<br />
amerikanisches Fernsehen zu sehen - naja deutsches<br />
Fernsehen vielleicht nicht“, sagte Lord Patten. „Wenn<br />
man italienisches Fernsehen mit Bunga Bunga möchte,<br />
bei dem der Premierminister die Entscheidungen trifft,<br />
dann soll es so sein.“ ■
Im Salon des Fernsehens<br />
■ DEBATTE ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 5<br />
Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden 2012 / Von Diemut Roether<br />
<strong>epd</strong> Das Leben erzählt die besten Geschichten. Zum<br />
Beispiel die von dem kleinen Mädchen, das eigentlich<br />
schon ertrunken war, aber dann durch eine gewagte<br />
Notoperation im Krankenhaus doch noch gerettet wurde.<br />
Dass das Mädchen keine Schäden zurückbehielt, grenzte<br />
an ein Wunder, und genau das machten die österreichischen<br />
Zeitungen dann auch daraus: Das „Wunder<br />
von Kärnten“. ZDF und ORF haben dieses Wunder in<br />
diesem Jahr auf den Bildschirm gebracht. Als packenden<br />
Operationsfilm. 15 Stunden dauerte die Operation des<br />
kleinen Mädchens in der Wirklichkeit, im Fernsehfilm<br />
sind es 90 spannende Minuten, die den Zuschauer - bei<br />
allem Blut, dass zwischendurch spritzt - in den Bann<br />
ziehen.<br />
„Das Wunder von Kärnten“ war vielleicht der Film beim<br />
Fernsehfilm-Festival Baden-Baden, der dramaturgisch<br />
am heftigsten auf die Tränendrüsen drückte. Der auch<br />
mit einer Überwältigungsdramaturgie arbeitete, um<br />
die Zuschauer am Bildschirm zu halten und der sie<br />
auf diese Weise packt. Dieser fast schon beängstigend<br />
perfekt gemachte Film, befand die Jurorin Doris Metz,<br />
sei „ein Geschenk, weil er von den Wundern erzähle,<br />
“die möglich sind, wenn Menschen kooperieren".<br />
Spröde Protokolle<br />
Das Medizindrama basiert - wie vier weitere Filme<br />
im Festival - auf Originaldokumenten. Den Autoren<br />
Christoph Silber und Thorsten Wettcke lag ein Operationsprotokoll<br />
vor, mit dem sie am Anfang wenig anfangen<br />
konnten. Als sie jedoch den Arzt kennenlernten, der<br />
die Operation gewagt hatte, war ihnen klar, dass sie<br />
dessen Geschichte erzählen wollten. Das Medizindrama<br />
ergänzten sie durch eine erfundene Nebenhandlung mit<br />
einem eitlen, arroganten Abgeordneten, der nicht verstehen<br />
kann, dass seine Bypass-Operation warten muss,<br />
weil erst ein Kind gerettet werden muss. Als das Kind<br />
überlebt, ist er derjenige, der am lautesten das Wunder<br />
von Kärnten und die Überlegenheit der kärntnerischen<br />
Medizin beklatscht. Diese Nebenhandlung ermöglicht<br />
dem Zuschauer zwischendurch die eine oder andere<br />
Verschnaufpause, in der er sich zumindest für einen<br />
Moment zurücklehnen kann.<br />
Dokumente - Vernehmungsprotokolle und Gerichtsakten<br />
- bildeten auch die Grundlage für „Der Fall Jakob<br />
von Metzler“ (ZDF). Der Film spielt die Entführung des<br />
Bankierssohns nach, die Suche nach dem Entführer, die<br />
Verhaftung, die Verhöre, in denen die Polizisten versuchten,<br />
dem jungen Mann den Aufenthaltsort des Jungen<br />
zu entlocken und schließlich die Gerichtsverhandlung, in<br />
der der Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Wolfgang<br />
Daschner, sich gegen den Vorwurf verteidigen muss, er<br />
habe dem Entführer Folter androhen lassen.<br />
Leistungsschau des Fernsehfilms<br />
<strong>epd</strong> Vom 20. bis 23. November fand in Baden-<br />
Baden das Fernsehfilm-Festival statt, bei dem<br />
alljährlich die zwölf besten Filme des Jahres<br />
um den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie<br />
der Darstellenden Künste konkurrieren (vgl.<br />
Meldung in dieser Ausgabe). Den Jury-Vorsitz<br />
hatte in diesem Jahr Michael Schmid-Ospach,<br />
langjähriger Geschäftsführer der Filmstiftung<br />
NRW. Mitglieder der Jury waren Rolf Bolwin,<br />
Geschäftsführender Direktor des Deutschen<br />
Bühnenvereins, die Regisseurin Doris Metz,<br />
Schauspielerin Natalia Wörner, Regisseur<br />
Sönke Wortmann und Diemut Roether.<br />
Die Geschichte dürfte den meisten Zuschauern bekannt<br />
sein. Umso erstaunlicher ist es, wie Regisseur Stephan<br />
Wagner und Autor Jochen Bitzer es schaffen, die<br />
Spannung zu halten und wie sie die spröden Protokolle<br />
zu Leben erwecken. Beim Schreiben habe er sich an das<br />
Prinzip gehalten, nur solche Szenen aufzuschreiben, die<br />
ihm von zwei Zeugen des Geschehens so erzählt worden<br />
seien, sagte Autor Bitzer in Baden-Baden. Das führte<br />
unter anderem dazu, dass das entscheidende Verhör,<br />
in dem Kommissar Ortwin Ennigkeit dem Entführer<br />
Magnus Gäfgen mit „unmittelbarem Zwang“ (vulgo:<br />
Folter) gedroht haben soll, im Film nicht zu sehen ist.<br />
Eine kluge Ellipse, denn außer den beiden Beteiligten<br />
weiß niemand, was damals passiert ist. Gäfgen, der<br />
den Polizisten im Verhör eine Lügengeschichte nach der<br />
anderen auftischte, sagte später, in diesem Verhör habe<br />
Ennigkeit ihm unter anderem angedroht, er werde „mit<br />
zwei großen Negern“ in eine Zelle gesperrt, die sich<br />
sexuell an ihm vergehen würden.<br />
Robert Atzorn spielt den Vizepräsidenten Daschner in<br />
diesem Film mit großer Würde, aber ohne ihn zum<br />
Helden zu verklären. Es wird deutlich, dass Daschner<br />
sich nicht etwa über das Gesetz stellte, als er dem<br />
Entführer drohen ließ, sondern dass er in der tiefen<br />
Überzeugung handelte, er habe das Recht auf seiner<br />
Seite, weil es sich seiner Ansicht nach um einen Fall von<br />
„übergesetzlichen Notstand“ handelte. Auch Johannes<br />
Allmayer überzeugt als scheinbar harmlos wirkender<br />
Magnus Gäfgen. Insgesamt ist hier ein von Regisseur<br />
Stephan Wagner hervorragend geführtes Ensemble zu
6 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
beobachten, das das Räderwerk professioneller Polizeiarbeit<br />
und auch die anschließende Verhandlung des<br />
Falls vor Gericht bis ins Detail überzeugend darstellt.<br />
Die Jury erkannte Stephan Wagner den Regiepreis<br />
für dieses „intellektuelle Wagestück“ zu, das die Zerbrechlichkeit<br />
des Rechtsstaats zum Thema macht und<br />
einmal mehr beweist, dass nichts erregender ist als die<br />
Wirklichkeit.<br />
Auf einem wahren Fall basiert auch der Film „Das<br />
unsichtbare Mädchen“ (ARTE/ZDF). Friedrich Ani und<br />
Inga Jung haben zum „Fall Peggy“ recherchiert und<br />
das Buch zu diesem Film geschrieben. Aus dem fränkischen<br />
Nordhalben wurde im Film Eisenstein und aus<br />
Peggy Sina. Wie in der Wirklichkeit ist auch im Film<br />
ein Mädchen am helllichten Tag verschwunden und<br />
nie gefunden worden. Es gibt ein leeres Grab und im<br />
Dorf viele Zweifel. Im Film kommen dazu intrigante<br />
Politiker in München, geschändete Dorfschlampen, einsame<br />
Frauen, die vergeblich auf ihre Männer warten.<br />
Regisseur Dominik Graf taucht wieder einmal ein ins<br />
Rotlichtmilieu, diesmal hinter der tschechischen Grenze,<br />
spielt mit den Genres (am Ende wird der Krimi zum<br />
Western) und erzählt ganz nebenbei kleine, erheiternde<br />
Miniaturen etwa zur Tücke der modernen Verpackung.<br />
Wie in der Wirklichkeit wurde auch im Film ein geistig<br />
behinderter junger Mann wegen des Mordes an<br />
dem Mädchen verurteilt, obwohl viele Zeugenaussagen<br />
ihn entlasteten. Im Film war es der skrupellose Kommissar<br />
Wilhelm Michel, der das Geständnis mit seinen<br />
zweifelhaften Verhörmethoden aus dem Verhafteten<br />
rauspresste.<br />
Böser Dorfsheriff<br />
Ulrich Noethen spielt diesen Michel mal subtil bösartig,<br />
mal brachial. Er ist der Ordnungshüter, der für seine<br />
eigene Unordnung sorgt. Ihm geht es nicht um die<br />
Wahrheit oder Gerechtigkeit, sondern um die Macht.<br />
Als der böse Dorfsheriff am Ende erschossen wird, ist<br />
man als Zuschauer geradezu erleichtert. Für die Rolle<br />
erhielt Noethen den Preis für die beste darstellerische<br />
Leistung.<br />
Zwei Filme im Wettbewerb beschäftigten sich mit der<br />
deutschen Geschichte, beide spielen im zweiten Weltkrieg,<br />
beide im besetzten Frankreich. „Das Meer am<br />
Morgen“ (ARTE/BR/NDR/SWR) von Volker Schlöndorff<br />
erzählt von der Erschießung französischer Geiseln in<br />
der Bretagne, eine Vergeltungsmaßnahme, die Hitler im<br />
Oktober 1941 befahl, nachdem ein Offizier in Nantes<br />
erschossen worden war. In „Rommel“ erzählt Niki Stein<br />
von dem Konflikt, in den der Feldmarschall Erwin Rommel<br />
gerät, als er 1944 nach der Invasion der Alliierten<br />
■ DEBATTE ■<br />
in der Normandie allmählich die Ausweglosigkeit der<br />
Lage erkennt und merkt, dass sein geliebter Führer nur<br />
noch Durchhalteparolen von sich gibt.<br />
Die Dramaturgie des Festivals wollte es, dass „Rommel“<br />
(ARD/SWR/Degeto/BR/ORF), der zeitlich wenige Jahre<br />
nach „Das Meer am Morgen“ spielt, zuerst gezeigt wurde.<br />
Die Geschichte des Feldmarschalls Erwin Rommel, der in<br />
der Propaganda des Dritten Reichs zur mythischen Figur<br />
hochgejubelt wurde („wenn Rommel an der Westfront<br />
steht, kann Deutschland ruhig schlafen“) erzählt Stein<br />
als einen Konflikt zwischen dem Militär und der Politik.<br />
Rommel muss erkennen, dass von Hitler immer absurdere<br />
Befehle kommen, dass er mit Argumenten der Vernunft<br />
beim Führer nicht mehr durchdringt. Obwohl die Lage<br />
aussichtslos ist, gibt Hitler den Befehl, „bis zum letzten<br />
Mann“ zu kämpfen. Von seinem Stabschef Speidel wird<br />
Rommel in die Pläne zur Verschwörung gegen Hitler<br />
eingeweiht, kann sich jedoch nicht dazu durchringen,<br />
sich dem Widerstand anzuschließen. Dennoch wird<br />
er nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli als<br />
Mitwisser vor die Alternative Freitod oder Schauprozess<br />
gestellt. Rommel nimmt das angebotene Zyankali und<br />
bekommt dafür ein Staatsbegräbnis. Seiner Familie<br />
bleibt die Sippenhaft erspart.<br />
Geschichtsunterricht<br />
Der Film spaltete die Jury wie kein anderer auf diesem<br />
Festival. Während die einen sich „emotional gepackt“<br />
fühlten, und das „Zerbröseln“ Rommels gesehen hatten,<br />
kritisierten andere, die Chance, etwas Neues über Hitler<br />
und seine Generäle zu erzählen, werde vertan. Das liege<br />
zum einen an der Darstellung Hitlers durch Johannes Silberschneider,<br />
in der der Führer zur „Knallcharge“ werde,<br />
zum anderen daran, dass der Aufwand der Inszenierung<br />
mit vielen Militärs in sauber gebürsteten Uniformen<br />
den inneren Konflikt Rommels völlig überdecke.<br />
Regisseur Niki Stein wehrte sich gegen den Vorwurf, er<br />
zeige die „saubere“ Wehrmacht. Er habe vor allem einen<br />
Film über die Person Rommel machen wollen, sagte er,<br />
über den erfolgreichen Feldmarschall, der langsam zu<br />
ahnen beginne, dass er dem „Teufel“ diene.<br />
Einen Tag nach „Rommel“ lief Volker Schlöndorffs Film<br />
„Das Meer am Morgen“, der gewissermaßen eine Vorgeschichte<br />
zu den späteren Ereignissen an der Westfront<br />
erzählt. Wie Stein profitierte auch Schlöndorff von der<br />
Fülle der historischen Dokumente. Im Mittelpunkt von<br />
„Das Meer am Morgen“ stehen die Briefe, die die französischen<br />
Gefangenen in der einen Stunde, die ihnen bis<br />
zur Erschießung bleibt, an ihre Angehörigen schreiben.<br />
Diese Briefe wiederum wurden von Ernst Jünger, der<br />
damals zum Stab des militärischen Oberbefehlshabers<br />
in Paris gehörte, übersetzt und einer Schrift „Zur Geisel-
frage“ angefügt, die er im Auftrag seines Vorgesetzten,<br />
Otto von Stülpnagel, zu Papier brachte.<br />
Ulrich Matthes überzeugte in der Rolle des Ernst Jünger,<br />
der das Geschehen kühl beobachtet und kommentiert.<br />
Kein Sympathieträger, vielmehr ein zynischer Bildungsbürger<br />
in Uniform, der zwischendurch als Salonlöwe<br />
versucht, die Französinnen zu beeindrucken.<br />
Der Brief des 17-jährigen Guy Môquet, der zu den<br />
hingerichteten Geiseln gehörte, wird seit einigen Jahren<br />
auf Anordnung des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy<br />
in Frankreichs Schulen jedes Jahr am 22. Oktober<br />
verlesen. Schlöndorff zeigt in dem Film das Räderwerk<br />
von grausamem Befehl und unbedingtem Gehorsam, das<br />
unerbittlich ineinandergreift. Deutsche Besatzer und<br />
französische Kollaborateure arbeiten perfekt zusammen<br />
und die wenigen, die zunächst Nein sagen, knicken am<br />
Ende doch noch ein. Die aus dem Off zitierten Briefe der<br />
Geiseln wirkten wie ein „Requiem“, sagte Doris Metz.<br />
Der Film sei ein Ereignis, kein Event, urteilte die Jury, die<br />
dem Film am Ende den Fernsehfilmpreis der Deutschen<br />
Akademie der Darstellenden Künste zuerkannte. Er gehe<br />
in die Tiefe und in die Weite menschlicher Abgründe.<br />
Er habe eine „französische Seele“ und wage sich auf<br />
„subtile und intelligente Weise“ in die Kriegs- und<br />
Kollaborationsrealität des Zweiten Weltkriegs hinein.<br />
Weinende Männer<br />
Fast so beeindruckend wie der Film war der Auftritt<br />
des Regisseurs, der während der Diskussion erzählte,<br />
wie schwierig es gewesen sei, das Geld für dieses<br />
Projekt zusammenzubekommen. Ein deutscher Sender<br />
habe ihm geschrieben, es gebe keinen Sendeplatz<br />
für solche Filme. Immerhin, NDR und SWR gaben<br />
100.000 beziehungsweise 50.000 Euro und der BR<br />
stellte Sachleistungen im Wert von 100.000 Euro, so<br />
dass Schlöndorff am Ende den Film mit einem Etat<br />
von 1,8 Millionen (schätzungsweise der Etat für einen<br />
„Tatort“ mit Til Schweiger) stemmte. Und so durften<br />
sich am Freitag neben ARTE auch drei ARD-Sender<br />
über den Preis für das fulminante Fernsehdebüt des<br />
Oscar-Preisträgers freuen.<br />
Bewegend waren viele der Filme, die gezeigt wurden<br />
und es war eine ausgesprochen gute Auswahl, die in<br />
diesem Jahr im Wettbewerb konkurrierte. Zu Tränen<br />
rührte auch „Der letzte schöne Tag“ (ARD/WDR) von<br />
Johannes Fabrick (Regie) und Dorothee Schön (Buch).<br />
Der Film erzählt vom Selbstmord einer jungen Frau und<br />
davon, wie schwer es anschließend für ihre Familie<br />
ist weiterzuleben. Nicht nur das Leben nach dem<br />
Tod, auch das Leben davor sei „nicht mehr o.k.“, sagt<br />
ihr hinterbliebener Mann Lars Langhoff (überzeugend<br />
■ DEBATTE ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 7<br />
gespielt von Wotan Wilke Möhring). Der Film zeigt die<br />
Trauerphasen von Lars, dem sechsjährigen Sohn Piet<br />
und der zwölfjährigen Tochter Maike. Er zeigt auch, wie<br />
sich Schuldgefühle und Wut auf die Verstorbene in die<br />
Trauer mischen. „Sie hat uns nicht genug geliebt, um<br />
leben zu wollen“, sagt Maike einmal.<br />
Wotan Wilke Möhring ist ergreifend in seiner Trauer -<br />
selten hat man einen Mann im Film so weinen sehen<br />
- und auch die Kinder meistern die schwere Rolle mit<br />
Bravour. Die Jury zeigte sich beeindruckt von der Genauigkeit,<br />
mit der hier erzählt wurde. Dem Film, das<br />
war nicht zu übersehen, liegt ein gut recherchiertes<br />
Drehbuch zugrunde. Auch hier also ein hoher Realitätsgehalt.<br />
Auch das 3sat-Publikum, das wie jedes Jahr über<br />
den Zuschauerpreis abstimmte, zeigte sich von dem<br />
Film überzeugt. „Der letzte schöne Tag“ gewann den<br />
Publikumspreis des Festivals. Mit dieser Entscheidung<br />
gab das Publikum einer Zuschauerin recht, die während<br />
der Diskussion im Baden-Badener Kurhaus gefordert<br />
hatte, das Publikum nicht zu unterschätzen und es mit<br />
guten Filmen mehr zu fordern.<br />
Fragen nach dem Warum<br />
Von einem Familiendrama erzählt auch „Ein Jahr nach<br />
morgen“ (WDR/ARTE), nur ist dieses Familiendrama ganz<br />
anders gelagert. Der Film von Aelrun Goette beginnt ein<br />
Jahr nach einem Amoklauf. Die Jugendliche Luca, die<br />
auf eine Lehrerin und ein weiteres Opfer schoss, steht<br />
vor Gericht und weigert sich, ihre Eltern zu sehen. Diese<br />
sind nach wie vor ratlos, wie es zu der schrecklichen Tat<br />
kommen konnte und müssen zudem damit leben, dass<br />
sie von ihren Nachbarn geächtet werden. „MÖRDER“<br />
steht in großen Buchstaben über der Garageneinfahrt<br />
neben dem Haus. Der Film erzählt von der bleiernen<br />
Trauer, unter der sowohl die Angehörigen der Opfer als<br />
auch die Eltern der Täterin leiden, von Sprachlosigkeit<br />
und Lähmung, von der Suche nach Antworten auf die<br />
Frage nach dem „Warum“, und er tut dies in einer Weise,<br />
die auch die Zuschauer quält. Wenig überzeugend<br />
ist schließlich die Szene, in der ein Schüler seine<br />
Sprachlosigkeit überwindet und eine Rede vor seiner<br />
Klasse hält, die fast nur aus Klischees wie „es kotzt mich<br />
an, dass ich allem und jedem in den Arsch kriechen<br />
muss“ besteht.<br />
Ein weiterer Film, der die Jury spaltete. Während die<br />
einen sich sehr berührt zeigten und die erzählerische<br />
Intelligenz der Regisseurin lobten, kritisierten andere<br />
die Erzählweise als prätentiös. Der Film wolle zu viel,<br />
meinte eine Jurorin, er wolle ihr permanent sagen, wie<br />
sie empfinden solle.<br />
Auch in „Nebelgrind“ (SRF), dem Schweizer Beitrag im<br />
Wettbewerb, steht eine Familie im Mittelpunkt, doch
8 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
diese Familie ist nicht dysfunktional wie die Familien<br />
in „Ein Jahr nach morgen“. Barbara Kulcsar (Regie) und<br />
Josy Meyer und Eveline Stähelin (Buch) erzählen von der<br />
Tragödie einer Krankheit und wie die Familie lernt, damit<br />
umzugehen. Karli, der Opa wird immer vergesslicher.<br />
Nur seine Schwiegertochter Fränzi merkt, was mit ihm<br />
los ist, denn sie ist diejenige, die nachts aufsteht und ihn<br />
beruhigt, wenn er nicht schlafen kann. Ihr Mann Jürg<br />
will lange nicht wahrhaben, dass sein Vater Alzheimer<br />
hat und herrscht Fränzi an, „das bisschen Pflege“ sei ja<br />
wohl noch zu schaffen.<br />
An „Nebelgrind“ gefiel der Jury, dass der Film sehr<br />
genau von der Krankheit und den Problemen, die die<br />
Angehörigen damit haben, erzählt, dabei aber doch<br />
einen leichten Ton fand.<br />
Schuld ist der, der abdrückt<br />
Zwei Krimis-Reihen waren auch im Wettbewerb vertreten.<br />
„Hannah Mangold & Lucy Palm“ (Sat.1), ein<br />
Pilotfilm zu einer neuen Reihe mit zwei Kommissarinnen,<br />
sowie „Die Gurkenkönigin“ (RBB), eine Ausgabe<br />
des ARD-Klassikers „Polizeiruf 110“, in der sich die<br />
Schauspielerinnen Susanne Lothar und Sophie Rois als<br />
Gegenspielerinnen gegenüberstehen.<br />
„Die Gurkenkönigin“ war eine ganz außergewöhnliche<br />
„Polizeiruf“-Ausgabe. Nicht nur weil Sophie Rois als<br />
Kommissarin hier Maria Simon vertrat, sondern weil<br />
Regisseur Ed Herzog und Autor Wolfgang Stauch mit<br />
Lust mit allen Konventionen des Genres brachen. Der<br />
Krimi wird schnell zur Nebensache, eine Leiche gibt<br />
es erst am Schluss und dann ist der Schuldige auch<br />
nicht weit. Doch hier geht es um die Leichen im Keller<br />
von Luise König, der Besitzerin der Gurkenfabrik. Der<br />
geheimnisvolle Spreewald, eine Landschaft, die man sich<br />
ohne weiteres bevölkert von Elfen, Feen und anderen<br />
Fabelwesen vorstellen kann, spielt in diesem Stück,<br />
durch das Sophie Rois als fideler Kobold geistert, die<br />
heimliche Hauptrolle.<br />
Eine Art „Sommernachtstraum“, ein verzauberter Krimi,<br />
der mit pragmatischen Lebensweisheiten aufwartet:<br />
„Gurkenfabriken machen nicht glücklich“ und „Schuld<br />
ist immer der, der abdrückt“.<br />
Noch einmal konnte man in diesem Film Susanne Lothar<br />
in ihrer energischen Zerbrechlichkeit bewundern, sie<br />
starb wenige Monate nach Ausstrahlung des „Polizeirufs“.<br />
Es gehört zu den Besonderheiten des Festivals in<br />
Baden-Baden, dass man dieser großartigen Schauspielerin<br />
einen Abend widmete, an dem zwei Filmschaffende,<br />
die mit ihr gearbeitet haben, in sehr persönlicher Weise<br />
an sie erinnerten.<br />
■ DEBATTE ■<br />
Auch „Hannah Mangold & Lucy Palm“ erfreute mit<br />
zwei ungewöhnlichen Frauenfiguren. Anja Kling spielt<br />
in diesem Film die Kommissarin Hannah Mangold, die<br />
nach einer Traumatisierung mühsam versucht, wieder<br />
im Alltag der Polizistin Fuß zu fassen. „Die Irre“ -<br />
diesen Spitznamen verpasst sie sich selbst - wird<br />
zusammengespannt mit einer selbstbewussten jungen<br />
Kollegin, die die Chauvisprüche der Kollegen rotzig<br />
pariert.<br />
Der Pilotfilm ist vielversprechend: eine traumatisierte<br />
Kommissarin, die zudem hellsichtig ist, die gewissermaßen<br />
in den Delinquenten liest wie in einem offenen<br />
Buch, lässt auf interessante Wendungen hoffen. Britta<br />
Hammelstein, die Mangolds Partnerin Lucy Palm spielt,<br />
sei ein „kleiner Kracher“, lobte Jurorin Natalia Wörner.<br />
Positiv hervorgehoben wurde das rasante Erzähltempo<br />
des Krimis, bemängelt wurde, dass der Pilotfilm überfrachtet<br />
sei.<br />
Ein Fest für Schauspieler<br />
Regisseur Matti Geschonneck, der 2010 in Baden-Baden<br />
mit dem Hans-Abich-Preis ausgezeichnet wurde, war<br />
in diesem Jahr gleich mit zwei Filmen im Wettbewerb<br />
vertreten. „Das Ende einer Nacht“ ist ein klassisches<br />
Gerichtsdrama, besetzt mit zwei großartigen Schauspielerinnen,<br />
Barbara Auer und Ina Weisse. Auer spielt die<br />
souveräne Richterin, die an das Prinzip der Gerechtigkeit<br />
glaubt, Weisse die mit allen Wassern gewaschene<br />
Anwältin, die nicht an der Wahrheit interessiert ist,<br />
sondern ihren Mandanten raushauen will.<br />
Der ist ein erfolgreicher Manager. Seine Frau beschuldigt<br />
ihn, dass er sie vergewaltigt und „durch das halbe Haus“<br />
geprügelt hat. Jörg Hartmann spielt den Mann, dem<br />
der Zuschauer bald jede Gemeinheit zutraut, der aber<br />
schließlich doch freigesprochen wird, da man ihm nichts<br />
nachweisen kann.<br />
Geschonneck hat diesen Film wie immer elegant inszeniert,<br />
das Duell der beiden erfolgreichen Frauen hat<br />
die Jury durchaus fasziniert. Und, merkte eine Jurorin<br />
an, es sei wohl ein Zeichen der Emanzipation, dass es<br />
endlich auch Kloszenen mit Frauen gebe. Juror Sönke<br />
Wortmann wandte allerdings ein, die Inszenierung sei<br />
zu cool, und der Film insgesamt zu berechenbar. Auch<br />
die wenig glaubhaften Gerichtsszenen wurden kritisiert.<br />
Mehr Gefallen fand die Jury an Geschonnecks zweitem<br />
Film im Wettbewerb, „Liebesjahre“. Ein Ehepaar, das<br />
seit Jahren getrennt lebt, trifft sich, um endlich das<br />
gemeinsame Haus zu verkaufen, aus dem sie beide<br />
vor Jahren ausgezogen sind. Während er am liebsten<br />
jedes Erinnerungsstück mitnehmen möchte, scheint sie<br />
mit der Vergangenheit völlig abgeschlossen zu haben.
Zusätzlichen Zündstoff erhält die Begegnung, dadurch,<br />
dass er seine neue Frau mitgebracht hat, und ihr neuer<br />
Liebhaber - den sie nicht gebeten hatte mitzukommen<br />
- plötzlich auch noch auftaucht.<br />
Liebende des Fernsehens<br />
Iris Berben, Peter Simonischek, Axel Milberg und Nina<br />
Kunzendorf spielen in diesem Fest für vier Schauspieler<br />
bravourös zusammen. Nach all den schweren Filmen im<br />
Wettbewerb, wirkte das Publikum erleichtert, dass es sich<br />
hier auch mal ein bisschen amüsieren durfte. Magnus<br />
Vattrodt (mit dem Geschonneck auch in „Das Ende einer<br />
Nacht“ zusammenarbeitete) schrieb die Dialoge, die in<br />
ihrer Schärfe und ihrem schnellen Witz an Yasmina Reza<br />
erinnern. Er wusste gar nicht, dass deutsche Autoren<br />
solche Dialoge schreiben können, sagte Regisseur Sönke<br />
Wortmann und Mitjuror Rolf Bolwin fragte sich, wann<br />
Der letzte Atemzug<br />
■ DEBATTE ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 9<br />
dieses wunderbare Kammerspiel auf einer deutschen<br />
Bühne zu sehen sein wird.<br />
Vattrodt erhielt schließlich den Preis für Drehbuch für<br />
diesen Film über Verdrängung, Erinnerung, Nostalgie und<br />
Pragmatismus. Der Film ist Ehedrama und Liebesfilm<br />
zugleich, weil er in 90 Minuten alle Phasen einer<br />
Beziehung erzählt.<br />
Für das Fernsehfilm-Festival, das sich unter der Leitung<br />
von Karl-Otto Saur in den vergangenen 13 Jahren mit<br />
seinen inspirierenden Gesprächen über Filme als Salon<br />
des Fernsehens behauptet hat, steht nun ein Neubeginn<br />
an. Saur hat die Leitung an Klaudia Wick übergeben,<br />
die dem Festival seit Jahren als Juryvorsitzende und in<br />
anderen Funktionen verbunden ist. Dass das Festival<br />
bei ihr in guten Händen ist, daran besteht kein Zweifel.<br />
Denn wie Karl-Otto Saur ist Klaudia Wick eine große<br />
Liebende des Fernsehens. ■<br />
Die ARD-Themenwoche „Leben mit dem Tod“ / Von Barbara Sichtermann<br />
<strong>epd</strong> Ein Ergebnis dieser Themenwoche über „Leben<br />
mit dem Tod“ ist die große Vielfalt, die das Thema<br />
bereithält. Im ersten Moment denkt man ja, wenn man<br />
hört: angesagt ist das Thema Tod, an eine Beerdigung<br />
oder an einen letzten Schnaufer im Krankenhausbett,<br />
an Hinterbliebene, die ihre Tränen trocknen. Aber das ist<br />
nur die Oberfläche, die erstbeste Assoziation. Denkt man<br />
weiter oder schaltete man zur Themenwoche das Erste<br />
oder eines der Dritten aus der ARD ein, so begegneten<br />
einem neben medizinischen Fragen solche des Rechts,<br />
der Moral, der Tradition, der Multikultur, der Philosophie<br />
oder des Bestattungswesens, und das sind noch lange<br />
nicht alle Aspekte.<br />
Die Themenwoche hat sozusagen einen Spiegel am Ende<br />
des Lebens aufgestellt, und siehe da, der reflektiert das<br />
ganze Leben von seinem Ende her, will sagen, wer über<br />
Tod und Sterben redet, streitet, reflektiert, Filme dreht<br />
und Dokumentationen erarbeitet, hat genauso viel Stoff<br />
wie einer, der sich im prallen Leben umtut. Nur haben<br />
all diese dem Lebensende gewidmeten Arbeiten einen<br />
besonderen Index: den der Vergänglichkeit. Sich der<br />
Vergänglichkeit innezuwerden, ist immer schmerzlich,<br />
auch wenn es manchmal was zu lachen gibt. Margot<br />
Käßmann, Patin der Themenwoche neben Reinhold<br />
Beckmann und Dieter Nuhr, sagte es so: „Wir müssen<br />
uns unserer Endlichkeit bewusst sein.“<br />
Die Auftaktsendung mit Jörg Thadeusz im „Berliner<br />
Gespräch“ mit der Autorin Constanze Kleis, dem Gesundheitsminister<br />
Daniel Bahr, dem Krankenkassenvertreter<br />
Gernot Kiefer, dem Arzt Gian Domenico Borasio und der<br />
Palliativmedizinerin Petra Anwar, steckte das Feld ab, in<br />
dem das Sterben politisch wird: Können unsere Ärzte<br />
mit Tod und Sterblichkeit umgehen? Lernen sie Sterbebegleitung?<br />
Autorin Kleis, ihr Buch heißt: „Sterben<br />
Sie nicht im Sommer“, sprach vom harthörigen medizinischen<br />
Komplex, der keineswegs darauf eingestellt<br />
ist, das zu fördern oder überhaupt erst zu ermöglichen,<br />
was sich die meisten Menschen wünschen: zu Hause<br />
zu sterben. Kleis: „Man stirbt nur einmal.“ Und dabei<br />
wird vieles unnötig erschwert.<br />
Schon die Bereitstellung eines Pflegebetts scheitert<br />
an der Defensive der Kassenbürokratie. Dr. Borasio<br />
berichtet von gewohnheitsmäßig den Sterbenden zugeführtem<br />
Tropf und Sauerstoff - beides lindert nicht<br />
und stört beim Sterben. Der Gesundheitsminister ist<br />
sehr einsichtig. Er sieht die Defizite - zum Beispiel<br />
das Entlassungsmanagement. Es funktioniert nicht. Da<br />
werden alte Kranke notdürftig fitgemacht, und niemand<br />
interessiert sich dafür, wo sie bleiben. Umgekehrt traut<br />
man Angehörigen die Pflege nicht zu und steckt Moribunde<br />
ohne Sinn und Verstand in die Klinik. Aber die<br />
Angehörigen wollen pflegen und zwar „aus Liebe“, wie<br />
Frau Anwar betont.
