Rio+20 was nun? - Deutsche Gesellschaft für die Vereinten ...
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2<br />
Das vorliegende Heft basiert auf der Broschüre „The Importance of<br />
<strong>Rio+20</strong>“, <strong>die</strong> von der britischen Organisation „Peace Child International“<br />
herausgegeben wurde.<br />
Für <strong>die</strong>se deutsche Ausgabe wurden der Text von David Woollcombe<br />
und <strong>die</strong> Grafiken von Romain Oria entsprechend angepasst.<br />
Dank <strong>für</strong> <strong>die</strong> großartige Unterstützung geht an das UNDP-Büro <strong>für</strong><br />
den Bericht über <strong>die</strong> menschliche Entwicklung, das Umweltprogramm<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen (UNEP) und an <strong>die</strong> Europäische Kommission.<br />
DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR DIE VEREINTEN NATIONEN e. V.<br />
Zimmerstraße 26/27<br />
D-10969 Berlin<br />
Telefon: (030) 259375-0<br />
Telefax: (030) 259375-29<br />
E-Mail: info@dgvn.de<br />
Internet: www.dgvn.de<br />
Alle Rechte liegen beim Herausgeber. Ohne vorherige Genehmigung durch den Herausgeber<br />
dürfen keine Auszüge aus <strong>die</strong>ser Publikation angefertigt, reproduziert, archiviert oder übermittelt<br />
werden, auch nicht elektronisch, als Fotokopie, Aufnahme oder auf andere Weise.<br />
Der Druck und das verwendete Papier erfüllen <strong>die</strong><br />
derzeit strengsten Umweltstandards. Der Umschlag<br />
und <strong>die</strong> Innenseiten sind gedruckt auf 100 Prozent recyceltem<br />
Altpapier, das mit dem Blauen Engel zertifiziert<br />
ist. Zur Kompensation der ausgestoßenen Treibhausgase<br />
wurden zertifizierte Klimaschutzmaßnahmen im<br />
Rahmen einer Investition in das Klimaschutzprojekt „Windenergie Neukaledonien“<br />
gefördert. Dieses Projekt ersetzt in etwa 40.000 Tonnen CO 2 pro Jahr.<br />
Design: Michael Adrian<br />
Grafiken: Romain Oria, Michael Adrian<br />
Titelseite: © panthermedia.net/soleilc1<br />
Übersetzung: Bernd Neidlein<br />
Redaktion: Michael Adrian, Ulrich Keller, Sabine Krieger-Mattila<br />
klimaneutral<br />
natureOffice.com | DE-289-346755<br />
gedruckt<br />
Die Herausgabe <strong>die</strong>ser Publikation war nur dank der finanziellen Förderung durch das<br />
Bundesministerium <strong>für</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung möglich.
Rio Rio + + 20 = 0=<br />
0<br />
USA Und EntwicklUngSländER hAbEn<br />
dEn nAchhAltigkEitSgipfEl SchEitERn lASSEn.<br />
JEtzt iSt zEit füR AlliAnzEn dER willigEn:<br />
wER mitmAcht, gEwinnt.<br />
Der UN-GipfeI <strong>Rio+20</strong> ist <strong>nun</strong> Vergangenheit. Der Staub hat sich gelegt. Reflexion ist angesagt<br />
und ein Blick auf <strong>die</strong> Zukunft von Großkonferenzen. Das konkrete Ergebnis war null. Mit Mühe<br />
konnte verhindert werden, dass <strong>die</strong> Ergebnisse des ökologisch ehrgeizigen Erdgipfels von Rio de<br />
Janeiro 1992 zerfleddert wurden. Das wäre dann Rio minus 20 gewesen. Und genau das hätte Brasilien,<br />
den USA und fast allen Entwicklungsländern gut gefallen. Wirtschaft, Wachstum, Freihandel<br />
waren deren Agenda, Nachhaltigkeit nur noch ein Tarnwort. Die Umwelt galt den meisten beteiligten<br />
Regierungen nur noch als Störenfried im Wachstumsrausch.<br />
Das ist <strong>nun</strong> karikaturhaft überzogen. Die Entwicklungsländer wollen halt Entwicklung. Das wollten<br />
sie schon immer. Und der Norden will Arbeitsplätze, das wollte er schon immer.<br />
Der Erdgipfel von Rio 1992 war <strong>die</strong> Ausnahme von <strong>die</strong>ser Regel. Das Aufatmen nach dem Ende<br />
des Kalten Krieges führte damals zu einer Aufbruchstimmung. Eine Welt des Friedens und der<br />
gesunden Umwelt wurde beschworen. Da wurde <strong>die</strong> Klima-Rahmenkonvention beschlossen. Da<br />
wurde <strong>die</strong> Biodiversitätskonvention beschlossen, um <strong>die</strong> Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten<br />
endlich zu stoppen und den Norden zu verpflichten, dem Süden einen fairen Ausgleich <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Entnahme von biologischen Schätzen zu geben. Da wurde <strong>die</strong> Agenda 21 beschlossen, das ökologisch-ökonomische<br />
Pflichtenheft <strong>für</strong> das 21. Jahrhundert. Und <strong>die</strong> Rio-Prinzipien gaben allem<br />
einen grundsätzlichen Rahmen, unter Einschluss des von den USA sonst immer abgelehnten Vorsorgeprinzips.<br />
Ökologisch gesehen war Rio 1992 gar nicht zu toppen. Aber man hätte sich 20 Jahre<br />
später konkrete Schritte zur Umsetzung gewünscht. Genau das scheiterte aber am ökonomistischen<br />
Zeitgeist.<br />
Es gab einzelne positive Aspekte. Technikfolgenabschätzung – <strong>die</strong> Einschätzung der Wirkung<br />
neuer Technologien auf <strong>die</strong> Umwelt – wurde endlich auf UN-Ebene als wünschenswert verankert,<br />
auch eine Wohlstandserfassung jenseits des Umsatzmaßstabs Bruttoinlandsprodukt (BIP) wurde<br />
gutgeheißen. Und von den neun „Major Groups“ der Konferenz (Frauen, Arbeitnehmer, Umweltgruppen,<br />
Indigene, Wissenschaft u. a.) machten acht einen vielversprechenden Vorschlag; bloß<br />
<strong>die</strong> neunte Major Group, Business, war dagegen.<br />
Achim Steiner, der Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms UNEP, hatte an sich gute Vorarbeit<br />
<strong>für</strong> Rio geleistet: Die Green Economy sollte es richten. Wachstum ja, aber naturverträglich. Sofort<br />
jedoch kam Misstrauen der Entwicklungsländer auf: Grüne Wirtschaft <strong>die</strong>nt doch bloß dem reichen<br />
Norden, der sich den teuren Umweltschutz bereits leisten kann. Und <strong>die</strong> Europäer haben doch<br />
nichts anderes im Sinn als den Schutz der eigenen Märkte, und <strong>die</strong>smal malen sie ihn eben grün an.<br />
Achim Steiner, <strong>die</strong> europäischen und <strong>die</strong> afrikanischen Staaten wünschten sich auch <strong>die</strong><br />
längst überfällige Aufwertung des UNEP von einem Programm zu einer eigenständigen<br />
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4<br />
UN-Organisation. Doch aus Washington schallte es: „Nicht mit uns. Neue Organisationen sind<br />
nicht im Interesse Amerikas.“ Dieser Standardsatz genügt <strong>für</strong> das US-amerikanische Veto. Seit Ronald<br />
Reagan in den frühen 1980er Jahren haben <strong>die</strong> USA aufgehört, internationale Vereinbarungen<br />
zu wollen. Also sabotieren sie den Prozess. Dabei braucht man <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewältigung globaler<br />
Aufgaben auch entsprechende Strukturen.<br />
Nach dem Null-Ergebnis von Rio macht sich <strong>die</strong> Stimmung breit, solche Großkonferenzen machten<br />
heute keinen Sinn mehr. Diese Resignation ist exakt das, <strong>was</strong> konservative Amerikaner wollen.<br />
Global Governance halten sie <strong>für</strong> anmaßend und Amerika-feindlich. Lasst doch <strong>die</strong> Märkte<br />
entscheiden, wohin <strong>die</strong> Welt steuert, das ist <strong>die</strong> Ausrede der Verhandlungssaboteure. Wenn sich<br />
<strong>die</strong>se Stimmung weltweit durchsetzt, war es ein wirklicher Katastrophengipfel, nicht nur ein Null-<br />
Gipfel.<br />
Doch wo ist dann <strong>die</strong> Perspektive? Nun, ich sehe sie in Allianzen der Willigen. Für <strong>die</strong> weltweite<br />
Durchsetzung der Hühnerzucht oder des Laptops bedurfte es keiner weltweiten vetofreien Konferenzen.<br />
Die Pioniere waren <strong>die</strong> Gewinner, nicht <strong>die</strong> Verlierer. Es kommt also darauf an, ökologische<br />
Pioniere zu Gewinnern zu machen.<br />
Bei der lokalen Schadstoffbekämpfung haben wir das geschafft. Im Schmutz und Gift will keiner<br />
mehr leben. Die nächste Phase ist <strong>die</strong> Überwindung der Verschwendung. Wer so leben will wie<br />
<strong>die</strong> Leute in Oklahoma (USA), ist auf Dauer auf billiges Öl angewiesen. Das geht zu Ende. Europa<br />
und Asien haben hier einen Vorteil, und den können sie noch weiter ausbauen. Ich plä<strong>die</strong>re <strong>für</strong><br />
eine Verfünffachung der Energie- und Ressourcenproduktivität. Wer da <strong>die</strong> Nase vorn hat, braucht<br />
den Welthandel nicht zu <strong>für</strong>chten. Ich plä<strong>die</strong>re weiter da<strong>für</strong>, Energie und Rohstoffe in dem Umfang<br />
teurer zu machen, wie <strong>die</strong> Effizienz zunimmt. Dann steigen <strong>die</strong> monatlichen Energiekosten<br />
im Durchschnitt nicht an. Mit Sonderregeln <strong>für</strong> ärmere Haushalte und <strong>die</strong> Industrie kann man<br />
Brüche vermeiden. Die verlässliche Erwartung eines Preispfads <strong>die</strong>ser Art beschleunigt <strong>die</strong> Effizienzverbesserung<br />
enorm. Man wird unabhängiger von Ölimporten und feiert Exporterfolge mit<br />
Effizienz. Wenn wir Europäer uns mit Asiaten auf so eine Politik einigen, wächst der Markt <strong>für</strong> grüne<br />
Technik sprunghaft an. Das Nachsehen haben <strong>die</strong>, <strong>die</strong> uns in <strong>Rio+20</strong> ständig geärgert haben,<br />
und es bleibt ihnen auf Dauer keine andere Wahl als mitzumachen.<br />
Dann kann man weiter zu Großkonferenzen zusammenkommen. Die sind durchaus nützlich <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Bewusstseinsbildung, den Druck in Richtung von Anstandsregeln und technischen Standards.<br />
Sie müssen nur unterfüttert werden mit halbwegs konkreten Ergebnissen, umgesetzt durch <strong>die</strong><br />
Allianzen der Willigen. Dann könnte sich zeigen:<br />
wER mitmAcht, gEwinnt.<br />
Ernst Ulrich von Weizsäcker, 73, ist Naturwissenschaftler<br />
und Politiker sowie Präsidiumsmitglied<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Vereinten</strong><br />
Nationen (DGVN). Von 1998 bis 2005 saß er<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> SPD im Bundestag. Heute ist er Ko-Vorsitzender<br />
des lnternational Resource Panel,<br />
eines UN-Ausschusses <strong>für</strong> Nachhaltigkeit.<br />
Dieser Text beruht im Wesentlichen auf einem<br />
Kommentar, erschienen in der Süddeutschen<br />
Zeitung am 10. Juli 2012.
inhalt<br />
Es wird besser – menschliche<br />
Entwicklung 1990–2010 _ _ _ _ _ 6<br />
Nachhaltigkeit+Gerechtigkeit = eine<br />
bessere Zukunft <strong>für</strong> alle _ _ _ _ _ 8<br />
Es ist einfach nicht FAIR!!!_ _ _ _ 10<br />
Positive politische Lösungen _ _ _ 12<br />
in <strong>die</strong>sem heft …<br />
… fassen wir, <strong>die</strong> Herausgeber von der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Vereinten</strong> Nationen<br />
(DGVN), basierend auf der Vorarbeit unseres britischen<br />
Partners peacechild international, <strong>die</strong><br />
besten Erkenntnisse, <strong>die</strong> wir rund um den Gipfel<br />
<strong>Rio+20</strong> finden konnten, zusammen, um sie <strong>für</strong><br />
junge Leute zugänglich zu machen. Der erste Teil<br />
bezieht sich auf den Bericht über <strong>die</strong> menschliche<br />
Entwicklung 2011 des UN-Entwicklungsprogramms<br />
UNDP mit dem Titel „Nachhaltigkeit und<br />
Gerechtigkeit“; der zweite auf das Grundlagenpapier<br />
„Auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft“<br />
des Umweltprogramms der <strong>Vereinten</strong> Nationen<br />
– trotz des Fachjargons eine hervorragende Lektüre.<br />
Und der dritte Teil befasst sich mit hochinteressanten<br />
Dokumenten der Europäischen Kommission:<br />
den Mitteilungen und den Fahrplan <strong>für</strong><br />
ein ressourcenschonendes Europa, <strong>die</strong> ebenfalls<br />
in <strong>die</strong>sem Heft zusammengefasst sind.<br />
Die DGVN tritt <strong>für</strong> eine globale grüne Wirtschaft<br />
ein, aber wir wissen auch, dass grünes „Wachstum“<br />
nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Viele<br />
kritische Stimmen von Nichtregierungsorganisationen,<br />
<strong>die</strong> sich <strong>für</strong> weltweite soziale Gerechtigkeit<br />
und <strong>für</strong> den Umweltschutz engagieren, hinterfragen<br />
grundsätzlich den Wachstumsbegriff<br />
– auch den grünen –, der unkritisch mit einem<br />
Mehr an Waren verbunden wird. Dabei ist der<br />
Ressourcenverbrauch in vielen Ländern der Welt<br />
Was ist das? „Grüne Wirtschaft“?? 17<br />
Welche Probleme löst<br />
eine grüne Wirtschaft? _ _ _ _ _ 19<br />
20 Schritte hin zu einer<br />
grünen Wirtschaft_ _ _ _ _ _ _22<br />
Fahrplan <strong>für</strong> Ressourceneffizienz _ 26<br />
Grünes Wirtschaften bringts voll _ 30<br />
Selber machen: der Übergang in eine<br />
grüne Wirtschaft _ _ _ _ _ _ _32<br />
schon heute weit höher, als unser Planet verkraften<br />
kann. In <strong>die</strong>sen Ländern kann ein weiteres<br />
Wachstum des Bruttosozialprodukts im Blick<br />
auf <strong>die</strong> bedrohte Umwelt und den gefährlichen<br />
Klimawandel nicht das Ziel sein. Stattdessen<br />
muss es um ein Mehr an Lebensqualität gehen,<br />
bei gleichzeitiger Reduzierung des Verbrauchs<br />
natürlicher Ressourcen. An <strong>die</strong>sem Punkt muss<br />
weitergedacht werden – hier lässt <strong>die</strong>ses Heft<br />
Fragen offen.<br />
Für Ernst Ulrich von Weizsäcker ist in seinem<br />
Vorwort zu <strong>die</strong>sem Heft eines klar: Was <strong>die</strong> Regierungen<br />
tun müssten, ist nicht-nachhaltiges<br />
Verhalten so zu besteuern, dass es teurer ist als<br />
nachhaltiges Verhalten. Auch wir, <strong>die</strong> Bevölkerung,<br />
insbesondere junge Menschen, <strong>die</strong> jetzt<br />
bald Verantwortung in unserer <strong>Gesellschaft</strong><br />
übernehmen, müssen erkennen, dass sich <strong>die</strong><br />
Verhältnisse ändern MÜSSEN und dass <strong>die</strong> Verhältnisse<br />
in einer Welt ohne Öl und ohne Kohlenstoff<br />
besser sein können.<br />
„Wir, <strong>die</strong> Völker“ sind es, wo<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Vereinten</strong><br />
Nationen geschaffen wurden – und wenn „wir,<br />
<strong>die</strong> Völker“ vorangehen und Initiative ergreifen,<br />
werden <strong>die</strong> Regierungen uns früher oder später<br />
folgen.<br />
Also weiterlesen und Initiative übernehmen!!<br />
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6<br />
Es wird besser …<br />
Menschliche Entwicklung<br />
1990 - 2010<br />
Menschliche Entwicklung:<br />
1990 führte der erste Bericht über <strong>die</strong> menschliche Entwicklung<br />
(HDR) ein neues Denken in der Entwicklungspolitik<br />
ein: Er stellte <strong>die</strong> Menschen in den Mittelpunkt und sagte,<br />
dass es „bei Entwicklung darum geht, <strong>die</strong> Wahlfreiheiten der<br />
Menschen zu erweitern und ihnen so <strong>die</strong> politischen Freiheiten<br />
zu geben, aktiv einen Wandel zu gestalten“. Das Konzept<br />
der menschlichen Entwicklung stellt auch sicher, dass<br />
gegenwärtige Errungenschaften und Verbesserungen nicht<br />
auf Kosten zukünftiger Generationen erlangt werden – deswegen<br />
ist sie auch das Fundament von Nachhaltigkeit.<br />
Der Index der menschlichen<br />
Entwicklung (HDI):<br />
Wenn man herausfinden möchte, ob sich das Leben der<br />
Menschen verbessert hat, muss man einen Weg finden, das<br />
zu messen. Geld ist eine gute Maßeinheit, weil es einfach zu<br />
zählen ist. Aber man braucht weitere Maße, weil es oft sehr<br />
ungleich verteilt ist. So entstand mit dem HDR der HDI, ein<br />
Index, der neben Einkommen auch den Bildungsstand und<br />
<strong>die</strong> Lebenserwartung der Menschen berücksichtigt. So hat<br />
man <strong>nun</strong> Länder mit niedrigem HDI – <strong>die</strong> am wenigsten entwickelten<br />
und ärmsten Länder – genauso wie Länder mit<br />
mittlerem und hohem HDI. Es ist et<strong>was</strong> kompliziert, aber <strong>die</strong><br />
HDRs werden international hoch geachtet, weil <strong>die</strong> Art und<br />
Weise, wie der gesellschaftliche und menschliche Fortschritt<br />
gemessen wird, ständig verbessert wird. Außerdem: Wenn<br />
du et<strong>was</strong> nicht gemessen hast, kannst du nur raten.<br />
Es wird besser:<br />
Weil es den HDI gibt, wissen wir, dass wir nicht raten. Die Menschen sind heute besser ausgebildet und<br />
gesünder, sie leben länger und sterben seltener an Hunger oder Mangelernährung als im Jahr 1990 –<br />
obwohl es inzwischen fast zwei Milliarden mehr Exemplare unserer Spezies gibt. Die Grafik zeigt, dass<br />
alle Länder sich im Durchschnitt um 18 Prozent verbessert haben – nur bei dreien ging es abwärts<br />
(Kannst du aus der Grafik erkennen, um welche drei es sich handelt?). Die Zahl der Bürger, <strong>die</strong> ihre Regierenden<br />
demokratisch wählen und Einfluss auf öffentliche Entscheidungen und Mei<strong>nun</strong>gen nehmen<br />
können, ist gestiegen. Der technische Fortschritt, insbesondere im Bereich der Kommunikation,<br />
ermöglicht es immer mehr Menschen, auf der ganzen Erde frei miteinander in Kontakt zu treten. Auch<br />
wenn <strong>die</strong> digitale Kluft tief ist, finden <strong>die</strong> Menschen, insbesondere junge Leute, selbst in den ärmsten<br />
Ländern Mittel und Wege, um sie zu überwinden.
