INHALT - bei Bombastus-Ges.de
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Prof. Andrew Weeks<br />
Dr.Werner Lauterbach<br />
Dr. Klaus Stiebert<br />
<strong>INHALT</strong><br />
Editorial<br />
Aus <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Besuch <strong>bei</strong> Jakob-Böhme-Ge<strong>de</strong>nkstätten<br />
Erzgebirgische Bergmannsfrömmigkeit<br />
im Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> Paracelsus<br />
von Hohenheim<br />
»Je<strong>de</strong>r Schritt, <strong>de</strong>n du gehst, ist das Ziel«<br />
Paracelsus in <strong>de</strong>r Weltliteratur<br />
2<br />
3<br />
4<br />
6<br />
16<br />
1
Im Nachgang zum III. Dresdner Symposium <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
(11. Mai 2002) sei noch einmal auf das Generalthema »Familie und <strong>Ges</strong>ellschaft«<br />
verwiesen. Es wäre höchst unsachlich darauf aufmerksam zu machen, dass <strong>de</strong>r ehelose<br />
Paracelsus gar keine eigenen Erfahrungen besitze, um sich zu Ehe und Kin<strong>de</strong>rerziehung<br />
zu äußern. Dort, wo das <strong>de</strong>r Hohenheimer <strong>de</strong>zidiert tut, geht es ihm nicht um subjektive<br />
Erfahrungen, son<strong>de</strong>rn um objektive Notwendigkeiten. Grundlage seiner Objektivität<br />
(= strenge Sachlichkeit) ist für Paracelsus allein Gott und sein Wort.<br />
»Die ehe ist die höchste eher und heiliger stand undtern menschen und ist in gottes gewalt behalten«. 1<br />
»Der die ehe zusambenfüegt, <strong>de</strong>r hat sie zu schei<strong>de</strong>n, sonst niemandts; und das durch <strong>de</strong>n tod. dazwischen<br />
kan <strong>de</strong>r mensch nichts schei<strong>de</strong>n«. 2 »Drumd ziehe und ordne ein ieglicher sein kint in ehelichen<br />
stant ... dan die ding sind alein got befolen; wil er dich ehelich han und wil kin<strong>de</strong>r von dir<br />
han, so hilft <strong>de</strong>in gelübt, <strong>de</strong>in verheischen nichts noch <strong>de</strong>in jungfrauschaft. wiltu nicht in die ehe ...<br />
so fallen plagen über dich, das die werk, so du ehelich soltest tun, in hurerei verzeren mußt ... das ist<br />
die plagen, so uber die gêt, die got ehelich wil haben und sie wöllens nicht tun ... als dan wird <strong>de</strong>in<br />
ungehorsam und <strong>de</strong>in wil gegen got ein plag und <strong>de</strong>r ewige tot«. 3<br />
Diesen klaren und auf die Grundlagen <strong>de</strong>r göttlichen Ordnung verweisen<strong>de</strong>n Worten ist<br />
nichts hinzuzufügen.<br />
Es ist eine Binsenweisheit, dass Kin<strong>de</strong>r mit ihren Erlebnissen und Erfahrungen, mit ihren<br />
Wünschen und Sehnsüchten ihre Zukunft und somit auch die Zukunft <strong>de</strong>r Erwachsenen<br />
gestalten. Mit welchen Erfahrungen und Erlebnissen wachsen unsere Kin<strong>de</strong>r heran?<br />
Erleben sie eine von Streit, Lieblosigkeit und Scheidung begleitete Ehe o<strong>de</strong>r eine von<br />
Herzenswärme, Harmonie und Gottes Ordnung geprägte Familie? Welche Werte wer<strong>de</strong>n<br />
Kin<strong>de</strong>rn in einer Umwelt voller Disharmonien, voller Hass, Neid, Hunger, Krieg, in einer<br />
Umwelt von politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Verfall vermittelt, in einer<br />
vom Geld und Machtstreben erfüllten Welt? Es klingt banal, ist aber eine Tatsache:<br />
Kin<strong>de</strong>r sind unsere Zukunft – solche wie solche.<br />
UNICEF und viele an<strong>de</strong>re Organisationen bemühen sich in aufopfern<strong>de</strong>r und berühren<strong>de</strong>r<br />
Hilfsbereitschaft um Millionen von Kin<strong>de</strong>rn in materieller wie seelischer Not,<br />
im reichen Europa wie im unvorstellbaren Elend <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r. Das ist praktizierte<br />
Nächstenliebe im Sinne christlicher Ethik. Doch <strong>bei</strong> nüchterner Betrachtung muss<br />
festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass selbst e<strong>de</strong>lstes karitatives Wirken nur die Symptome unserer<br />
kranken Welt beseitigt. Erst wenn wir – die Menschheit in großer Mehrzahl – alles Negative,<br />
Disharmonische, Lieblose, alles Egoistische in unseren Gedanken, Worten und<br />
Taten restlos überwun<strong>de</strong>n hätten, wäre <strong>de</strong>n Symptomen die Ursache entzogen. Das ist<br />
<strong>de</strong>rzeit eine Vision, und es war vor 500 Jahren auch eine Vision <strong>de</strong>s Hohenheimers.<br />
Doch Visionen sind für starke Persönlichkeiten wesentliche Triebkräfte <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns:<br />
»Damit aber nun solches reich (hoffart, lästerung, huren – Red.) und eigen nutz in vita beata<br />
(seliges Leben – Red.) nit eintringen möge folgt also ein ordnung <strong>de</strong>r gaben eines ieglichen gegen<br />
<strong>de</strong>m nechsten. dann <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n nechsten liebet, <strong>de</strong>r liebet auch gott et econtra, diese zwei gebott seindt<br />
zusamben vermählet wie weib und mann«. 4 – <strong>de</strong>nn: »So <strong>de</strong>r grund <strong>de</strong>r gerechtigkeit betracht und<br />
gehalten soll wer<strong>de</strong>n, soll ein ieglicher wissen, daß <strong>de</strong>rselbig inwendig (Hervorhebung – Red.) soll<br />
gesucht wer<strong>de</strong>n und nit auswendig ... das ist die gerechtigkeit, daß wir recht glauben«. 5<br />
2<br />
EDITORIAL<br />
Vorstand und Verwaltungsrat<br />
<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft
AUS DER ARBEIT DER GESELLSCHAFT<br />
Liebe Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft, sehr geehrte Leserinnen und<br />
Leser <strong>de</strong>s Periodikums MANUSKRIPTE – THESEN – INFORMATIONEN!<br />
Die Publikation von Vorträgen, die <strong>de</strong>m Werk Bombasts von Hohenheim gewidmet sind,<br />
ist ein zentrales Anliegen unserer <strong>Ges</strong>ellschaft und die Ihnen vorliegen<strong>de</strong>, inzwischen<br />
19 Hefte umfassen<strong>de</strong> Schriftenreihe ist Zeugnis <strong>de</strong>s bislang sehr erfreulichen Weges.<br />
Beson<strong>de</strong>rs liegen uns hier<strong>bei</strong> die sozialethischen I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s Hohenheimers am Herzen,<br />
die in ihrer Orientierung auf christliche Nächstenliebe die Basis einer in <strong>de</strong>r göttlichen<br />
wie natürlichen Ordnung befindlichen und damit gesün<strong>de</strong>ren <strong>Ges</strong>ellschaft bil<strong>de</strong>n können.<br />
Sowohl zur Unterstützung <strong>de</strong>r Forschung als auch zur Popularisierung dieser Gedanken<br />
im weitesten Sinne wer<strong>de</strong>n Aktivitäten entfaltet, die in Zukunft direkt nach <strong>de</strong>m<br />
Editorial vorgestellt wer<strong>de</strong>n sollen. Zur Eröffnung lesen Sie im vorliegen<strong>de</strong>n Heft <strong>de</strong>n<br />
Bericht von Prof. Andrew Weeks über eine Bildungsreise zu Jakob-Böhme-Ge<strong>de</strong>nkstätten.<br />
Wir freuen uns mitteilen zu können, dass nach Prüfung aller Unterlagen <strong>de</strong>r Deutschen<br />
<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft die Gemeinnützigkeit für <strong>de</strong>n Zeitraum 1999–2001 zuerkannt<br />
wur<strong>de</strong>. Damit sind alle Spen<strong>de</strong>n steuerfrei. Spen<strong>de</strong>nbescheinigungen für Spen<strong>de</strong>n ab<br />
50 Euro im Jahr wer<strong>de</strong>n Ihnen immer im Januar für das zurückliegen<strong>de</strong> Kalen<strong>de</strong>rjahr<br />
zugeschickt. Auch geringere Beträge nimmt die <strong>Ges</strong>ellschaft dankbar entgegen, hierfür<br />
genügt aber die Vorlage <strong>de</strong>s Einzahlungsbelegs <strong>bei</strong>m Finanzamt.<br />
Nach <strong>de</strong>r Auslieferung von Heft 18 <strong>de</strong>s Periodikums wur<strong>de</strong> <strong>bei</strong> einem Exemplar eine unkorrekte<br />
Heftung festgestellt. Bitte wen<strong>de</strong>n Sie sich in solch einem Fall an die <strong>Ges</strong>chäftsstelle.<br />
Sie erhalten selbstverständlich umgehend Ersatz.<br />
Auch im kommen<strong>de</strong>n Jahr sollen interessante Vorträge im Studiotheater <strong>de</strong>s Kulturpalastes<br />
angeboten wer<strong>de</strong>n. Der Ortswechsel ist verknüpft mit <strong>de</strong>r Hoffnung, dass die<br />
zentrale Lage ein noch breiteres Publikum anziehen möge.<br />
VORSCHAU 2003<br />
Mittwoch, 23. April 2003, 19.00 Uhr, Studiotheater im Kulturpalast<br />
Vortrag von Hans Vogt zum Thema<br />
»Das große gemeinsame Vielfache – sozialphilosophisches Denken <strong>bei</strong> Paracelsus«<br />
Mittwoch, 22. 10. 2003, 19.00 Uhr, Studiotheater im Kulturpalast<br />
Vortrag von Dr. Ludwig Mühlberg<br />
Ar<strong>bei</strong>tsthema: »Paracelsus und die Chemie«<br />
Mittwoch, 26. 11. 2003, 19.00 Uhr, Studiotheater im Kulturpalast<br />
Vortrag von Dr. Rolf Meyer, das Thema wird noch bekannt gegeben<br />
LITERATUR (Seite 2)<br />
1PARACELSUS: Sämtliche Werke 2. Abt. Band II. bear<strong>bei</strong>tet von Kurt Goldammer,<br />
Franz Steiner Verlag GmbH Wiesba<strong>de</strong>n 1965, S. 247.<br />
2PARACELSUS: ebenda, S. 257.<br />
3PARACELSUS: Sämtliche Werke 1. Abt. Band XIV. Hrg. Karl Sudhoff und Wilhelm Matthießen,<br />
Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich – New York 1996, S. 336.<br />
4PARACELSUS: siehe 1: S. 52.<br />
5PARACELSUS: siehe 1: S.153.<br />
3
4<br />
Andrew Weeks<br />
BESUCH BEI JAKOB-BÖHME-GEDENKSTÄTTEN<br />
Am Sonntag, <strong>de</strong>m 5. August 2001 bin ich<br />
unter Führung von Herrn Hans Vogt<br />
(Reinholdshain) und unter Begleitung von<br />
Frau H.-B. Majewska (Zgorzelec, Polen)<br />
zusammen mit meiner Frau Veronika<br />
Weeks-Strotzka von Görlitz aus an die<br />
Jakob-Böhme-Ge<strong>de</strong>nkstätten Leopoldshain<br />
(unweit von Görlitz/Zgorzelec) und<br />
Burg Schweinhaus (Swiny), unweit von<br />
Jawor (Jauer), gereist. Die Ge<strong>de</strong>nkstätten<br />
wur<strong>de</strong>n besichtigt und ihr Standort sowie<br />
ihre Aussichten als Kultur<strong>de</strong>nkmäler besprochen.<br />
Schutz und Renovierung <strong>de</strong>r<br />
Ge<strong>de</strong>nktafel am Herrenhaus in Leopoldshain<br />
wur<strong>de</strong>n in die Wege geleitet. Zwei<br />
herausragen<strong>de</strong> Eindrücke <strong>de</strong>r Besichtigung<br />
und Diskussion waren die bemerkenswerte<br />
Reichweite <strong>de</strong>r Initiativen <strong>de</strong>s Schuhmacher-Mystikers<br />
Böhme und die grenzübergreifen<strong>de</strong><br />
Tragweite seiner Botschaft.<br />
Die zwei Standorte – die erste nah <strong>bei</strong><br />
Görlitz und von Böhmes Heimat aus leicht<br />
erreichbar, die zweite um etliche Tage<br />
mühevollen Wan<strong>de</strong>rns im tiefen Schlesien<br />
entfernt – ver<strong>de</strong>utlichen auch die frühe<br />
Wirkungsweise <strong>de</strong>s visionären Autors. Als<br />
Herr von Leopoldshain war Karl En<strong>de</strong>r<br />
von Sercha ein neu Gea<strong>de</strong>lter bürgerlicher<br />
Herkunft, <strong>de</strong>r Kontakt mit einer Görlitzer<br />
Intelligenz aus Geistlichen, Ärzten und<br />
Beamten pflegte (Lemper, »Böhme« 64f.).<br />
Seine Vermittlung und Protektion verschufen<br />
<strong>de</strong>m plebejischen Autor eine erste,<br />
wohl eher lokale Wirkung und ermutigten<br />
ihn zur Fortsetzung seines Schreibens nach<br />
<strong>de</strong>r Katastrophe von 1613 (als das Erstlingswerk<br />
»Morgenröte im Aufgang« beschlagnahmt<br />
wur<strong>de</strong> und <strong>de</strong>ssen Autor ein<br />
Schreibverbot erhielt). Böhmes frühester<br />
erhaltener Brief an En<strong>de</strong>r (18.1.1618)<br />
bringt die Verquickung persönlicher, religiöser<br />
und politischer Motive zum Ausdruck,<br />
die die mutige Neuaufnahme seines<br />
Schaffens am Vorabend <strong>de</strong>s Dreißigjährigen<br />
Krieges kennzeichnen. Böhme beteuert<br />
seine Demut »als einfältiger Mann«, <strong>de</strong>r<br />
von sich aus niemals <strong>de</strong>n Umgang mit<br />
»so hohen Leuten« angestrebt hätte. Doch<br />
die Gabe Gottes, die Kraft seiner Vision,<br />
die Anteilnahme <strong>de</strong>s Brieffreun<strong>de</strong>s sowie<br />
<strong>de</strong>s <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Männern bekannten Arztes<br />
Dr. Balthasar Walter haben ihn veranlasst,<br />
seine verbotene schriftstellerische Tätigkeit<br />
wie<strong>de</strong>r aufzunehmen.<br />
Noch vor <strong>de</strong>m Prager Fenstersturz und<br />
<strong>de</strong>m eigentlichen Kriegsbeginn im Mai <strong>de</strong>s<br />
Jahres 1618 war die Atmosphäre schwer<br />
mit Krisen und Spannungen. Es kündigt<br />
sich <strong>de</strong>r Ernst <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> in Böhmes Brief<br />
an, als er an En<strong>de</strong>r schreibt: »Darum ists<br />
ein unbilliges, daß die Welt also wütet, tobet,<br />
schän<strong>de</strong>t und schmähet, so sich die Gaben Gottes<br />
in <strong>de</strong>m Menschen ungleich erzeigen, und nicht<br />
alle einerley Erkentniß haben.« Das Wüten<br />
und Toben <strong>de</strong>r Welt ist ein Ausdruck, <strong>de</strong>r<br />
bald in Böhmes Briefen die Schrecken von<br />
Krieg und Verfolgung umfasst, ebenso wie<br />
die Vielheit <strong>de</strong>r »Gaben« und »Erkenntnisse«<br />
in <strong>de</strong>n Schriften die Vielfalt religiöser<br />
Richtungen und Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Stän<strong>de</strong> und Ämter an<strong>de</strong>uten kann. Die<br />
schwere Stun<strong>de</strong> zu Beginn <strong>de</strong>s Schicksalsjahres<br />
1618 lässt folglich sowohl <strong>de</strong>n Alarm<br />
als auch die Hoffnung aufkommen – eine<br />
Hoffnung, die im brü<strong>de</strong>rlichen Verkehr<br />
<strong>de</strong>s Schuhmachers mit <strong>de</strong>m Herrn von<br />
Leopoldshain Bestätigung fin<strong>de</strong>t.<br />
Eine geographische und soziale Erweiterung<br />
kündigt sich an im Umgang <strong>de</strong>s nun<br />
berühmter wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Verfassers aus Görlitz<br />
mit <strong>de</strong>m viel weiter entfernten Herrn<br />
von Schweinhausen – <strong>de</strong>m Vertreter eines<br />
älteren A<strong>de</strong>ls, <strong>de</strong>r als Herrscher o<strong>de</strong>r Raubritter<br />
in Schlesien und <strong>de</strong>r Oberlausitz<br />
lange Zeit für Streit und Terrorisierung <strong>de</strong>r<br />
Bürger sorgte.