10 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Auseinandersetzung anstoßen<br />
<strong>epd</strong> Einmal im Jahr beschäftigt sich die ARD<br />
in einer besonderen Programmanstrengung<br />
mit einem Thema, das sie in zahlreichen Sendungen<br />
in all ihren Fernseh- und Radioprogrammen<br />
beleuchtet. Thema der diesjährigen<br />
siebten Themenwoche war „Leben mit dem<br />
Tod“. Die Federführung hatten RBB und MDR.<br />
Die ARD habe eine Auseinandersetzung in der<br />
Gesellschaft mit dem Tod und Sterben anstoßen<br />
wollen, sagte RBB-Intendantin Dagmar<br />
Reim. Nur wenige seien von diesem Thema<br />
unberührt geblieben. Nach Angaben der ARD<br />
verfolgten insgesamt 30 Millionen Zuschauer<br />
eine der Sendungen zur Themenwoche im Ersten<br />
(vgl. Meldung in dieser Ausgabe). Unsere<br />
Autorin Barbara Sichtermann sah unter anderem<br />
folgende Sendungen:<br />
„Berliner Gespräch“, Phoenix, 15.11. 22.00-<br />
23.00 Uhr<br />
„Tatort: Dinge, die noch zu tun sind“, Regie:<br />
Claudia Garde, Buch: Jörg Tensing, ARD, 18.11.,<br />
20.15-21.45 Uhr<br />
„Günther Jauch“ ARD, 18.11, 21.45-22.45 Uhr<br />
„Sie bringen den Tod. Sterbehelfer in Deutschland“,<br />
Regie und Buch: Sebastian Bösel, Ulrich<br />
Neumann, ARD, 19.11., 20.15-21.00 Uhr im<br />
Ersten<br />
„Hart aber fair“ mit Frank Plasberg, ARD,<br />
19.11., 21.00-22.15 Uhr<br />
„Nuhr am Leben“ mit Dieter Nuhr, ARD, 19.11.,<br />
22.45-23.30 Uhr<br />
„Reisen ins Jenseits - Einmal um die ganze<br />
Welt“, Regie und Buch Barbara Etz, Markus<br />
Lenz, Andreas Voigt, ARD, 19.11., 23.30-0.15<br />
Uhr<br />
„Blaubeerblau“, Regie: Rainer Kaufmann, Buch:<br />
Beate Langmmack, ARD, 21.11., 20.15-21.45<br />
Uhr (vgl. Kritik in <strong>epd</strong> 46/11)<br />
„Seelenvögel“, Regie und Buch: Thomas Riedelsheimer,<br />
ARD, 21.11. 0.00-1.30 Uhr<br />
„Und dennoch lieben wir“, Regie: Matthias<br />
Tiefenbacher, Buch: Maureen Herzfeld, Martin<br />
Kluger, ARD, 23.11., 20.15-21.45 Uhr (vgl.<br />
Kritik in dieser Ausgabe)<br />
Kiefer fordert eine „spezialisierte ambulante Palliativmedizin“,<br />
da sind sich alle einig, aber wann wird<br />
dieser Segen kommen? Dr. Borasio ist ein sehr ruhiger,<br />
freundlicher Zeitgenosse, aber er macht, lächelnden<br />
Gesichts, die bittersten Vorwürfe. „Was sind uns die<br />
hoch betagten Kranken wert, die wir alle mal sein<br />
werden? Der gesamte spirituelle und psychische Bereich<br />
fällt unter die Räder, wird nicht bezahlt.“ Constanze<br />
■ DEBATTE ■<br />
Kleis: „Man braucht kriminelle Energie, um die Pflege zu<br />
bekommen, die man will.“ Herr Kiefer wirft ein, dass die<br />
Mittel nicht unbegrenzt seien. Aber wenn man die teure<br />
Apparatemedizin und den kostspieligen Klinikaufenthalt<br />
weglässt und stattdessen als Arzt etwas heute sehr<br />
Seltenes macht: Zuhören und mit dem Patienten und<br />
seiner Familie sprechen, fragen - dann hat man zugleich<br />
gespart und etwas Gutes getan.<br />
Ein schöner Tod<br />
Borasio spricht vom „liebevollen Unterlassen“. Stattdessen<br />
aber werde, so die Erfahrung des Palliativmediziners,<br />
„mit Menschen am Lebensende Schindluder getrieben“.<br />
Die Stimmung in der Runde ist ganz schön aufgeladen<br />
mit Vorwürfen, Ängsten und Ressentiments. Moderator<br />
Thadeusz muss all die Wärme und Verbindlichkeit seiner<br />
bewährten Jovialität aufbieten, um das Klima zu retten.<br />
Er fragt Bahr, ob „ein schöner Tod als politische Aufgabe“<br />
verstanden werden könne. Der antwortet empfindlich:<br />
„Ich frage mich, warum Sie das fragen“, meint damit<br />
aber wohl Ja.<br />
Das war keineswegs eine von den Quasselrunden, die<br />
von der Kritik so gerne als schiere Programmfüller und<br />
völlig entbehrlich hingestellt werden. Das war Analyse,<br />
Kritik, Aufklärung - auch Polemik und alles ziemlich<br />
emotional, ja gut, aber auch triftig und richtig. Die<br />
alternde Gesellschaft bedarf in ihrem medizinischen<br />
Sektor dringend eines Umdenkens und Umorganisierens,<br />
was Alter und Tod betrifft. Eine Fortbildung der Ärzte<br />
zum Thema „Wie und wo wollen Sie sterben?“, anstelle<br />
der Lebensverlängerung auf Deubel komm raus, wäre<br />
ein Anfang.<br />
Der „Tatort“ am Sonntagabend thematisierte den nahen<br />
Tod als Aufforderung, noch einige Dinge zu erledigen,<br />
wichtige Dinge natürlich - und sei es Mord. Die Berliner<br />
Ermittler Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris<br />
Aljinovic) schöpfen Verdacht: da ist eine Kollegin, die<br />
ihre Krebserkrankung geheim hält, sogar vor ihren<br />
Kindern, und seltsame Wege geht. Das war ein nicht<br />
durchweg überzeugender Beitrag zu Tod und Geheimnis,<br />
und obwohl die Themenwoche ja gerade dazu gut sein<br />
sollte, Geheimnisse zu lüften und Tabus zu brechen,<br />
ergab es auch Sinn, in einem Spielfilm auszuloten,<br />
zu welchen Akten von Verstellung und Verzweiflung<br />
Todgeweihte fähig sind, die vor ihrem Abgang noch<br />
wichtige Dinge im irdischen Feld zu Ende bringen<br />
müssen. Der Film handelte von Zeitnot im Angesicht<br />
des Todes, von dem dringenden Wunsch, etwas zum<br />
Abschluss zu bringen - und seien Gewalttaten dafür<br />
nötig.<br />
Günther Jauch nach dem „Tatort“ reichte das Thema Tod<br />
an seine Talkgäste weiter. Ein ehemals sportlicher junger
Mann war bei ihm, Sebastian Brauns. Er hat Muskelkrebs;<br />
wie lange er noch zu leben hat, ist offen. Seine Freundin<br />
sitzt bei ihm, das tut sie auch sonst. Wolfgang Bosbach<br />
ist anwesend, er hat Prostata-Krebs und sagt: „Ja, man<br />
hadert. Aber man darf nicht verzweifeln an Dingen, die<br />
man nicht ändern kann.“ Auch der Bestatter Fritz Roth,<br />
der Trauerfeiern unkonventionell locker zu inszenieren<br />
pflegt, ist Gast in dieser Runde. Er hat Leberkrebs,<br />
mag kein Geheimnis daraus machen, gibt sich gelassen.<br />
Auch dabei ist Themenwochen-Schirmherrin Margot<br />
Käßmann, sie spricht das Wort von der Endlichkeit, derer<br />
wir uns bewusst sein müssen, und das klingt hier gar<br />
nicht salbungsvoll, sondern als praktische Ermunterung<br />
an die Zuschauer. Denn die Talkgäste haben es schon<br />
geschafft.<br />
Andere Lebensfreude<br />
Man hört ja immer wieder, dass todkranke Menschen<br />
eine neue andere Lebensfreude entwickeln, wenn sie<br />
sich abgefunden haben und nun für sich überlegen,<br />
was eigentlich wirklich wesentlich sei. Jauch, in dessen<br />
Miene sich so gern eine als ungläubiges Staunen<br />
getarnte Ablehnung malt, war diesmal ganz bei seinen<br />
Gästen. Frage an Bosbach. Fordern Sie mehr Rücksicht<br />
wegen Ihrer Krankheit? Die Antwort war ein klares Nein.<br />
Bosbach will sich erneut als Kandidat aufstellen lassen.<br />
Jauch an Brauns: „Haben Sie, ganz banal gefragt, Angst<br />
vor dem Tod?“ - „Ja schon. Die Diagnose...“ Er möchte<br />
recht bald nach Paris, mit seiner Freundin.<br />
Bestatter Roth zitiert Mascha Kaléko. Er wünscht sich,<br />
dass „die Natürlichkeit des Sterbens“ anerkannt werde.<br />
Ob man Kinder ans Totenbett lassen solle? Aber ja.<br />
Käßmann spricht vom leichten Tod, den es auch gebe,<br />
von einem „Aushauchen“.<br />
Die Sendung mit dem größten Kontroverse-Potenzial<br />
lief am Montag, es war die Reportage über Sterbehelfer:<br />
„Sie bringen den Tod.“ Immerhin hielt da mal<br />
ein wichtiger Beitrag zur Themenwoche den 20.15-<br />
Uhr-Termin besetzt, dieses Glück hatten die Sendungen<br />
der nächsten Tage nicht mehr. Sebastian Bösel und<br />
Ulrich Neumann hatten mit Uwe-Christian Arnold ihren<br />
zentralen Protagonisten gefunden. Arnold ist Sterbehelfer,<br />
das heißt, der Arzt stellt auf Verlangen, aber erst<br />
nach gründlicher, manchmal jahrelanger Vorbereitung,<br />
einen Medikamentencocktail zur Verfügung, der auf<br />
sanfte Art tödlich wirkt, den allerdings der zum Suizid<br />
Entschlossene selber einnehmen muss.<br />
Mit dem Strafrecht kommt der Doktor dadurch nicht<br />
in Konflikt, mit dem Standesrecht aber schon. Die<br />
Mehrheit der Ärzte und Palliativmediziner weigert sich,<br />
bei der Beendigung eines Lebens zu assistieren, sei<br />
es aus Respekt vor dem Standesrecht, sei es ihres<br />
■ DEBATTE ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 11<br />
hippokratischen Eides wegen. Arnold denkt anders. Er<br />
hält es mit Rilke: O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.<br />
Sein bisher schwerster Fall war Henning, den der Film<br />
vorstellt. Der noch junge Mann ist seit einem Unfall vom<br />
Hals abwärts gelähmt. Zehn Jahre hat er versucht, sich<br />
abzufinden. Er hatte die beste Pflege: Eltern, Freunde,<br />
Ärzte, Therapeuten. Aber irgendwann wollte er nicht<br />
mehr. „Ich hasse meinen Körper.“ Er wünschte sich nur<br />
noch eins: dass alles vorbei sei.<br />
Die Grauzone<br />
Die Eltern hatten Verständnis. Es folgten lange Gespräche<br />
mit Arnold. Bis dieser zustimmt und den erlösenden<br />
Cocktail bringt. Es fällt ihm schwer, da Henning noch<br />
jung ist. Die Sterbeszene selbst kann im Film nicht<br />
gezeigt werden, aber die Kamera begleitet Arnold auf<br />
dem Weg zum Lebensmüden und wartet auf ihn nach<br />
vollbrachter Assistenz. Bildliche Metaphern zeigen Vögel<br />
und Wolken. Passenderweise ist Arnold Segelflieger. Das<br />
verhilft zu schönen Sequenzen mit dem Sterbehelfer in<br />
Himmelshöhen.<br />
Arnold ist ein Arzt, der sich outet. Er hat circa 250mal<br />
beim Sterben geholfen. Andere Ärzte machen es heimlich.<br />
Geredet wird nicht so gern über die „Grauzone“ -<br />
in der Schweiz, die da toleranter ist, gibt es allerdings<br />
einen Kongress zum Thema. Arnold ist da, wird angegriffen,<br />
verteidigt sich. Ein religiös erregter Kollege nennt<br />
ihn Mörder. Arnold: „Schönen Gruß ans Mittelalter.“<br />
Am Ende steht die Frage: „Ist Sterbehilfe Teil der ärztlichen<br />
Fürsorge?“ Eindeutig beantwortet werden kann<br />
sie (noch) nicht, aber es ist gut, dass sie gestellt wird.<br />
In „Hart aber fair“ gleich im Anschluss ist Arnold<br />
Gast. Außer ihm ist Henning Scherf (SPD) dabei, ein<br />
entschiedener Gegner der Sterbehilfe, ferner die Palliativmedizinerin<br />
Dr. Schubert, Sterbebegleiterin Beate<br />
Schween und für die Katholiken der gern durch die<br />
Talkshows reisende Bruder Paulus. Die Kernfrage wurde<br />
hier so abgewandelt: „Mut zur Menschlichkeit oder<br />
Mord?“ Dr. Arnold befand sich so ziemlich auf verlorenem<br />
Posten, aber Moderator Frank Plasberg war ja auch<br />
noch da, um für Fairness zu sorgen. Facettenreicher<br />
als in der Reportage konnte der Talk das Thema nicht<br />
entfalten.<br />
Bruder Paulus glaubte an die „Heilkraft der Seele“ und<br />
Frau Schubert fand, man müsse „akzeptieren, dass<br />
Leiden seinen Platz im Leben hat“. Zwischenschnitte<br />
zeigten dazu Arnolds skeptisches Gesicht. Gelitten<br />
wird sicher genug im Leben. Die Frage des Themas<br />
Sterbehilfe geht ja gerade in jene Zone möglicherweise<br />
überflüssigen Leidens, das mit den Mitteln der Medizin<br />
verkürzt oder verhindert werden könnte.
12 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Dieter Nuhr war ja Schirmherr der Themenwoche, und er<br />
bekam auch seine Show: „Nuhr am Leben“ hieß sie, und<br />
der Kabarettist begrüßte sein Publikum so: „Schön, dass<br />
Sie da sind. Wer weiß, wie oft wir uns noch sehen.“ Mit<br />
seinen länglichen Satzgebilden, die er mit ausholender<br />
Stimme irgendwo im Mittelteil abzubrechen pflegt,<br />
und zwar genau an der Stelle, wo die Leute im Saal<br />
begriffen haben, wie es weiter geht und also die Pointe<br />
im Kopf selbst formulieren und dann umso freudiger<br />
lachen, kommt er ja immer an. Dem Thema Tod und<br />
Sterben war er gewachsen, er hielt das Publikum im<br />
Bann, aber er kam nicht über das Wortspiel und den<br />
Kalauer hinaus, ein untergründiger Witz wollte sich<br />
nicht einstellen. Zum Beispiel: der Tod als Vorbild für die<br />
Konsumgesellschaft: „Weg und neu“, je nun, das kann<br />
man bringen, aber es bleibt flach, bestenfalls makaber.<br />
Der Tod als Freund<br />
Die auf Nuhr folgenden „Reisen ins Jenseits - Einmal um<br />
die ganze Welt“ zeigten Sterberituale und Todeskulte<br />
aus fremden Kulturen - die aber gar nicht so fremd sind,<br />
weil sie alle in Berlin stattfinden. 184 Nationen soll es<br />
in der Hauptstadt geben; einige davon beobachteten<br />
die Filmemacher Barbara Etz, Markus Lenz und Andreas<br />
Voigt bei ihrem Umgang mit den Toten. Die Mexikaner<br />
betrachten den Tod als Freund, sie machen sogar Scherze<br />
mit ihm; entsprechend farbenfroh präsentieren sich ihre<br />
Rituale, während unsereiner ja in Schwarz gehen muss.<br />
Die Vietnamesische Gemeinde verehrt ihre Ahnen und<br />
bringt ihnen Opfergaben, denn ihre Geister sind hungrig<br />
und müssen zufriedengestellt werden. Die Ghanaische<br />
Community pflegt ihre Totenkulte mit großer Ruhe und<br />
Selbstverständlichkeit, man hat den Eindruck, dass die<br />
Fremden weit entfernt sind von jener Fehlentwicklung,<br />
die bei uns als Ausgrenzung des Todes aus dem Alltagsleben<br />
bekannt ist und der zu begegnen sich die ARD zu<br />
ihrer Themenwoche entschlossen hat.<br />
„Der letzte Atemzug“ sagt die Vietnamesin Frau Do<br />
vom Sterbehospiz, „ist ganz, ganz wichtig - dafür,<br />
dass Buddha den Menschen abholt.“ Da klingt das<br />
„Aushauchen“ der Frau Käßmann an, die Aufforderung<br />
also, den Augenblick des Von-der-Welt-Gehens als<br />
■ DEBATTE ■<br />
einen besonderen und einmaligen vorzubereiten und<br />
mitzuerleben.<br />
Am Mittwoch lief um Mitternacht der Film „Seelenvögel“;<br />
der Dokumentarist Thomas Riedelsheimer hat<br />
drei leukämiekranke Kinder über drei Jahre begleitet<br />
und ein tief berührendes Dreifach-Porträt geschaffen.<br />
Der poetische Film entwickelt zusätzlich ein Porträt<br />
des Todes als Freund oder Kamerad. Die Lebensfreude<br />
der Kinder, die aus ihrem „Bewusstsein der Endlichkeit“<br />
eine unglaubliche Kraft ziehen, überträgt sich auf den<br />
Zuschauer. „In dem Moment, in dem ich im Meer keinen<br />
Boden unter den Füßen hab, kann das Meer mit mir machen,<br />
was es will“, so fasst Pauline, die Älteste der drei -<br />
sie ist 15 - ihr Lebensgefühl und ihre Zukunftserwartung<br />
zusammen. Die schwangere Mutter des sechsjährigen<br />
Lenni fragt ihren kranken Sohn, ob er eigentlich noch<br />
da sein will, wenn das Baby kommt. Die Antwort ist<br />
ein kraftvolles Ja, das lange nachklingt. Diese Doku ist<br />
meditativ, rührend und erheiternd - ohne Draufdrücker,<br />
ohne Künstlichkeit, die lange Zeit der Beobachtung,<br />
Begleitung und Beachtung hat sich gelohnt, alles, was<br />
Riedelsheimer in den drei Jahren gesammelt hat, ist<br />
ausgereift, hat Form gewonnen.<br />
Zur Geisterstunde<br />
Dem Thema Tod inhärent ist das Thema Zeit. Alle Sendungen<br />
dieser Themenwoche umspielen den zeitlichen<br />
Horizont unseres Daseins in der einen oder anderen<br />
Weise. Es ist sehr seltsam und eigentlich unverzeihlich,<br />
dass sich die Programmmacher der ARD bei der Platzierung<br />
etwa des Films „Seelenvögel“ (aber auch des Films<br />
„Zum Sterben schön. Musik für das Finale“ von Harold<br />
Woetzel am Donnerstag um 1.00 Uhr nachts) nicht dazu<br />
durchringen konnten, einen Programmplatz zu wählen,<br />
an dem die Zuschauer noch wach sind und einschalten.<br />
Die fernsehkritischen Bemerkungen über das „Versenden“<br />
sehenswerter Filme zur Geisterstunde sind schon<br />
so oft wiederholt worden, dass man da nicht mehr<br />
mitsingen mag. Bei einer Themenwoche aber gelten<br />
andere Gesetze. Da gibt es eine Verpflichtung, alle herausragenden<br />
Werke, die so eine Veranstaltung tragen, in<br />
einem Zeitraum zu präsentieren, der ihnen ein Publikum<br />
sichert. ■
■ INLAND<br />
Insolvente dapd kündigt<br />
98 Mitarbeitern<br />
Vereinbarung mit AP zur Weiterbelieferung<br />
bis zur gerichtlichen Klärung<br />
Berlin (<strong>epd</strong>). Die insolvente Nachrichtenagentur dapd<br />
hat am 28. November 98 Mitarbeitern gekündigt.<br />
„Uns ist bewusst, dass dies ein schwerer Tag für<br />
viele Mitarbeiter ist“, teilte der in der Insolvenz<br />
eingesetzte Geschäftsführer Wolf von der Fecht mit.<br />
Die Geschäftsführung habe alles daran gesetzt, den<br />
Personalabbau so gering wie möglich zu halten.<br />
So könnten zwei Drittel der bislang 299 Stellen<br />
erhalten bleiben.<br />
Dapd hatte die Zahl der Entlassungen bereits vor zweieinhalb<br />
Wochen mit dem Sanierungskonzept angekündigt,<br />
dem der Gläubigerausschuss zugestimmt hatte (<strong>epd</strong> 46<br />
/12). Acht Gesellschaften, die das tagsaktuelle dapd-<br />
Geschäft bestritten, hatten Anfang Oktober Insolvenz<br />
angemeldet (<strong>epd</strong> 40/12). In den insolventen Unternehmen<br />
sind 299 der 515 Mitarbeiter der dapd-Gruppe<br />
beschäftigt.<br />
Mit dem Restrukturierungskonzept für die insolventen<br />
Unternehmen sei es gelungen, die dapd-<br />
Nachrichtenagenturgruppe aus eigener Kraft wieder<br />
auf eine solide wirtschaftliche Basis zu stellen, sagte<br />
von der Fecht. Die Nachrichtenagentur wird demnach<br />
das Tagesgeschäft ohne einen Investor weiterführen.<br />
Die Kündigungen wurden zwei Tage vor dem Auslaufen<br />
des Insolvenzgeldes der Bundesagentur für Arbeit<br />
ausgesprochen.<br />
Alle Dienste der Agentur sollen weiter angeboten<br />
werden. Wesentliche Einschnitte werde es aber bei<br />
den Sport- und Videodiensten von dapd geben. Der<br />
Sportdienst werde künftig nur noch mit einem deutlich<br />
verminderten Umfang angeboten.<br />
Weitere Anpassungen werde es bei den Landesdiensten<br />
geben, hieß es. Die derzeit 14 nach Bundesländern<br />
gegliederten Dienste sollen künftig in drei Cluster<br />
zusammengefasst werden. Ein wesentlicher Teil der Einsparungen<br />
gehe auch auf die flachere Organisation der<br />
Führungsstruktur zurück. Der neue Geschäftsleitungskreis<br />
bestehe nun aus der Chefredaktion mit Melanie<br />
Ahlemeier und Dirk von Borstel und Geschäftsführer<br />
von der Fecht. Der vorherige Chefredakteur Cord Dreyer<br />
hatte sich Anfang November von seinem Amt zurückgezogen,<br />
seinen Posten als Geschäftsführer hatte er<br />
bereits Anfang Oktober abgegeben (<strong>epd</strong> 44/12).<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 13<br />
Noch in der Schwebe ist, ob dapd weiterhin auf die<br />
Dienste der amerikanischen Agentur Associated Press<br />
(AP) zurückgreifen kann, da noch ein Gerichtsverfahren<br />
zur Kündigung läuft. AP hatte am 15. November überraschend<br />
den langfristigen Vertrag mit dapd beendet und<br />
eine Kooperation mit der Deutschen Presse-Agentur<br />
(dpa) abgeschlossen (<strong>epd</strong> 46/12). AP begründete den<br />
Schritt mit den finanziellen Schwierigkeiten und Zahlungsrückständen<br />
von dapd. Die Kündigung wurde<br />
als schwerer Rückschlag für die Rettungsbemühungen<br />
für die dapd gewertet, da dapd einen Großteil ihrer<br />
Auslandsberichterstattung mit AP-Material bestreitet.<br />
New Yorker Gericht überprüft Kündigung<br />
Gegen die Kündigung hat dapd nun rechtliche Schritte<br />
eingeleitet. Dapd-Geschäftsfüher von der Fecht teilte<br />
am 16. November mit, es sei fraglich, ob der Konkurrent<br />
dpa wie angekündigt ab dem 1. Januar 2013 die Inhalte<br />
von AP in Deutschland anbieten könne, ohne bestehende<br />
Verträge zu verletzen. Er halte die Kündigung sowohl<br />
„aus insolvenzrechtlicher Sicht als auch aufgrund der<br />
konkreten vertraglichen Kündigungsregelungen für unwirksam“,<br />
erklärte von der Fecht. Das habe man AP<br />
mitgeteilt.<br />
Am 26. November hatten sich dapd und AP vor einem<br />
US-Gericht geeinigt, dass die Lieferung der Nachrichten<br />
weitergehe, bis das Gericht über den Antrag der dapd,<br />
eine einstweilige Verfügung (temporary restraining order<br />
and preliminary injunction) zu erlassen, entschieden<br />
habe. Die freiwillige Vereinbarung wurde durch die<br />
gerichtliche Anerkennung rechtsverbindlich (stipulation<br />
and order). Im Gegenzug hat sich dapd verpflichtet,<br />
wöchentlich 65.000 Euro an AP zu zahlen. Am 18. Dezember<br />
wird sich das Gericht erneut mit der Kündigung<br />
des Vertrags beschäftigen.<br />
Dapd hatte am 27. November mitgeteilt, dass AP durch<br />
eine einstweilige Verfügung verpflichtet worden sei, den<br />
Vertrag weiter in vollem Umfang zu erfüllen. Das Gericht<br />
sei der Rechtsauffassung der insolventen Agentur gefolgt.<br />
Der Sprecher der dapd-Geschäftsführung, Michael<br />
Iltschev, sagte dem <strong>epd</strong>, AP sei durch die Entscheidung<br />
verpflichtet, weiterhin zu liefern. Explizit heiße es in dem<br />
Beschluss auch, dass keine Belieferung an Konkurrenten<br />
erfolgen dürfe, während diese Verpflichtung bestehe.<br />
Bis zu einem weiteren Gerichtstermin am 18. Dezember<br />
habe AP nun Zeit, Stellung zu nehmen. Bereits vor<br />
dem Beschluss des Gerichts habe es jedoch zwei Verhandlungstermine<br />
gegeben, bei dem beide Seiten ihre<br />
Rechtspositionen ausgetauscht hätten, sagte Iltschev.<br />
AP widersprach der Darstellung von dapd deutlich. Der<br />
vom US District Court of Southern New York gefasste<br />
Beschluss basiere auf einer freiwilligen Vereinbarung,
14 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
teilte AP-Sprecher Paul Colford dem <strong>epd</strong> mit. Der Richter<br />
habe nicht einmal Argumente zur Vertragsbindung<br />
gehört. Somit sei er auch nicht der Rechtsauffassung<br />
von dapd gefolgt, dass der Vertrag nicht rechtswirksam<br />
gekündigt worden sei. Bei dem Gerichtsbeschluss habe<br />
es sich nicht um eine Entscheidung über die Kündigung<br />
des Vertrags zwischen AP und dapd gehandelt.<br />
Der deutsche Markt der Nachrichtenagenturen gilt<br />
im internationalen Vergleich als besonders umkämpft.<br />
Neben den großen Anbietern dpa und dapd sind auch<br />
die französische Agence France-Presse (AFP) sowie<br />
der kanadisch-britische Konzern Thomson Reuters mit<br />
deutschsprachigen Diensten vertreten. Hinzu kommen<br />
die zwei kirchliche getragenen Agenturen Evangelischer<br />
Pressedienst (<strong>epd</strong>) und Katholische Nachrichten-Agentur<br />
(KNA) sowie mehrere Spezialdienste für Wirtschaft und<br />
Sport. hse<br />
ARD will Gespräche über<br />
Jugendkanal führen<br />
SWR soll mit ZDF verhandeln - ZDF:<br />
Klare Beauftragung durch Bundesländer<br />
Köln (<strong>epd</strong>). Die ARD unterstützt die Gründung eines<br />
gemeinsamen Jugendkanals von ARD und ZDF. Wie<br />
die ARD-Intendantinnen und -Intendanten nach ihrer<br />
Sitzung in Köln am 28. November mitteilten,<br />
soll der SWR zu diesem Zweck mit dem ZDF Verhandlungen<br />
aufnehmen. Ziel sei es, EinsPlus und<br />
einen ZDF-Digitalkanal zu einem gemeinsamen Jugendkanal<br />
von ARD und ZDF zu fusionieren, sagte<br />
ARD-Programmdirektor Volker Herres: „Wir trauen<br />
uns zu, junge Menschen zu erreichen.“ Der Kanal<br />
solle sich an die 14- bis 29-Jährigen richten.<br />
Das ZDF habe bereits positive Signale ausgesendet,<br />
betonte SWR-Intendant Peter Boudgoust als stellvertretender<br />
ARD-Vorsitzender. Bereits jetzt gebe es eine<br />
Vielzahl von Koproduktionen. Eine zeitliche Prognose für<br />
einen möglichen Start des sogenannten Jugendkanals<br />
sei allerdings schwierig, räumte er ein, da dieser erst<br />
von der Politik beauftragt werden müsse. Er hoffe aber<br />
auf einen Start in einem halben oder Dreivierteljahr.<br />
Die ARD-Vorsitzende und WDR-Intendantin Monika Piel<br />
widersprach dem Eindruck, man habe sich anfangs gegen<br />
die Einführung eines solchen gemeinsamen Vorhabens<br />
für ein junges Publikum ausgesprochen. Es habe nie<br />
eine Uneinigkeit in dieser Frage gegeben. Zunächst habe<br />
aber die Finanzierung seitens der ARD geklärt werden<br />
müssen, unterstrich Piel, die nun den ARD-Vorsitz<br />
turnusgemäß an den NDR abgibt. Im Februar 2011<br />
■ INLAND ■<br />
hatten die ARD-Intendanten noch Abstand von einem<br />
speziellen Jugendkanal genommen. Piel hatte damals<br />
gesagt, ein solcher Kanal wäre „finanziell unmöglich“<br />
(<strong>epd</strong> 6/11).<br />
Nach den Worten von SWR-Intendant Boudgoust wird<br />
die ARD versuchen, „dies aus dem Stand zu stemmen“.<br />
Für EinsPlus wende der SWR derzeit insgesamt zwölf<br />
Millionen Euro auf, sagte er. Piel hatte kürzlich in einem<br />
Interview mit dem „Stern“ gesagt, ein Jugendkanal koste<br />
mindestens 60 Millionen Euro im Jahr. In den vergangenen<br />
Monaten hatten sich mehrere Medienpolitiker für<br />
einen gemeinsamen Jugendkanal von ARD und ZDF und<br />
für eine Reduzierung der Digitalkanäle ausgesprochen<br />
(<strong>epd</strong> 8, 43, 45/12).<br />
Auch Piel hatte sich für eine Verringerung der Digitalkanäle<br />
aus. „Wir sortieren gerade die Digitalkanäle neu“,<br />
sagte sie dem „Stern“. „Es werden weniger“, sagte sie.<br />
Die ARD habe kapiert, dass sie Prioritäten setzen müsse.<br />
Das ZDF teilte am 28. November mit, es sei offen<br />
für Gespräche über einen gemeinsamen Jugendkanal.<br />
Bislang gebe es jedoch noch keine Beauftragung durch<br />
die Bundesländer. Intendant Thomas Bellut hatte im<br />
Oktober gesagt, die ARD müsse sich jetzt klar darüber<br />
werden, wie groß ihr Ehrgeiz sei, sich in einen gemeinsamen<br />
Jugendkanal einzubringen. Ein klarer Wille dazu<br />
und ausreichend Personal müsse da sein, „dann kann<br />
der Sender so erfolgreich sein wie KiKA“ (<strong>epd</strong> 43/12).<br />
Der Digitalkanal Einsfestival solle erhalten bleiben und<br />
sich vor allem an 30- bis 49-jährige Zuschauer richten,<br />
sagte Piel. Der Kanal werde einen neuen Namen erhalten.<br />
Neues Multimedia-Studio in Baden-Baden<br />
Insgesamt setze die ARD beim Thema Verjüngung auf<br />
alle Medien, vor allem auf die jungen Wellen im Radio<br />
und die Online-Angebote, teilte der Senderverbund<br />
mit. Jüngere Zuschauer zu erreichen bleibe eine „programmliche<br />
Querschnittaufgabe“. Daher bündele die<br />
ARD Videos für Jüngere in der ARD-Mediathek. Mit<br />
Hilfe eines neuen „Filters“ innerhalb der Mediathek<br />
sollen Bewegtbildinhalte für junge Zielgruppen leichter<br />
auffindbar gemacht werden. Start des neuen Filters ist<br />
im Mai.<br />
Die Intendanten stimmten einer Verlängerung des Experiments<br />
„TagesWEBschau“ um weitere sechs Monate zu.<br />
Seit Juni berichtet die „TagesWEBschau“ tagesaktuell<br />
über wichtige Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft aus der Sicht der Netze. Das Angebot ist<br />
über die digitalen Kanäle der ARD und die Online-Seiten<br />
der jungen ARD-Radios zu empfangen. Die Federführung<br />
hat Radio Bremen.