Was ist das Geheimnis?<br />
Welche Faktoren machen <strong>die</strong> Dinge besser?<br />
Gute Regierungen sind hilfreich. Man muss nur einmal das vergleichsweise reiche Südkorea mit seinem<br />
nördlichen Nachbarn vergleichen, um zu sehen, wie Politik menschliche Entwicklung beeinflusst.<br />
Überall auf der Welt können Wirtschaftswachstum und menschlicher Fortschritt auf umsichtige staatliche<br />
Institutionen zurückgeführt werden. Der HDR zeigt auf, dass <strong>die</strong> Märkte nur ganz wenig zur Sicherheit<br />
(Verteidigung), Gesundheit und Bildung und auch wenig zur Begünstigung ökologischer Nachhaltigkeit<br />
beitragen. Deshalb befassen <strong>die</strong> HDRs sich intensiv mit der Förderung von guten politischen<br />
Entscheidungen sowohl im staatlichen Bereich als auch in der Zivilgesellschaft. Denn <strong>die</strong> brauchen wir,<br />
wenn wir überleben wollen!<br />
Außerdem brauchen wir Arbeitsplätze und Einkommen:<br />
Wie in frühen HDRs gerne betont wurde, sind gute Gesundheit und Bildung tatsächlich nicht immer<br />
vom Wirtschaftswachstum abhängig. Es gibt unzählige Beispiele, vom indischen Bundesstaat Kerala<br />
über Sri Lanka bis hin zu Costa Rica und Kuba, wo schnellere Verbesserungen in der menschlichen Entwicklung<br />
zu beobachten waren als in viel reicheren Ländern wie Saudi-Arabien. Doch auch das Einkommen<br />
spielt natürlich eine Rolle: Menschen, <strong>die</strong> über ein höheres Einkommen verfügen, haben größere<br />
Wahlmöglichkeiten. Dazu bedarf es anständiger, gut bezahlter Arbeitsplätze – <strong>die</strong> wiederum dem<br />
Staat zu den Steuereinnahmen verhelfen, <strong>die</strong> ihm ermöglichen, eine bessere Versorgung seiner Bürger<br />
zu gewährleisten.<br />
Ungleichheit:<br />
Trotz der Ausbreitung der Demokratie – inzwischen haben über 60 Prozent der UN-Mitgliedstaaten<br />
eine demokratische Regierungsform, gegenüber etwa 30 Prozent im Jahr 1970 – hat sich <strong>die</strong> Ungleichheit<br />
noch verschärft: Für jedes Land, in dem heute weniger Ungleichheit bei der Verteilung der Einkommen<br />
herrscht (hauptsächlich in Lateinamerika), gibt es zwei andere Länder, in denen eine gegenteilige<br />
Entwicklung eingetreten ist. In den meisten Staaten der früheren Sowjetunion und in den<br />
Ländern Ostasiens und des Pazifikraums gibt es heutzutage mehr Ungleichheit als vor 20 Jahren.<br />
Bei der Messung der Entwicklung ist Vorsicht angebracht:<br />
Amartya Sen, der zusammen mit Mahbub ul Haq bei der Entwicklung des HDI mitwirkte, wäre der Erste,<br />
der zustimmen würde, dass <strong>die</strong>ser Index nur ein ganz grobes Maß <strong>für</strong> Entwicklung darstellt. Mit zunehmender<br />
Verfeinerung der Datenerhebung führten <strong>die</strong> Berichte über <strong>die</strong> menschliche Entwicklung<br />
einige wichtige neue Maße ein. 2010 zum Beispiel führten <strong>die</strong> Autoren auf einen Schlag DREI neue<br />
Maße <strong>für</strong> menschliche Entwicklung ein: den Ungleichheit einbeziehenden Index der menschlichen<br />
Entwicklung, den Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit sowie den Index der mehrdimensionalen<br />
Armut. Ausführliche Informationen dazu finden sich z.B. auf den Internetseiten der DGVN (www.<br />
dgvn.de/un-berichte.html).<br />
Das Titelbild der Berichts 2011 zeigt <strong>die</strong> enge Verbindung von ökologischer Nachhaltigkeit<br />
und sozialer Gerechtigkeit. Es verdeutlicht, wie wichtig beide Ziele sind,<br />
um <strong>die</strong> Freiheiten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Menschen heute und <strong>für</strong> zukünftige Generationen zu<br />
erweitern. Es symbolisiert, wie verschiedene Politiken auch verschiedene Auswirkungen<br />
auf Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit haben können. Wenn immer möglich,<br />
sollten wir uns <strong>für</strong> Lösungen entscheiden, <strong>die</strong> gut <strong>für</strong> <strong>die</strong> Umwelt sind und<br />
gleichzeitig Gerechtigkeit und menschliche Entwicklung fördern.<br />
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88<br />
Nachhaltigkeit + Gerechtigkeit<br />
= eine bessere Zukunft <strong>für</strong> alle<br />
„Investitionen, <strong>die</strong> zu mehr Verteilungs- und Chancengerechtigkeit führen – zum Beispiel Investitionen in den Zugang zu erneuerbarer<br />
Energie, Wasser und Sanitärversorgung und reproduktiven Gesundheits<strong>die</strong>nsten –, könnten sowohl <strong>die</strong> Nachhaltigkeit als auch <strong>die</strong><br />
menschliche Entwicklung fördern. Die Welt braucht einen Entwicklungsrahmen nach Ende der Millenniums-Entwicklungsziele (2015),<br />
in dem Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ihren Platz finden. <strong>Rio+20</strong> wird eine wichtige Gelegenheit bieten, sich gemeinsam auf den<br />
künftigen Weg zu verständigen.“ Helen Clark, Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP)<br />
Was verstehen wir unter „Nachhaltigkeit“?<br />
Eigentlich bedeutet Nachhaltigkeit schlicht: Überleben. Im HDR 2011 wird ein zugespitztes Bild gezeichnet:<br />
„Wenn das im HDR 2010 skizzierte Fortschrittstempo anhält, werden bis 2050 drei Viertel der Weltbevölkerung<br />
bei der menschlichen Entwicklung das europäische Niveau erreicht haben.“ Aber dass wird so<br />
nicht passieren, weil <strong>die</strong>ses nicht nachhaltige Entwicklungsmodell zwangsläufig an der Begrenztheit der<br />
Ressourcen scheitern muss. Denn <strong>die</strong> Ressourcen von drei oder vier weiteren Planeten wären nötig, um<br />
der gesamten Weltbevölkerung von neun oder zehn Milliarden Menschen denselben Wohlstand bieten<br />
zu können, den wir heute in Europa haben. Weil <strong>die</strong> Ressourcen begrenzt sind, muss also Nachhaltigkeit<br />
in den Vordergrund und Mittelpunkt der Politik und vor allem auch des Bildungssystems gerückt werden.<br />
Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass ihr, liebe Leser, genau versteht, <strong>was</strong> Nachhaltigkeit<br />
bedeutet und wie man sie erreichen kann. Natürlich ist es sehr schwer, wenn nicht sogar extrem schwer,<br />
wenn man HIER UND JETZT den Bedürfnissen der konkret vorhandenen Menschen gerecht werden soll,<br />
<strong>die</strong> lauthals ihre Rechte einfordern, und gleichzeitig <strong>die</strong> Ressourcen schonen will, um Vorsorge <strong>für</strong> noch<br />
ungeborene, unsichtbare und unhörbare Generationen zu treffen. Es erscheint schwer, umso wichtiger ist<br />
es.<br />
So wie es auch im HDR formuliert wird: „Die heute geborenen Menschen sollten <strong>die</strong> Ressourcen der Erde<br />
nicht stärker beanspruchen als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> erst in hundert oder tausend Jahren geboren werden.<br />
Wenn wir jetzt nicht handeln, könnte das frühe 21. Jahrhundert den zukünftigen Generationen als eine<br />
Zeit im Gedächtnis bleiben, in der <strong>für</strong> einen großen Teil der Weltbevölkerung <strong>die</strong> Türen zu einer besseren<br />
Zukunft verschlossen wurden.“<br />
Schwache und starke Nachhaltigkeit<br />
Es gibt Leute, <strong>die</strong> denken, es müsse <strong>für</strong> jedes Problem eine technische Lösung geben. Diese Leute glauben<br />
auch, man könne <strong>für</strong> <strong>die</strong> immer knapper werdenden Ressourcen – sei es <strong>nun</strong> Erdöl, Kohle, Erdgas etc.<br />
– immer einen Ersatz finden. Nur um so weitermachen zu können wie bisher und weiterhin einen Profit<br />
einzufahren, ist man bereit, Unsummen von Geld in neue Technologien zu stecken. Da <strong>die</strong> Nachhaltigkeit<br />
dabei in den Hintergrund tritt, sprechen wir hier von einer Politik der „schwachen Nachhaltigkeit“.<br />
Auf der anderen Seite vertreten <strong>die</strong> Verfechter einer „starken Nachhaltigkeit“ den Standpunkt, dass es <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> meisten Ressourcen keinen wirklichen Ersatz gibt und daher oberstes Gebot sein muss, <strong>die</strong> vorhandenen<br />
Ressourcen zu schonen. Obwohl auch sie durchaus anerkennen, dass im Lauf der Menschheitsgeschichte<br />
bestimmte Ressourcen durch andere ersetzt wurden, beispielsweise Holz- durch Backsteinhäuser,<br />
kann <strong>die</strong> Geschichte nicht unbedingt als Richtschnur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft <strong>die</strong>nen. Der Klimawandel ist das<br />
schlagendste Beispiel da<strong>für</strong>: Es gibt einfach kein Patentrezept da<strong>für</strong>, wie man mit einem globalen Problem<br />
von <strong>die</strong>ser Größenord<strong>nun</strong>g umgehen kann. Auch Herman Daly, der große Be<strong>für</strong>worter der „stationären<br />
Wirtschaft“, ein Modell, bei dem alle gesamtwirtschaftlichen Faktoren in einem langfristigen Gleich-
gewicht sind und sich nur noch selbst reproduzieren, hatte bereits darauf hingewiesen: „Wir haben uns<br />
von einer leeren Welt, in der Naturkapital überreichlich vorhanden ist, während <strong>die</strong> menschlichen Ressourcen<br />
knapp sind, in Richtung einer vollen Welt bewegt, in der das natürliche Kapital erschöpft ist,<br />
während menschliche Ressourcen überreichlich vorhanden sind.“ Deswegen sollten wir uns unbedingt<br />
<strong>für</strong> eine Politik der starken Nachhaltigkeit entscheiden.<br />
Von den Problemen, Gerechtigkeit zu erreichen<br />
Bei Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit geht es um Fairness.<br />
Jeder, der schon einmal das Spiel „World Game“ mitgemacht hat, wird wissen,<br />
dass junge Leute einen durchaus ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben. Bei<br />
<strong>die</strong>sem Rollenspiel werden 100 Spieler, üblicherweise Schüler, nach dem Einkommen<br />
der Weltbevölkerung in Gruppen aufgeteilt und bekommen entsprechendes<br />
Essen serviert. Demnach<br />
• erhalten 6 ein Festmahl mit 5 Gängen,<br />
• 7 kommen in den Genuss eines 3-Gänge-Menüs,<br />
• während 9 immerhin noch 2 verschiedene Speisen erhalten.<br />
• 20 müssen sich mit 1 Hauptspeise begnügen,<br />
• 20 bekommen eine Schale Reis mit Fleisch,<br />
• 22 nur noch eine Schale Reis ohne Fleisch –<br />
• und <strong>die</strong> restlichen 16 Schalen sind bis auf ein paar Halme und Wurzeln leer.<br />
Wie unsere Erfahrung zeigt, geben <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> reichlich Essen haben, in jedem<br />
Fall denjenigen, <strong>die</strong> wenig oder nichts haben, bereitwillig et<strong>was</strong> von ihrem<br />
Essen ab. Es gibt einen natürlichen Instinkt, mit anderen teilen zu wollen – und<br />
das nennen wir den Gerechtigkeitssinn. Doch wie wir bereits festgestellt haben,<br />
nimmt fast überall <strong>die</strong> Ungleichverteilung des Einkommens noch zu, und <strong>die</strong><br />
politischen Bemühungen, Gleichheit zu erzwingen – wie früher in der Sowjetunion<br />
–, bringen verkrustete <strong>Gesellschaft</strong>en ohne Innovationskraft, da<strong>für</strong> aber<br />
mit endloser Korruption hervor. Daher ist es leicht, von Gerechtigkeit zu reden,<br />
aber extrem schwer, Gerechtigkeit zu schaffen.<br />
Warum Nachhaltigkeit + Gerechtigkeit?<br />
Warum versucht <strong>nun</strong> <strong>die</strong> UNO, <strong>die</strong>se beiden politischen Zielvorstellungen zu<br />
verbinden, <strong>die</strong> einander scheinbar widersprechen und unmöglich miteinander<br />
vereinbar erscheinen? Die Antwort ist: GERECHTIGKEIT ist ein zentrales Anliegen<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen. Es ist von Natur aus ungerecht, wenn wir heute <strong>die</strong><br />
Ressourcen plündern und nichts <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erdenbürger von morgen übriglassen.<br />
Genauso ungerecht ist es, wenn heutzutage manche Menschen ganz leichten<br />
Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und Gesundheits<strong>für</strong>sorge haben und andere<br />
überhaupt keinen. Amartya Sen hat das sehr treffend zum Ausdruck gebracht:<br />
„Es ist genauso wichtig, sich um <strong>die</strong> Gerechtigkeit innerhalb einer Generation<br />
zu kümmern wie um <strong>die</strong> Gerechtigkeit zwischen Generationen.“ Wie <strong>die</strong> Grafik<br />
auf der Umschlagseite illustriert, ist es das Ziel des HDR, <strong>die</strong> positiven Synergien<br />
zwischen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu entdecken. Es ist nicht immer<br />
möglich, Synergien zu finden: So stehen beispielsweise <strong>die</strong> Sachzwänge, <strong>die</strong><br />
Landwirte dazu bringen, ganze Wälder zu roden, um ihre Familien zu ernähren<br />
und erst einmal am Leben zu bleiben, im absoluten Gegensatz zur Nachhaltigkeit.<br />
Doch es gibt Synergien – und es ist <strong>die</strong> Aufgabe <strong>die</strong>ser Generation und <strong>die</strong>ses<br />
HDR, sie ausfindig zu machen. Denn ohne Gerechtigkeit wäre Nachhaltigkeit<br />
ein Luxus <strong>für</strong> <strong>die</strong> Reichen und eine Strafe <strong>für</strong> <strong>die</strong> Armen.<br />
� 9� 9
10 10<br />
Es ist einfach nicht FAIR!!!<br />
Je reicher ein Land ist, desto höher ist sein HDI und desto größer sein Ausstoß an Treibhausgasen. Die<br />
Wahrheit ist sogar noch ungerechter: Seit 1850 haben <strong>die</strong> Länder mit sehr hohem HDI gemeinsam<br />
neun Mal mehr Kohlenstoffemissionen verursacht als alle Länder mit niedrigem, mittlerem und hohem<br />
HDI zusammen. Die Armen werden <strong>für</strong> das (Fehl)verhalten der Reichen bestraft! Im HDR 2011 sind viele<br />
Beispiele da<strong>für</strong> aufgeführt, wie sie darunter zu leiden haben, dass es uns nicht gelungen ist, nachhaltige<br />
Normen <strong>für</strong> globales Verhalten aufzustellen und durchzusetzen. Hier sind einige davon:<br />
� Treibhausgase:<br />
Die Bewohner von Ländern mit sehr hohem HDI<br />
fahren Autos, haben Klimaanlagen und beziehen<br />
Strom aus Kraftwerken, <strong>die</strong> mit fossilen<br />
Brennstoffen (wie Kohle oder Öl) betrieben<br />
werden. Deshalb ist es nicht verwunderlich,<br />
dass sie auch höhere Treibhausgasemissionen<br />
verursachen als andere. Der Durchschnittsbrite<br />
produziert in zwei Monaten<br />
so viele Treibhausgase wie ein Bewohner<br />
eines Landes mit niedrigem HDI in einem<br />
ganzen Jahr – der durchschnittliche Einwohner<br />
von Katar braucht da<strong>für</strong> allerdings<br />
nur zehn Tage. Die Zunahme der Emissionen<br />
folgt einem nichtlinearen Muster – je schneller<br />
� Klimawandel:<br />
Ein Großteil der Treibhausgasemissionen<br />
besteht aus Kohlendioxid. Es gibt aber<br />
auch andere Emissionen, <strong>die</strong> ein noch<br />
weit höheres Erderwärmungspotenzial<br />
haben als CO2, z.B. Methan (12-mal<br />
höher) und Stickoxid (300-mal höher).<br />
Abgesehen vielleicht von hartgesottenen<br />
Republikanern in den USA zweifeln<br />
nur noch Wenige daran, dass der<br />
Klimawandel in erster Linie vom Menschen<br />
verursacht wird – wie durch <strong>die</strong><br />
Nutzung fossiler Brennstoffe, <strong>die</strong> Abholzung<br />
von Wäldern, <strong>die</strong> Herstellung von<br />
der HDI ansteigt, umso rascher nehmen <strong>die</strong> CO2-Emissionen<br />
zu; je reicher ein Land, desto höher ist der HDI und<br />
desto höher sind auch seine Treibhausgasemissionen.<br />
Noch unfairer ist es, dass <strong>die</strong> Länder mit sehr hohem<br />
HDI seit 1850 insgesamt neun Mal soviel Kohlendioxidemissionen<br />
produziert haben wie alle anderen Länder<br />
zusammen! Aus <strong>die</strong>sem Grund wurden im Kyoto-Protokoll<br />
(beschlossen 1997 beim Weltklimagipfel im japanischen<br />
Kyoto) den Ländern mit sehr hohem HDI <strong>die</strong><br />
größten Auflagen <strong>für</strong> eine Senkung der Emissionen gemacht<br />
und deswegen kämpfen In<strong>die</strong>n und China so erbittert<br />
darum, dass <strong>die</strong>se „Gerechtigkeits“-Komponente<br />
beibehalten wird, während Länder wie <strong>die</strong> USA darauf<br />
bestehen, dass alle Länder gleichbehandelt werden.<br />
Zement usw. Eine kohlenstoffintensive Produktionsweise<br />
und erhöhter Verbrauch haben den Kohlendioxidausstoß<br />
seit 1970 weltweit um 112 Prozent ansteigen lassen. Dabei<br />
betrug <strong>die</strong> Zunahme in den Ländern mit niedrigem,<br />
mittlerem oder hohem HDI 248 Prozent, in den Ländern<br />
mit sehr hohem HDI jedoch nur 42 Prozent – dort hat<br />
auch <strong>die</strong> Kohlenstoffintensität der Produktion um 52 Prozent<br />
abgenommen. Geringere Kohlendioxidemissionen<br />
sind also eher möglich, wenn man es sich leisten kann.<br />
Die Länder mit niedrigem HDI können das nicht – und<br />
haben folglich am stärksten unter den Folgen zu leiden,<br />
als da wären:<br />
1 Anstieg des meeresspiegels: Im HDR 2011 heißt es: „Seit 1870 ist der Meeresspiegel um 20<br />
Zentimeter gestiegen und wird, wenn es so weitergeht, bis zum Jahr 2100 31 Zentimeter über dem Niveau<br />
von 1990 liegen.“ Für kleine Inselstaaten wie <strong>die</strong> Malediven und Tuvalu ist das eine wahre Hiobsbotschaft. Doch<br />
unter der Verseuchung des Trink<strong>was</strong>sers durch eindringendes Meer<strong>was</strong>ser werden auch alle anderen Länder<br />
mit niedrigem HDI leiden. Denn sie verfügen zumeist weder über <strong>die</strong> Ressourcen noch <strong>die</strong> Technologie, mit<br />
denen westeuropäische Länder wie <strong>die</strong> Niederlande gewappnet sind, um einem Anstieg des Meeresspiegels<br />
begegnen zu können. Nach Berech<strong>nun</strong>gen des HDR werden 63 Millionen Menschen in Ostasien und dem Pazifikraum<br />
vom Ansteigen der Weltmeere betroffen sein.
