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Kurze Geschichte des Schadenausgleichsrechts - Hardy-Landolt.ch

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<strong>Hardy</strong> <strong>Landolt</strong>*<br />

Ku rze G esc h ic hte<br />

<strong>des</strong> S<strong>ch</strong>adena usglei<strong>ch</strong>sre<strong>ch</strong>ts<br />

L Strafsystem<br />

A. S<strong>ch</strong>adenszufügung als Unre<strong>ch</strong>t<br />

Das bewusste Zufügen eines S<strong>ch</strong>adens stellt ein Unre<strong>ch</strong>t dar. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte er-<br />

leidet eine ideelle und/oder eine wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Beeinträ<strong>ch</strong>tigung eines Gutes.<br />

das die Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft als s<strong>ch</strong>ützenswert betra<strong>ch</strong>tet. Das Zufügen eines Un-<br />

re<strong>ch</strong>ts hat ursprüngli<strong>ch</strong> eine Ra<strong>ch</strong>ehandlung ausgelöst. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte oder -<br />

stellvertretend für ihn - <strong>des</strong>sen Sippe fügte dem S<strong>ch</strong>ädiger einen Na<strong>ch</strong>teil zu. mit<br />

dem das Unre<strong>ch</strong>t bzw. die ideelle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung ausgegli<strong>ch</strong>en wurdel. Einen<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wertersatz hat das private Ra<strong>ch</strong>esystem grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t be-<br />

wirkt. Im Gegenteil, sie führte zu einer potentiellen S<strong>ch</strong>adenvervielfa<strong>ch</strong>ung, weil<br />

die Ra<strong>ch</strong>ehandlung entweder gegenüber dem S<strong>ch</strong>ädiger zu exzessiv ausfiel oder<br />

ihrerseits beim Ges<strong>ch</strong>ädigten eine erneute Unre<strong>ch</strong>tshandlung provozierte. Ein<br />

zumin<strong>des</strong>t ansatzweiser S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong> erfolgte erst dann, als die Ra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong><br />

Bussgelder abgelöst wurde. Der S<strong>ch</strong>ädiger musste z:ur Sühne der ideellen Beein-<br />

trä<strong>ch</strong>tigung entweder einen Wertersatz erbringen oder si<strong>ch</strong> selbst bzw einen<br />

S<strong>ch</strong>utzbefohlenen in personam ausliefern (Noxialhaftung)2. Bei<strong>des</strong> bewirkte<br />

beim Ges<strong>ch</strong>ädigten oder <strong>des</strong>sen Sippe indirekt einen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Ausglei<strong>ch</strong>.<br />

.<br />

PD Dr. iur., LL.M., Re<strong>ch</strong>tsanwalt, Glarus.<br />

t Das Ra<strong>ch</strong>e- bzw. Talionsprinzip ist in den ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstexten allgegenwärtig (vgl. z.B. 2. M.<br />

21,23-25:


B. Trennung von Straf- und Haftungsre<strong>ch</strong>t<br />

Spätestens mit dem Aufkommen staatli<strong>ch</strong>er Gewalt im Spätmittelalter hat si<strong>ch</strong><br />

die ehemals bloss graduelle Tiennung von Straf- und Haftungssystem vollzogen3.<br />

Dies fand ihren Nieders<strong>ch</strong>lag in der Verabs<strong>ch</strong>iedung hoheitli<strong>ch</strong>er Geri<strong>ch</strong>tsordnungen,<br />

namentli<strong>ch</strong> der Carolina von 15324. Straf- und Haftungsre<strong>ch</strong>t standen<br />

nunmehr als z*-ei wesensmässig vers<strong>ch</strong>iedene Re<strong>ch</strong>tssvsteme nebeneinander. Eine<br />

strukturelle Verwandts<strong>ch</strong>aft zwis<strong>ch</strong>en Straf- und Haftungsre<strong>ch</strong>t blieb in<strong>des</strong> bis in<br />

die Gegenwart bestehen. Das Vers<strong>ch</strong>trldensprinzip dominiert bis heute beide Systemes.<br />

Der Staat ist - na<strong>ch</strong> heutigem Verständnis - allein für die Sühne <strong>des</strong> ideellen Unre<strong>ch</strong>ts<br />

zuständig. Der Täter bzw. S<strong>ch</strong>ädiger muss eine Freiheitsstrafe verbüssen<br />

oder dem Staat ein Bussgeld entri<strong>ch</strong>ten6, allenfalls weitere persönli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>teile<br />

auf si<strong>ch</strong> nehmenT. Das Strafmass ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der inneren Einstellung und<br />

ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> der Höhe <strong>des</strong> verursa<strong>ch</strong>ten S<strong>ch</strong>adens. wennslei<strong>ch</strong> dieser ein Zumessungskriterium<br />

sein kann8.<br />

Der Ges<strong>ch</strong>ädigte ist aber ni<strong>ch</strong>t gänzli<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen. Er kann und muss die<br />

ideelle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung seiner Ehre - je na<strong>ch</strong> Kanton - dur<strong>ch</strong> ein privates Strafklageverfahren<br />

ausglei<strong>ch</strong>ene. kann wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wertersatz im Rahmen eines<br />

der deuts<strong>ch</strong>en Strafre<strong>ch</strong>tspflege. S. 4., Götting en,24ff .l als au<strong>ch</strong> im römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisen<br />

{vgl. z.B. Jnrusrru, N. [20031 Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts. <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik<br />

a u ss e rv e rtr a g I i c h e r A n s p rü c h e a uf S c h a d e n s e rs atz, Tü bin g e n, 222'fI.l.<br />

Ahnticn der Trennung <strong>des</strong> Privatstrafre<strong>ch</strong>ts vom bereits im römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> entrruickelnden<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Strafre<strong>ch</strong>t, vgl. dazu Lrees, D. (2002) Öffentli<strong>ch</strong>es und Privatstrafre<strong>ch</strong>t in der römis<strong>ch</strong>en<br />

Kaiserzeit, in: Wrrrzu 2002,11 ft.<br />

Vgl. dazu Scslossen, H (2002) Herrs<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Strafen seit dem Ho<strong>ch</strong>minelalter. Formen und Entwicklungsstufen,<br />

Köln, ScHnororn, F.-C. {2000) Die peinli<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>tsordnung Kaiser Karls V. und<br />

<strong>des</strong> Heiligen Römis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s von 1532, Stuttgart, und Wru-owlrr, D. (1999) Die Entstehung <strong>des</strong><br />

öff e ntli c h e n Stra fre<strong>ch</strong>ts. Köl n.<br />

Vgl. dazu Art. l8 Abs. 1 StGB sowie Art.41 Abs. 1 0R und infra ll/8.<br />

Vgl. Art.35 ff. und Art.48 StGB.<br />

Siehe Art.42 ff. StGB (Anstaltseinweisung), Art.5'l StGB (Amtsunfähigkeit), Aft. 53 StGB (Entzug<br />

elterli<strong>ch</strong>er Sorge), Art.54 StGB (Berufsverbotlund Art.55 StGB (Lan<strong>des</strong>verweisunglsowie Art.56<br />

StG B (Wirtsha usverbot).<br />

Vgl. Art. 41ZifI.1, Ar. 64, Art. 77 ff. und Art. 80 Ziff. 2 StGB.<br />

Siehe z.B. Eg 286 ff. Gesetz betreffend den Strafprozess (Strafprozessordnung) vom 04.05.1919<br />

(Kanton Züri<strong>ch</strong>lund ferner Bnurrrnrur,l. (1988) Der gewöhnli<strong>ch</strong>e Ehrverletzungsprozess gemäss der<br />

Strafprozessordnung <strong>des</strong> Kantons Züri<strong>ch</strong>, Diss. Züri<strong>ch</strong>, BrnrscHr, R. (1946) Die subsidiäre Privat'<br />

strafklage na<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>em Strafprozessre<strong>ch</strong>t Diss.7üri<strong>ch</strong>, ErcHENsrRcen, K. (19061 Privatstrafklage<br />

und Strafantrag na<strong>ch</strong> aargauis<strong>ch</strong>em Zu<strong>ch</strong>tpolizeire<strong>ch</strong>t, Diss. Bern, Heen, J. H. (1925) Die<br />

prinzipale Privatstrafklage im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te, Diss. Züri<strong>ch</strong>, Meren, R. (1993) Der zugeris<strong>ch</strong>e<br />

Ehrverletzungsprlzest Diss. Züri<strong>ch</strong>, Scunrrorn, R. M. (1977) Der Ehrverletzungsprozess im<br />

thurgauis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t, Diss. Züri<strong>ch</strong>, und Wrrmruo, G. (1968) Der bündneris<strong>ch</strong>e Ehrverletzungspro'<br />

zest Diss. Freiburg i.Ü.


Adhäsionsprozesses anstrebenlo oder dur<strong>ch</strong> einen Strafantrag dafür sorgen, dass<br />

der Staat gegen einen Re<strong>ch</strong>tsbre<strong>ch</strong>er vorgehtl r. Den Opfern von Stra.ftafen stehen<br />

zudem S<strong>ch</strong>adenersatzleistungen 2u12.<br />

Das heutige Strafsystem ist sol<strong>ch</strong>erart ein Mis<strong>ch</strong>svstem. Es ist zwar kollektivi-<br />

stis<strong>ch</strong> konzipiert und auf die Kompensation ideeller Na<strong>ch</strong>teile ausgeri<strong>ch</strong>tet. weist<br />

aber individualistis<strong>ch</strong>e Strukturelemente aui die mitunter auf den Ersatz wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Na<strong>ch</strong>teile geri<strong>ch</strong>tet sind. Haftungs- und Strafsystem sind aber trotz aller<br />

Nähe wesensmässig vers<strong>ch</strong>ieden: Der Zivilri<strong>ch</strong>ter ist ni<strong>ch</strong>t an ein Strafirteil ge-<br />

bundenl3.<br />

Ergänzt wird das kollektive Strafsystem dur<strong>ch</strong> das individuelle Persönli<strong>ch</strong>keits-<br />

s<strong>ch</strong>utzsystent. Dieses gewährt dem Betroffenen Abwehr-, Beseitigttngs- und Kompensationsansprü<strong>ch</strong>era.<br />

will also primär den Eintritt sowohl einer ideellen als au<strong>ch</strong><br />

einer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Beeinträ<strong>ch</strong>tigung verhindern. Das Haftungssystem demgegenüber<br />

setzt - wie das Strafre<strong>ch</strong>t - den Eintritt eines Unre<strong>ch</strong>ts voraus und bezweckt<br />

nur den Ausglei<strong>ch</strong> einer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Beeinträ<strong>ch</strong>tigung. mithin eines<br />

S<strong>ch</strong>adensrs.<br />

1o Vgl. Art.8f.0HG, Art.60 StGB, fernerz.B.910Abs.2 Gesetz betreffend den Strafprozess (Strafprozessordnung)vom<br />

04.05.1919 (Kanton Züri<strong>ch</strong>)sowie BGE 126 lV 38 und 125 lV 153. Siehe dazu<br />

Dourruro, J. (1990) Die Adhäsionsklage in Bündner Strafprozess, Dlss. Züri<strong>ch</strong>, HnusrR, R. (1992) Das<br />

Adhäsionsurteil in: Aktuelle Probleme der Kriminalitätsbekämpfung. Fests<strong>ch</strong>rift zum Sljährigen<br />

Bestehen der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Kriminalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft,Bern,20T fL, HnusEn, R. (1996) Die<br />

Zuspre<strong>ch</strong>ung von Genugtuung im Adhäsionsurteil, in: S<strong>ch</strong>nzeizeris<strong>ch</strong>e Zeits<strong>ch</strong>rift für Strafre<strong>ch</strong>t<br />

1996, 187 ff., Kresrn, U. (1988)Die Auswirkungen <strong>des</strong> Zivilprozessre<strong>ch</strong>ts auf den Adhäsionsprozess,<br />

in: SJZ 1988,353 ff., Rnporo, W. (1958) Der erstinstanzli<strong>ch</strong>e Zür<strong>ch</strong>er Adhäsionsprozess, speziellin<br />

seinen Beziehungen zum Zivilprozesq Winterthur, und RrHeEne , J. (1989) Zum zür<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>en Adhäsionsprozess<br />

in: Fests<strong>ch</strong>rift f ür Max Keller zum 65. Geburtstag,Türi<strong>ch</strong>,627 tf .<br />

It Vgl. Art. 28 StGB.<br />

12 Siehe dazu infra lV/C.<br />

ts Vgl. Art. 53 0R.<br />

14 Vgl. dazu Art. 28ft.ZGB.<br />

15 Die Genugtuung (vgl. Art.47 und 49 0R)weist ebenfalls eine S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong>sfunktion auf. Sie<br />

dient zwar nur der Kompensation von wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t messbaren Na<strong>ch</strong>teilen. hat aber keinen<br />

pönalen Zweck. Sie bemisst si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>were der S<strong>ch</strong>uld <strong>des</strong> Täters, sondern na<strong>ch</strong> der<br />

S<strong>ch</strong>were der Verletzung (vgl. Art. 49 Abs. 1 0R) und ist in s<strong>ch</strong>weren Fällen betragsmässig auf rund<br />

200 000 Franken bes<strong>ch</strong>ränkt (vgl. statt vieler Sroren, M. [1999] Die Genugtuung und ihre Bere<strong>ch</strong>nung<br />

in: S<strong>ch</strong>aden - Haftung - Versi<strong>ch</strong>erung [Eds. Mün<strong>ch</strong>, P. und Geiser, T.], Basel/Genf/Mün<strong>ch</strong>en,<br />

445 ff.). Bussen demgegenüber weisen einen pönalen Zweck auf und betragen einen Franken bis<br />

40000 Franken, können diesen Betrag allerdings bei Gewinnsu<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> Täters übersteigen (vgl.<br />

Art.48 StGB).


ll.<br />

A.<br />

Haftungssystem<br />

Allgemeines<br />

Ein eigentli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong>, und damit eine Haftung, setzt voraus, dass das<br />

ni<strong>ch</strong>t nur dem Ges<strong>ch</strong>ädigten zufällt - was im privaten Strafverfahren<br />

"Bussgeld"<br />

der Fall ist -, sondern überdies na<strong>ch</strong> Massgabe <strong>des</strong> wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Interesses an-<br />

gesetzt wird. Eine derartige Individualisierung und damit letztli<strong>ch</strong> eine Entkop-<br />

pelung <strong>des</strong> Straf- vom Haftungsre<strong>ch</strong>t vollzog si<strong>ch</strong> sowohl im römis<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong><br />

im germanis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t allmähli<strong>ch</strong>. Im Einzelnen ist vieles unklar, insbesondere<br />

inwieweit die Lex Aquilia ein eigentli<strong>ch</strong>es Haftungssystem war oder - wie die ur-<br />

sprüngli<strong>ch</strong>en XII-Täfeln16 - ein privates Strafsystem mit flexiblen Bussgeldern<br />

darstellterT und ferner das römis<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Haftungsverständnis von den<br />

mittelalterli<strong>ch</strong>en Glossatorenls, dem Usus Modernusle und der Pandektistik rezi-<br />

piert und modifizierf vvglds2ttund so Eingang in die kontinentaleuropäis<strong>ch</strong>en Ko-<br />

difikationen (Code Civil [1804],ABGB [1811] etc.) gefunden hat2r.<br />

ts Vgl. dazu statt vieler Jöns, P./KurureL, W., rr nt. (19181 Bömis<strong>ch</strong>es Be<strong>ch</strong>t.3. 4., Berlin, 3 ff., und ferner<br />

Hnerr',rnruru, M. (1997) lniuria. Von den Xll-Tafeln bis zur Justinianis<strong>ch</strong>en Kodifikation, Diss. Basel.<br />

r7 Weiterführend dazu BpHnrruos, 0. (1985) Römis<strong>ch</strong>re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Exegese. Das deliktis<strong>ch</strong>e Haftungssystem<br />

der lex Aquilia, in:Jus 1985,878 ff., Brsrrrru, R. (1994) Das deliktis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensersatzre<strong>ch</strong>t der<br />

LEX AAUILIA in der Be<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung <strong>des</strong> ßei<strong>ch</strong>sgeri<strong>ch</strong>ts, Diss. Hamburg, Hnusunrurrueen, H. ('1996)<br />

Das S<strong>ch</strong>adenersatzre<strong>ch</strong>t der lex Aquilia. S. A.,Wien, Brnrs, P. B. H. (1969)The Early History of iniuria,<br />

in: lljds<strong>ch</strong>rift voor Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>iedenis 1969,163 ff., Jnrusrru, N. (2003) Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts.<br />

<strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik ausservertragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e auf S<strong>ch</strong>adensersatz,Tübingen,<br />

205ft., Pue su1 D. {1982} 0n the lex Aquuilia and culpa, in: Tijds<strong>ch</strong>riftvoor Re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>iedenis1982,1<br />

ff., ScHeerrz, B. (1988) Bere<strong>ch</strong>nung <strong>des</strong> Ersatzes na<strong>ch</strong> der Lex Aquilia, Diss. Berlin, Sruoru,<br />

D. V. (19651 Begriff und Tatbestand der rrlniuriar im altrömis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t, in'. ZRG ßA 1965, 132 ff., Tunn,<br />

A. v. (1892) Zur S<strong>ch</strong>ätzung <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>adens in der Lex Aquilia. Rudolf von Jhering zur Feier seines fünzigjährigen<br />

Doctorjubiläums am 6. August l892,Basel, sowie ZrH,rlenunruru, R. (1996) Ihe law of obligations.<br />