Der SWR eröffnete am 28. November ein neues multimedial<br />
vernetztes HD-Studio in Baden-Baden. Das<br />
„E-Lab“ verbinde Fernsehen, Radio und Internet und<br />
biete so viel Raum für neue, junge TV-Experimente,<br />
teilte der SWR mit. SWR-Fernsehdirektor Christoph<br />
Hauser sagte, EinsPlus habe seit April „in beeindruckender<br />
Weise gezeigt, wie gutes junges Fernsehen<br />
aussieht“. In dem Multimedia-Studio könnten junge<br />
Medienmacher „ihrer Kreativität freien Lauf lassen, um<br />
zu experimentieren und neues Fernsehen zu entwickeln“.<br />
Im „E-Lab“ produzieren junge Mediengestalter<br />
die wöchentlichen EinsPlus-Sendungen „Beatzzz“ und<br />
„DasDing.tv“. Außerdem kann in dem Studio live für das<br />
laufende Programm von SWR3 und DasDing produziert<br />
werden. dir/lwd<br />
Volker Herres bleibt<br />
Programmdirektor der ARD<br />
Verträge mit Miosga, Delling<br />
und Beckmann verlängert<br />
Köln (<strong>epd</strong>). Volker Herres bleibt für weitere fünf<br />
Jahre Programmdirektor der ARD. Wie der Senderverbund<br />
am 28. November mitteilte, wurde der<br />
Vertrag mit Herres bis Oktober 2018 verlängert. Die<br />
ARD-Vorsitzende Monika Piel sagte, mit Herres setze<br />
die ARD weiterhin darauf, das öffentlich-rechtliche<br />
Profil des Ersten zu schärfen. Auch die Verträge mit<br />
„Tagsthemen“-Moderatorin Caren Miosga und den<br />
Moderatoren Gerhard Delling und Reinhold Beckmann<br />
wurde verlängert.<br />
Herres (55) ist seit November 2008 Programmdirektor<br />
Erstes Deutsches Fernsehen. Zuvor war er Fernseh-<br />
Chefredakteur des NDR und Leiter des Programmbereichs<br />
Zeitgeschehen. Im Wechsel mit Jörg Schönenborn<br />
und Sonia Seymour Mikich moderiert er den „Presse-<br />
Club“ im Ersten.<br />
Miosga (43) moderiert seit 2007 die „Tagesthemen“ im<br />
Wechsel mit Tom Buhrow. Zuvor moderierte sie im NDR<br />
Fernsehen unter anderem das „Kulturjournal“ und das<br />
Medienmagazin „Zapp“. Ihr Vertrag läuft bis 2016.<br />
Beckmann und Delling werden auch in den kommenden<br />
zwei Jahren die „Sportschau“ und die „Sportschau“-Live-<br />
Übertragungen im Ersten präsentieren. Die ARD teilte<br />
zudem mit, dass sie ab der kommenden Saison in allen<br />
Dritten Programmen sonntags abends eine „Bundesliga“-<br />
Sportschau ausstrahlen wird. In der 20 Minuten langen<br />
Sendung, die ab 21.45 in allen Dritten Programmen<br />
ausgestrahlt werde, werde über die Sonntagsspiele<br />
der Fußball-Bundesliga berichtet. Präsentiert werde<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 15<br />
die Sendung von Reinhold Beckmann, Gerhard Delling<br />
und Matthias Opdenhövel. Die Produktion der Sendung<br />
übernehme der WDR.<br />
Alexander Bommes (36), Moderator der Sonntags-<br />
„Sportschau“ im Ersten, wird künftig den „Sportschau<br />
Club“ präsentieren. Sein Debüt gebe er am 6. Februar<br />
2013 nach dem Länderspiel Frankreich gegen Deutschland<br />
in Paris, teilte die ARD mit. Der „Sportschau Club“<br />
ist die Nachfolgesendung von „Waldis Club“. In der<br />
Sendung werden nach Angaben der ARD die Länderspiele<br />
„über die bereits gesehene sportliche Analyse<br />
hinaus betrachtet“ und Gespräche über „Sport, Kultur<br />
und Lifestyle - Themen rund um den Fußball“ geführt.<br />
Bommes präsentiert beim NDR weiterhin den „Sportclub“,<br />
die „NDR Quizshow“ und das „Hamburg Journal“.<br />
Zudem wird er künftig auch die Boxsendungen im Ersten<br />
moderieren. dir<br />
Streit um „Tagesschau“-App:<br />
Spitzengespräch im Frühjahr<br />
ARD will Angebot fortentwickeln -<br />
Piel hofft auf gemeinsame Vereinbarung<br />
Köln (<strong>epd</strong>). Die ARD-Vorsitzende Monika Piel hofft<br />
weiter auf eine gemeinsame Vereinbarung im Streit<br />
zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern und<br />
den Zeitungsverlagen um die „Tagesschau“-App. Es<br />
gebe einen Termin für ein weiteres Spitzengespräch<br />
im Frühjahr, sagte Piel am 28. November in Köln.<br />
Ein erstes Gespräch fand am 22. November in Köln<br />
statt. Piel nannte es einen Erfolg, „dass wir weiter<br />
miteinander reden“. Dieser Prozess werde weitergehen.<br />
Das Landgericht Köln hatte am 27. September die<br />
„Tagesschau“-App vom 15. Juni 2011 für unzulässig<br />
erklärt (<strong>epd</strong> 40/12). Acht Tageszeitungsverlage hatten<br />
der ARD und insbesondere dem für die „Tagesschau“-<br />
App verantwortlichen NDR vorgeworfen, mit der App<br />
trete die ARD in einen unlauteren Wettbewerb mit<br />
den kostenpflichtig angebotenen Apps der Verlage. Das<br />
Landgericht Köln hatte die App vom 15. Juni 2011<br />
als „presseähnlich“ bewertet, weil sie nach Ansicht der<br />
Richter geeignet ist, „als Ersatz für die Lektüre von<br />
Zeitungen oder Zeitschriften zu dienen“. Gleichzeitig<br />
stellten die Richter in ihrem Urteil klar, dass ein<br />
generelles Verbot der App ausscheide. Der NDR hat<br />
in Absprache mit den anderen ARD-Anstalten beim<br />
Oberlandesgericht Köln Berufung gegen das Urteil des<br />
Landgerichts Köln eingelegt (<strong>epd</strong> 43/12).
16 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Die ARD hatte am 22. November mitgeteilt, die<br />
„Tagesschau“-App solle fortentwickelt werden. In dem<br />
Spitzengespräch im Frühjahr soll dies bewertet werden.<br />
ARD, ZDF und die Verleger hatten bereits im vergangenen<br />
Jahr Gespräche über eine gemeinsame Erklärung zu<br />
ihren Aktivitäten im Internet aufgenommen. Die Verleger<br />
hatten sich im April zunächst aus den Gesprächen<br />
zurückgezogen. lwd/rid<br />
Ende im Dezember: „Financial Times<br />
Deutschland“ wird eingestellt<br />
„Capital“ wird in Berlin fortgeführt -<br />
Insgesamt 364 Arbeitsplätze betroffen<br />
Hamburg (<strong>epd</strong>). Das Ende der „Financial Times<br />
Deutschland“ ist besiegelt. Die Zeitung werde am 7.<br />
Dezember letztmalig erscheinen. Auch alle Online-<br />
Aktivitäten werden eingestellt, teilte der Verlag<br />
Gruner + Jahr am 23. November mit. Die FTD sei eines<br />
der ambitioniertesten journalistischen Projekte<br />
der vergangenen Dekade gewesen, sagte Gruner +<br />
Jahr-Vorstand Julia Jäkel. Die Zeitung habe jedoch<br />
seit ihrer Gründung im Jahr 2000 Verluste geschrieben.<br />
Somit sehe der Verlag keinen Weg, die<br />
„Financial Times Deutschland“ weiterzuführen. Von<br />
den vier großen Publikationen der G+J Wirtschaftsmedien<br />
soll nur definitiv das Wirtschaftsmagazin<br />
„Capital“ erhalten bleiben.<br />
Nun sind 364 Arbeitsplätze gefährdet. Neben den 314<br />
Mitarbeitern bei den Wirtschaftsmedien, 258 davon<br />
am Standort Hamburg, seien auch 50 Mitarbeiter bei<br />
angrenzenden Verlagsbereichen unmittelbar oder mittelbar<br />
betroffen, erklärte der Verlag. Gruner + Jahr hatte<br />
vor knapp vier Jahren seine Wirtschaftsmedien neu<br />
geordnet und in einer eigenen Gesellschaft zusammengefasst.<br />
Der Verlag will jetzt mit den Betriebsräten über<br />
einen Sozialplan verhandeln.<br />
In Berlin löste das nahende Ende der FTD bedauern<br />
aus. Regierungssprecher Steffen Seibert twitterte, die<br />
„Financial Times Deutschland“ werde fehlen. Die medienpolitische<br />
Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, erklärte,<br />
Deutschland verliere ein weiteres Stück Medienvielfalt.<br />
Sie wolle eine Diskussion beginnen, ob es alternative<br />
Möglichkeiten zur Förderung von Journalismus gebe,<br />
wie zum Beispiel Stiftungs- oder Genossenschaftsmodelle.<br />
Die Gewerkschaft ver.di nannte die Einstellung der<br />
FTD einen herben Schlag für den Qualitätsjournalismus.<br />
Noch am 22. November hatte Gruner + Jahr erklärt, der<br />
Verlag befinde sich in letzten Verhandlungen über einen<br />
■ INLAND ■<br />
Verkauf der „Financial Times Deutschland“. Diese sind<br />
nun gescheitert. Die Geschichte des deutschen Ablegers<br />
der renommierten „Financial Times“ geht somit zu Ende.<br />
Gruner + Jahr hatte den deutschen Titel im Jahr 2000<br />
gemeinsam mit dem Mutterverlag der „Financial Times“,<br />
der Pearson-Gruppe, auf den Markt gebracht. 2008<br />
hatte Gruner + Jahr den 50-Prozent-Anteil von Pearson<br />
übernommen. 2009 folgte die Zusammenlegung der<br />
Redaktionen von FTD, „Börse Online“, „Impulse“ und<br />
„Capital“ in den G+J Wirtschaftsmedien.<br />
Das Magazin „Capital“ soll am neuen Standort Berlin<br />
neu positioniert werden. „’Capital’ ist eine starke Marke<br />
und seit 50 Jahren Bestandteil unseres publizistischen<br />
Profils“, erklärte Jäkel. Der Chefredakteur der FTD,<br />
Steffen Klusmann, habe sich zur Verfügung gestellt,<br />
„Capital“ noch für eine Übergangsphase zu führen. Auch<br />
das Magazin „Business Punk“ soll ebenso wie die Einheit<br />
„Facts & Figures“ bestehen bleiben.<br />
Über die Zukunft der Wirtschaftsmagazine „Impulse“<br />
und „Börse Online“ sei dagegen noch nicht endgültig<br />
entschieden. Zurzeit werde die Möglichkeit eines<br />
Verkaufs geprüft, teilte der Verlag mit. Auch eine<br />
Übernahme durch das Management („Management-<br />
Buy-Out“) werde erwogen. Finde sich kein Käufer, sei<br />
auch dort eine Einstellung geplant.<br />
Gruner + Jahr hatte 2011 den Konzernumsatz um 27<br />
Millionen Euro auf 2,29 Milliarden Euro gesteigert. Der<br />
Jahresüberschuss lag bei 160 Millionen Euro. Für die<br />
Wirtschaftsmedien musste Gruner + Jahr Medienberichten<br />
zufolge aber einen Verlust von rund 15 Millionen<br />
Euro ausweisen.<br />
Die Einstellung der „Financial Times Deutschland“ markiert<br />
ein weiteres Kapitel in der Krise der Printmedien.<br />
Vor kurzem hatte die renommierte „Frankfurter Rundschau“<br />
Insolvenz angemeldet (<strong>epd</strong> 46/12). Auch die<br />
Nachrichtenagentur dapd ist seit Oktober zahlungsunfähig<br />
(<strong>epd</strong> 40, 41, 44, 46/12). Wie es in den beiden<br />
Redaktionen mittelfristig weitergeht, ist noch unklar.<br />
hse
Sechs Tochter-Gesellschaften<br />
der FR melden Insolvenz an<br />
Geschäftsführer: Anzeigenakquise<br />
und Vertrieb sind gesichert<br />
Frankfurt a.M. (<strong>epd</strong>). Sechs Tochtergesellschaften<br />
der „Frankfurter Rundschau“ haben am 27. November<br />
bei den Amtsgerichten Frankfurt am Main<br />
und Offenbach Insolvenzanträge gestellt. Die Unternehmen<br />
beschäftigten in Frankfurt und Neu-<br />
Isenburg insgesamt 80 Mitarbeiter, teilte das Druckund<br />
Verlagshaus Frankfurt am Main mit. Der Geschäftsbetrieb<br />
bei den Anzeigen- und Vertriebs-<br />
Tochterunternehmen gehe unverändert weiter. Der<br />
Verlag der FR hatte am 13. November Insolvenz<br />
angemeldet (<strong>epd</strong> 46/12).<br />
Anzeigenakquise und Zeitungsdistribution seien für die<br />
nächste Zeit gesichert, sagte Karlheinz Kroke, Geschäftsführer<br />
der Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main<br />
GmbH. Dies sei ein „wichtiger Schritt zur Stabilisierung<br />
des Geschäftsbetriebs von Zeitung und Verlag und<br />
Voraussetzung für den Erfolg des laufenden Investorenprozesses“.<br />
Die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter<br />
seien über das Insolvenzgeld für drei Monate gesichert.<br />
Die sechs Tochterunternehmen, die am 27. November<br />
Insolvenz anmeldeten, sind die FR Publishing GmbH,<br />
die Mediendepot Frankfurt GmbH, die FR Digital Sales<br />
GmbH, die FR Comlog GmbH, die Zeitungs-Vertriebs<br />
GmbH Nord und die Janz & Fritzsche Medienvertriebs<br />
GmbH. Alle Unternehmen gehören zu 100 Prozent der<br />
Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main GmbH.<br />
Als Grund für die Insolvenz hatte der Verlag die massiven<br />
Umsatzverluste im Anzeigen- und Druckgeschäft in<br />
der ersten Hälfte des Jahres genannt. Die „Frankfurter<br />
Rundschau“, deren Mantelteil in einer Redaktionsgemeinschaft<br />
mit der ebenfalls zum Kölner Verlagshaus<br />
M. DuMont Schauberg erscheinenden „Berliner Zeitung“<br />
entsteht, ist trotz zahlreicher Sparrunden seit Jahren<br />
defizitär. Auch die Auflage der Zeitung sinkt: Im dritten<br />
Quartal 2012 verkaufte das Blatt durchschnittlich knapp<br />
118.000 Exemplare pro Tag. Vor zehn Jahren waren es<br />
noch mehr als 180.000.<br />
Die Mitarbeiter der „Berliner Zeitung“ zeigten sich<br />
solidarisch mit den Kollegen der FR. „Wir unterstützen<br />
deren ausdrücklichen Willen und ihr Engagement für den<br />
Erhalt des Blattes, trotz Insolvenzantrag“, schrieb der<br />
Redaktionsausschuss der „Berliner Zeitung“ in einem am<br />
16. November verbreiteten offenen Brief. Darin werden<br />
die Hauptgesellschafter der FR auch aufgefordert, „jeden<br />
Handlungsspielraum und jede Chance zu nutzen, um<br />
die ’Frankfurter Rundschau’ fortzuführen“. dir/lob<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien<br />
17<br />
Spiegel TV plant Stellenstreichungen<br />
Mindestens 27 Vollzeitstellen werden<br />
abgebaut - Aufforderung zum Gehaltsverzicht<br />
Hamburg (<strong>epd</strong>). Bei Spiegel TV stehen erneut Stellenkürzungen<br />
an. Dabei setze die Produktionsfirma<br />
zunächst auf freiwillige Kündigungen, sagte die<br />
Sprecherin des Verlags, Anja zum Hingst, am 28.<br />
November dem <strong>epd</strong>. So sollen durch die freiwilligen<br />
Kündigungen bis zum Jahresende mindestens 27<br />
Vollzeitstellen abgebaut werden. Gleichzeitig müssten<br />
sich 90 Prozent der Mitarbeiter bereiterklären,<br />
Einbußen von 10 Prozent des Bruttolohns zu akzeptieren.<br />
Sollte diese Variante nicht zustande kommen, müsse ab<br />
Januar 2013 betriebsbedingt gekündigt werden. Dann<br />
würden 40 Vollzeitstellen abgebaut werden müssen.<br />
Bislang sind bei Spiegel TV 187 Mitarbeiter auf 150<br />
Vollzeitstellen beschäftigt. Da im kommenden Jahr Einschnitte<br />
bei Produktionen zu erwarten seien, müsse<br />
auch bei den Stellen gespart werden. So fällt beispielsweise<br />
das Format „Lanz kocht“, das Spiegel TV bislang<br />
produziert hatte weg. Auch VOX werde künftig weniger<br />
Produktionen von Spiegel TV ausstrahlen.<br />
Das Unternehmen hatte bereits jeweils im November<br />
2011 und 2010 Mitarbeiter entlassen (<strong>epd</strong> 88/10, 43, 47<br />
/11). Davor waren noch 261 Mitarbeiter bei der Tochter<br />
des Spiegel-Verlags beschäftigt, die damals noch die<br />
Show „Kerner“ mit Johannes B. Kerner produzierte.<br />
Zur weiteren Unsicherheit kommt nun hinzu, dass es<br />
noch immer keine Sicherheit über die Drittsendezeiten<br />
bei Sat.1 gibt (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe).<br />
Dazu wollte sich von Hingst nicht äußern. Da jedoch<br />
noch nicht abschließend geklärt ist, ob Spiegel TV über<br />
die dctp weiter sein Format „Spiegel TV Reportage“ an<br />
Sat.1 als Drittsendezeitenprogramm liefern wird und<br />
über die Drittsendezeiten bei RTL noch nicht entschieden<br />
ist, wäre auch hier der Verlust von weiteren Produktionsaufträgen<br />
möglich. Für RTL produziert Spiegel TV<br />
über die dctp als Drittsendelizenznehmer das Magazin<br />
„Spiegel TV“. hse
18 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Bauer Media Group will Bertelsmann<br />
bei Zeitschriften überholen<br />
Schoo: Gesetz zum Presse-Grosso wird<br />
Europäischem Recht nicht standhalten<br />
Hamburg (<strong>epd</strong>). Die Bauer Media Group wird 2012<br />
ihren Umsatz voraussichtlich um acht Prozent auf<br />
2,175 Milliarden Euro steigern. Sie rechne damit,<br />
dass ihr Konzern im nächsten Jahr Europas größter<br />
Zeitschriftenverlag wird und Bertelsmann in dieser<br />
Sparte überholt, sagte Verlegerin Yvonne Bauer<br />
am 28. November in Hamburg. Trotz zahlreicher<br />
Übernahmen komme das Unternehmen ohne Bankschulden<br />
aus. Mittlerweile würden 62 Prozent der<br />
Umsätze im Ausland erwirtschaftet, vor allem in<br />
Großbritannien, Polen, den USA und Australien.<br />
80 Prozent der Umsätze erarbeitet Bauer laut Geschäftsleiter<br />
Eckart Bollmann durch gedruckte Presseprodukte.<br />
Mit den Zeitschriften „Auf einen Blick“, „Tv14“ und „TV<br />
Movie“ produziere Bauer drei von sieben Zeitschriften<br />
in Deutschland, die eine Auflage von über einer Million<br />
haben.<br />
15 Titel sind nach Aussage von Geschäftsleiter Andreas<br />
Schoo 2012 neu auf dem Markt, darunter das wöchentliche<br />
People-Magazin „Closer“ mit einer Auflage von<br />
175.000. Auch das Monatsmagazin „Meins“ für Frauen<br />
ab 60 habe eine Auflage von 100.000 erreicht. Anfang<br />
des Jahres wurden „Cosmopolitan“, „Joy“ und „Shape“<br />
von der MVG Medien Verlagsgesellschaft übernommen.<br />
„Print lebt“, sagte Verlegerin Bauer. „Man muss sich nur<br />
um seine Produkte kümmern.“<br />
Während 2012 vor allem in Print investiert wurde, soll<br />
der Schwerpunkt 2013 im Digitalen liegen, kündigte<br />
Schoo an. Über 300 digitale Produkte verantworte<br />
Bauer bereits, darunter 70 digitale Magazine. Nicht alle<br />
Produkte schrieben schwarze Zahlen. Ziel sei es, alle<br />
gedruckten Titel auch digital zu vermarkten.<br />
Seit Oktober ist Bauer mit 120 Magazinen und einem<br />
geschätzten Jahresumsatz von 500 Millionen Euro in<br />
Australien und Neuseeland vertreten. Bei den Frauenzeitschriften<br />
und im Modesegment liegt der Marktanteil<br />
laut Bollmann bei rund 60 Prozent. Zum Sortiment<br />
zählten aber auch Spezialzeitschriften wie „Earthmoves<br />
& Excavator“ für Erd-Baumaschinen. 2.000 Mitarbeiter<br />
seien übernommen worden.<br />
Rund 11.000 Mitarbeiter sind weltweit bei Bauer beschäftigt,<br />
rund 2.000 mehr als im Vorjahr. Am Standort<br />
Hamburg arbeiten derzeit 1.602 Beschäftigte, 74 mehr<br />
als im Vorjahr.<br />
■ INLAND ■<br />
Zum Streit um den Vertrieb per Presse-Grosso sagte<br />
Schoo, das neue Gesetz werde den Konflikt nicht lösen.<br />
Er gehe davon aus, dass das Gesetz dem Europäischen<br />
Recht nicht standhalten werde. Mit der im Oktober vom<br />
Bundestag verabschiedeten Novelle des Gesetzes gegen<br />
Wettbewerbsbeschränkungen soll auch der Vertrieb von<br />
Zeitungen und Zeitschriften über das Presse-Grosso<br />
gesichert werden (<strong>epd</strong> 43/12).<br />
Das Landgericht Köln hatte im Februar das Vorgehen des<br />
Presse-Grosso-Verbands als wettbewerbswidrig eingestuft<br />
und damit einer Klage von Bauer stattgegeben. Der<br />
Presse-Grosso-Verband hatte bislang für die einzelnen<br />
Presse-Grossisten mit den Verlagen einheitliche Bedingungen<br />
für den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften<br />
ausgehandelt. Bauer will jedoch in Einzelverhandlungen<br />
mit den Zeitungshändlern bessere Konditionen für seine<br />
Zeitschriften durchsetzen. Der Bundesverband Presse-<br />
Grosso hat gegen das Urteil Berufung eingelegt (<strong>epd</strong> 7,<br />
10/12). lnh<br />
Landesregierungen sollen Sitze<br />
im SWR-Rundfunkrat verlieren<br />
Entwurf für neuen Staatsvertrag<br />
sieht Redaktionsstatut vor<br />
Mainz/Stuttgart (<strong>epd</strong>). Rheinland-Pfalz und Baden-<br />
Württemberg haben sich auf einen Entwurf für den<br />
geplanten neuen SWR-Staatsvertrag geeinigt. Der<br />
Entwurf, den der rheinland-pfälzische Ministerpräsident<br />
Kurt Beck (SPD) am 20. November in Mainz<br />
vorstellte, sieht unter anderem eine Reform des<br />
SWR-Rundfunkrats vor. Die Vertreter der beiden<br />
Landesregierungen sollen demnach ihre insgesamt<br />
drei Sitze in dem Gremium verlieren. Das soll zu größerer<br />
Staatsferne im Rundfunkrat führen. Auch die<br />
Mitbestimmungsrechte der Personalvertretung sollen<br />
ausgeweitet werden. Die drei SWR-Funkhäuser<br />
in Mainz, Stuttgart und Baden-Baden bleiben erhalten.<br />
Auf die Grundaussagen des neuen Vertrags hatten<br />
sich beide Länder bereits im Juni geeinigt (<strong>epd</strong> 26/<br />
12). Beck kündigte nun eine gemeinsame Anhörung zu<br />
dem Vertragstext an. Anschließend wollen die beiden<br />
Landesregierungen sich auf eine endgültige Fassung<br />
des Vertrags einigen. SWR-Intendant Peter Boudgoust<br />
begrüßte den Textentwurf und kündigte zugleich an,<br />
der SWR werde sich bei der geplanten Anhörung aktiv<br />
einbringen.<br />
Nach dem Willen beider Länder soll die regionale Berichterstattung<br />
aus den beiden Bundesländern auch
künftig Kernaufgabe des SWR bleiben. Das Hörfunkprogramm<br />
soll sich stärker auf jüngere Zuhörer ausrichten.<br />
Die Landesregierungen in Mainz und Stuttgart wollen<br />
in dem neuen Staatsvertrag auch Maßnahmen zur<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern festschreiben.<br />
Im Zuge der Reform des Rundfunkrats soll künftig<br />
erstmals ein Vertreter der muslimischen Verbände aus<br />
Baden-Württemberg in das Aufsichtsgremium entsandt<br />
werden. Dass zugleich die christlichen Freikirchen ihren<br />
Sitz verlieren, wurde von kirchlicher Seite heftig kritisiert<br />
(<strong>epd</strong> 41/12). Auch die Vertriebenenorganisationen<br />
verlieren die zwei Sitze, die sie bislang im Landesrundfunkrat<br />
Baden-Württemberg hatten. Die Migranten<br />
sollen künftig zwei statt einen Vertreter in den Landesrundfunkrat<br />
Baden-Württemberg entsenden. Die Zahl<br />
der Vertreter von Natur- und Umweltschutzverbänden<br />
erhöht sich von einem auf zwei. In den Landesrundfunkrat<br />
Rheinland-Pfalz sollen künftig auch die Sinti<br />
und Roma einen Vertreter entsenden. Für die meisten<br />
Organisationen, die mehr als einen Vertreter entsenden,<br />
sieht der Entwurf eine Frauenquote von 50 Prozent<br />
vor. Bisher legte der Staatsvertrag nur fest, dass Frauen<br />
bei der Entsendung der Mitglieder „angemessen zu<br />
berücksichtigen“ seien.<br />
Die Landesregierung Baden-Württemberg war bisher<br />
mit zwei Mitgliedern im Rundfunkrat vertreten, die<br />
von Rheinland-Pfalz mit einem. Insgesamt soll sich<br />
an der Zahl der Mitglieder des Rundfunkrats nichts<br />
ändern: 51 Mitglieder sind aus Baden-Württemberg, 23<br />
aus Rheinland-Pfalz. Der Rundfunkrat des SWR ist der<br />
größte aller ARD-Anstalten.<br />
Auftrag für DasDing und SWRinfo<br />
Die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrats erhöht sich<br />
von 15 auf 18. Neun der Mitglieder wählt der Rundfunkrat,<br />
gewählt werden dürfen laut Gesetzentwurf nur<br />
Personen, die „nicht von den Regierungen der Länder<br />
oder den Landtagen entsandt“ wurden. Drei Mitglieder<br />
entsendet der Landtag von Baden-Württemberg, ein<br />
Mitglied der Landtag von Rheinland-Pfalz. Zwei weitere<br />
Mitglieder entsendet die Landesregierung von Baden-<br />
Württemberg, ein Mitglied die Landesregierung von<br />
Rheinland-Pfalz. Zwei Mitglieder entsendet der Personalrat,<br />
eines aus jedem Land. Der Personalrat war bisher<br />
nicht im Verwaltungsrat vertreten. Die Zahl der vom<br />
Rundfunkrat gewählten Mitglieder erhöht sich von acht<br />
auf neun. Auch hier soll ein „angemessener Geschlechterproporz“<br />
gewahrt werden. Mindestens 40 Prozent der<br />
vom Rundfunkrat gewählten Mitglieder müssen Frauen<br />
sein. Auch die Männer sollen mit mindestens 40 Prozent<br />
vertreten sein.<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 19<br />
Um die Gremienarbeit transparenter zu gestalten sollen<br />
die Beschlüsse, die der Rundfunkrat in öffentlichen<br />
Sitzungen gefasst hat, ebenso wie die Beratungsgrundlagen<br />
künftig im Internetauftritt des SWR veröffentlicht<br />
werden. Wie beim WDR-Staatsvertrag ist vorgesehen,<br />
dass Bezüge der Geschäftsleitung künftig veröffentlicht<br />
werden sollen.<br />
Neu ist auch, dass der Staatsvertrag ein Redaktionsstatut<br />