2Rückgang der niederschläge: Durch den Klimawandel fällt weniger Regen, speziell in Afrika südlich<br />
der Sahara sind <strong>die</strong> jährlichen Niederschläge bereits um sieben Prozent zurückgegangen und in den Ländern<br />
mit niedrigem HDI insgesamt um vier Prozent. Hingegen haben <strong>die</strong> Länder mit hohem HDI einen weit geringeren<br />
Rückgang der Niederschläge zu verzeichnen.<br />
3naturkatastrophen: Die Zahl von Stürmen, Dürren und Überschwemmungen hat in den letzten<br />
Jahren stark zugenommen: von 132 im Jahr 1980 auf 357 im Jahr 2007. Erstaunlicherweise haben <strong>die</strong> Länder mit<br />
niedrigem HDI bei solchen Naturkatastrophen weniger zu verlieren als <strong>die</strong> Länder mit mittlerem HDI: Eine Naturkatastrophe<br />
in einem Land mit mittlerem HDI fordert im Schnitt elf Prozent mehr Menschenleben als ein vergleichbares<br />
Ereignis in einem Land mit niedrigem HDI. Insgesamt kommen heute jedoch bei Naturkatastrophen weniger Menschen<br />
ums Leben als vor 40 Jahren.<br />
4Entwaldung: Während <strong>die</strong> Waldflächen in den Ländern mit sehr hohem HDI in letzter Zeit sogar leicht zugenommen<br />
haben, hatten <strong>die</strong> Länder mit niedrigem HDI den Verlust von elf Prozent ihrer Wälder zu beklagen.<br />
Am stärksten betroffen waren Lateinamerika, insbesondere das Amazonasgebiet, <strong>die</strong> Karibik sowie Afrika südlich der<br />
Sahara. Zunehmend ist zu beobachten, dass Länder mit hohem HDI sich Land in Ländern mit niedrigem HDI aneignen,<br />
um Nutzholz und landwirtschaftliche Erzeugnisse <strong>für</strong> den eigenen Bedarf zu gewinnen.<br />
5bodenerosion und -erschöpfung: Überall auf der Welt ist Agrarland von Desertifikation (Wüstenbildung)<br />
und Bodenerosion betroffen, wobei <strong>die</strong> Länder mit niedrigem HDI schlechter darauf eingerichtet sind, <strong>die</strong>ses<br />
Problem zu bewältigen, als <strong>die</strong> Länder mit hohem HDI. In <strong>die</strong>sen Ländern wird außerdem Raubbau am Grund<strong>was</strong>ser<br />
betrieben, sodass es immer schwieriger wird, <strong>die</strong> Felder zu bewässern, um höhere Erträge erzielen zu können.<br />
6überfischung: „Die gegenwärtige jährliche Fischfangmenge von 145 Millionen Tonnen übersteigt <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />
Nachhaltigkeit mögliche Höchstmenge von nur 80 bis 100 Millionen Tonnen“, heißt es im HDR. Wir haben den<br />
Punkt erreicht oder nähern uns ihm, an dem <strong>die</strong> Fischbestände zurückgehen. Die Fangmengen einiger großer Fischarten<br />
haben seit 1980 bereits erheblich abgenommen. Auch hier ist es so, dass <strong>die</strong> Länder mit niedrigem HDI am<br />
stärksten betroffen sind – 90 Prozent der gesamten Fangmenge gehen auf das Konto der Fischfangindustrie der<br />
Länder mit hohem HDI, obwohl 85 Prozent aller Fischer in Asien leben. Dort beträgt <strong>die</strong> mittlere Fangmenge pro<br />
Fischer und Jahr 2,3 Tonnen, während es in Westeuropa 23,9 Tonnen sind. Findet ihr das fair?<br />
� Einkommen und Verbrauch:<br />
Wo <strong>die</strong> Einkommen niedriger sind, ist auch der Verbrauch niedriger. Während in den USA 900 Autos<br />
auf 1000 Personen im Autofahreralter kommen, sind es in In<strong>die</strong>n nur zehn; in den USA besitzt jeder<br />
Haushalt im Schnitt zwei Fernsehgeräte, aber in Liberia hat nur rund jeder zehnte Haushalt einen Fernseher.<br />
Der durchschnittliche Wasserverbrauch in Ländern mit sehr hohem HDI beträgt 452 Liter am Tag<br />
im Vergleich zu 67 Litern am Tag in den Ländern mit niedrigem HDI.<br />
� Zukunft:<br />
Wenn sich nichts Grundlegendes ändert, werden <strong>die</strong> Länder mit niedrigem HDI bis zum Jahr 2050 weniger Regen,<br />
einen höheren Anstieg des Meeresspiegels, mehr Entwaldung, mehr Bodenerosion und eine größere Verschlechterung<br />
des Ökosystems Meer zu vermelden haben als <strong>die</strong> Länder mit hohem und sehr hohem HDI.<br />
� Hoff<strong>nun</strong>gsschimmer:<br />
Wie man an Ländern wie Schweden, <strong>die</strong> ein gutes Bildungssystem haben, sehen kann, hilft Bildung wirklich. 96 Prozent der Schweden<br />
wissen Bescheid über den Klimawandel, gegenüber gerade einmal 60 Prozent weltweit [siehe: www.gallup.com/se/126848/<br />
worldview.aspx]. Umfragen zeigen, dass <strong>die</strong> Schweden aufgrund ihres Wissens bereit sind, ein geringeres Wirtschaftswachstum und<br />
höhere Steuern in Kauf zu nehmen, wenn sie da<strong>für</strong> eine bessere Umweltqualität erhalten. Die Bürger von Costa Rica unterstützen<br />
ebenfalls <strong>die</strong> Initiativen ihrer Regierung zum Schutz der Wälder, indem sie Gebühren <strong>für</strong> Ökosystemleistungen bezahlen. Die brasilianische<br />
Stadt Curitiba hat den weltweit höchsten Anteil an Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (45 Prozent) und mit <strong>die</strong> niedrigste<br />
Luftverschmutzung aller Städte der Welt – <strong>was</strong> wiederum der Initiative einer engagierten Kommunalverwaltung zu verdanken<br />
ist. Dies zeigt, dass Regierungen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene in der Lage sind, et<strong>was</strong> zu verändern.<br />
11 11 ��
12<br />
Positive politische Lösungen<br />
»Es ist Zeit, eine globale Kampagne auf den Weg zu bringen, um eine Verschiebung von sporadischen<br />
hin zu strukturellen Veränderungen anzustoßen. Die Generalversammlung der <strong>Vereinten</strong> Nationen hat<br />
das Jahr 2012 zum Internationalen Jahr der nachhaltigen Energie <strong>für</strong> alle erklärt – und <strong>Rio+20</strong> sollte eine<br />
einmalige Gelegenheit bieten, einen globalen Ansatz <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen allgemeinen Zugang zu definieren und<br />
zusammenzuführen, <strong>was</strong> in den Bereichen Energie, grüne Wirtschaft und Klimawandel getan werden<br />
muss.« Bericht über <strong>die</strong> menschliche Entwicklung 2011<br />
Energie <strong>für</strong> alle:<br />
Auch heute sind 1,5 Milliarden Menschen immer noch nicht an <strong>die</strong> Stromversorgung angeschlossen<br />
– und 2,6 Milliarden bereiten ihre Mahlzeiten noch auf offenen Feuern<br />
zu. Die autonome, netzunabhängige Stromerzeugung in kleinem Maßstab aus<br />
Wasserkraft und Sonnenenergie kann viele Vorteile bringen: bessere Arbeitsplätze,<br />
erhöhte Ernährungssicherheit, mehr Zeit zum Lernen, mehr Freizeit<br />
und leistungsfähigere Gemeinwesen. In In<strong>die</strong>n ist es dem Projekt „Kohlenstofffreie<br />
Dörfer“ der Initiative CleanIN gelungen, mithilfe von Solarkochern,<br />
Biogasanlagen und Photovoltaik das Einkommen von 100 Dörfern<br />
im Bundesstaat Andhra Pradesh zu steigern und dabei <strong>die</strong> Kohlendioxidemissionen<br />
zu verringern. Die Organisation Grameen Shakti hat Ähnliches<br />
<strong>für</strong> drei Millionen Menschen in Bangladesch geleistet. Erneuerbare<br />
Energien decken 20 Prozent des heutigen Strombedarfs, 100-mal mehr als<br />
im Jahr 2000. Die Versorgung mit Elektrizität ist einer der ersten Schritte auf<br />
dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Und <strong>die</strong>ser Schritt sollte JETZT getan werden –<br />
und zwar mit nachhaltiger, erneuerbarer grüner Energie!!<br />
Bewältigung des Bevölkerungswachstums:<br />
Es ist völlig klar, dass eine geringere Weltbevölkerung mehr Nachhaltigkeit mit sich<br />
bringen würde und es dann leichter wäre, <strong>für</strong> eine gerechtere Verteilung zu sorgen.<br />
Der HDR weist darauf hin, dass <strong>die</strong> bis zum Jahr 2050 benötigte Senkung<br />
des Kohlendioxidausstoßes schon zu rund einem Viertel geschafft<br />
wäre, wenn man erreichen könnte, dass <strong>die</strong> Bevölkerung nur noch<br />
halb so schnell wächst wie im Jahr 2010. Einer weiteren Stu<strong>die</strong> zufolge<br />
ließen sich 17 Prozent der weltweiten Gesamtemissionen vermeiden,<br />
wenn man 53 Millionen unerwünschte Schwangerschaften im<br />
Jahr verhindern könnte. Die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln<br />
ist dabei der entscheidende Faktor: In Bangladesch ist <strong>die</strong> Fruchtbarkeitsziffer<br />
von 6,6 Geburten pro Frau im Jahr 1975 auf 2,4 im Jahr<br />
2009 gesunken, und zwar hauptsächlich, weil Frauen leichteren Zugang<br />
zu Familienpla<strong>nun</strong>g erhielten.
Stärkung der Stellung von Frauen:<br />
Mädchen und jungen Frauen eine Schulbildung zu verschaffen und ihre<br />
Stellung zu stärken, ist nach wie vor <strong>die</strong> beste Methode, um das Bevölkerungswachstum<br />
einzudämmen. Der HDR zeigt auf: Frauen, <strong>die</strong> nie auf<br />
einer Schule waren, bekommen im Schnitt 4,5 Kinder; Frauen, <strong>die</strong> nur<br />
wenige Jahre <strong>die</strong> Schule besucht haben, etwa drei und Frauen, <strong>die</strong> ein<br />
paar Jahre auf einer weiterführenden Schule waren, durchschnittlich<br />
nur noch 1,9. Doch <strong>die</strong> Stärkung der Stellung von Frauen führt noch<br />
auf vielen anderen Wegen zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit:<br />
Stu<strong>die</strong>n haben ergeben, dass Länder, in denen mehr Frauen im Parlament<br />
sitzen, größere Flächen und Wälder als Schutzgebiete ausweisen,<br />
mehr Umweltabkommen unterzeichnen und ihre Kohlendioxidemissionen<br />
rascher reduzieren als Länder mit Parlamenten, <strong>die</strong> von Männern dominiert<br />
sind.<br />
Versorgung mit sauberem, sicherem Wasser <strong>für</strong> alle:<br />
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, um in den Ländern mit niedrigem HDI <strong>die</strong> Versorgung<br />
mit sauberem Wasser – auf nachhaltige Weise – sicherzustellen. Kostengünstige Biosand-Filter<br />
sind eine Möglichkeit, Tabletten, <strong>die</strong> bewirken, dass Verunreinigungen sich in einem einzelnen<br />
Klumpen sammeln, den man dann leicht entfernen kann, eine andere, und solarbetriebene<br />
Destillierapparate eine weitere. Die Technologie ist bereits vorhanden – und sie muss<br />
dringend weiter ausgebaut werden, denn ohne Wasser können Menschen und ihre Tiere<br />
nicht überleben und Felder nicht bestellt werden. Dabei muss auf allen Ebenen <strong>die</strong> Balance<br />
zwischen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gehalten werden. Manchmal lassen sich <strong>die</strong><br />
Wasserökosysteme von Wäldern und Berggebieten am besten bewahren, wenn <strong>die</strong> Bürger<br />
<strong>für</strong> deren Nutzung bezahlen müssen. Wie der HDR berichtet, wird in Venezuela das Wasser<br />
aus 18 Nationalparks verwendet, um den Trink<strong>was</strong>serbedarf von 19 Millionen Menschen zu decken,<br />
und in diversen arabischen Staaten wie z. B. Ägypten und Jemen versucht man, den schonenden<br />
Umgang mit Wasserreserven zu fördern, indem man von den Landwirten höhere Gebühren<br />
<strong>für</strong> das Wasser verlangt, das sie zur Bewässerung ihrer Felder benutzen.<br />
Sanitärversorgung:<br />
Sanitärversorgung ist ja ganz offensichtlich eine Grundvoraussetzung <strong>für</strong> gute Gesundheit<br />
und es gibt eine ganze Reihe beachtenswerter Programme, <strong>die</strong> sich bemühen, <strong>die</strong><br />
Lage in den Ländern mit niedrigem HDI zu verbessern, wo 50 Prozent der Bevölkerung<br />
keinen Zugang zu Sanitärversorgung haben. Eines der erfolgreichsten<br />
Konzepte ist CLTS (Community-led Total Sanitation, also vom Gemeinwesen<br />
initiierte umfassende Sanitärversorgung), das erstmals im Jahr 2000 in Bangladesch<br />
praktiziert wurde. Dieses Konzept verfolgt den Ansatz, dass zur Lösung<br />
des Problems gar keine Hilfe von außen in Form von Unterstützung mit<br />
Geld- und Sachmitteln nötig ist, sondern nur Hilfe zur Selbsthilfe geleistet<br />
wird. Entscheidend dabei ist, das örtliche Gemeinwesen dazu zu bringen, sich<br />
mit <strong>die</strong>sem unangenehmen Thema, das keiner anpacken, geschweige denn in<br />
den Mund nehmen will, auseinanderzusetzen und et<strong>was</strong> zu unternehmen. Gemeinschaftlich<br />
werden dann Fäkaliengruben angelegt, <strong>die</strong> <strong>für</strong> ein Mindestmaß<br />
an Hygiene sorgen, und es wird <strong>für</strong> gesundheitsfördernde Verhaltensweisen wie<br />
das Hände<strong>was</strong>chen geworben.<br />
� 13
14<br />
Geldzuwendungen:<br />
Eine simple, aber wirkungsvolle Methode, um mehr Verteilungsgerechtigkeit<br />
zu schaffen, ist es, den Armen einfach ein Grundeinkommen<br />
zu gewähren. Erstaunlicherweise ist <strong>die</strong>s sogar vergleichsweise<br />
kostengünstig: In Mexiko unterstützt das Oportunidades genannte<br />
Programm 20 Prozent der Bevölkerung mit Geldzuwendungen und<br />
kostet lediglich 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Brasilien<br />
gibt es mit Bolsa Familia ein Programm von vergleichbarem Inhalt und<br />
Umfang, und in In<strong>die</strong>n werden auf der Grundlage des Mahatma Gandhi National<br />
Rural Employment Guarantee Act, ein Gesetz zur Beschäftigungssicherung<br />
im ländlichen Raum, 0,5 Prozent des BIP aufgewendet, um 45 Millionen Haushalten<br />
einen Arbeitsplatz <strong>für</strong> 100 Tage zu garantieren.<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat ausgerechnet, dass Geldzuwendungen von gerade einmal<br />
zwei Prozent des globalen BIP <strong>die</strong> Versorgung aller Armen der Welt mit Bildung, Gesundheit und<br />
Grundnahrungsmitteln sicherstellen könnten. Sicherlich ein auf Gerechtigkeit beruhendes soziales Sicherungsnetz,<br />
das einer Überlegung wert wäre.<br />
Verstärkte Einbeziehung von Gemeinwesen:<br />
Im Sambesi-Becken haben Forscher herausgefunden, dass Wälder, <strong>die</strong> bei einheimischen Stämmen<br />
als heilig gelten, nur halb so schnell abgeholzt werden wie andere. Die Bewirtschaftung<br />
von Umweltgütern auf Gruppen aus den örtlichen Gemeinwesen – häufig Frauen – zu übertragen,<br />
hat sich enorm ausgezahlt, <strong>was</strong> <strong>die</strong> Sicherung ihrer Nachhaltigkeit anbetrifft: „Gebiete,<br />
<strong>die</strong> von Gemeinwesen geschützt werden, tragen dazu bei, den Zugang zu Ressourcen<br />
zu gewährleisten, <strong>die</strong> menschliche Entwicklung zu stärken und <strong>die</strong> Unversehrtheit<br />
der Ökosysteme zu erhalten …“ (HDR 2011). Genauso trägt <strong>die</strong> lokale Bewirtschaftung<br />
von Meeresgebieten wirksam zur Nachhaltigkeit der Fischereiwirtschaft bei: Im Dorf Andavadoaka<br />
auf Madagaskar bauten örtliche Fischer eine erfolgreiche Tintenfisch-Unternehmung<br />
auf, <strong>die</strong> sich inzwischen auf 24 Dörfer ausgeweitet hat und nachhaltige Gewinne<br />
abwirft.<br />
Mitwirkungsmöglichkeiten und Demokratie:<br />
Die Zerstörung der Umwelt wird dadurch vorangetrieben, dass örtlichen Gemeinwesen<br />
keine Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben werden. Deshalb ist es <strong>für</strong> mehr<br />
Nachhaltigkeit und damit auch Gerechtigkeit entscheidend, ihnen größere<br />
Möglichkeiten zur Mitwirkung einzuräumen. Dazu gehören Aufklärung und<br />
Bewusstseinsbildung über <strong>die</strong> Problematik des Klimawandels und der Erhaltung<br />
der Ökosysteme. Unter der Voraussetzung, dass es eine freie Presse<br />
und starke zivilgesellschaftliche Organisationen gibt, ist Demokratie<br />
nachweislich umweltfreundlich. Doch aus einem kurzsichtigen Profitdenken<br />
heraus will man nicht auf billige fossile Energieträger verzichten, und<br />
so werden beispielsweise in den USA und der Europäischen Union immer<br />
noch Subventionen gezahlt, <strong>die</strong> der Umwelt schaden und <strong>die</strong> Verteilungsgerechtigkeit<br />
untergraben.