Roman foundations of the civilian tradition,0xford, 902 ff., insbes. 953 ff.<br />

ta Vgl. dazu Jarusrru, N. (2003) Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts. <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dognatik<br />

ausservertragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e auf S<strong>ch</strong>adensersatz, Tübingen, 271 ff ., Kor'rre , R. (1954l, Das allgeneine<br />

S<strong>ch</strong>adensersatzre<strong>ch</strong>t im Mittelalter im Ans<strong>ch</strong>luss an die lex Aquilra, Diss. Frankfurt a.M., und<br />

Lnr,ree, H. (1955) S<strong>ch</strong>adenersatz und Privatstrafe in der mittelalterli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tstheorie, Münsterl<br />

Köln, sowie - fü r d as Common Law - Jeuowrr'rE, J. W. (1983) Ion, crime, and police in mediaeval Britain.<br />

A review of some early law and custom, Littleton.<br />

ts Vgl. dazu Jnruseru, N. (20031 Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts. <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik<br />

ausservertragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e auf S<strong>ch</strong>adensersatz, Tübingen, 289 ff., und Kaurunrurrr, H. (1958) Bezeption<br />

und Usus Modernus der actio legis Aquiliae, Böhlau.<br />

20 Vgl. dazu BEruönn, H.-P. (1976blZur ausservertragli<strong>ch</strong>en Haftung im gemeinen Re<strong>ch</strong>t in: Fests<strong>ch</strong>riftfür<br />

Max Kaser zun 70. Gebuftstag, Mün<strong>ch</strong>en,689 ff., Brsrgrru, R. (1994) Das deliktis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensersatzre<strong>ch</strong>t<br />

der LEX AIUlLlA in der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung <strong>des</strong> Bei<strong>ch</strong>sgeri<strong>ch</strong>ts, Diss. Hamburg,3 ff., Jnrvsrr,r, N. (2003)<br />

Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts, <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik ausservertragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

auf S<strong>ch</strong>adensersatz,Tübingen,361 ff., sowie Eruoinno, l. (1993) The philosophy of tortlaw,Aldershot,93 ff.<br />

zr Siehe BrLsrenr, R. (1994) Das deliktis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensersatzre<strong>ch</strong>t der LEX A]UlLlA in der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>des</strong> Bei<strong>ch</strong>sgeri<strong>ch</strong>ts, Diss. Hamburg,92 ff., Krrrrn, T. (1989) Dle Aquilis<strong>ch</strong>e Haftung im rAllge-


B. Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung<br />

1. Allgemeines<br />

Das Vers<strong>ch</strong>uldensprinzip besagt, dass derjenige, der dur<strong>ch</strong> ein vorwerJbares Ver-<br />

halten einen S<strong>ch</strong>aden einem anderen zufügt, haftbar und u.U. strafbar sein soll.<br />

Vorwerfbar ist s<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>en<strong>des</strong> Verhalten, wenn es ab si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, v o rs tit zli<strong>ch</strong><br />

oder eventualvorsätzli<strong>ch</strong> erfolgt (objektives Vers<strong>ch</strong>ulden) und der S<strong>ch</strong>ädiger urteilsfähig<br />

bzw. zure<strong>ch</strong>nungsfähig22 (subjektives Vers<strong>ch</strong>ulden) war23. In einem sol-<br />

<strong>ch</strong>en Fall strebte der S<strong>ch</strong>ädiger die S<strong>ch</strong>adenzufügung um ihrer selbst willen oder<br />

aus einem anderen Motiv bewusst an:Er weiss, dass er S<strong>ch</strong>aden zufügt, und will es<br />

au<strong>ch</strong>. Tiitt der S<strong>ch</strong>aden ein. hat der S<strong>ch</strong>ädiser - sanktionshalber - den S<strong>ch</strong>aden zu<br />

ersetzen (Ve rs<strong>ch</strong> uldenshaftung).<br />

2. EinführungeinerallgemeinenVers<strong>ch</strong>uldenshaftungdur<strong>ch</strong><br />

das 0bligationenre<strong>ch</strong>t von 1881<br />

Die Lehre vom Culpa-Prinzip wurde im 19. Jahrhundert gestützt auf das römis<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>t2a entwickelt und mitunter, allen voran von Rudolf Jhering (1818-1892)2s,<br />

apodiktis<strong>ch</strong> vertretenrn. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte muss ein Vers<strong>ch</strong>ulden na<strong>ch</strong>weisen2T, will<br />

meinen Landre<strong>ch</strong>tfür die Preussis<strong>ch</strong>en Staatenrvon 1794, Diss. Passau,Wrrureen, B. (2002) La responsabilit1<br />

aquilienne en droitcommun. Damnum culpa datum, Genf, und Wrrrl,rnruru, R. (1974) Die<br />

Entwi c kl u n g sl i n i e n d e r kl a ss is c he n I nl u ri e n kl a g e, in: ZB G RA 197 4, 285 ff .<br />

Vgl. GscHwrr'ro, L. (1996) Zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Lehre von der Zure<strong>ch</strong>nungsfähigkeit. Ein Beitrag insbesondere<br />

zur Regelung im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Strafre<strong>ch</strong>t. Historis<strong>ch</strong>-dogmatis<strong>ch</strong>e Rhapsodien zur<br />

Frage der strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verantwortli<strong>ch</strong>keit unter Mitberücksi<strong>ch</strong>tigung medizinhistoris<strong>ch</strong>er und<br />

wi ssen sc h aftsg e s c h i c htl i c h e r As pekte, Diss. Zü ri<strong>ch</strong>.<br />

Statt vieler 0nrruce n, K./Srnnx, E. W. (1995) S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>t. Bd. l: Allgemeiner Teil.<br />

5. 4., Züri<strong>ch</strong>, 189 ff.<br />

Das Römis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t kannte ebenfalls Haftungstatbetände, die kein Vers<strong>ch</strong>ulden erforderten, vgl.<br />

dazu z.B. Brrr'rrrurro, R. (1933) Die Haftungen ohne Vers<strong>ch</strong>ulden. Typenlehre und System der<br />

ausserges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>en 0bligationen im deuts<strong>ch</strong>en, österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t,<br />

Berlin,45 ff. Siehe ferner Hocssrerru, R. (1969) ]bligationes quasi ex delicto. Untersu<strong>ch</strong>ung zur dogmenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklung vers<strong>ch</strong>uldensunabhängiger Deliktshaftung unter besonderer<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung <strong>des</strong> 16. bis 18. Jahrhunder-ts, Diss. Köln.<br />

Unmissverständli<strong>ch</strong> JHrRnrG, R. v. (1867) Das S<strong>ch</strong>uldnoment im römis<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t. Eine Fests<strong>ch</strong>rift,<br />

Giessen,40:<br />

Vgl. statt vieler von Werurruo-lruerruHeru, J. N (1841l' Die Lehre vom S<strong>ch</strong>adensersatze na<strong>ch</strong> Römis<strong>ch</strong>em<br />

Be<strong>ch</strong>te, Heidelberg, S5, sowie den Überblick bei JnrvsErv, N. (2003) Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts.<br />

<strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik ausserveftragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e auf S<strong>ch</strong>adensersatz,<br />

Tübingen, 363 ff., und Erueuno, l. (1993) The philosophy of tort /aw, Aldershot, 93 ff.<br />

Ein sol<strong>ch</strong>es wird bei der Vertragshaftung vermutet (vgl. Ar1. 97 Abs. 1 0R).


er den S<strong>ch</strong>ädiger verantwortli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en28. Na<strong>ch</strong> dem Vorbild <strong>des</strong> Code Civil<br />

(1SO+;zv wurde mit dem Obligationenre<strong>ch</strong>t von 188130 eine allgemeine Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung<br />

eingeführt3 r.<br />

Diese stellte gegenüber dem römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t insoweit eine Neuerung dar, als<br />

eine Haftung ni<strong>ch</strong>t mehr auf beson dere actiones, sondern eine subsidiär anwend-<br />

bare allgemeine Haftungsnorm abgestützt werden konnte32. Im Gegensatz zur<br />

Haftung <strong>des</strong> Code Civil, der eine Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung vorsah33, war je-<br />

do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Art.50 aOR - ähnli<strong>ch</strong> das deuts<strong>ch</strong>e BGB3a - ni<strong>ch</strong>t nur ein s<strong>ch</strong>uldhaftes,<br />

sondern au<strong>ch</strong> ein widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verhalten erforderli<strong>ch</strong>3s. Diese Haftungsregeln<br />

Vgl. Ar1.41 Abs. I 0R und Art. 37 Abs. 2 Bun<strong>des</strong>gesetz über den S<strong>ch</strong>utz von Pflanzenzü<strong>ch</strong>tunge<br />

(Sortens<strong>ch</strong> utzgesetz) vom 20.03. 1 975.<br />

29 Code Civil<strong>des</strong> Frangais vom 20.03.1804 (na<strong>ch</strong>folgend: Code Civil),<br />

30 Bun<strong>des</strong>gesetz über das 0bligationenre<strong>ch</strong>t vom 14.06.1881 (in Kraft seit 01.01.1883, AS n.F. 5 635).<br />

Siehe dazu Aueseunern-BucurLr,l. (1987)fe Code civilneu<strong>ch</strong>ätelois.l853-1855. Etude de l'ölaboration<br />

et de la structure d'un code civil qui a pour moddle le Code civilfrangais, Diss. Neuenburg,<br />

BucHen, E. (1984) Der Einfluss <strong>des</strong> französis<strong>ch</strong>en Code civil auf das 0bligationenre<strong>ch</strong>t in:0bligationenre<strong>ch</strong>t<br />

l883-1983, Bern, 139 ff., Eucsrrn, R. (1926) Die Entstehung <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en 0bligationenre<strong>ch</strong>tes<br />

vom Jahre 1883, Diss. Züri<strong>ch</strong>, und MEnz, H. (1982) Das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e 0bligationenre<strong>ch</strong>t<br />

von 1881. Übernommenes und Eigenständiges in: Hundert Jahre S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es<br />

0 bti g atio n e n re c ht, Freiburg i.Ü. S ff.<br />

31<br />

Vgl. Art. 50 ff. a0R und HarruEn, H. (1905) Das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e 0bligationenre<strong>ch</strong>t.2. A., Züri<strong>ch</strong>, 15 ff.,<br />

ScnEnnrn, H. (1889) Die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Haftpfli<strong>ch</strong>tgesetzgebung, St. Gallen, RerustruG, F.11892l' Die<br />

Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit als S<strong>ch</strong>adensersatz-Grund na<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>em }bligationenre<strong>ch</strong>te und<br />

dem Entwurf eines bürgerli<strong>ch</strong>en Gesetzbu<strong>ch</strong>s für das deuts<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong>, unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung <strong>des</strong><br />

römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts, Freiburg i.Ü., ZrrnLrorn, A. (1888) Die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Haftpfli<strong>ch</strong>tgesetzgebun<br />

Mit besonderer Rücksi<strong>ch</strong>t auf das Gesetz vom 26. April l887,Bern.<br />

Das österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e ABGB (1811)und das zür<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>e PGB {1856;vgl. dazu BLUrurscHLr, J. K. [1854-<br />

18651 Privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es GeseXbu<strong>ch</strong> für den Kanton Züri<strong>ch</strong>. Mit Erläuterungen. 4 Bde., Züri<strong>ch</strong>, und<br />

ErsrruEn, F. [1969] Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Grundlegung. Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>ulen und kantonale Kodifikationen bis<br />

zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> in: S<strong>ch</strong>r,veizeris<strong>ch</strong>es Privatre<strong>ch</strong>t. Bd. 1, Basel, 1 f't.,127 f'f .1,<br />

enthielten keine allgemeine Haftungsn0rm (vgl. dazu BucHen, E. [1984] Der Einfluss <strong>des</strong> französis<strong>ch</strong>en<br />

Code civil auf das 0bligationenre<strong>ch</strong>t in:0bligationenre<strong>ch</strong>t 1883-1983, Bern, 139 ff., 162 f.).<br />

Siehe ferner We rn, E. (19551 Der Einfluss der kantonalen Kodifikationen auf das Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>t <strong>des</strong><br />

sc hwe ize ri s<strong>ch</strong> en 0 bli g atio n enre c hts, D iss. Basel.<br />

Vgl. Art. 1382 Code Civil:


wurden weitgehend36 in das Obligationenre<strong>ch</strong>t von I9Il37 überführt und gelten<br />

bis heute praktis<strong>ch</strong> unverändert38.<br />

c.<br />

1.<br />

Erfolgshaftung<br />

Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert<br />

a) Allgemeines<br />

Die Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung konnte dort keinen gere<strong>ch</strong>ten S<strong>ch</strong>adensausglei<strong>ch</strong> be-<br />

wirken, wo die Ernmgens<strong>ch</strong>aften der Te<strong>ch</strong>nik und Industrialisierung zu neuen<br />

S<strong>ch</strong>adensrisiken geführt haben, die ni<strong>ch</strong>t mehr nur Einzelne, sondern ganze Bevölkerungsgruppen<br />

in ihrer Existenz bedrohten3e. Dass die ges<strong>ch</strong>ädigten Arbeiter<br />

und deren Familien und ni<strong>ch</strong>t die s<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>enden Betriebe, die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

profitierten. den S<strong>ch</strong>aden tragen sollten, wurde zunehmend als unge-<br />

re<strong>ch</strong>t empfunden.<br />

Die einen, allen voran Victor Mataja (1857-1933)a0, haben die Einführung einer<br />

Gefährdungshaftung aus ökonomis<strong>ch</strong>en Gründenal gefordert, während wieder<br />

36 Eine Neuerung betraf z.B. die Einführung eines Rektifikationsvorbehaltes bei S<strong>ch</strong>adenersatzklagen<br />

(vgl. Art.46 Abs.2 0R und die Hinweise Osen/SorörurruBERGER,<br />

ZH-K, N 20 zu Art.46).<br />

37 Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend die Ergänzung <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zivilgesetzbu<strong>ch</strong>es (Fünfter Teil:<br />

0 bligationenrec ht) vom 30.03,191 1 (in Kraft seit 01.01 .1912; BS 2 199 und AS n.F. 27 317]r. Zur Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

siehe statt vieler 0srn/Scnörver'TBERGER,<br />

ZH-K, N 3 ff. Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te).<br />

38 Art.49 0R gilt in der Fassung gemäss Tift.ll l <strong>des</strong> BG vom 16.12.1983 (in Kraft seit 01.07.1985;AS<br />

1984 778 782; BBI 1982 ll 636 ff.).<br />

3s Vgl. dazu Onrnern, K. (1943) Der soziale Gedanke im S<strong>ch</strong>adenersatzre<strong>ch</strong>t und in der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung,<br />

in: SJZ 1943,545 ff. und 561 ff.<br />

40 Mrrrun, V. (1888) Das Be<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>adenersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomia Leipzig.<br />

4t Victor Matala ist einer der Vorläufer der ökonomis<strong>ch</strong>en Theorie <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts, die ab der<br />

Mitte <strong>des</strong> 20. Jh. vor allem in den USA eine grosse Bedeutung erlangt hat; in Europa hat die Lawand-Economics-Theorie<br />

- mit wenigen Ausnahmen (vgl. etwa Wenrnernr, W. F. [1930] Aansprakelijkheid<br />

voor s<strong>ch</strong>ade buiten overeenkomsl Diss. Leiden;vgl. dazu Fnune, M. G./Vnr'rorru Brne u, R. [1989]<br />

0bjectieve Aansprakelijkheid, Verpli<strong>ch</strong>te Verzekering en Veiligheidsregulering, Antwerpen) - weniger<br />

Anhänger gefunden (weiterführend dazu Aonns, M. tl9S5l Akonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Gefährdungsund<br />

Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung, Heidelberg, Aomn, M. D./Posrvrn, E. A. [2001] Cost-benefit<br />

analysis. Legal, economic, and philosophical perspectives, Chicago, Cnrurua, S. N. S. [1978] Ihe<br />

Myth of Social Costs. A Critique of Welfare Economics and the lmplications for Public Policy,London,<br />

Ecrnnor, M. [19981 Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>erWandel und Re<strong>ch</strong>tsevolution. Ein Beitrag zur ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Theorie der Re<strong>ch</strong>tsentwicklung an Beispiel <strong>des</strong> deuts<strong>ch</strong>en Unfalls<strong>ch</strong>adensre<strong>ch</strong>ts im 19. Jahrhundert,<br />

Jena, Eruones, A. t19911 7konomis<strong>ch</strong>e Grundlagen <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts, Heidelberg, und [kritis<strong>ch</strong>l<br />

Jar.rseru, N. [2003] Die Struktur <strong>des</strong> Haftungsre<strong>ch</strong>ts. <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>, Theorie und Dogmatik<br />

ausserveftragli<strong>ch</strong>er Ansprü<strong>ch</strong>e auf S<strong>ch</strong>adensersatz,Tübingen, 56 ff., und KupenaERc, M./Brrrz, C. R.<br />

[1983] taui, economics, and philosophy. A critical introduction, with applications to the law of torts,<br />

Totowa). Prominente Vertreter der ökonomis<strong>ch</strong>en Haftungstheorie sind Guido Calabresi(vgl. CnL-<br />

ABRESI,G [1961]SomeThoughtsonRiskDistributionandtheLawof<br />

Torts,in: YaleLawJournal196l,


*ti<br />

andere, allen voran Ono von Gierke (1841-1921){ und Anton Menger<br />

(1841-1906)a3, dies aus sozialpolitis<strong>ch</strong>en Gründen verlangten oder - wie etwa<br />