Böhme stellte sich Herrn Hans Sigismund<br />
von Schweinich im Sendbrief <strong>de</strong>s<br />
3. Juli 1621 vor. Es spricht eine nun anerkannte<br />
prophetische Stimme hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r zeitlichen und ewigen Sorgen, da<br />
Böhme an Schweinich schreibt (<strong>de</strong>r samt<br />
seinem Bru<strong>de</strong>r David durch Gottes<br />
»Schickung« mit <strong>de</strong>m Schuhmacher bekannt<br />
gemacht wor<strong>de</strong>n sei):<br />
»Dann es wird eine Zeit kommen, daß es<br />
wird gesuchet wer<strong>de</strong>n und angenehm seyn, sich<br />
nicht lassen einen Sturmwind treiben, son<strong>de</strong>rn<br />
nur recht anschauen, und Gott <strong>de</strong>n Höchsten<br />
bitten, daß er wolle die Thür <strong>de</strong>r Erkentniß auf<br />
thun, ohne welches niemand meine Schriften<br />
wird verstehen.«<br />
Es dämmerte also in <strong>de</strong>r tiefen Finsternis<br />
<strong>de</strong>r Kriegswirren ein epochales Licht<br />
aus <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mütigen Autors,<br />
<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m zur Mil<strong>de</strong> und Demut sich<br />
bekennen<strong>de</strong>n Vertreter eines kriegerischen<br />
A<strong>de</strong>ls auf <strong>de</strong>r Wehrburg von Schweinhausen<br />
nun vertrauensvoll umging. Die Vorstellung<br />
von Böhme als Gast und tätiger<br />
Autor auf dieser Burg erinnert an Luthers<br />
fruchtbaren Aufenthalt auf <strong>de</strong>r Wartburg.<br />
Heutzutage ist die Burg Schweinhausen<br />
eine imposante Ruine. Man kann sich die<br />
Zuversicht <strong>de</strong>s »einfältigen Mannes« angesichts<br />
<strong>de</strong>r Wirkung und Ausbreitung seiner<br />
Frie<strong>de</strong>nsbotschaft vorstellen, als er kurz<br />
vor seinem To<strong>de</strong> im Jahre 1624 von <strong>de</strong>r<br />
allegorischen Eroberung eines »Raubschlosses«<br />
<strong>de</strong>s Teufels durch die Waffen<br />
<strong>de</strong>s Geistes in einem Sendbrief an seinen<br />
Gastgeber Hans Sigismund schrieb.<br />
5
»Wer will Bergwerk bauen, muß Gott<br />
vertrauen«!<br />
Sächsischer Bergmannsspruch (16. Jh.)<br />
Sprechen wir vom Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />
so verstehen wir darunter nicht nur<br />
die Jahrzehnte seines Lebens, die von 1493<br />
bis 1541 reichten, son<strong>de</strong>rn beziehen auch<br />
<strong>de</strong>n Zeitgeist <strong>de</strong>r Reformation, <strong>de</strong>r Renaissance,<br />
<strong>de</strong>s Humanismus, die Jahrzehnte<br />
<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Ent<strong>de</strong>ckungen und Erfindungen<br />
mit ein. Es war jene Zeit, »die Riesen<br />
brauchte und Riesen zeugte, Riesen an<br />
Denkkraft«, wie Engels formulierte. Martin<br />
Luther (1483–1546) und <strong>Bombastus</strong> Paracelsus<br />
von Hohenheim waren die be<strong>de</strong>utendsten<br />
Riesen jenes Jahrhun<strong>de</strong>rts.<br />
Paracelsus hat es selbst überliefert, dass er<br />
durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge<br />
geritten, gefahren o<strong>de</strong>r gewan<strong>de</strong>rt ist. 1 Er<br />
verfasste keine »Reisebeschreibungen« und<br />
erwähnte <strong>de</strong>shalb in seinen Schriften auch<br />
nicht die aufblühen<strong>de</strong>n Bergstädte Marienberg<br />
und Annaberg, notierte nichts über<br />
die neuen obererzgebirgischen Hallenkirchen<br />
in Freiberg, Annaberg, Marienberg,<br />
Schneeberg o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>m Humanismus<br />
zugewandten Lateinschulen. Er war zu<br />
häufig durch neue Bergstädte geritten, vor<strong>bei</strong><br />
an neuen Kirchen und Schulen. Seine<br />
Notizen stan<strong>de</strong>n mit mineralogischen Erkenntnissen<br />
und medizinischen Erfahrungen<br />
im Zusammenhang, <strong>de</strong>nn sein Interesse<br />
galt bestimmten Orten, auf die ihn<br />
Stu<strong>de</strong>nten o<strong>de</strong>r Ärzte, Fuhrleute o<strong>de</strong>r<br />
Bergleute, Handwerker o<strong>de</strong>r Bürger neugierig<br />
gemacht hatten. Dies waren im erzgebirgischen<br />
Revier <strong>de</strong>r brennen<strong>de</strong> Kohlberg<br />
<strong>bei</strong> Zwickau, die Heilwasser im Tal<br />
<strong>de</strong>r Eger und die Zinngraupenfun<strong>de</strong> <strong>bei</strong><br />
Graupen. Er nutzte je<strong>de</strong> Gelegenheit, seine<br />
medizinischen Erfahrungen zur Heilung<br />
von Krankheiten zu erweitern und beson<strong>de</strong>rs<br />
die <strong>de</strong>r Berg- und Hüttenleute.<br />
6<br />
Werner Lauterbach<br />
ERZGEBIRGISCHE BERGMANNSFRÖMMIGKEIT IM JAHR-<br />
HUNDERT DES BOMBASTUS PARACELSUS VON HOHENHEIM<br />
Interessierten ihn die politisch-religiösen<br />
Verhältnisse?<br />
Sachsens kurfürstlich regierte Lan<strong>de</strong>steile<br />
wandten sich eher Luthers I<strong>de</strong>en zu,<br />
als es in <strong>de</strong>n herzoglichen Gebieten erlaubt<br />
wur<strong>de</strong>. Luthers Schriften zün<strong>de</strong>ten<br />
jedoch in <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>steilen.<br />
In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>steilen?<br />
1. Die politische Situation Sachsens<br />
zur Paracelsus-Zeit wur<strong>de</strong> durch drei<br />
politische Ereignisse geprägt:<br />
–Die Lan<strong>de</strong>steilung von 1485<br />
–Die Jahrzehnte <strong>de</strong>r Reformation<br />
–Die Begründung <strong>de</strong>s Kurstaates <strong>de</strong>r<br />
Albertiner unter Kurfürst Moritz<br />
Mit <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>steilung von 1485 zerfiel<br />
Sachsen in die kurfürstlich-ernestinische<br />
Linie zu Wittenberg und die herzoglichalbertinische<br />
Linie zu Dres<strong>de</strong>n. Seit<strong>de</strong>m ist<br />
Dres<strong>de</strong>n, das 1403 Stadtrecht erhielt, ständige<br />
Resi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Albertiner und spielt<br />
eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Politik. Während es im ernestinischen Teil<br />
immer wie<strong>de</strong>r durch Lan<strong>de</strong>steilungen zu<br />
Zersplitterungen in kleinere Fürstentümer<br />
kam, blieb das albertinische Herzogtum<br />
ungeteilt. Wittenberg wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m ernestinisch-kurfürstlichen<br />
Regierungssitz<br />
bereits 1524 zum Träger <strong>de</strong>r Reformation,<br />
während das albertinisch-herzogliche Sachsen<br />
zu Dres<strong>de</strong>n bis zum To<strong>de</strong> Herzog Georgs<br />
auf Befehl <strong>de</strong>r Obrigkeit <strong>de</strong>m alten<br />
Glauben treu blieb. Damit waren <strong>bei</strong><strong>de</strong><br />
sächsische Län<strong>de</strong>r streng durch die Religion<br />
getrennt. Doch Jahr für Jahr fasste die<br />
Reformation auch in <strong>de</strong>n Orten <strong>de</strong>s Erzgebirges<br />
Fuß. Der Flucht <strong>de</strong>r Katharina von<br />
Bora mit ihren Gefährtinnen in <strong>de</strong>r Nacht<br />
zum Ostersonntag 1523 aus <strong>de</strong>m Kloster<br />
Nimbschen folgte 1528 die Flucht <strong>de</strong>r<br />
Nonne Ursula von Münsterberg aus <strong>de</strong>m
Kloster Maria Magdalena zur Buße aus<br />
Freiberg. Erst am 3. Juni 1539 fand in <strong>de</strong>r<br />
Kreuzkirche zu Dres<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r erste evangelische<br />
Gottesdienst statt.<br />
In Deutschland schlossen sich die protestantischen<br />
Fürsten im schmalkaldischen<br />
Bund zusammen. Prinz Moritz übernahm<br />
als Sohn Heinrichs <strong>de</strong>s Frommen 1541 die<br />
Herzogswür<strong>de</strong> und damit auch die Führung<br />
<strong>de</strong>r evangelischen Reichsstän<strong>de</strong>.<br />
Doch er stellte seine persönliche Freundschaft<br />
zum katholischen Kaiser Karl V.<br />
höher als sein Glaubensbündnis zu <strong>de</strong>n<br />
protestantischen Vettern in Wittenberg<br />
und als <strong>de</strong>r Kaiser Krieg gegen die evangelischen<br />
Fürsten führte, kämpfte Moritz<br />
auf Seiten <strong>de</strong>s Kaisers. In <strong>de</strong>r Schlacht <strong>bei</strong><br />
Mühlberg am 24. April 1547 siegte das<br />
Heer <strong>de</strong>s Kaisers und Moritz wur<strong>de</strong> am<br />
4. Juni im Feldlager mit <strong>de</strong>r Kurwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
besiegten Johann Friedrich <strong>de</strong>s Großmütigen<br />
belehnt. Außer<strong>de</strong>m erhielt er wesentliche<br />
ernestinische Erblan<strong>de</strong>. Damit wur<strong>de</strong><br />
Kursachsen wie<strong>de</strong>r zu einem politischen<br />
Faktor in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Ges</strong>chichte.<br />
Aus enttäuschten Erwartungen heraus<br />
kämpfte er 1552 mit einem Heer befreun<strong>de</strong>ter<br />
Fürsten gegen <strong>de</strong>n Kaiser, schloss<br />
<strong>de</strong>n Passauer Vertrag und bereitete somit<br />
<strong>de</strong>n Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>n vor, <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r evangelischen Lehre in<br />
Deutschland sicherte (»cuius regio eius<br />
religio«). Im Gefecht zu Sievershausen am<br />
9. Juli 1553 erhielt er eine tödliche Wun<strong>de</strong><br />
und verstarb am 11. Juli im Alter von nur<br />
32 Jahren. Sein Bru<strong>de</strong>r August errichtete<br />
ihm im Dom zu Freiberg das erste Freigrab<br />
<strong>de</strong>r Renaissance in Deutschland.<br />
Kurfürst August regierte bis 1586. Er grün<strong>de</strong>te<br />
u.a. die kurfürstliche Kunstkammer<br />
im Schloss, aus ihr entwickelte sich die berühmte<br />
Dresdner Kunstsammlung.<br />
Doch <strong>de</strong>r Zeitgeist <strong>de</strong>s paracelsischen<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts wur<strong>de</strong> nicht nur durch die<br />
politischen und religiösen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
geprägt.<br />
2. Bergbau im Erzgebirge<br />
»Herrlich, sprach <strong>de</strong>r Fürst zu Sachsen,<br />
ist mein Land und seine Pracht.<br />
Silber hegen seine Berge wohl in manchem<br />
tiefen Schacht.« (Justinus Kerner)<br />
Paracelsus war kein Bergbausachverständiger<br />
wie sein humanistischer Zeitgenosse<br />
Georgius Agricola (1494–1555), <strong>de</strong>r als<br />
Stadtarzt in Joachimsthal und Arzt und<br />
Bürgermeister zu Chemnitz Jahrzehnte<br />
mit <strong>de</strong>m »Bergvolk« lebte und <strong>de</strong>ssen<br />
Buch »De re metallica« als technologische<br />
Chronik <strong>de</strong>s Bergbaus seiner Zeit gilt. 2<br />
Paracelsus wur<strong>de</strong> zum Bergbaukundigen,<br />
<strong>de</strong>r auf seinen Fahrten viele Gelegenheiten<br />
zum Kennenlernen bergbaulicher Reviere<br />
und Schmelzhütten nutzte. Er »ging als<br />
Arzt zum Berg und zu <strong>de</strong>n Mineralien«,<br />
um als »Alchemist« aus <strong>de</strong>n Mineralien<br />
»bessere Substanzen« zu gewinnen. Für<br />
ihn war die Alchemie eine Bereiterin <strong>de</strong>r<br />
Arznei, die rein und lauter machte. So besuchte<br />
er auf seinen Fahrten die Eisenerzalpe<br />
zwischen Enns und Mur in <strong>de</strong>r Steiermark,<br />
er kannte <strong>de</strong>n Bleiberg <strong>bei</strong> Villach<br />
und ebenso die Kupfer-, Silber-, Eisenund<br />
Quecksilbergewinnung im Inntal <strong>bei</strong><br />
Schwaz.<br />
Zur ältesten Bergbaustadt <strong>de</strong>s Erzgebirges<br />
Freiberg kamen die neuen Silberstädte<br />
Schneeberg,Annaberg, Buchholz, Joachimsthal<br />
und Marienberg, die kleinen Silberorte<br />
Geyer, Elterlein, Scheibenberg,Wiesenthal<br />
und Abertham hinzu. Zinnorte waren<br />
Altenberg, Ehrenfrie<strong>de</strong>rsdorf, Eibenstock,<br />
Dippoldiswal<strong>de</strong>, Zinnwald, Geising. 3 Je<strong>de</strong><br />
Stadt hat ihre eigene <strong>Ges</strong>chichte erlebt<br />
und geschrieben, mit Zeiten wechseln<strong>de</strong>r<br />
Konjunktur, mit Höhen und Tiefen im<br />
Bergbau, mit Ausbeute und Zuschuss.<br />
Einige interessante Beispiele:<br />