vorsieht. Dieses bedürfe der Zustimmung des<br />
Rundfunkrats, heißt es im Entwurf. Das Redaktionsstatut<br />
solle länderübergreifend die Mitwirkungsrechte der<br />
Programmbeschäftigten in Programmangelegenheiten<br />
regeln. Es soll auch ein „Verfahren zur Beilegung von<br />
Konflikten in Programmfragen zwischen Programmbeschäftigten<br />
und ihren Vorgesetzten“ festlegen.<br />
In den neuen Staatsvertrag ist ein Auftrag für die<br />
Hörfunkprogramme DasDing und SWRinfo integriert.<br />
Zur Stärkung der regionalen Identität wird für das<br />
Fernsehprogramm ein Landesanteil von 30 Prozent<br />
vorgeschrieben.<br />
Auch für die Zusammensetzung der Geschäftsleitung,<br />
die aus Intendant und Direktoren besteht, wird eine<br />
„gleichberechtigte Vertretung der Geschlechter“ zu<br />
mindestens je 40 Prozent angestrebt. dir/lmw<br />
Google startet Kampagne<br />
gegen Leistungsschutzrecht<br />
Max-Planck-Institut warnt vor<br />
„unabsehbaren negativen Folgen“<br />
Hamburg (<strong>epd</strong>). Der Suchmaschinenkonzern Google<br />
hat eine Kampagne gegen das von den Verlegern<br />
geforderte Leistungsschutzrecht gestartet.<br />
„Die meisten Bürger haben noch nie von diesem<br />
Gesetzesvorschlag gehört. Dabei träfe ein solches<br />
Gesetz jeden Internetnutzer in Deutschland“, sagte<br />
der Deutschland-Chef von Google, Stefan Tweraser,<br />
am 27. November in Berlin. Unter dem Motto „Verteidige<br />
Dein Netz - Finde weiterhin, was Du suchst“<br />
informiert Google unter www.google.de/DeinNetz<br />
über seine Sicht auf das geplante Schutzrecht für<br />
Presseverlage. Die Verlegerverbände kritisierten die<br />
Kampagne als „üble Propaganda“.<br />
Das Bundeskabinett hat Ende August einen Gesetzentwurf<br />
beschlossen, mit dem eine unberechtigte gewerbliche<br />
Nutzung von Presseerzeugnissen im Internet<br />
verhindert werden soll (<strong>epd</strong> 35/12). Demnach sollen<br />
Suchmaschinenbetreiber und Anbieter von mit Suchmaschinen<br />
vergleichbaren Diensten künftig zu Zahlungen
20 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
verpflichtet werden können, wenn sie Presseinhalte<br />
systematisch nutzen. In der Nacht zum 30. November<br />
(nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) sollte sich der<br />
Bundestag in der Ersten Lesung mit dem Gesetzentwurf<br />
beschäftigen.<br />
Google ist gegen den Entwurf. „Ein Leistungsschutzrecht<br />
bedeutet weniger Informationen für Bürger und höhere<br />
Kosten für Unternehmen“, sagte Tweraser. Deshalb<br />
lehnten nicht nur Google, sondern auch die deutsche<br />
Wirtschaft, Blogger, Journalisten, Wissenschaftler<br />
und Internetexperten aller im Bundestag vertretenen<br />
Parteien dieses Vorhaben ab, teilte das Unternehmen<br />
mit. Das Suchen und Finden, eine Grundfunktion des<br />
Internets, würde durch ein Leistungsschutzrecht gestört.<br />
Die Verlegerverbände BDZV und VDZ bezeichneten es<br />
als „Unding“, dass der Suchmaschinenkonzern „seine<br />
marktbeherrschende Stellung einseitig für die eigenen<br />
Ziele“ nutze. Die Behauptung von Google, das Suchen<br />
und Finden von Informationen im Netz werde durch das<br />
Leistungsschutzrecht erschwert, sei unseriös. Google<br />
arbeite „mit perfiden Methoden, um Angst und Panik zu<br />
verbreiten“. Die Verbände teilten mit, es sei doch „selbstverständlich,<br />
dass jemand, der einen Inhalt gewerblich<br />
nutzt, auch dafür bezahlt“.<br />
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte die<br />
Abgeordneten des Bundestags auf, den Gesetzentwurf<br />
zum Leistungsschutzrecht zugunsten der Urheber nachzubessern.<br />
Es müsse sichergestellt werden, dass die<br />
journalistische Arbeit durch das neue Recht nicht beeinträchtigt<br />
werde, forderte der DJV-Vorsitzende Michael<br />
Konken. Google male „aus sehr durchsichtigen Gründen<br />
schwarz“. Dass Qualitätsjournalismus seinen Preis<br />
habe, müssten auch die Betreiber von Suchmaschinen<br />
akzeptieren.<br />
„Abmahn- und Klagewelle“<br />
Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen<br />
und Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der<br />
Fraktion, sprachen sich am 28. November gegen das geplante<br />
Leistungsschutzrecht aus. Sie lehnten das Gesetz<br />
ab, weil sie die „vielfältigen Auswirkungen“ für fatal<br />
hielten, teilten die beiden Grünen-Abgeordneten mit.<br />
Durch das Gesetz würden wenn überhaupt „vor allem die<br />
wenigen großen Verlage Mehreinnahmen“ bekommten.<br />
Das Gesetz sei nicht im Sinne der Medienvielfalt, es<br />
würde den Boulevardjournalismus am meisten befeuern.<br />
Geld gebe es vor allem für das, „was am meisten gesucht<br />
und geklickt wird“. Auch für Journalisten bringe<br />
das Leistungsschutzrecht nichts, da die „angemessene<br />
Vergütung ihrer Arbeit“ viel zu wage definiert sei. Das<br />
Gesetz würde Rechtsunsicherheit schaffen, so sei „eine<br />
weitere Abmahn- und Klagewelle zu befürchten“.<br />
■ INLAND ■<br />
Auch das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter und<br />
Wettbewerbsrecht hat sich in einer am 27. November<br />
veröffentlichten Stellungnahme kritisch zu dem<br />
geplanten Leistungsschutzrecht geäußert. Es bestehe<br />
die Gefahr „unabsehbarer negativer Folgen“, schreiben<br />
die Wissenschaftler. Der Regierungsentwurf scheine<br />
„nicht durchdacht“. Die Stellungnahme wird von 16<br />
Unterzeichnern unterstützt.<br />
Die Wissenschaftler warnen davor, dass sich das Leistungsschutzrecht<br />
„zum Nachteil der deutschen Volkswirtschaft“<br />
auswirken könnte. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass bei Inkrafttreten des Gesetzes gar nicht mehr auf<br />
deutsche Presseinhalte verlinkt werde, scheine sehr<br />
hoch, dies könne aber „in niemandes Interesse liegen“.<br />
Den Verlagen gehe es in Wahrheit darum, Lizenzeinnahmen<br />
zu erzielen, heißt es in der Stellungnahme. Das<br />
Interesse der Verlage von Suchmaschinen berücksichtigt<br />
zu werden, zeige sich daran, „dass es mit einfachen<br />
technischen Mitteln ohne weiteres möglich wäre, die<br />
heute üblichen Linksetzungen zu unterbinden“. dir/hse<br />
Schmid kritisiert<br />
„Verzweiflungsregulierung“<br />
Doetz will nicht als Vorstandsvorsitzender<br />
des VPRT antreten<br />
Berlin (<strong>epd</strong>). Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien<br />
(VPRT) hält die Pläne der Länder für eine Reform<br />
des Medienkonzentrationsrechts für unzureichend.<br />
VPRT-Vizepräsident Tobias Schmid bezeichnete<br />
das Festhalten an der Fernsehzentriertheit, als<br />
„Kokolores“. Er bezog sich damit auf die kürzlich bekanntgewordenen<br />
Eckpunkte der Reformpläne, die<br />
die Länder vorgelegt haben. Statt grundlegende<br />
Änderungen anzugehen, werde Bisheriges einfach<br />
fortgesetzt, kritisierte Schmid am 21. November in<br />
Berlin und sprach von einer „Verzweiflungsregulierung“.<br />
Die Eckpunkte der Reform befassen sich vor allem mit<br />
der Ermittlung der Medienkonzentration bei TV-Sendern.<br />
TV-Unternehmen sollen künftig bis zu acht Bonuspunkte<br />
bei der Konzentrationsrechnung erhalten, wenn sie freiwillig<br />
zusätzliche Drittfensterangebote ins Programm<br />
nehmen und in einen Fonds für die Finanzierung von<br />
Lokalsendern einzahlen. Bisher ist lediglich ein Abzug<br />
von bis zu fünf Prozentpunkten möglich. Diese werden<br />
von dem Zuschaueranteil abgezogen, den ein Unternehmen<br />
mit allen ihm zugerechneten Programmen im<br />
Jahresdurchschnitt erreicht. Wenn ein Anteil von 30<br />
Prozent oder mehr erreicht wird, vermutet der Rundfunk-
staatsvertrag eine „vorherrschende Meinungsmacht“,<br />
die unter anderem weitere Zukäufe unmöglich macht.<br />
Schmid sagte, die Länder griffen zu kurz damit, nur wieder<br />
eine Mediengattung - das Fernsehen - zu regulieren.<br />
Angesichts verschwimmender Grenzen zwischen den<br />
Medien müsse grundsätzlich hinterfragt werden, ob die<br />
bisherigen Gründe für eine Medienregulierung weiter<br />
gültig seien und ob eine Medienart „besonders“ behandelt<br />
werden solle. Hier erwarte er klare Ansagen von der<br />
Politik. „Eine faire Regulierung ist keine einfache Regulierung“,<br />
erklärte Schmid. Sollte diese nicht gelingen,<br />
müsse die Schaffung eines „Level Playing Fields“ vorangetrieben<br />
werden, in dem alle Rundfunkunternehmen<br />
den gleichen Marktzugang hätten.<br />
In einem Anfang November vor der Internet-<br />
Enquetekommission des Bundestages vorgestellten Positionspapier<br />
fordert der VPRT die Abkehr von einem<br />
„Fernsehkonzentrationsrecht“. TV bleibe zwar Leitmedium,<br />
vernetze sich aber immer stärker mit dem deutlich<br />
weniger regulierten Internet, heißt es darin. Daher brauche<br />
es eine Ausrichtung am gesamten Medienmarkt.<br />
Der VPRT schlägt unter anderem vor, bei Rundfunk und<br />
Netz die Inhalte nach der Bedeutung für die Meinungsmacht<br />
zu differenzieren. Zudem sollten Programme und<br />
Zuschauermarktanteile nicht voll zugerechnet werden,<br />
wenn das beteiligte Unternehmen keine oder nur eingeschränkte<br />
Einflussmöglichkeiten auf das Programm<br />
habe.<br />
Kein Präsidentenamt mehr<br />
Schmid könnte in Kürze die Führung des VPRT übernehmen,<br />
da der langjährige Präsident Jürgen Doetz seine<br />
Spitzenposition im Verband abgibt. Mit der Mitgliederversammlung<br />
am 29. November trete eine neue Satzung<br />
in Kraft, die keinen Präsidenten mehr vorsehe, sagte<br />
Doetz. Für den Posten des neuen Vorstandsvorsitzenden<br />
werde er nicht antreten. Schmid erklärte sich bereit,<br />
im Falle seiner Wahl in den Vorstand für den Spitzenposten<br />
zu kandidieren. Der Ausgang der Wahl war bei<br />
Redaktionsschluss noch nicht bekannt.<br />
Den Angaben zufolge will der Vorstand auch darüber<br />
entscheiden, welche Funktion Doetz künftig innerhalb<br />
des Verbandes haben soll. Er werde aber kein „verkappter<br />
Vorsitzender“ sein, sagte Doetz. Insgesamt wolle der<br />
VPRT mit seiner neuen Struktur die Geschäftsführung<br />
stärken und mehr „operative Verantwortung“ an den<br />
künftig aus zwölf Mitgliedern bestehenden Vorstand<br />
übergeben.<br />
Der 68-jährige Doetz ist seit 1996 Präsident des VPRT.<br />
Der Journalist war unter anderem Geschäftsführer bei<br />
Sat.1 sowie Vorstand der ProSiebenSat.1 Media AG.<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 21<br />
Der mögliche neue Chef Schmid ist Bereichsleiter für<br />
Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL Deutschland.<br />
aks<br />
Seehofer und Scholz gegen Rückzug<br />
von Parteien aus Gremien<br />
Hamburg sieht Vorsitz der<br />
Rundfunkkommission in Rheinland-Pfalz<br />
Berlin (<strong>epd</strong>). Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf<br />
Scholz (SPD) will auch weiterhin Politiker in den<br />
Gremien von ZDF und ARD-Anstalten haben. „Es<br />
geht nicht darum, dass andere Leute in den Gremien<br />
sitzen“, sagte Scholz der „Süddeutschen Zeitung“<br />
(Ausgabe vom 17. November). Es wäre auch falsch,<br />
keine Vertreter des Staates mehr in die Gremien zu<br />
lassen. „Wir wollen keine apolitische Wegwendung<br />
von der Welt und von der Politik“, sagte Scholz.<br />
Vielmehr gehe es um die Relation bei der Besetzung.<br />
Die Medienpolitik müsse für einen öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk sorgen, der seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit<br />
verteidige und der eine Kultur entfalten<br />
könne, die niemand infrage stelle. Gerüchte, dass Hamburg<br />
mit dem Regierungswechsel in Rheinland-Pfalz<br />
möglicherweise den Vorsitz in der Rundfunkkommission<br />
der Länder anstrebe, wies Scholz zurück. Es gebe eine<br />
lange Tradition, dass sich Rheinland-Pfalz um den Vorsitz<br />
in der Rundfunkländerkommission kümmere. „Es<br />
gibt keinen Grund und keine Pläne, daran etwas zu<br />
ändern“, sagte Scholz.<br />
Scholz lobte den Digitalkanal Tagesschau24. Damit habe<br />
die ARD etwas Großartiges zustande gebracht. „Das<br />
nimmt nicht sehr viele Gebühren in Anspruch und ist<br />
ein Produkt, das die ohnehin erbrachte journalistische<br />
Leistung noch besser verwertet“, sagte Scholz. Er sehe<br />
zurzeit auch keinen dringenden Handlungsbedarf, einen<br />
Digitalkanal abzuschaffen.<br />
CSU-Chef Horst Seehofer forderte eine Offenlegung der<br />
Einkommen von führenden Mitarbeitern der öffentlichrechtlichen<br />
Rundfunksender: „Ich wünsche mir bei den<br />
öffentlich-rechtlichen Sendern die gleiche Transparenz,<br />
wie bei den Politikern! Was ich verdiene, können Sie<br />
im Gesetz nachlesen. Das gilt so für das öffentlichrechtliche<br />
ZDF nicht“, sagte der bayerische Ministerpräsident<br />
in einem Interview der „Bild am Sonntag“<br />
(Ausgabe vom 18. November).<br />
Einen Rückzug der Parteien aus den Rundfunkräten<br />
der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten lehnte<br />
auch Seehofer ab: „Diese Sender finanzieren sich aus
22 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Zwangsgebühren aller Privathaushalte und haben einen<br />
öffentlich-rechtlichen Auftrag. Deshalb sind Kontrollen<br />
notwendig.“<br />
Zugleich warf Seehofer dem ZDF vor, die Affäre um<br />
den Anruf des damaligen CSU-Parteisprechers in der<br />
ZDF-„heute“-Redaktion nicht angemessen behandelt<br />
zu haben: „Das ZDF hat den Vorfall überhöht.“ Kein<br />
Politiker sollte sich „die Freiheit nehmen lassen, auch<br />
Journalisten mal zu sagen, wo sie falsch gelegen haben“,<br />
sagte Seehofer. „Es gibt auch die Meinungsfreiheit von<br />
Politikern.“<br />
Damit kritisierte Seehofer den Umgang des ZDF mit<br />
dem Anruf des Parteisprechers Hans Michael Strepp,<br />
der Ende Oktober zurücktrat (<strong>epd</strong> 43/12). Zuvor war<br />
ein Anruf Strepps in der „heute“-Redaktion des ZDF bekanntgeworden,<br />
mit dem der Sprecher nach Darstellung<br />
des Senders eine Berichterstattung über den Parteitag<br />
der bayerischen SPD am 21. Oktober verhindern wollte.<br />
Strepp bestritt die Darstellung des diensthabenden<br />
„heute“-Redakteurs, während ZDF-Intendant Thomas<br />
Bellut erklärte, die Intention des Anrufs sei „eindeutig“<br />
gewesen. jup/hse<br />
TV-Sender Sport1 muss wegen<br />
Irreführung 28.000 Euro zahlen<br />
Verstöße gegen Gewinnspielsatzung in<br />
„Sportquiz“-Sendungen festgestellt<br />
Lübeck (<strong>epd</strong>). Der Privatsender Sport1 muss wegen<br />
Irreführung und Täuschung seiner Zuschauer insgesamt<br />
28.000 Euro zahlen. Die Ordnungswidrigkeiten<br />
seien in sieben Ausgaben der Sendung „Sportquiz“<br />
im Januar 2012 festgestellt worden, teilte die Kommission<br />
für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten<br />
am 22. November mit.<br />
Bußgelder in Höhe von insgesamt 4.000 Euro seien<br />
gegen einen Geschäftsführer, einen Redakteur und<br />
zwei Moderatoren verhängt worden. Zudem müsse<br />
Sport1 insgesamt 24.000 Euro, die mit der unzulässigen<br />
Präsentation der Gewinnspiele eingenommen worden<br />
seien, an die Landesmedienanstalten abführen.<br />
Die irreführenden Angaben betrafen laut Mitteilung<br />
unter anderem den Schwierigkeitsgrad von Spielen und<br />
das Auswahlverfahren für die durchgestellten Anrufer.<br />
Außerdem sei mehrfach gegen die Pflicht zur umfassenden<br />
Information verstoßen worden. So sei beispielsweise<br />
über den Spielmodus und die Teilnahmebedingungen<br />
nicht ausreichend aufgeklärt worden.<br />
■ INLAND ■<br />
Sport1 ist mit seinen Gewinnspielsendungen seit längerem<br />
im Visier der Medienaufsicht. Im Sommer 2011<br />
erzielte der Sender in verschiedenen Streitverfahren<br />
einen Vergleich mit der ZAK und erklärte, er werde die<br />
Auslegung der Gewinnspielsatzung durch die Medienanstalten<br />
künftig anerkennen (<strong>epd</strong> 27/11). Sport1 legte<br />
zudem einen Maßnahmenkatalog vor und verpflichtete<br />
sich, durch Mitarbeiterschulungen und weitere<br />
organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass<br />
die Anforderungen der Gewinnspielsatzung beachtet<br />
werden.<br />
Die 2009 erlassene Gewinnspielsatzung bestimmt für<br />
sogenannte Call-in-Formate, dass die Sendungen nach<br />
klaren Regeln ablaufen müssen, die für die Nutzer<br />
verständlich sind. Irreführung ist untersagt. Die Transparenz<br />
wird unter anderem dadurch erhöht, dass die<br />
Teilnahmebedingungen alle 15 Minuten eingeblendet<br />
werden müssen (<strong>epd</strong> 16/09). rid<br />
Drittsendezeiten: News And<br />
Pictures legt Berufung ein<br />
LMK-Versammlung entscheidet<br />
am 3. Dezember über Rechtsmittel<br />
Frankfurt a.M. (<strong>epd</strong>). Der Fensterprogrammveranstalter<br />
News And Pictures hat Berufung gegen die<br />
Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt zu den<br />
Drittsendezeiten bei Sat.1 eingelegt. Die Produktionsfirma<br />
wolle damit die Rechtslage „auf jeden<br />
Fall“ vom Oberverwaltungsgericht Koblenz klären<br />
lassen, sagte News-And-Pictures-Geschäftsführer<br />
Josef Buchheit dem <strong>epd</strong>. Damit wird immer unwahrscheinlicher,<br />
dass bis zum 1. Juni 2013 rechtskräftige<br />
Lizenzen für Drittsendezeitenanbieter vorliegen.<br />
Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass sich Sat.1 und<br />
LMK nicht auf eine einvernehmliche Auswahl bei den<br />
Drittsendezeiten einigen konnten (<strong>epd</strong> 11, 15, 16, 21,<br />
26, 39, 44/12). Gegen den Willen von Sat.1 wählte<br />
die LMK News And Pictures und die dctp aus. Mit<br />
News And Pictures konnte sich Sat.1 anschließend nicht<br />
über die Finanzierung einigen. Daraufhin schrieb die<br />
LMK den im Mai 2013 auslaufenden Vertrag zwischen<br />
Sat.1 und News And Pictures für weitere fünf Jahre<br />
zu gleichen Konditionen fort. Sat.1 wirft News And<br />
Pictures vor, unter dem rundfunkrechtlichen Schutz der<br />
Drittsendezeiten zu hohe Preise zu verlangen. Das Verwaltungsgericht<br />
Neustadt bemängelte Verfahrensfehler<br />
in fast allen Phasen des mehrstufigen Verfahrens und<br />
rügte die Auswahlentscheidung der LMK auch in der<br />
Sache.
Auch die Landeszentrale für Medien und Kommunikation<br />
(LMK) Rheinland-Pfalz und die dctp haben oder wollen<br />
Berufung einlegen - allerdings zunächst nur fristwahrend.<br />
„Wir sind überzeugt, dass man bei den Interessen<br />
und der Gemengelage nur durch Verhandlungen zu<br />
einer Lösung kommen kann“, sagte dctp-Sprecher Paul<br />
Leo Giani dem <strong>epd</strong>. Die LMK-Versammlung plant, am<br />
3. Dezember endgültig zu entscheiden, ob Berufung<br />
gegen die drei Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt<br />
eingelegt werden soll.<br />
Die Versammlung der LMK hatte in der Sitzung am<br />
5. November zunächst beschlossen, dass fristwahrend<br />
Berufung eingelegt werden solle, da zu diesem Zeitpunkt<br />
die schriftlichen Urteilsbegründungen in den Verfahren<br />
LMK vs. N24 und LMK vs. Meta Productions noch gar<br />
nicht vorlagen (<strong>epd</strong> 45/12). In der Sitzung stellten auch<br />
die fünf zugelassenen Bewerber für die Drittsendezeiten<br />
bei Sat.1 ihre Konzepte vor.<br />
Als nächster Schritt wäre im Drittsendezeitenverfahren<br />
laut Rundfunkstaatsvertrag nun ein Erörterungsgespräch<br />
mit Sat.1 erforderlich. Das neuerliche Drittsendezeitenverfahren<br />
findet aber unter der Prämisse statt,<br />
dass es hinfällig werden könnte, sollte das Oberverwaltungsgericht<br />
die Urteile des VG Neustadt kassieren.<br />
hse<br />
Wende im Dresdner<br />
Journalistenprozess<br />
Gericht wertet Artikel als zulässige<br />
Meinungsäußerung<br />
Dresden (<strong>epd</strong>). In der Berufungsverhandlung im<br />
Dresdner Journalistenprozess deutet sich für die beklagten<br />
freien Journalisten Thomas Datt und Arndt<br />
Ginzel ein Freispruch an. In der Verhandlung am 26.<br />
November machte der Vorsitzende Richter Martin<br />
Schultze-Griebler nochmals seine Rechtsauffassung<br />
deutlich, nach der Datt und Ginzel in ihren Artikeln<br />
über den sogenannten Sachsensumpf die Regeln der<br />
Verdachtsberichterstattung eingehalten hätten.<br />
Die Reporter waren im August 2010 nach Artikeln<br />
für „Zeit Online“ und den „Spiegel“ über den Sachsensumpf<br />
sowie Verstrickungen sächsischer Justizbeamter<br />
in Ermittlungen um das Leipziger Minderjährigenbordell<br />
„Jasmin“ wegen übler Nachrede zu Geldstrafen verurteilt<br />
worden. Die beiden Journalisten und die Staatsanwaltschaft<br />
hatten Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.<br />
Zwar hatte Schultze-Griebler bei Prozessbeginn am 13.<br />
November zunächst eine Ausweitung der Beweisauf-<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien<br />
23<br />
nahme nicht ausgeschlossen. Doch am 20. November<br />
hatte die 12. Strafkammer des Landgerichts Dresden<br />
nach einer Zwischenprüfung überraschend ihre neue, für<br />
die Angeklagten positive Rechtsauffassung mitgeteilt.<br />
Demnach sieht das Gericht in dem vom Amtsgericht<br />
Dresden im erstinstanzlichen Verfahren 2010 als rufschädigende<br />
Tatsachenbehauptung gewerteten Passus<br />
des am 25. August 2008 bei „Zeit Online“ erschienenen<br />
Artikels „Voreiliger Freispruch“ eine zulässige<br />
Meinungsäußerung. In einer den Beklagten am 21.<br />
November zugegangenen schriftlichen Erläuterung erklärte<br />
die Kammer Datt und Ginzel auch darüber hinaus<br />
in allen Punkten für unschuldig, soweit das laufende<br />
Berufungsverfahren keine neuen Erkenntnisse bringe.<br />
Ursprünglich hatte Schultze-Griebler, der auch stellvertretender<br />
Präsident des Landgerichts Dresden ist, das<br />
Verfahren daher bereits in dieser Woche beenden wollen.<br />
Die Staatsanwaltschaft hielt jedoch an ihrer Anklage<br />
fest und ließ noch weitere Zeugen hören. Auch für den<br />
nächsten Prozesstermin am 3. Dezember ist nochmals<br />
ein Zeuge geladen. Ein Urteil kann laut Schultze-Griebler<br />
frühestens am 10. Dezember fallen.<br />
Ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den<br />
Vorsitzenden Richter wegen eines Beitrags in der Mitgliederzeitschrift<br />
des Sächsischen Richtervereins ist<br />
wie erwartet abgelehnt worden (<strong>epd</strong> 46/12). Schultze-<br />
Griebler hatte in dem Artikel massive Medienschelte<br />
geübt und geschrieben, die Berichterstattung über den<br />
Sachsensumpf enthalte „ungeheuerliche Unterstellungen“<br />
gegen „langjährige, verdiente Strafrichter“.<br />
Der sächsische Landesverband des Deutschen Journalistenverbandes<br />
hatte bereits zum Auftakt des Berufungsverfahrens<br />
interne Stellungnahmen aus dem<br />
sächsischen Justizministerium publik gemacht, die zu<br />
einer ähnlichen Bewertung der Vorwürfe gegen Datt<br />
und Ginzel kamen wie jetzt die Kammer. stg<br />
■ KURZMELDUNG<br />
Goslar (<strong>epd</strong>). Die braunschweigische Landeskirche<br />
wird mit Ablauf des Jahres 2013 die Förderung der<br />
„Evangelischen Zeitung“einstellen. Bisher unterstützte<br />
die Kirche die Zeitung mit 65.000 Euro jährlich.<br />
Diese Summe sieht der am Freitagabend auf der<br />
Herbstsynode der Kirche verabschiedete Doppelhaushalt<br />
für das Jahr 2014 nicht mehr vor. In Niedersachen<br />
wird die „Evangelische Zeitung“ bislang von den<br />
Landeskirchen in Braunschweig, Hannover und Oldenburg<br />
getragen. Sie erscheint in den Bundesländern<br />
Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein.