Karl Binding (184I-19ZO7g - aus Gründen einer strukturellen Abgrenzung<br />

gegenüber dem Strafre<strong>ch</strong>tas. Gesells<strong>ch</strong>aftpolitis<strong>ch</strong> wurde diese Hinwendung a)r<br />

Erfolgshaftung dur<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Gegenbewegungen zum Man<strong>ch</strong>esterliberalismus<br />

getragen. Ferdinand Lassalle (1825-1864), Karl Marx (1818-1883) und Friedri<strong>ch</strong><br />

Engels (1820-1895) entwickelten die Idee <strong>des</strong> Sozialismus und Kommunismusa6.<br />

Eine breite, au<strong>ch</strong> kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> abgestützteaT Arbeiterbewegungas formierte si<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>end<br />

und stellte mit Na<strong>ch</strong>druck sozialpolitis<strong>ch</strong>e Forderungen, vor allem die<br />

na<strong>ch</strong> einem gere<strong>ch</strong>teren S<strong>ch</strong>adensausglei<strong>ch</strong>. Daran anknüpfend wurden wirts<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>e<br />

Konzepte entwickelt. Zu den Protagonisten gehörten u.a. Gus-<br />

tav S<strong>ch</strong>moller (I838-l9I71tv. Adolph Wagner (1835-1917) und Werner Sombart<br />

(1863-1e41).<br />

41<br />

499 ff., Cnraanesr, G. [1970] The Costs of Accidents. A Legal and Economic Analysis, New Haven),<br />

Roruaro C. Consr (vgl. Conse, R. C. [1960] The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics<br />

1960, 1 ff.) und RrcHnno A. Posrurn (vgl. Posuen, R. A. [2001] Law and economics, Aldershot, und<br />

Posr'ren, R. A. [1972]A Theory of Negligence,in'. Journalof LegalStudieslgT2,29 ff.;vgl. dazu Hnnr'rnt<br />

S./Mnncrnruo, A. 12003) Ri<strong>ch</strong>ard A. Posner. L'analyse öconomique du droit, Paris). Siehe ferner<br />

Bnnrurs, D. W./Srour, L. A. (1992) The economic analysis of tort law, St. Paul, und Laruoes, W. M./Poslren,<br />

R. A. [19871 Ihe economic structure of tortlaw, Cambridge.<br />

GrEnxr, 0. v. (1889) Die soziale Aufgabe <strong>des</strong> Privatre<strong>ch</strong>ts, Berlin 1889 (na<strong>ch</strong>gedruckt von E. Wolf,<br />

Frankfurt a.M. 194&, Berlin.<br />

MerucrR, A. (1895) Über die socialen Aufgaben der Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft(2. A., 1905), Wien, au<strong>ch</strong><br />

Mrrucen, A. (1988) Über die sozialen Aufgaben der Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aft in: Re<strong>ch</strong>tsphilosophie oder<br />

Be<strong>ch</strong>tstheorie?, Darmstadt,94 ff.;vgl. ferner Merueen, A. (18901 Das bürgerli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t und die besitzlosen<br />

Volksklassen. Eine Kritik <strong>des</strong> Entwurfs eines bürgerli<strong>ch</strong>en Gesetzbu<strong>ch</strong>es für das Deuts<strong>ch</strong>e<br />

Rei<strong>ch</strong> (3. A, 1904), Tübingen.<br />

Brruorrue, K. (1S72) Normen und Strafgesetze. Die Normen und ihre Übertretung. Bd. t (2. A., l8g0),<br />

Leipzig,433 ff., sowie die Hinweise bei Dr FrLrce, S. (1903) Du principe de la responsabilit6 causale<br />

en matiöre d actes illicites, in: ZSR 1903,690 ff.,693 f.<br />

Weiterführend dazu Essrn, J. 11941l' Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, l94l (2.<br />

A., l969), Mün<strong>ch</strong>en/Berlin, und 0eonrr, R. (19731 Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung<br />

im 19. Jahrhundert, Diss. Mün<strong>ch</strong>en.<br />

ln der S<strong>ch</strong>weiz fanden diese ldeen breite Aufnahme, vgl. dazu z.B. Lnruc, P. ,1920l,<br />

Karl Bürkli. Ein<br />

Pionier <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Sozialismus,Züri<strong>ch</strong>, sowie Kuu-, E. (19301 Die sozialreformeris<strong>ch</strong>e Arbeiterbewegung<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz. Die rönis<strong>ch</strong>-kathllis<strong>ch</strong>e, die evangelis<strong>ch</strong>soziale und die liberaln<br />

ati o n a I e Arb e ite rb ewe g u n g, Züri<strong>ch</strong>.<br />

Siehe dazu z.B. die viel bea<strong>ch</strong>tete Enzyklika RERUM N0VARUM, die Papst Leo Xlll. am 15.05.189<br />

erlassen hat, und weiterführend Kur-1, E. (1930) Die sozialreformeris<strong>ch</strong><br />

Arbeiterbewegung in der S<strong>ch</strong>weiz. Die römis<strong>ch</strong>-katholis<strong>ch</strong>e, die evangelis<strong>ch</strong>soziale und die liberal-nationale<br />

Arbeiterbewegung,Züri<strong>ch</strong>, und Nnutoxs, E. (1939) Die katholis<strong>ch</strong>e Arbeiterbewegung<br />

und der Sozialismus in den ersten Jahren <strong>des</strong> Bismarcks<strong>ch</strong>en Bei<strong>ch</strong>e, Diss. Berlin.<br />

Weiterführend Sruorn, B./Vnrronoru, F. (1997) Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Arbeiterbewegung. Eine historiogra<br />

phis<strong>ch</strong>e Bila nz, 1 848-1 998, Züri<strong>ch</strong>.<br />

Vgl. ScHnroLLen, G. F. v. (1895) Die Gere<strong>ch</strong>tigkeit in der Volkswirts<strong>ch</strong>aft in: Jahrbu<strong>ch</strong> für Gesetzgebung<br />

und Verwaltung, Leipzig, 19ft.22 f. und 34 f.


h) Eisenhahnhaftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Die eingeforderte staatli<strong>ch</strong>e Sozialverantwortung fand bald ihren haftungsre<strong>ch</strong>t-<br />

li<strong>ch</strong>en Nieders<strong>ch</strong>lag. Unter Mitwirkung von Friedri<strong>ch</strong> Carl von Savigny<br />

(1779-1861)so *u.0. in Preussen mit dem Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen<br />

vom 03.11.1838 ("Preussis<strong>ch</strong>es Eisenbahngesetzr) erstmals eine gesetzli<strong>ch</strong>e<br />

Gefährdungshaftung einführts1. Die preussis<strong>ch</strong>e Gefährdungshaftung wurde<br />

in der Folge vom deuts<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>shaftpfli<strong>ch</strong>tgesetz vom 07.06.I87Is2 und weiteren<br />

ausländis<strong>ch</strong>en Eisenbahnhaftpfli<strong>ch</strong>tgesetzen übernommens3.<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz blieb von dieser Entwicklung ni<strong>ch</strong>t ausgenommen. In Anlehnung an<br />

das deuts<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong>shaftpfli<strong>ch</strong>tgesetz von 1871 hat der Bun<strong>des</strong>rat bereits drei<br />

Jahre später einen Entrvurf unterbreitetsa. Das Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend die Haftpfli<strong>ch</strong>t<br />

der Eisenbahnen- und Dantpfs<strong>ch</strong>iffunternehmttngen bei Tödtungen und<br />

Verletzungen vom 01 .07.187555 sah in Art. 5 eine Kausalhaftung für Personens<strong>ch</strong>äden<br />

vor, die dur<strong>ch</strong> Bau oder Betrieb verursa<strong>ch</strong>t worden waren. Ersetzt wurde dieser<br />

Erlass 1905 dur<strong>ch</strong> das no<strong>ch</strong> heute seltende EGH56.<br />

c) Fahrikhaftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Als Reaktion auf die unhaltbaren Zustände in den FabrikensT wurden im 19. Jahrhundert<br />

Fabrikgesetze erlassen5s. In den 1840er bis 70er Jahren verabs<strong>ch</strong>iedeten<br />

s0 Ebenfalls ein Anhänger <strong>des</strong> Vers<strong>ch</strong>uldensprinzips, vgl. z.B. ErueLnno, l. (1993) The philosophy of tort<br />

/aul, Aldershot, 96.<br />

5r Siehe dazu Bauvs, T. (1987) Dre Einführung der Gefährdungshaftung dur<strong>ch</strong> F. C, von Savigny, in:<br />

ZBG-Germ.1987,2ll ff., EeEn, G. (1896) Handbu<strong>ch</strong> <strong>des</strong> Preußis<strong>ch</strong>en Eisenbahnre<strong>ch</strong>ts. Bd.2,Breslau,<br />

LrHunruru, G. (1869) Körperverletzungen und Tödtungen auf deuts<strong>ch</strong>en Eisenbahnen und die<br />

Unzulängli<strong>ch</strong>keit <strong>des</strong> Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzet Erlangen, und Srunirpr, B. (1938) Die Entstehung <strong>des</strong> preussis<strong>ch</strong>en<br />

Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838, Ein Beitrag zur preußis<strong>ch</strong>en Eisenbahnges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

in: Die Rei<strong>ch</strong>sbahn. Amtli<strong>ch</strong>es Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenblan der Deuts<strong>ch</strong>en Bei<strong>ch</strong>sbahn und der<br />

Bei<strong>ch</strong>sautobahnen 1938, Heft 44145,7 tf.<br />

52 Vgl. dazu Ee rn, G. (1912) Das Bei<strong>ch</strong>s-Haftpfli<strong>ch</strong>t-Gesetz betreffend die Verbindli<strong>ch</strong>keit zum S<strong>ch</strong>adenersatz<br />

für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken, Steinbrü<strong>ch</strong>en, Gräbereien und Fabriken<br />

herbeigefühften Tötungen und Körperverletzungen vom 7. Juni l87l in der Fassung <strong>des</strong> Artikels<br />

42 <strong>des</strong> Einführungsgesetzes und unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Eestimmungen <strong>des</strong> Bürgedi<strong>ch</strong>en Gesetzbu<strong>ch</strong>s,<br />

der Rei<strong>ch</strong>sversi<strong>ch</strong>erungsordnung und <strong>des</strong> Kraftfahrzeuggesetzes. T. A., Hannover.<br />

53 So etwa in Österrei<strong>ch</strong> (Gesetz vom 05.03.1869). Siehe ferner Pnnsows, A. (1893) The liabitity of railway<br />

companies for negligence towards passengers, London.<br />

54 Vgl. dazu die Bots<strong>ch</strong>aft vom 02.05.1874 = BBI 1874 | 889 ff.<br />

5s AS n.F. 1 787.<br />

56 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Haftpfli<strong>ch</strong>t der Eisenbahn- und Dampfs<strong>ch</strong>iftfahrtsunternehmungen<br />

und der<br />

Post (EGH)vom 28.03.1905 (AS 1905 378; BS 2 810, in Kraft seit 01.08.1905; siehe ferner Bots<strong>ch</strong>aft<br />

vom 01.03.1901 = BBI 1901 1672 ff.).<br />

57 Weiterführend Gnuruen, E. (1968) Die Arbeiter in der S<strong>ch</strong>weiz im 19. Jahrhundert. Soziale Lage,<br />

0rganisation, Verhältnis zu Arbeitgeber und Staat, Bern, und Hnusen, A. (1961) S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

Wi rts c h afts- u n d S o zi a I g e s c h i c hte, Erl e n ba c h/Stuttg a rt.<br />

58 Das älteste Fabrikgesetz wurde 1796 in England verabs<strong>ch</strong>iedet (weiterführend BücHEn, K. [1988]<br />

Zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der internationalen Fabrikgesetzgebung, Wien). Zur ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Entwicklung<br />

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N SN.'q$$"*B\<br />

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Züri<strong>ch</strong>, Glarus, St. Gallen, Bern, die beiden Basel. S<strong>ch</strong>affhausen, Aargau, Tessin<br />

und S<strong>ch</strong>wyz S<strong>ch</strong>utzgesetze. In der Mehrzahl regelten diese den S<strong>ch</strong>utz der Kinder<br />

und Jugendli<strong>ch</strong>en, in Glarus (1864) und der Basler Lands<strong>ch</strong>aft (1867) hingegen<br />

wurden zusätzli<strong>ch</strong>e Bestimmungen zur Bes<strong>ch</strong>ränkung der Hö<strong>ch</strong>starbeitszeit auf<br />

zwölf Stunden eingeführt (in Glarus 1872 dur<strong>ch</strong> den Elfstundentag ersetzt), die<br />

für alle Kategorien von Arbeitnehmenden galtense. Glarus führte als erster Kanton<br />

ein se<strong>ch</strong>swö<strong>ch</strong>iges Arbeitsverbot vor und na<strong>ch</strong> der Entbindung ein und untersagte<br />

ausserdem die Na<strong>ch</strong>tarbeit ni<strong>ch</strong>t nur für Frauen, sondern au<strong>ch</strong> für Männer60.<br />

Na<strong>ch</strong>dem der Bund anlässli<strong>ch</strong> der Verfassungsrevision von 1'874 in Art. 34 aBV<br />

zur Fabrikgesetzgebung als zuständig erklärt wurde, unterbreitete der Bun<strong>des</strong>rat<br />

bereits ein Jahr darauf Entwurf und Bots<strong>ch</strong>aft6r zu einem Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend<br />

die Arbeit in den Fabriken, das am 23.03.7877 von den Räten verabs<strong>ch</strong>iedet<br />

wurde62. Das erste eidgenössis<strong>ch</strong>e Fabrikges etz war primär ein S<strong>ch</strong>utzgesetz; geregelt<br />

wurden die Arbeitsbedingungen63. Es verpfli<strong>ch</strong>tete überdies aber den Bund,<br />

ein separates Fabrikhaftpfli<strong>ch</strong>tgesetz zu verabs<strong>ch</strong>ieden. Bis zum Inkrafttreten<br />

<strong>des</strong>selben wurde in Art. 5 eine Kausalhaftung für Betriebsunfölle in den Fabriken<br />

vorgesehen.<br />

siehe ferner Crnleru, L. (1972)Zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> <strong>des</strong> Arbeitsre<strong>ch</strong>ts in der S<strong>ch</strong>weiz. Vom Mittelalter bis<br />

zum 19. Jahrhundert,in:ZSR 11972,233ft., sowie Ber'rönn, H.-P (19771 Crise etligislation sociale.<br />

L'exemple du l# siicle, Neuenburg.<br />

5e Vgl. dazu Ercxnourn, E. (1962)Zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der kantonalen Arbeitergesetzgebung in der ersten<br />

Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, in: ZSB 11962,491 ff., Rrpprno, W. E. (1914) La rövalution industrielle et<br />

les origines de la protection lögale du travail en Suisse, Bern, Scntworr, V. (19521 Die Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

der Arbeitszeit dur<strong>ch</strong> kantonale Gesetzgebung und dur<strong>ch</strong> das erste eidgenössis<strong>ch</strong>e Fabrikgesetz<br />

von 1877, Diss. Bern, ScHneuns, L. (1946) Die soziale Entwicklung <strong>des</strong> Arbeitsre<strong>ch</strong>tt Bern, ScHolreru<br />

BERGER, J. J. (1892) Sozialpotitis<strong>ch</strong>e Anläufe der kantonalen Gesetzgebungen, Züri<strong>ch</strong>, sowie<br />

ScHwerNenusrn, E. (1977) Sozialgesetzgebung der S<strong>ch</strong>weiz. Ein Grundriss.2. A.,Züri<strong>ch</strong>,47 ff.<br />

60 Weiterführend dazu Hoer, E. (19201 Die Entvvicklung der Fabrikgesetzgebung im Kanton Glarus,<br />

Diss. Bern, und Lrurusrnn, H. (1983) Der Einfluss <strong>des</strong> Kantons Glarus auf das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Arb<br />

e itsre c ht, D iss. Bern.<br />

ot Vgl. BBI 1875 lV 573 ff. und 921 ff.<br />

62 AS n.F.3 241. Aufgehoben dur<strong>ch</strong> das Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom<br />

18.06.1914 bzw. dur<strong>ch</strong> das Bun<strong>des</strong>gesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz;ArGlvom<br />

13.03.1964 (Bots<strong>ch</strong>aftvom 30.09.1960 = BBI 1960ll 909;vgl. Sovtlu, K. [1966]<br />

Vom Fabrikgesetz zum Arbeitsgesetz, in S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Arbeitgeber'Zeitung 1966, 1 1 ff ., 133 ff.,<br />

158 ff. und 177 ft.\.<br />

63 Siehe dazu DALLENsncx, H. (1961], Kantone, Bund und Fabrikgesetzgebung. Die parlamentaris<strong>ch</strong><br />

Debatte und die publizistis<strong>ch</strong>e Diskussion zu den kantonalen Fabrikgesetzen von 1853 bis 1873 und<br />

zum ersten eidgenössis<strong>ch</strong>en Fabrikgesetz vom 23. März l877,Diss. Bern, DrGen, B. (1984) Comment<br />

le Conseilf6d6ral et le Parlement ont accept6 une r6duction du temps de travail de 1l heures. La<br />

rövision de la loi sur les fabriques de 1919, in Bevue syndicale sursse 198411,1 ff., und MEnz, C.<br />

(19231 Die Fabrikordnung na<strong>ch</strong> dem s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Fabrikgesetz. Eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und sozialpoliti<br />

s c h e D a rste I I u n g, Olten.