<strong>Bombastus</strong> nennt Silbergruben <strong>bei</strong><br />
Schneeberg. Ein sagenhaftes Ereignis, das<br />
Agricola berichtete und von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ort<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rte lang zehrte, soll sich 1477<br />
vollzogen haben: In <strong>de</strong>r St.Georgen Zeche<br />
hätte Herzog Albrecht auf einer Erzstufe<br />
7
von 2 m Länge, 2 m Breite und 1m Höhe,<br />
400 Zentner schwer, gefrühstückt.<br />
Die Erfindung <strong>de</strong>s Pfer<strong>de</strong>göpels in Schneeberg<br />
ermöglichte das Erreichen von Tiefen<br />
bis zu 250 m, die bisherige Handhaspel<br />
ließ nur bis zu 40 m zu. Die neu erar<strong>bei</strong>teten<br />
Kehrrä<strong>de</strong>r erweiterten <strong>de</strong>n Aktionsradius.<br />
1463 begann in Schneeberg auch<br />
<strong>de</strong>r Abbau von Wismuterzen. <strong>Bombastus</strong><br />
lernte »Wiszmat« um 1527 kennen. Es<br />
gelangte in <strong>de</strong>n Apotheken zum Verkauf<br />
gegen Magenkrankheiten, <strong>Ges</strong>chwüre,<br />
Brandwun<strong>de</strong>n und sogar zur Heilung von<br />
<strong>Ges</strong>chlechtskrankheiten. Die Gewinnung<br />
von Kobalt führte zur Errichtung von<br />
Blaufarbenwerken.<br />
Schlägel und Eisen zieren das Wappen<br />
von Ehrenfrie<strong>de</strong>rsdorf. Zinnerzfun<strong>de</strong><br />
prägten das Profil dieses Reviers. Ein fünf<br />
Kilometer langer Röhrgraben leitete das<br />
benötigte Wasser vom Greifenbach über<br />
die Wasserschei<strong>de</strong> von Zschopau und<br />
Wilisch zu <strong>de</strong>n Gruben am Sauberg. Eine<br />
Meisterleistung damaliger Vermessungsar<strong>bei</strong>t!<br />
Die Entwässerung <strong>de</strong>r Gruben erfolgte<br />
mit <strong>de</strong>m von Agricola gerühmten<br />
Kunstgezeuge, <strong>de</strong>r »Erefrie<strong>de</strong>rstorfischen<br />
radpompe«. <strong>Bombastus</strong> hat auch für diese<br />
neue Technologie in <strong>de</strong>n Gruben Interesse<br />
gezeigt, sonst hätte man in seinem Salzburger<br />
Nachlass nicht »Mo<strong>de</strong>llteile einer<br />
Wasserhebungsmaschine« gefun<strong>de</strong>n. 4<br />
Im Sauberg wur<strong>de</strong> 1568 <strong>de</strong>r unverweste<br />
Leichnam <strong>de</strong>s 1507 verschütteten Bergmanns<br />
Oswald Barthel aufgefun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />
damit <strong>de</strong>n Ursprung <strong>de</strong>r Sage von <strong>de</strong>r<br />
»Langen Schicht zu Ehrenfrie<strong>de</strong>rsdorf«<br />
bil<strong>de</strong>te.<br />
In Olbernhau bestand seit 1537 die<br />
Saigerhütte Kupferhammer Grünthal. Sie<br />
diente <strong>de</strong>r Reinigung <strong>de</strong>s aus silberhaltigen<br />
Kupfererzen gewonnenen Schwarzkupfers<br />
zu Garkupfer. Der Grünthaler Hammer<br />
lieferte Kupferblech für die Bedachung<br />
<strong>de</strong>s Stephansdomes in Wien, <strong>de</strong>s Kölner<br />
Domes und <strong>de</strong>r Peterskirche in Rom.<br />
Der Anlagenkomplex (Hammerwerk mit<br />
Herrenhaus, Wohnhäuser <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>ter mit<br />
8<br />
Hüttenschenke, Hüttenschule), heute noch<br />
zu besichtigen, ist einmalig in Europa.<br />
Übrigens, die von Bergherr Christoph<br />
Uttmann (auch Uthmann) um 1550 übernommene<br />
Hütte führte seine Witwe Barbara<br />
von 1553 bis 1567 weiter.<br />
Auch im Dorfe Frohnau blühte <strong>de</strong>r<br />
Bergbau. Der bekannte Hammer, 1436<br />
aus einer Öl- und Getrei<strong>de</strong>mühle errichtet,<br />
entstand neu um 1692 mit Herrenhaus<br />
und Hammerwerk. Zwei Wasserrä<strong>de</strong>r treiben<br />
die zweieinhalb, fünf und sechs Zentner<br />
schweren Schwanzhämmer und zwei<br />
Blasebälge an. Um 1500 wur<strong>de</strong>n hier<br />
»Engelsgroschen« und »Schreckenberger«<br />
geprägt. »Bist ein rechter Annaberger, hast<br />
<strong>de</strong>n Sack voll Schreckenberger«, sagte <strong>de</strong>r<br />
Volksmund.<br />
In Dippoldiswal<strong>de</strong> führte 1507 Sigismund<br />
von Maltitz Nasspochwerke zur<br />
Erzaufbereitung ein. Dieser Aufbereitungsprozess<br />
erbrachte nicht nur technische Vorteile,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Hüttenar<strong>bei</strong>tern auch<br />
bessere gesundheitliche Bedingungen.<br />
Mit <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r Bergstadt Joachimsthal<br />
im Jahre 1516 erfolgte die Prägung<br />
von »Thalern«. Daraus entstand das<br />
Wort Dollar.<br />
3. Erzgebirgische Bergmannsfrömmigkeit<br />
Das Leben <strong>de</strong>r erzgebirgischen Bergleute –<br />
wie auch <strong>de</strong>r Bauern und Handwerker –<br />
war durch Gottesglaube und echte Frömmigkeit<br />
geprägt. Dies galt für die Jahre vor,<br />
während und nach <strong>de</strong>r Reformation, nur<br />
mit <strong>de</strong>m beachtlichen Unterschied, dass<br />
die protestantischen Pfarrer in Luthers<br />
Geist ihnen ihren Herrgott durch die Predigten<br />
in <strong>de</strong>utscher Sprache enger erschlossen.<br />
Von <strong>de</strong>r Taufe über die kirchliche<br />
Hochzeit und die christliche Beerdigung<br />
war ihr Leben mit Gott verbun<strong>de</strong>n. Sie<br />
wussten um die Heilige Dreieinigkeit und<br />
um <strong>de</strong>n Opfertod Jesu Christi am Kreuz<br />
und seine Auferstehung. Um Hölle, Fegefeuer<br />
und Paradies hatten sich wohl die
meisten ihre eigenen Gedanken gemacht.<br />
DieVergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n im Abendmahl<br />
in zweierlei <strong>Ges</strong>talt brachte ihnen Gott<br />
näher. Noch vorhan<strong>de</strong>ne Erinnerungen an<br />
die Jahre <strong>de</strong>r Reformation folgen an späterer<br />
Stelle. In <strong>de</strong>r Familie wur<strong>de</strong> im Tischgebet<br />
Gott für das »tägliche Brot« gedankt,<br />
so wie im Gebet vor <strong>de</strong>r Einfahrt in die<br />
Grube <strong>de</strong>r Bergmann Gottes Beistand erflehte.<br />
Der Glaube würdigte Anna und Joachim,<br />
die Eltern <strong>de</strong>r jungfräulichen Mutter <strong>de</strong>s<br />
Gottessohnes, in <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r Städte<br />
Annaberg und Joachimsthal. Im Wappen<br />
von Annaberg sitzen Anna und Maria mit<br />
<strong>de</strong>m Jesuskind auf <strong>de</strong>m Thron, <strong>de</strong>r von<br />
Bergleuten gestützt wird. Kaiser Maximilian<br />
billigte am 22.3.1501 <strong>de</strong>n seit 1499<br />
existieren<strong>de</strong>n Namen »St.Annaberg«. In<br />
Freiberg steht die Skulptur <strong>de</strong>r Anna Selbdritt<br />
aus <strong>de</strong>m Jahre 1515 – Mutter Anna<br />
mit Mutter Maria und <strong>de</strong>m Jesuskind.<br />
Marienberg bewahrt <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r Mutter<br />
Maria und Jöhstadt wur<strong>de</strong> benannt<br />
nach Joseph. Die Bergstadt Buchholz verehrte<br />
St. Katharina als Heilige. Auf <strong>de</strong>m<br />
Gipfel <strong>de</strong>s Gebirges liegt Gottesgab, benachbart<br />
Joachimsthal. Joachim war als<br />
Namenspatron Annas Ehemann.<br />
Eine große Rolle spielten die Namen<br />
weiterer Schutzheiliger. Neben Anna,<br />
Maria, Josef, Joachim waren es beson<strong>de</strong>rs<br />
Daniel, Wolfgang, Christophorus, die Heilige<br />
Barbara und Maria Magdalena, die<br />
bereits aus vorreformatorischer Zeit als<br />
Bergbauheilige in Grubennamen verehrt<br />
wur<strong>de</strong>n. Die Tradition setzte sich fort.<br />
Der Prophet Daniel, bekannt aus seinen<br />
Erlebnissen in <strong>de</strong>r babylonischen Gefangenschaft,<br />
als Traum<strong>de</strong>uter <strong>de</strong>s Königs und<br />
durch seine wun<strong>de</strong>rbare Errettung aus<br />
einer Löwengrube, wur<strong>de</strong> durch seine<br />
Traum<strong>de</strong>utungen, in <strong>de</strong>nen er Gold, Silber,<br />
Eisen, Kupfer, Türkis und Erz einzuordnen<br />
hatte, zum Bergsachverständigen und<br />
einem Lehrmeister <strong>de</strong>r Bergleute. Meister<br />
verewigten ihn in <strong>de</strong>n Kirchen zu Annaberg<br />
und Freiberg.<br />
St.Wolfgangs Verehrung galt seinen<br />
vollbrachten Heilwun<strong>de</strong>rn, in Schneeberg<br />
erhielt die Bergkirche seinen Namen.<br />
St. Christophorus war ein Helfer gegen die<br />
Wassergefahr, bekannt ist seine Darstellung,<br />
auf <strong>de</strong>r er das Jesuskind trägt und<br />
einen Stab in <strong>de</strong>r Hand hält. Man sagte:<br />
»Wer am Morgen ein Christophorusbild betrachtet,<br />
ist bis zum Abend geschützt«.Meister<br />
Philipp Koch schuf die Christophorus-Statue<br />
zu Freiberg. Die Heilige Barbara wur<strong>de</strong><br />
zur Patronin gegen Pest und plötzlichen<br />
Tod. Auch für Artilleristen und Sprengmeister<br />
galt sie als Schutzheilige wie als<br />
Bewahrerin vor Katastrophen im Bergbau.<br />
Alljährlich feiern Angehörige <strong>de</strong>r Bergaka<strong>de</strong>mie<br />
Freiberg am 4. Dezember in <strong>de</strong>r<br />
Betstube <strong>de</strong>r Grube »Alte Elisabeth« <strong>de</strong>n<br />
Barbaratag. Maria-Magdalena wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
22. Juli als bergmännischer Feiertag geweiht,<br />
ihre Verehrung war mit <strong>de</strong>m Streittag<br />
verbun<strong>de</strong>n. Ein kräftiges Bergbier widmet<br />
die Knappschaft noch heute dieser<br />
Heiligen.<br />
DieVerehrung <strong>de</strong>r Heiligen war ein Bestandteil<br />
<strong>de</strong>r religiösen Welt <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />
einmal aus seiner katholischen Erziehung<br />
heraus, über Gebet und Fürsprache mit<br />
einem vertrauten Heiligen Gott um Hilfe<br />
anzuflehen, und zum an<strong>de</strong>ren durch die<br />
Eindrücke, die er als Kind erlebte, wenn<br />
jährlich die Pilgerscharen von <strong>de</strong>r Meinratskapelle<br />
am Berg Etzel herab am Wohnhaus<br />
vor<strong>bei</strong> über die hohe Brücke <strong>de</strong>r romantischen<br />
Siehlschlucht <strong>de</strong>n steilen Berg<br />
hinauf zur Schwarzen Mutter Gottes ins<br />
Kloster »Unserer Lieben Frau« nach Einsie<strong>de</strong>ln<br />
wallfahrteten.<br />
Auch St.Georg, <strong>de</strong>r Drachentöter, und<br />
St. Martin, <strong>de</strong>r Heilige, <strong>de</strong>r seinen Mantel<br />
mit <strong>de</strong>m Armen teilte, dienten im Erzgebirge<br />
als Schutzpatrone.<br />
Erzgebirgische Kirchen bil<strong>de</strong>ten mit<br />
ihren Altären, Kanzeln, Taufsteinen und<br />
<strong>de</strong>n Predigten <strong>de</strong>r Pfarrer eine »feste Burg«<br />
in jenen bewegten Zeiten. Durch Stadtbrand<br />
zerstörte Kirchen wur<strong>de</strong>n neu aufge-<br />
9
aut, so die Freiberger Kirche St. Marien,<br />
die vier Jahre vor <strong>de</strong>m Stadtbrand von<br />
1484 im Range eines Kollegiatstiftes zum<br />
Dom erhoben wor<strong>de</strong>n war.<br />
Der Freiberger Dom birgt international<br />
als wertvoll erachtete architektonische<br />
Schätze. Nur zwei Generationen nach<br />
Rodung <strong>de</strong>s Urwal<strong>de</strong>s und Besiedlung <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s zwischen Freiberger Mul<strong>de</strong> und<br />
Großer Striegis errichtete in <strong>de</strong>n Jahren<br />
von 1225 bis 1230 ein uns unbekannter<br />
Baumeister eine Bauhütte und fertigte aus<br />
Grillenburger Sandstein ein Gewän<strong>de</strong>portal<br />
als Eingangstor zur romanischen Basilika<br />
St. Marien. Abt Lu<strong>de</strong>ger vom Kloster<br />
Altzella könnte Motive von Laon o<strong>de</strong>r<br />
Chartres auch in diese Kirche, die Stadt<br />
noch mitten im Miriquidi gelegen, übertragen<br />
haben. Die »gol<strong>de</strong>ne Thure«, die<br />
Gol<strong>de</strong>ne Pforte an <strong>de</strong>r Basilika St. Marien,<br />
ist das erste Statuenportal im neu besie<strong>de</strong>lten<br />
Land zwischen Saale und Elbe und gilt<br />
»an Pracht selten, an innerem A<strong>de</strong>l niemals<br />
mehr überboten« (Dehio). So sahen die<br />
