Begleitheft zur Ausstellung - Angewandte Kunst Köln
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Er nennt inkonsequenterweise zugleich jedoch eine ganze Reihe von<br />
schicklichen (und teilweise wertvollen) Gegenständen, die Eberhard<br />
von Cersne, der 1404 in seiner Schrift »der minne regel« weite Teile von<br />
»de amore« verarbeitete, seinerseits in etwas anderem Zusammenhang<br />
aufzählt, erweitert und dabei auch Kästchen nennt: »laden, kestichin<br />
und scryn«.<br />
Mit letzterem, Schrein, wurde in der mittelhochdeutschen Literatur oft<br />
der Körper oder das Herz der Frau gleichgesetzt, wie mit Schrein allgemein<br />
das Innerste im Gefühlsleben eines Menschen metaphorisch<br />
umschrieben werden konnte. So legt Tristan beispielsweise Isolde<br />
Weisshand in »Sînes herzen inren schrîn« und Iwein, der treulose Ritter,<br />
reflektiert in einem der berührendsten Abschnitte der mittelhochdeutschen<br />
Literatur über das Wesen seiner Frau: »vrouwe, wie lützel dû nû<br />
weist/Daz tû den slüzzel selbe treist!/Dû bist das sloz und daz schrîn/Dâ<br />
êre unt tiu vreude mîn/Inne beslozzen lit«.<br />
Das Auf- und Verschließen des Herzens, dieses Bild, das bis in unsere<br />
Gegenwart nichts von seiner Bedeutung verloren hat, war naturgemäß<br />
von ganz besonderem Interesse und korrespondiert anschaulich mit<br />
dem Akt des Öffnens und Schließens eines Kästchens – und oft ist das<br />
Schloss eines Kästchens entsprechend herzförmig gestaltet.<br />
In den vielen illustrierten Handschriften des Rosenromans verschließt der<br />
Gott der Liebe dem Liebenden das Herz, auf dass allein der oder die<br />
Eine darin wohnen bleibt. Keinesfalls übersehen werden darf in diesem<br />
Zusammenhang die erotisch-sexuelle Konnotation des Vorgangs, was<br />
zwar niemals ex pressis verbis geäußert wurde (der Mensch des Mittelalters<br />
hat die aberwitzigsten Metaphern für die naturalia et pudenda<br />
erfunden), aber sowohl bei einigen bildlichen Darstellungen wie auch<br />
in literarischen Werken oft mehr denn weniger deutlich mitschwingt.<br />
Und nicht zuletzt waren reich verzierte Kästchen das, was heute<br />
aufwändige Geschenkverpackungen sind: kostbare Hüllen eines<br />
möglicherweise noch kostbareren Inhaltes, manchmal verbunden mit<br />
einer bereits außen ablesbaren Botschaft.