24 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
ARD zieht Bilanz zur Themenwoche<br />
„Leben mit dem Tod“<br />
Reim: Debatte über den Umgang<br />
mit dem Sterben angestoßen<br />
Köln/Berlin (<strong>epd</strong>). Die ARD wertet ihre Themenwoche<br />
„Leben mit dem Tod“ als Erfolg. Allein im Ersten<br />
hätten insgesamt rund 30 Millionen Zuschauer die<br />
Beiträge verfolgt, teilte die ARD am 28. November<br />
mit. Damit habe die Themenwoche mit mindestens<br />
einem Beitrag 40 Prozent der Deutschen erreicht.<br />
„Wir haben eine Debatte über den Umgang mit dem<br />
Tod und dem Sterben in unserer Gesellschaft anstoßen<br />
können“, sagte die Intendantin des Rundfunks<br />
Berlin-Brandenburg (RBB), Dagmar Reim, dem <strong>epd</strong>.<br />
Der RBB hatte zusammen mit dem Mitteldeutschen<br />
Rundfunk (MDR) die Federführung bei der Themenwoche.<br />
Nur wenige Menschen blieben nach Reims Worten<br />
von dem Thema „Leben mit dem Tod“ unberührt. Das<br />
zeigten die Reaktionen der Zuschauer und Hörer, die<br />
Berichterstattung in anderen Medien und der Zuspruch<br />
etwa von Palliativorganisationen und Hospizdiensten.<br />
„Ich habe in Jahrzehnten noch nie so persönliche<br />
Briefe von Menschen erhalten, die mir ihre Trauer, ihre<br />
Hoffnung ihre Verzweiflung schilderten“, sagte Reim.<br />
Die MDR-Intendantin Karola Wille unterstrich die Multimedialität<br />
des Projekts. „Vor allem unsere Angebote im<br />
Internet haben dazu geführt, dass sich ältere und auch<br />
jüngere Menschen mit dem Thema Tod sehr persönlich<br />
beschäftigt und darüber ausgetauscht haben“, sagte<br />
sie. Zuschauer und Zuhörer führten nach Angaben der<br />
ARD lebhafte Diskussionen auf Facebook, Twitter und<br />
in Blogs. Damit habe der Senderverbund eine Debatte<br />
in der Gesellschaft angestoßen und einen Nutzen für<br />
die Öffentlichkeit geschaffen.<br />
In der Themenwoche „Leben mit dem Tod“ vom 17. bis 23.<br />
November sendeten alle Hörfunk- und Fernsehsender<br />
der ARD Beiträge zum Umgang mit Tod und Sterben.<br />
Neben Margot Käßmann waren der Kabarettist Dieter<br />
Nuhr und ARD-Moderator Reinhold Beckmann Paten<br />
der Themenwoche. ho/pc<br />
■ INLAND ■<br />
Eva Herman muss zugespitztes Zitat<br />
zum NS-Mutterbild hinnehmen<br />
Bundesverfassungsgericht: „Hamburger<br />
Abendblatt“ hat korrekt zitiert<br />
Karlsruhe (<strong>epd</strong>). Die ehemalige Tagesschau-<br />
Sprecherin und Buchautorin Eva Herman muss<br />
eine verkürzte und zugespitzte Zitierung ihres NS-<br />
Mutterbild-Vergleichs hinnehmen. Das Bundesverfassungsgericht<br />
entschied in einem am 27. November<br />
veröffentlichten Beschluss vom 25. Oktober,<br />
dass das „Hamburger Abendblatt“ Hermans Zitat<br />
in zulässiger Weise nur verkürzt und verschärfend<br />
zusammengefasst habe (AZ: 1 BvR 2720/11). Die<br />
Karlsruher Richter bestätigten damit eine Entscheidung<br />
des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 21. Juni<br />
2011 (<strong>epd</strong> 26/11).<br />
Hintergrund des Rechtsstreits war Hermans Vorstellung<br />
ihres Buches „Das Prinzip Arche Noah - Warum wir<br />
die Familie retten müssen“. 2007 hatte sie auf einer<br />
Pressekonferenz geäußert: „Wir müssen vor allem das<br />
Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen,<br />
das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der<br />
darauffolgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde.“<br />
Hitler habe das deutsche Volk ins Verderben geführt.<br />
Es habe jedoch auch etwas Gutes gegeben, „das sind<br />
die Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind<br />
Familien, das ist Zusammenhalt“, hatte Herman damals<br />
gesagt.<br />
Das „Hamburger Abendblatt“ monierte daraufhin Hermans<br />
Frauenbild und gab dabei ein verkürztes Zitat der<br />
Ex-Tagesschau-Sprecherin wieder. Herman sah darin<br />
ein Falschzitat und ihr Persönlichkeitsrecht verletzt.<br />
Das Oberlandesgericht Köln gab ihr recht und sprach<br />
ihr eine Entschädigung von 25.000 Euro zu. Der BGH<br />
hob dieses Urteil auf (AZ: VI ZR 262/09). Der Kern der<br />
Aussage zu dem Mutterbild im Nationalsozialismus sei<br />
richtig wiedergegeben worden.<br />
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Entscheidung.<br />
Die zitierte Passage sei im Gesamtzusammenhang<br />
zu betrachten und stelle eine Meinungsäußerung dar.<br />
Der Artikel sei mit „Eine Ansichtssache“ überschrieben<br />
gewesen. Der Leser erkenne, dass es sich um eine<br />
verkürzende und verschärfende Zusammenfassung der<br />
Buchvorstellung handele. Herman sei es in ihrem Zitat<br />
nicht gelungen, „sich unmissverständlich auszudrücken“.<br />
Daher müsse sie das Zitat des „Hamburger Abendblattes“<br />
als zum „Meinungskampf“ gehörig hinnehmen. fle
Brautmeier übernimmt 2013<br />
den Vorsitz von DLM und ZAK<br />
Weitere Bündelung der bundesweiten<br />
Aufgaben beschlossen<br />
Lübeck/Düsseldorf (<strong>epd</strong>). Jürgen Brautmeier, Direktor<br />
der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen,<br />
wird zum 1. Januar 2013 oberster Aufseher über<br />
den privaten Rundfunk in Deutschland. Der 58-<br />
Jährige wurde am 21. November in Lübeck zum<br />
neuen Vorsitzenden der Direktorenkonferenz der<br />
Landesmedienanstalten (DLM) und der Kommission<br />
für Zulassung und Aufsicht (ZAK) gewählt, wie die<br />
DLM mitteilte. Der Vorsitz wird jeweils für zwei<br />
Jahre bestimmt. Brautmeier folgt in dem Spitzenamt<br />
auf den Direktor der Medienanstalt Hamburg/<br />
Schleswig-Holstein, Thomas Fuchs.<br />
Cornelia Holsten, Direktorin der Landesmedienanstalt<br />
in Bremen, wurde zur neuen stellvertretenden DLM-<br />
Vorsitzenden gewählt. Jochen Fasco, Direktor der Thüringer<br />
Landesmedienanstalt, wurde in dieser Funktion<br />
bestätigt. Fuchs wird im kommenden Jahr ZAK-<br />
Beauftragter für Programm und Werbung und löst damit<br />
Thomas Langheinrich (Landesanstalt für Kommunikation<br />
Baden-Württemberg) ab, der Europabeauftragter der<br />
DLM wird. Außerdem hat die ZAK mit Wolfgang Thaenert<br />
(LPR Hessen) künftig erstmals einen Beauftragten für<br />
Zulassungsangelegenheiten, wie die Medienanstalten<br />
mitteilten.<br />
Brautmeier ist seit 2010 Direktor der nordrheinwestfälischen<br />
Landesmedienanstalt. Zuvor leitete er<br />
dort die Bereiche Recht, Technik, Aufsicht und Förderung<br />
und war seit 1999 der Stellvertreter des Direktors.<br />
2012 wurde Brautmeier stellvertretender Vorsitzender<br />
von DLM und ZAK sowie Europabeauftragter der DLM.<br />
Zuständig für die Personalentscheidungen war die Gesamtkonferenz<br />
der Medienanstalten. In diesem Gremium<br />
beraten die DLM und die Gremienvorsitzendenkonferenz<br />
der Medienanstalten gemeinsam Fragen der Programmentwicklung<br />
im privaten Hörfunk und Fernsehen.<br />
Die Gesamtkonferenz beschloss am 21. November auch<br />
eine weitere Bündelung der bundesweiten Aufgaben<br />
der Medienanstalten. Alle bundesweiten Belange der<br />
Aufsicht über den privaten Rundfunk - Jugendschutz,<br />
Medienkonzentration, Programm- und Werbeaufsicht,<br />
Plattformregulierung und Auswahlentscheidungen für<br />
digitale Kapazitäten - würden ab September 2013 unter<br />
dem Dach der gemeinsamen Geschäftsstelle in Berlin<br />
betreut, teilte die DLM mit. Die Geschäftsstelle werde<br />
dann 26 Mitarbeiter haben, drei davon würden beim<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 25<br />
Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz<br />
(KJM) angesiedelt.<br />
Im Ergebnis solle „die Organisationskompetenz von<br />
KJM-Geschäfts- und Stabsstelle in Berlin gebündelt<br />
werden“, hieß es. Künftig verantworte zudem jedes der<br />
zwölf KJM-Mitglieder einen eigenen Themenschwerpunkt,<br />
etwa Telemedien, Online-Spiele oder Glücksspiel.<br />
Die Entscheidungen in Jugendschutzfragen würden weiterhin<br />
allein in der KJM getroffen. Auch die Aufgaben<br />
und Kompetenzen der Kommission zur Ermittlung der<br />
Konzentration im Medienbereich (KEK) blieben durch<br />
den Beschluss unberührt.<br />
Die gemeinsame Geschäftsstelle der Medienanstalten<br />
existiert seit Mai 2010 und hat ihren Sitz in Berlin.<br />
Sie unterstützt - mit derzeit zehn Mitarbeitern - unter<br />
anderem DLM, ZAK und deren Beauftragte. Die Integration<br />
der Geschäftsstellen von KJM (bisher München und<br />
Erfurt) und KEK (bisher Potsdam) war bereits im März<br />
2012 angekündigt worden (<strong>epd</strong> 13/12). rid<br />
WDR plant mit Fehlbetrag<br />
von 47 Millionen Euro<br />
Drei Millionen Euro für den „Innovationstopf<br />
der Intendantin“ veranschlagt<br />
Köln (<strong>epd</strong>). Der WDR plant für das Jahr 2013 mit<br />
einem Fehlbetrag von rund 47 Millionen Euro. Insgesamt<br />
werde der WDR im kommenden Jahr 1,38<br />
Milliarden Euro aufwenden, teilte der Sender am<br />
23. November mit. Dem stünden Erträge von 1,33<br />
Mrd. Euro entgegen. Der Fehlbetrag werde der Ausgleichsrücklage<br />
entnommen.<br />
Für die Gebührenperiode bis 2014 liegt der Sender<br />
im Plan. „Wir werden die neue Beitragsperiode bis<br />
Ende 2014 dank unserer Sparanstrengungen von rund<br />
50 Mio. Euro pro Jahr wahrscheinlich gerade so mit<br />
einer schwarzen Null abschließen können“, sagte WDR-<br />
Intendantin Monika Piel. Die größte Unsicherheit der<br />
nächsten ein bis zwei Jahre sei die Entwicklung der<br />
Erträge nach der Umstellung auf den Rundfunkbeitrag.<br />
Der WDR gehe jedoch davon aus, dass ein ausgeglichener<br />
Haushalt ab 2015 bei gleichbleibenden Einnahmen nicht<br />
mehr gelingen werde.<br />
Trotz der Unsicherheiten seien im Haushalt zusätzliche<br />
Mittel vorgesehen, um die jüngere Zielgruppe besser<br />
zu erreichen, sagte die Vorsitzende des Rundfunkrats,<br />
Ruth Hieronymi. So sind für den sogenannten Innovationstopf<br />
der Intendantin drei Mio. Euro vorgesehen.<br />
Dies sei ein wichtiges Zeichen, um die Akzeptanz in
26 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
allen Ziel- und Altersgruppen zu verbessern, sagte die<br />
Rundfunkratsvorsitzende.<br />
Der Programmetat für Fernsehen, Radio und Internet<br />
werde im kommenden Jahr ohne Steigerung fortgeschrieben,<br />
hieß es. So seien insgesamt <strong>48</strong>5 Mio. Euro direkte<br />
Programmmittel eingeplant. Für 2012 mit Fußball-EM<br />
und den Olympischen Sommerspielen waren 532 Mio.<br />
Euro vorgesehen. Da 2013 keine Sportgroßereignisse<br />
stattfinden, sinke der Fernsehetat um 36,5 Mio. Euro<br />
auf 399 Mio. Euro. Der Hörfunketat gehe um vier Mio.<br />
Euro auf 86 Mio. Euro zurück.<br />
Für den Programmbereich Internet sind im Etat 6,5<br />
Millionen Euro eingeplant. Darin enthalten sind neben<br />
den Kosten für wdr.de auch die Kosten für die Erstellung<br />
des Videotextes. In der Planung für 2012 lag der Etat<br />
noch bei 5,7 Millionen Euro. Die zusätzlichen 700.000<br />
Euro resultierten aus der Umschichtung der Mittel für<br />
die barrierefreien Angebote wie Untertitelungen für<br />
Hörgeschädigte aus dem Programmbereich Fernsehen<br />
in den Programmbereich Internet.<br />
Für Personalaufwendungen sind für 2013 insgesamt<br />
349 Mio. Euro eingeplant. Darin enthalten seien auch<br />
Aufwendungen für die Wiedereingliederung der WDR<br />
Gebäudemanagement GmbH mit 242 Planstellen, hieß<br />
es. Dieser Zuwachs werde teilweise kompensiert, da der<br />
WDR 44,5 Planstellen abbaue. In den Jahren 2014 bis<br />
2016 sollen jeweils 25 weitere Planstellen eingespart<br />
werden.<br />
In der mittelfristigen Finanzplanung der Jahre 2012<br />
bis 2016 zeichne sich bis Ende 2016 ein ungedeckter<br />
Fehlbetrag von 162,5 Mio. Euro ab. Ohne Anpassung des<br />
Rundfunkbeitrags könnte dieser Fehlbetrag nur durch<br />
neue Sparmaßnahmen gedeckt werden, hieß es. Die<br />
Sachverständigenkommission KEF hatte in ihrem 18.<br />
Bericht vorgeschlagen, die Rundfunkgebühr von 17,98<br />
Euro nicht anzuheben, da eine verlässliche Prognose<br />
aufgrund der Umstellung zur Haushaltsgebühr nicht<br />
möglich sei. hse<br />
■ INLAND ■<br />
Evangelische Theologin: Ansprüche<br />
an Journalisten steigen<br />
Meister: Vertrauen in „kluge und<br />
verantwortungsvolle Medienschaffende“<br />
Hannover (<strong>epd</strong>). Die Erlanger Theologieprofessorin<br />
Johanna Haberer sieht Journalisten mit steigenden<br />
Ansprüchen konfrontiert. In immer größerer<br />
Geschwindigkeit müssten sie immer mehr Informationen<br />
sichten, sagte die Professorin für christliche<br />
Publizistik am 15. November in Hannover bei<br />
einer medienpolitischen Tagung der Kirchen und<br />
des Landes Niedersachsen. Sie müssten gegenüber<br />
Täuschungsabsichten ebenso aufmerksam sein wie<br />
gegenüber dem Einfluss von Lobbyisten. Zugleich<br />
werde der Beruf aber immer schlechter bezahlt.<br />
„Der Journalismus treibt in prekäre Verhältnisse“, sagte<br />
Haberer. Die Gesellschaft müsse dringend diskutieren,<br />
wie Qualitätsjournalismus in Deutschland erhalten<br />
werden kann: „Für eine Demokratie ist ein qualitativ<br />
hochwertiger Journalismus eine Überlebensfrage.“<br />
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister berichtete,<br />
er habe mit Journalisten „herausragend gute<br />
Erfahrungen“ gemacht. „Ich vertraue in kluge und verantwortungsvolle<br />
Medienschaffende“, sagte er. Laut<br />
Meister tragen die Medien durch intensive Debatten<br />
unterschiedlicher Standpunkte zur Bildung von Werten<br />
bei. Werte würden heute nicht mehr durch Kirche oder<br />
Obrigkeiten einfach nur gesetzt.<br />
Der evangelische Theologe erneuerte seinen Vorschlag,<br />
dass Medien auch Fehler offen zugeben sollten: „Warum<br />
kann etwa das ZDF nicht um 23 Uhr eine Sendung<br />
bringen nach dem Motto: Das waren unsere Fehler?“<br />
Ihm sei entgegengehalten worden, so etwas schaue<br />
sich niemand an. „Ich behaupte das Gegenteil“, sagte<br />
Meister. lnb<br />
■ KURZMELDUNG<br />
Offenburg (<strong>epd</strong>). Burda und die WAZ Zeitschriften<br />
werden bei der Vermarktung künftig enger zusammenarbeiten<br />
und Kunden ab 2013 eine verlagsübergreifende<br />
Werbemöglichkeit bieten. Die „Deutschland<br />
Super Kombi“ umfasse insgesamt 17 wöchentlich erscheinende<br />
Zeitschriften der beiden Medienhäuser,<br />
die insgesamt 15,24 Mio. Leser erreichen. Vermarktet<br />
werden soll die Super Kombi durch Burda Community<br />
Network.
Priester wird für Kontakte<br />
zu kreuz.net nicht belangt<br />
Bistum: Mitwirkung hat Kirche beschädigt -<br />
Jolie bedauert „unüberlegtes Handeln“<br />
Mainz/Nieder-Ramstadt (<strong>epd</strong>). Die Kontakte des katholischen<br />
Pfarrers Hendrick Jolie zu dem extremistischen<br />
Internetangebot „kreuz.net“ haben keine<br />
dienstrechtlichen Konsequenzen. Der Mainzer Bischof,<br />
Kardinal Karl Lehmann, habe ein Entschuldigungsschreiben<br />
des Priesters in Nieder-Ramstadt<br />
bei Darmstadt akzeptiert, teilte das Bistum am 27.<br />
November mit. Zuvor war es zu einem Gespräch<br />
zwischen leitenden Bistumsvertretern und Jolie gekommen.<br />
Der Pfarrer, Sprecher eines konservativen Priesternetzwerks,<br />
hatte Kontakte zu der bislang anonym gebliebenen<br />
Redaktion zugegeben. Entgegen früheren<br />
Darstellungen räumte er ein, dem Portal auch Texte<br />
zur Veröffentlichung geliefert zu haben. Nach eigenen<br />
Angaben hat er die Redaktion per E-Mail aufgefordert,<br />
von ihm verfasste Texte von der Seite zu löschen.<br />
Vertreter der katholischen Kirche hatten Verbindungen<br />
zwischen hauptamtlichen Mitarbeitern und „kreuz.net“<br />
stets bestritten.<br />
Diese Mitwirkung sei „eines Priesters unwürdig“ und<br />
habe auch die Kirche beschädigt, erklärte das Bistum.<br />
Jolie selbst habe sein „unkluges und unüberlegtes<br />
Handeln“ inzwischen in einem Schreiben bedauert und<br />
angekündigt, sein öffentliches Wirken zu überdenken.<br />
Das Bistum betonte zugleich, Jolies Texte hätten „nach<br />
dem heutigen Kenntnisstand“ kirchenpolitische Themen<br />
zum Inhalt gehabt. Der Pfarrer stehe somit nicht im<br />
Verdacht, Urheber strafbarer und menschenverachtender<br />
Artikel zu sein.<br />
Gegen die anonymen „kreuz.net“-Betreiber ermittelt<br />
die Staatsanwaltschaft Berlin wegen Volksverhetzung,<br />
nachdem auf der Internetseite ein Hetzartikel zum Tod<br />
des schwulen Schauspielers Dirk Bach veröffentlicht<br />
wurde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft<br />
die seit 2004 aktive Seite als grundgesetzwidrig ein.<br />
„Kreuz.net“ zeichne sich „durch homophobe, muslimfeindliche<br />
und antisemitische Äußerungen“ aus. Etliche<br />
Beiträge seien nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit<br />
gedeckt und überschritten „die Grenzen zur<br />
Strafbarkeit“. lmw/dir<br />
■ INLAND ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 27<br />
Katholischer Medienpreis für<br />
Beiträge über Flucht und Migration<br />
Bischof Fürst: „Komplizierte Zusammenhänge<br />
adäquat darstellen“<br />
Bonn (<strong>epd</strong>). Mit dem Katholischen Medienpreis sind<br />
in diesem Jahr journalistische Arbeiten zum Thema<br />
Flucht und Migration ausgezeichnet worden. Der<br />
insgesamt mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde am<br />
26. November in Bonn an Carsten Rau und Hauke<br />
Wendler für ihren NDR-Dokumentarfilm „Wadim“<br />
sowie an Wolfgang Bauer für seine Reportage „Endstation<br />
Dadaab“ in der Zeitschrift „NIDO“ verliehen.<br />
Außerdem wurden vier zusätzliche undotierte Auszeichnungen<br />
„journalistisch WERTvoll“ vergeben.<br />
Die beiden preisgekrönten Beiträge höben sich vom<br />
„Medien-Mainstream“ deutlich ab und lenkten den Blick<br />
auf bedrückende Realitäten, sagte der Juryvorsitzende,<br />
Bischof Gebhard Fürst. „Vertreibung und Armutsmigration<br />
gehören zur Wirklichkeit unserer Welt und bleiben<br />
eine Herausforderung und ein Appell an unsere Menschlichkeit.“<br />
In der Berichterstattung über Migration gelte<br />
es, komplizierte Zusammenhänge adäquat darzustellen,<br />
sagte der Vorsitzende der Publizistischen Kommission<br />
der Deutschen Bischofskonferenz.<br />
Der Film „Wadim“, der am 13. Dezember 2011 im<br />
NDR ausgestrahlt wurde, zeichnet die Geschichte einer<br />
Familie auf der Flucht aus Lettland und ihre zermürbende<br />
Suche nach einem Platz in dieser Welt nach. Der<br />
frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen würdigte in<br />
seiner Laudatio, dass sich Rau und Wendler bei ihrem<br />
schwierigen und hoch emotionalen Thema nicht zur<br />
Parteinahme hätten verleiten lassen.<br />
Der Bericht „Endstation Dadaab“ über das größte<br />
Flüchtlingslager der Welt in Kenia war am 7. Dezember<br />
2011 in „NIDO“ erschienen. Uwe Vorkötter, ehemaliger<br />
Chefredakteur von „Berliner Zeitung“ und „Frankfurter<br />
Rundschau“, lobte in seiner Laudatio den Text von<br />
Wolfgang Bauer als menschliches Stück Journalismus.<br />
Die undotierten Preise in der Kategorie Print gingen an<br />
Uta Keseling für ihren Artikel „Was ein Mensch braucht,<br />
um Mensch zu sein“ in der „Berliner Morgenpost“ und an<br />
Paul-Josef Raue für den Text „Konzept zum Papstbesuch<br />
2011“ in der „Thüringer Allgemeinen“. Volker Bernius<br />
erhielt die Auszeichnung für ein Funkkolleg für Kinder<br />
„Was glaubst Du denn?“ auf HR2-Kutur, Max Kronawitter<br />
für seinen Fernsehbeitrag „Ein Sommer für Wenke. Wenn<br />
Kinder zuhause sterben dürfen“ in der ARD-Reihe „Gott<br />
und die Welt“.
28 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Der Katholische Medienpreis wurde in diesem Jahr zum<br />
zehnten Mal von der Gesellschaft Katholischer Publizisten<br />
Deutschlands, dem Katholischen Medienverband<br />
und der Bischofskonferenz vergeben. lwd<br />
Volker Schlöndorff gewinnt<br />
Fernsehfilmpreis in Baden-Baden<br />
Doldinger mit Hans-Abich-Preis geehrt -<br />
Publikumspreis für „Der letzte schöne Tag“<br />
Baden-Baden (<strong>epd</strong>). Regisseur Volker Schlöndorff ist<br />
für seinen Film „Das Meer am Morgen“ mit dem<br />
Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden<br />
Künste ausgezeichnet worden. Weitere<br />
Preise gingen am 23. November in Baden-Baden<br />
an den Schauspieler Ulrich Noethen, Regisseur Stephan<br />
Wagner und Drehbuchautor Magnus Vattrodt.<br />
„Der letzte schöne Tag“ (ARD/WDR) erhält den Zuschauerpreis<br />
von 3sat. Die Preise beim Fernsehfilm-<br />
Festival Baden-Baden sind nicht dotiert.<br />
„Das Meer am Morgen“ (ARTE/BR/NDR/SWR), eine<br />
französisch-deutsche Koproduktion, ist der erste Fernsehfilm<br />
von Altmeister Volker Schlöndorff. Die Jury lobte<br />
den Film, der an die Erschießung von französischen<br />
Geiseln während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich<br />
erinnert, als Film „mit einer europäischen Seele“.<br />
Es sei eine „minutiöse und unerbittliche Beobachtung“,<br />
an der der Zuschauer teilnehme.<br />
Ulrich Noethen wurde für seine Darstellung eines<br />
skrupellosen Kommissars in dem Film „Das unsichtbare<br />
Mädchen“ (ARTE/ZDF) ausgezeichnet. Die Jury lobte die<br />
physische Präsenz seines Spiels, dass „zwischen subtiler<br />
Bösartigkeit und brutaler Gewalt“ wechsle.<br />
Regisseur Stephan Wagner erhält den Preis für den Film<br />
„Jakob von Metzler“ (ZDF), eine fast dokumentarisch<br />
wirkende Rekonstruktion der Entführung des Frankfurter<br />
Bankierssohns und der anschließenden Debatte<br />
über die Verhörmethoden der Polizei. Der Kindsmörder<br />
Magnus Gäfgen hatte dreieinhalb Monate nach seiner<br />
Verhaftung den Vorwurf erhoben, man habe ihm während<br />
des Verhörs mit Folter gedroht. Wagner habe aus<br />
der „hoch komplizierten, spröden Abwägung zwischen<br />
unterschiedlichen Rechtsgütern einen packenden Film“<br />
gemacht, lobte die Jury.<br />
Der Preis für das Drehbuch ging an Magnus Vattrodt<br />
für „Liebesjahre“ (ZDF). Die Jury hob die Dialoge dieses<br />
„wunderbaren Kammerspiels für vier Personen“ hervor,<br />
die „intelligent, schnell und witzig, oft scharfsinnig und<br />
zugleich von besonderer Tiefe“ seien.<br />
■ INLAND ■<br />
MFG-Star für „Kaddisch für einen Freund“<br />
Mit dem Hans-Abich-Preis für „besondere Verdienste im<br />
Bereich Fernsehfilm“ wurde der Musiker Klaus Doldinger<br />
ausgezeichnet, der unter anderem die Titelmelodie für<br />
den „Tatort“ und die Musik zu „Das Boot“ schrieb. Mit<br />
seiner „Tatort“-Melodie sei Doldinger fast täglich im<br />
Fernsehen präsent, sagte Laudator Günter Rohrbach.<br />
Der Geehrte nutzte die Preisverleihung zu einem flammenden<br />
Appell für das Urheberrecht. Er rief Musiker,<br />
Textdichter und Journalisten dazu auf, eine Front zu<br />
bilden, um ihre Rechte gemeinsam durchzusetzen.<br />
Der Komponist Daniel Sus erhielt für die Musik zum<br />
Kinofilm „Sommer auf dem Land“ den mit 10.000 Euro<br />
dotierten Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik. Die<br />
Jury lobte das „gelungene Zusammenspiel von Bild,<br />
Rhythmus und Musik, die instrumentale Vielfalt und die<br />
durchgehende Stringenz der musikalischen Farbe“.<br />
Der Nachwuchs-Preis der Medien- und Filmgesellschaft<br />
Baden-Württemberg MFG-Star ging an „Kaddisch für<br />
einen Freund“ von Leo Khasin. Die Jurorin Vivian<br />
Naefe sagte zur Begründung, es sei ein Film über eine<br />
Utopie, die Utopie von Freundschaft unter Feinden.<br />
Khasin erzähle diese Geschichte „nicht bierernst oder<br />
pathetisch, sondern bei aller Ernsthaftigkeit des Themas<br />
auch mit viel Humor“.<br />
Die Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg<br />
in Ludwigsburg vergaben ihren Preis ebenfalls an Volker<br />
Schlöndorffs „Das Meer am Morgen“. Der Film belege<br />
eindrucksvoll, dass Fernsehen „großes Kino sein“ könne,<br />
begründeten die Studenten ihre Entscheidung. Das<br />
Resultat deutsch-französischer Zusammenarbeit sei<br />
absolut sehenswert und besonders wertvoll.<br />
Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden wird gemeinsam<br />
von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste<br />
und dem Kultursender 3sat veranstaltet. Für den Wettbewerb<br />
waren insgesamt zwölf Fernsehfilme nominiert.<br />
Die Filme wurden vom 20. bis 22. November in Baden-<br />
Baden öffentlich aufgeführt und diskutiert. Die Filme<br />
im Wettbewerb wurden vom 17. bis 22. November auch<br />
bei 3sat gezeigt. Die Zuschauer konnten im Internet<br />
und per Telefon abstimmen. dir
ARD-Hörspielpreis geht<br />
an Hermann Bohlen<br />
Publikumspreis für „Wann wo oder<br />
Eine gewisse Anzahl Gespräche“<br />
Karlsruhe (<strong>epd</strong>). Das Hörspiel „Alfred C. - Aus dem<br />
Leben eines Getreidehändlers“ von Hermann Bohlen<br />
ist mit dem Deutschen Hörspielpreis der ARD ausgezeichnet<br />
worden. Die Jury lobte die Produktion<br />
von Deutschlandradio Kultur und HR als „herausragendes<br />
Hörspiel von heiterer Hintergründigkeit“.<br />
Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Vier weitere<br />
mit insgesamt 8.500 Euro dotierte Preise wurden<br />
am 10. November in Karlsruhe zum Abschluss der<br />
ARD Hörspieltage vergeben.<br />
Das Hörspiel von Bohlen sei „originell und originär, so<br />
abgründig wie humoresk“, lobte die Jury. Es „verspotte<br />
auch das selbstgerechte Ritual der bundesdeutschen<br />
Enthüllungsindustrie“. Es schöpfe die Möglichkeiten des<br />
Genres aus und erweitere sie mit leichter Hand (vgl.<br />
Leitartikel in <strong>epd</strong> 46/12).<br />
Eine lobende Erwähnung der Jury ging an das Hörspiel<br />
„Wann wo oder Eine gewisse Anzahl Gespräche“ (HR/<br />
DLF) von Oliver Sturm nach einem Text von Aleksandr<br />
Vvedenskij. Dieses Hörspiel erhielt zugleich den mit<br />
2.500 Euro dotierten Publikumspreis ARD Online Award,<br />
über den Nutzer im Internet abstimmen.<br />
■ KURZMELDUNGEN<br />
München (<strong>epd</strong>). Das Erste zeigt am<br />
20. Dezember erstmals die Satire-<br />
Sendung „Das Ernste“. Die Sendung,<br />
die von Florian Schroeder im<br />
Nachrichten-Stil moderiert werde,<br />
sei ein sogenannter Pilot, sagte ein<br />
Sprecher der ARD. Der Senderverbund<br />
wolle sehen, wie die Sendung<br />
ankomme und dann möglicherweise<br />
im kommenden Jahr weitere Ausgaben<br />
programmieren. Mitwirken<br />
soll ein Ensemble junger Künstler<br />
wie Thomas Nicolai, Marti Fischer,<br />
Sarah Kelly-Husain und Antonia<br />
von Romatowski. Diese sollen „die<br />
Machtmenschen Deutschlands und<br />
die, die es gern wären“ parodieren,<br />
teilte die ARD mit. Gedreht würden<br />
die Sequenzen im „Tagesthemen“-<br />
■ KURZMELDUNGEN ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien<br />
29<br />
Studio in Hamburg. Der frühere<br />
„Tagesschau“-Sprecher Jo Brauner<br />
präsentiere zwei Nachrichtenblöcke<br />
mit „kuriosen und lustigen Kurzmeldungen“.<br />
Die Redaktion für<br />
„Das Ernste“ haben Heiner Heller<br />
und Gernot Binkle vom Rundfunk<br />
Berlin-Brandenburg. Die Sendung<br />
wird vom RBB gemeinsam mit der<br />
Produktionsfirma Vier Eins GmbH<br />
und den ARD-Sendern BR, HR, NDR,<br />
Radio Bremen, SWR und WDR produziert.<br />
„Das Ernste“ wird am 20.<br />
Dezember um 0 Uhr nach dem<br />
Jahresrückblick mit Dieter Nuhr<br />
gezeigt.<br />
Lübeck (<strong>epd</strong>). Die Landesmedienanstalten<br />
haben ProSiebenSat.1<br />
und die Mediengruppe RTL aufgefordert,<br />
mindestens eine Sendung<br />
Der mit 5.000 Euro dotierte Deutsche Kinderhörspielpreis<br />
ging an das Hörspiel „Anton taucht ab“ (SWR/<br />
WDR) nach dem gleichnamigen Jugendbuch von Milena<br />
Baisch. Die Produktion von SWR und WDR, die vom<br />
Verlag der Autoren für den Wettbewerb eingereicht<br />
wurde, entstand unter der Regie von Maidon Bader. Die<br />
Jury lobte „das fantasie- und mit Musik von Clemens<br />
Haar liebevoll realisierte Hörspiel“. Die Autorin Milena<br />
Baisch beweise viel Gespür für die Sprache heutiger<br />
Kinder, so dass dieses Hörspiel sowohl durch seine<br />
literarischen wie auch seine spielerisch-akustischen<br />
Qualitäten überzeuge.<br />
Den mit 1.000 Euro dotierten Kinderhörspielpreis der<br />
Stadt Karlsruhe vergab eine Kinderjury an das Hörspiel<br />
„Der große Baresi“ (NDR) von Heidi Knetsch und Stefan<br />
Richwien nach dem Buch von Jimmy Docherty.<br />
Das Autorenduo Tristan Vostry und Christian Udo Eichner<br />
erhielt für das Kurzhörspiel „Ins Wasser“ den Preis<br />
„Premiere im Netz“. Der Preis ist mit einer professionellen<br />
Hörspielproduktion in einem ARD-Studio verbunden.<br />
Die ARD Hörspieltage, die in diesem Jahr vom 7. bis<br />
11. November stattfanden, werden von der ARD und<br />
dem Deutschlandradio veranstaltet. Sie verzeichneten<br />
insgesamt 10.500 Besuicher. Die Federführung für die<br />
Organisation hat der SWR. Partner sind die Stadt Karlsruhe,<br />
das Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />
und die Hochschule für Gestaltung. dir<br />
pro Abend mit Untertiteln für Hörgeschädigte<br />
auszustrahlen. Die<br />
Gesamtkonferenz der Medienanstalten<br />
(GK) habe am 21. November<br />
in Lübeck beschlossen, dass die<br />
Ausstrahlung einer barrierefreien<br />
Sendung am Abend eine Mindestanforderung<br />
für die Erfüllung des<br />
öffentlichen Auftrags sei. In einem<br />
nächsten Schritt solle ein weitergehender<br />
Ausbau von barrierefreien<br />
Angeboten mit Anreizen verbunden<br />
werden. Die Medienanstalten<br />
hätten dem Gesetzgeber bereits Vorschläge<br />
für eine Anreizregulierung<br />
gemacht, die Programmqualität<br />
und Barrierefreiheit bei den privaten<br />
Sendern fördern soll, teilten die<br />
Medienanstalten mit.