Kirchgänger die bekannten Personen <strong>de</strong>s<br />
alten Testamentes als Gewän<strong>de</strong>figuren<br />
lebensnah vor Augen: <strong>de</strong>n Propheten Daniel,<br />
die Königin von Saba, König Salomo,<br />
Johannes <strong>de</strong>n Täufer, <strong>de</strong>n Hohen Priester<br />
Aaron, Königin Bathseba, König David<br />
und <strong>de</strong>n Evangelist Johannes. Ein Holzschnitzer<br />
schuf auch um 1230 als Abschluss<br />
<strong>de</strong>s Lettners die romanische Triumphkreuzgruppe,<br />
darstellend, dass Christus <strong>de</strong>n Tod<br />
überwun<strong>de</strong>n hat.<br />
Im Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>s Paracelsus ist die<br />
Blütezeit <strong>de</strong>s Bergbaus auch in einem kulturellen<br />
Aufschwung im Freiberger Dom<br />
zu erkennen. An <strong>de</strong>r um 1505 aus Hilbersdorfer<br />
Porphyrtuff gestalteten Tulpenkanzel,<br />
<strong>de</strong>m »hohen Predigtstuhl« <strong>de</strong>s Meisters<br />
HW, häufig als Hans Witten ge<strong>de</strong>utet, aber<br />
unbewiesen, stützt ein Berggeselle <strong>de</strong>n<br />
Leiteraufgang. Benachbart steht die 1638<br />
errichtete Bergmannskanzel, die das Bürgermeisterehepaar<br />
Jonas Schönlebe (1582–<br />
1658) <strong>de</strong>m Dom stiftete. 5<br />
10<br />
Die neuen, reichen Erzfun<strong>de</strong> ermöglichten<br />
<strong>de</strong>n Neubau von Städten wie Annaberg<br />
und Marienberg mit prachtvollen obererzgebirgischen<br />
Hallenkirchen, in <strong>de</strong>nen die<br />
Höhe <strong>de</strong>s Hauptschiffes auch für die Seitenschiffe<br />
gilt und umlaufen<strong>de</strong> Emporen das<br />
Bild prägen. Die zu Beginn <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
erbaute dreischiffige spätgotische<br />
Hallenkirche St.Anna zu Annaberg ist die<br />
größte Hallenkirche Sachsens. Auf <strong>de</strong>r<br />
Rückseite <strong>de</strong>s 1521 aufgestellten Altars <strong>de</strong>r<br />
Bergknappschaft stellt <strong>de</strong>r obersächsische<br />
Maler Hans Hesse (um 1491 bis um 1521)<br />
das Bergmannsleben in <strong>de</strong>r erzgebirgischen<br />
Landschaft dar. Die Zeichnung zeigt u.a.<br />
auch <strong>de</strong>n sagenhaften Daniel Knappe <strong>bei</strong>m<br />
Fündigwer<strong>de</strong>n vor Ort.<br />
Aus <strong>de</strong>m Jahre 1515 stammt <strong>de</strong>r Taufstein<br />
von Hans Witten (1470/80–1522),<br />
ebenfalls aus seiner Werkstatt die »Schöne<br />
Tür«, nach einer Vision <strong>de</strong>s Heiligen Franz<br />
von Assissi. Mit welcher Begabung <strong>de</strong>r<br />
Künstler Franz Maidburg (1480–1546) an<br />
<strong>de</strong>r Empore in St.Anna Generationen von<br />
Kirchenbesuchern seit Jahrhun<strong>de</strong>rten zum<br />
Schmunzeln bringt, zeigt seine Darstellung<br />
<strong>de</strong>r Lebensalter. Originell verglich er<br />
das Älterwer<strong>de</strong>n von Frauen in Zehnerjahresschritten<br />
als Wachtel, Taube, Elster,<br />
Pfau, Henne, Gans, Krähe, Eule, Fle<strong>de</strong>rmaus<br />
und Tod, für die Männer wählte er<br />
Kälbchen, Bock, Wid<strong>de</strong>r, Löwe, Fuchs,<br />
Wolf, Hund, Kater, Esel und ebenfalls <strong>de</strong>n<br />
Tod aus. 6 Witzlos war <strong>de</strong>r Künstler nicht!<br />
Beeindrucken<strong>de</strong> Bil<strong>de</strong>r sahen die Gläubigen<br />
in <strong>de</strong>n kleinen Wehrkirchen zu Lauterbach<br />
und Großrückerswal<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Wehrkirche<br />
zu Lauterbach sind unter <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn<br />
an <strong>de</strong>r Empore auch die Porträts von Johann<br />
Huß (1369–1415) neben einer Gans<br />
und Martin Luther neben einem Schwan<br />
zu sehen. Sie versinnbildlichen <strong>de</strong>n Text,<br />
<strong>de</strong>n Huß in Konstanz am 6.7.1415 vor<br />
seiner Verbrennung soll gesprochen haben:<br />
»Ihr verbrennet jetzt eine Gans, aber ein<br />
Schwan wird kommen, <strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>t ihr ungebraten<br />
lassen müssen«.
DieWehrkirche zu Großrückerswal<strong>de</strong> ist<br />
bekannt für das Pestbild, eine Erinnerung<br />
an eine damals gefürchtete Krankheit, an<br />
<strong>de</strong>r Tausen<strong>de</strong> starben. 1521 war ein beson<strong>de</strong>rs<br />
böses Pestjahr. In Freiberg wur<strong>de</strong>n<br />
2000, in Frauenstein 150 und in Schneeberg<br />
300 Personen von <strong>de</strong>r Pest dahingerafft.<br />
Dies führte zum Erlass einer neuen<br />
Pestordnung durch Herzog Heinrich <strong>de</strong>n<br />
Frommen, in <strong>de</strong>r verlangt wur<strong>de</strong>, Pesttote<br />
auf Friedhöfen vor <strong>de</strong>r Stadtmauer zu beerdigen.<br />
Der Freiberger Bürgermeister<br />
Ulrich Rülein von Calw (1465–1523) legte<br />
daraufhin <strong>de</strong>n Donatsfriedhof an, <strong>de</strong>r seit<strong>de</strong>m<br />
als städtischer Friedhof existiert. Und<br />
gegen <strong>de</strong>n »Schwarzen Tod« halfen nun<br />
einmal keine Prozessionen und Selbstgeiselungen.<br />
In <strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>stuben nahm die<br />
eingeschleppte Syphilis (auch als Franzosenkrankheit<br />
bezeichnet) überhand und<br />
Paracelsus wetterte ja in seinen Schriften –<br />
beson<strong>de</strong>rs in einem von Dekan Auerbach<br />
von <strong>de</strong>r Universität Leipzig zum Druck<br />
verhin<strong>de</strong>rten Manuskript – gegen die<br />
falschen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r uneinsichtigen<br />
Ärzte, die am überseeischen Guajakholz<br />
verdienen wollten. Als Arzt und Humanist<br />
folgte <strong>Bombastus</strong> seiner Berufung zur ärztlichen<br />
Pflicht und damit verbun<strong>de</strong>nen<br />
Nächstenliebe: »Die rechte Tür <strong>de</strong>r Arznei ist<br />
das Licht <strong>de</strong>r Natur. Der höchste Grund <strong>de</strong>r<br />
Arznei ist die Liebe!«, so lautet eine Inschrift<br />
am Denkmal in Einsie<strong>de</strong>ln. 7<br />
Wie in an<strong>de</strong>ren europäischen Bergrevieren<br />
hat Paracelsus auch im sächsischböhmischen<br />
Erzgebirge <strong>Ges</strong>präche geführt<br />
mit »Erzleuten, Schmelzern, Knappen und was<br />
<strong>de</strong>n Bergwerken verwandt ist, es sey im Waschwerck,<br />
im Silber- o<strong>de</strong>r Gol<strong>de</strong>rtz, Salzertz, Alaun<br />
vnnd Schwefelertz o<strong>de</strong>r in Vitriolsudt, in Bley,<br />
Kupffer-, Zwitter-, Eisen- o<strong>de</strong>r Quecksilberertz«.<br />
Auch Probierer, Münzmeister,Goldschmie<strong>de</strong><br />
und Alchemisten bezog er in seine <strong>Ges</strong>präche<br />
ein: »...eben alle, so in Metallen und<br />
Mineralien arbeyten«. So entstand über Jahrzehnte<br />
sein Erfahrungswissen über die Erkrankung<br />
<strong>de</strong>r Atmungs- und Verdauungs-<br />
organe <strong>de</strong>r im Bergbau und in <strong>de</strong>n Hütten<br />
8, 9<br />
ar<strong>bei</strong>ten<strong>de</strong>n Menschen.<br />
Bergwerksar<strong>bei</strong>t war eine schwere Ar<strong>bei</strong>t.<br />
Kin<strong>de</strong>r gingen oft schon mit acht bis neun<br />
Jahren auf die Schei<strong>de</strong>bank, um mit für sie<br />
viel zu schweren Hämmern Erzbrocken<br />
zu zerkleinern; da<strong>bei</strong> atmeten sie Staub,<br />
<strong>Ges</strong>teinsmehl, ja auch Arsenikdämpfe ein.<br />
Als 12- bis 13-Jährige wur<strong>de</strong>n sie Bergjungen,<br />
schoben Karren o<strong>de</strong>r drehten die<br />
Haspel. Vor <strong>de</strong>r Einfahrt in <strong>de</strong>n Schacht<br />
erfolgten Gebet und Lied in <strong>de</strong>r Betstube<br />
mit <strong>de</strong>r Bitte an Gott um glückliche Wie<strong>de</strong>rkehr.<br />
»Mein Grubenlicht soll Jesu sein, mit<br />
ihm da fahr ich aus und ein«, lautete ein altes<br />
Bergmannslied. Anfangs stiegen die Bergleute<br />
auf Fahrten (also Leitern) in die Tiefe,<br />
später erst brachte <strong>de</strong>r Seilzug o<strong>de</strong>r die<br />
Rutsche eine Erleichterung. Mit Schlägel<br />
und Eisen wur<strong>de</strong> etwa ein Vortrieb von<br />
15 cm pro Häuer und Woche geschlagen.<br />
Stumpfe Eisen mussten ausgewechselt und<br />
nach <strong>de</strong>r Schicht in <strong>de</strong>r Bergschmie<strong>de</strong> geschärft<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Schon 1480 war im Freiberger Raum <strong>de</strong>r<br />
Begriff »bergsüchtig« mit »ar<strong>bei</strong>tsunfähig«<br />
gleichgesetzt wor<strong>de</strong>n. Hohe Staubbelastung,<br />
schlechte Bewetterung – beson<strong>de</strong>rs<br />
im ausziehen<strong>de</strong>n Bereich – und mangeln<strong>de</strong><br />
Helligkeit erschwerten die Ar<strong>bei</strong>t; <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsplatz<br />
war nur erhellt durch <strong>de</strong>n Lichtkreis<br />
<strong>de</strong>r Grubenlampe. Die Sehnsucht <strong>de</strong>r<br />
Bergleute nach Licht, ihre Liebe zur Helligkeit<br />
äußert sich noch heute in <strong>de</strong>r Aufstellung<br />
von Schwibbögen in <strong>de</strong>n Fenstern<br />
erzgebirgischer Häuser zur Winterszeit.<br />
Das von Paracelsus nach etwa 10-jähriger<br />
Ar<strong>bei</strong>t am Manuskript abgeschlossene<br />
Buch »Von <strong>de</strong>r Bergsucht o<strong>de</strong>r Bergkranckheiten<br />
drey Bücher inn dreyzehn Tractat<br />
verfast unnd beschriben wor<strong>de</strong>n. Darinnen<br />
begryffen vom vrsprung vnd herkomen <strong>de</strong>rselbigen<br />
kranckheiten = sampt jhren warhafftigen<br />
Preseruatiua vnnd Curen...« gilt<br />
als erste Monographie einer Berufskrankheit<br />
<strong>de</strong>r Bergleute und Hüttenar<strong>bei</strong>ter.<br />
Er nennt im ersten Teil die Bergsucht eine<br />
11
Verharzung <strong>de</strong>r Lungen. »Die Bergleut«,<br />
schreibt er, »wer<strong>de</strong>n lungensüchtig durch die<br />
Ausstrahlung <strong>de</strong>r Mineraliae in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.<br />
Also tödten uns die Dünst solcher Mineralien«.<br />
Im zweiten Teil wen<strong>de</strong>t er sich auch an die<br />
Hüttenleute, <strong>de</strong>nn er hat beobachtet, dass<br />
je<strong>de</strong>s geschmolzene Erz spezifische Krankheitssymptome<br />
hervorruft. Hüttenrauch<br />
setzt sich in <strong>de</strong>n Lungenflügeln ab und<br />
schädigt die Nieren und <strong>de</strong>n Magen. Er<br />
warnt beson<strong>de</strong>rs vor <strong>de</strong>m Einatmen von<br />
Arsenik und Realgar. Als Hilfe empfiehlt<br />
er Milch und fettreiche Nahrung gegen<br />
die Metallsalze und <strong>de</strong>n Hüttenrauch.<br />
Aber <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n niedrigen Lohnverhältnissen<br />
konnten sich das nur wenige Bergleute<br />
leisten. Im dritten Buch beschäftigt er sich<br />
mit <strong>de</strong>n durch Quecksilber hervorgerufenen<br />
Krankheiten. Er könnte sich über die<br />
erzgebirgischen Zinnoberfun<strong>de</strong> <strong>bei</strong> Hartenstein<br />
informiert haben, die verglichen mit<br />
an<strong>de</strong>ren Lagerstätten mengenmäßig kaum<br />
8, 9<br />
ins Gewicht fielen.<br />
Seine <strong>Ges</strong>präche in <strong>de</strong>n Hütten <strong>de</strong>r Bergleute<br />
und Schmelzer über ihre sozialen<br />
Verhältnisse mögen ihn an seine Kindheit<br />
erinnert haben, weil »auch er seine jugent in<br />
armut und hunger verzehrte..., wirwer<strong>de</strong>n auch<br />
nicht mit feigen erzogen, noch mit met, noch<br />
mit weizenbrot, aber mit kes, milch und haberbrot...<br />
.« So fand er genügend Anknüpfungspunkte<br />
mit <strong>de</strong>n zu <strong>Ges</strong>prächsbeginn<br />
sicher wortkargen Erzgebirgern, die aber<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus’ <strong>Ges</strong>prächsfreudigkeit recht<br />
schnell zu ihm Kontakt fan<strong>de</strong>n.<br />
Zu je<strong>de</strong>m Grubengelän<strong>de</strong> gehörte eine<br />
Betstube, in <strong>de</strong>r auf rauen Bänken die Bergleute<br />