Umweltrechte:<br />
Viele Jahre lang hat <strong>die</strong> Welt darüber debattiert, wie man <strong>die</strong> Rechte von<br />
Natur und Umwelt gesetzlich verankern kann. In der Zentrale des Umweltprogramms<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen in Nairobi hängt eine Tafel<br />
an der Wand, auf der <strong>die</strong> Rechte der Natur verkündet werden. In<br />
vielen HDRs wurde schon geäußert, dass „eine saubere und sichere<br />
Umwelt kein Privileg ist, sondern ein Recht …“. 31 afrikanische<br />
Staaten haben Umweltrechte explizit in ihre Verfassung aufgenommen<br />
und in 120 Ländern gilt <strong>die</strong> Aufstellung von Umweltnormen<br />
als staatliche Aufgabe. In Chile hat der oberste Gerichtshof<br />
eine von der Regierung erteilte Holzschlaglizenz wegen der<br />
damit verbundenen Umweltbelastung annulliert. Ungarn hat einen<br />
Ombudsman <strong>für</strong> zukünftige Generationen bestellt, der da<strong>für</strong><br />
sorgen soll, dass <strong>die</strong> Gesetze nicht <strong>die</strong> Erfüllung zukünftiger Bedürfnisse<br />
beeinträchtigen.<br />
Die Finanzierung <strong>die</strong>ser<br />
politischen Lösungen:<br />
Der Jahresumsatz der Weltwirtschaft beträgt rund 63 Billionen US-Dollar.<br />
Man sollte denken, dass davon ein paar Milliönchen abgezweigt werden<br />
könnten, um unsere Naturgüter <strong>für</strong> zukünftige Generationen<br />
zu bewahren. Pustekuchen! Die offizielle Entwicklungshilfe beträgt<br />
nur 1,6 Prozent der Summe, <strong>die</strong> erforderlich ist, um eine<br />
emissionsarme Energieversorgung zu erreichen, und elf Prozent<br />
des Betrags, der zur Bekämpfung des Klimawandels benötigt<br />
würde. Und dennoch stellt <strong>die</strong> Welt weiterhin Mittel<br />
von rund 650 Milliarden US-Dollar im Jahr <strong>für</strong> <strong>die</strong> Subventionierung<br />
fossiler Energieträger zur Verfügung!<br />
Usbekistan gibt 10-mal mehr <strong>für</strong> Erdölsubventionen aus als<br />
<strong>für</strong> sein Gesundheitswesen!! Der Iran stellt da<strong>für</strong> das 4-fache<br />
an Mitteln zur Verfügung wie <strong>für</strong> Bildung! Noch schlimmer<br />
ist, dass viele reiche Länder Geldmittel <strong>für</strong> Umweltinitiativen<br />
versprechen und dann ihre Zusagen nicht einhalten. Was<br />
soll man also tun? Der HDR 2011 greift einen bereits 1994 gemachten<br />
Vorschlag wieder auf, nämlich eine Steuer auf Finanztransaktionen,<br />
<strong>die</strong> als einzige sichere Quelle zur Finanzierung von Nachhaltigkeit<br />
und Gerechtigkeit erscheint. Diese auch als Tobin-Steuer bekannte Steuer, <strong>die</strong> ursprünglich<br />
<strong>die</strong> globale Spekulation mit Devisen eindämmen sollte, könnte Erträge von 200 Milliarden<br />
US-Dollar im Jahr bringen, wenn sie nur in Europa angewendet wird, und bis zu 650 Milliarden US-Dollar,<br />
wenn alle Länder mitziehen. Das ist erheblich mehr als <strong>die</strong> 129 Milliarden US-Dollar, <strong>die</strong> derzeit weltweit<br />
<strong>für</strong> Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt werden. Doch wie soll das in der Praxis funktionieren? Wem<br />
soll man <strong>die</strong>se Geldmittel anvertrauen?? Den <strong>Vereinten</strong> Nationen?? Der Weltbank?? Oder Nichtregierungsorganisationen??<br />
Im HDR 2011 wird <strong>die</strong>se Frage leider nicht angegangen.<br />
� 15
Was ist das? „Grüne Wirtschaft“??<br />
Janez Potočnik, EU-Umweltkommissar, sagte „Verwendet nicht zuviel Zeit auf den Versuch, eine grüne<br />
Wirtschaft zu definieren. Wir wissen alle, <strong>was</strong> damit gemeint ist…“ Der Mann hat recht. Wir wissen, <strong>was</strong><br />
damit gemeint ist! Nämlich: Abfall wiederzuverwerten, Umweltsünder zur Kasse zu bitten, öffentliche<br />
Verkehrsmittel statt privater Autos zu benutzen, Wasser zu sparen, sorgsam mit Wäldern und natürlichen<br />
Ressourcen umgehen usw. usf. Es ist schlicht der beste Weg, um Nachhaltigkeit zu erreichen.<br />
Die UN-Definition<br />
Das UN-Umweltprogramm definiert grüne Wirtschaft so: „Eine grüne Wirtschaft ist eine Wirtschaft, <strong>die</strong><br />
menschliches Wohlergehen steigert und mehr Gerechtigkeit schafft, während gleichzeitig Umweltrisiken<br />
und ökologische Knappheiten erheblich verringert werden.“ Die UN weiß, dass <strong>die</strong> Armut nur abnehmen<br />
kann, wenn kostengünstige Energie reichlich zur Verfügung steht – und bei Energie aus fossilen Brennstoffen<br />
wird das nie wieder der Fall sein. Um <strong>die</strong> Armut bekämpfen zu können, <strong>was</strong> eine der wichtigsten<br />
Aufgabe der <strong>Vereinten</strong> Nationen ist, müssen wir deshalb eine grüne Wirtschaft aufbauen, <strong>die</strong> auf erneuerbare<br />
Energien setzt.<br />
Etymologie – <strong>die</strong> Wortherkunft<br />
Grün steht mittlerweile international als Kurzwort <strong>für</strong> „Umwelt“ / „Nachhaltigkeit“ / „Umweltfreundlich“.<br />
Kein Zweifel. Aber <strong>für</strong> viele Menschen klingt „Ökonomie / Wirtschaft“ nach Banken, Geld und reichen Leuten.<br />
Weit gefehlt! Das Wort „Ökonomie“ kommt – wie „Ökologie“ auch – aus dem Griechischen: oikos bedeutet<br />
„Haus“ oder „Zuhause“, in <strong>die</strong>sem Fall unser aller Zuhause, unser Planet Erde. Und nomos steht <strong>für</strong><br />
„Gesetz“ oder „Regelwerk“. „Ökonomie“ bedeutet also im Grunde <strong>die</strong> Regelung der Angelegenheiten oder<br />
<strong>die</strong> Bewirtschaftung unseres Planeten – so wie „Ökologie“ (aus oikos und logos = „Wissen“) das Wissen<br />
über unsere Erde bedeutet. Eine grüne Ökonomie – oder grüne Wirtschaft, wie wir sagen – ist also einfach<br />
eine Möglichkeit, unseren Planeten auf umweltfreundliche Weise zu bewirtschaften.<br />
Warum ist da jemand dagegen?<br />
Bei den Verhandlungen zum <strong>Rio+20</strong>-Gipfel sprachen sich <strong>die</strong> meisten der ärmeren Länder da<strong>für</strong> aus, den<br />
Begriff „grüne Wirtschaft“ wieder fallenzulassen und stattdessen den Begriff „nachhaltige Entwicklung“<br />
beizubehalten. Sie sind der Mei<strong>nun</strong>g, dass „grüne Wirtschaft“ eine Fata Morgana sei – nur ein Weg, das<br />
Ziel der Armutsbekämpfung von der internationalen Tagesord<strong>nun</strong>g zu streichen. UNEP und andere argumentieren<br />
schon seit über einem Jahr, dass das Hauptziel der grünen Wirtschaft <strong>die</strong> Bekämpfung der Armut<br />
und <strong>die</strong> Verbesserung der sozialen Situation sei – aber der globale Süden glaubt das nicht!<br />
Was ist deren Problem?<br />
Sie sagen, dass das Konzept der nachhaltigen Entwicklung auf DREI Säulen beruht und dass <strong>die</strong> grüne<br />
Wirtschaft sich nur auf <strong>die</strong> ökonomische Säule konzentriert und <strong>die</strong> soziale und ökologische ignoriert.<br />
Sie argumentieren weiter, dass eine grüne Wirtschaft darauf abzielt, <strong>die</strong> Natur mit einem Preis zu versehen<br />
und nennen das <strong>die</strong> „schleichende Kommerzialisierung der natürlichen Ressourcen“. Damit haben<br />
sie durchaus Recht: Diejenigen, <strong>die</strong> bei UNEP hinter dem Konzept der grünen Wirtschaft stehen, haben<br />
auch TEEB entwickelt, darunter wird der ökonomische Wert von Ökosystemen und biologischer Vielfalt<br />
� 17
18<br />
verstanden. TEEB versieht <strong>die</strong> natürlichen Ressourcen tatsächlich mit einem Preis. Ein Beispiel: Ein System<br />
von Bergbächen und -flüssen liefert Wasser zur Bewässerung, das flussabwärts hilft, landwirtschaftliche<br />
Produkte im Wert von einer Milliarde US-Dollar zu erzeugen. TEEB sagt <strong>nun</strong> den Politikern und Wirtschaftsbossen:<br />
„Ihr schützt mal besser das Flusssystem. Es ist <strong>für</strong> eure nationale Wirtschaft eine Milliarde<br />
wert!“ TEEB belegt <strong>nun</strong> Wälder, Bienen, Gewässer, einfach alles mit Geldwerten. Aber es funktioniert: Die<br />
Bewahrung ist mittlerweile eine allgemein anerkannte Priorität <strong>für</strong> alle Regierungen und Wirtschaftsbereiche.<br />
Der Wert der Bank-Metapher<br />
In jedem Haushalt geht es letzten Endes ums Geld: Wir sparen jede Woche et<strong>was</strong> und versuchen uns<br />
nicht zu verschulden. Das gilt auch <strong>für</strong> den Öko-Haushalt: Wir sollten sparsam sein mit unseren Ressourcen<br />
und uns nicht selbst ruinieren, indem wir hohe Umwelt“schulden“ anhäufen. Aber genau das tun wir<br />
nicht: Überall, wo man hinschaut – Wälder, Wasser, Fischbestände, mineralische Rohstoffe – überall sind<br />
<strong>die</strong> ökologischen Vorräte tief im Minus – dunkelrot sozusagen. Wir verkonsumieren rücksichtslos <strong>die</strong> Ressourcen,<br />
<strong>die</strong> über einen Zeitraum von Millionen Jahren entstanden sind, und gefährden durch unsere<br />
Nachlässigkeit kommende Generationen. Für einen einzigen Liter Öl oder Benzin, den wir heute verbrauchen,<br />
mussten sich 22 Tonnen abgestorbener Organismen in einem über 200 Millionen Jahre dauernden<br />
Prozess unter hohem Druck zersetzen und aufspalten. Und auch weil unser Ölkonto mittlerweile tiefrot<br />
ist, ist der Übergang zu erneuerbaren Brennstoffquellen dringend erforderlich.<br />
Nachhaltige Entwicklung vs. Grüne Wirtschaft<br />
Wir in der Bildungsarbeit versuchen schon seit 20 Jahren, jungen Menschen <strong>die</strong> Bedeutung des Begriffes<br />
„nachhaltige Entwicklung“ näherzubringen – jedoch ohne großen Erfolg. Dieser Begriff wurde von der<br />
Öffentlichkeit einfach NICHT angenommen. Ohnehin ist er ein Widerspruch in sich: nachhaltig bedeutet<br />
beständig, und Entwicklung bedeutet oft Wachstum. Man kann aber auf einem kleinen, begrenzten Planeten<br />
kein beständiges Wachstum haben, weil einem früher oder später <strong>die</strong> Ressourcen ausgehen. Jetzt,<br />
20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel, wäre der richtige Zeitpunkt gekommen, einen anderen Begriff zu<br />
wählen. Eine „grüne und faire Wirtschaft“ – eine, <strong>die</strong> danach trachtet, das Wohlergehen aller zu erreichen<br />
und nicht einen unermesslichen Reichtum <strong>für</strong> wenige und erdrückende Armut <strong>für</strong> viele –, <strong>die</strong> auch auf<br />
<strong>die</strong> Bedürfnisse zukünftiger Generationen Rücksicht nimmt. Das ist ein Konzept, hinter dem wir stehen<br />
und das wir auch weiterverbreiten können.<br />
Der Schriftsteller Ian McEwan benutzt in seinem Roman „Solar“ folgendes<br />
Bild, um unser bisheriges Wirtschaftssystem zu definieren: „Das<br />
wäre so, als ob ein Mann, der in einem Wald Durst bekommt, einen rauschenden<br />
Bach am Waldrand nicht beachtet, sondern stattdessen Bäume<br />
fällt, um deren Saft zu trinken“. Wie konnten wir nur so dumm sein?<br />
Unser Saft ist das Öl und unser rauschender Bach <strong>die</strong> Sonne. Thomas<br />
Edison, der <strong>die</strong> Elektrizität erfunden hat, war der Überzeugung, dass <strong>die</strong><br />
Sonne <strong>die</strong> beste Stromquelle ist. Dabei hatte er noch nicht einmal das<br />
Schaubild gesehen, aus dem hervorgeht, dass an einem Tag genug Sonne<br />
auf eine kleine Fläche der Sahara fällt, um den gesamten Energiebedarf<br />
der Welt <strong>für</strong> ein ganzes Jahr zu decken!<br />
Auf <strong>die</strong> Fläche des obersten Quadrats fällt genug<br />
Sonnenlicht, um den Energiebedarf der<br />
gesamten Welt zu decken, das mittlere Quadrat<br />
stellt <strong>die</strong> europäische Nachfrage dar und<br />
das untere den Energiebedarf des afrikanischen<br />
Kontinents.<br />
Quelle: Zahlen der Desertec Foundation 2005
Welche Probleme löst<br />
eine grüne Wirtschaft?<br />
Das Grundlagenpapier „Auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft“ des Umweltprogramms der <strong>Vereinten</strong> Nationen hat DREI Hauptaussagen:<br />
1.Die grüne Wirtschaft schützt nicht nur <strong>die</strong> Natur, sondern erreicht nach sechs Jahren höhere Wachstumsraten als <strong>die</strong> braune Wirtschaft.<br />
2. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und besserem Schutz der Umwelt.<br />
3. Die grüne Wirtschaft schafft mehr Arbeitsplätze als durch das Auslaufen des braunen Wirtschaftsmodells verlorengehen.<br />
Wie das geschieht? Nun, eine grüne Wirtschaft löst Probleme in vielen Bereichen.<br />
Forstwirtschaft:<br />
Die Wälder der Erde bieten über einer Milliarde Menschen eine Lebensgrundlage, beheimaten<br />
mehr als 80 Prozent der biologischen Vielfalt unseres Planeten und fungieren dabei auch noch<br />
als grüne Lungen, <strong>die</strong> einen Großteil der von der Menschheit produzierten Treibhausgasemissionen<br />
absorbieren. Und dennoch werden <strong>die</strong> Wälder in vielen Teilen der Welt weiterhin<br />
ohne Rücksicht auf Verluste abgeholzt. Eine grüne Wirtschaft hingegen würde von allen<br />
Staaten verlangen, dass sie eine „nachhaltige Forstwirtschaft“ praktizieren, d.h. <strong>die</strong> Umweltverträglichkeit<br />
aller Holzerzeugnisse müsste zertifiziert sein, es müsste <strong>für</strong> alle Ökosystemleistungen<br />
des Waldes bezahlt werden, <strong>die</strong> Bewirtschaftung der Wälder würde durch <strong>die</strong> örtlichen<br />
Gemeinwesen erfolgen usw.<br />
Landwirtschaft:<br />
Bis zum Jahr 2050 werden <strong>die</strong> Landwirte der Welt neun Milliarden Erdenbürger ernähren müssen,<br />
und das vermutlich bei mehr Bodenerosion, höheren Temperaturen und knapperem Wasser<br />
als heute. Die Landwirtschaft, wie sie heutzutage betrieben wird, verbraucht 70 Prozent des<br />
Süß<strong>was</strong>sers der Welt und verursacht jedes Jahr drei bis fünf Millionen Fälle von Pestizidvergiftungen,<br />
an denen 40.000 Menschen sterben. In einer grünen Wirtschaft würden <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />
Betriebe, vom kleinsten Selbstversorger-Bauernhof bis hin zur Agrarfabrik,<br />
immer mehr auf organischen Landbau umstellen – mit integrierter Schädlingsbekämpfung,<br />
effizienter Wassernutzung, optimalen Bodenbearbeitungstechniken und Pflanzen, <strong>die</strong> dem Boden<br />
wieder Nährstoffe zuführen. Eine Investition von mindestens 100 Milliarden US-Dollar in <strong>die</strong><br />
grüne Landwirtschaft würde <strong>die</strong> Erträge um zehn Prozent gegenüber der derzeitigen Praxis steigern<br />
und dabei auch noch Wasser sparen und <strong>die</strong> Bodenqualität verbessern. Das muss einfach geschehen<br />
– und <strong>die</strong> derzeitigen Agrarsubventionen müssen unbedingt abgeschafft werden.<br />
Fischerei:<br />
Überlegt einmal: Weil <strong>die</strong> industrielle Fischerei mit 20 Milliarden US-Dollar subventioniert wurde,<br />
sind heute viele der ehemals reichsten Fischgründe der Welt nahezu leergefischt. Eine grüne<br />
Wirtschaft würde <strong>die</strong>se schädlichen Subventionen sofort abschaffen, mindestens 100 Milliarden<br />
US-Dollar in <strong>die</strong> Wiederherstellung des Fischbestands investieren und <strong>die</strong> Fangmenge<br />
aus nachhaltigen Fischfanggebieten von 80 auf 90 Millionen Tonnen im Jahr steigern. Statt<br />
einen Rückgang des Fischbestands und das weitere Zusammenbrechen der Fischgründe zu bewirken,<br />
würde der Fischfang in einer grünen Wirtschaft eine Rendite vom drei- bis fünffachen der<br />
erforderlichen Investitionssumme abwerfen. Das wäre sicherlich lohnend!<br />
� 19
20<br />
Energie:<br />
Der Energiesektor ist <strong>für</strong> 70 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich und macht in<br />
etlichen Ländern mit niedrigem HDI <strong>die</strong> Hälfte der Importaufwendungen aus. Das Energiesystem<br />
einer grünen Wirtschaft hingegen hätte gleich mehrere Vorteile auf einmal: Es würde<br />
<strong>die</strong> Energieerzeugung <strong>die</strong>ser Länder ins Inland verlegen und damit deren Kosten senken,<br />
neue Arbeitsplätze schaffen und <strong>die</strong> Gefahren des Klimawandels verringern. Doch<br />
erneuerbare Energietechnologien stecken noch in den Kinderschuhen: Die US-Regierung<br />
investiert gerade einmal drei Milliarden US-Dollar im Jahr in <strong>die</strong> Erforschung erneuerbarer<br />
Energien, in <strong>die</strong> Militärforschung fließen jedoch 72 Milliarden US-Dollar. Wenn im Bereich<br />
Biokraftstoffe, Photovoltaik und Fusionstechnologie ernsthaft geforscht und investiert würde,<br />
könnte <strong>die</strong> grüne Energiewirtschaft mehr Energie produzieren als <strong>die</strong> gegenwärtige, <strong>die</strong><br />
auf fossilen Energieträgern aufbaut.<br />
Grüne Städte:<br />
50 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Städten; <strong>die</strong> Stadtbewohner verbrauchen 70 Prozent<br />
der gesamten Energie und erzeugen 75 Prozent der Kohlendioxidemissionen. Und <strong>die</strong> städtische<br />
Bevölkerung wächst immer weiter an: Prognosen zufolge soll sie in China von heute<br />
656 Millionen auf 905 Millionen im Jahr 2030 ansteigen; im selben Zeitraum soll sich <strong>die</strong><br />
Zahl der Stadtbewohner in In<strong>die</strong>n nahezu verdoppeln, auf 590 Millionen. Daher ist es <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> grüne Wirtschaft von höchster Priorität, unsere Städte grüner zu machen. Erreichen<br />
kann man das durch eine bessere Pla<strong>nun</strong>g, etwa durch sogenannte „vertikale Farmen“ –<br />
also den Anbau landwirtschaftlicher Produkte in Hochhäusern – und <strong>die</strong> Verbesserung von<br />
Gebäuden und Infrastruktur wie öffentlichen Verkehrsmitteln, Wasserversorgung und Ab<strong>was</strong>serentsorgung.<br />
Schon heute verbraucht <strong>die</strong> vorbildlich „grüne Stadt“ Curitiba 30 Prozent<br />
weniger Brennstoff als andere Städte in Brasilien.<br />
Wasser:<br />
Wenn man einen grüneren Wassersektor will, müssten alle <strong>für</strong> das bezahlen, <strong>was</strong> sie tatsächlich<br />
verbrauchen, und das würde dazu führen, dass Landwirtschaft, Industrie und Kommunen sparsamer<br />
mit dem Wasser umgehen. Eine entsprechende Investition von mindestens 100 Milliarden<br />
US-Dollar im Jahr würde <strong>die</strong> Nachfrage nach Wasser bis zum Jahr 2050 um 20 Prozent<br />
senken. Investitionen in <strong>die</strong> Wasserversorgung kommen insbesondere auch den ärmsten<br />
Menschen der Welt zugute, von denen 884 Millionen kein sicheres Trink<strong>was</strong>ser zur Verfügung<br />
haben. In In<strong>die</strong>n fließen 84 Prozent der acht Milliarden US-Dollar, <strong>die</strong> in das Programm<br />
zur Beschäftigungssicherung im ländlichen Raum investiert werden, in Projekte, <strong>die</strong> mit Wasserversorgung<br />
zu tun haben, und verbessern damit <strong>die</strong> Lage von 59 Millionen Haushalten.<br />
Sanitärversorgung:<br />
Weltweit haben 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer angemessenen Sanitärversorgung<br />
und haben keine hygienischen Toiletten zur Verfügung. Das führt zu massiven Gesundheitsproblemen,<br />
<strong>die</strong> wiederum erhöhte Kindersterblichkeit und zusätzliche Kosten zur Folge<br />
haben, <strong>die</strong> in bestimmten Ländern bis zu zwei bis drei Prozent des BIP betragen können. Eine<br />
grüne Wirtschaft würde einen Schwerpunkt auf Investitionen in Sanitärversorgung legen und<br />
<strong>die</strong> Zahl der betroffenen Menschen bis zum Jahr 2015 von 2,6 auf 1,7 Milliarden verringern.
Abfall:<br />
In einer grünen Wirtschaft wird jeglicher Abfall als Produkt betrachtet, <strong>für</strong> das sich noch irgendein<br />
Verwendungszweck finden lässt. Angesichts der Prognose, dass das weltweite Abfallaufkommen<br />
bis zum Jahr 2050 um 20 Prozent auf über 13 Milliarden Tonnen im Jahr ansteigen<br />
soll, ist das eine riesengroße Produktmenge! Derzeit wird nur ein Viertel des weltweit produzierten<br />
Abfalls wiederverwertet oder wiederverwendet; wenn das mit dem gesamten Abfall<br />
gemacht würde, könnte ein Umsatz von rund 410 Milliarden US-Dollar erzielt werden.<br />
In Brasilien erwirtschaftet <strong>die</strong> Recyclingindustrie zwei Milliarden US-Dollar im Jahr, spart<br />
zehn Millionen Tonnen Treibhausgase ein und beschäftigt 500.000 Menschen, doch immer<br />
noch landen jährlich Materialien im Wert von fünf Milliarden US-Dollar auf der Müllkippe.<br />
Derzeit werden ungefähr 140 Milliarden Tonnen landwirtschaftliche Abfälle wiederverwertet,<br />
<strong>was</strong> rund 50 Milliarden Tonnen Erdöl entspricht. In einer grünen Wirtschaft würde <strong>die</strong><br />
anfallende Biomasse – einschließlich aller Lebensmittelabfälle – bis zum Jahr 2050 zu 100 Prozent<br />
wiederverwertet, und <strong>die</strong>s würde Millionen Barrel von Öleinheiten und Billionen Liter von<br />
Wasser sparen. „Null Abfall“ bietet eine riesige Geschäftschance (siehe: www.zero<strong>was</strong>te.org).<br />
Grüne Gebäude:<br />
Gebäude tragen von allen Faktoren am stärksten zur Produktion von Treibhausgasen bei: Ein<br />
Drittel der Weltenergie wird in Gebäuden verbraucht. Dieser Anteil soll sich bis zum Jahr<br />
2030 sogar noch nahezu verdoppeln, auf 15,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent. Wie das<br />
UNEP nachgewiesen hat, können <strong>die</strong>se Kosten reduziert werden, wenn <strong>für</strong> alle Gebäude<br />
strenge Baunormen der grünen Wirtschaft gelten. Investitionen in <strong>die</strong> Modernisierung des<br />
Gebäudebestands würden zwar bis zu einer Billion US-Dollar kosten, aber eine große Zahl<br />
von Arbeitsplätzen schaffen und gegenüber den derzeitigen Methoden ein Drittel Energie<br />
einsparen.<br />
Verkehr:<br />
Der Verkehr verursacht über <strong>die</strong> Hälfte des weltweiten Verbrauchs von flüssigen fossilen<br />
Brennstoffen und fast ein Viertel der gesamten Kohlendioxidemissionen. Das Verkehrssystem<br />
einer grünen Wirtschaft will hingegen erreichen, dass mehr Menschen in der Nähe ihrer<br />
Arbeitsstellen leben, <strong>die</strong> öffentlichen Verkehrsmittel und der Fahrradverkehr stark ausgebaut<br />
werden, <strong>die</strong> Verkehrsbelastung u.a. durch Erhebung von Anti-Stau-Gebühren verringert<br />
wird, saubere Verkehrstechnologie, z. B. der Bau leichterer Fahrzeuge, gefördert wird<br />
und der Massenverkehr erheblich effizienter gestaltet wird als bisher. Eine Reform der heutigen<br />
Besteuerungs- und Subventionierungspraktiken würde innerhalb eines Jahrzehnts einen<br />
grüneren Verkehr bewirken.<br />
Die Ausgabe 1/2012 der EINE-<br />
WELT-PRESSE beschäftigt sich<br />
mit dem Thema „Globale Grüne<br />
Wirtschaft“ in praxisorientierten<br />
und theoretischen<br />
Beiträgen und liefert eine<br />
Fülle konkreter Beispiele.<br />
Auf Anfrage senden wir Exemplare gerne<br />
zu – auch größere Stückzahlen <strong>für</strong> Schule<br />
und Bildungsarbeit.<br />
DGVN | Zimmerstr. 26/27 | 10969 Berlin<br />
Tel. 0 30 - 25 93 75 -0 | Fax 0 30 - 25 93 75 29<br />
E-Mail: info@dgvn.de<br />
Web: www.dgvn.de/eine-welt-presse.html<br />
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22<br />
20 Schritte hin zu einer<br />
grünen Wirtschaft<br />
Das Umweltprogramm der <strong>Vereinten</strong> Nationen UNEP ermutigt <strong>die</strong> Regierungen dazu, in den nächsten<br />
30 Jahren jedes Jahr zwei Prozent des Bruttonationalprodukts in <strong>die</strong> Schaffung und den Ausbau einer<br />
grünen Wirtschaft zu investieren. Das sind ungefähr 40 Billionen US-Dollar. Wohin soll das Geld fließen?<br />
1) Steuern und Kontrollieren = neue Gesetze:<br />
Gesetze – mit denen z.B. das Dynamitfischen<br />
und <strong>die</strong> Grundschleppnetzfischerei verboten<br />
oder <strong>die</strong> Erdölindustrie und andere Rohstoffin-<br />
2) Einführung neuer Verbrauchsnormen:<br />
Wenn hohe Standards vorgeschrieben werden,<br />
so wie das berühmte „Drei-Liter-Auto“ in<br />
Deutschland, kann <strong>die</strong>s sehr rasch zu unglaub-<br />
dustrien reguliert werden – sind wirksamer, schneller<br />
und kostengünstiger als jedes Marktinstrument.<br />
lichen Veränderungen führen, und dabei lassen sich<br />
viele <strong>die</strong>ser Vorschriften auch noch relativ leicht<br />
überwachen.<br />
3) Ein nachhaltiges öffentliches Beschaffungswesen:<br />
Überall auf der Welt ist der Staat der größte Einzelabnehmer;<br />
wenn also staatliche Stellen nur noch<br />
nachhaltig hergestellte, ressourcenschonende<br />
Produkte einkaufen, hat <strong>die</strong>s unmittelbar einen<br />
gewaltigen Effekt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kohlendioxidemissio-<br />
4) Abschaffung schädlicher Subventionen:<br />
Fossile Brennstoffe: Im Jahr 2008 wurde der Verbrauch von<br />
fossilen Brennstoffen weltweit mit geschätzten 557 Milliarden<br />
US-Dollar staatlich subventioniert und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Herstellung<br />
fossiler Brennstoffe wurden weitere 100 Milliarden<br />
US-Dollar an Subventionen bezahlt. Die Herstellung<br />
von fossilen Brennstoffen muss JETZT mit<br />
hohen Steuern belegt werden, um sie aufzubewahren<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> wichtige Rolle, <strong>die</strong> sie beim Aufbau<br />
einer grünen Wirtschaft spielen müssen.<br />
Landwirtschaft: Die Landwirtschaft der reichen<br />
Länder wird mit bis zu 300 Milliarden US-Dollar jährlich<br />
subventioniert. Das kickt <strong>die</strong> Produzenten aus ärmeren<br />
Ländern förmlich aus den profitablen Märkten heraus.<br />
Fischerei: Das Gleiche gilt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Subventionierung der Fischerei<br />
– man steckt jedes Jahr 27 Milliarden US-Dollar in<br />
Fischfangmethoden, <strong>die</strong> dazu führen, dass Fischbestände im<br />
Wert von 50 Milliarden US-Dollar vernichtet werden!<br />
nen. In Österreich, Dänemark, Finnland, Deutschland und<br />
Großbritannien hat sich durch ein nachhaltiges Beschaffungswesen<br />
<strong>die</strong> Klimabilanz bereits um 20 Prozent<br />
verbessert.<br />
Grüne Subventionen und grüne Steuern: Die schnellste und<br />
effektivste Methode, <strong>die</strong> Bevölkerung zur Änderung ihrer<br />
Konsumgewohnheiten zu bewegen, ist es, nachhaltig produzierte<br />
Waren billiger zu machen und nicht-nachhaltig<br />
produzierte Waren entsprechend teurer. Als man<br />
in Europa dazu überging, verbleites Benzin höher<br />
zu besteuern als unverbleites, stiegen <strong>die</strong> Autofahrer<br />
innerhalb sehr kurzer Zeit auf bleifreies Benzin<br />
um. Preisstützungsmaßnahmen <strong>für</strong> grüne Produkte<br />
– und massive Besteuerung nicht-grüner Produkte<br />
– verändern das Kaufverhalten und schaffen Anreize <strong>für</strong><br />
das Wachstum neuer grüner Wirtschaftszweige. Singapur,<br />
Deutschland und Norwegen sind führend, <strong>was</strong> eine grün ausgerichtete<br />
Preispolitik anbelangt. Infolgedessen sind dort<br />
Hunderte von neuen Unternehmen entstanden, <strong>die</strong> grüne<br />
Produkte herstellen.<br />
5) Schaffung von Anreizen <strong>für</strong> grüne Investitionen:<br />
Es gibt eine Unmenge kreativer Möglichkeiten, wie<br />
der Staat grüne Investitionen fördern kann –<br />
von geringeren Grundsteuern <strong>für</strong> Eigenheimbesitzer,<br />
<strong>die</strong> Solaranlagen zur Warm<strong>was</strong>serbereitung<br />
anschaffen, über höhere Parkgebühren <strong>für</strong><br />
spritschluckende Geländewagen bis hin zur Förderung<br />
von Einspeisetarifen mit Preisanreizen <strong>für</strong> Kleinproduzenten.<br />
Deshalb muss <strong>die</strong> Pla<strong>nun</strong>g <strong>für</strong> den Übergang<br />
zu einer grünen Wirtschaft vom Staat ausgehen.