30 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
■ INTERNATIONALES<br />
Tony Hall wird Generaldirektor<br />
der BBC<br />
Chef des Royal Opera House tritt im März an -<br />
Entschädigung für McAlpine<br />
London (<strong>epd</strong>). Tony Hall wird neuer Generaldirektor<br />
der BBC. Der BBC Trust habe den bisherigen<br />
Leiter des Royal Opera House zum Nachfolger des<br />
vor zwei Wochen zurückgetretenen George Entwistle<br />
benannt, teilte das Aufsichtsgremium am 22.<br />
November in London mit. Hall werde seinen Job<br />
Anfang März antreten, bis dahin bleibe Tim Davie<br />
kommissarischer Leiter der BBC.<br />
Entwistle war am 10. November wegen eines falschen<br />
Beitrags über Kindesmissbrauch zurückgetreten. In der<br />
TV-Sendung „Newsnight“ hatte ein Missbrauchsopfer<br />
berichtet, wie es als Kind in einem walisischen Kinderheim<br />
vergewaltigt wurde. Der Sender behauptete,<br />
bei dem Täter handele es sich um einen konservativen<br />
Politiker der Thatcher-Ära, was sich später als falsch<br />
erwies. Entwistle stand bereits Wochen vorher wegen<br />
seines Umgangs mit den Missbrauchs-Vorwürfen um<br />
den BBC-Entertainer Jimmy Savile in der Kritik. Ihm<br />
wurde vorgeworfen, zu zögerlich zu handeln und insgesamt<br />
nicht genug Interesse an den Vorgängen zu zeigen<br />
(<strong>epd</strong> 42, 43, 46/12).<br />
Der Vorsitzende des BBC Trust, Lord Chris Patten, sagte,<br />
auch wenn immer noch sehr schwerwiegende Fragen<br />
von den Ermittlungen beantwortet werden müssten,<br />
sei es im Interesse der Gebührenzahler, dass sich die<br />
BBC nun wieder auf ihre Hauptaufgabe konzentriere:<br />
großartiges Programm zu produzieren, das die Zuschauer<br />
und Zuhörer liebten und dem sie vertrauten. Es sei eine<br />
lange und schonungslose Analyse darüber erforderlich,<br />
wie die BBC arbeite und welche Veränderungen nötig<br />
seien. Tony Hall sei ein Insider der BBC gewesen und<br />
sei im Moment ein Outsider.<br />
Hall hatte von 1996 bis 2001 die BBC-Abteilung<br />
Nachrichten und Zeitgeschehen geleitet. Er sei ein<br />
Pionier des Digitalzeitalters gewesen und habe die<br />
Starts von BBC News Online, Radio 5 Live, BBC News 24<br />
und BBC Parliament verantwortet, hieß es. „Ich glaube<br />
mit Leidenschaft an die BBC und darum habe ich Lord<br />
Pattens Angebot, Generaldirektor der BBC zu werden,<br />
angenommen“, sagte Hall.<br />
Der BBC Trust erklärte, Hall sei der einzige Kandidat<br />
gewesen, an den der Trust herangetreten sei. Als der<br />
Posten zuletzt nach dem Rücktritt des vorherigen Generaldirektors<br />
Mark Thompson vakant war, habe sich<br />
■ INTERNATIONALES ■<br />
Hall nicht beworben. Nun sei der Trust direkt auf Hall<br />
zugegangen, ohne einen langwierigen Bewerbungsprozess<br />
in Gang zu setzen. Hall werde als Generaldirektor<br />
450.000 Pfund pro Jahr verdienen.<br />
Einige Tage zuvor war bekanntgeworden, dass der<br />
britische Politiker Alistair McAlpine von der BBC für<br />
die Falschbeschuldigungen in der Sendung „Newsnight“<br />
entschädigt wird. Er bekommt 185.000 Pfund (230.000<br />
Euro) plus Kostenersatz, wie die BBC am 15. November<br />
mitteilte. Im Gegenzug zieht der frühere Schatzmeister<br />
der konservativen Tories seine Verleumdungsklage gegen<br />
den Sender zurück. Die BBC erklärte, der Vergleich<br />
sei weitreichend und reflektiere die „Schwere der<br />
gemachten Anschuldigungen“.<br />
Zwar hatte die BBC den Politiker nicht namentlich<br />
genannt, aber im Internet kursierte schon während<br />
der Ausstrahlung der Name von McAlpine. Das Opfer<br />
sagte nach der Ausstrahlung, es handele sich um eine<br />
Verwechslung. Der Politiker sei nicht der Mann, der die<br />
Vergewaltigung begangen habe.<br />
McAlpines Anwalt erklärte, sein Mandant sei sich der<br />
Tatsache bewusst, dass letzten Endes die britischen<br />
Gebührenzahler für die Entschädigung aufkommen<br />
müssten. Dies sei bei den Verhandlungen berücksichtigt<br />
worden. Der Anwalt kündigte weitere Klagen gegen<br />
Medienunternehmen an, unter anderem gegen den<br />
Privatsender ITV. hse/rid<br />
ORF darf Facebook-Seiten<br />
vorerst weiterbetreiben<br />
Verfassungsgericht setzt Entscheidung des<br />
Verwaltungsgerichtshofs vorläufig außer Kraft<br />
Wien (<strong>epd</strong>). Der Streit über die Facebook-Aktivitäten<br />
des ORF ist auch nach einem Urteil des Österreichischen<br />
Verwaltungsgerichtshof noch nicht beendet.<br />
Nach der geltenden Gesetzeslage seien solche<br />
Online-Angebote aus Wettbewerbsgründen grundsätzlich<br />
anderen Medienunternehmen vorbehalten,<br />
entschied der Gerichtshof in einem am 14. November<br />
veröffentlichten Urteil. Er bestätigte damit<br />
Entscheidungen des Bundeskommunikationssenats<br />
und der Medienbehörde KommAustria. Der Verfassungsgerichtshof<br />
Österreich hob das Verbot jedoch<br />
vorläufig wieder auf.<br />
Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, das Verbot<br />
dürfe auch nicht dadurch umgangen werden, dass<br />
- wie im vorliegenden Fall - mit Duldung des ORF<br />
von Auftragsproduzenten oder von ORF-Mitarbeitern
Facebook-Seiten bereitgestellt oder administriert würden,<br />
„die beim Durchschnittsbetrachter den Eindruck<br />
einer eigentlichen ORF-Facebook-Präsenz erwecken“.<br />
Sämtliche der 39 beanstandeten Facebook-Seiten beträfen<br />
Sendungen und Projekte des ORF. Der Sender<br />
hätte daher für die Einhaltung des Verbots Sorge tragen<br />
müssen.<br />
Das ORF-Gesetz liste Online-Angebote auf, die vom<br />
öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht bereitgestellt<br />
werden dürften, so der Verwaltungsgerichtshof. Darunter<br />
fielen auch „soziale Netzwerke sowie Verlinkungen<br />
zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen<br />
im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen<br />
Online-Überblicksberichterstattung“. Unter einer „sonstigen<br />
Kooperation“ mit sozialen Netzwerken sei dabei<br />
„jede Form des Zusammenwirkens des ORF mit diesen“<br />
zu verstehen.<br />
Das Verfassungsgerichtshof Österreich erklärte am 16.<br />
November, der ORF habe beantragt, seiner Beschwerde<br />
gegen das Facebook-Verbot aufschiebende Wirkung zu<br />
gewähren. Diesem Antrag sei stattgegeben worden, weil<br />
anderenfalls ein „unverhältnismäßiger Nachteil“ für den<br />
ORF bestünde. Die Konsequenz sei, dass der ORF seine<br />
Facebook-Auftritte ab sofort wieder betreiben dürfe.<br />
Die aufschiebende Wirkung der vorläufigen Entscheidung<br />
lasse aber keine Rückschlüsse darauf zu, wie die<br />
endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs<br />
ausfallen werde.<br />
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hatte das Urteil<br />
des Verwaltungsgerichtshofs kritisiert und angekündigt,<br />
er werde rechtliche Schritte auf europäischer Ebene<br />
prüfen. Parallel werde der ORF Gespräche mit dem<br />
Gesetzgeber führen. rid<br />
Europäisches Gericht<br />
stärkt Quellenschutz<br />
„De Telegraaf“ klagt erfolgreich<br />
gegen niederländischen Staat<br />
Straßburg (<strong>epd</strong>). Der Europäische Gerichtshof für<br />
Menschenrechte hat den Quellenschutz und andere<br />
Aspekte der Pressefreiheit gestärkt. Die Straßburger<br />
Richter verurteilten am 22. November den niederländischen<br />
Staat, nachdem zwei Journalisten der<br />
Tageszeitung „De Telegraaf“ und der Verlag Klage<br />
erhoben hatten.<br />
Die Journalisten waren 2006 in den Besitz von<br />
Geheimdienst-Dokumenten gelangt und hatten über<br />
diese berichtet. Die Polizei und niederländische Gerichte<br />
■ INTERNATIONALES ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 31<br />
hatten die Herausgabe der Dokumente angeordnet, um<br />
die durchlässige Stelle innerhalb des Geheimdienstes<br />
ausfindig zu machen.<br />
Dagegen protestierte der Verlag: Auf den Papieren könnten<br />
sich Fingerabdrücke finden, die zum Informanten<br />
führten, argumentierte er. Der Gerichtshof für Menschenrechte<br />
gab ihm nun Recht. „Ohne den Schutz<br />
journalistischer Quellen könnte die wichtige Rolle der<br />
Presse als öffentlicher Wächter untergraben werden“,<br />
erklärten die Richter. Zur Wahrung seiner Interessen<br />
hätte der Geheimdienst schlicht prüfen können, welche<br />
Mitarbeiter Zugang zu dem fraglichen Dokument<br />
hatten.<br />
Der Geheimdienst hatte die beiden Journalisten auf der<br />
Suche nach den Informanten auch überwachen lassen,<br />
was der Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls rügte.<br />
Gerade im journalistischen Bereich sei ein Missbrauch<br />
solcher Maßnahmen leicht, unterstrichen die Richter.<br />
Es müsse daher eine Kontrolle durch ein Gericht oder<br />
eine geeignete unabhängige Behörde geben. Im Fall der<br />
Kläger habe dies nicht stattgefunden. Die Niederlande<br />
müssen den Journalisten und dem Verlag insgesamt<br />
60.000 Euro für Gerichtskosten und andere Ausgaben<br />
zahlen. isg<br />
ZDF/ARTE-Film „Musik als Waffe“<br />
mit Emmy ausgezeichnet<br />
BBC erhält Preis für Pratchett-Dokumentation<br />
- Canal+ mit „Braquo“ erfolgreich<br />
New York (<strong>epd</strong>). Die ZDF/ARTE-Produktion „Musik als<br />
Waffe“ ist bei den 40. International Emmy Awards<br />
in der Kategorie „Arts Programming“ ausgezeichnet<br />
worden. Die Dokumentation von Tristan Chytroschek<br />
untersuche den Zusammenhang von Gewalt<br />
und Musik, teilte die International Academy of Television<br />
Arts & Sciences am 19. November in New<br />
York mit. Nach ZDF-Angaben macht der im Juli<br />
2011 erstgesendete Film „in kurzen historischen<br />
Exkursen die Geschichte des Einsatzes von Musik zu<br />
Kriegszwecken deutlich“ (vgl. Kritik in <strong>epd</strong> 29/11).<br />
Zwei Preise gingen nach Großbritannien. Die BBC wurde<br />
für die Dokumentation „Terry Pratchett: Choosing to<br />
Die“ ausgezeichnet, in der der an Alzheimer erkrankte<br />
Autor Terry Pratchett zwei Menschen zum Freitod in<br />
die Schweiz begleitet. Der Sender Channel 4 war in der<br />
Kategorie „TV Movie/Mini-Series“ mit der Produktion<br />
„Black Mirror“ erfolgreich, nach Angaben der Jury eine<br />
„verwickelte Parabel für das Twitter-Zeitalter“.
32 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Der französische Bezahlsender Canal+ setzte sich in der<br />
Kategorie „Drama Series“ mit der zweiten Staffel der<br />
Polizeiserie „Braquo“ durch. Die australische Show „The<br />
Amazing Race Australia“ (Channel 7) bekam den Preis<br />
in der Rubrik „Non-Scripted Entertainment“.<br />
Die beiden Schauspieler-Preise gingen erstmals bei<br />
den International Emmy Awards an Darsteller aus<br />
derselben Serie: Dario Grandinetti und Cristina Banegas<br />
wurden für ihre Leistungen in der argentinischen Serie<br />
„Television x la Inclusion“ ausgezeichnet. Ebenfalls<br />
zwei Mal erfolgreich war der brasilianische Sender TV<br />
Globo, der nach Ansicht der Jury die beste Comedy<br />
(„The Invisible Woman“) und die beste Telenovela („The<br />
Illusionist“) produzierte. rid<br />
Neue Regierung verändert<br />
georgische Medienlandschaft<br />
Premier Iwanischwili will eigenen Sender zu<br />
öffentlich-rechtlicher Anstalt umwandeln<br />
Tiflis (<strong>epd</strong>). Im Zuge des Regierungswechsels in Georgien<br />
Anfang Oktober zeichnen sich immer deutlicher<br />
auch Folgen für die Medienlandschaft der Südkaukasusrepublik<br />
ab. Der Wahlsieger und neue Premierminister<br />
Bidsina Iwanischwili hat angekündigt,<br />
eventuell den Sender TV9, der seiner Ehefrau gehört,<br />
in einen öffentlich-rechtlichen Sender umzuwandeln.<br />
„Es gibt keinen Käufer für so einen Sender in<br />
Georgiern. Entweder werden wir ihn schließen oder<br />
in einen öffentlich-rechtlichen Sender umwandeln“,<br />
sagte Iwanischwili in einem Interview in Brüssel. Als<br />
Zeitraum dafür nannte er etwa einen Monat.<br />
Zwar läuft die Amtszeit des langjährigen Präsidenten<br />
Michail Saakaschwili noch etwa ein Jahr. Seine Partei<br />
UNM aber hatte die Parlamentsmehrheit bei der Wahl<br />
am 1. Oktober an das Bündnis Georgischer Traum des<br />
Multi-Milliardärs Iwanischwili verloren. Sein Bündnis<br />
stellt nun die Regierung. Iwanischwilis Familie besitzt<br />
immer noch den Fernsehsender TV9, den Internetsender<br />
info9 und auch Anteile am Kabelbetreiber GlobalTV.<br />
Iwanischwili hatte den Sender im April 2012 gegründet.<br />
Technisch und personell großzügig ausgestattet, spielte<br />
der Sender während des Wahlkampfs eine wichtige<br />
Rolle, auch wenn die damalige Regierung versuchte,<br />
die Ausstrahlungswege zu begrenzen. Zwei Wochen<br />
vor der Parlamentswahl zeigte TV9 Gewalt-Videos aus<br />
georgischen Gefängnissen. Dies trug erheblich dazu<br />
bei, dass sich die Stimmung der Bevölkerung endgültig<br />
gegen die Partei Saakaschwilis drehte.<br />
■ INTERNATIONALES ■<br />
Bei einer Pressekonferenz am 22. November in Tiflis<br />
präzisierte Iwanischwili seine Pläne für TV9: Er fühle<br />
sich sehr unwohl mit der Situation, dass der Sender<br />
seiner Frau Ekaterine Khvedelidze gehöre. Er werde die<br />
Ausrüstung der TV-Station dem öffentlich-rechtlichen<br />
Sender GPB stiften, falls dieser sein Programm am<br />
öffentlichen Interesse ausrichte und nicht mehr im<br />
Sinne der ehemaligen Regierungspartei UNM berichte.<br />
Funktioniere dies nicht, so bestehe eine weitere Option<br />
darin, TV9 unabhängig von GPB in einen öffentlichrechtlichen<br />
Sender umzuwandeln.<br />
Die Anordnung einer Steuerprüfung bei GPB hat Premierminister<br />
Iwanischwili jedoch Kritik von Präsident<br />
Saakaschwili eingebracht. Die dem Finanzministerium<br />
unterstellte Steuerbehörde stellte bei GPB eine Steuerschuld<br />
von 3,8 Millionen Lari (ca. 1,8 Millionen Euro) fest.<br />
Der Medienexperte Mathias Huter von der Organisation<br />
Transparency International nannte die Steuerprüfung<br />
prinzipiell in Ordnung. Allerdings sei dafür eigentlich<br />
eine andere Behörde zuständig. So etwas dürfe auch<br />
nicht auf Zuruf der Regierung geschehen.<br />
Auch an anderer Stelle schwindet Saakaschwilis Medienmacht.<br />
Mitte Oktober war bereits der einst Saakaschwilifreundliche<br />
Sender Imedi an die ursprünglichen Eigentümer<br />
zu einem symbolischen Preis von drei Lari zurückgegeben<br />
worden. Zudem erwägen ehemalige Eigentümer<br />
des Senders Rustavi2, per Gericht die Rückgabe der<br />
Fernsehstation zu erstreiten. Rustavi2 ist derzeit im<br />
Besitz von Nika Gvaramia, der bis Ende 2009 als Minister<br />
der Regierung Saakaschwilis angehörte.<br />
Im politischen Lager Saakaschwilis gibt es derweil<br />
Planungen für einen neuen Fernsehsender, der voraussichtlich<br />
im Januar sein Programm starten soll.<br />
Inhaltlich verantwortlich für das Projekt ist Tamara<br />
Chergoleishvili. Sie ist Herausgeberin des Magazins<br />
Tabula und die Frau von Giga Bokeria. Er ist als Chef des<br />
Nationalen Sicherheitsrates auch weiterhin als Berater<br />
in Sicherheitsfragen für Präsident Saakaschwili tätig.<br />
sst
Niederlande digitalisieren<br />
Millionen alte Zeitungen<br />
Rund 84 Millionen Artikel aus 170<br />
Zeitungstiteln seit 1618 zugänglich<br />
Amsterdam (<strong>epd</strong>). Die Königliche Bibliothek in den<br />
Niederlanden hat ein jahrelanges Projekt zur Digitalisierung<br />
von Tageszeitungen abgeschlossen. Mehr<br />
als 84 Millionen Artikel aus knapp vier Jahrhunderten<br />
wurden nach Angaben der Bibliothek digitalisiert<br />
und sind nun im Internet zugänglich. Am<br />
22. November waren die vorerst letzten von insgesamt<br />
etwa acht Millionen Zeitungsseiten eingescannt<br />
worden.<br />
Auf der Internetseite „kranten.kb.nl“ sind damit nun<br />
rund 170 Zeitungstitel aus den Niederlanden und den<br />
ehemaligen Kolonien gratis zugänglich, darunter auch<br />
die erste niederländische Zeitung von 1618. Etwa acht<br />
Prozent der erschienen Zeitungen zwischen 1618 und<br />
1995 sind auf der Website verfügbar und können durchsucht<br />
werden. Digitalisiert worden sind journalistische<br />
Texte, aber auch Familienanzeigen, Illustrationen und<br />
Werbeanzeigen.<br />
Unter den eingescannten Zeitungen sind Titel wie das<br />
heute noch erscheinende Boulevardblatt „De Telegraaf“,<br />
aber auch Zeitungen wie der „Sumatra-Courant“ und<br />
„Nieuwsblad Uit en Voor Suriname“ aus den früheren<br />
niederländischen Kolonien in Indonesien und der Karibik.<br />
Ein Schwerpunkt des digitalen Archivs liegt laut den<br />
Verantwortlichen des Projekts auf dem Zeitraum 1940<br />
bis 1944, als während der deutschen Besatzung manche<br />
Zeitungen auf Deutsch erschienen waren.<br />
2006 hatte die Königliche Bibliothek der Niederlande mit<br />
der Digitalisierung von Tageszeitungen begonnen. Die<br />
Verantwortlichen planen, die Anzahl der eingescannten<br />
Seiten in Zukunft auf 13 Millionen zu steigern. Die<br />
Kosten für das nun abgeschlossene Projekt liegen laut<br />
Königlicher Bibliothek bei rund 8,5 Millionen Euro und<br />
wurden durch Subventionen gedeckt. Die Website wurde<br />
seit 2010 etwa zwei Millionen Mal besucht. bdr<br />
■ INTERNATIONALES ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 33<br />
Mexiko: Journalist Silva Moreno<br />
und Ex-Polizist ermordet<br />
Komitee zum Schutz von Journalisten<br />
fordert Aufklärung von Behörden<br />
Mexiko-Stadt (<strong>epd</strong>). In Mexiko ist erneut ein Journalist<br />
getötet worden. Der freie Reporter Adrián Silva<br />
Moreno wurde auf offener Straße erschossen, als er<br />
einen Benzin-Diebstahl aufdeckte, wie das Komitee<br />
zum Schutz von Journalisten (CPJ) am 15. November<br />
in Mexiko mitteilte. Sein Begleiter, ein früherer<br />
Polizist, wurde ebenfalls getötet. Die Täter flohen.<br />
Die Journalistenorganisation forderte eine Aufklärung<br />
des Doppelmordes im südlichen Bundesstaat Puebla. Die<br />
mexikanischen Behörden müssten die Verantwortlichen<br />
vor Gericht bringen, sagte der Amerika-Verantwortliche<br />
der Organisation mit Sitz in den USA, Carlos Lauría. Die<br />
Morde seien ein weiteres Beispiel für die brutalen Bedingungen,<br />
unter denen Journalisten in Mexiko arbeiten<br />
müssten.<br />
Silva Moreno war nach CPJ-Angaben Polizeireporter<br />
für mehrere lokale Zeitungen. Zuletzt deckte er einen<br />
Treibstoff-Diebstahl in großem Stil auf. Kurz vor ihrem<br />
Tod hätten der Journalist und sein Begleiter eine Schießerei<br />
zwischen Soldaten und bewaffneten Kriminellen<br />
beobachtet, hieß es. Danach sei ihr Auto von der Straße<br />
gedrängt worden.<br />
Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder für<br />
Journalisten. In den vergangen zehn Jahren kamen<br />
laut Reporter ohne Grenzen 85 Medienmitarbeiter und<br />
Blogger ums Leben. ho<br />
■ KURZMELDUNG<br />
Berlin (<strong>epd</strong>). Roger de Weck, Generaldirektor der SRG<br />
SSR, ist neuer Präsident des Prix Europa. De Weck<br />
wurde am 27. Oktober vom Stuerungskomittee des<br />
Europäischen Rundfunkfestivals gewählt. De Weck<br />
werden künftig drei Vizepräsidenten zur Seite stehen:<br />
Doris Pack, Abgeordnete des Europäischen Parlaments,<br />
Frank-Dieter Freiling,Hauptabteilungsleiter<br />
Internationale Angelegenheiten beim ZDF, und Helga<br />
Dunger-Löper, Staatssekretärin der Berliner Senatsverwaltung<br />
für Bauentwicklung.