vor <strong>de</strong>r Einfahrt <strong>de</strong>r Orgelmelodie<br />
lauschten, ihr Lied sangen, ein Gebet sprachen<br />
und dann mit <strong>de</strong>m Gruß und Wunsch<br />
»Glück auf« an ihren Ar<strong>bei</strong>tsplatz vor Ort<br />
in die Tiefe fuhren. Glück auf be<strong>de</strong>utete,<br />
das Glück sollte seine Pforten auftun, <strong>de</strong>n<br />
Bergmann mit einer guten Erza<strong>de</strong>r fündig<br />
wer<strong>de</strong>n lassen! Es gab keine zweite Berufsgruppe,<br />
die mit Gebet und Lied ihr Tagewerk<br />
begann.<br />
12<br />
Das christliche Lied war von großer Be<strong>de</strong>utung.<br />
Nicht umsonst hatte Luther in<br />
seinem Brief »An die Christlichen Ratsherrn<br />
Deutscher Nation« mit <strong>de</strong>r Errichtung christlicher<br />
Schulen <strong>de</strong>n Unterricht in Singen,<br />
Lesen und Schreiben vorgeschlagen und<br />
<strong>de</strong>n »Kleinen Katechismus« herausgegeben.<br />
Für die Humanisten erfolgte die Erziehung<br />
<strong>de</strong>r Jugend vorwiegend durch die<br />
Sprache. Luther hat mit <strong>de</strong>r Übersetzung<br />
seiner Bibel in die kursächsische Kanzleisprache<br />
die Grundlage unserer <strong>de</strong>utschen<br />
Schriftsprache gelegt. Er hat auch Liedtexte<br />
geschrieben, so »Eine feste Burg ist<br />
unser Gott«, die Marseillaise <strong>de</strong>r Reformation,<br />
und das Weihnachtslied »Vom<br />
Himmel hoch, da komm ich her«. Johann<br />
Walter (1496–1570), Freund Luthers und<br />
Melanchthons, gab 1524 das erste Chorgesangbuch<br />
<strong>de</strong>r evangelischen Kirche heraus.<br />
Er soll von 1521 bis 1526 »Singer« in<br />
<strong>de</strong>r kursächsischen Hofkapelle zu Dres<strong>de</strong>n<br />
gewesen sein. 1548 berief ihn Kurfürst<br />
Moritz zum Kapellmeister und Grün<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r fürstlichen Kantorei. Damit wur<strong>de</strong> ein<br />
wichtiger Grundstock für die Dresdner<br />
Musikpflege gelegt. Erinnert sein Text<br />
»Wach, wach auf; du <strong>de</strong>utsches Land!«<br />
nicht auch an Ulrich von Huttens (1488–<br />
1523) gewaltige Sprache zur Herausbildung<br />
eines <strong>de</strong>utschen Nationalbewusstseins?<br />
Ein unbekannter Bergmann dichtete:<br />
»1. In Gottes Namen fahren wir ein,<br />
singt christliche Berghäuerlein.<br />
Wenn Gott mit euch fährt aus und ein,<br />
so bleibt ihr wohl bewahret fein.<br />
2. Ergreift die schöne Jakobsfahrt<br />
fein frisch nach bergmännischer art.<br />
Der’n Schenkel sind gewiß und fest,<br />
ihre Sprossen auch bewahrt aufs best.<br />
3. Die ist <strong>de</strong>r Herre Jesu Christ,<br />
<strong>de</strong>r euer bester Bergfreund ist.<br />
Wenn ihr anfahrt <strong>bei</strong> Tag und Nacht,<br />
ist er <strong>bei</strong> euch im tiefsten Schacht «. 10<br />
Ein an<strong>de</strong>res Bergmannslied eines<br />
unbekannten Dichters von 1545 begann:
»Ich hab durchwan<strong>de</strong>rt stedt und land,<br />
viel ebenteuer zu schauen,<br />
Vnd mich an manchen ort gewant,<br />
da viel leut bergwergk bauen,...« 10<br />
Nun wer<strong>de</strong>n Freiberg, Geyer, Thum,<br />
Ehrenfrie<strong>de</strong>rsdorf besungen, ebenso<br />
Schneeberg, Johanngeorgenstadt, Annaberg,<br />
Buchholz, Marienberg, Wolkenstein,<br />
Drehbach, Hohnstein, Glashütte, Höckendorf,<br />
Wiesenthal, Joachimsthal, Altenberg,<br />
Pirna. For<strong>de</strong>rt die Inschrift am Paracelsus-<br />
Denkmal in Einsie<strong>de</strong>ln nicht zu einem<br />
Vergleich heraus?<br />
»Ich bin von Ainsidlen <strong>de</strong>s Lants ein<br />
Schweizer.<br />
Also bin ich gewan<strong>de</strong>lt durch die Län<strong>de</strong>r und<br />
ein Peregrinus gewest meine Zeit allein und<br />
fremd und an<strong>de</strong>rs. Da hast du, Got, wachsend<br />
lan <strong>de</strong>ine Kunst unter <strong>de</strong>m Hauch <strong>de</strong>s<br />
furchtbaren Win<strong>de</strong>s mit Schmerzen in mir«. 7<br />
Das oben begonnene Berglied en<strong>de</strong>t mit<br />
einem Lob auf die Bergleute:<br />
»Schlegel und Eysen brauchen sie, in ihrem<br />
Schild und Wappen,<br />
Kein freyer Volker sach ich nie, <strong>de</strong>n die edlen<br />
Bergknappen«.<br />
Der Bergmannsgruß »Glück auf« ist in<br />
Freiberg erst seit <strong>de</strong>m Gregoriusfest von<br />
1674 überliefert, wur<strong>de</strong> aber sicher schon<br />
Jahrzehnte früher gerufen. Aber ob auch<br />
schon zur Paracelsuszeit? Wohl noch<br />
nicht! Der Gruß bringt <strong>de</strong>n Wunsch <strong>de</strong>s<br />
Bergmanns zum Ausdruck, das Glück solle<br />
ihm seine Erzgänge auftun, damit <strong>de</strong>r<br />
Schürfen<strong>de</strong> fündig wer<strong>de</strong>. Er war die Bitte<br />
um weitere erfolgreiche Ausbeute und ist<br />
in allen <strong>de</strong>utschsprachigen Bergbaugebieten<br />
heimisch gewor<strong>de</strong>n. Die älteste Fassung<br />
<strong>de</strong>s bekannten Lie<strong>de</strong>s, von Pfarrer Christian<br />
Lehmann (1611–1688) im Jahre 1681 festgehalten,<br />
hat sich von »Frisch auf; <strong>de</strong>r Steiger<br />
kömmt«, über »Wach auf, <strong>de</strong>r Steiger<br />
kommt« zum heutigen »Glück auf; <strong>de</strong>r<br />
Steiger kommt« erhalten. So geht auch die<br />
Tradition <strong>de</strong>r Bergpara<strong>de</strong>n auf einen späteren<br />
Zeitpunkt zurück. Zu <strong>de</strong>n ersten Berg-<br />
aufzügen gehört <strong>de</strong>r Bergumzug in Freiberg<br />
1557 anlässlich <strong>de</strong>s Besuches von<br />
Kurfürst August und Kurfürstin Anna in<br />
<strong>de</strong>r Stadt.<br />
Neuerbaute Gruben trugen vorwiegend<br />
christliche Namen. Stadtbaurat Rieß kommentiert,<br />
dass »darin <strong>de</strong>r bibelfeste Glaube, das<br />
dankbare Gemüt und fabulieren<strong>de</strong> Phantasie<br />
und schlichter Humor zum Ausdruck kommen«.<br />
So kennen wir heute noch <strong>de</strong>n Abraham<br />
Schacht, Alte Elisabeth, Alte Hoffnung<br />
Gottes, Christbescherung, Daniel, David,<br />
Donat, Himmelfahrt-Fundgrube, Himmelsfürst,<br />
Methusalem, Michael. Aber sie nannten<br />
die Gruben auch Dürrer Schönberg,<br />
Neues <strong>Ges</strong>chrei, Bescheert Glück. 11<br />
Noch heute kün<strong>de</strong>n Reformationssprüche<br />
an Freiberger Häusern: 12<br />
Petersstraße 46: In gol<strong>de</strong>ner Schrift sind<br />
die Anfangsbuchstaben <strong>de</strong>r Einsetzungsworte<br />
<strong>de</strong>s Abendmahls dargestellt, dazu<br />
die Abkürzung <strong>de</strong>s Freiberger Reformationsspruches<br />
VDMIAE 1529 (Verbum<br />
Domine manet in aeternum – Gottes Wort<br />
bleibet ewig).<br />
Donatsgasse 23: Auf einer Tafel ein<br />
Bergmann, <strong>de</strong>r in einem Trog einen Barren<br />
Erz trägt, mit Schlägel und Eisen und darunter<br />
<strong>de</strong>n Spruch:<br />
»Ich Weis, das Mein Erlöser lebt 1561«.<br />
Pfarrgasse 18:<br />
GOTTES WORT BLEIBET EWIK 1528<br />
Im Flur <strong>de</strong>r Löwenapotheke:<br />
»Ein großer Teil dieser Häuser ist an <strong>de</strong>m Jubelfeste<br />
Dr. Martin Luthers errichtet wor<strong>de</strong>n, in<br />
<strong>de</strong>m Jahre, in welchem die Gemein<strong>de</strong> frohe Jubellie<strong>de</strong>r<br />
anstimmte 1617«.<br />
Haussegen <strong>de</strong>s Goldschmie<strong>de</strong>s Klemm,<br />
Erbische Straße 9, Freiberg:<br />
»Die Engel <strong>de</strong>s Herrn behüten, bewahren<br />
dieses Haus,<br />
Alle, so <strong>bei</strong> Tag und Nacht hier gehen<br />
ein und aus«.<br />
Barten, Humpen, Kleinodien bewahren<br />
alte Sprüche: 11<br />
13
»Bergwerk will haben Verstand<br />
und eine treue Hand«.<br />
»Gib Zubuß, Ar<strong>bei</strong>t, wart <strong>de</strong>in Zeit,<br />
Es folgt Ausbeuth, die dich freut.«<br />
»Bawst du Viel ertz, gib Gott die ehr<br />
brauchs recht, bis fromm, so beschert Gott<br />
mehr«.<br />
Auf einer Hilliger-Glocke lautet <strong>de</strong>r<br />
Text:<br />
»Ich lobe <strong>de</strong>n wahren Gott, ich rufe das Volk,<br />
ich sammle die Geistlichkeit, die Toten<br />
beweine ich, festliche Tage schmücke ich«.<br />
Auf <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>nglocke <strong>de</strong>s Freiberger<br />
Domes, 1540:<br />
»Wenn <strong>de</strong>r Herr nicht die Stadt behütet,<br />
wachen ihre Wächter umsonst«.<br />
Bergleute hatten in Sachsen einen Son<strong>de</strong>rstatus.<br />
Hinweise zur Ar<strong>bei</strong>tskleidung<br />
liegen aus <strong>de</strong>n Jahrzehnten <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
vor. Bergleute trugen ein weißes Gewand,<br />
die Gugel (Mützenhaube), Tscherpertasche,<br />
Knie- und das bekannte Arschle<strong>de</strong>r. Sandstein-<br />
und Holzfiguren in Kirchen zeigen<br />
ihr Abbild. Sie wur<strong>de</strong>n nicht zur Armee<br />
einberufen und durften zu Para<strong>de</strong>n eine<br />
beson<strong>de</strong>re Uniform mit Werkzeug und<br />
Gezäh tragen. Sie schlossen sich zu Knappschaften<br />
o<strong>de</strong>r Bergbru<strong>de</strong>rschaften zusammen.<br />
Die ältesten wur<strong>de</strong>n in Ehrenfrie<strong>de</strong>rsdorf<br />
(bereits 1338 gegrün<strong>de</strong>t), Frohnau,<br />
Thum, Jöhstadt, Rittersgrün und Wiesa<br />
gebil<strong>de</strong>t. Spuren reichen in Freiberg bis<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 14. Jahrhun<strong>de</strong>rts zurück. 13 Das<br />
Begräbnis eines Bergbru<strong>de</strong>rs, eines Schlägelgesellen,<br />
<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r »Bergfürst« abberufen<br />
hatte, wur<strong>de</strong> gemeinsam mit <strong>de</strong>r letzten<br />
Schicht begangen und die Witwe aus <strong>de</strong>r<br />
Knappschaftskasse unterstützt.<br />
Trotz allen Gottvertrauens waren unsere<br />
erzgebirgischen Bergleute <strong>bei</strong> ihrer beschwerlichen<br />
Ar<strong>bei</strong>t keine lebensfrem<strong>de</strong>n<br />
Ar<strong>bei</strong>ter. Sicher hat ein kräftiger Schluck<br />
Bier im Huthaus nach Schichten<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />
Staub weggespült. »Wir sitzen gar gerne bey<br />
gutem Getrank« zählt ebenfalls zu <strong>de</strong>n ältes-<br />
14<br />
ten Bergreihen. Den jungen Knappen gab<br />
man auf <strong>de</strong>n Weg: »Wer nicht liebt Wein,<br />
Weib und <strong>Ges</strong>ang, bleibt ein Göpeltreiber sein<br />
Leben lang«. Dazu gehörte auch die Einkehr<br />
nach <strong>de</strong>r Schicht in einem Wirtshaus,<br />
vielleicht »Zum letzten 3er«.<br />
Bergleute waren fromm, aber sie frömmelten<br />
nicht. Und trinkfreudig waren sie<br />
auch, unsere erzgebirgischen Altvor<strong>de</strong>rn.<br />
Auf Knappschaftsfesten wur<strong>de</strong> zuweilen<br />
über die Zügel geschlagen. Ein Protokoll<br />
<strong>de</strong>r Freiberger Knappschaft vermerkt<br />
Strafen für ungebührliches Verhalten <strong>de</strong>r<br />
Bergknappen:<br />
»2 gr. Strafe: Marcus Wolf, so St. Poppens Frau<br />
geherzet,<br />
3gr. Strafe: Gabriel Lohse von Kröhner Fdgr.<br />
so ein Glaß Brantewein zur Knappschaft<br />
gebracht und ausgesoffen,<br />
6gr. Strafe: Kübler aufm Tscherpermaßen,<br />
so sich übern Tische gebrochen und etl.<br />
Bergbeamte auch theils Brü<strong>de</strong>r beunreinigt,<br />
6gr. Strafe: Matthes Richter, so <strong>de</strong>m ältesten<br />
St. Poppen <strong>de</strong>n Donner aufm Hals geflucht<br />
wegen eines Satzes Kuchen, so doppelt über<br />
seinen Tisch genommen,<br />
3gr. Strafe: Samuel Borrmann ums Juchzen,<br />
6gr. Strafe: <strong>Ges</strong>chworener Gintzel, so <strong>de</strong>r<br />
N.N. oben in <strong>de</strong>n Bosen gedippt und viel<br />
fältigmal geherzet.« 14<br />
Noch bis in unsere Tage prosten sich<br />
ehemalige Bergleute zu:<br />
»Rostig wird die Grubenschiene, wenn kein<br />
Hunt darüber läuft.<br />
Frostig wird <strong>de</strong>s Mannes Miene, wenn er<br />
ab und zu nicht säuft«.<br />
Aber noch immer gilt:<br />
Es grüne die Tanne, es wachse das Erz.<br />
Gott schenke uns allen ein fröhliches<br />
Herz!