Ab 1880 befassten si<strong>ch</strong> die Bun<strong>des</strong>behörden intensiv einerseits mit der Einführung<br />

eines Obligationenre<strong>ch</strong>ts6a und andererseits au<strong>ch</strong> mit der Fabrikhaftpfli<strong>ch</strong>t.<br />

Im allgemeinen Haftungsre<strong>ch</strong>t wurde eine vertragli<strong>ch</strong>e und eine deliktis<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung<br />

vorgesehen6s. Für Fabrikunfälle wurde demgegenüber eine<br />

Kausalhaftung analog der Eisenbahnhaftpfli<strong>ch</strong>t verabs<strong>ch</strong>iedet66. Das Bun<strong>des</strong>gesetz<br />

betreffend die Ha.frp.fli<strong>ch</strong>t aus Fabrikbetrieb vom 25.06.188167 konkretisierte<br />

die Kausalhaftung von Art. 5 <strong>des</strong> Fabrikgesetzes von 1877, s<strong>ch</strong>ränkte die Haftung<br />

aber auf 6000 Franken pro S<strong>ch</strong>adenfall bzw. auf maximal den se<strong>ch</strong>sfa<strong>ch</strong>en Jahresverdienst<br />

ein.<br />

Diese Regeln erwiesen si<strong>ch</strong> als ungenügend. Einerseits unterlagen andere risikorei<strong>ch</strong>e<br />

Betriebe bzw. \/erri<strong>ch</strong>tungen der Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung; andererseits zeig-<br />

ten si<strong>ch</strong> die Haftungsniodalitäten als ineffizient. Anlässli<strong>ch</strong> der Motion Klein vom<br />

25.03.1885 wurde eine Revision <strong>des</strong> uneinheitli<strong>ch</strong>en Haftungsre<strong>ch</strong>ts und zudem<br />

die Einführung einer Arbeiterunfallversi<strong>ch</strong>erung na<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>em Vorbild verlangt68.<br />

Der Bun<strong>des</strong>rat unterbreitete bereits 1886 Bots<strong>ch</strong>aft und Entwurf für eine<br />

Ausdehnung der Kausalhaftung6e. Am26.04.1887 wurde das Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend<br />

die Ausdehnung der Haftpfli<strong>ch</strong>t und die Ergänzung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gesetzes vom<br />

25.06.1881 angenommen'". Es dehnte einerseits die Kausalhaftung für Fabriken<br />

auf andere Betriebe'r aus. lockerte die Haftungslimitierung und sah die unentgeltli<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>tspflege für S<strong>ch</strong>adenersatzprozesse vor72. Für eine Arbeiterunfallversi<strong>ch</strong>erung<br />

war die Zeit aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t reifl3; diese wurde erst 1918 einge-<br />

führt7a.<br />

Die Kompetenz auf dem Gebiet <strong>des</strong> 0R erhielt der Bund 1874 mit der Einführung von Art.64 aBV<br />

und 1898 au<strong>ch</strong> für das übrige Zivilre<strong>ch</strong>t.<br />

65 Vgl. Art. 50 ff. und Art. 110 ff. a0R. Siehe dazu Hnrruen, H. (1905) Das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e 0bligationenre<strong>ch</strong>t.<br />

2. A,Züri<strong>ch</strong>,15 ff. und 37 ff.<br />

66 Siehe dazu Bots<strong>ch</strong>aft mit Entwurf vom 26.1,|.1880 = BBI 1880 lV 541 ff. und 584 ff. sowie Beri<strong>ch</strong>t der<br />

StR-Kommission vom 20.04.1881 = BBI 1881 ll724ft.<br />

67 In Kraft seit dem 11. Weinmonat 1881; AS n.F. 5 562.<br />

68 Siehe dazu infra lll/B/1.<br />

69 Vgl. BBI 1886 ll 689 ff. und 705 ff.<br />

70 In Krafr seir01.11.1887: AS n.F. l0 165.<br />

71 Gemäss Art. 1 Abs.2lit. a-d Bun<strong>des</strong>gesetz vom 26.04.1887 betreffend die Ausdehnung der Haftpfli<strong>ch</strong>t<br />

und die Ergänzung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gesetzes vom 25,06.1881 wurde die Haftung auf das Baugewerbe,<br />

die Fuhrhalterei, den Telefon- und Telegraphenleitungsbau, den Eisenbahn-, Tunnel-, Strassen-,<br />

Brücken- sowie Wasser- und Brunnenbau, Bergwerke, Steinbrü<strong>ch</strong>e und Gruben ausgedehnt.<br />

Vgl. Somaru, C. (1895) La responsabilitö <strong>des</strong> fabricants et autres <strong>ch</strong>efs d'exploitations industrielles.<br />

D'aprös les lois f6d6rales <strong>des</strong> 25 juin l88l et 26 avril 1887, Lausanne.<br />

Vgl. dazu Bots<strong>ch</strong>aft vom 07.06.1886 = BBI 1886 ll 689 ff., 694: Sol<strong>ch</strong>es soll man


F'<br />

2. Ausdehnung der Erfolgshaftung im 20. Jahrhundert<br />

a) Allgemeines<br />

Die Diskussion in Bezug auf eine Vereinheitli<strong>ch</strong>ung <strong>des</strong> allgemeinen Haftungsre<strong>ch</strong>ts<br />

und den We<strong>ch</strong>sel von der Vers<strong>ch</strong>uldens- zu einer allgemeinen Kausalhaf-<br />

tung wurden um die Jahrhundertwende ansatzweise erst wieder geführt, als die<br />

Revision <strong>des</strong> OR von 1881 bzw. die Vereinheitli<strong>ch</strong>ung <strong>des</strong> Zivilre<strong>ch</strong>ts anstandTs<br />

Es blieb in der Folge aber beim alten Re<strong>ch</strong>tszustand; das OR von 1911 verlangt<br />

wie dasjenige von 1881 ein widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es und s<strong>ch</strong>uldhaftes VerhaltenT6. Das<br />

gegenseitige Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit und Vers<strong>ch</strong>ulden ist seit je<br />

umstrittenTT.<br />

h) Haftungfürre<strong>ch</strong>tmässigeS<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung<br />

Eine Haftung ist na<strong>ch</strong> der geltenden Ordnung an si<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen, wenn der<br />

S<strong>ch</strong>ädiger re<strong>ch</strong>tmässig gehandelt, trotzdem aber S<strong>ch</strong>aden verursa<strong>ch</strong>t hat. Eine<br />

Haftung für re<strong>ch</strong>tmässiges Verhalten wird jedo<strong>ch</strong> sowohl im Delikts- als au<strong>ch</strong> im<br />

lllustrativ sind die Verhandlungen <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Juristenvereins von 1903. Siehe dazu dre<br />

Beiträge von BuncxHnnor, C. C. (1903)Die Revision <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en 0bligationenre<strong>ch</strong>ts in Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

auf das S<strong>ch</strong>adenersatzre<strong>ch</strong>t, in:ZSR 1903,469 ff., Conoev, E. (1903) Dans quelle mesure est-il<br />

d6sirable et possible d'6tablir <strong>des</strong> notions concordantes dans le droit civil et le droit penal?, in:<br />

ZSß1903,651 ff.,DrFeucs,S {1903}Duprincipedelaresponsabilit6causaleenmatiör<br />

licites, in:ZSfr 1903,690ff., und Gnrün, M. (1903)lnwieweitistdie Übereinstimmung der Begriffe im<br />

Civil- und Strafre<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>bar und dur<strong>ch</strong>führbar?. in: ZSB 1903, 587 ff.<br />

Vgl. Art. 4l Abs. 1 0R. Neu wurde Abs. 2 hinzugefügt, der eine Haftung bei einer absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und<br />

sittenwidrigen S<strong>ch</strong>ädigung vorsieht.<br />

Siehe etwa BrruöHn, H.-P. {1976a) Aussenvertragli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensersatzpfli<strong>ch</strong>t ohne Vers<strong>ch</strong>ulden? Die<br />

Argumente der Naturre<strong>ch</strong>tslehren und -kodifikationen, in: ZRG RA 1976,208 ff., Bossunno, E. (1999<br />

NeuereTendenzeninderLehrezumBegriff derWiderre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keitna<strong>ch</strong>Art.41 0R, Diss.Züri<strong>ch</strong><br />

Green, H. (1982) Berührungspunkte zwis<strong>ch</strong>en Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit und Vers<strong>ch</strong>ulden. Glei<strong>ch</strong>zeitig ein<br />

Beitrag zur Klärung <strong>des</strong> Begriffs der Sorgfaltspfli<strong>ch</strong>tverletzung in: Hundert Jahre S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

0btigationenre<strong>ch</strong>t,Freiburg i.Ü. SOZ ff., Gnreoen, T. (2002) Die unsorgfältige Unsorgfalt. Ein Beitrag<br />

zur Abgrenzungsproblematik zwis<strong>ch</strong>en Vertragswidrigkeit und Vers<strong>ch</strong>ulden, in: AJP 2002,959 ff.,<br />

0rrrruGen, K. (1958) Die Haftung ohne Vers<strong>ch</strong>ulden im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t in: S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong><br />

Beiträge zum fünften internationalen Kongress für Re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong>ung, Brüssel/Züri<strong>ch</strong>,51 ff., Pennrc,<br />

W. (1959) Über den Begriff der Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit, in: SJZ1959,325 ff., Ponrvnruru, W. (1997) Erfolgsunre<strong>ch</strong>t<br />

oder Verhaltensunre<strong>ch</strong>t? Zuglei<strong>ch</strong> ein Beitrag zur Abgrenzung von Widerre<strong>ch</strong>tlic<br />

keit und Vers<strong>ch</strong>ulden im Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>t, in:5J21997,273 ff., Srnnx, E. W. (1999) Gedanken zur<br />

Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit als Haftungsvoraussetzung bei den Gefährdungshaftungen in: Fests<strong>ch</strong>rift für<br />

Erwin Deuts<strong>ch</strong> zum 70. Geburtstag, Köln, 349 ff., Rosrnro, V. (2002) Vers<strong>ch</strong>ulden statt Adäquanz<br />

oder sollte es gar die Re<strong>ch</strong>tswidrigkeit sein?, in: re<strong>ch</strong>t2002,145 ff., Scnnrn, R./Duc, J. 1., et al. {1992<br />

Das Vers<strong>ch</strong>ulden im Wandel <strong>des</strong> Privatversi<strong>ch</strong>erungs-, Sozialversi<strong>ch</strong>erungs- und Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts,<br />

Basel/Frankfurl a.M., und Wenno, F. (1997) Die Sorgfaltspfli<strong>ch</strong>tverletzung als Haftungsgru<br />

na<strong>ch</strong> Art. 41 0R. Plädoyer für ein modifiziertes Verständnis von Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit und Vers<strong>ch</strong>ul<br />

den in der Haftpfli<strong>ch</strong>t, in: ZSB I 1997, 343 ff.


Staatshaftungsre<strong>ch</strong>t vorgesehen. So haften die Betreiber bzw.Inhaber von te<strong>ch</strong>ni-<br />

s<strong>ch</strong>en AnlagenT8 bzw. FahrzeugenTe, die Eigentümer besonderer Gegenstände<br />

(Immobilien80, Tierest; oder die Hersteller von Warens2 für S<strong>ch</strong>äden, obwohl der<br />

fragli<strong>ch</strong>e Betrieb oder die Ausübung <strong>des</strong> Eigentumsre<strong>ch</strong>ts an si<strong>ch</strong> zulässig sind83.<br />

Die KantonsverfassungenNr bzw. die kantonalen Staatshaftungsgesetze8s sehen<br />

mitunter eine Haftune für eine re<strong>ch</strong>tmässige S<strong>ch</strong>ädigung vor86. Vorgesehen wird<br />

dabci (in dcr Rcgcl)cinc Rilligkeitshaftungsl. EinTeil der Lehre leitet ferner aus<br />

78 Vgl. dazu z.B. Art.27 Bun<strong>des</strong>gesetz betreffend die elektris<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>- und Starkstromanlagen<br />

{Elektrizitätsgesetz, EleG)vom 24 06 1902, Art.33 Bun<strong>des</strong>gesetz über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung<br />

flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe (Rohrleitungsgesetz, RLG) vom<br />

04.10.1963, Art.3 Kernenergiehaftpf[<strong>ch</strong>tgesetz (KHG)vom 18.03.1983 und Art.39 Strahlens<strong>ch</strong>utzgesetz<br />

(SISGl vom 22.03.1991.<br />

7s Vgl. dazu Art. 1 Bun<strong>des</strong>gesetz über dre Haftpfli<strong>ch</strong>tder Eisenbahn- und Dampfs<strong>ch</strong>iffiahrtsunternehmungen<br />

und der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Post (EHG)vom 28.03.1905, Art.64 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Luftfahrt<br />

(Luftfahrtgesetz, LFG) vom 21.12.1948, Art. 15 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Trolleybusunternehmungen<br />

vom 29.03.1950, Art.58 Strassenverkehrsgesetz (SVG) vom 19.12.1958, sowie Art.48 ff.<br />

Bun<strong>des</strong>gesetz über die Sees<strong>ch</strong>iflf ahrt unter der S<strong>ch</strong>weizer Flagge (Sees<strong>ch</strong>ifffahrtsgesetz) vom<br />

23.09.1953 und lnternationales Übereinkommen über die zivilre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Haftunq für Ölvers<strong>ch</strong>mutzungss<strong>ch</strong>äden<br />

(mit Anlage) vom 29.1 1.1969.<br />

80 Vgl. Art. 58 0R.<br />

81 Vgl. Art. 56 f. 0R.<br />

82 Vgl. dazu Art. 1 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Produktehaftpfli<strong>ch</strong>t (Produktehaftpfli<strong>ch</strong>tgesetz, PrHGlvom<br />

18.06.1993 und Art.27 Bun<strong>des</strong>gesetz über explosionsgefährli<strong>ch</strong>e Stoffe (Sprengstoffgesetz,<br />

SprstG) vom 25.03.1977.<br />

83 Dass an si<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tmässige Tätigkeiten, die S<strong>ch</strong>aden verursa<strong>ch</strong>en, zu einer vers<strong>ch</strong>uldensunabhängigen<br />

Haftung für widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verhalten führen, ist - vor dem Hintergrund der Haftungstheorie<br />

von Art. 41 Abs. 1 0R - ein haftungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Paradoxon (vgl. zur Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keitsproblematik<br />

der Kausalhaftung Srnnr, E. W. [1999] Gedanken zur Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit als<br />

Haftungsvoraussetzung bei den Gefährdungshaftungen in: Fests<strong>ch</strong>rift für Erwin Deuts<strong>ch</strong> zum<br />

70. Geburtstag. Köln, 349 ff.),<br />

84 Vgl. 5 75 Abs. 2 Verfassung <strong>des</strong> Kantons Aargau vom 25.06.1980, Art. 70 Abs. 2 Verfassung <strong>des</strong> Kantons<br />

Appenzell Ausserrhoden vom 30.04.1995, 5 13 Abs. 2 Verfassung <strong>des</strong> Kantons Basel-Lands<strong>ch</strong>aft<br />

vom 17.05.1984 und Art. 54 Abs. 2 Verfassung <strong>des</strong> Kantons Unterwalden ob dem Wald vom<br />

r 9.05.r 968.<br />

85 Vgl. z.B. 5E 12 f. Gesetz über die Haftung <strong>des</strong> Staates und der Gemeinden sowie ihrer Behörden und<br />

Beamten (H aftun gsgesetz) vom 1 4.09.1 969 { Kanton Züri<strong>ch</strong>).<br />

86 lm Staatshaftungsre<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> setzt die Kausalhaftung ein widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verhalten voraus<br />

(vgl. Art. 3 Abs. 1 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Verannruortli<strong>ch</strong>keit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> sowie seiner Behördemitg<br />

lieder u nd B ea mten [Vera ntwortlic h keits gesetz] vom 1 4.03. 1 958).<br />

87 Der Staat soll für eine re<strong>ch</strong>tmässige S<strong>ch</strong>adenszufügung haften, sofern Einzelne s<strong>ch</strong>wer betroffen<br />

sind und ihnen ni<strong>ch</strong>t zugemutet werden kann, den S<strong>ch</strong>aden zu tragen. Die Billigkeitshaftung bezweckt<br />

die Resitution von S<strong>ch</strong>äden, die als Folge re<strong>ch</strong>tmässiger Eingriffe in absolute Re<strong>ch</strong>tsgüter<br />

Unbeteiligter, d.h. von Personen, die wederVerhaltens- no<strong>ch</strong> Zustandsstörer sind, entstehen. Eine<br />

Billigkeitshaftung darf allerdings ni<strong>ch</strong>t dazu führen, dass Unternehmungen ihre dur<strong>ch</strong> Naturereignisse<br />

verursa<strong>ch</strong>ten Umsatzeinbussen oder Ertragsausfälle dur<strong>ch</strong> Mittel der öffentli<strong>ch</strong>en Hand<br />

ausglei<strong>ch</strong>en können (vgl. etwa Urteil VerwGer BE vom 23.05.2000 i.S.Bielersee-S<strong>ch</strong>ifffahrts-Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

IVGE 20882] = BVR 2000,537 E.6).<br />

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ffij *w N*&<br />

trii I<br />

-s<br />

dem verfassungsmässigen Glei<strong>ch</strong>behandlungsgebot Ents<strong>ch</strong>ädigungsansprü<strong>ch</strong>e<br />

für re<strong>ch</strong>tskonformes staatli<strong>ch</strong>es Handeln ab88.<br />

c) Haftungfürs<strong>ch</strong>uldloseS<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung<br />

