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Begleitheft zur Ausstellung - Angewandte Kunst Köln

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31 Variationen über das Thema Minnekästchen<br />

I.<br />

Die anrührende Geschichte einer unerfüllt gebliebenen Liebe erzählt<br />

die kurze Versnovelle »Das Schleiertüchlein« des 1458 gestorbenen<br />

schwäbischen Dichters Hermann von Sachsenheim, die sich neben<br />

vielerlei anderen Liebesmæren in dem 1471 von der Augsburger<br />

Nonne Klara Hätzerlin zusammengestellten und später nach ihr<br />

benannten Liederbuch findet.<br />

Ein verzweifelter, ob seines Kummers dem Tode naher junger Ritter berichtet<br />

dem Icherzähler sein zu Herzen gehendes, trauriges Schicksal:<br />

Als junger Knappe wurde er von seiner angebeteten Dame <strong>zur</strong><br />

Bewährungsprobe auf Pilgerfahrt ins Heilige Land geschickt, denn das<br />

edle Fräulein wollte sich erst nach dem dort erfolgten Ritterschlag mit<br />

ihm vermählen. Damit er die Erinnerung an sie bewahrt, gab sie ihm das<br />

titelgebende Schleiertüchlein, das sie zusätzlich mit ihrem Blut befleckt<br />

hat, als Pfand und Andenken mit auf die gefahrvolle Reise. Dieses<br />

Liebespfand, das der Ritter in spe sein »heiltum« nennt, bewahrte er in<br />

einem Kästchen auf, einem »ledlin clain, von wissem helffenbeyn, mit<br />

fynem gold beslagen«, das er all die Jahre der Pilgerfahrt an seinem<br />

Körper bei sich trug. Nach seiner glücklichen Rückkehr musste er erfahren,<br />

dass seine Geliebte zwischenzeitlich verstorben war und ihm nichts<br />

anderes blieb, als das im Kästchen verborgene, blutgetränkte Tuch.<br />

Dieses kostbare »ledlin clain«, dieses »Reliquiar der Liebe« würden wir<br />

heute mit dem Ausdruck Minnekästchen bezeichnen.<br />

II.<br />

Das Mittelalter kannte das Wort »Minnekästchen« nicht, es ist eine Neuschöpfung<br />

des frühen 19. Jahrhunderts, einer Zeit also, die nicht nur<br />

<strong>Kunst</strong> und Kultur dieser Jahrhunderte wieder entdeckte, sondern auch<br />

das Konzept der romantischen Liebe, oder besser gesagt, des romantischen<br />

Verliebtseins erfand.

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