1 Sudhoff, Karl: Paracelsus im heutigen Sachsen.<br />
Glückauf. 1 (1933), S.30 ff.<br />
2 Agricola, Georgius: Vom Bergkwerck XII Bücher...<br />
(Nachdruck 1994)<br />
3Wagenbreth, Otfried u.a.: Bergbau im Erzgebirge.<br />
Technische Denkmale und <strong>Ges</strong>chichte.<br />
Leipzig 1990.<br />
4Neumann, Dieter: Paracelsus und das Bergwesen.<br />
In: Grubenhunt und Ofensau. (J.u.)<br />
5 Magirius, Heinrich: Der Dom zu Freiberg.<br />
Leipzig 1977.<br />
6Die Annenkirche zu Annaberg. Reihe:<br />
Das Christliche Denkmal, 1954.<br />
7 Inschrift am Paracelsus-Denkmal zu Einsie<strong>de</strong>ln.<br />
8Theophrasti Paracelsi von Hohenheim/bey<strong>de</strong>r<br />
Artzney Doctor. Von <strong>de</strong>r Bergsucht o<strong>de</strong>r Bergkranckheiten<br />
drey Bücher/um dreyzehen tractat<br />
verfast vnnd beschriben wor<strong>de</strong>n. In: Huser-Ausgabe<br />
von 1661.<br />
ANMERKUNGEN<br />
9 Reprint: Son<strong>de</strong>rdruck über die Bergkrankheiten.<br />
Herausgeber:<br />
Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. Dres<strong>de</strong>n,<br />
März 2001.<br />
10 Heilfurth, Gerhard: Das erzgebirgische Bergmannslied.<br />
Schwarzenberg 1936.<br />
11 Ries, Gustav: Spruchweisheiten in alter und<br />
neuer Zeit. In: Aus grauen Mauern und grünen<br />
Weiten. Dres<strong>de</strong>n 1924, S.126 ff.<br />
12 Lauterbach, Werner: Stadtführer Freiberg.<br />
Meißen 1995.<br />
13 Sächs. Lan<strong>de</strong>sverband e.V. im Bund Deutscher<br />
Bergmanns-, Hütten- und Knappschaftsvereine:<br />
Glück auf, Glück auf, <strong>de</strong>r Steiger kommt...<br />
Marienberg 1999.<br />
14 Wappler, Benno: Über die alte Freiberger Berg-,<br />
Knapp- und Brü<strong>de</strong>rschaft. In: Mitteilungen <strong>de</strong>s<br />
Freiberger Altertumsvereins, 37. Heft, 1900,<br />
S. 48-71.<br />
Dr. Werner Lauterbach · Hainichener Straße 3 · 09599 Freiberg<br />
Vortrag im Deutschen Hygiene-Museum Dres<strong>de</strong>n am 24.10. 2001.<br />
15
Reinhold Schnei<strong>de</strong>r, geboren an <strong>de</strong>n »Quellen,<br />
die dampfend um die Füße <strong>de</strong>r alten<br />
Häuser spru<strong>de</strong>ln vom Südhang <strong>de</strong>s Schloßbergs<br />
herab«, gedachte in <strong>de</strong>n 1957 veröffentlichten<br />
»Aufzeichnungen eines Müßiggängers<br />
in Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n« all jener, die sich<br />
Heilung vom Wasser erhofften über Jahrhun<strong>de</strong>rte,<br />
Kelten und Römer, Alemannen<br />
und Franken – und an einen <strong>de</strong>r ersten,<br />
<strong>de</strong>r die »Quellen durchforschte«: Theophrastus<br />
Paracelsus, <strong>de</strong>n »flüchtigen Gast<br />
im Neuen Schloß«, <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>rer und<br />
Arzt, »Erforscher und Beschreiber, immerfort<br />
auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m letzten Sinn<br />
ärztlicher Berufung, welche Frage ihn zurückführte<br />
zum Arzt <strong>de</strong>r Welt... Für ihn<br />
war die Quelle Wesen, Person, eine Art<br />
geistiger Leib wie die Lei<strong>de</strong>nschaften, die<br />
im Menschen Wohnung nehmen, wie die<br />
Krankheiten auch... Nicht <strong>de</strong>r Mensch<br />
heilt, son<strong>de</strong>rn Gott:<br />
›Es ist eine jegliche Krankheit ein Fegfeuer,<br />
kein Arzt kann gesund machen, es sei <strong>de</strong>nn<br />
Sach, daß von Gott dies Fegfeuer aus sei.‹ «<br />
»Kranksein ist Weltgleichnis, <strong>de</strong>nn alle<br />
liegen im Sterben«, bestätigt Schnei<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n großen Heiler: »Paracelsus verstand<br />
sich als Diener <strong>de</strong>s Archeus, <strong>de</strong>r geheimnisvollen,<br />
von Innen bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Lebenskraft...«<br />
1 Schnei<strong>de</strong>r beklagt, dass wir uns<br />
so wenig dieses großen Ratgebers erinnern.<br />
»Wun<strong>de</strong>rn wir uns etwa, daß wir nicht<br />
mehr gesund wer<strong>de</strong>n?« Paracelsus habe<br />
zwar <strong>de</strong>n Markgrafen Philipp vom Ver<strong>de</strong>rben<br />
seiner (unwissen<strong>de</strong>n) Leibärzte erlöst,<br />
aber <strong>de</strong>r Geheilte betrog ihn schnö<strong>de</strong> um<br />
<strong>de</strong>n verheißenen Lohn: »Und also machte<br />
sich <strong>de</strong>r Magier <strong>de</strong>s kommen<strong>de</strong>n Reichs<br />
wie<strong>de</strong>r auf die Flucht, nach<strong>de</strong>m er die ›aufspringen<strong>de</strong>n<br />
Wasser‹ die Quellnymphe,<br />
<strong>de</strong>n schaffen<strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Tiefe geehrt<br />
und gegrüßt... hatte. ›Die heißen Wasser<br />
zu Ba<strong>de</strong>n sind vollkommener als alles an<strong>de</strong>re.‹<br />
Dann flüchtete er durch die immer<br />
wil<strong>de</strong>r fiebern<strong>de</strong> Welt seinem Ziele zu:<br />
16<br />
Klaus Stiebert<br />
»JEDER SCHRITT, DEN DU GEHST, IST DAS ZIEL«<br />
PARACELSUS IN DER WELTLITERATUR<br />
allzulange sollte es nicht mehr dauern, bis<br />
er in <strong>de</strong>r Herberge zum Weißen Roß in<br />
Salzburg im Kleinen Stübl am Sankt-<br />
Matthäus-Tag 1541 schwachen Leibs auf<br />
seinem Reisebettlein saß im Alter von 48<br />
Jahren...« 2<br />
Die <strong>Ges</strong>talt <strong>de</strong>s Theophrastus Bombast<br />
von Hohenheim hat von seinen Lebzeiten<br />
an Anlass zu literarischer <strong>Ges</strong>taltung nicht<br />
nur in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Literatur gegeben.<br />
Der außeror<strong>de</strong>ntlich sprachmächtige<br />
Universalgelehrte, <strong>de</strong>r – ungewöhnlich<br />
in seiner Zeit – viele seiner Schriften in<br />
<strong>de</strong>utscher Sprache verfasste, for<strong>de</strong>rte schon<br />
die Zeitgenossen zu Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
heraus: ernstzunehmen<strong>de</strong>, loben<strong>de</strong> und<br />
schmähen<strong>de</strong>. Viele vertrauten seiner neuartigen<br />
ärztlichen Kunst, wie <strong>de</strong>r Brief <strong>de</strong>s<br />
Erasmus vom März 1527 aus Basel belegt:<br />
»Ich habe in <strong>de</strong>n nächsten Tagen we<strong>de</strong>r<br />
Zeit, mich behan<strong>de</strong>ln zu lassen, noch<br />
krank zu sein o<strong>de</strong>r zu sterben, so sehr bin<br />
ich mit wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>ten überhäuft.<br />
Wenn es jedoch etwas gibt, was<br />
ohne Auflösung <strong>de</strong>s Körperchens das Übel<br />
lin<strong>de</strong>rn kann, so bitte ich es mir mitzuteilen.<br />
Wenn du so gütig sein wolltest, etwas<br />
ausführlicher zu erklären, was du mit sehr<br />
kurzen Worten mehr als lakonisch angegeben<br />
hast, und an<strong>de</strong>re Heilmittel zu verschreiben,<br />
die ich, wenn ich Zeit habe,<br />
einnehmen kann, dann kann ich dir freilich<br />
keinen <strong>de</strong>iner Kunst und Bemühung<br />
angemessenen Lohn versprechen,...<br />
zumin<strong>de</strong>st eine dankbare <strong>Ges</strong>innung...« 3<br />
Anonyme lateinische Spottverse an<br />
Baseler Kirchentüren sind überliefert, die<br />
seine Vertreibung aus <strong>de</strong>r Stadt bewirken<br />
sollten – <strong>de</strong>r Geist Galens aus <strong>de</strong>r Unterwelt<br />
wur<strong>de</strong> gegen die neue Lehre <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
zu Hilfe gerufen; an<strong>de</strong>rerseits preisen<br />
(ebenfalls anonyme) holpern<strong>de</strong> Knittelverse<br />
<strong>de</strong>n Heiler von Krankheiten und<br />
tiefgründigen Gottsucher. 4 Der Ingolstädter<br />
Professor <strong>de</strong>r Poesie, Marcus Tatius (etwa
1500–1567), schrieb ein Geleitgedicht für<br />
eine Ausgabe paracelsischer Prognosticationen<br />
(Augsburg 1536), Balthasar Floeter<br />
(<strong>de</strong>r sich Philaletes nannte!) verfasste ein<br />
Widmungsgedicht »In Theophrasti icona<br />
carmen« (Köln 1567), von <strong>de</strong>m Danziger<br />
Arzt und Anhänger Paracelsus’ Alexan<strong>de</strong>r<br />
von Suchten stammt eine lateinische Elegie,<br />
vom Kopenhagener Mediziner Johannes<br />
Pratensis (1543–1576) ein Widmungsgedicht<br />
zur Kölner Paracelsus-Ausgabe.<br />
Michael Schütz, <strong>de</strong>r sich als Verfasser<br />
Michael Toxites nannte, ein Südtiroler,<br />
stellte <strong>de</strong>r 1571 in Straßburg erschienenen<br />
Ausgabe paracelsischer Schriften ein lateinisches<br />
Widmungsdistichon voraus; in<br />
Basel war er Herausgeber eines Paracelsus-<br />
Wörterbuchs, »Onomastica« in zwei Teilen,<br />
an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r sprachgewaltige, aber viel zu<br />
wenig bekannte <strong>de</strong>utsche Renaissancedichter<br />
Johann Fischart (etwa 1546–1590)<br />
mitar<strong>bei</strong>tete. Zwar wollte er sich in erster<br />
Linie Geld für seine juristische Promotion<br />
an <strong>de</strong>r Universität Basel erar<strong>bei</strong>ten, doch<br />
gelangte er zugleich zur Kenntnis <strong>de</strong>s paracelsischen<br />
Gedankenguts, das in seinem<br />
gesamten literarischen Werk fortan einen<br />
wichtigen Platz einnahm. Er schrieb eine<br />
lateinische Vorre<strong>de</strong> für das Wörterbuch<br />
(Straßburg 1574). In seiner Neubear<strong>bei</strong>tung<br />
<strong>de</strong>r mittelhoch<strong>de</strong>utschen Versdichtung<br />
vom Ritter Stauffenberg und <strong>de</strong>r Nixe (um<br />
1320) beruft er sich im Vorwort ausdrücklich<br />
auf Paracelsus, ebenso in <strong>de</strong>r eigenen<br />
Dichtung <strong>de</strong>s »Podagrammisch Trostbüchlein«.<br />
Mehrfach aber spielt er auf ihn in<br />
seinem Hauptwerk an, <strong>de</strong>r »Affenteuerlich<br />
naupengeheurliche <strong>Ges</strong>chichtklitterung«<br />
(von 1575 an), <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Fortschreibung<br />
von François Rabelais’ Roman<br />
»Gargantua und Pantagruel«. Fischarts<br />
Buch,durchaus mehr als eine Übersetzung,<br />
voller Wortspiele, Einfällen aus allen Wissensgebieten<br />
<strong>de</strong>r Zeit, Anspielungen, witziger<br />
Sprachvielfalt, ist mit zahlreichen Hinweisen<br />
auf Paracelsus versehen:<br />
Der Erzähler, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Wirtshaus spät<br />
vom Wein kommt: »Darumb thut mir<br />
noch <strong>de</strong>r Bauch zwischen <strong>de</strong>n Ohren wee:<br />
<strong>de</strong>r Theophrastisch Tartarisch Weinstein<br />
hangt mir noch an <strong>de</strong>n Zänen...«; o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Hinweis auf »Goffroi auß eim Melusinischen<br />
Mörwun<strong>de</strong>r, welchs Paracels für<br />
warhafft im Onomastico mit <strong>de</strong>m exempel<br />
<strong>de</strong>r geschicht <strong>de</strong>s von Stauffenberg<br />
bekräfftiget« 5 und vieles an<strong>de</strong>re mehr,<br />
Anspielungen, die sich selbstverständlich<br />
nicht im Rabelais’schen Text fin<strong>de</strong>n.<br />
Weniger be<strong>de</strong>utsam ist das um 1600<br />
entstan<strong>de</strong>ne Gedicht <strong>de</strong>s oberösterreichischen<br />
Physikus und Arztes Stephan Groß,<br />
»Spiegel Theophrasti Paracelsi«, in <strong>de</strong>m<br />
sich zwei Ärzte um <strong>de</strong>n rechten Brauch<br />
von »Arzenei« und »Alchimia« streiten,<br />
Paracelsus auf eine imaginäre Reise nach<br />
Ägypten geschickt und in eine Diskussion<br />
mit einem galenischen Arzt verwickelt<br />
wird (»Doktor Theophrastus hat ein <strong>Ges</strong>präch<br />
mit <strong>de</strong>m Sirupdoktor«); am En<strong>de</strong><br />
klagt <strong>de</strong>r von Gegnern vergiftete Paracelsus<br />
in Versen über seinen Tod. 6<br />
Vielfältig ist zur gleichen Zeit die Aufnahme<br />
in <strong>de</strong>r englischen Literatur. Die<br />
Entwicklung einer Paracelsus-Schule gegen<br />
die Galenisten, vermittelt offenbar durch<br />
<strong>de</strong>n Aufenthalt Giordano Brunos (1548–<br />
1600) in England und durch <strong>de</strong>n Anhänger<br />
<strong>de</strong>s Hohenheimers, <strong>de</strong>n Arzt Robert<br />
Fludd, fin<strong>de</strong>t sich in zahlreichen Anspielungen.<br />
In William Shakespeares Komödie<br />
»All’s Well that ends Well« (etwa um<br />
1601/03 uraufgeführt) steht Paracelsus<br />
noch gleichwertig neben Galen: »Both of<br />
Galen and Paracelsus, of all the learned<br />
and authentic fellows...«<br />
(<strong>de</strong>utsch von Wolf Graf Baudissin in<br />
»En<strong>de</strong> gut, alles gut«:<br />
»Parolles: Es ist die allerseltsamste<br />