34 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
Kritik an israelischen Angriffen<br />
auf Journalisten im Gazastreifen<br />
Reporter ohne Grenzen: Israel<br />
begeht Kriegsverbrechen<br />
Berlin (<strong>epd</strong>). Die Journalistenvereinigung „Reporter<br />
ohne Grenzen“ hat Angriffe der israelischen Armee<br />
auf Journalisten im Gazastreifen kritisiert. So<br />
habe die israelische Luftwaffe gezielt das Fahrzeug<br />
von zwei Kameraleuten, die für den zur Hamas<br />
gehörenden Fernsehsender Al-Aksa-TV arbeiteten,<br />
angegriffen und die Männer dadurch getötet, teilte<br />
die Organisation am 21. November in Berlin mit.<br />
Nach Berichten des Senders sei das Pressefahrzeug<br />
entsprechend gekennzeichnet gewesen.<br />
Ein Sprecher der israelischen Regierung hatte laut<br />
„Reporter ohne Grenzen“ am 18. November gesagt,<br />
die israelische Armee sehe Mitarbeiter von Al-Aksa-<br />
TV - anders als Reporter von BBC oder Al-Dschasira<br />
- nicht als „legitime Journalisten“ an. Die Journalistenorganisation<br />
erklärte dagegen: „Selbst wenn diese<br />
Journalisten die Hamas unterstützen, rechtfertigt das in<br />
■ KRITIK<br />
Flucht ins Klischee<br />
„Und dennoch lieben wir“, Regie: Matthias Tiefenbacher,<br />
Buch: Maureen Herzfeld, Martin Kluger,<br />
Kamera: Holly Fink (ARD/Degeto, 23.11.12, 20.15-<br />
21.45 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> In der Rechtsprechung ist, was Ehescheidungen<br />
anbelangt, das Schuldprinzip vom Zerrüttungsprinzip abgelöst<br />
worden. Das Gute am Zerrüttungsprinzip ist, dass<br />
die Schicksalhaftigkeit des Nicht-mehr-miteinander-<br />
Auskommens akzeptiert und die ewige Frage nach dem<br />
Warum, der Verantwortung und der Schuld nicht mehr<br />
gestellt wird. Fernsehdrehbücher sind mit ihren Dialogen<br />
leider noch nicht so weit wie unser Gesetzbuch. Wenn<br />
was schief geht, hat auch einer die Schuld, und mit<br />
der muss er konfrontiert werden. So kommt man zu<br />
dramatischen Szenen. „Das ist alles deine Schuld!“ und<br />
dazu ein Tränenstrom - so was hält die Zuschauer vorm<br />
Schirm. Wirklich?<br />
Die Zuschauer sind schon viel weiter, sie haben das<br />
Zerrüttungsprinzip akzeptiert und fühlen sich - so<br />
darf man annehmen - peinlich berührt, wenn in TV-<br />
Movies nur wegen der angestrebten Dramatik mit<br />
Schuldvorwürfen um sich geschmissen wird. Und das<br />
auch noch im Angesicht des Todes.<br />
■ KRITIK ■<br />
keiner Weise solche Angriffe.“ Nach der Definition der<br />
Genfer Konvention begehe die israelische Armee damit<br />
Kriegsverbrechen.<br />
Seit Beginn der Auseinandersetzungen im Gazastreifen<br />
vor einer Woche wurden nach Angaben von „Reporter<br />
ohne Grenzen“ mindestens elf Journalisten verletzt. In<br />
der Nacht zum Sonntag hatte die israelische Armee<br />
einen Turm in Gaza-Stadt bombardiert, in dem zahlreiche<br />
lokale und internationale Medien sitzen. Zum<br />
Zeitpunkt des Angriffs sollen etwa 15 Journalisten in<br />
mit „TV Press“ gekennzeichneten Schutzwesten auf dem<br />
Dach des Gebäudes über die Bombardements berichtet<br />
haben. Zu den Medien, deren Büros teilweise zerstört<br />
wurden, gehören die ARD, die Nachrichtenagentur Reuters<br />
und Abu Dhabi TV. Sechs Journalisten wurden<br />
verletzt.<br />
Bei einem weiteren Angriff in Gaza seien in derselben<br />
Nacht drei Mitarbeiter von Al-Aksa-TV schwer verletzt<br />
worden, hieß es. Ein Sprecher der israelischen Streitkräfte<br />
habe über Twitter erklärt, die Bombardements<br />
hätten auf ein Kommunikationszentrum der Hamas<br />
gezielt. lob<br />
Der TV-Film „Und dennoch lieben wir“ lief in der<br />
ARD-Themenwoche: „Leben mit dem Tod“; er zeigte<br />
eine Familie in angehender Zerrüttung beim Umgang<br />
mit Untreue und Schicksalsschlag. Die Dramatik verlor<br />
den Boden und lief leer. Das hätte nicht sein müssen,<br />
denn die Geschichte war nicht so schlecht, und die<br />
Schauspieler hatten es wirklich drauf, aber die Dramatik<br />
hob irgendwann ab, wurde zum Selbstzweck und ließ<br />
das Publikum düpiert zurück.<br />
Anne und Peter aus München sind mit Tochter und<br />
Sohn eine sogenannte Vorzeigefamilie: sie Chirurgin, er<br />
Versicherungsexperte, heranwachsende Tochter Tessa,<br />
kleiner Sohn Tommi, schicke Villa, Haushälterin. Anne<br />
(Claudia Michelsen) leidet unter einer gewissen Leere.<br />
Als Gatte Peter (Mark Waschke) am Telefon wissen<br />
will, wie es denn so gehe, sagt sie: „Wie immer“. Und<br />
erschrickt. Denn dieses ‚Wie immer’ ist fürchterlich für<br />
sie. Sie mag es nicht mehr. Sie mag gar nichts mehr,<br />
nicht mal ihre Familie: „Ich mag mich nicht mehr dafür,<br />
dass ich meine Kinder nicht mag...“ Das ist schon starker<br />
Tobak. Diese Frau, denkt der Zuschauer, braucht Hilfe.<br />
Die bekommt sie auch, aber nicht von Profis, sondern<br />
vom Schicksal: Ihr Sohn hat einen neuen Freund, David<br />
(Quirin Oettl), und weil dieser seinen Rucksack bei<br />
Tommi vergessen hat, gibt es ein Hin und Her, und Anne<br />
lernt Davids Mutter kennen, Carolin (Melika Foroutan).<br />
Die lebenslustige Chilenin vertreibt Annes depressive
Stimmung, die beiden werden Freundinnen und haben<br />
ordentlich Spaß miteinander. Aber dann schlägt das<br />
Schicksal böse zu: Es stellt sich heraus, dass Peter und<br />
Carolin einst ein Liebespaar waren, Anne wusste von<br />
nichts und muss jetzt verkraften, dass da ein weiterer<br />
Sohn von Peter rumläuft: der schwarzlockige David.<br />
Carolin ihrerseits, die nicht wusste, wessen Frau Anne<br />
ist, sieht nun den Ex-Lover im Haus ihrer vormals<br />
unbekannten Rivalin: „Dein Mann, deine Kinder, dein<br />
Auto... und ich hab nichts.“ Immerhin hat sie David, den<br />
will sie auch behalten - bitte keinen Kontakt mehr mit<br />
Peter und dessen Familie, zurück nach Chile.<br />
Jetzt geht das Gefühlstheater so richtig los: große<br />
Augen bei der erniedrigten Anne, wütende Blicke bei<br />
der ebenfalls gedemütigten Carolin, und dazwischen<br />
Peter, der überhaupt nicht mehr weiß, was für ein<br />
Gesicht er machen soll. Die Kinder kriegen natürlich<br />
mit, dass da was nicht stimmt und machen sich Sorgen.<br />
Und dann, im letzten Drittel des Films, passiert das,<br />
was die Geschichte zum Bestandteil der Themenwoche<br />
qualifiziert: Carolin, schon öfter mal von Bauchweh<br />
geplagt, bricht zusammen: Klinik, Bauchspeicheldrüsenkrebs.<br />
Viel Zeit hat sie nicht mehr. Anne soll ihr die<br />
Nachricht überbringen, wehrt erst ab, rafft sich dann<br />
aber auf. Um sich von Carolin sagen zu lassen: „Das ist<br />
alles Deine Schuld...“<br />
Es kommt viel zusammen in dieser Situation: das<br />
Angesicht des Todes, die Eifersucht, die Verlustangst,<br />
das schlechte Gewissen, die unerfüllte Liebe, die Angst<br />
um das seelische Gleichgewicht der Kinder. Es ist<br />
wohl einfach zu viel, als dass diese Dramatik noch<br />
Bodenhaftung hätte wahren können. Man überlegt<br />
zwischenzeitlich auch, ob die Häufung solcher Zufälle<br />
wie das Treffen der Geliebten und der Ehefrau sowie der<br />
Halbbrüder noch gekauft werden kann. Aber das ist es<br />
nicht. Es ist die Flucht ins Klischee („deine Schuld“), die<br />
von den Dialogen bis in die Mimik das bringt, was man<br />
erwartet und gewohnt ist, anstatt auf das zu setzen,<br />
wozu Menschen fähig sind, wenn es mal ganz dicke<br />
kommt: einen ungewöhnlichen Ausweg zu suchen und<br />
womöglich zu finden, auch aus dem Irrgarten ihrer<br />
eigenen Gefühle.<br />
In diesem Sinne gelungen ist die Bereitschaft Annes, zu<br />
der Kranken zu gehen und ihr die Todesnachricht selbst<br />
zu bringen. Solche Überwindungen leisten Menschen,<br />
wenn sie vom Schicksal herausgefordert werden. Aber<br />
Carolins Reaktion ist dann wieder das Klischee. Ganz<br />
wie Peters mühselige Liebeserklärung an Anne - jetzt,<br />
wo er die andere ohnehin verliert. Gut der Moment, in<br />
dem David fragt: „Wird Mama sterben?“ Arg klischeehaft<br />
dann aber wieder Peters Versuch, auf Distanz zu<br />
■ KRITIK ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 35<br />
seiner Affäre zu gehen: „Das mit Carolin“ sei nicht<br />
„programmiert gewesen“ für die Liebe.<br />
Die Personen bleiben Figuren in einem Arrangement,<br />
das mit „äußerste Dramatik“ überschrieben ist, in dem<br />
die Schauspieler zwar ihr Bestes geben, die Konstruktion<br />
und die mit Affekten überladene Szenerie aber keine<br />
feinere Individualisierung zulässt. Gewonnen hätte der<br />
Film außerdem, wenn er auf Musik verzichtet hätte.<br />
Das endlose Geklimper macht die Zuschauer rebellisch,<br />
es hilft nicht beim Sich-Einlassen auf die Geschichte.<br />
Barbara Sichtermann<br />
Kein billiger Appell<br />
„Mit geradem Rücken“, Regie: Florian Froschmayer,<br />
Buch: Sophia Krapoth, Kamera: Patrick-D. Kaethner,<br />
Produktion: Relevant Film Produktionsgesellschaft<br />
(Sat.1, 20.11.12, 20.15-22.15 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> Ein Hotel, ein Luxus-Hotel zumal, ist ein Ort der<br />
sozialen Distinktionen, ein Ort, der spiegelnde Oberflächen<br />
inszeniert, ein Ort, an dem kein Staub das Gefühl<br />
trüben soll, hier sei alles in Ordnung. Dem Gast wird das<br />
breiteste Lächeln, eher ein Lachen schon zugeworfen,<br />
jeder soll sich geborgen fühlen, hervorragend bedient<br />
und verwöhnt. Und die dienstbaren Geister tragen die<br />
Masken perfekter Selbstverleugnung, denn hier zählt<br />
der Gast und sein Wohl, alles andere bleibt, bitte schön,<br />
unter dem Teppich.<br />
Das ist das soziale Gemälde, vor dem dieses Drama<br />
spielt. Hella Wiegand (Ann-Kathrin Kramer) ist eine<br />
leitende Hausdame, ihr unterstehen die Zimmermädchen<br />
einer Etage. Sie ist die Mutter der Kompanie, sie ist<br />
fröhlich, packt zu, eine ehrliche Haut. Und sie hat sich<br />
beworben für die obere Etage, wo die Prominenten, die<br />
Superreichen nur unter Pseudonym einchecken. Für die<br />
alleinerziehende Mutter wäre das ein prestigeträchtiger<br />
Aufstieg. Ausgerechnet in diesem Moment macht sie<br />
die Entdeckung, dass eines ihrer Zimmermädchen, die<br />
türkischstämmige Shirin (Pegah Ferydoni), von ihrem<br />
Chef Jakob Braunstein (Kai Wiesinger) sexuell attackiert<br />
wird. Es ist schwer für Hella, der Sache auf den Grund<br />
zu gehen, denn Braunstein leugnet charmant und Shirin<br />
ist verängstigt.<br />
Hella schaltet den Personalchef Rückert (Hans Löw) ein,<br />
der das Gespräch mit Braunstein sucht. Als Rückert Hella<br />
versichert, dass Braunstein glaubhaft seine Unschuld<br />
beteuert und sie selbst ihre langersehnte Beförderung<br />
erhält, scheint die Affäre zu verblassen. Doch der<br />
Verdacht, dass Braunstein hinter der Maske des loyalen<br />
Chefs und liebenswürdigen Charmeurs ein übler Sextäter
36 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
ist, will nicht verschwinden. Als der Hotelchef schließlich<br />
auch Hella attackiert, weiß die aufrechte Frau, dass sie<br />
es hier mit einem perfiden und selbstbewussten Täter<br />
zu tun hat, der darauf baut, dass die Frauen aus Angst<br />
und Scham schweigen.<br />
Hella erlebt den Alptraum einer missbrauchten Frau,<br />
der niemand glaubt und sie erlebt die Prozesse der<br />
Entsolidarisierung und der Ausgrenzung, das Wegsehen,<br />
das Verleumden und Stigmatisieren. Und sie macht<br />
die Erfahrung, dass auch die Polizei nicht helfen kann,<br />
nicht helfen will und darauf verweist, wie schwer es sei,<br />
sexuelle Belästigung zu verfolgen, wenn es keine Zeugen<br />
und keine Spuren gibt und der Täter ein wohlhabender<br />
Mann mit teuren Rechtsanwälten ist.<br />
Der Film packt von der ersten Minute, denn die überaus<br />
agile Kamera misst in Windeseile das Terrain des Dramas<br />
aus und zeigt uns, wie so ein Hotelbetrieb funktioniert,<br />
wie viele Gesichter ein Hotel hat, dass es verschiedene<br />
Eingänge besitzt, dass es Hierarchien gibt und eiserne<br />
Codes. Dieser visuelle Sog packt und ergänzt sich mit<br />
den dramatischen Stufen auf das Beste.<br />
Ann-Kathrin Kramer, die in Sat.1-Filmen schon so oft<br />
die lebensbejahenden, durch nichts umzuwerfenden<br />
Frauen gespielt hat, zeigt überzeugend, wie die Affäre<br />
an ihren Nerven zehrt und wie sie die sexuelle Attacke<br />
auch körperlich und seelisch aus der Bahn wirft. Für<br />
diese Schwundstufen des Vertrauens und der Zuversicht,<br />
für diese Verwandlung der Heldin in eine gebrochene<br />
Frau findet der Film einen eigenen Rhythmus, der<br />
hervorragende Schnitt (Claudia Klook), sprunghaft und<br />
elliptisch, spiegelt die psychische Destabilisierung der<br />
Heldin wieder.<br />
Der Film schafft es, den Zuschauer am Empathie-<br />
Kragen zu packen und ihn mitzunehmen, mann/frau<br />
empört sich, leidet mit, versucht innerlich, mit guten<br />
Ratschlägen zu helfen. Der Zuschauer versteht auch<br />
die Scham von Shirin, deren Vater ohnehin glaubt,<br />
Zimmermädchen seien Flittchen, weshalb sie zu Hause<br />
erzählt, sie arbeite in der Küche. Alle Figuren wirken<br />
in ihrem Handlungskreis plausibel und jeder hat seinen<br />
Weg, sein Ziel, das er verfolgt.<br />
Regisseur Florian Froschmayer setzt das Buch von<br />
Sofia Krapoth zielstrebig um, die Nebenlinien, etwa<br />
das Privatleben der alleinerziehenden Hella, werden<br />
angemessen mit dem Haupthandlungsstrang verzahnt.<br />
Endlich haben auch die Privaten mal ein Drama erzählt,<br />
in dem die Arbeitswelt nicht nur aus bonbonfarbenen<br />
Bildern und niedlichen Dialogen besteht.<br />
Die Anstrengung und der Verzicht, den diese Arbeitswelt<br />
abverlangt, wird in den Szenen und Motiven über-<br />
■ KRITIK ■<br />
zeugend erzählt und der Zuschauer hat das Gefühl,<br />
tatsächlich in dieses andere Milieu eingetaucht zu<br />
sein, etwas von seinen Regeln, Zwängen und Hürden<br />
miterlebt zu haben. Dass der Film entgegen manch<br />
realistischer Erfahrung ein gutes Ende nimmt und die<br />
Heldin für ihre aufrechte Haltung, für ihren Kampf<br />
gegen die sexuelle Attacke belohnt, stört hier nicht,<br />
denn es hilft einer Emotionalität auf die Sprünge, die<br />
lindert und tröstet.<br />
Dieser Film zeigt, was das private Fernsehen leisten<br />
kann, wenn es sich traut, ein ernstes Thema ernsthaft<br />
anzupacken und seine erzählerischen Mittel beherrscht:<br />
Man kann engagiert und zugleich unterhaltsam erzählen,<br />
man kann Realität abbilden und doch dem Glück auf<br />
die Sprünge helfen, man kann zu Tränen rühren, ohne<br />
in klebrige Pathosformeln zu verfallen, man kann -<br />
auch im Privatfernsehen - sensibel Solidarität und<br />
Mut einfordern, wo diese Tugenden unter dem Druck<br />
der Ökonomie immer häufiger entbehrt werden: In der<br />
Arbeitswelt. Aufrecht gehen! Dass das kein billiger Appell<br />
sein muss, hat dieser Film bewiesen. Torsten Körner<br />
Urkomische Einfälle<br />
„Marie Brand und das Lied von Tod und Liebe“, Regie:<br />
Christiane Balthasar, Buch: Wolfgang Stauch und<br />
Khyana el Bitar, Kamera: Markus Hausen, Produktion:<br />
Eyeworks Germany (ZDF, 15.11.12, 20.15-21.45<br />
Uhr)<br />
<strong>epd</strong> In Köln schreitet ein Indianer in voller Pracht<br />
würdevoll über eine Brücke. Dann steht er, angeseilt, auf<br />
einem Hochhaus und lässt sich von einem Kollegen gesichert<br />
herab. Beide sind Industriekletterer für „Highsky<br />
Cologne“. Ein paar Meter freier Fall, dann strafft sich<br />
das Seil wieder, bis es Sekunden später reißt und der<br />
Mann zu Tode stürzt.<br />
Die Kommissare Marie Brand und Jürgen Simmel sind<br />
auf dem Weg zur Unfallstelle. Sie fährt ein weißes<br />
BMW-Cabrio mit reichlich pinkfarbenen Girlanden.<br />
„Friseusenschleuder“, sagt Simmel dazu. Der aber soll<br />
lieber den Mund halten, verlor er doch gerade erst<br />
seinen Führerschein. Sie motzen sich an, witzeln, alles<br />
wunderbarerweise per „Sie“. Sie fragen sich, wie kam<br />
der Mann zu Tode, und Simmel versucht einen Jux:<br />
„Trunkenheit am Seil“.<br />
Die Autoren Wolfgang Stauch und Khyana el Bitar haben<br />
nicht die Spur Angst vor politisch, moralisch, ethisch<br />
oder ethnologisch unkorrekten Späßen. Niemand ist<br />
vor ihrem Witz sicher, die Personen nicht und nicht die<br />
Situationen. Es gibt hier zwei Männer-Leichen und eine
Beinahe-Leiche, die aber überlebt, wenn auch ansehnlich<br />
verstümmelt. Dazu zwei Witwen und eine folgenreich<br />
Geschiedene. Also gibt es auch vielfachen Grund zur<br />
Trauer. Aber: selten so gelacht! Die Komik kommt<br />
aus dem flotten Gekabbel der Kommissare, sie kommt<br />
direkt aus den irrwitzigen Vorgängen, aus immer neuen<br />
Verwicklungen, aus dem augenzwinkernden Rückgriff<br />
auf bekannte Krimiklischees. Und wird getragen von<br />
Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann als<br />
Brand und Simmel, die wahre Perfektionisten sind<br />
im Setzen von Pointen, die das exakte Maß kennen<br />
dafür, die immer neue Nuancen an Eigenwilligkeit und<br />
auch Verschrobenheit anbieten, mit einer ansteckenden<br />
Spielfreude und herrlicher Leichtigkeit.<br />
Die Geschichte ist eigentlich einfach, macht aber einige<br />
spannende Umwege, geht auf Abwege und findet<br />
logisch zurück zu den Leichen. Der ermordete Indianer<br />
(Seil manipuliert) heißt Robert Lex-Muller, er hat zwei<br />
indianische Namen. Der eine bedeutet „Der Waghalsige“,<br />
der andere „Großes Hinterteil“ - ist also Ansichtssache.<br />
Seine Frau Anna Lex-Muller (Laura Tonke) lernte ihn<br />
vor drei Jahren in den USA in seinem Reservat kennen,<br />
heiratete ihn und verfrachtete ihn nach Deutschland,<br />
wo er deutscher sein wollte als die Deutschen (Muller<br />
jetzt mit Strichen drüber).<br />
Die zweite Leiche heißt Björn Zeiss (Heiko Pinkowski),<br />
ist Pfarrer und erstickt in der Sauna eines Bordells,<br />
Tür von außen verriegelt. Er kam jeden Monat einmal<br />
und verlangte immer eine Frau aus einem anderen<br />
Land. Belinda, seine Ehefrau, macht die eigentliche<br />
Kirchenarbeit fast allein, auch die Erziehung der fünf<br />
Kinder. In einem einzigen Schwall, fast auf einem Atem<br />
(Hochachtung vor dieser handwerklichen Perfektion!)<br />
schleudert sie wutentbrannt heraus, was sie alles<br />
tut und: „Er fickt im Puff, ich putze...!“ Sagt Marie<br />
begütigend: „Er ist tot.“ Schreit Belinda: „Ja, das kommt<br />
ja noch dazu!“<br />
Der dritte fast Tote ist Claas (Mathias Hermann),<br />
ein Frauenausnutzer großen Stils. Seinetwegen hatte<br />
Caroline (Katja Flint) ihren vermögenden Mann, Schönheitschirurg,<br />
verlassen. Brand und Simmel haben eine<br />
Ahnung: Ein Mord überkreuz? Du tötest meinen, ich<br />
deinen Mann? Dann finden sie heraus, dass alle diese<br />
sehr unterschiedlichen Damen sich kennen, von Basaren<br />
her. Ein Dreierkomplott. Die Damen hatten ihre Gründe.<br />
Von großem Unterhaltungswert sind viele kleine urkomische<br />
oder tragisch-komische Einfälle. Immer wieder<br />
im Bild Belinda und Anna, die eine staubt den Jesus am<br />
Kreuz ab, fluchend, schreiend, die andere zersägt Holz<br />
im Garten, der voller Indianer-Zeugs steht. Sie wird auch<br />
noch die Leiche ihres Mannes „Der Waghalsige/Großes<br />
Hinterteil“ klauen, um ihn nächstens im Garten traditio-<br />
■ KRITIK ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 37<br />
nell zu verbrennen, in dumpfer Wut. Marie Brand verliebt<br />
sich kleinmädchenhaft in den Hochstapler Claas. Der<br />
Schönheitschirurg Dr. Berg (Rainer Laupichler) erweist<br />
sich, gegen alle Klischees, als grundintegrer Mensch,<br />
wenn er dem inkognito auftretenden Kripochef, dem Dr.<br />
Engler (Thomas Heinze), nicht auf den Leim geht. Doch<br />
das amüsanteste sind die Kommissare Marie Brand und<br />
Jürgen Simmel, die sich (auch nach zehn Folgen), immer<br />
noch siezen, die sich versehentlich mit „Frau Simmel“<br />
oder „Herr Brand“ anreden, damit auf fast eheliche<br />
Verhältnisse hindeutend, auf engste Vertrautheit trotz<br />
der Verschiedenheit.<br />
Inszeniert hat mit Christiane Balthasar eine Regisseurin,<br />
die die Kunst beherrscht, auch mittelmäßige Bücher<br />
so aussehen zu lassen, dass sie um Klassen besser<br />
scheinen. Hier, mit diesem Buch, hat sie die Chance, ihr<br />
besonderes Talent, die Inspiration von Schauspielern,<br />
zu perfektionieren. Was da so leicht und lustig und<br />
komisch daherkommt, ist nur durch präzise Arbeit zu<br />
kriegen. Durch sicheres Gespür für echte Töne, für<br />
Timing, für das richtige Maß. Sie lässt sinnlich erzählen,<br />
charakterisiert die Figuren knapp aber zutreffend, macht<br />
sie außergewöhnlich, macht sie nie albern, gibt sie nie<br />
preis. Jeder Darsteller trifft mit wenigen prägnanten<br />
Mitteln, in kurzen Szenen, das Besondere seiner Figur,<br />
ihr spezielles Leben, früher und jetzt. Es gibt diverse<br />
„Hauptdarsteller“, die das nicht einmal in neunzig<br />
Minuten zustande bringen. Renate Stinn<br />
Der Duft der Frauen<br />
„Die Tote im Moorwald“, Regie: Hans Horn, Buch:<br />
Annika Tepelmann, Kamera: Produktion: Roxy Film<br />
(ZDF, 12.11.12, 20.15-21.45 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> Dass der schöne alte Suspense noch lebt, ist die<br />
gute Nachricht. Die nicht ganz so gute ist, dass der<br />
Zuschauer von heute nicht mehr jeden Spannungsbogen<br />
nachvollzieht, wenn die Ausgangslage erkennbar<br />
realitätsfern ist. Zwar war es Hitchcock, der gesagt hat,<br />
er lehne „Wahrscheinlichkeit“ als Kriterium dafür, ob ein<br />
Film gelungen sei, schlankweg ab (er werde in seinen<br />
Filmen nicht erlauben, dass die „Wahrscheinlichkeit ihr<br />
hässliches Haupt erhebt“). Aber der Meister arbeitete<br />
fürs Kino, wo die dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten<br />
doch noch ein wenig anders sind als im Fernsehen.<br />
Und außerdem war er als Kommentator seiner eigenen<br />
Werke ein Pointenschmied - Hauptsache, es klingt gut.<br />
Der Suspense in „Die Tote im Moorwald“ ist sofort da<br />
(Buch: Annika Tepelmann), und er ist sehr altmodisch.<br />
Eine junge Frau namens Josefine, Münchner Künstlerin,<br />
gespielt von Maria Simon, hat gerade ihre Mutter
38 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
verloren. Nun ist auch die Quelle versiegt, von der sie<br />
eventuell hätte erfahren können, wer ihr Vater war. Das<br />
muss sie also selbst herausfinden. Und sie besucht ein<br />
einsames Dorf, mietet sich dort in die Meierei ein, denn<br />
die Mutter hat da mal gearbeitet, und in jenem Gelände<br />
wurde Josefine vermutlich auch gezeugt.<br />
Ein schrulliger alter Nachbar namens Kamrad, gespielt<br />
von Franz Xaver Kroetz, hilft ihr, anzukommen und<br />
sich einzurichten. Die Art, wie er sie ansieht und die<br />
Art, wie sie sich umschaut – Maria Simons Augen sind<br />
größer als normal, auch von daher ist die Schauspielerin<br />
eine Idealbesetzung für diesen Film – sorgt für jenes<br />
angenehm gruselige Gefühl einer unterschwelligen<br />
Bedrohung.<br />
Aber was ist daran altmodisch? Dass es mal wieder ein<br />
zartes, schönes, wild entschlossenes Mädchen ist, das<br />
sich da in Gefahr begibt und es doch nicht hinkriegt,<br />
einen Ofen anzuzünden? Und immer diese riesigen<br />
Augen. Man weiß sofort, dass ihr das Messer an der<br />
Kehle sitzen wird und dass sie es irgendwie schafft,<br />
davonzukommen. Aber wer wird das Messer schwingen?<br />
Das immerhin bleibt spannend fraglich. Der alte Nachbar<br />
gibt sich väterlich. Aber Kroetz macht mit ein paar<br />
kleinen Winken deutlich, dass der Alte nicht ganz sauber<br />
tickt. Wie wunderbar die Frauen gerochen hätten, mit<br />
denen er so zu tun gehabt hat, merkt er mal an. Und<br />
natürlich kennt er Josefines Mutter.<br />
Auf einem Foto, das er an die Wand gepinnt hat, sind<br />
sie alle beisammen: die Mutter, deren beste Freundin<br />
Angelika, die noch lebt und um die Ecke wohnt, der<br />
Nachbar selbst und – ja, auch Josefines Vater. Aber<br />
wer das nun war, kriegt sie erst später raus. Diese<br />
Väter-Suche nach Beisetzung der Mutter – ist das nicht<br />
auch ein wenig altmodisch? Wer unbedingt wissen will,<br />
von wem er abstammt, kriegt das in Zeiten des Internet<br />
auch ohne unheimliche Meierei raus, und welche Mutter<br />
in heutiger Zeit schweigt über ihren „Fehltritt“ bis ins<br />
Grab?<br />
Für den Suspense zuständig ist auch noch die Lage im<br />
Dorf. Es ist nämlich ein Mädchen verschwunden. Die<br />
Polizei sucht sie, die Dörfler sprechen von einem älteren<br />
Fall: damals ist Susanne verschwunden, Angelikas<br />
Tochter. Ja, irgendwo geht er um, der Mädchenkiller.<br />
Josefine besucht Angelika, will ihr ein paar Infos<br />
entlocken, aber die verbitterte Frau verscheucht die<br />
Ärmste. Kamrad lädt sie zu einer Party à deux bei sich<br />
ein. Sie geht hin, unerschrocken, wie sie nun mal (als<br />
Figur) sein soll. Das ist wieder so ein Suspense-Moment.<br />
Es ist wie auf der Kasperlebühne, wenn das Krokodil um<br />
die Ecke schleicht. „Kasper, Kasper“, rufen die Kinder,<br />
„pass auf: das Krokodil!“ Gerade so sind diese Szenen<br />
konstruiert, und man hat dann auch seine kindliche<br />
■ KRITIK ■<br />
Freude dran. Zumal Kroetz und Simon das prima machen.<br />
Josefine will nur aufs Klo und landet in einem Bad voller<br />
Blut.<br />
Wie bei Hitchcock auch, gibt es in „Die Tote im<br />
Moorwald“ eine Gegenwelt, in der die Helligkeit der<br />
Vernunft, aber leider auch die Nötigung, sich mit den<br />
Wechselfällen des Lebens abzufinden, regiert. Josefines<br />
Freund, von ihr bang per Handy herbeizitiert, trifft ein<br />
als Retter - aber er kann nicht bleiben, denn die harte<br />
Realität ruft ihn zurück nach München, und Josefine<br />
ist nun schutzlos den Dämonen der Vergangenheit<br />
ausgeliefert. Die prügeln auch ordentlich auf sie ein.<br />
Aber es geht gerade noch gut. Ein Film wie dieser kann<br />
eine Hauptfigur mit solchen Augen nicht opfern.<br />
Am Ende entpuppt sich das Titel gebende Moor als<br />
der Mörder. Und da bricht die Konstruktion final ein.<br />
Denn der Film spielt ja heute. Welche Dorfgemeinde<br />
in unserer sicherheitsfanatischen Zeit würde wenige<br />
Schritte von bewohnten Häusern entfernt ein Moor vor<br />
sich hin gluckern lassen, das harmlos aussieht und doch<br />
den Unglücklichen, der es betritt, binnen Minuten in<br />
den feuchten Tod zieht? Also bitte! Das kann man nicht<br />
kaufen.<br />
Zeitweilig hat man beim Zuschauen den Eindruck,<br />
die Regie (Hans Horn) und die Schauspieler hätten<br />
sich eine Hauptspaß daraus gemacht, die Techniken<br />
des Suspense durchzubuchstabieren, einfach so, ohne<br />
einen anderen Sinn als die Freude am Zitat aus der<br />
Filmgeschichte. Diese Art Nostalgie ist gewiss reizvoll<br />
für die Macher, aber nicht genug für das Publikum.<br />
Barbara Sichtermann<br />
Ineffizienter Apparat<br />
„Das Terror-Trio - Warum die Behörden versagten“,<br />
Regie und Buch: Inga Klees, Marcus Weller, Kamera:<br />
Björn Kowalewsky, Jens Bungies, Harry Carius (ARTE<br />
/MDR, 13.11.12, 22.00-22.30 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> „Es geht um die Frage, ob unsere Demokratie funktioniert“,<br />
sagt Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des<br />
NSU-Untersuchungsausschusses. Die Geheimdienste jedenfalls<br />
haben im Kampf gegen Rechtsterrorismus nicht<br />
funktioniert, soviel lässt sich schon jetzt mit Gewissheit<br />
sagen. Inga Klees und Marcus Weller sprechen zu Beginn<br />
ihres Films über den Nationalsozialistischen Untergrund<br />
von einer „Staatsaffäre“ und dem „vollständigen Versagen<br />
deutscher Sicherheitsbehörden“, eine Wortwahl,<br />
die als nicht übertrieben gelten darf. Wahrscheinlich<br />
ist es auch eine „Geschichte von Verschleierung, Lüge,<br />
Betrug“, aber überzeugender wäre es, diese Geschichte
erst zu erzählen, statt das Publikum mit einer Reihe von<br />
kernigen, aufheizenden Kommentaren zu überfallen.<br />
Wer die Berichterstattung in den vergangenen Wochen<br />
verfolgt hat, erfährt hier zwar wenig Neues. Klees und<br />
Weller tragen jedoch in dichter und komprimierter<br />
Form das Wesentliche zusammen - eine erschütternde<br />
Kette von Ermittlungspannen, strukturellen Fehlern,<br />
mangelnder Koordination und Ignoranz. Angefangen<br />
1994 bei der Bundeswehr, als Panzergrenadier Uwe<br />
Mundlos als rechtsextrem auffiel, dennoch befördert<br />
und an Waffen ausgebildet wurde. Die Polizei fuhr mit<br />
Uwe Böhnhardt im Januar 1998 in Jena zu einer Garage,<br />
in der sich ein Waffenarsenal verbarg, doch während<br />
die Beamten noch am Schloss hantierten, setzte sich<br />
Böhnhardt ab.<br />
Hinweise auf Unterstützer und Aufenthaltsort des untergetauchten<br />
Trios Mundlos, Böhnhardt und Beate<br />
Zschäpe wurden übersehen, falsch gedeutet, nicht weitergegeben.<br />
Das Netz aus V-Leuten erwies sich als<br />
wirkungslos. Absurd zum Beispiel, dass 40 von 140 Mitgliedern<br />
des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes<br />
Verbindungsleute zu Geheimdiensten waren.<br />
Klees und Weller lassen Roland Eckert zu Wort kommen,<br />
einem emeritierten Soziologie-Professor aus Trier, der<br />
nicht nur den Unterschied zwischen V-Leuten und<br />
verdeckt ermittelnden Beamten anschaulich erklären<br />
kann, sondern auch das Versagen der Behörden pointiert<br />
zu kommentieren versteht. Die Geheimdienste seien „ein<br />
Staat im Staate geworden“, sagt er, ein „unglaublich<br />