Die Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung setzt Urteilsfähigkeit voraus. Wer u'eder erkenntisno<strong>ch</strong><br />

willensfähig ist, dem kann kein Vorwurf gema<strong>ch</strong>t werden. \\ cnn er vorsätzli<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>aden zufügtEe. Der Gesetzgeber sieht glei<strong>ch</strong>wohl eine Billigkeitshaftung<br />

für urteilsunfähige S<strong>ch</strong>ädiger voreO. Diese Haftung setzt ein iiberv'iegert<strong>des</strong> Haftungsinteresse<br />

<strong>des</strong> Ges<strong>ch</strong>ödigten voraus und stellt insoweit - inr Gcsensatz zur<br />

ausglei<strong>ch</strong>smotivierten Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung - eine Kontretisicrung der Verteilge-<br />

re<strong>ch</strong>tigkeit dar: Der ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>uldfähige S<strong>ch</strong>ädiger soll haftcn. ricil der Ges<strong>ch</strong>ädigte<br />

ein überwiegen<strong>des</strong> Haftungsinteresse hatel.<br />

Die geltende Doktrin ordnet die Fahrlässigkeit ebenfalls beinr Vcrs<strong>ch</strong>ulden als<br />

einer haftungsbegründenden Voraussetzung eine2. Verstanden n ircl dic Fahrlässigkeit<br />

sowohl im Straf- als au<strong>ch</strong> im Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>t als eine ptlit-lt.'. tdrise (Jnvor-<br />

si<strong>ch</strong>tigkeite3. Der S<strong>ch</strong>ädiger wollte weder S<strong>ch</strong>aden zufügen no<strong>ch</strong> nahm er ihn in<br />

Kauf, do<strong>ch</strong> hätte er ihn vermeiden können,wenn er entuedcr;rndcrs eehandelt<br />

hätte, als er gehandelt hat, oder ni<strong>ch</strong>t untätig geblieben uärc unri .o gehandelt<br />

Vgl. z.B. GuEruc, U. (1967) Die allgemeine re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>ädigungsor, cni. Drss. St. Gallen,<br />

insbesondere 8 ff. und 236ft., FnrruoR, M. (1987) Staatli<strong>ch</strong>e Haftung für recntnässig verursa<strong>ch</strong>ten<br />

S<strong>ch</strong>aden, Diss. Züri<strong>ch</strong>, 129ff ., insbesondere144ff., sowie den Überblick ber \V.:..-D-.-:a, B. (1989)<br />

Zur Ents<strong>ch</strong>ädigungspfli<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> Staates für re<strong>ch</strong>tmässige Akte in. FS 1no Kaur'.ann. Bern/Stuttgart,339<br />

ff .,342 f. In BGE 118 lb 241 E. 5e wurde vom Bun<strong>des</strong>geri<strong>ch</strong>t offengerasser. ob .allenfalls<br />

aus Art.4 BV Irecte: art.I BV] in krassen Fällen ein direkter Anspru<strong>ch</strong> auf Entscnac,g.lng abzuleiten<br />

wärel. Siehe ferner au<strong>ch</strong> BGE 105|a127 E.2b (kein Anspru<strong>ch</strong> gestützt auf At 8 Aos. I 8V auf<br />

angemessene Parteients<strong>ch</strong>ädigung <strong>des</strong>jenigen, <strong>des</strong>sen Re<strong>ch</strong>tsmittel in erner Si'a'sa<strong>ch</strong>e vollumfängli<strong>ch</strong><br />

oderteilweise gutgeheissen wird)und Urteil BGervom 30.5.'1995 {2P67 1995, = ZBI 1996,91<br />

E.4 (keine Haftung gestützt auf Art.8 Abs. 1 BV bei einem re<strong>ch</strong>tmässigen Subvenl ors,,vrderruf).<br />

Vgl. Art. l6 ZGB. lm römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t haftete der Urteilsunfähige nr<strong>ch</strong>t (vgl. stat't v,eie' H.rusNrqNrNern,<br />

H. [1 996i D as S<strong>ch</strong>adenersatzre <strong>ch</strong>t der lex Aquilia. 5. A.,Wien, 28 t.l.<br />

Vgl. Art.54 0R. Siehe dazu ferner Guinand, J. (1982)La responsabilit6 <strong>des</strong> personnes rncapables de<br />

discernementin: HundertJahre S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es }bligationenre<strong>ch</strong>t,Freiburg r.U 397 ff<br />

Das Bun<strong>des</strong>geri<strong>ch</strong>t stellt bei der Beurteilung der Billigkeit ni<strong>ch</strong>t nur auf das S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong>interesse<br />

<strong>des</strong> Ges<strong>ch</strong>ädigten, sondern au<strong>ch</strong> auf das S<strong>ch</strong>adenbefreiungsinteresse <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>ädrgers ab.<br />

Der Umstand, dass die ges<strong>ch</strong>ädigte Parteiwohlhabend ist und die s<strong>ch</strong>ädigende Parter in bes<strong>ch</strong>eidenen<br />

finanziellen Verhältnissen lebt, era<strong>ch</strong>ten die Bun<strong>des</strong>ri<strong>ch</strong>ter als ni<strong>ch</strong>t relevant. Ebensowenig<br />

darf die Billigkeitshaftung einen pönalen Zweck verfolgen und ist insbesondere dann nr<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt,<br />

wenn die Gefahr besteht, dass der S<strong>ch</strong>ädiger dur<strong>ch</strong> die Ersatzpfli<strong>ch</strong>t in eine Notlage<br />

geraten könnte oder auf lange Zeit hinaus auf das Existenzminimum gesetzt wäre. Für eine Billigkeitshaftung<br />

spri<strong>ch</strong>t dagegen der Umstand, dass der S<strong>ch</strong>aden für den Ges<strong>ch</strong>ädigten eine grosse<br />

B e I a stu n g d a rste I lt (vg l. B G E 122 lll 262 E. 2al aal.<br />

Siehe dazu Drurscu, E. (1989) Der Begriff der Fahrlässigkeit im 0bligationenre<strong>ch</strong>t in: Fests<strong>ch</strong>riftfür<br />

Max Keller zum 65. Geburtstag, Züri<strong>ch</strong>, 105 ff., und Onrrvorn, K./Srnnr, E. W. (1995) S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>t. Bd. l: Allgemeiner Teil. 5. A.,Züri<strong>ch</strong>,202ft.<br />

Vgl. Art. l8 Abs. 3 StGB.


hätte, wie er hätte handeln müssen. Der Vorwurl pfli<strong>ch</strong>twidrig gehandelt bzw. un-<br />

tätig geblieben zu sein, hat primär mit dem Verhalten und ni<strong>ch</strong>ts mit der persön-<br />

li<strong>ch</strong>en Einstellung zu tun. Wusste nämli<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>ädiger, dass er dur<strong>ch</strong> pfli<strong>ch</strong>twid-<br />

riges Verhalten S<strong>ch</strong>aden zufügt und wollte er diesen au<strong>ch</strong> bewirken, handelte er<br />

vorsätzli<strong>ch</strong>. In diesem Fall spielt die Frage, ob das Verhalten pfli<strong>ch</strong>twidrig war<br />

oder ni<strong>ch</strong>t. keine Rolle. Er ist verantwortli<strong>ch</strong>, weil er grundlos s<strong>ch</strong>ädigen wollte.<br />

Die Fahrlässigkeit hat sol<strong>ch</strong>ermassen ni<strong>ch</strong>ts mit dem Vers<strong>ch</strong>ulden. sondern mit<br />

einem sozialunverträgli<strong>ch</strong>en Verhslten zu tunea. Dieses kann die Gesells<strong>ch</strong>aft aus<br />

Gründen der gere<strong>ch</strong>ten S<strong>ch</strong>adenverteilung ni<strong>ch</strong>t dulden. Eine vers<strong>ch</strong>uldensunab-<br />

hängige Verantwortli<strong>ch</strong>keit <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>ädigers soll dann bestehen, wenn der Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digte na<strong>ch</strong>weist, dass si<strong>ch</strong> jener ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> iibli<strong>ch</strong>enVerhaltensri<strong>ch</strong>tlinien verhalten<br />

hat. Dieser Verantwortli<strong>ch</strong>keitsmasstab ist zu demjenigen <strong>des</strong> Vers<strong>ch</strong>uldens kom-<br />

plementär. Die Fahrlässigkeitshaftung ist insoweit eine Erfolgshaftung.ftir sozial-<br />

inadöquates Verhalten, das kein Vers<strong>ch</strong>ulden voraussetztes.<br />

Die Fahrlässigkeitshaftung und die - zumin<strong>des</strong>t bei absoluten Re<strong>ch</strong>tsgütern - er-<br />

folgsorientierte Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keitstheoriee6 haben neben der im 20. Jahrhundert<br />

zunehmend ausgebauten KausalhaftungeT je länger je mehr die Vers<strong>ch</strong>uldenshaf-<br />

tung zurückgedrängt und zu einer Quasi-Erfolgshaftung werden lassenes: Der<br />

s4 Vgl. dazu Groen, H. (1982)Berührungspunkte zwis<strong>ch</strong>en Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit und Vers<strong>ch</strong>ulden. Glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

ein Beitrag zur Klärung <strong>des</strong> Begriffs der Sorgfaltspfli<strong>ch</strong>werletzung in: Hundert Jahre<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es 0bligationenre<strong>ch</strong>t, Freiburg i.Ü. 362 ff.<br />

e5 1988 setzte das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Justiz- und Polizeidepaftement eine Studienkommission für die<br />

Gesamtrevision <strong>des</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts ein. Sie gab 1991 ihren Beri<strong>ch</strong>tab,wo sie in l02Thesen ausführli<strong>ch</strong>e<br />

Vors<strong>ch</strong>läge zur Ausgestaltung <strong>des</strong> neuen Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts unterbreitete. Das Bun<strong>des</strong>amtfür<br />

Justiz beauftragte 1992 Prof. Pierre Widmer und Prof. Pierre Wessner mit der Ausarbeitung<br />

eines Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil <strong>des</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts im 0R und mit der Anpassung der<br />

haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Spezialgesetze an diesen Allgemeinen Teil. Die Experten lieferten 1999 Vorentwurf<br />

und Beri<strong>ch</strong>t ab (vgl. WrouEn, P.Messrurn, P. [2000] Revision und Vereinheitli<strong>ch</strong>ung <strong>des</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts.<br />

Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t, Bern). Das Bun<strong>des</strong>gesetz über die Revision und Vereinheitli<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>des</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts (Haftpfli<strong>ch</strong>tgesetz) (Entwurf WronEnMessruEn) ordnet zwar die<br />

Fahrlässigkeitshaftung na<strong>ch</strong> wie vor der Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung zu (vgl. Art. 41 und Art. 48 ff, insbesondere<br />

Art. 48a), ergänzt die Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung aber mit einer (komplementären) Gefährdungshaftung<br />

{vgl. An. 50). Siehe dazu Trncren, P. (1997)Assurance et responsabilit6 civile. A propos<br />

de I'avant-projet de r6forme du droit de la responsabilit6 civile, in: SVZ 1997, 158 ff.<br />

e6 Na<strong>ch</strong> der sowohl im privaten Haftungsre<strong>ch</strong>t als au<strong>ch</strong> im Staatshaftungsre<strong>ch</strong>t geltenden objektiven<br />

Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keitstheorie ergibt si<strong>ch</strong> die Widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit daraus, dass entweder ein absolutes<br />

Re<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> Ges<strong>ch</strong>ädigten beeinträ<strong>ch</strong>tigt wird, ohne dass ein Re<strong>ch</strong>tfertigungsgrund vorliegt (Erfolgsunre<strong>ch</strong>t),<br />

oder eine reine Vermögenss<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> Verstoss gegen eine Norm bewirkt wird,<br />

die na<strong>ch</strong> ihrem Zweck vor derartrgen S<strong>ch</strong>äden s<strong>ch</strong>ützen soll (Handlungsunre<strong>ch</strong>t) (vgl. BGE 115 ll 15<br />

E.3 [grundlegend] und 123 ll 577 E.4].<br />

s7 Vgl. dazu die Hinweise supra FN 78 und 79 sowie Ornrueen, K. (1958)Die Haftung ohne Vers<strong>ch</strong>ulden<br />

im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t in: S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Beiträge zum fünften internationalen Kongress für<br />

ße c htsverg lei c h u n g, B rüssel/Züri <strong>ch</strong>, 51 ff.<br />

e8 Vgl. für die Arzthaftung etwa Gnrrrxen, M. (200llKausalhaftung für medizinis<strong>ch</strong>e Behandlungen -<br />

Realität oder Zukunftsmusik?, in:AJP 2001,645 ff.<br />

\S$ N$xs'r*


S<strong>ch</strong>ödiger ist verantwortli<strong>ch</strong>, weil er den S<strong>ch</strong>aden verursa<strong>ch</strong>t und der Ges<strong>ch</strong>ädigte<br />

ein äberwie gen<strong>des</strong> Restittttionsinteresse hat. lm Zusammenspiel mit der obligatoris<strong>ch</strong>en<br />

Versi<strong>ch</strong>erungspfli<strong>ch</strong>tee bzw. Staatshaftung und dem hohen Verbreitungsgrad<br />

von Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungenrtto ls1 si<strong>ch</strong> die Vers<strong>ch</strong>uldenshaftung strukturell<br />

ni<strong>ch</strong>t nur zu einer Erfolgshaftung, sondern zu einer Quasi-S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung<br />

entwickelttot' Ni<strong>ch</strong>t der ersatzpfli<strong>ch</strong>tige S<strong>ch</strong>ödiger zahlt, sondent seine Versi<strong>ch</strong>e-<br />

fttngtoz.<br />

ilt. Versi<strong>ch</strong>erungssystem<br />

A. Privatversi<strong>ch</strong>erung<br />

Mit dem Abs<strong>ch</strong>luss einer Personen-, Sa<strong>ch</strong>- oder Verntögensver.sit'ltt,rurtq können<br />

zukünftige wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>teile Einzelner sozialisiert ucrdcn. Dcr S<strong>ch</strong>aden,<br />

egal, ob für <strong>des</strong>sen Eintritt ein Mens<strong>ch</strong> oder ein anderes Ereisni: (Zufall. höhere<br />

Gewalt, Naturereignis etc.) verantwortli<strong>ch</strong> ist, trägt ni<strong>ch</strong>t mehr dcr Ges<strong>ch</strong>ädigte,<br />

sondern die Versi<strong>ch</strong>ertengemeins<strong>ch</strong>aft. Private Versi<strong>ch</strong>erungss\ slc nrc unterliegen<br />

dabei dem Diktat von Angebot und Na<strong>ch</strong>frage. Sie werden abscs<strong>ch</strong>lossen. wenn<br />

die für das zu versi<strong>ch</strong>ernde Risiko ges<strong>ch</strong>uldete Prämie auf so riclc Pcrsonen ver-<br />

teilt werden kann. dass sie für den Einzelnen bezahlbar ist und tikonomis<strong>ch</strong> Sinn<br />

ma<strong>ch</strong>t.<br />

Ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium besteht beiden Sozialversi<strong>ch</strong>erungen (vgl. dazu Art. 111 ff. BV)und<br />

beider Motorfahrzeug- (vgl. Art.58ff. SVG und Art.16 Bun<strong>des</strong>gesetz über die Trolleybusunternehmungen<br />

vom 29.03.1950), Lufffahrzeug- (vgl. Art.70ff. LFG), Kernenergie- (vgl. Art. 12 ff. KHG) und<br />

Rohrleitungshaftpfli<strong>ch</strong>t (vgl. Ar1.35 ff. RLG) sowie Anwaltshaftpfli<strong>ch</strong>t (vgl. Art. l2lrt f Bun<strong>des</strong>gesetz<br />

über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [Anwaltsgesetz, BGFA] vom 23.06.2000),<br />

r00 Der Ges<strong>ch</strong>ädigte hat gegenüber dem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer <strong>des</strong> S<strong>ch</strong>ädigers - mrt wenigen Ausnahmen<br />

(vgl. z.B. Art.65 SVG)- kein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t; ihm steht aber ein gesetzli<strong>ch</strong>es<br />

Pfandre<strong>ch</strong>t zu (vgl. Art. 60 VVG).<br />

101<br />

Zum Zusammenspiel zwis<strong>ch</strong>en Haftung und Versi<strong>ch</strong>erung, insbesondere dem damit einhergegangenen<br />

Perspektivenwandel, siehe etwa Orrrruern, K. (1943)Dersoziale Gedanke im S<strong>ch</strong>adenersatzre<strong>ch</strong>t<br />

und in der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung, in: SJZ 1943,545 ff. und 561 ff., sowie 0nrr.reen, K. (19701<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t, Versi<strong>ch</strong>erung und soziale Solidarität bei der Wiedergutma<strong>ch</strong>ung von S<strong>ch</strong>äden im<br />

s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t in: Recueil de travaux suisses prösentös au Vlll' Congrös international de<br />

droit compari Basel, 109 ff., ebenfalls Janrruon K. (1941l' Der soziale Gedanke in der Haftpfli<strong>ch</strong>t-<br />

Versi<strong>ch</strong>erung, Jena.<br />

Keine bzw. eine reduzierte Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung besteht bei vorsätzli<strong>ch</strong>er oder grobfahrlässiger<br />

Herbeiführung (vgl. Art. 14 Bun<strong>des</strong>gesetz über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag [VVG] vom 02.04.1908).