Wun<strong>de</strong>rgeschichte...<br />
Lafeu: Aufgegeben von <strong>de</strong>n Kunstsachverständigen<br />
Parolles: Das sage ich eben; von Galenus<br />
und Paracelsus<br />
Lafeu: Von allen diesen gelehrten und<br />
weltberühmten Doktoren.«) 7<br />
17
Der Gegner Shakespeares,Thomas Nashe<br />
(1567–1601), erwähnt Paracelsus in »The<br />
Terrors of the Night« (1594) noch mit kritischen<br />
Vorbehalten, während er ihn im<br />
Prosawerk »Der glücklose Reisen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r<br />
Das Leben <strong>de</strong>s Jack Wilton« (1594) sehr<br />
positiv bewertet: Die Schwitzseuche, lässt<br />
er <strong>de</strong>n Leser ironisch wissen, sei nun einmal<br />
in England nicht heilbar. 8<br />
Auch Francis Bacon (1581–1626) bezieht<br />
sich, <strong>bei</strong> kritischen Vorbehalten, in seinen<br />
»Essays« (1612) erkennbar auf Paracelsus,<br />
ein Kapitel wie »Über die Pflege <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>undheit«<br />
ist ohne seinen Einfluss nicht<br />
<strong>de</strong>nkbar. Der elisabethanische Dramatiker<br />
Ben Johnson (1572/73–1637) weist in mehreren<br />
seiner Komödien auf ihn als einen<br />
<strong>de</strong>r Großen in <strong>de</strong>r Medizin hin. In einer<br />
Szene <strong>de</strong>s »Volpone« (1606 in London<br />
uraufgeführt) wer<strong>de</strong>n die Erben mit ärztlichen<br />
Versen verhöhnt: Paracelsus steht<br />
neben Hippokrates, Galen und Lullus.<br />
In »The Alchemist« wer<strong>de</strong>n betrügerische<br />
Versuche <strong>de</strong>r Goldmacherei ironisiert. 9<br />
Dem größten Lyriker <strong>de</strong>r elisabethanischen<br />
Epoche, <strong>de</strong>m Gelehrten John Donne (1571/<br />
73–1631), ist die Begriffswelt Paracelsus’<br />
sehr vertraut, in seinen »Songs and Sonnets«<br />
(1600) spielt er häufig auf sie an.<br />
Über ein enzyklopädisches medizinisches<br />
Wissen verfügte Robert Burton (1577–1640).<br />
In seiner »Anatomy of Melancholy« (1621)<br />
heißt es im Kapitel »Heilungschancen«:<br />
»Chronische Melancholie ist <strong>de</strong>r Lehrmeinung<br />
nach unheilbar... Das bezeugt auch<br />
Galen... Und doch erklärt Paracelsus alle<br />
Krankheiten prinzipiell für heilbar und<br />
lacht An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong> einfach aus...« 10<br />
Burton folgt seinen Erkenntnissen weitgehend.<br />
Nach <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r erzählen<strong>de</strong>n Literatur<br />
auch wie<strong>de</strong>r Kritisches: Samuel Butlers<br />
(1612–1680) komisches Versepos »Hudibras«<br />
(1663ff.), das die Puritaner <strong>de</strong>m<br />
Spott preisgibt, geht auch ironisch mit Paracelsus’<br />
»Zauberkünsten« um – allerdings<br />
ist <strong>de</strong>r Arzt inzwischen anerkannt. Gleich-<br />
18<br />
zeitig wirkt die <strong>Ges</strong>talt Paracelsus’ in <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Literatur <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
weiter. Im Nachlass <strong>de</strong>s sächsischen Arztes,<br />
Reisen<strong>de</strong>n und be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Lyrikers Paul<br />
Fleming (1609–1640) fand sich unter lateinischen<br />
Gedichten <strong>de</strong>r Lobgesang »Theophrasti<br />
Bombasti Paracelsi etc.encomium«,<br />
in welchem ein unvergleichlicher Heilsbringer<br />
gera<strong>de</strong>zu vergöttert ward. Erkennbar<br />
verar<strong>bei</strong>tet auch Hans J.Christoffel von<br />
Grimmelshausen (1620–1676) in seinem<br />
»Simplicius Simplicissimus« (1669) die<br />
paracelsischen Elementargeister: Riesen<br />
und Zwerge, Wasser-, Luft- und Berggeister,<br />
Undinen, Gnomen, Sylphen und<br />
Salaman<strong>de</strong>r, im Mümmelseekapitel die<br />
Wassergeister. Im 16.Kapitel <strong>de</strong>s 6.Buches<br />
zitiert Grimmelshausen ganz selbstverständlich<br />
die »Belegstelle«, was Paracelsus<br />
»in tomo 9 seiner Schriften in philosophia<br />
occulta« lehre: »Liber <strong>de</strong> nymphis, sylphis,<br />
pygmaeis et salamandris et <strong>de</strong> caeteris<br />
spiritibus« – Untreue gegenüber elbischen<br />
Wesen bringe <strong>de</strong>n Menschen Tod! 11<br />
Auch in <strong>de</strong>r französischen Barockliteratur<br />
beruft man sich ausdrücklich auf die<br />
Elementargeister <strong>de</strong>s Paracelsus, so <strong>de</strong>r<br />
Abbé <strong>de</strong> Montfaucon <strong>de</strong> Villars (1635–1673)<br />
in <strong>de</strong>m 1670 in Paris gedruckten Prosawerk<br />
»Le comte <strong>de</strong> Gabalis, ou Entretiens sur<br />
les sciences secrétes« – ein von an<strong>de</strong>ren<br />
Autoren oft zitiertes Beispiel. Die in <strong>de</strong>r<br />
Tradition Lukians stehen<strong>de</strong>n Totengespräche<br />
Bernard Le Bovie <strong>de</strong> Fontenelles<br />
(1657–1757) »Nouveaux Dialogues <strong>de</strong>s<br />
Morts« (1683), übrigens 1727 erstmals von<br />
J.Chr. Gottsched ins Deutsche übersetzt,<br />
kennen sogar einen Dialog zwischen Paracelsus<br />
und Molière (1622–1673) »Über die<br />
Komödie«: Der französische Dramatiker<br />
bewun<strong>de</strong>rt zwar <strong>de</strong>n Weisen, besteht aber<br />
auf <strong>de</strong>r (närrisch) wie<strong>de</strong>rzugeben<strong>de</strong>n Wahrheit.<br />
»Paracelsus: Ihr macht Mysterien lächerlich,<br />
in die ihr nicht einzudringen imstan<strong>de</strong><br />
wart...<br />
Molière: Ein ganz an<strong>de</strong>res als ihr. Ihr<br />
habt die Kräfte und Vermögen <strong>de</strong>r Genien
untersucht; und ich habe die Torheiten <strong>de</strong>r<br />
Menschen studiert.« 12<br />
Bei aller Anerkennung <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />
Leistung seines Kontrahenten bleibt<br />
Molière davon überzeugt: »Wer für die<br />
Unsterblichkeit malen will, muß Narren<br />
malen.« 13<br />
Während die schöne Literatur <strong>de</strong>s Rokoko<br />
und <strong>de</strong>r Frühaufklärung schon ironisch<br />
mit <strong>de</strong>n Elementargeistern umgeht –<br />
Alexan<strong>de</strong>r Pope (1688–1744) verspottet<br />
die Sylphen in »The Rape of the Locke«<br />
(1712 f.) – nimmt die wissenschaftliche<br />
Literatur <strong>de</strong>r Epoche sie durchaus noch<br />
ernst: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–<br />
1716) preist Paracelsus als Pionier <strong>de</strong>r<br />
Philosophie und Chemie. Allerdings weist<br />
er in <strong>de</strong>m Gelegenheitsgedicht »Paracelse<br />
et Galene« (1672, in französischer Sprache!)<br />
alles Okkulte und die aufklärerische Denkweise<br />
beschädigen<strong>de</strong> Abergläubische zurück.<br />
Diese Haltung übernimmt auch die<br />
<strong>de</strong>utsche Literatur <strong>de</strong>r Aufklärung. Christoph<br />
Martin Wieland (1733–1813) liefert im<br />
»Teutschen Merkur« 1776 »Einige Nachrichten<br />
von Theophrastus Paracelsus«<br />
und for<strong>de</strong>rt die Leser nachdrücklich auf:<br />
»Alle la<strong>de</strong> ich ein, ihm ein Denkmal im<br />
›Teutschen Merkur‹ zu errichten, das seiner<br />
würdig sei«. 14 Als Erzähler aber parodierte<br />
er die französische Feenmärchenmo<strong>de</strong> und<br />
damit auch die paracelsische »Elementargeisterei«<br />
im Roman »Der Sieg <strong>de</strong>r Natur<br />
über die Schwärmerei o<strong>de</strong>r Die Abenteuer<br />
<strong>de</strong>s Don Sylvio von Rosalva« (Ulm 1764),<br />
beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r später oft separat gedruckten<br />
Zwischengeschichte vom »Prinzen<br />
Biribinker« (zuerst 1769). Vieles davon ist<br />
auch in das Spätwerk »Oberon« (1811)<br />
eingeflossen. Auch Johann Gottfried Her<strong>de</strong>r<br />
(1744–1803) ist mit <strong>de</strong>m Gedankengut Paracelsus’<br />
gut vertraut. Seit <strong>de</strong>n »Kritischen<br />
Wäl<strong>de</strong>rn« von 1769 wird, wenngleich mit<br />
Vorbehalten, die Elementargeisterlehre als<br />
Quelle literarischer Inspiration betrachtet.<br />
Ebenso kennt und zitiert ihn Gotthold<br />
Ephraim Lessing häufig.<br />
Sogar zum Thema <strong>de</strong>s Musiktheaters<br />
wird er in dieser Zeit: Der als Mozart-<br />
Librettist bekannte Stephanie <strong>de</strong>r Jüngere<br />
verfasste für Karl Ditters von Dittersdorf<br />
<strong>de</strong>n Text zur Oper »Doktor und Apotheker«<br />
(uraufgeführt in Wien 1786), in <strong>de</strong>m<br />
ein aufgeblasener Apotheker mit Hilfe<br />
paracelsischer »Erkenntnisse« die Ärzte<br />
bloßstellen möchte.<br />
Die Literatur <strong>de</strong>s Sturm und Drang fand<br />
in <strong>de</strong>s Paracelsus’ Naturauffassung eine Bestätigung:<br />
Friedrich Matthison (1761–1831)<br />
zeugt davon mit »Die Elementargeister«<br />
(1799) und »Die Gnomen« (1800), vor<br />
allem aber <strong>de</strong>r junge Goethe im »Urfaust«<br />
und »Urgötz«. Wie stark Goethe sich ein<br />
Leben lang auch mit diesem Gedankengut<br />
auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hat, ist hinlänglich beschrieben<br />
wor<strong>de</strong>n und bedarf keiner neuen<br />
Darstellung. Er hat es selbst in einem Kapitel<br />
<strong>de</strong>r »Farbenlehre« und in »Dichtung<br />
und Wahrheit« gewürdigt; seine Weiterar<strong>bei</strong>t<br />
am »Faust« bis in <strong>de</strong>n zweiten Teil<br />
<strong>de</strong>r Dichtung hinein ist ohne Paracelsus<br />
nicht zu <strong>de</strong>nken. 15<br />
Der wenig bekannte Heinrich Spieß<br />
(1755–1799), Prager Theaterdichter, ist<br />
wegen seines »Hans Heiling, vierter und<br />
letzter Regent <strong>de</strong>r Erd-, Luft-, Feuer- und<br />
Wassergeister« (Leipzig 1800) erinnernswert,<br />
<strong>de</strong>nn Eduard Devrient (1801–1877)<br />
schrieb nach diesem Roman ein Libretto<br />
für Heinrich Marschner (1795–1861),<br />
<strong>de</strong>ssen Oper »Hans Heiling« in Berlin 1833<br />
uraufgeführt wur<strong>de</strong>. Die aber gehört schon<br />
in das Zeitalter <strong>de</strong>r Romantik in Europa!<br />
Vor allem in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Romantik<br />
kam die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Paracelsus<br />
einer Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung nahe. In Novalis’<br />
(1772–1801) gesamten philosophischen<br />
und naturwissenschaftlichen »Fragmenten«<br />
ist Paracelsus präsent, die Pläne zur Fortführung<br />
<strong>de</strong>s Romans »Heinrich von<br />
Ofterdingen« sahen die Einführung einer<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>talt vor. Ludwig Tiecks<br />
(1773–1853) »Sehr wun<strong>de</strong>rbare Historie<br />
von <strong>de</strong>r Melusina« (1800) bezieht sich auf<br />
die von Paracelsus genannte Sage;<br />
19
»Die Elfen« (1811) gehen mit <strong>de</strong>n wohltätigen<br />
Elementargeistern um, zu <strong>de</strong>nen<br />
Kin<strong>de</strong>r Zugang haben; selbst noch in <strong>de</strong>r<br />
späten Novelle »Der Wassermensch« (1835)<br />
nutzt Tieck diese Mittel. Joseph Görres<br />
(1776–1848) hatte in <strong>de</strong>r »Exposition <strong>de</strong>r<br />
Physiologie. Organologie« (1805) ausdrücklich<br />
auf die Aktualität <strong>de</strong>s »berufenen<br />
Theophrastus Paracelsus <strong>Bombastus</strong> von<br />
Hohenheim« hingewiesen und aus seinen<br />
Schriften passagenweise zitiert.<br />
Friedrich Baron <strong>de</strong> la Motte-Fouqué<br />
(1777–1843) beruft sich in seiner Novelle<br />
»Undine« (1811) ausdrücklich auf Paracelsus<br />
und das Leben im »Elementarischen«:<br />
Seelenerwerb und -verlust durch menschliche<br />
Liebe. Fouqué schreibt nach <strong>de</strong>m<br />
Prosawerk für E.T.A. Hoffmann ein Libretto<br />
zur erfolgreich aufgeführten Oper (Berlin<br />
1816, fünf Jahre vor <strong>de</strong>m Weberschen<br />
»Freischütz«). Später verän<strong>de</strong>rte er das Textbuch<br />
für Christian Friedrich Girschners<br />
(1794–1860) Oper, die – erst konzertant –<br />
in Berlin 1830 und szenisch in Danzig<br />
1837 aufgeführt wur<strong>de</strong>. Auch im Ballett<br />
war <strong>de</strong>r Stoff alsbald gefragt: <strong>de</strong>r Berliner<br />
Hof-Ballettmeister Paolo Taglioni führte<br />
»Undine, die Wassernymphe« 1830 auf.<br />
Fouqué liebte es, die paracelsischen Elementargeister<br />
in seiner Prosa zu verar<strong>bei</strong>ten:<br />
»Sophie Ariele« (1825) mit <strong>de</strong>n Sylphen<br />
und »Erdmann und Fiametta« (1826) mit<br />
Feuer- und Erdgeistern, wie die Titel schon<br />