großer Apparat“, ineffizient und daran gewöhnt, der<br />
rechtlichen Kontrolle weitgehend enthoben zu sein. Man<br />
müsse fragen, ob der von ihnen angerichtete Schaden<br />
nicht größer sei als der Nutzen.<br />
Die Bild-Kulisse hinter Eckert zeigt unscharfe Fotos aus<br />
der von Beate Zschäpe in die Luft gesprengten Zwickauer<br />
Wohnung. Warum? Weil zu Eckerts scharfer Kritik am<br />
besten eine Trümmerlandschaft passt? Den ebenfalls<br />
interviewten Abgeordneten Sebastian Edathy, Clemens<br />
Binninger (CDU/CSU-Obmann im Untersuchungsausschuss),<br />
Martina Renner (Die Linke Thüringen) und<br />
Opferanwalt Yavuz Narin bleibt diese unnötig reißerische<br />
Form der Illustrierung erspart. Auf nachgestellte<br />
Spielszenen und „menschelnde“ Interviews, etwa mit<br />
Angehörigen von Opfern und Tätern, verzichtet der<br />
Film erfreulicherweise und bleibt damit konsequent bei<br />
seiner analytisch-politischen Perspektive.<br />
Das Steinchen für Steinchen zusammengesetzte, aber<br />
wohl noch unvollständige Mosaik des Behörden-<br />
Versagens wirft die Frage auf, wie verbreitet rechtsextremes,<br />
oder zumindest ausländerfeindliches Gedankengut<br />
in den Diensten selbst ist. Denn die Möglichkeit, dass<br />
■ KRITIK ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 39<br />
die im Jahr 2000 beginnende Mordserie auf das Konto<br />
von Rechtsextremen gehen könnte, wurde lange Zeit<br />
hartnäckig geleugnet. Dies ließe sich nur damit erklären,<br />
sagt Eckert etwas umständlich, „dass die generalisierten<br />
Gefährdungs-Erwartungen - die Ausländer sind’s, die<br />
die Probleme machen - dazu so massiv waren, dass jede<br />
widersprechende Einzelinformation einfach neutralisiert<br />
wurde, abgebügelt wurde“.<br />
Ein Muster, das sich auch nach dem Mord im April<br />
2007 an der Polizistin in Heilbronn wiederfindet, wo<br />
ausdauernd vor allem gegen Roma ermittelt wurde, die<br />
in der Nähe des Tatorts lebten. Das Motiv dieses mutmaßlichen<br />
NSU-Verbrechens ist noch unklar, deshalb<br />
bleibt der Film hier notgedrungen spekulativ. Klar ist<br />
jedenfalls: Die Hintergründe dieser „Staatsaffäre“ sind<br />
noch lange nicht aufgeklärt. Thomas Gehringer<br />
Die ersten ihrer Art<br />
„Vatertage“, Buch und Regie: Anni Seitz, Kamera:<br />
Jan Raiber, Produktion: Eikon Südwest, Filmakademie<br />
Baden Württemberg (SWR, 12.11.12, 23:30-0:45<br />
Uhr)<br />
<strong>epd</strong> Wer alt genug ist, erinnert sich noch an Fernsehreportagen<br />
über „Die erste Frau bei der Feuerwehr“ oder<br />
„Frauen bei der Polizei“ und, vor noch gar nicht allzu<br />
langer Zeit „Frauen bei der Bundeswehr“. Ausnahmeerscheinungen,<br />
Exotinnen beinahe, aber auch Vorbilder<br />
wurden da präsentiert. Heute, fast vierzig Jahre nach<br />
diesen Pionierinnen in der Männerwelt, nun also eine<br />
Dokumentation über drei Männer, die mehr als drei<br />
Monate Elternzeit genommen haben. Während ihre<br />
Frauen arbeiten gehen, kümmern sie sich gewissermaßen<br />
hauptamtlich um ihre kleinen Kinder. Exoten auch<br />
sie, immer noch.<br />
So unterschiedlich die drei Männer, Sandro, Bernd und<br />
Oliver sind: alle drei lassen sich mehr als bereitwillig<br />
beim Vatersein zugucken. In vielen Momenten scheinen<br />
sie es sogar zu genießen, über ihre Erlebnisse, Erfahrungen<br />
und Probleme zu berichten. Selbst in stressigen<br />
Situationen, wenn die Kinder quengeln oder Konflikte<br />
mit der Frau in der Luft liegen, ist wenig zu spüren von<br />
der Versagensangst, dem Gefühl nicht gut genug zu sein,<br />
die Mütter oft ein Leben lang begleitet. Kaschieren diese<br />
Väter solche Ängste besser, oder sind sie als „Pioniere“<br />
einfach noch keinem Erwartungsdruck ausgesetzt?<br />
Anni Seitz beantwortet diese Frage nicht direkt, sondern<br />
beschränkt sich auf gründliche, beinahe ethnographische<br />
Beobachtung ihrer Protagonisten in Schlüsselsituationen<br />
des Alltags mit Kindern: Väter beim zu Bett
40 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
bringen, beim Tränen trocknen, auf dem Spielplatz, im<br />
Haushalt, und natürlich beim Verabschieden und wieder<br />
in Empfang nehmen der arbeitenden Ehefrau.<br />
All diese unspektakulären, vertrauten, ja geradezu<br />
banalen Szenen fügen sich nach und nach zu ziemlich<br />
komplexen Porträts der jeweiligen Väter. Da ist einmal<br />
Sandro, der Friseur: Er, der früh angefangen hat zu<br />
arbeiten und selbst schon als Kind im Fuhrunternehmen<br />
seines italienischen Vaters mithalf, genießt die Zeit mit<br />
Tochter Ada Louise als Freizeit. Er macht Ausflüge mit<br />
ihr, verwöhnt sie und beruhigt nebenbei das schlechte<br />
Gewissen, für den älteren Sohn aus einer früheren<br />
Beziehung kaum dagewesen zu sein. Die Lässigkeit, mit<br />
der er dabei den Haushalt ignoriert, macht seiner Frau<br />
zu schaffen: „Wenn ich frei habe, versuche ich mit Ada<br />
Luisa zusammen ganz viel zu erledigen, und vergesse<br />
manchmal, dass ich lieber was mit ihr machen sollte.<br />
Sandro läßt alles stehen und liegen und geht mit ihr<br />
raus.“<br />
Oliver weiß als Gymnasiallehrer ebenfalls, dass ihm sein<br />
Beruf nicht davonläuft. Er sagt von sich, er sei schon wegen<br />
seiner vielen Kolleginnen Frauen-Versteher. Dass er<br />
nun für ein Jahr für Kleinkind und Haushalt verantwortlich<br />
ist, während seine Frau sich um die Bankkarriere<br />
kümmert, nimmt er als sportliche Herausforderung. Und<br />
er ist es offenbar gewohnt zu gewinnen, egal in welcher<br />
Disziplin, und dabei immer noch cool und hip zu wirken<br />
- jedenfalls wenn die Kamera läuft.<br />
Der einzige, der Unsicherheiten in der Fulltime-Vaterrolle<br />
offen zugibt, ist Bernd. Das, so legen die Filmszenen<br />
nahe, liegt vielleicht auch daran, dass er mit 43 noch<br />
nicht einmal Spaghetti kochen kann, zum anderen<br />
daran, dass er in seinem gelernten Beruf keine Arbeit<br />
mehr findet und sich nun noch zum Kindergärtner<br />
umorientieren will. Vor allem aber hat er seinen eigenen<br />
Vater als extrem streng und kalt empfunden und will<br />
es unbedingt ganz anders und besser machen.<br />
Indem sie die Frage nach den Vätern der Protagonisten<br />
stellt, und man auch alle drei Herren kennenlernt, bewahrt<br />
Anni Seitz ihren Film sowohl vor dem Abgleiten<br />
ins Banale als auch vor allzu viel Selbstdarstellung der<br />
Protagonisten. Stattdessen vermisst sie gewissermaßen<br />
das Gelände, auf dem die drei jungen Väter unterwegs<br />
sind - und das ist erschreckend konservativ. Während<br />
Bernds Vater unverblümt die Ohrfeige als Erziehungsmittel<br />
verteidigt, sagt Sandros Vater, dass er seinen Sohn<br />
einfach nur zu einem guten Menschen erziehen wollte<br />
- Zeit hat er mit ihm vor allem dann verbracht, wenn<br />
er ihn auf seine LKW-Touren mitnahm. Olivers Vater<br />
dagegen erklärt in schönster Offenheit, dass er zwar<br />
theoretisch immer für Gleichberechtigung gewesen sei,<br />
■ KRITIK ■<br />
im wirklichen Leben aber ein „echter Macho“, der Kinder<br />
und Haushalt gerne seiner Frau überlassen hat.<br />
Eine Rollenverteilung, die Sandros Frau interessanterweise<br />
als „immerhin berechenbar und klar“ bezeichnet.<br />
Sie ist, auch das arbeitet der Film in seinem Verlauf gut<br />
heraus, sichtlich gestresst davon, ständig diskutieren<br />
zu müssen, wer denn nun für was zuständig ist, wer<br />
mehr Anspruch auf Zeit für sich selbst hat und wessen<br />
berufliche Pläne eigentlich wichtiger sind. „Jeder<br />
murkst sich halt so sein Ding zusammen“ ist ihr Gefühl,<br />
„und man hat auch keine Zeit, sich darüber wirklich<br />
auszutauschen wie es die anderen machen, weil man<br />
ja den Kontakt zu den anderen völlig verliert in dem<br />
ganzen Gemurkse“.<br />
Aber ist diese „Gemurkse“ wirklich so schlimm wie<br />
es ihr scheint, oder sind einfach die Erwartungen an<br />
sich selbst als Eltern viel zu hoch ? „Vatertage“ lässt<br />
auch diese Frage offen. Wer mag, kann vielleicht eine<br />
Antwort finden in den Beobachtungen der Kinder, die<br />
den Reden der Eltern immer wieder gegenübergestellt<br />
werden. Poetische aber nie klischeehafte oder kitschige<br />
Kamerastudien von Momenten, in denen die sich weder<br />
Mama noch Papa um die Kinder kümmert. Ganz in ihrer<br />
eigenen Welt, wirken sie eigentlich ziemlich zufrieden.<br />
Sigrun Matthiesen<br />
Stationendramaturgie<br />
„Donauspital - Alltag im Tempel der Spitzenmedizin“,<br />
Buch, Kamera und Regie: Nikolaus Geyrhalter (Arte,<br />
7.11.12, 20.15 - 21.30 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> „Achtung, automatischer Transport“: Die krächzende<br />
Stimme führt als Leitmotiv durch diesen Film. Im<br />
Untergeschoss des Krankenhauses kurven unermüdlich<br />
Transportroboter hin und her, elegant, fast lautlos, ferngesteuerte<br />
Wägelchen auf Magnetspuren. Auf ihnen<br />
wird alles möglich befördert, schmutzige und saubere<br />
Wäsche, Müllcontainer, Medikamente. Ab und zu laufen<br />
Menschen dazwischen herum, sie müssen gewarnt<br />
werden: „Achtung, automatischer Transport“.<br />
Transportkollektorgang heißt der breite unterirdische<br />
Gang, auf dem sie herumfahren und er gehört zu einem<br />
der größten Krankenhäuser Europas, dem „Sozialmedizinischen<br />
Zentrum Ost“, kurz Donauspital SMZ genannt,<br />
dem zweitgrößten Krankenhaus Wiens. Nikolaus Geyrhalter<br />
zeigt in seinem Dokumentarfilm den Alltag in<br />
dieser Institution. Keine Dramatik im Operationsraum,<br />
keine hektischen Sanitäter in der Notaufnahme, keine<br />
weinenden oder ratlosen Patienten und Besucher, keine<br />
Flirts zwischen Ärzten und Schwestern. Nichts, was
man so aus dem Fernsehen als Krankenhaus zu kennen<br />
meint. Vielmehr ein kühler und nüchterner Blick<br />
auf einen sehr großen Apparat, auf ein System mit<br />
seinen verschiedenen Funktionsebenen. Der Autor geht<br />
akribisch und unhierarchisch vor, kommt von der Intensivstation<br />
bis zur Müllverbrennung, von der Desinfektion<br />
bis zur Pathologie, von der Ärztebesprechung bis zur<br />
Arbeitssitzung der technischen Dienste.<br />
Die Szenerien sind ordentlich beschriftet, der Zuschauer<br />
weiß immer, wo er sich grade befindet in der riesigen<br />
Klinik. Operationen zeigt der Film auch. Nach einer<br />
minimalinvasiven Magenoperation, bei der die Vorgänge<br />
im Körperinnern auf Bildschirm übertragen werden,<br />
werden routiniert Wunden im Innenbauch vernäht, die<br />
Ärzte unterhalten sich dabei übers Wetter. Griffsicher<br />
holt in der Pathologie der Arzt das Hirn eines Toten<br />
aus der Hirnschale, danach wird es in dünne Scheiben<br />
zerschnitten. Geyrhalters Kamera zeigt, macht aber keine<br />
Sensation draus und spielt nicht mit Ängsten. Andere<br />
Szenen wiederum wirken skurril und komisch. Die Räume<br />
der Seelsorge liegen mitten im Krankenhaus, Kerzen<br />
dürfen aus Sicherheitsgründen hier nicht brennen.<br />
Die Seelsorger basteln daher, wie im Kindergarten, für<br />
Patienten und Angehörige Kerzen aus Pappe und nennen<br />
das auch noch „virtuelle Kerzen“. In einer Szene muss<br />
eine alte Patientin, die kaum noch sitzen kann, sich<br />
eine lange religiöse Krankensalbung gefallen lassen -<br />
die Szene wurde allerdings nachgestellt.<br />
Technik selbst kommt nicht nur in Bildern, sondern auch<br />
in Geschichten vor. Haustechniker debattieren über<br />
einen Vorfall, in dem eine automatische Tür sich nicht<br />
öffnete. Drinnen ein Patient mit akuter Herzattacke, die<br />
Ärzte vor der verschlossenen Tür - und mittendrin die<br />
Krankenschwester vor dem Dilemma, entweder sofort<br />
reanimieren oder erst die Tür öffnen zu müssen. Eine<br />
Schrecksekunde im strukturierten Ablauf.<br />
Mit den Transportrobotern zieht Nikolaus Geyrhalter<br />
seinen roten Faden durch die Stationendramaturgie.<br />
Nicht einzelne Personen und ihr Schicksal interessieren<br />
ihn, sondern das System in seinem Funktionieren. Das<br />
Krankenhaus als nicht immer reibungslos arbeitende<br />
Institution, in der intensive Kooperation und Kommunikation<br />
notwendig ist. Die Fachsprache von Ärzten<br />
und Schwestern gibt einem mehr als einmal Rätsel auf.<br />
In all dem ist Geyrhalter ein beobachtender Regisseur,<br />
der genau hinsieht, seine Funde zeigt und sich dabei<br />
der Interpretation enthält. Die findet man allerdings im<br />
Schnitt. Sehr geschickt und fast unmerklich montiert<br />
der Autor auch nach Beziehungen in den Abläufen und<br />
den Szenerien, schafft so Binnenspannung und fügt die<br />
Mosaik zu einem Ganzen. Es zeigt sich deutlich, dass<br />
der Film als Ganzes weit mehr ist als die Summe seiner<br />
einzelnen Teile.<br />
■ KRITIK ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 41<br />
Dabei arbeitet Nikolaus Geyrhalter mit der gleichen<br />
Methode wie in seinem mehrfach preisgekrönten Film<br />
„Unser täglich Brot“: strenge Kadrierung, kein Kommentar,<br />
keine Musik, keine Interviews oder gar Expertenstatements.<br />
Einordnung und Bewertung der Bilder<br />
obliegen dem Zuschauer. Geyrhalter hatte überall im<br />
Krankenhaus drehen dürfen, musste aber natürlich die<br />
Patientenrechte achten. So wurden die Namen verändert<br />
und Gesichter von Patienten mit Hilfe von Computertechnik<br />
ausgetauscht - so hatte der Autor es auch schon<br />
in seinem letzten Film „Abendland“ gehalten.<br />
Dennoch entfaltet „Donauspital“ nicht die gleiche<br />
Faszination wie seinerzeit „Unser täglich Brot“. Wahrscheinlich<br />
weil wir hier zwar angstbesetztes Terrain<br />
betreten, aber dabei nicht noch unser schlechtes Gewissen<br />
mobilisieren müssen, wie bei industrieller Nahrungsmittelproduktion<br />
und Tierhaltung geläufig. Hier<br />
haben wir es mit der Maschine Krankenhaus zu tun.<br />
Das kann zwar auch anknüpfen an eine Abwehrhaltung<br />
zu technisch dominierter Medizin und spielen mit dem<br />
latenten Verdacht ihrer Menschenfeindlichkeit. Aber:<br />
Wenn es sich auch um eine Maschine handelt, in der<br />
alle Rädchen funktionieren müssen und in die man sich<br />
auch als Patient eingliedern muss - am Ende sind wir<br />
doch dankbar für deren technische Errungenschaften,<br />
spätestens im Notfall.<br />
Neben seiner Baukastendramaturgie zieht Geyrhalter<br />
auch noch einen erzählerischen Bogen von der Frühchen-<br />
Station bis zur Kühlkammer mit den Verstorbenen: Der<br />
Kreislauf von Leben und Tod, der dem Krankenhaus eingeschrieben<br />
ist. Der Film endet mit der Fahrt eines Toten<br />
im Sarg durch den Transportkollektorgang. Der Wagen<br />
mit dem Sarg wird von Menschen geschoben, nicht<br />
von den herumkurvenden Transportrobotern und nicht<br />
unter dem Klang der Stimme „Achtung, automatischer<br />
Transport“. Soviel Pietät muss sein. Fritz Wolf<br />
Knotenpunkte deutscher Geschichte<br />
„Und dann“, Regie: Cordula Dickmeiß, Buch: Wolfram<br />
Höll (Deutschlandradio Kultur, 14.11.12, 21.33-<br />
22.13 Uhr)<br />
<strong>epd</strong> Manchmal bedarf es nur weniger Worte, um eine<br />
Situation an einen Ort zu binden und zugleich weite<br />
Assoziationshorizonte zu öffnen. „Panzerparadenlangenstraße“<br />
ist so ein Wort, „Würfelmittausendstimmendrinnen“<br />
ist ein anderes und „Verlierling“ ein drittes.<br />
Was den Menschen ein Findling, ist dem Gletscher ein<br />
Verlierling, den er auf seinem Weg vergessen hat. Und<br />
dann hat der Mensch um drei Verlierlinge vier Platten
42 <strong>epd</strong> medien ■ <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> · 30.11.2012<br />
gebaut. Keine besonders hohen, aber dafür sehr lange<br />
Häuser.<br />
Die drei Figuren, zwei Söhne und ihr Vater, in dem<br />
Theatertext „Und dann“ des jungen Autors Wolfram<br />
Höll, geboren 1986 in Leipzig, wohnen in einem „dieganzestraßelangistes<br />
Haus“. Selbst wenn man in dem<br />
Hörspiel die typographischen Wortverkettungen nicht<br />
direkt hören kann, so teilen sie sich doch unterschwellig<br />
mit. Nicht weil Fabian Busch und Florian Lukas sie<br />
so pausen- und zwischenraumlos sprechen würden,<br />
sondern weil die Schauspieler sich in die Weltwahrnehmung<br />
eingefühlt haben, aus der die Wörter entsprungen<br />
sind. Denn es sind Kinder, die ihre Welt zwischen den<br />
Plattenbauten so beschreiben.<br />
Die Zeit, die sie erleben, ist eine transitorische, die<br />
zwischen dem Ende der DDR und dem Beginn des wiedervereinigten<br />
Deutschlands. Eben noch haben sie mit<br />
ihrem Vater (Michael Hanemann) an der „Panzerparadenlangenstraße“<br />
die „Panzerparadenlangenstraßenparade“<br />
angesehen, schon ist aus ihr eine „Jedentagwagenparadestraße“<br />
geworden, auf der „Altwestwagen“ nach<br />
Osten fahren und wieder zurück.<br />
Der Vater, der eben noch in einem, bei der Bevölkerung<br />
ziemlich unbeliebten Riesenhaus oder einem „Hausriesen“<br />
(der Stasi oder der Partei?) gearbeitet hat, bastelt<br />
jetzt nur noch an einem Projektor herum, mit dem er<br />
Filmbilder seiner Frau und seiner Kinder an die gegenüberliegende<br />
Häuserwand wirft. Falls er nicht mit seinem<br />
Funkgerät (eben jenem „Würfelmittausendstimmendrinnen“)<br />
in den Äther lauscht, um die Stimme seiner Frau<br />
zu finden, die ihm ebenso abhandengekommen ist wie<br />
den Gletschern ihre Verlierlinge.<br />
Wolfram Höll soll den Text zu „Und dann“ auf einer<br />
Schreibmaschine verfasst haben, einem Werkzeug, das<br />
■ KRITIK ■<br />
die Wörter unmittelbar fixiert, ohne die Möglichkeit<br />
des schnellen Löschens und Überschreibens. Die daraus<br />
resultierende notwendige Genauigkeit scheint man dem<br />
Text anzumerken, ebenso wie den Weißraum, durch den<br />
sich die Geraden der Schrift ziehen und der dem Hörer<br />
eigene Räume der Zuhörkunst eröffnet.<br />
Bestimmte literarische Motive tauchen im Text immer<br />
wieder auf wie Findlinge in der kargen Gleichförmigkeit<br />
einer plan geschliffenen Landschaft. Das Motiv des<br />
Plattenbaus als wörtlich genommene Projektionsfläche<br />
gehört dazu, ebenso das der russlanddeutschen Spätaussiedler,<br />
die als Vater, Mutter, Kind immer zu dritt als<br />
eine Art Heilige Familie ein Bild vor sich hertragend<br />
prozessionsartig durch die Plattenbausiedlung streifen.<br />
Regisseurin Cordula Dickmeiß hat den Text, den Deutschlandradio<br />
Kultur beim „Stückemarkt“ des Berliner Theatertreffens<br />
2012 zum besten „Theatertext als Hörspiel“<br />
gewählt hat, so überzeugend inszeniert, dass man ihn<br />
sich kaum mehr auf der Theaterbühne vorstellen kann.<br />
Sie hat den Text in seiner Motivstruktur ernst genommen<br />
und in ihrer Schauspielerführung auf jeden kindlichen<br />
Naturalismus verzichtet. Die so nur im Radio mögliche,<br />
sehr transparente Schichtung von Texten und Stimmen<br />
zum Höhepunkt des knapp 40-minütigen Hörspiels erzeugt<br />
zusammen mit dem suggestiven Sounddesign des<br />
Komponisten Tilman Ehrhorn ein dichtes und zugleich<br />
luftiges Textgewebe, an dessen Knotenpunkten sich<br />
deutsche Geschichte abgelagert hat.<br />
„Und dann“ ist der Schluss- und Höhepunkt der Hörspielreihe<br />
„Transitraum“, mit der sich Deutschlandradio<br />
Kultur an die historischen Umbrüche der Jahre 1989/<br />
90 erinnert hat, und es ist eines der besten Hörspiele<br />
des Jahres 2012. Jochen Meißner
■ DOKUMENTATION<br />
Jury-Begründungen<br />
Die Preise beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden 2012<br />
<strong>epd</strong> Beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden sind<br />
am 23. November die Preise verliehen worden. Wie<br />
jedes Jahr waren zwölf Filme im Wettbewerb um<br />
den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der<br />
Darstellenden Künste. Die Filme wurden vom 20.<br />
bis 22. November öffentlich vorgeführt und diskutiert.<br />
Der Jury gehörten an: Michael Schmid-Ospach<br />
(Vorsitzender der Jury, langjähriger Geschäftsführer<br />
der Filmstiftung NRW), Rolf Bolwin (Geschäftsführender<br />
Direktor des Deutschen Bühnenvereins),<br />
Doris Metz (Regisseurin), Diemut Roether (Verantwortliche<br />
Redakteurin <strong>epd</strong> medien). Natalia Wörner<br />
(Schauspielerin) und Sönke Wortmann (Regisseur).<br />
Bei der Gala wurden auch der Hans-Abich-Preis und<br />
der Rolf Hans-Müller-Preis für Filmmusik verliehen.<br />
Der Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden<br />
Künste geht an<br />
Volker Schlöndorff (Buch und Regie) für „Das Meer<br />
am Morgen“ (ARTE/ARD/BR/NDR/SWR)<br />
Begründung<br />
„Das Meer am Morgen“, so der Titel des Films, hält,<br />
was er verspricht. Es geht in die Tiefe und in die Weite<br />
menschlicher Abgründe. Es ist eine Reise, aus der es kein<br />
Entrinnen gibt. Der Film hat eine europäische Seele.Er<br />
wagt sich auf subtile und intelligente Weise in die<br />
komplexe deutsch-französische Kriegs- und Kollaborationsrealität<br />
des Zweiten Weltkriegs hinein. Es ist die<br />
minutiöse und unerbittliche Beobachtung einer Massenhinrichtung,<br />
an der der Zuschauer teilnimmt. Und dabei<br />
werden wir als Betrachter Teil eines scheinbar logischen<br />
und unmenschlichen Räderwerks. Der Kinomann Schlöndorff<br />
inszeniert zum ersten Mal einen Fernsehfilm. Er<br />
durchdringt das Medium Fernsehen und führt es an die<br />
Grenzen seiner inhaltlichen wie formalen Möglichkeiten.<br />
Er berührt, verzaubert und bringt unseren Atem zum<br />
Stocken.Der Film ist kein Event - er ist ein Ereignis.<br />
Der Preis für eine herausragende darstellerische Leistung<br />
geht an<br />
Ulrich Noethen für seine Leistung in „Das unsichtbare<br />
Mädchen“ (ZDF/ARTE)<br />
Ulrich Noethen spielt in „Das unsichtbare Mädchen“<br />
den skrupellosen Polizeikommissar Michel, der in der<br />
fränkischen Provinz auf brutale Weise seinen Machtbe-<br />
■ DOKUMENTATION ■ 30.11.2012 · <strong>Nr</strong>. <strong>48</strong> ■ <strong>epd</strong> medien 43<br />
reich sichert. Er ist der Ordnungshüter, der seine eigene<br />
Unordnung schafft. In seinem Spiel wechselt Noethen<br />
zwischen subtiler Bösartigkeit und brutaler Gewalt. Ulrich<br />
Noethen, der kein gebürtiger Franke ist, beherrscht<br />
als Kommissar Michel alle Nuancen des Fränkischen,<br />
als habe er sein Leben tatsächlich dort verbracht. Hinzu<br />
kommt die grandiose physische Präsenz dieser Figur,<br />
der man jederzeit einen Wutausbruch zutraut. Am Ende<br />
wird der böse Dorfsheriff erschossen. Selten war man<br />
als Zuschauer so erleichtert.<br />
Der Preis für Regie geht an<br />
Stephan Wagner für „Der Fall Jakob von Metzler“<br />
(ZDF)<br />
Darf die Androhung von Folter das letzte Mittel sein,<br />
um das Leben eines Kindes zu retten? Diese Frage<br />
steht im Mittelpunkt des Films „Der Fall Jakob von<br />
Metzler“. Regisseur Stephan Wagner erzählt in diesem<br />
schnörkellosen, dokumentarisch wirkenden Film eine<br />
Geschichte, deren tragischer Ausgang den meisten Zuschauern<br />
bekannt sein dürfte. Er hält sich an vorliegende<br />
Protokolle und Gerichtsakten, erzählt das Geschehen<br />
unaufgeregt und detailgetreu nach und macht aus<br />
der hoch komplizierten, spröden Abwägung zwischen<br />
unterschiedlichen Rechtsgütern einen packenden Film.<br />
Nicht zuletzt liegt das an einem vom Regisseur hervorragend<br />
geführten Ensemble, das das Räderwerk<br />
professioneller Polizeiarbeit und auch die anschließende<br />
Verhandlung des Falls vor Gericht überzeugend darstellt.<br />
Der Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Wolfgang<br />
Daschner, wird in diesem Film zum tragischen Helden,<br />
ein pflichtbewusster Beamter, der meint, im Recht zu<br />
sein, als er die Anweisung gibt, dem Entführer „unmittelbaren<br />
Zwang“ anzudrohen. Der Rechtsstaat, das macht<br />
dieses gelungene intellektuelle Wagestück deutlich, ist<br />
ein komplexes und fragiles Gebilde.<br />
Der Preis für Drehbuch geht an<br />
Magnus Vattrodt für „Liebesjahre“ (ZDF)<br />
Die Räumung und den Verkauf des gemeinsamen Hauses<br />
eines seit Jahren geschiedenen Ehepaars macht Magnus<br />
Vattrodt mit seinem Drehbuch zu einem wunderbaren<br />
Kammerspiel für vier Personen. Die Dialoge sind intelligent,<br />
schnell und witzig, ja, oft scharfsinnig und<br />
zugleich von besonderer Tiefe. Diese entspringt dem
<strong>epd</strong> medien Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt GEP Postfach 50 05 50 60394 Frankfurt am Main 20109<br />
Wissen von der Vergänglichkeit des Lebens, das sich<br />
mal in die wahren Gefühle schützender Kälte, mal in<br />
Panikattacken, mal in einem fast melancholischen Pragmatismus<br />
äußert. So entwickelt sich ein Spiel zwischen<br />
Festhalten und Loslassen, zwischen Verdrängung und<br />
Realität. Doch am Ende finden alle zu ihrer eigenen<br />
Wahrheit und spüren, dass die Liebe alles ist und bleibt,<br />
auch wenn es zuweilen an den Fähigkeiten mangelt, sie<br />
zu leben.<br />
Der Autor kennt sich wirklich aus mit seinen Personen<br />
und so wird „Liebesjahre“ zu einem kleinen filmischen<br />
Meisterwerk mit vier großartigen Schauspielern.<br />
Der Hans-Abich-Preis für herausragende Verdienste im<br />
Bereich Fernsehfilm geht an<br />
Klaus Doldinger<br />
Der Jazz ist seine Passion, das Saxophon seine Liebe:<br />
Seit über 55 Jahren steht Klaus Doldinger auf der Bühne.<br />
Doch genauso ist das Studio sein Arbeitsplatz. 1967<br />
ertönte die erste Melodie, die er für das Fernsehen<br />
schrieb. Es war der Trailer zur Einführung des Farb-<br />
■ NOTIERT<br />
■ „Die Tageszeitung müsste also,<br />
so folgerten viele, künftig anderes<br />
leisten: analysieren, einordnen,<br />
Hintergründe liefern, Haltungen<br />
und Meinungen vertreten. Dagegen<br />
gibt es zunächst schon deshalb<br />
nichts einzuwenden, weil es zu<br />
dieser Idee gar keine Alternative<br />
gibt. Das Problem für die meisten<br />
Tageszeitungen wird nur sein, dass<br />
genau dieses Geschäft schon von<br />
vielen anderen ausgesprochen gut<br />
und erfolgreich betrieben wird, man<br />
nennt sowas auch Wochenzeitung.<br />
Die Idee also, die Tageszeitung zu<br />
einer Art täglichen Wochenzeitung<br />
zu machen, ist schon ganz hübsch,<br />
die Frage ist nur, ob es für diese<br />
inhaltliche Kehrtwende bei vielen<br />
nicht schlichtweg zu spät ist. Selbst<br />
da muss die FR leider als Beispiel<br />
herhalten: Es wäre ja nicht so, dass<br />
das Blatt blind in Richtung Abgrund<br />
gelaufen wäre. Man hat ja durchaus<br />
einiges versucht und am Ende<br />
sogar eine durchaus vorbildliche<br />
fernsehens. Kurz darauf folgte die Titelmelodie für den<br />
ersten „Tatort“, die bis heute beibehalten wurde. Sein<br />
größter Erfolg im Film und Fernsehen ist die Musik<br />
zu „Das Boot“. Zahlreiche Fernsehserien wurden mit<br />
seiner Musik untermalt. In den letzten Jahren hat er für<br />
die Filme des Meisterregisseurs Oliver Storz die Musik<br />
komponiert.<br />
Der Rolf-Hans-Müller-Preis für Filmmusik geht an<br />
Daniel Sus für die Musik zu dem Film „Sommer<br />
auf dem Land“ (Polen/Deutschland/Finnland 2011,<br />
Regie: Radek Wegrzyn)<br />
Begründung<br />
Tablet-App produziert. Die Abwärts-<br />
Spirale war trotzdem nicht mehr<br />
aufzuhalten.“ - Christian Jakubetz<br />
in „JakBlog“.<br />
■ „Das Fernsehen der Zukunft<br />
muss spontan und simultan sein<br />
oder es wird nicht mehr sein. Dieses<br />
lineare Greisentum, diese beamtenhafte<br />
Verwaltung von sensationellen<br />
Augenblicken, das ist das Elende.<br />
Mit Augenblicken dieser Aura, mit<br />
Momenten, die das Herz stillstehen<br />
lassen, geht man nicht so fahrlässig<br />
um. Das Fernsehen ist doch stets<br />
auf der Suche nach Authentizität<br />
(...). Die ARD hätte in diesem transzendentalen<br />
Traumtor-Moment<br />
ihre nationale Brille abnehmen<br />
und den Blick des globalen Trüffelschweins<br />
sich zu eigen machen<br />
müssen, denn das ist der Blick, mit<br />
dem junge Leute heute das Netz bereisen.<br />
Wacht auf! Werdet lebendig!<br />
Danke, Zlatan!“ - Torsten Körner in<br />
der „Funkkorrespondenz“.<br />
Für die Vertonung von „Sommer auf dem Land“ komponierte<br />
Daniel Sus eine sehr einfühlsame und sehr<br />
wandlungsfähige Musik, die auf der Basis von osteuropäisch<br />
geprägten Musikfarben komödiantische und<br />
dramatische Züge vereint und zugleich auf sensible<br />
Weise die Charaktere der Hauptdarsteller widerspiegelt.<br />
■ „Journalisten fühlen sich - vielleicht<br />
und hoffentlich - einer gewissen<br />
Wahrhaftigkeit und Redlichkeit<br />
verpflichtet, aber sie haben nicht<br />
,die Aufgabe’, irgendeine ,Wahrheit’<br />
zu verbreiten, und schon gar nicht<br />
die ,Wahrheit’ der Politiker und der<br />
politischen Aktivisten. Jenseits der<br />
staatlichen Institutionen und der<br />
Einrichtungen, die auf der Basis des<br />
Grundgesetzes staatlicher Kontrolle<br />
unterstehen, gibt es überhaupt<br />
keine Funktionen oder Aufgaben<br />
in einer freiheitlichen Gesellschaft.<br />
Man kann zwar moralisch appellieren,<br />
dass ein jeder Bürger und eine<br />
jede Journalistin die Aufgaben, die<br />
sie sich selbst gesucht und gestellt<br />
haben, redlich und gewissenhaft<br />
ausführt, man kann juristisch durchsetzen,<br />
dass sie sich dabei an die<br />
geltenden Gesetze halten, aber niemand<br />
hat das Recht, über Aufgaben<br />
einer Zeitung oder irgendeines Unternehmens<br />
zu befinden, die diesen<br />
,von der Gesellschaft’ zugewiesen<br />
werden könnten.“ - Jörg Friedrich in<br />
„Telepolis“.<br />
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