Ansätze zu privaten Versi<strong>ch</strong>erungssvstemen rei<strong>ch</strong>en weit zurück'03. Aus der Antike<br />

sind Vorläufer der Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erung, insbesondere das Seedarlehen (foenus nau-<br />

tictts), überliefert. aus der si<strong>ch</strong> die Seeversi<strong>ch</strong>erung entwickelter0l. Ebenso bestan-<br />

den seit alters private Si<strong>ch</strong>erungssysteme für die Versorgung von Frauen bzw. Wit-<br />

wen und Waisenl05. Diese Personenversi<strong>ch</strong>erungen wurde seit dem Mittelalter<br />

ergänzt dur<strong>ch</strong> lan<strong>des</strong>herrli<strong>ch</strong>e Rentenversi<strong>ch</strong>erungen und berufsständis<strong>ch</strong>e Vor-<br />

sorgewerker(h. Einen eigentli<strong>ch</strong>en Boom hat die Privatversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere<br />

die Haftptli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>eruns. im 19. Jahrhundert erlebtr0T; viele der heute tätigen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungen nurden damals gegründet1Ott. Der Bund führte bereits 1875 die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsaufsi<strong>ch</strong>t ein und erliess 1908 das heute no<strong>ch</strong> geltende Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertragsgcsetz ".<br />

103 Weiterführend und Zronvrrz, C. v. (2000) Die re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Entwicklung der Versi<strong>ch</strong>erung,<br />

Diss. St. Gallen.<br />

Der porlugiesis<strong>ch</strong>e König Fernando (1367-1383) führte die erste Zwangsseeversi<strong>ch</strong>erung ein. -<br />

Siehe dazu ferner ScHoprrn, G. (,l976) Sozialer S<strong>ch</strong>utz im 16.-18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong><br />

der Personenversi<strong>ch</strong>erung und der landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erung, Diss. Graz,89 ff.<br />

r05 Siehe dazu infra lV/A und Bnaur.r, H. (1925) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erung und der Lebensversi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nik,<br />

Nürnberg, Bnnuru, H. (1937) Urkunden und Materialien zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erung und der Lebensversi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nik,Berlin, und Soröpren, G. (1976) Sozialer<br />

S<strong>ch</strong>utz im 16.-18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Personenversi<strong>ch</strong>erung und der<br />

landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erung, Diss. Graz, 93 ff. (inbesondere zur sog. Aussteuerversi<strong>ch</strong>erung).<br />

106 Vgl. FnenrcH, J. (1996) Handbu<strong>ch</strong> der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Sozialpolitik in Deuts<strong>ch</strong>land. Bd. l: Von der vorindustriellen<br />

Zeit bis zum Ende <strong>des</strong> Dritten Bei<strong>ch</strong>es. 2. A., Mün<strong>ch</strong>en, 6 ff., ScHewr, D. (2000) 6es<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der sozialen und privaten Versi<strong>ch</strong>erung im Mittelalter in den Gilden Europas, Berlin, und<br />

ScHöprrn, G. {1976) Sozialer S<strong>ch</strong>utz im 16.-18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Personenversi<strong>ch</strong>erung<br />

und der landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erung, Diss. Graz, 58 ff. und 93 ff.<br />

107 Siehe dazu HeRzreroen, E. (1914) Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung, Berlin, Hrgsrnruo, P. (1900) Grundzüge der<br />

Privaten Unfallversi<strong>ch</strong>erung mit Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung, Stuttgart, 0eennoLzen,<br />

H.-M. (19921 Zur Be<strong>ch</strong>ts- und Gründungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Privatversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz, Diss. Freiburg i. Ü., und Ze*r, R. (1913) Die Entwicktung der Haftpfti<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung in<br />

Deutsc hland, Diss. Göttingen.<br />

Vgf . dazu Bnsmn TnaruspoRr uNo ALan Au-esurrrur ',1963l' 100 Jahre Basler. Ges<strong>ch</strong>äftsberi<strong>ch</strong>te über das<br />

Jahr 1963. Basler Transport-Versi<strong>ch</strong>erungs-Gesells<strong>ch</strong>aft und Alba Allgemeine Versi<strong>ch</strong>erungs-Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />

Basel, Erserunrruo, M. E. (1998) Skizzen aus 125 Jahren <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Rückversi<strong>ch</strong>erungs-Gesells<strong>ch</strong>aft in Züri<strong>ch</strong>,Züri<strong>ch</strong> Jurvc, J. i.20001 Die Winterthur. Eine Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,Züri<strong>ch</strong>,<br />

Jur're , J./Booe NMANN, F (2000) Die Winterthur 1875-2000. Festgabe zum I l.<br />

Juli 2000, Züri<strong>ch</strong>, Könrurn, M. (1987) Banken und Versi<strong>ch</strong>erungen im Kanton Luzern vom ausgehenden<br />

Ancien Rögime bis zum Ersten Weltkrieg. Strukturen, Wa<strong>ch</strong>stum, Konjunkture& Luzern/Stuttgart,<br />

0ernuouEn, H.-M. (19921 Zur Re<strong>ch</strong>ts- und Gründungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Privatversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz, Diss. Freiburg i. Ü., Pnrnra (1978) Panorama eines Jahrhunderts<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erung, Basel, Wnr.rorL, E. (1998) Banken und Versi<strong>ch</strong>erungen im 19. und 20. Jahrhundeft<br />

Mün<strong>ch</strong>en, Vrm LEseNlsvrnsrcHrnuruos-ATTTeTGESELLScHAFT<br />

(19481 25 Jahre Vita. 1922-1947, Züri<strong>ch</strong>,<br />

Wnnrurn, G. A. (1964) 100 Jahre Basler, Easef sowie WrourR, C. (1986) 125 Jahre Helvetia Feuer<br />

St.Gallen. Auss<strong>ch</strong>nitte und Eetra<strong>ch</strong>tungen, St. Gallen.<br />

Vgl. Bun<strong>des</strong>gesetz über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (VVG)vom 02.04.1908. ZurZeit ist eine Teilrevision<br />

<strong>des</strong> VVG hängig (vgl. dazu Bots<strong>ch</strong>aft vom 09.05.2003 = BBI 2003 3789 ff.).<br />

irJ


ffi"N.',s<br />

B. Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

1. Allgemeines<br />

Seit der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhundert wurde das Haftungs-, (private) Versi<strong>ch</strong>erungsund<br />

(staatli<strong>ch</strong>e) FürsorgesyStemrto dur<strong>ch</strong> Sozialversi<strong>ch</strong>erungen ergänzt<br />

und in weiten Berei<strong>ch</strong>en abgelöst. Der deuts<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong>skanzler Otto von Bismarck<br />

(1815-1898)ttt nu, - ni<strong>ch</strong>t zuletzt aus politis<strong>ch</strong>em Kalkülrrr - das au<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz übernommene staatli<strong>ch</strong>e Sozialversi<strong>ch</strong>erungsmodell<br />

begründetl13. Die Bismarck-orientierten Systeme sind na<strong>ch</strong> dem Prinzip der Ein-<br />

1ro Siehe dazu infra lV/A.<br />

111 Otto Eduard Leopold, Graf von Bismarck-S<strong>ch</strong>önhausen. Bismarck wurde am 14.07.1867 Bun<strong>des</strong>kanzler<br />

und Aussenminister.<br />

112 Das von 0tto von Bismarck na<strong>ch</strong> den Attentaten auf Kaiser Wilhelm l. dur<strong>ch</strong>gesetzte Ausnahmegesetz<br />

vom 21.10.1878 (sog. Sozialistengesetzlwar gegen die rrgemeingefährli<strong>ch</strong>en Bestrebungenl<br />

der deuts<strong>ch</strong>en Sozialdemokratie geri<strong>ch</strong>tet. Es ermä<strong>ch</strong>tigte die Polizei zur Auflösung aller sozialdemokratis<strong>ch</strong>en,<br />

sozialistis<strong>ch</strong>en und kommunistis<strong>ch</strong>en Vereine, zur Ausweisung von Propagandisten<br />

und zur Bes<strong>ch</strong>lagnahmung ihrer S<strong>ch</strong>riften. Um den Unmut über die Sozialistengesetze bzw. die<br />

sozialpolitis<strong>ch</strong>en Forderungen der Arbeiterbewegung einzudämmen, wurden 1883 das Krankenversi<strong>ch</strong>erungsund<br />

1884 das Unfallversi<strong>ch</strong>erungsgesetz verabs<strong>ch</strong>iedet. 1889 folgte das Gesetz zur<br />

Alters- und lnvaliditätssi<strong>ch</strong>erung. Diese dreiSozialversi<strong>ch</strong>erungen wurden dur<strong>ch</strong> die Rei<strong>ch</strong>sversi<strong>ch</strong>erungsordnung<br />

(RVO) von 191 1 zusammengefasst und harmonisieft. Die Sozialversi<strong>ch</strong>erungsgesetzgebung<br />

basierte dabei im Wesentli<strong>ch</strong>en auf der Kaiserli<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft vom 17.11.188i, mit<br />

der Bismarck das sozialpolitis<strong>ch</strong>e Programm, mithin das na<strong>ch</strong>malige Sozialversi<strong>ch</strong>erungsmodell<br />

Deuts<strong>ch</strong>lands, entwickelt hat. Weiterführend dazu Aiaen, J. (1982) Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat.<br />

Analysen zur Entwicklung der Sozialversi<strong>ch</strong>erung in Westeuropa, FrankfurVNew York,<br />

ErcsrruHorrn, E. (2000) Bismarck, die Sozialversi<strong>ch</strong>erung und deren Zukunft, Berlin, KL*rs, F. (1981)<br />

<strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der sozialen Versi<strong>ch</strong>erung in Deuts<strong>ch</strong>lan4 Bonn/Berlin, KöHr-En, P. A./Zncxen, H. F. (1981)<br />

Ein Jahrhundert Sozialversi<strong>ch</strong>erung in der Bun<strong>des</strong>republik Deuts<strong>ch</strong>land, Frankrei<strong>ch</strong>, Grossbritannien,<br />

Österrei<strong>ch</strong> und der S<strong>ch</strong>weiz. S<strong>ch</strong>riftenreihe für internationales und verglei<strong>ch</strong>en<strong>des</strong> Sozialre<strong>ch</strong>t.<br />

Bd.4 Berlin, Nnurors, E. (1939) Die katholis<strong>ch</strong>e Arbeiterbewegung und der Sozialismus in<br />

den ersten Jahren <strong>des</strong> Bismarcks<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>e, Diss. Berlin, Mouuser,i, W. (1966) ]tto von Bismarck,<br />

Reinbeck, insbes. 172f'f ., RoruEn, K. (1994) Die Rei<strong>ch</strong>sversi<strong>ch</strong>erungsordnung 1911. Das Ringen<br />

um die letzte grosse Arbeiterversi<strong>ch</strong>erungsgesetzgebung <strong>des</strong> Kaiserrei<strong>ch</strong>s unter besonderer<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Rolle der Sozialdemokratie, Aa<strong>ch</strong>en, ScuoLz, R. (1939) Der Wandel in der Sozialpolitik<br />

von Bismarck bis zur Gegenwart, Würzburg-Aumühle, Srou-e rs, M. (2003) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> <strong>des</strong><br />

Sozialre<strong>ch</strong>ts. Ein Grundn'ss, Stuttgart, Trr'nrsruor, F. (2000) Vorläufer der gesetzli<strong>ch</strong>en Rentenversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Die Si<strong>ch</strong>erung gewerbli<strong>ch</strong>er Arbeiter gegen Alter und Invalidität. Anstösse, Initiativen<br />

und Widerstände im Regierungslager und im Parlament zwis<strong>ch</strong>en dem Gründungsjahr der politis<strong>ch</strong>en<br />

Arbeiterbewegung (1863) und der Kaiserli<strong>ch</strong>en Sozialbots<strong>ch</strong>aft (18811in: <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> und<br />

Gegenwart der Rentenversi<strong>ch</strong>erung in Deuts<strong>ch</strong>land,Berlin,3l ff., VooEl, W. (1951l' Bismarcks Arbeiterversi<strong>ch</strong>erung.<br />

lhre Entstehung im Kräftespielder Zeit, Brauns<strong>ch</strong>eig, und Wrne, K. (1980) Bismarcks<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erungen und die Entwicklung eines marxistis<strong>ch</strong>en Reformverständnisses in<br />

d e r d e uts c h e n S ozi a I d emokratie, Köln.<br />

r13 Siehe z.B. Mnunen, A. (1981) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts in:<br />

S<strong>ch</strong>ilftenreihe für internationales und verglei<strong>ch</strong>en<strong>des</strong> Sozialre<strong>ch</strong>t. Bd.6c, Berlin,731ft.,775tl.Die<br />

Motion Klein vom 25.03.1885 verlangte vom Bun<strong>des</strong>rat eine Revision <strong>des</strong> uneinheitli<strong>ch</strong>en Haftungsre<strong>ch</strong>ts<br />

na<strong>ch</strong> dem Vorbild der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiterunfallversi<strong>ch</strong>erung (siehe dazu Bots<strong>ch</strong>aft vom<br />

07.06.1886 = BBI 1886 ll 689 und 705 sowie bereits supra ll/C/l)).


zelversi<strong>ch</strong>erung organisiert. Soziale Risiken werden dur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Sozial-<br />

versi<strong>ch</strong>erungszweige erfasst. Die Beveridge-orientierten Systeme sind demgegen-<br />

über universeller Artr14. Sie decken die Bevölkerung in umfassender Weise vor<br />

den wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen sozialer Risiken. Letztere Systeme wurden einerseits<br />

von Staaten <strong>des</strong> angelsä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tskreises übernommen. prägen anderer-<br />

seits die skandinavis<strong>ch</strong>en Wohlfahrtsstaatenrrs.<br />

Im Gegensatz zu den privaten Systemen ist eine Sozialversi<strong>ch</strong>erung unfreiwillig.<br />

Eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder die Bevölkerung s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>lftlnlt6 v7s1-<br />

den von Gesetzes \\'egen gegen bestimmte Risiken, die besonders gravierende<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Folgen habenrrT. versi<strong>ch</strong>ert, wobei die Finanzierung ni<strong>ch</strong>t (aus-<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>) über risikogere<strong>ch</strong>te Prämien erfolgt und die Leistungen bedarfsun-<br />

abhängig gewährt *crden. Die im Umlage- oder Kapitaldeckungsver.fahrenlls<br />

organisierten Sozialversi<strong>ch</strong>erunqen werden dur<strong>ch</strong> Direktzahlungen der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erten, Lohnbeiträge von Arbeitnehmern und -gebern, Steuern und Vermögens-<br />

erträge finanziert.<br />

2. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Entwicklung<br />

Sowohl der Bun<strong>des</strong>vertrag von 1815 als au<strong>ch</strong> die Bun<strong>des</strong>verfassung von 1848<br />

kannten keine sozialre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kompetenzen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rre. Diese lvurden erst<br />

r14 Sir William Beveridge (1879-1963)verfasste 1942 den Beveridge Report (


mit der Bun<strong>des</strong>verfassung von 1874 s<strong>ch</strong>rittweise eingefü11112tt. Bereits 1890 ge-<br />

nehmigte der Souverän Art. 34b" aBV der den Bund im Berei<strong>ch</strong> der Kranken-<br />

und Unfallversi<strong>ch</strong>erung fiJ'r zuständig erklärte und beauftragte, entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsgesetze zu erlassen12l. 1925 wurde At,. 34ouuter sl,\,/ gutgeheissen,<br />

der die Zuständigkeit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> in Bezug auf die Regelung einer Alters-, Hinterlassenenund<br />

Invalidenversi<strong>ch</strong>erung erweiterte. Das heute no<strong>ch</strong> gültige wurde s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> I912 eingeführt. Die Umsetzung dieser Verfassungsvorgaben<br />

erfolgte teilweise erst na<strong>ch</strong> langwierigen Vorbereitungsarbeiten<br />

und Niederlagen anlässli<strong>ch</strong> von Volksabstimmungen. Als erste Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

trat 1902 die Militarversi<strong>ch</strong>erungl22, I9I4119I8 die Kranken- und Unfallversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungr23 sowie 19481\960 die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversi<strong>ch</strong>erungl24<br />

in l(13f1tzs.<br />

120<br />

123<br />

125<br />

Vereizelt kannten die Kantone Sozialversi<strong>ch</strong>erungen und Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorien, vgl. z.B. Ee -<br />

GENBERGEB, H. (1932) Die <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Brandversi<strong>ch</strong>erungsanstalt <strong>des</strong> Kantons St. Gallen<br />

1807-1932. Mit Beiträgen über die Mobiliar-Versi<strong>ch</strong>erung und über das Feuerpolizei- und Feuerlös<strong>ch</strong>wesen,<br />

St. Gallen, und Hooel, C. (1965) Die Anfänge der Krankenversi<strong>ch</strong>erung in Baselwährend<br />

<strong>des</strong> 19. Jahrhunderts und ihre ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen, Basel.<br />

Siehe dazu Herrusen, F. (1976) Die Entstehung <strong>des</strong> Verfassungsarlikels Jltis. fin Beitrag zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong><br />

der Sozialversi<strong>ch</strong>erung in der S<strong>ch</strong>weri Diss. Züri<strong>ch</strong>.<br />

Na<strong>ch</strong>dem die 1900 vom Volk abgelehnt wurde, beantragte der Bun<strong>des</strong>rat die separate<br />

Verabs<strong>ch</strong>iedung der unbestritten gebliebenen MVG-Vorlage. Das MVG vom 28.06.1901 wird vom<br />

Parlament verabs<strong>ch</strong>iedet und tritt als erste Sozialversi<strong>ch</strong>erung der S<strong>ch</strong>weiz am 01.01.1902 in Kraft<br />