6) Zeitliche Begrenzung von Subventionen:<br />
Der Staat muss derartige Zuschüsse über einen<br />
angemessenen Zeitraum (drei bis fünf Jahre) hinweg<br />
planbar machen und sie dann allmählich<br />
auslaufen lassen. Durch eine kurzfristige Einstel-<br />
7) Geldzuwendungen zur Beseitigung der Armut:<br />
Zur Erinnerung: eine grüne Wirtschaft ist eine, <strong>die</strong> „<strong>für</strong><br />
mehr soziale Gerechtigkeit sorgt…“. Deshalb<br />
sollte ein Übergangsplan zu einer grünen<br />
Wirtschaft auch ein soziales Sicherungsnetz<br />
vorsehen, das mithilft, <strong>die</strong> Armut zu beseitigen.<br />
Wir hatten bereits aufgezeigt, wie Geldzuwendungen<br />
den ärmsten Mitgliedern der<br />
8) Eindämmung des Bevölkerungswachstums:<br />
Im Laufe der Jahre hat sich erwiesen, dass schon sehr<br />
viel <strong>für</strong> eine Eindämmung des Bevölkerungswachstums<br />
getan wäre, wenn alle Menschen<br />
Zugang zu dem, <strong>was</strong> man „reproduktive Ge-<br />
9) Emissionsrechtehandel:<br />
Das Kyoto-Protokoll sieht Systeme <strong>für</strong> den Handel mit<br />
Emissionsrechten <strong>für</strong> Kohlendioxid vor. Bis zum<br />
Jahr 2009 wurden Emissionsrechte <strong>für</strong> 8,7 Milliarden<br />
Tonnen Kohlendioxid im Wert von 144 Milliarden<br />
US-Dollar gehandelt. Für den CO2-Ausstoß,<br />
den man verursacht, zahlen zu müssen, ist<br />
ein erster Schritt hin zu seiner Eindämmung. Der<br />
ultimative Schritt wäre jedoch, Obergrenzen <strong>für</strong> den<br />
10) Gebühren <strong>für</strong> Ökosystemleistungen:<br />
Im Laufe der Jahre haben <strong>die</strong> <strong>Vereinten</strong> Nationen verschiedene<br />
Konzepte entwickelt, damit <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft<br />
den Wert der natürlichen Ressourcen der Erde,<br />
<strong>die</strong> sie ausbeuten, besser schätzen lernen, indem<br />
man sie nämlich da<strong>für</strong> bezahlen lässt. Eines davon<br />
ist das bereits weiter oben erwähnte TEEB.<br />
Außerdem gibt es noch den ebenfalls im Kyoto-<br />
Protokoll vereinbarten „Mechanismus <strong>für</strong> umweltverträgliche<br />
Entwicklung“ (Clean Development<br />
Mechanism – CDM), der einen Ausgleich <strong>für</strong> luftverschmutzende<br />
Investitionen im Inland durch Investitionen in<br />
saubere Technologien im Ausland vorsieht. Es gibt auch bereits<br />
das REDD-Modell (Reducing Emissions from Deforestation and<br />
11) Problemloser Übergang durch gezielte<br />
Schulung der Arbeitskräfte:<br />
In Deutschland beschäftigt <strong>die</strong> grüne Wirtschaft schon<br />
mehr Menschen als <strong>die</strong> Automobilindustrie – und<br />
grüne Facharbeiter sind knapp. Dem Umweltprogramm<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen zufolge fehlt es in<br />
fast allen Bereichen, <strong>die</strong> mit erneuerbaren Energi-<br />
lung von Subventionen – wie es in letzter Zeit in<br />
einigen Ländern gemacht wurde – wird es der<br />
Privatwirtschaft unmöglich, grüne Investitionen<br />
langfristig zu planen.<br />
<strong>Gesellschaft</strong> helfen, ihren eigenen Lebensunterhalt und den<br />
ihrer Familien zu bestreiten. Wenn man auch weiblichen<br />
Haushaltsvorständen derartige Mittel zur<br />
Verfügung stellen und den Schwerpunkt der Unterstützung<br />
auf Nahrungsmittel, Gesundheits<strong>für</strong>sorge<br />
und Bildung legen würde, könnte <strong>die</strong>s das<br />
Leben armer Menschen grundlegend verändern.<br />
sundheit“ nennt (Verhütungsmittel, professionelle<br />
Geburtshilfe u.ä.), erhalten würden und alle Mädchen<br />
auf der ganzen Welt <strong>die</strong> Chance bekämen,<br />
zumindest eine Grundschule zu besuchen.<br />
CO2-Ausstoß (den sogenannten „CO2-Fußabdruck“)<br />
jedes einzelnen Mitglieds der Menschheitsfamilie<br />
festzulegen – <strong>was</strong> bedeuten würde, dass reiche<br />
Leute aus dem Norden Genehmigungen von<br />
den Menschen im Süden kaufen müssten, wenn<br />
sie mehr reisen und konsumieren wollen als ihnen<br />
eigentlich zusteht.<br />
Degradation – Verringerung von Emissionen aus Entwaldung<br />
und zerstörerischer Waldnutzung), demzufolge staatliche und<br />
private Unternehmen <strong>für</strong> sämtliche Kosten aufzukommen<br />
haben, <strong>die</strong> mit der Gewin<strong>nun</strong>g von Forstprodukten<br />
verbunden sind – einschließlich dem Wert<br />
der Leistung, den <strong>die</strong> Wälder als sogenannte „Kohlenstoffsenken“<br />
erbringen, <strong>die</strong> in der Lage sind,<br />
CO2-Emissionen langfristig zu binden. Auch in der<br />
Bergbauindustrie, Wasser- und Fischereiwirtschaft<br />
wird wohl in absehbarer Zeit eine umfassende Kosten-<br />
und Leistungsrech<strong>nun</strong>g verpflichtend werden, <strong>die</strong> einen enormen<br />
Beitrag sowohl zum Naturschutz als auch zur internationalen<br />
Verteilungsgerechtigkeit leisten wird.<br />
en zu tun haben, an qualifizierten Arbeitskräften. Darum<br />
müsste überall der Staat <strong>die</strong> Hochschulen und<br />
Fachhochschulen dazu anhalten, ihre Lehrpläne zu<br />
ökologisieren und <strong>die</strong> Fachleute auszubilden, <strong>die</strong> in<br />
einer grünen Wirtschaft benötigt werden.<br />
23 �
24<br />
12) Technologietransfer:<br />
Von einem Jugendkommitee kam der Vorschlag,<br />
eine neue Wiki-Webseite zum kostenlosen<br />
Transfer von grünen Technologien einzurichten.<br />
Begründet wurde das damit, dass es in<br />
unser aller Interesse ist, <strong>die</strong> Umwelt nicht weiter<br />
zu verschmutzen, sondern als globale Familie<br />
nachhaltig zu werden – denn wenn einer<br />
13) Multilaterale Umweltabkommen und<br />
internationale Handelsgesetze:<br />
Wenn ein Land Unternehmen erlaubt, seine Wälder nach Belieben<br />
auszubeuten, und ein anderes Land hohe Steuern<br />
auf <strong>die</strong> Nutzholzgewin<strong>nun</strong>g erhebt, dann<br />
werden Holzerzeugnisse aus dem ersteren Land<br />
natürlich viel billiger sein. Und weil das alles andere<br />
als fair ist, braucht <strong>die</strong> Welt internationale<br />
Umweltabkommen und Handelsgesetze, um<br />
einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen<br />
– damit alle Unternehmen und Länder unter gleichen Vor-<br />
14) Internationale Durchsetzungsmechanismen:<br />
Wie kann man Regierungen dazu bringen, Gesetze zu verabschieden,<br />
nach denen sie selber bestraft würden, wenn<br />
sie dagegen verstoßen? Das ist sehr schwierig, aber<br />
immerhin haben wir heutzutage internationale<br />
Strafgerichtshöfe, deren Mühlen zwar furchtbar<br />
langsam mahlen, <strong>die</strong> aber schon einigen<br />
Kriegsverbrechern vom Balkan oder anderswo<br />
her zeigen konnten, dass sie nicht über dem<br />
Gesetz stehen. Die Zivilgesellschaft verfolgt<br />
derzeit drei vielversprechende Initiativen:<br />
1) <strong>die</strong> Idee eines Internationalen Umweltgerichtshofes,<br />
2) <strong>die</strong> Zerstörung der Umwelt als „Ökozid“ – analog<br />
zum Genozid (Völkermord) – zu einem Verbrechen gegen<br />
von uns umweltverschmutzende Technologien einsetzt,<br />
sind wir im Endeffekt alle betroffen. Daher bedeutet<br />
der kostenlose Austausch grüner Technologien<br />
– von Nord nach Süd sowie zwischen den einzelnen<br />
Entwicklungsländern– einen entscheidenden<br />
Schritt auf dem Weg zu einer weltweit grünen<br />
Wirtschaft.<br />
aussetzungen auf den Märkten konkurrieren können. Doch<br />
<strong>die</strong> Welt ist noch weit davon entfernt, das zu erreichen:<br />
Die Gespräche im Rahmen der Doha-Handelsrunde<br />
kommen einfach nicht voran und obwohl es bereits<br />
über 500 <strong>die</strong>ser multilateralen Abkommen gibt,<br />
werden nur wenige davon durchgesetzt und einige<br />
schließen sich sogar gegenseitig aus. Das alles<br />
spricht da<strong>für</strong>, endlich eine Art von Welt-Umweltorganisation<br />
oder einen Welt-Umweltsicherheitsrat einzurichten.<br />
<strong>die</strong> Menschheit zu erklären und 3) eine internationale „Ombudsstelle<br />
<strong>für</strong> zukünftige Generationen“ einzurichten. Jede<br />
<strong>die</strong>ser Initiativen würde <strong>die</strong> Regierungen dazu nötigen, den<br />
zweiten Teil ihrer Definition von nachhaltiger Entwicklung<br />
ernster zu nehmen, nämlich: „… sicherzustellen,<br />
dass aktuelle Errungenschaften nicht auf<br />
Kosten zukünftiger Generationen gehen“. Doch<br />
wie stehen <strong>die</strong> Chancen, dass eine Regierung ein<br />
Gesetz verabschiedet, von dem sie weiß, dass sie<br />
es vermutlich selber brechen wird und dann konsequenterweise<br />
<strong>die</strong> strafrechtlichen Konsequenzen<br />
zu tragen hätte? Wahrscheinlich nicht sehr hoch – doch es<br />
lohnt sich trotzdem, da<strong>für</strong> einzutreten!<br />
15) Bildungsmaßnahmen <strong>für</strong> das Leben in der grünen Wirtschaft:<br />
In Jugendvorbereitungssitzungen zur <strong>Rio+20</strong>-Konferenz<br />
ergab sich <strong>die</strong> Frage: „Weshalb wissen wir so wenig<br />
über <strong>die</strong>se Probleme?“ Die Antwort ist: Weil sie in<br />
keiner Schule einen wichtigen Platz im Lehrplan<br />
einnehmen. Fast scheint es so, als hätte man<br />
auf Regierungsebene insgeheim verabredet,<br />
<strong>die</strong> Tatsache zu verheimlichen, dass das Erdöl<br />
ausgeht und niemand so recht weiß, <strong>was</strong><br />
man dagegen tun kann. Vielleicht ist das nicht<br />
so schlimm, wenn einer heute schon 60 ist<br />
und im Jahr 2050, wenn <strong>die</strong>s zu einem echten<br />
Problem wird, längst nicht mehr unter<br />
den Lebenden weilen wird. Aber schlimm ist<br />
es, wenn man erst 20 ist und sich darauf freut,<br />
etwa ab dem Jahr 2050 einen friedlichen Ruhestand<br />
mit Heizung oder Klimaanlage verbringen zu<br />
können – nur um dann feststellen zu müssen, dass es keine<br />
Energiequellen mehr gibt, <strong>die</strong> einem <strong>die</strong>se Annehmlichkeiten<br />
ermöglichen. Alle jungen Menschen, mit denen wir<br />
gesprochen haben, stellten an ihre Regierungen <strong>die</strong><br />
Forderung, sie über <strong>die</strong> Problematik von Nachhaltigkeit,<br />
Gerechtigkeit und grüner Wirtschaft aufzuklären,<br />
und zwar von dem Tag, an dem sie in <strong>die</strong><br />
Grundschule kommen, bis zu dem Tag, an dem sie<br />
ihren Hochschulabschluss machen. Dieses fundamentale<br />
Wissen über <strong>die</strong> Zusammenhänge auf unserem<br />
Planeten sollte in den Mittelpunkt des Lehrplans<br />
gestellt werden – angefangen mit einfachen<br />
Unterrichtsstunden in der Grundschule bis hin zu<br />
einer vertieften Beschäftigung mit der Problematik<br />
in verschiedenen Lehrfächern in der Oberstufe und<br />
im Studium.
