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Gesamtkirchengemeinde - Kirchenbezirk Geislingen

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Die etwas andere Kolummne<br />

18<br />

Willem vom Kirchplatz<br />

Dietrich Crüsemann<br />

Der Kirchplatz war in einen trüben, dunklen<br />

Winternebel gehüllt, als ich nach langer Zeit<br />

wieder einmal vor die Tür trat, um mit Willem,<br />

dem kaiserlichen Denkmal einen kleinen Plausch<br />

zu halten. Es war nass und ungemütlich, und der<br />

Mond hatte sich hinter die Wolken verkrochen.<br />

Selbst der Ödenturm war kaum zu erahnen.<br />

„Willem, alter Knabe,“ flüsterte ich zum Kaiser<br />

hinüber. „Magst du bei solchem Wetter überhaupt<br />

reden? Still ist es ja, aber wenn ich lange hier<br />

rumstehen muss, werde ich mir vermutlich einen<br />

Schnupfen holen!“<br />

„Du redest ja ohnehin kaum noch mit mir, seit<br />

der Gemeindebrief größer, aber seltener geworden<br />

ist!“ grummelte es vom Sockel herunter. Und<br />

nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Aber als<br />

Denkmal ist man von Wetter und Stimmung unabhängig.<br />

Das könntest du inzwischen eigentlich<br />

wissen!“<br />

Ich erinnerte mich zwar nicht, dass der Alte mir<br />

das jemals erzählt hätte. Aber ich verkniff es mir,<br />

ihm zu widersprechen. „Stimmt“ sagte ich stattdessen.<br />

„Und da hast du es wirklich gut. Denn<br />

Stimmungen können einem das Leben manchmal<br />

schon schwer machen.“<br />

„Naja, unser Alleroberster ist ja immer prächtiger<br />

Stimmung“ meinte Willem daraufhin. „Wollte<br />

sagen unser Stadtoberster. Über den Allerobersten<br />

weißt du ja besser Bescheid. Wenn unser Stadtoberster<br />

über den Kirchplatz geht, sieht er jedenfalls<br />

fast immer gut gelaunt aus. Und deine<br />

Oberste ist doch auch immer gut gelaunt, oder?“<br />

„Öh, ja…“ erwiderte ich etwas zögernd, weil ich<br />

auf diese Frage nicht gefasst war, und fügte dann<br />

schnell hinzu. „Man siehts ihr bloß nicht immer<br />

gleich an.“<br />

„Ja die Stimmung…“ fuhr Willem in weisem Ton<br />

fort „sie hat einen oder auch nicht. Aber manche<br />

Leute schreiben dann wohl einfach Briefe, wenn<br />

sie schlechter Stimmung sind. Das soll helfen, hab<br />

ich mir sagen lassen. Auch wenn ich es ja nicht<br />

nötig habe!“<br />

„Ja, Briefe schreiben kann helfen“ gab ich dem<br />

Alten recht. Und nach einer kleinen Pause fügte<br />

ich hinzu: „Schwierig kann es bloß werden, wenn<br />

man die Briefe dann auch abschickt. Das sollte<br />

man dann besser unterlassen. Sonst zieht die<br />

schlechte Stimmung womöglich zum nächsten<br />

weiter.“<br />

„Ach ja“ fragte der Kaiser ganz interessiert.<br />

„Und was geschieht dann mit den Briefen, wenn<br />

man sie nicht abschickt?“<br />

„Man kann sie doch einfach in der Schublade<br />

lassen“ erwiderte ich. „Oder besser im PC. Spart<br />

Papier. Ich hab einen kleinen Ordner mit Briefen,<br />

die nie abgeschickt wurden. Meine Stimmung war<br />

dann immer besser. Und weil ich sie nicht abschickte,<br />

wurde die von den andern auch nicht<br />

schlechter.“<br />

„So, so“ brummelte Willem schon müde<br />

klingend vor sich hin. „Und was mach ich, der ich<br />

keinen Computer besitze?“<br />

„Aber du bist doch keinen Stimmungen ausgeliefert,<br />

Willem“ erwiderte ich. „Sonst fällt mir auch<br />

nichts denkmalgemäßes ein. Luther warf ja mit<br />

Tintenfässern nach den Dämonen, die ihm die<br />

Stimmung verdarben. Aber das dürfte für dich<br />

auch schwierig sein.“<br />

Noch während ich redete bemerkte ich, dass der<br />

Denkmalssockel schon wieder von tiefem Schweigen<br />

umhüllt war. So ging ich ins Haus zurück und<br />

krabbelte bald darauf in mein warmes Bett. Was<br />

ich in dieser Nacht träumte, weiß ich allerdings<br />

nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch, dass<br />

mehrere Tintenfässer eine wichtige Rolle spielten.

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