(vgl.dazuBBl1900lll367undASn.F.'18803,849und940).SiehedazuBnssrooon,J.(19<br />

TSJahre<br />

Militärversi<strong>ch</strong>erung (1901-1976). MV-S<strong>ch</strong>riftenreihe Nr. l,Bern,InrvrEn, W. A. (1921l Die Entwicklung<br />

der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Militärinvaliden- und Militärhinterbliebenenfürsorge, mit besonderer<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung der derzeitigen allgemeinen Soldatenfürsorge, Diss. Bern, und Kaurunruru, C.<br />

(1900) Die Grundzüge der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Kranken- und Unfallversi<strong>ch</strong>erung mit Eins<strong>ch</strong>luss der<br />

Militärversi<strong>ch</strong>erung. Na<strong>ch</strong> den Bun<strong>des</strong>gesetz vom 5. 0ktober 1899 zusammengestellt, Bern.<br />

Siehe dazu Enrur, T. (1980) Die Entwicklung <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Kranken- und Unfallversi<strong>ch</strong>erungswesens.<br />

Dargestellt anhand der S<strong>ch</strong>affung und Entwicktung <strong>des</strong> KUVG, Freiburg i.Ü., HooeL,<br />

C. (1965) Die Anfänge der Krankenversi<strong>ch</strong>erung in Baselwährend <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts und ihre<br />

ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen, Basel, und Scnwuznnrscse UrurqlrvrRsrcHERUNGSANSTnLr<br />

(1968) 50<br />

Jahre SUVA 1918-1968, Luzern.<br />

Vgl. dazu Brnrrusrrrru, A. (1998) Histoire de l'assurance-vieillesse suisse, in:Aspecfs de la s6curitö<br />

sociale 1998, 7 ff., Brnrrusrrrru, A. (1986) L'assurance-vieillesse suisse. Son 6laboration et s0n övolufion,<br />

Lausanne, BuruoEsnvr rün SozrnlvEHSrcHERUNG (1981) Die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung von lg60 bis<br />

1980, in: ZAK1981,214ff.,229ff.,289 ff. und 308 ff., Brruswnrueen, P. (1986) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der AHV.<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Alters- und Hinterlassenenversi<strong>ch</strong>erung. Pro Senectute S<strong>ch</strong>riftenreihe. Bd. 3,<br />

Züri<strong>ch</strong>, GnreEn, P.-Y. (1990) 100 ans de söcurit6 sociale en Suisse. Cahiers genevois de söcuritö sociale.<br />

No.7,Gent, Funnrn, A. (1952) Entstehung und Entvvicklung der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Sozialversi<strong>ch</strong>erung,<br />

Diss. Freiburg i.Ü., NnenoLz, P. (1919) Die neuesten Eestrebungen zur Einführung der<br />

lnvaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversi<strong>ch</strong>erung in der S<strong>ch</strong>weiz,Luzern, Pnur, E. {.1922]' Die Alters-,<br />

lnvaliden- und Hinterlassenen-Versi<strong>ch</strong>erung,Züri<strong>ch</strong>, Snxen, A. (1973) Die Entstehung der Alters-<br />

und Hinterlassenenversi<strong>ch</strong>erung,in:24K1973,210 ff. und von Dvvowsrr, T. (1915l, Die Altersund<br />

lnvalidenversi<strong>ch</strong>erung in der S<strong>ch</strong>weiz. Eine Studie über die Sozialversi<strong>ch</strong>erung, Diss. Züri<strong>ch</strong>.<br />

Weiterführend zur ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Entwicklung Eroe rruössrscHes VoxswrnrscHAFrsDEpARrErr,rer'r<br />

(1925)<br />

Volkswirts<strong>ch</strong>aft, Arbeitsre<strong>ch</strong>t und Sozialversi<strong>ch</strong>erung der S<strong>ch</strong>weiz. 2. Bde., Einsiedeln, Grvaror, P.<br />

(1998) Hrstoire et structure <strong>des</strong> assurances sociales en Suisse,Züri<strong>ch</strong>, Gnne J. (1979)Aus der Ge-<br />

j


3. Internationale Entwicklung<br />

Na<strong>ch</strong> dem Ende <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges wurde auf der Pariser Friedenskon.ferenz<br />

1919 eine Kommission für Arbeitsgesetzgebung eingesetzt. Na<strong>ch</strong> zehnwö<strong>ch</strong>iger<br />

Arbeit einigte si<strong>ch</strong> die Kommission am 28.06.I9t9 auf die Verfassung der Interna-<br />

tionalen Arbeitsorganisation (IAO1tz6. Diese wurde als Teil XIII in den Vertrag<br />

von Versailles aufgenommen. Na<strong>ch</strong> dem Zweiten Weltkrieg wurde von der Allge-<br />

meinen Konferenz der IAO am 01.11 .1946 die Erklärung über die Ziele und<br />

Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation (sog. Philadelphia Erklärung)<br />

angenommentzT. Die S<strong>ch</strong>weiz trat der IAO erst 1948 beir2u, hat seither aber zahl-<br />

rei<strong>ch</strong>e Abkommen aus dem Berei<strong>ch</strong> <strong>des</strong> Arbeitnehmers<strong>ch</strong>utzes und der sozialen<br />

Si<strong>ch</strong>erheitl2e. namentli<strong>ch</strong> die Kernabkomllgnr3{). ratifiziert.<br />

s<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der AHV in: ZAK 1979, 291 ff,386 ff.,459 ff. und 525 ff., Hnusen, A (1961) S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Erlenba<strong>ch</strong>/Stuttgart, Maunen, A. (1981) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> <strong>des</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>tsin: S<strong>ch</strong>riftenreihe für internationales und verglei<strong>ch</strong>en<strong>des</strong>,Sozialre<strong>ch</strong>t.<br />

Bd.6c, Berlin, 731ff ., Möcxr-r, S. (1988) Der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Sozialstaat. Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

Sozialphilosophie, Sozialpllitik,Bemlstuttgaft, Souvrn, J. H. (1978) Das Ringen um soziale Si<strong>ch</strong>erheit<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz. Eine politis<strong>ch</strong>-ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Ursprünge, Entwicklungen und Perspektiven<br />

sozialer Si<strong>ch</strong>erung im Widerstreit zwis<strong>ch</strong>en Gruppeninteressen und volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Tragbarkeit,Diss. St. Gallen, sowie TscHuor, H. P. (1989) Entstehung und Entwicklung der<br />

s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Sozialversi<strong>ch</strong>erungen, Basel, und Tscnuor, H. P. (1990) Die ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Entwicklung<br />

der Sozialversi<strong>ch</strong>erungen ,in: Cahiers genevois de söcurit6 sociale 1990/7, 53 ff.<br />

126 In der Fassung der Urkunde über die Abänderung der Verfassung der lnternationalen Arbeitsorganisation<br />

vom 09.10.1946. Siehe dazu Munrn, E. (2001b)Globalisierung und Sozials<strong>ch</strong>utz. Ein Blick in<br />

die Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der lL0 (lA0/0lTl aus s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t in: Mölanges en l'honneur<br />

de Jean-Louis Duc, Lausanne, 197 ff., und MunEn, E. (2001a) Globalisierung und internationaler<br />

Sozialre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz. Lehren aus der Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der lA0/0lT/lL0?, in: 21A52001,342tf.<br />

127 Bis 2003 wurden von der lA0 185 Übereinkommen (siehe dazu http://www.ilo.org/itolex/german/<br />

docs/convdispl.html und 194 Empfehlungen (siehe dazu http://www.ilo.org/ilolex/german/docs/<br />

recdispl.html angenommen. Auf ihrer 87. Taqung im Juni 1999 untergliederte die lA0 die bisher<br />

verabs<strong>ch</strong>iedeten Übereinkommen und Empfehlungen in vers<strong>ch</strong>iedene Kategorien, wobei die Soziale<br />

Si<strong>ch</strong>erheit als Berei<strong>ch</strong> Vll bezei<strong>ch</strong>net wurde. Besonderer Bedeutung kommt dabei dem Übereinkommen<br />

Nr. 102 über die Min<strong>des</strong>tnormen der Sozialen Si<strong>ch</strong>erheit vom 28.06.1952 (SR 0.831.102)<br />

und dem Übereinkommen Nr, 128 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene<br />

vom 29.06.1967 (SR 0.831.105) zu. Siehe ferner die vom Europarat verabs<strong>ch</strong>iedete Europäis<strong>ch</strong>e 0rdnung<br />

der Sozialen Si<strong>ch</strong>erheit vom 16.04.1964 (SR 0.831.104).<br />

128 Vgl. AS 1948 915; BBI 1947 | 665 ff.<br />

12s Siehe dazu SR 0.831.<br />

r30 Besonders wi<strong>ch</strong>tige Übereinkommen werden als sog. Kernabkommen bzw. -normen bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Zu diesen, au<strong>ch</strong> von der S<strong>ch</strong>weiz ratifizierten Übereinkommen zählen die Übereinkommen Nrn. 29<br />

(Zwangsarbeit [1930]), 87 (Vereinigungsfreiheit und S<strong>ch</strong>utz <strong>des</strong> Vereinigungsre<strong>ch</strong>tes [1948]), 98<br />

(Vereinigungsre<strong>ch</strong>t und Re<strong>ch</strong>t zu Kollektiwerhandlungen [19a9]), 105 (Abs<strong>ch</strong>affung der Zwangsarbeit<br />

[1957]), 100 (Glei<strong>ch</strong>heit <strong>des</strong> Entgelts [1951]), 111 {Diskriminierung in Bes<strong>ch</strong>äftigung und Beruf<br />

[1958]),138 (Min<strong>des</strong>talter [1973]]und 182 (Verbot und unverzügli<strong>ch</strong>e Massnahmen zur Beseitigung<br />

der s<strong>ch</strong>limmsten Formen der Kinderarbeit [1999]). Siehe dazu BnupeacHsR, S. (2002) Fundamentale<br />

Arbeitsnormen der lnternationalen Arbeitsorganisation. Eine Grundlage der sozialen Dimension<br />

der Globalisierung, Diss. Züri<strong>ch</strong>.


$S SSI-\SN*$W r:B NN<br />

Die soziale Si<strong>ch</strong>erheit wurde im Verlauf der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts<br />

zudem in vers<strong>ch</strong>iedenen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsabkommen als grundlegender Aspekt<br />

der internationalen Völkergemeins<strong>ch</strong>aft bezei<strong>ch</strong>net. Bereits die Allgemeine Er-<br />

klärung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ter-rr spri<strong>ch</strong>t von einem


standen seit alters her, wobei sie je na<strong>ch</strong>Zeitalter einen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Institu-<br />

tionalisierungsgrad aufwiesen und primär karitativer Natur waren. Bereits der<br />

Codex Hamnturabil38 verpfli<strong>ch</strong>tete zur Unterstützung von Witwen und Waisen<br />

und enthielt Bestimmungen über das Arbeitsentgelt und Haftungsbestim-<br />

mungenl3e. Ahnli<strong>ch</strong>e Anweisungen erteilte das Alte Testamentr4{). Im antiken<br />

Grie<strong>ch</strong>enland erhielten bedürftige Kriegsopfer seit Peisistratos (um 560 v. Chr.)<br />

staatli<strong>ch</strong>e Unterstützung; der Ubergang zu einer allgemeinen staatli<strong>ch</strong>en Für-<br />

sorge erfolgte aber erst unter Perikles (450429 v. Chr.)t+t.<br />

In Rom wurden fürsorgeris<strong>ch</strong>e Massnahmen vor allem aus politis<strong>ch</strong>en Gründen<br />

ergriffenra2. C. Grac<strong>ch</strong>us (153-l2I v. Chr.) erliess die lex frumentaria, die der<br />

hauptstädtis<strong>ch</strong>en Bevölkerung verbilligtes Getreide zusi<strong>ch</strong>erte; daneben wurde<br />

dre Bevölkeruns mit Brot und Spielen bei Laune gehalten. Unter Marcus Ulpia-<br />

nus Traiamrs (53-117) wurde s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ein System staatli<strong>ch</strong>er Familienbeihil.fe<br />

eingeführtra'r. <strong>des</strong>sen Zweck u.a. in der Ernährung armer Kinder bestand. Neben<br />

der staatli<strong>ch</strong>en Fürsorqe bestanden berufsständis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>erungssystemeraa.<br />

Im Mittelalter herrs<strong>ch</strong>te ein vielfältiges Nebeneinander von staatli<strong>ch</strong>emlas, kir<strong>ch</strong>-<br />

li<strong>ch</strong>em und privatem Armenwesen, insbesondere zünftis<strong>ch</strong>en Selbsthilfestruktu-<br />

r38 Der von Hammurabi - König von Babylon (1728-1686 v. Chr.)- verabs<strong>ch</strong>iedete Erlass enthält 282<br />

Vors<strong>ch</strong>riften aus dem Straf-. Zivil- und Handelsre<strong>ch</strong>t.<br />

13e Vgl. z.B. Zift.137 ff. und 2'15 ff. sowie Epilog Codex Hammurabi.<br />

140 Vgl. z.B.2.Mose 22,24;3.Mose 19,10ff.;3.Mose 23,22f't.;S.Mose 15,1f. und 11 und 5.Mose 24,6fi.<br />

sowie 1.Sam uel2,7 ff . (wo Jahwe als Gott der Armen und Verlassenen bezei<strong>ch</strong>net wird).<br />

14r Vgl. dazu Bnocrvrvrn, N. (1972) Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Antike. Ein Abriss, Stuttgart, FnenrcH, J. (1996)<br />

Handbu<strong>ch</strong> der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Sozialpolitik in Deuts<strong>ch</strong>land. Bd. l: Von der vorindustriellen Zeit bis<br />

zum Ende <strong>des</strong> Dritten Rei<strong>ch</strong>es.2. A.,Mün<strong>ch</strong>en,2f ., und Prrens, H. (1978) Die <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der sozialen<br />

Versi<strong>ch</strong>erung.3.4., St. Augustin, 15, und Swoeoon, E. (1961l Der soziale Gedanke in der Antike,<br />

G raz.<br />

142 Weiterführend ALröLov, G. {1984) Bömis<strong>ch</strong>e Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. 3.4., Wiesbaden, BLercxen, J. (1995)<br />

Verfassungs- und Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>des</strong> Bömis<strong>ch</strong>en Kaiserrei<strong>ch</strong>s. Bd. 1.4. A.,Züri<strong>ch</strong>, BRocxruryrn,<br />

N. (1972) Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Antike. Ein Abriss, Stuttgart, PnErr, M. (19971 Sozialökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Armut im antiken Rom. Von den Grac<strong>ch</strong>en bis Kaiser Diokletian, Stuttgart,<br />

Knuuruou, H. (1992) Über sozialstaatli<strong>ch</strong>e Aspekte in der Novellengesetzgebung Justinians, Diss.<br />

Bonn, Küsren,A. (1991]'Blinde undTaubstumme im römis<strong>ch</strong>en Be<strong>ch</strong>t, Köln, und RüEor, R. (1974)Der<br />

kranke Arbeitnehmer in römis<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t und die öffentli<strong>ch</strong>e Fürsorge für ihn in der Stadt<br />

Rom, in: SZS 1974, 114 tt.<br />

r43 Diese bestand von 101 bis 315 (vgl. FnrnrcH, J. [1996] Handbu<strong>ch</strong> der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Sozialpolitik in<br />

Deuts<strong>ch</strong>land. Bd. l: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende <strong>des</strong> Dritten ßei<strong>ch</strong>es.2. 4., Mün<strong>ch</strong>en,<br />

4).<br />

144 Z.B. Krankenkassenvereine (collegia tenuiorum) und Sterbekassenvereine (collegia funeratica).<br />

Siehe dazu PrrEns, H. (1978) Die <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der sozialen Versi<strong>ch</strong>erung.3.4., St. Augustin, 17.<br />

145 Karl der Grosse führte 779 eine Armensteuer ein und verpfli<strong>ch</strong>tete die Kir<strong>ch</strong>e, den


ili)<br />

ren146. Die Bis<strong>ch</strong>öfe waren seit dem Konzilbes<strong>ch</strong>luss von Orlöal?r von 511 für die<br />

Bedürftigen ihrer Diözese zuständig; die Synode von Tours von 532 erlaubte zudem<br />

den Pfarrgemeinden, Kir<strong>ch</strong>engüter für die Unterstützung der Armen zu verwenden1l7.<br />

Kir<strong>ch</strong>en. Klöster und kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Orden betreuten ebenfalls Kranke<br />

und gründeten HospitäIerl48. Ergänzt wurden die kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bemühungen dur<strong>ch</strong><br />

die in der S<strong>ch</strong>olastik entwickelte Almosenlehre, die dazu verpfli<strong>ch</strong>tete, Einkom-<br />

men und Vermögen, das ni<strong>ch</strong>t für die Deckung <strong>des</strong> stan<strong>des</strong>gemässen Lebensunterhalts<br />

erforderli<strong>ch</strong> war, für wohltätige Zwecke oder zur Tilgung eigener Sünden<br />

(Ablasshandel) zu verwendenl4e.<br />

Im Spätmittelalter entstand die Gemeindefürsorge. Die Städte gründeten Spitäler<br />

und Asyle bzw. übernahmen zusehends die früheren kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Einri<strong>ch</strong>tungen.<br />

Der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wandel <strong>des</strong> 16. Jahrhundert veränderte die Fürsorgepraxis<br />

und die Einstellung der Obrigkeiten gegenüber den Armen. Das staatli<strong>ch</strong>e Fürsorgewesen<br />

wurde vermehrt von drei Grundsätzen geprägt: Betreuung <strong>des</strong> Armen<br />

dur<strong>ch</strong> seine Heimatgemsildel5tt, Konkretisierung von Leistungsvorausset-<br />

zungen sowie zunehmende Zentralisierung. Als im 17. und 18. Jahrhundert die<br />