16) Bekämpfung der Korruption:<br />
Eine Anschauung, <strong>die</strong> zwar nicht bei allen UN-Beratungen,<br />
sehr wohl aber bei vielen Jugendkonferenzen thematisiert<br />
wurde, ist, dass eine nachhaltige, gerechte<br />
<strong>Gesellschaft</strong> auch eine <strong>Gesellschaft</strong> ohne<br />
Korruption bedeutet. In vielen Fällen bieten<br />
junge Leute sich als Korruptionswächter an,<br />
<strong>die</strong> korrupte Praktiken ausfindig machen und<br />
17) Entmilitarisierung und atomare Abrüstung:<br />
Natürlich ist es oberste Priorität jeder Regierung, das eigene<br />
Volk gegenüber Bedrohungen von außen zu schützen<br />
– doch gegenwärtig sind nur ganz wenige Länder<br />
direkt davon bedroht, von außen angegriffen<br />
zu werden. Costa Rica kommt schon seit den 1950er<br />
Jahren sehr gut ohne eine Armee aus. Der Einsatz<br />
von Atomwaffen ist heute undenkbar, deswegen<br />
werden sie hoffentlich bald ganz abgeschafft werden. Um<br />
anprangern. Keine schlechte Idee, denn jeder, der sich mit<br />
Entwicklungshilfe auskennt, weiß, dass Korruption<br />
das zweitgrößte Hindernis <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />
nachhaltige Entwicklung ist; nur Krieg ist noch<br />
schlimmer. Also, Ihr jungen Leute – immer ran<br />
an <strong>die</strong> Korruption!<br />
den Ärmsten der Welt wirkungsvoll helfen zu können, müsste<br />
überall der Rüstungshaushalt, der gegenwärtig<br />
in vielen Ländern den Gesundheits-, Sozial- und<br />
Bildungshaushalt bei weitem übersteigt, radikal<br />
gekürzt werden. Alle jungen Leute sind sich darüber<br />
einig, dass eine nachhaltige Welt eine Welt ist,<br />
in der Völker und Staaten miteinander auskommen,<br />
ohne sich gegenseitig militärisch bedrohen zu müssen.<br />
18) Neue Indikatoren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Messung der Fortschritte auf<br />
dem Weg zu einer grünen, nachhaltigen <strong>Gesellschaft</strong>:<br />
Die Auffassung, dass rein volkswirtschaftliche Maßstäbe,<br />
<strong>die</strong> in Geld bezifferbar sind – wie das Bruttonational-<br />
oder Bruttoinlandsprodukt (BNP / BIP) – nicht<br />
ausreichen, um Fortschritte in punkto Nachhaltigkeit<br />
zu messen, wird heute von vielen geteilt. Wie<br />
der Index der menschlichen Entwicklung, so muss<br />
auch das BIP an Indikatoren geknüpft werden, <strong>die</strong><br />
19) Die Finanzierung der grünen Wirtschaft –<br />
Wo soll man das GELD hernehmen?<br />
Die Kosten <strong>für</strong> den Aufbau der grünen Wirtschaft werden <strong>die</strong><br />
größte Einzelinvestition der Generation darstellen, <strong>die</strong><br />
heute noch <strong>die</strong> Schulbank drückt. Die Weltbank<br />
rechnet mit Kosten von 40 bis 50 Billionen US-<br />
Dollar in den nächsten 30 Jahren. Das Umweltprogramm<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen fordert zwei<br />
Prozent des weltweiten BIP im Jahr: das wären<br />
1,26 Billionen US-Dollar pro Jahr über 30 Jahre hinweg,<br />
also 37,8 Billionen US-Dollar. Das ist eine Menge<br />
Geld. Aber wir haben schließlich auch 178 Billionen US-Dollar<br />
20) Allianz der Willigen bilden:<br />
<strong>Rio+20</strong> war eine Konferenz der verpassten Chancen. Das konkrete<br />
Ergebnis war Null. Die Bremser auf Seiten der Entwicklungsländer<br />
und <strong>die</strong> USA haben mit ihrer Fixierung<br />
auf Wachstum und Freihandel nach<br />
altem Muster konkrete Fortschritte auf dem<br />
Weg zu einer grünen Wirtschaft und zur effizienteren<br />
Nutzung der natürlichen Ressourcen<br />
blockiert. Doch der geschundene Planet<br />
wartet nicht, Klimawandel und ökologische<br />
Zerstörungen schreiten voran. Nun kommt<br />
es darauf an, dass sich fortschrittliche Staaten und Zivilgesell-<br />
alle oben genannten Aspekte – Bildung, grüne Steuern und<br />
Subventionen, Beschaffungsentscheidungen usw.<br />
– abdecken. Deshalb müssen Regierungen oder<br />
auch <strong>die</strong> <strong>Vereinten</strong> Nationen einen umfassenden<br />
Maßstab entwickeln, um feststellen zu können,<br />
wo <strong>die</strong> einzelnen Länder und Gemeinwesen in<br />
der globalen Nachhaltigkeitsrangliste stehen.<br />
in Staats- und Pensionsfonds zur Verfügung. Wenn also, wie<br />
Amory Lovins in »Reinventing Fire« aufzeigt, <strong>die</strong> grüne<br />
Wirtschaft sich als profitabel erweisen sollte,<br />
kann – und wird – <strong>die</strong> Privatwirtschaft <strong>die</strong> erforderlichen<br />
Investitionsmittel bereitstellen. Doch<br />
zunächst müssen <strong>die</strong> ersten 18 Schritte unternommen<br />
werden, um sicherzustellen, dass einerseits<br />
<strong>die</strong> grüne Wirtschaft profitabel wird und andererseits<br />
in der Öffentlichkeit das Bewusstsein da<strong>für</strong> entsteht,<br />
welche Priorität sie einnimmt.<br />
schaften, Initiativen und Unternehmen, lokal und international,<br />
zu einer Allianz der Willigen zusammenschließen und<br />
konsequent <strong>die</strong> Durchsetzung grüner Wirtschaftspolitik<br />
vorantreiben, <strong>die</strong> zukunftsfähig ist. Länder,<br />
<strong>die</strong> auf grüne Technologien setzen und eine Vervielfachung<br />
der Ressourcen- und Energieproduktivität<br />
massiv vorantreiben, werden sich in Anbetracht<br />
des zu Neige gehenden Öls und steigender<br />
Ölpreise auf mittlere Sicht auch auf dem Weltmarkt<br />
durchsetzen und <strong>die</strong> Bremserstaaten in Zugzwang<br />
setzen. Die ökologischen Pioniere werden so zu Gewinnern.<br />
25 �
26<br />
Fahrplan <strong>für</strong> Ressourceneffizienz<br />
Die Europäische Kommission hat als Beitrag zu den <strong>Rio+20</strong>-Verhandlungen einen „Fahrplan <strong>für</strong> Ressourceneffizienz<br />
(Road Map to Resource Efficiency)“ veröffentlicht. Darin wird geschätzt, dass wir eine<br />
zehnfache Steigerung der Ressourceneffizienz brauchen, um nach dem Jahr 2050 überleben zu können<br />
– wenn das nicht gelingt, muss man <strong>für</strong> <strong>die</strong> dann mehr als neun Milliarden Mitglieder der Menschheitsfamilie<br />
neue Planeten zum Überleben finden. Das macht klar, dass Ressourceneffizienz – mehr Kilometer<br />
pro Liter, mehr Tonnen Nahrungsmittel pro Hektar Land – von enormer Bedeutung ist.<br />
2050<br />
Die Vision: Europa – und <strong>die</strong> Welt – ressourcenschonend machen! Bis 2050<br />
wird eine ressourcenschonende Entwicklung Folgendes bewirken:<br />
• Wir haben eine wettbewerbsfähige und alle gesellschaftlichen Gruppen einschließende Wirtschaft,<br />
<strong>die</strong> einen hohen Lebensstandard bei deutlich geringerer Umweltbelastung bietet.<br />
• Alle Ressourcen – von Rohstoffen und Energie über Wasser und Luft bis hin zu Böden und<br />
Land – werden nachhaltig bewirtschaftet.<br />
• Die Etappenziele des Klimaschutzes wurden erreicht und möglichst noch übertroffen.<br />
• Die Biodiversität und <strong>die</strong> Ökosystemleistungen wurden geschützt, wertbestimmt und wiederhergestellt.<br />
Bis zum Dezember 2013 will <strong>die</strong> Kommission eine Einigung darüber erzielen, mit welchen<br />
Methoden gemessen werden soll, inwieweit <strong>die</strong>se Vision verwirklicht wird. Zur Messung der verbesserten<br />
Wirtschaftsleistung angesichts der natürlichen Ressourcen, <strong>die</strong> zu deren Erreichung<br />
verbraucht wurden, schlägt sie einen Leitindikator „Ressourcenproduktivität“ vor.<br />
Das Ziel ist, Wirtschaftswachstum und Wohlergehen vom Ressourceneinsatz zu „entkoppeln“. Anders<br />
ausgedrückt: Künftiges Wachstum sollte sich aufgrund einer höheren Effizienz ergeben. Aktuelle<br />
Stu<strong>die</strong>n zeigen, dass in Deutschland durch einen effizienteren Umgang mit Ressourcen bei<br />
der Herstellung von Waren Kosten von bis zu 30 Prozent eingespart und bis zu eine Million Arbeitsplätze<br />
im Land geschaffen werden könnten. Analog wären in Großbritannien von Maßnahmen<br />
zur Verbesserung der Ressourceneffizienz, <strong>die</strong> von Betrieben mit geringen oder gar keinen<br />
Zusatzkosten eingeführt werden könnten, Einsparungen in der Größenord<strong>nun</strong>g von 23 Milliarden<br />
britische Pfund zu erwarten. Und Berech<strong>nun</strong>gen des UNEP haben bewiesen, dass <strong>die</strong> Entkopplung<br />
funktionieren kann; Dänemark ist es beispielsweise gelungen, sein BIP in den letzten<br />
15 Jahren zu verdoppeln, ohne deshalb mehr Kohlendioxid auszustoßen.
Nachhaltiger Konsum: Bis 2020 müssen <strong>die</strong> richtigen Anreize<br />
und Preissignale installiert sein, <strong>die</strong> mittels Anzeigenkampagnen <strong>die</strong> Konsumenten ermutigen,<br />
auschließlich nachhaltige Produkte und Dienstleitungen einzukaufen.<br />
2050<br />
Abfall: Spätestens 2020 soll<br />
Abfall als Ressource bewirtschaftet werden<br />
und das Pro-Kopf-Abfallaufkommen in abso-<br />
luten Zahlen zurückgehen. Deponierungen von Abfall soll es dann praktisch nicht mehr geben<br />
und durch <strong>die</strong> Entwicklung funktionierender Märkte <strong>für</strong> Sekundärrohstoffe sollen Recycling bzw.<br />
Wiederverwendung von Abfällen zu wirtschaftlich attraktiven Optionen <strong>für</strong> Akteure des öffentlichen<br />
und des privaten Sektors werden.<br />
Forschung und Entwicklung: Die Kommission plant, dass<br />
wir bis spätestens 2020 unsere Ressourcen dank bahnbrechender wissenschaftlicher Entwicklungen<br />
und nachhaltiger Innovationen wesentlich besser verstehen, bewirtschaften, einsparen,<br />
wiederverwenden, recyceln, ersetzen, schützen und in ihrem Wert bestimmen können. Die<br />
EU ist dazu entschlossen, durch Innovationspartnerschaften, gemeinsame Technologieinitiativen<br />
und gemeinsame Programmpla<strong>nun</strong>gen sowie <strong>die</strong> Konzentrierung der öffentlichen Forschungsmittel<br />
Anreize <strong>für</strong> gezielte Forschungsmaßnahmen zu schaffen.<br />
Schädliche Subventionen: Die EU plant, bis 2020 sämtliche<br />
umweltschädlichen Subventionen abzuschaffen. Schätzungen zufolge sind das jährlich eine<br />
Billion US-Dollar. Dabei sollen <strong>die</strong> Menschen beach-<br />
2030<br />
tet werden, auf <strong>die</strong> eine solche Abschaffung negative<br />
Auswirkungen haben könnten. Die Abkehr von derartigen<br />
Subventionen verbessert <strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit,<br />
ermutigt <strong>die</strong> Wirtschaft in grüne Technologien zu investieren und bringt wirtschaftliche,<br />
soziale und ökologische Vorteile mit sich.<br />
Naturkapital: Bis spätestens 2014 sollen <strong>die</strong> EU-Mitgliedstaaten eine<br />
Bestandsaufnahme ihrer Ökosysteme und der von ihnen erbrachten Leistungen erstellen. Bis<br />
27 �
28<br />
spätestens 2020 sollen Naturkapital und Ökosystemleistungen von öffentlichen Behörden und<br />
Unternehmen ihrem tatsächlichen Wert entsprechend erfasst werden. Außerdem soll der Verlust<br />
an Biodiversität aufgehalten werden.<br />
Wasser: Spätestens 2020 soll <strong>die</strong> Wasserentnahme weniger als 20 Prozent der<br />
erneuerbaren Wasserressourcen betragen.<br />
Luftqualität: Durch <strong>die</strong> Luftverschmutzung, <strong>die</strong> zu Versauerung, Eutrophierung<br />
und Ozonschäden an Pflanzen führt, werden auch <strong>die</strong> Ökosysteme und <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
beeinträchtigt. Es wird geschätzt, dass dadurch im Jahr 2020 volkswirtschaftliche Kosten in Höhe<br />
von 537 Milliarden Euro entstehen werden. Ein erklärtes Ziel der EU ist daher, dass bis spätestens<br />
2020 Luftqualitätsnormen aufgestellt und eingehalten werden, um <strong>die</strong>se Kosten zu vermeiden.<br />
Flächenverbrauch: Alle zehn Jahre wird in Europa eine Bodenfläche so<br />
groß wie ganz Zypern versiegelt – mit Gebäuden, Straßen usw. Der Fahrplan sieht vor, dass bis<br />
spätestens 2050 unter dem Strich kein Flächenverbrauch mehr erfolgt. Außerdem soll <strong>die</strong><br />
Bodenerosion verringert werden und alle verunreinigten Böden bzw. Flächen sollen saniert sowie<br />
landwirtschaftliche Böden angereichert werden.<br />
Meeresressourcen: Bis spätestens 2015 soll durch <strong>die</strong> Reform der<br />
Gemeinsamen Fischereipolitik und <strong>die</strong> Streichung aller schädlichen Fischereisubventionen nur<br />
noch soviel Fischfang betrieben<br />
2014<br />
werden, dass der höchstmögliche<br />
Dauerertrag nicht überschritten<br />
wird, und bis spätestens 2020<br />
soll ein guter ökologischer Zustand aller EU-Meeresgewässer erreicht sein.<br />
Nahrungsmittel: Der Konsum von Nahrungsmitteln und Getränken in<br />
der EU verursacht 17 Prozent unserer Treibhausgasemissionen und verbraucht 28 Prozent unserer<br />
Ressourcen – darunter auch einen großen Teil des zur Verfügung stehenden qualitativ hochwertigen<br />
Wassers. Deshalb sollen bis spätestens 2020 eine gesündere Ernährungsweise<br />
und eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu einer Reduzierung des Nahrungsmittelverbrauchs<br />
um 20 Prozent führen. Gleichzeitig soll <strong>die</strong> Menge der verschwendeten Lebensmittel<br />
halbiert werden. (Derzeit werden allein in der EU jedes Jahr 90 Millionen Tonnen Lebensmittel<br />
weggeworfen, <strong>die</strong> meist noch essbar gewesen wären. Das entspricht rund 180 kg pro Kopf der<br />
Bevölkerung!).<br />
Etappenziel Gebäude: Die Gebäude in der EU verbrauchen gegenwärtig<br />
mehr als 50 Prozent aller geförderten Werkstoffe, 30 Prozent unseres Wassers und 42 Prozent<br />
unserer Energie und verursachen somit 35 Prozent unserer Treibhausgasemissionen. Deshalb<br />
sollen bis spätestens 2020 alle neuen Gebäude nur noch<br />
minimal Energie und so wenig Material wie möglich verbrauchen. Bis<br />
dahin sollen Strategien entwickelt worden sein, wie jährlich zwei Prozent<br />
des Altgebäudebestands kosteneffizient saniert werden können.<br />
2012
Etappenziel Verkehr: Das Weißbuch der Kommission zur Verkehrspolitik<br />
zielt darauf ab, innerhalb Europas eine moderne, effiziente und sichere öffentliche Verkehrsinfrastruktur<br />
zu schaffen. Dies soll bewirken, dass sich <strong>die</strong> verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen<br />
ab 2012 jährlich um durchschnittlich ein Prozent verringern.<br />
2020<br />
Mobilisierung von Interessengruppen:<br />
Bis 2020 wird von Interessengruppen auf allen Ebenen erwartet, dass Maßnahmen zur<br />
Vebesserung der Ressourceneffizienz umgesetzt sind. Politik, Finanzwesen, Investitionen, Forschung<br />
und Innovation sollen ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Hochgesteckte<br />
Zielvorgaben mit belastbaren und aktuellen Indikatoren, an denen sich Entscheidungsträger<br />
im öffentlichen und im privaten Sektor bei der Umgestaltung der Wirtschaft hin zu größerer<br />
Ressourceneffizienz orientieren können, sind bis dahin erstellt. Die rasche Zunahme von Investitionen<br />
in erneuerbare Energietechnologien beweist, wie schnell <strong>die</strong> Einstellung der Geldgeber<br />
durch eine umsichtige Schaffung von Anrei-<br />
2015<br />
zen und <strong>die</strong> Anpassung von Steuer- und Subventionsvorschriften<br />
geändert werden kann.<br />
Internationale Mobilisierung: Wenn auch der <strong>Rio+20</strong><br />
Gipfel eher enttäuschende Ergebnisse gebracht hat: Die Kommission ist davon überzeugt, dass<br />
internationale Mobilisierung konkrete Fortschritte auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft und<br />
zur effizienteren Nutzung der natürlichen Ressourcen bewirken kann. Auf der Grundlage der bei<br />
<strong>Rio+20</strong> vereinbarten Strategien will sie sicherstellen, dass <strong>die</strong> Ressourceneffizienz bis spätestens<br />
2020 zu einem gemeinsamen Ziel der internationalen Staatengemeinschaft wird.<br />
2013<br />
In ihrem Fazit gesteht <strong>die</strong> Kommission ein, dass der Fahrplan nicht <strong>die</strong> endgültige<br />
Antwort auf alle Herausforderungen der Ressourceneffizienz ist. Wenn Ihr <strong>die</strong>ses<br />
Heft aufmerksam durchgelesen habt, werden Euch sicher einige Herausforderungen<br />
aufgefallen sein, mit denen sie sich nicht befasst hat. Dennoch ist <strong>die</strong>ser Fahrplan<br />
ein guter erster Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen Aktionsrahmen,<br />
der unterschiedliche Politikfelder erfasst, und er bietet eine stabile Perspektive<br />
hinsichtlich der Voraussetzungen <strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen Wirtschaft.<br />
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30<br />
Grünes Wirtschaften bringt’s voll!<br />
Grüne Wirtschaft ist eine Lösung, <strong>die</strong> nichts als Vorteile bringt,<br />
und zwar in vierfacher Hinsicht:<br />
• Sie bewahrt <strong>die</strong> Umwelt <strong>für</strong> zukünftige Generationen, indem sie Ressourcen schont,<br />
• sie schafft mehr Arbeitsplätze als <strong>die</strong> herkömmliche,„braune“ Wirtschaft,<br />
• sie trägt dazu bei, <strong>die</strong> Armut zu beseitigen und mehr Gerechtigkeit zu schaffen und<br />
• sie bewirkt ein höheres Wirtschaftswachstum.<br />
Schaut Euch einmal das Schaubild an– es sieht<br />
zwar so aus, dass <strong>die</strong> „braune“ Wirtschaft noch ein<br />
paar Jahre lang weiter wachsen wird, aber danach<br />
zieht dann <strong>die</strong> grüne Wirtschaft mit Macht an ihr<br />
vorbei. Außerdem sind in dem Schaubild weder<br />
<strong>die</strong> Kosten aufgrund steigender Preise <strong>für</strong> fossile<br />