Zahl der Bedürftigen stieg, entwickelte si<strong>ch</strong> der heute no<strong>ch</strong> geltende Grundsatz<br />

der v o r r an gi g e n Ve rw an dt e nunt e r s tüt zun g s p fli c fu 1 rs r .<br />

Weiterführend dazu Gtourru, H.-J. {2002) Von der Barmherzigkeit zur Sozialversi<strong>ch</strong>erung. Umbrü<strong>ch</strong>e<br />

und Kontinuitäten vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert,Züri<strong>ch</strong>, GuEsr-rr,,t, A./GurLr-nurr,re, P.<br />

(1992) De la <strong>ch</strong>arit| mödifvale ä la söcuritö sociale. Economie de la protection sociale du Moyen<br />

Äge ä t'öpoque contemporaine,Paris, Frscren, W. (1982) Armut in der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong>. Ers<strong>ch</strong>einungsformen<br />

und Lösungsversu<strong>ch</strong>e der ttSozialen Fraget in Europa seit dem Mittelalter, Göttingen, und<br />

ScHöpren, G. (1976) Sozialer S<strong>ch</strong>utz im 16.-18. Jahrhunden. Ein Beitrag zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Personenversi<strong>ch</strong>erung<br />

und der landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erung, Diss. Graz.<br />

Vgl. Fnenrcu, J. (1996) Handbu<strong>ch</strong> der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Sozialpolitik in Deuts<strong>ch</strong>land. Bd. l: Von der vorindustriellen<br />

Zeit bis zum Ende <strong>des</strong> Dritten Rei<strong>ch</strong>es. 2. A,Mün<strong>ch</strong>en, 5 f.<br />

Siehe dazu JenEn, D. (1977) Grundzüge der Krankenhausges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Darmstadt, Jonnnrx, P. (2000)<br />

Städtis<strong>ch</strong>es Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800, Köln/Böhlau, KocH, M. G. (1999) Epidemie<br />

und Gemeinwohl. Historis<strong>ch</strong>er Gang dur<strong>ch</strong> die Seu<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und die offenen Fragen heute<br />

in HIV und Re<strong>ch</strong>t, Basel,9 ff., MunrEru, A. H. (1982) Zur Entwicklung der Spitäler und Heilanstalten<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz und in Na<strong>ch</strong>barländern. Synposiun anlässli<strong>ch</strong> der jährli<strong>ch</strong>en Tagung der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft für <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Medizin und der Naturwissens<strong>ch</strong>aften, Aarau, ScHrnp-<br />

IrEn, H. (1984) Studien zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Fürsorge, Frankfurt a.M.,7 ff., insbes. 15 f., und ScurppEners,<br />

H. {1990} Die Kranken im Mittelalter Mün<strong>ch</strong>en.<br />

Vgl. FnenrcH, J. (1996) Handbu<strong>ch</strong> der <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Sozialpolitik in Deuts<strong>ch</strong>land. Bd. l: Von der vorindustriellen<br />

Zeit bis zum Ende <strong>des</strong> Dritten Bei<strong>ch</strong>es.2. Ä., Mün<strong>ch</strong>en, 5 f., und ScHEnprurn, H. (1984)<br />

Studien zur <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> der Fürsorge, Frankfurt a.M., 8 ff.<br />

1551 ents<strong>ch</strong>ied die eidgenössis<strong>ch</strong>e Tagsatzung, dass si<strong>ch</strong> fortan jede Gemeinde oder Pfarrei um<br />

ihre eigenen Armen kümmern solle. Diese Ents<strong>ch</strong>eidung beruhte auf dem bereits 1491 verabs<strong>ch</strong>iedeten<br />

Grundsatz, dass jeder 0rt für die Fürsorge verantwortli<strong>ch</strong> sei.<br />

Vgl. Art.328 ff. ZGB, Siehe dazu au<strong>ch</strong> Heno, A.-1./ScHrvraa, B. (1989) Armut in der S<strong>ch</strong>weiz (17.-20.<br />

JilZüri<strong>ch</strong>.


Spätestens seit dem 17. Jahrhundertls2 entstand zunehmend eine repressive Armenpolitikls3.<br />

Diese äusserte si<strong>ch</strong> in der Erfassung der Armen,<br />

einem Bettelverrbot in der Öffentli<strong>ch</strong>keit, Arbeitszwang für Arbeitsfähige. organisierte<br />

Fürsorge für die


NS ffiffiW<br />

ü?<br />

aJL<br />

führte s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zur Trennung in die Arbeiterpolitik (Sozialversi<strong>ch</strong>erung) und<br />

die Armenp olitik ( Ftirsorge)tsi .<br />

B. Sozialhilfesystem<br />

Der Bund besitzt bis heute keine allgemeine Zuständigkeit im Berei<strong>ch</strong> <strong>des</strong> Sozialhilfewesensrs8;<br />

er ist seit 1979 ledigli<strong>ch</strong> zur Regelung der interkantonalen Zuständigkeitlse<br />

befugtl60. Es besteht allerdings seit dem In-Kraft-Tieten der neuen<br />

1798,2üri<strong>ch</strong>, DüssLr, H.<br />

I57<br />

t58<br />

,1948l.<br />

Das Armenwesen <strong>des</strong> Kantons Thurgau seit 1.803, Frauenfeld, Frücrre en, P.<br />

(19201 Die burgerli<strong>ch</strong>e Arnenpflege im Kanton Bern, Diss. Bern, Gersrn, K. (1894) <strong>Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te</strong> <strong>des</strong> Armenwesens<br />

in Kanton Bern von der Reformation bis auf die neuere Zeit,Bern, HAreLr, E. (19281 Das öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Armenwesen <strong>des</strong> Kantons Luzern, Diss. Bern, Ketrn, B. (19351 Das Armenwesen <strong>des</strong> Kantons<br />

Züri<strong>ch</strong> vom Beginn <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts bis zum Armengesetz <strong>des</strong> Jahres 1836, Winterthur, Ronnen, K.<br />

(1918) Das gesetzli<strong>ch</strong>e Armenwesen im Kanton Aargau seit 1804 und die Reformbestrebungen für ein<br />

neues Armengesetz, Diss. Züri<strong>ch</strong>, und ScHuro, C. A. (1914) Das gesetzli<strong>ch</strong>e Armenwesen in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz. Das Armenwesen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>. sämtli<strong>ch</strong>er Kantone und der s<strong>ch</strong>weiz. Grossstädte. Züri<strong>ch</strong>.<br />

Zu ersteren Entwicklung siehe bereits supra lll/8.<br />

Der Bund hat Fürsorgeregelungen zu Gunsten vereinzelter Bevölkerungsgruppen bereits unter der<br />

Geltung der Bun<strong>des</strong>verfassung von 1848 erlassen. Zu erwähnen ist namentli<strong>ch</strong> die Soldatenfürsorge,<br />

die mit den Gesetzen vom 07.08.1852 und vom 13.11.1874 eingeführt wurde. 1887 erfolgte der Abs<strong>ch</strong>luss<br />

einer Kollektivversi<strong>ch</strong>erung zwis<strong>ch</strong>en dem Bund und der Züri<strong>ch</strong>-Versi<strong>ch</strong>erung, wobei die<br />

Prämien für die Wehrmänner vom Bund übernommen wurden; diese Privatversi<strong>ch</strong>erung war der<br />

Vorläufer der na<strong>ch</strong>maligen Militärversi<strong>ch</strong>erung gemäss MVG (vgl. dazu supra FN 122). - In lüngster<br />

Zeit wurde die Frage na<strong>ch</strong> einer Bun<strong>des</strong>zuständigkeit vermehrt gestellt, vgl. dazu Courrrnv, P. (1995)<br />

Diskussionsentwurf für ein eidgenössis<strong>ch</strong>es Sozialhilferahmengesetz, in: SZS 1995,336 ff., und WoLrrens,<br />

F. (1994) Brau<strong>ch</strong>t es für die Sozialhilfe eine bun<strong>des</strong>re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Regelung?, in: SZS 1994, 118 ff.<br />

159 Aft. 48 aBV wurde anlässli<strong>ch</strong> der Volksabstimmung vom 07.12.1975 angenommen, Der Bund erliess<br />

in der Folge das Bun<strong>des</strong>gesetz über die Zuständigkeitfür die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz,ZUGI'<br />

vom 24.06.1977 (vgl. dazu THouel W [1994] Kommentar zum Bun<strong>des</strong>gesetz<br />

über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG]. 2. A.,Züri<strong>ch</strong>l, Vorher galt ein Konkordat<br />

(vgl. dazu Txovel W. [1961] Das Konkordat über die wohnörtli<strong>ch</strong>e Unterstützung vom 16. Dezember<br />

1960, Bern, Guelrn, E. [19171 lnterkantonales Armenre<strong>ch</strong>t. Eine Darstellung der bun<strong>des</strong>re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

und überkantonalen Normen betreffend die Fürsorgepfli<strong>ch</strong>ten der Kantone und<br />

Gemeinden gegenüber Bürgern anderer Kantone,Türi<strong>ch</strong>, und Pvriror,r, L. [1945] Die Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>geri<strong>ch</strong>tes auf dem Gebiet der interkantonalen Armenpflege in: Ents<strong>ch</strong>eide auf<br />

dem Gebiete <strong>des</strong> eidgenössis<strong>ch</strong>en und kantonalen Fürsorgewesens, Züri<strong>ch</strong>, 49 ff.).<br />

r60 Gestützt auf die Staatvertragskompetenz hat der Bund bereits im 19. Jh. Fürsorgeabkommen mit<br />

anderen Staaten abges<strong>ch</strong>lossen, vgl. dazu Die Erklärung vom 06./15.10.1875 zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Eidgenossens<strong>ch</strong>aft und dem Königrei<strong>ch</strong> ltalien betreffend gegenseitige unentgeltli<strong>ch</strong>e<br />

Verpflegung armer Erkrankter, den Vertrag vom 07.12.1875 zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weiz und der österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>-ungaris<strong>ch</strong>en<br />

Monar<strong>ch</strong>ie zur Regelung der Niederlassungsverhältnisse, Befreiung vom Militärdienst<br />

und den Militärsteuern, glei<strong>ch</strong>mässige Besteuerung der beiderseitigen Staatsangehörigen,<br />

gegenseitige unentgeltli<strong>ch</strong>e Verpflegung in Krankheits- und Unglücksfällen und gegenseitige<br />

kostenfreie Mitteilung von amtli<strong>ch</strong>en Auszügen aus den Geburts-, Trauungs- und Sterberegistern,<br />

die Erklärung vom 12.11.1896 zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weiz und Belgien betreffend die Unterstützung und<br />

Heims<strong>ch</strong>affung der bedürftigen Angehörigen der beiden Länder, und die Erklärung vom 16.05.1898<br />

zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Eidgenossens<strong>ch</strong>aft und dem Königrei<strong>ch</strong> Portugal betreffend<br />

gegenseitig e unentgeltli<strong>ch</strong>e Verpfle g ung a rmer Erkrankter.


Bun<strong>des</strong>verfassungl6l ein verfassttngsmässiger Anspru<strong>ch</strong> att.f eine mens<strong>ch</strong>würdige<br />

Existenzi62. Die kantonalen Sozialhilfegesetze erweitern diesen Anspru<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

weitergehende wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Leistungen und persönli<strong>ch</strong>e Dienstleistungen, auf<br />

die in der Regel ein gesetzli<strong>ch</strong>er Anspru<strong>ch</strong> besteht163. Da si<strong>ch</strong> die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Leistungen na<strong>ch</strong> dem konkreten Bedarf im Einzelfall ri<strong>ch</strong>ten, kommt ihnen eine<br />

(einges<strong>ch</strong>ränkte) S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong>funktion zu:Der Ges<strong>ch</strong>ädigte erhält nur dann<br />

und insoweit Leistungen. wenn er einen konkreten Bedarf na<strong>ch</strong>weist, der für die<br />

Si<strong>ch</strong>erung eines mens<strong>ch</strong>enwürdigen Daseins erforderlish i51t0+.<br />

C. Soziales Ents<strong>ch</strong>ädigungssystem<br />

Die so:ialert Ertscltndigungssvsteme weisen ebenfalls eine S<strong>ch</strong>adenausglei<strong>ch</strong>s-<br />

funktion auf. Der Staat gewährt die fragli<strong>ch</strong>en Geldleistungen aber ni<strong>ch</strong>t zur<br />

Existenzsi<strong>ch</strong>erung. sondern zur Kompensation von ungedeckten S<strong>ch</strong>äden, deren<br />

Ausglei<strong>ch</strong> er aus sozialpolitis<strong>ch</strong>en Überlegungen als erforderli<strong>ch</strong> era<strong>ch</strong>tet. Bei-<br />

spiele sol<strong>ch</strong>cr Ents<strong>ch</strong>ädigungssysteme stellen die Opferhiryetr's,die Ausfallhaftttng<br />

bei Intp.fsclttiderr'"- oder die Staatshaftung bei re<strong>ch</strong>tmässiger S<strong>ch</strong>adenszufügung167<br />

(Enteignunsr"' etc. ) dar. Gemeinsam ist all diesen Ents<strong>ch</strong>ädigungssystemen, dass<br />

der Staat. ob* ohl sclbst ni<strong>ch</strong>t haftbar, einen anderweitig ni<strong>ch</strong>t gedeckten S<strong>ch</strong>aden<br />

161 Die heute geltende BV trat am 01.01.2000 in Kraft.<br />

r62 Vgl. Art. 12 BV und zu den vers<strong>ch</strong>iedenen Existenzminima Gvsrru, C. (1999) Der S<strong>ch</strong>utz <strong>des</strong> Existenzminimums<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz, Diss. Basel.<br />

r63 Siehe z.B. Worrrrns, F (1999) Grundriss <strong>des</strong> Sozialhilfere<strong>ch</strong>ts.2. A.,Bern,125tt.<br />

164 Probleme ergeben si<strong>ch</strong> <strong>des</strong>halb in Bezug auf den Ersatz normativer S<strong>ch</strong>äden, namentli<strong>ch</strong> bei normativen<br />

Pf lege- und Betreuungskosten, vgl. dazu Lrsoor, H. (2002) Pflegere<strong>ch</strong>t. Band ll: S<strong>ch</strong>weizerisc<br />

hes Pfl e g e re c ht, Bern, 7 42 fI.<br />

165 Siehe dazu Bun<strong>des</strong>gesetz über die Hilfe an 0pfer von Straftaten (0pferhilfegesetz,0HG) vom<br />

04.10.1991 und Verordnung über die Hilfe an 0pfervon Straftaten (0pferhilfeverordnung,0HV)vom<br />

18.1'1.1992. Die 0pfer einer in der S<strong>ch</strong>weizverübten Straftat können im Kanton, in dem die Tatverübt<br />

wurde, eine Ents<strong>ch</strong>ädigung oder Genugtuung geltend ma<strong>ch</strong>en;die Ents<strong>ch</strong>ädigung ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong><br />

dabei na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>aden und den Einnahmen <strong>des</strong> 0pfers. Das 0pfer hat Anspru<strong>ch</strong> auf eine Ents<strong>ch</strong>ädigung<br />

von maximnal 100 000 Franken für den dur<strong>ch</strong> die Straftat erlittenen S<strong>ch</strong>aden, wenn<br />

sein Einkommen das Vierfa<strong>ch</strong>e <strong>des</strong> massgebenden EL-Hö<strong>ch</strong>stbetrages für den allgemeinen Lebensbedarf<br />

ni<strong>ch</strong>t übersteigt. Dem 0pfer kann unabhängig von seinem Einkommen eine Genugtuung<br />

ausgeri<strong>ch</strong>tet werden, wenn es s<strong>ch</strong>wer betroffen ist und besondere Umstände es re<strong>ch</strong>tfertigen<br />

(vgl. Art I 1 ff. 0HG und Art. I ff. 0HV). Weiterf ührend Gouu, P./Srrrr.r, P., tr et. (19951 Kommentar zum<br />

0pferhilfegesetz,Bern, und HAeenLr, T. (2002) Das 0pferhilfere<strong>ch</strong>t unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Praxis<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>geri<strong>ch</strong>tes, in: ZBJV 2002, 361 t't.<br />

r66 Vgl.4r1.23 <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten <strong>des</strong> Mens<strong>ch</strong>en<br />

(Epidemiengesetz, EpG)vom 18.12.1970, und BGE 129 ll 353 (siehe dazu die Urteilsanmerkung von<br />

Lnruooq in: HAVE 2003, 313 ff., und HILL 2003, Fa<strong>ch</strong>artikel 10).<br />

r67 Siehe dazu bereits supra ll/C/2/b.<br />

168 Vgl. Art.26 Abs.2 BV sowie weiterführend Hess, H./VVrrarl, H. (1986) Das Enteignungsre<strong>ch</strong>t <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>. Kommentar zum Bun<strong>des</strong>gesetz über die Enteignung, zu den verfassungre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen und zur Spezialgesetzgebung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>.2 Bde.,Bern.


$w NssFww .Nr<br />

üili<br />

ersetzt, wobei die Höhe der Ersatzleistung im Maximum dem ungedeckten S<strong>ch</strong>aden<br />

entspri<strong>ch</strong>tr6e, im Einzelfall aber dur<strong>ch</strong>aus bedarfsorientiert ausgestaltet istr70.<br />

r6e Vgl. z.B. Art. 23 Abs. 3 EpG.<br />

r70 Siehe supra FN 165 zur bedarfsorientierten 0pferhilfeents<strong>ch</strong>ädigung.

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