Brennstoffe berücksichtigt noch <strong>die</strong> Schäden, <strong>die</strong><br />
durch den Klimawandel entstehen könnten.<br />
Viele sind sogar der Mei<strong>nun</strong>g, dass es <strong>die</strong> EINZIGE<br />
Möglichkeit ist, wie <strong>die</strong> Welt wieder aus der gegenwärtigen<br />
Finanzkrise herausfinden kann. So<br />
äußerten denn auch deutsche Politiker bei den<br />
<strong>Rio+20</strong>-Verhandlungen: „Künftig wird das Wachstum entweder grün sein oder es wird gar kein Wachstum<br />
geben.” (siehe: www.greengrowth.org/ und www.unep.org/greeneconomy/).<br />
Höheres Wirtschaftswachstum: Die von UNEP vorgeschlagenen zwei Prozent<br />
des BIP oder 1,3 Billionen US-Dollar im Jahr <strong>für</strong> Investitionen in den Übergang zu einer grünen Wirtschaft,<br />
müssten ungefähr zur Hälfte in den Energiebereich fließen – um Gebäude und das Verkehrswesen<br />
ressourcenschonender zu gestalten und in erneuerbare Energieerzeugung zu investieren. Die<br />
andere Hälfte würde <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bereiche Abfallwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Wasserversorgung,<br />
Landwirtschaft und Ökosysteme verwendet werden.<br />
Welche Ergebnisse könnten bis 2050 erwartet werden?<br />
• ein um 16 Prozent höheres BIP gegenüber einer konventionellen Wirtschaftsord<strong>nun</strong>g<br />
• einen um 40 Prozent geringeren Energiebedarf<br />
• 22 Prozent weniger Wasserverbrauch<br />
• eine Verringerung des CO2-Ausstosses pro Kopf um 48 Prozent<br />
• eine sanierte Fischereiwirtschaft, höhere Erträge in der Landwirtschaft und weniger absolute Armut<br />
Umweltschutz: In den letzten 25 Jahren ist <strong>die</strong> Weltwirtschaft von 15 auf 63 Billionen US-<br />
Dollar im Jahr gewachsen – und hat dabei 60 Prozent der Ökosysteme unseres Planeten zerstört oder<br />
nicht nachhaltig genutzt. Diesen Trend umzukehren, ist der Schlüssel zu einer grünen Wirtschaft und<br />
<strong>die</strong> einzige Möglichkeit, wie <strong>die</strong> menschliche Spezies über <strong>die</strong>ses Jahrhundert hinaus überleben kann.<br />
Wirtschaftsführer müssen Umweltschützer werden, sonst gibt es zukünftig kein Wachstum.<br />
Schaffung von Arbeitsplätzen: UNEP hat errechnet, dass durch <strong>die</strong> Investition von<br />
zwei Prozent des BIP weltweit <strong>die</strong> Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft um vier Prozent, in der<br />
Forstwirtschaft um 20 Prozent und im Verkehrswesen um zehn Prozent steigen würde. Die energetische<br />
Sanierung von Wohnhäusern würde in Europa und Nordamerika zwei bis drei Millionen Arbeits-
plätze schaffen und der Ökotourismus, eine Branche,<br />
<strong>die</strong> sechs Mal schneller als der Rest <strong>die</strong>ses Wirtschaftszweiges<br />
wächst, kann Millionen neuer Arbeitsplätze<br />
schaffen. Die University of Massachusetts<br />
hat herausgefunden, dass eine Investition von<br />
einer Million US-Dollar in saubere Energieformen im<br />
Schnitt 16,7 Arbeitsplätze entstehen lässt gegenüber<br />
5,3 Arbeitsplätzen bei einer gleich hohen Investition<br />
in fossile Brennstoffe. Berech<strong>nun</strong>gen der britischen<br />
Green Party zufolge kann man weltweit mit<br />
einer Investition von 100 Millionen US-Dollar in Atomenergie<br />
oder fossile Energieträger nur ± 1.700 Arbeitsplätze<br />
schaffen. Wenn man denselben Betrag in einen grünen Wirtschaftszweig<br />
stecken würde, würden aber ± 5.000 – also fast<br />
dreimal soviele – neue Arbeitsplätze entstehen. Abermals stellt<br />
sich <strong>die</strong> Frage, warum – zumal bei der massiven Arbeitslosigkeit,<br />
<strong>die</strong> heutzutage herrscht – irgendjemand KEINE grüne Wirtschaft<br />
wollen sollte.<br />
Beseitigung der Armut: Im Bericht des UNEP<br />
heißt es: „Ein wesentliches Merkmal einer grünen Wirtschaft ist,<br />
dass sie sich darum bemüht, eine Vielzahl von Maßnahmen zur<br />
Armutsbekämpfung anzubieten, ohne Raubbau an den Naturgütern eines Landes zu<br />
betreiben, welche <strong>die</strong> Existenzgrundlage vieler armer ländlicher Gemeinwesen bilden. Die Ökologisierung<br />
ihrer landwirtschaftlichen Kleinbetriebe wird bewirken, dass ihnen mehr Lebensmittel zur Verfügung<br />
stehen, ihre Armut sich verringert, ihre Treibhausgasemissionen sinken und sie Zugang zu den<br />
expan<strong>die</strong>renden internationalen Märkten <strong>für</strong> grüne Erzeugnisse erhalten.“ Wenn es mehr Programme<br />
gäbe wie das bereits erwähnte zur Beschäftigungssicherung im ländlichen Raum in In<strong>die</strong>n – das hohe Investitionen<br />
in nachhaltige Frisch<strong>was</strong>serversorgung tätigt –, würde <strong>die</strong>s nicht nur dazu beitragen, <strong>die</strong> Zahl<br />
der Menschen, <strong>die</strong> in extremer Armut leben, bis zum Jahr 2015 zu halbieren, wie in den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
der <strong>Vereinten</strong> Nationen gefordert, sondern <strong>die</strong> extreme Armut bis zum Jahr 2050 komplett<br />
beseitigen. Dies muss das Hauptziel der Entwicklungsagenda <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zeit nach 2015 sein.<br />
Gerechtigkeit: Könnt Ihr Euch noch an <strong>die</strong> UNEP-Definition einer grünen Wirtschaft als einer,<br />
<strong>die</strong> „menschliches Wohlergehen und soziale Gerechtigkeit steigert…” erinnern? Das kann sie tatsächlich<br />
– und das ist der beste Grund, um möglichst rasch zu ihr überzugehen. Die gegenwärtige<br />
Wirtschaftsord<strong>nun</strong>g fördert Habgier und Korruption und vergrößert <strong>die</strong> Kluft zwischen den reichsten<br />
und den ärmsten Mitglieder der Menschheitsfamilie. Wenn wir <strong>die</strong> Wirtschaft auf der Grundlage von<br />
Nachhaltigkeit und Verteilungsgerechtigkeit von Grund auf neu aufbauen, können wir sehr viel dazu<br />
beitragen, <strong>die</strong> strukturelle Ungerechtigkeit zu beheben, <strong>die</strong> es beispielsweise ermöglicht, dass Bankmanager<br />
quasi als Beloh<strong>nun</strong>g da<strong>für</strong>, dass sie ihre Banken in den Ruin treiben, Gehälter oder Abfindungen<br />
in Millionenhöhe erhalten, während immer mehr kleine Arbeitnehmer durch den Verlust ihres<br />
Arbeitsplatzes verarmen. 2011 haben wir gesehen, wie sich Aktionen wie „Occupy Wall Street“ und <strong>die</strong><br />
Demonstrationen des Arabischen Frühlings auf der ganzen Welt ausgebreitet haben: Eine grüne Wirtschaft<br />
wäre ein Weg zur Lösung der Missstände, gegen <strong>die</strong> sie protestiert haben. Denn sie wäre<br />
demokratisch, fair, nachhaltig – und um vieles lebenswerter als <strong>die</strong> nicht nachhaltige, unfaire,<br />
ungerechte, korrupte und verschmutzte Welt, in der wir heute leben.<br />
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32<br />
Selber machen: der übergang<br />
in eine grüne wirtschaft<br />
Fang an mit deinem persönlichen Plan <strong>für</strong> den Übergang zu<br />
einer grünen Wirtschaft und überzeuge anschließend deine<br />
Familie davon, einen Plan <strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen<br />
Wirtschaft auf Haushaltsebene zu vereinbaren.<br />
Danach kann es dann kompliziert werden, sich mit anderen<br />
auf einen Plan <strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen Wirtschaft<br />
auf Schul-, Stadtteil- oder Gemeindeebene zu einigen. Doch es<br />
macht auch Spaß und deshalb solltest du es ausprobieren. Wer<br />
weiß, vielleicht findest du Mitstreiter <strong>für</strong> einen Plan <strong>für</strong> den<br />
Übergang zu einer grünen Wirtschaft auf nationaler Ebene …<br />
Wir schlagen vor, dass ein Plan <strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen<br />
Wirtschaft aus fünf Hauptbestandteilen bestehen sollte:<br />
�Eine kohlenstofffreie Energieinfrastruktur<br />
�Anreize zur Beloh<strong>nun</strong>g nachhaltiger<br />
Verhaltensweisen und Bestrafung solcher,<br />
<strong>die</strong> nicht nachhaltig sind<br />
�Verteilungsgerechtigkeit �Bildungs- und Schulungsmaßnahmen<br />
zu Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit<br />
und grüner Wirtschaft<br />
�Grünes Wachstum<br />
Es gibt viele andere Komponenten, <strong>die</strong> du ergänzen kannst, du<br />
solltest aber jeden Übergangsplan so ausführlich wie möglich<br />
gestalten. Beamte in den zuständigen Ministerien würden vermutlich<br />
ein mehrere Bände dickes Dokument erstellen…<br />
Du aber möchtest anfangen zu verstehen, wie eine grüne<br />
Wirtschaft aussehen und wie man sie in Gang bringen kann –<br />
und dabei bei dir selber beginnen.
ERSTENS – EINE KOHLENSTOFFFREIE ENERGIEINFRASTRUKTUR Rechne es mal durch:<br />
Wieviel Energie verbrauchst du an einem Tag, in einer Woche, in einem Monat, in einem Jahr? Wie willst<br />
du <strong>die</strong>se Energie ohne fossile Brennstoffe erzeugen?<br />
Þ Persönliche Ebene: Überleg dir, mit dem Fahrrad zu fahren, zu Fuß zu gehen, weniger Urlaub im<br />
Ausland zu machen, verstärkt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen…<br />
Þ Haushaltsebene: Zusätzlich wären möglich: ein umweltfreundlicheres Auto <strong>für</strong> <strong>die</strong> Familie (wie<br />
kann man es bezahlen?), Energieeinsparung im Haus, Warm<strong>was</strong>serbereitung mit Sonnenenergie usw.<br />
Und überleg mal, <strong>was</strong> man so alles isst, wo das herkommt und wie energieintensiv und klimaschädlich<br />
<strong>die</strong> Erzeugung ist. Wie wäre es, weniger Fleisch zu essen?<br />
Þ Gemeinwesenebene: Denke an mögliche Anschaffungen des Gemeinwesens – Blockheizkraftwerke<br />
<strong>für</strong> Schulen, elektrische Kommunalfahrzeuge, solarbetriebene Straßenbeleuchtung usw.<br />
Þ Nationale Ebene: In Deutschland wird viel über <strong>die</strong> Energiewende diskutiert, aber auch andere<br />
Länder arbeiten an Konzepten <strong>für</strong> eine kohlenstofffreie nationale Energieinfrastruktur, <strong>die</strong> auf Biokraftstoffen,<br />
Wasser-, Gezeiten- und Windenergie, Erdwärme usw. beruht. Recherchiert mal, welche Konzepte<br />
es woanders gibt und ob bzw. wie sie auf Deutschland übertragbar wären.<br />
ZWEITENS – ANREIZE ZUR BELOHNUNG NACHHALTIGER VERHALTENSWEISEN<br />
Auf nationaler Ebene sind es Steuern und Subventionen, mit denen bei Verbrauch und Produktion Nachhaltigkeit<br />
belohnt und mangelnde Nachhaltigkeit bestraft wird. Aber wie kann man das auf den anderen<br />
Ebenen regeln?<br />
Þ Persönliche Ebene: Wie kannst du dich selber dazu bringen, mit allem sparsam umzugehen?<br />
Þ Haushaltsebene: Auch hier ist Disziplin angesagt. Sei sparsam und nutze den CO2-Fußabdruck-<br />
Rechner z.B. bei www.klimaohnegrenzen.de.<br />
Þ Gemeinwesenebene: Kommunale Abgaben können genauso wie nationale Steuern zu mehr Nachhaltigkeit<br />
beim Konsum beitragen. Frag mal bei deiner örtlichen Verwaltung und bei den Politikern vor<br />
Ort nach, wo man hier Hebel ansetzen könnte.<br />
Þ Nationale Ebene: Hier wird es jede Menge zu recherchieren geben, <strong>die</strong> meisten Zahlen müssten<br />
aber öffentlich zugänglich sein. Auch hier lohnt der Blick über <strong>die</strong> Grenzen, z.B. auf den dänischen Plan<br />
<strong>für</strong> grünes Wachstum, bei dem es hauptsächlich um Nahrung, Fischerei und Landwirtschaft geht. Finde<br />
heraus, welche Pläne man in Deutschland <strong>für</strong> ein grünes Wachstum hat. Und dann ist auch interessant,<br />
wie <strong>die</strong> Privatwirtschaft sich den Übergang zu einer grünen Wirtschaft vorstellt.<br />
DRITTENS – VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT Du solltest auch einen Plan <strong>für</strong> <strong>die</strong> Beseitigung<br />
der Armut vorsehen, in dem dargelegt wird, wie <strong>die</strong> Gewinne, <strong>die</strong> eine grüne Wirtschaft abwirft, eingesetzt<br />
werden sollen, um den ärmsten Schichten der <strong>Gesellschaft</strong> zu einem gewissen Wohlstand und Komfort<br />
zu verhelfen und ihnen mehr mehr Wahlmöglichkeiten bieten zu können.<br />
Þ Persönliche Ebene: Hier kann man ein bisschen, aber nicht viel tun – sei nicht zu hart zu dir selber!<br />
Þ Haushaltsebene: Praktizierte Demokratie zuhause bedeutet, dass jeder einzelne einbezogen wird,<br />
man einander zuhört und <strong>die</strong> individuellen Bedürfnisse soweit wie möglich berücksichtigt werden.<br />
Þ Gemeinwesenebene: Kümmere dich besonders um <strong>die</strong> schwächsten Mitglieder des Gemeinwesens,<br />
wie Alte, Menschen mit Behinderung, Kranke, Arbeitslose oder Kleinkinder. Welche Prioritäten setzt<br />
deine Schule, deine Gemeinde? Geht es gerecht zu? Oder werden zuviele „Luxusartikel“ wie Prestigebauten<br />
oder zu teure Sportstätten usw. finanziert.<br />
Þ Nationale Ebene: Hier gilt das Gleiche wie <strong>für</strong> das Gemeinwesen: Ein soziales Sicherungsnetz gewährleistet<br />
, dass jedes Mitglied der <strong>Gesellschaft</strong> genug zu essen und ein Dach überm Kopf hat und dazu<br />
in den Genuss von Gesundheit und Bildung kommt – wobei zum Schutz der Allgemeinheit dem Missbrauch<br />
<strong>die</strong>ser Sozialleistungen vorgebeugt werden sollte. Die Frage ist: Klappt das bei uns? Auch hier<br />
kann es wieder hilfreich sein zu schauen, wie andere Länder das handhaben.<br />
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34<br />
VIERTENS – BILDUNG UND AUSBILDUNG Nichts wird geschehen, solange <strong>die</strong> Menschen<br />
nicht WISSEN, dass es ein Problem gibt – und welche Lösungen da<strong>für</strong> existieren.<br />
Þ Persönliche Ebene: Nimm dir vor, regelmäßig mehr über <strong>die</strong> Thematik zu erfahren. Recherchiere im<br />
Internet, lies Bücher und besuche Veranstaltungen.<br />
Þ Haushaltsebene: Nimm dir <strong>die</strong> Zeit, deine Familie (und deine Freunde und Bekannte) über <strong>die</strong> Thematik<br />
aufzuklären, vielleicht mithilfe von Videos, <strong>die</strong> es auch bei YouTube gibt, oder mit Me<strong>die</strong>nempfehlungen<br />
des Portals www.globaleslernen.de. Setz dich mit ihnen hin und erkläre ihnen, welche Lösungsmöglichkeiten<br />
es gibt und welch riesige Vorteile – sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Art – es<br />
bringen würde, zu einer grünen Wirtschaft überzugehen.<br />
Þ Gemeinwesenebene: Kommunalparlamente können viel <strong>für</strong> <strong>die</strong> Aufklärung der Bürger tun, indem<br />
sie Netzwerke in ihrer Stadt, das Verteilen von Informationsblättern, das Abhalten von Bürgerversammlungen,<br />
öffentliche Bildungsprogramme usw. fördern.<br />
Þ Nationale Ebene: Jeder nationale Plan <strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen Wirtschaft muss einen Bildungsplan<br />
miteinbeziehen, der sicherstellt, dass <strong>die</strong> Aufklärung über eine nachhaltige Lebensweise im<br />
Mittelpunkt der Schulausbildung aller Kinder steht, und zwar von deren Eintritt in <strong>die</strong> Grundschule bis zu<br />
ihrem Hochschulabschluss. Dazu können auf Bundes- und Länderebene Vorschriften eingeführt werden.<br />
In Australien ist das bereits geschehen. Die Organisation „International Schools Association“ hat hierzu<br />
ein sinnvolles und interessantes Konzept entwickelt: http://www.isaschools.org.<br />
FÜNFTENS – GRÜNES WACHSTUM Wie wir gesehen haben, kann eine grüne Wirtschaft schneller<br />
wachsen als eine konventionelle „braune“ Wirtschaft. Doch ist Wachstum wirklich eine Grundvoraussetzung<br />
<strong>für</strong> den Übergang zu einer grünen Wirtschaft? Und ist Wachstum nicht an sich problematisch,<br />
weil mehr Wachstum auf Dauer auch mehr Ressourcenverbrauch bedeutet. Insgesamt ist der Wachstumsbegriff<br />
zu hinterfragen. Auf Seite 8 wird kurz das Thema „starke“ und „schwache“ Nachhaltigkeit angerissen.<br />
Informiere dich doch hierzu ausführlicher, denn auch der Wachstumsgedanke einer grünen Wirtschaft<br />
(mit dem Argument: Wenn eine grüne Wirtschaft nicht in der Lage ist, <strong>die</strong> Einkommen zu steigern,<br />
dann wird wohl nichts daraus werden) ist nicht unumstritten.<br />
Þ Persönliche Ebene: Überlege dir, wie du leben kannst, ohne dadurch deinen CO2-Fußabdruck zu<br />
vergrößern. Vielleicht geht das, indem du von zuhause aus arbeitest und „Telearbeiter“ wirst?<br />
Þ Haushaltsebene: Überlege dir nochmals, wie man auf umweltfreundliche Weise in den Genuss der<br />
Annehmlichkeiten des täglichen Lebens kommen kann, z.B. indem man Fahrradferien macht, auf Sonnenenergie<br />
umstellt, sein eigenes Gemüse anbaut usw.<br />
Þ Gemeinwesenebene: Grüne Volkswirtschaften werden immer mehr Investitionen anziehen – deshalb<br />
solltet ihr euch überlegen, wie euer Gemeinwesen qualifizierte Arbeitnehmer <strong>für</strong> <strong>die</strong> grüne Wirtschaft<br />
und grüne Unternehmen anlocken kann, <strong>die</strong> möglicherweise euer Gemeinwesen als Standort <strong>für</strong><br />
innovative Entwicklungen ausersehen werden – als Kompetenzzentrum im nächsten großen Fokus von<br />
Wirtschaftswachstum und Wohlstand.<br />
Þ Nationale Ebene: Es ist gar keine Frage, dass Länder, <strong>die</strong> ein grünes Wirtschaften anstreben, sich<br />
damit genauso wie <strong>die</strong> Gemeinwesen im weiteren Verlauf <strong>die</strong>ses Jahrhunderts einen Wettbewerbsvorteil<br />
verschaffen werden. Überlege dir einen Plan, wie sich das verwirklichen lässt.
DGVN-MATERIALIEN<br />
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