an<strong>de</strong>uten.<br />
Einige Jahre später schrieb sich Albert<br />
Lortzing (1801–1851) sein Textbuch für die<br />
1845 in Mag<strong>de</strong>burg uraufgeführte »Undine«<br />
selbst; eine spätromantische Reminiszenz<br />
an <strong>de</strong>n Stoff lieferte <strong>de</strong>r Tscheche Jaroslav<br />
Kvapil für Antonin Dvo`´raks (1841–1904)<br />
beliebte Oper »Rusalka«, die slawische<br />
Variante.<br />
Der Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Rahel Levin, verheiratete<br />
Varnhagen van Ense, Ludwig Robert<br />
(eigentlich Levin, 1788–1832), schrieb für<br />
<strong>de</strong>n preußischen Hofkapellmeister Friedrich<br />
Heinrich Himmel (1765–1814) die<br />
20<br />
Textfassung für die »Elementargeister«-Oper<br />
»Die Sylphen«, 1806 in Berlin uraufgeführt.<br />
Auch im Werk Achim von Arnims<br />
(1781–1831) fin<strong>de</strong>n sich vielfältige Paracelsus-Reminiszensen,<br />
so in »Armut, Reichtum,<br />
Schuld und Buße <strong>de</strong>r Gräfin Dolores«<br />
(1810) und in »Isabella von Ägypten«<br />
(1812). Zusammen mit Clemens Brentano<br />
(1778–1842), <strong>de</strong>r Paracelsus-Drucke sammelte,<br />
nahm Arnim in »Des Knaben Wun<strong>de</strong>rhorn«<br />
(1806) sieben Romanzen vom<br />
»Ritter Peter von Stauffenberg und <strong>de</strong>r<br />
Meerfeye« auf (sh.S.17).<br />
E.T. A. Hoffmann (1776–1822) war für<br />
diese Anregungen offen wie kein an<strong>de</strong>rer<br />
Romantiker. Schon im »Gol<strong>de</strong>nen Topf«<br />
(1814/15), <strong>de</strong>r ersten größeren, in Dres<strong>de</strong>n<br />
entstan<strong>de</strong>nen romantischen Erzählung,<br />
gibt es eine Fülle von Anspielungen; sie<br />
wer<strong>de</strong>n in »Der Elementargeist« (1821)<br />
auch direkt mit Paracelsus in Verbindung<br />
gebracht: <strong>de</strong>r geheimnsivolle irische Major<br />
O’ Malley gelangt durch mystische, kabbalistische<br />
Schriften in Beziehung zur Elementargeisterwelt<br />
und durch die teuflischschöne<br />
Salamandrin Aurora droht <strong>de</strong>r<br />
Verlust <strong>de</strong>r ewigen Seligkeit – doch am<br />
En<strong>de</strong> gelingt die Flucht aus einem bösen<br />
Traum. 16 Viel freundlicher als mit <strong>de</strong>m<br />
dämonischen Dunkel Hoffmanns erscheint<br />
die Undine-Welt <strong>bei</strong> Eduard Mörike (1804–<br />
1875) in <strong>de</strong>r »Historie von <strong>de</strong>r schönen<br />
Lau« innerhalb <strong>de</strong>s Erzählwerks »Das<br />
Stuttgarter Hutzelmännlein« (1852); die<br />
Blautopf-<strong>Ges</strong>chichte erschien später auch<br />
einzeln mit Illustrationen von Moritz von<br />
Schwind (1873). Zweifellos ist Paracelsus<br />
auch für Nicolaus Lenaus (1802–1850)<br />
Versepos »Faust. Ein Gedicht« (1835/40)<br />
be<strong>de</strong>utsam gewor<strong>de</strong>n (und die Vertonung<br />
»Zwei Episo<strong>de</strong>n aus Faust von Lenau«<br />
durch Franz Liszt). Das Singspiel »Undine.<br />
Eine dramatische Sage mit <strong>Ges</strong>ang« (1865)<br />
<strong>de</strong>s Franz Graf von Pocci (1807–1876)<br />
fand weite Verbreitung, ebenso das Zauberspiel<br />
»Undine o<strong>de</strong>r Eine verlorene Seele«<br />
von Anton Wollheim da Fonseca (1810–<br />
1884). In <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r volkstümlichen
Unterhaltung ist die geistige Urheberschaft<br />
selbstverständlich zumeist gar nicht bewusst.<br />
Die Thematik fand Eingang in <strong>de</strong>r gesamten<br />
europäischen Romantik. Victor<br />
Hugo (1802–1885) bricht die <strong>Ges</strong>chichte<br />
<strong>de</strong>r Sylphen, Gnomen, Salaman<strong>de</strong>r und<br />
Undinen in »Le Sylphe« (1825) schon ironisch,<br />
während sie am Ran<strong>de</strong> <strong>bei</strong> Hector<br />
Berlioz (1803–1869) in »La damnation <strong>de</strong><br />
Faust« (uraufgeführt 1846 in Paris) – auch<br />
durch <strong>de</strong>n gewichtigen Stoff – durchaus<br />
ernst genommen wird (Sylphentanz,<br />
Tanz <strong>de</strong>r Irrlichter). Alexan<strong>de</strong>r Puschkin<br />
(1799–1837) schrieb ein kleines »Russalka«-<br />
Drama, komponiert von Alexan<strong>de</strong>r Dargomyschski<br />
(1855 uraufgeführt), Michail<br />
Lermontow (1814–1841) verfasste eine<br />
»Russalka«-Dichtung. Selbst in die Kunstmärchendichtung<br />
Hans Christian An<strong>de</strong>rsens<br />
(1805–1875) drang »Die kleine Seejungfrau«<br />
ein.<br />
Mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Romantik erscheint<br />
die Thematik nun wie<strong>de</strong>r ironisch gebrochen,<br />
doppelbödig; Heinrich Heines (1797–<br />
1856) Absage an die romantische Verführung<br />
im Lorelei-Motiv (<strong>bei</strong> Clemens Brentano<br />
noch romantisch ungebrochen) geht<br />
einher mit <strong>de</strong>r Würdigung <strong>de</strong>r Rolle Paracelsus’<br />
als Quelle <strong>de</strong>r »Elementargeister-<br />
Lehre«: In »Zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Religion<br />
und Philosophie in Deutschland« (1834)<br />
nennt ihn Heine zwar einen Scharlatan,<br />
aber »zugleich einen <strong>de</strong>r tiefsinnigsten<br />
Naturkundigen«, seine »Philosophie das,<br />
was wir heute Naturphilosophie nennen,<br />
und eine solche Lehre von <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>enbelebten<br />
Natur, wie sie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Geiste<br />
so geheimnisvoll zusagt...« 17 Noch ausführlicher<br />
geht er in <strong>de</strong>n »Elementargeistern«<br />
(1835 zuerst französisch in »De l’Allemagne«,<br />
1837 im 3. Band <strong>de</strong>s »Salon«<br />
<strong>de</strong>utsch) auf Paracelsus und seine Elementargeister<br />
ein; er nennt ihn wie<strong>de</strong>rum einen<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Naturphilosophen, <strong>de</strong>r oft<br />
schwer verständlich und darum missverständlich<br />
sei, rühmt aber das Hervortreten<br />
<strong>de</strong>r »großen Gedanken mit großem Wort«.<br />
Man müsse seine Elementargeisterlehre in<br />
unsere Sprache und unser Denken übertragen.<br />
Ausführlich würdigt Heine <strong>de</strong>n Wert<br />
<strong>de</strong>r Volkssagen für die Literatur. 18<br />
In <strong>de</strong>r nachromantischen und realistischen<br />
Literatur wan<strong>de</strong>lt sich das Paracelsus-<br />
Bild. Einerseits erscheint er angesichts<br />
neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
nicht mehr interessant, an<strong>de</strong>rerseits beginnen<br />
die Versuche unverklärter, sachlicher<br />
Darstellungen in vielen europäischen Literaturen,<br />
die anfangs allerdings künstlerisch<br />
nicht sehr gelungen sind. Dahin gehört <strong>de</strong>r<br />
dreibändige Roman. »Un médicin d’autrefois:<br />
La vie <strong>de</strong> Paracelse« (Paris 1830) von<br />
Dioclès Fabre d’Olivet o<strong>de</strong>r das »Paracelsus«-Drama<br />
(1835) <strong>de</strong>s Briten Robert Browning<br />
(1812–1889), erstmals Hauptfigur<br />
eines Theaterstücks, das allerdings wenig<br />
bühnenwirksam war. Ähnliche Versuche<br />
wur<strong>de</strong>n auch auf <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen<br />
Bühne unternommen. Großer Beliebtheit<br />
erfreute sich die heute fast vergessene Versdichtung<br />
»Huttens letzte Tage« (1871) von<br />
Conrad Ferdinand Meyer (1829–1898). Der<br />
Pfarrer ruft Paracelsus zu <strong>de</strong>m erkrankten<br />
Ritter auf die Insel Ufenau: »...Seine Kunst<br />
ist groß/Und, Ritter, Ihr seid gar zu glaubenslos.«<br />
Im Abschnitt »Das To<strong>de</strong>surteil«<br />
tritt Paracelsus auf, doch Hutten ist von<br />
ihm enttäuscht: »Er nannte mich <strong>de</strong>r Freiheit<br />
Turm und Hort,/Von meiner Krankheit<br />
re<strong>de</strong>t’ er kein Wort. ...Ich dachte:<br />
Wie zu dir <strong>de</strong>in Name paßt!/ <strong>Bombastus</strong><br />
nennst du dich – und sprichst Bombast!« 19<br />
Um 1890 setzt eine gründlichere Quellenforschung<br />
ein, die ihrerseits Auswirkungen<br />
auf die künstlerische <strong>Ges</strong>taltung hat. So bear<strong>bei</strong>tet<br />
<strong>de</strong>r Schweizer Schriftsteller Theodor<br />
Curti (1848–1914) zum 400. Jubiläum<br />
<strong>de</strong>r Geburt »Paracelsus«-Episo<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r<br />
Baseler Zeit in einem Trauerspiel(1894).<br />
DerWiener Arzt und Schriftsteller Arthur<br />
Schnitzler (1862–1931) sieht »Paracelsus«<br />
(1899) in seinem einaktigen Versdrama<br />
nicht als historische, son<strong>de</strong>rn zeitbezogene<br />
<strong>Ges</strong>talt, die auch mit <strong>de</strong>m Unbewussten<br />
<strong>de</strong>r Fin-<strong>de</strong>-siècle-Literatur umgeht: »Es war<br />
21
ein Spiel! Was sollt’ es an<strong>de</strong>rs sein?/Was<br />
ist nicht Spiel, das wir auf Er<strong>de</strong>n treiben,/<br />
Und schien es noch so groß und tief zu<br />
sein! ... Es fließen ineinan<strong>de</strong>r Traum und<br />
Wachen./Wahrheit und Lüge. Sicherheit<br />
ist nirgends./Wir wissen nichts von an<strong>de</strong>ren,<br />
nichts von uns; /Wir spielen immer,<br />
wer es weiß, ist klug.« 20<br />
Dieses von <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>talt und seinem Denken<br />
losgelöste, <strong>de</strong>r eigenen Problematik<br />
gleichsam anverwan<strong>de</strong>lte Umgehen fin<strong>de</strong>t<br />
sich auch <strong>bei</strong>m jungen Hugo von Hofmannsthal<br />
(1874–1929). In <strong>de</strong>m »Kleinen Drama«<br />
von 1897 »Das kleine Welttheater o<strong>de</strong>r<br />
Die Glücklichen« spricht <strong>de</strong>r Diener über<br />
seinen unglücklichen jungen Herrn:<br />
»...Das ganze Leben/läßt er draußen,<br />
alle bunte Beute... Nur die zaubermächtigen<br />
Geräte/Und die tief geheimnisvollen<br />
Bücher,/die Gebil<strong>de</strong>tes in seine Teile/Zu<br />
zerlegen lehren, bleiben da./Unbegreiflich<br />
ungeheure Worte/Fängt er an zu re<strong>de</strong>n und<br />
<strong>de</strong>n Abgrund/Sich hinabzulassen, <strong>de</strong>ssen<br />
obrer/Äußrer Rand an einer kleinen Stelle/<br />
Von <strong>de</strong>s Paracelsus tiefsten Büchern/angeleuchtet<br />
wird mit schwacher Flamme...<br />
Der Arzt: Ich sehe einen solchen Lauf<br />
<strong>de</strong>r Welt:/ Das Übel tritt einher aus allen<br />
Klüften;...« 21<br />
Rainer Maria Rilke (1875–1926) wählte<br />
die Paracelsus zugeschriebene Legen<strong>de</strong><br />
über die Pflanze Wegwarte zum Motto<br />
seines ersten Gedichtban<strong>de</strong>s: »Wegwarten.<br />
Lie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Volke gewidmet« (Prag 1895),<br />
in <strong>de</strong>m er auch Paracelsus anruft. Zur gleichen<br />
Zeit stößt Johann August Strindberg<br />
(1849–1912) <strong>bei</strong> seinen alchemistischen<br />
Studien und Experimenten auf ihn – in<br />
»Inferno« (1897) fin<strong>de</strong>t das seinen Ausdruck.<br />
Gerhart Hauptmann (1862–1946)<br />
nutzt die Welt <strong>de</strong>r Elementargeister in<br />
seiner neuromantischen Phase: »Die versunkene<br />
Glocke« (1896), die Elfe Rauten<strong>de</strong>lein<br />
und <strong>de</strong>r Nöck Nickelmann stehen<br />
in dieser Tradition. Später befasste sich<br />
<strong>de</strong>r Autor auch mit <strong>de</strong>m theologisch-philosophischen<br />
Denken <strong>de</strong>s Hohenheimers:<br />
»Der Narr in Christo Emanuel Quint«<br />
22<br />
(1910), ein Roman um das Gottsuchertum<br />
in Schlesien. Eine spätere Wie<strong>de</strong>raufnahme<br />
fin<strong>de</strong>t sich im »Meerwun<strong>de</strong>r« (1934).<br />
Im englischsprachigen Bereich nahm <strong>de</strong>r<br />
junge Amerikaner, <strong>de</strong>r seit 1908 in London<br />
lebte, Ezra Pound (1885–1972), in seiner<br />
Lyriksammlung »Personae« (1909) die britische<br />
Tradition <strong>de</strong>r tiefgründigen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
auf mit einem ins Jenseits<br />
entrückten »Paracelsus in excelsis«. Viele<br />
Jahre später greift Aldous Huxley (1894–<br />
1963) mit seinem Retorten-Homunculus<br />
im Zeitalter <strong>de</strong>r Massengesellschaft warnend<br />
darauf zurück: »Brave New World«<br />
(1932).<br />
Nach <strong>de</strong>m ersten Weltkrieg erscheint die<br />
Beschäftigung mit <strong>Ges</strong>talt und Lehre <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus in einem neuen Licht. Der Wahrheitssucher<br />
zwischen <strong>de</strong>n Zeiten wird aufs<br />
Neue zur literarischen <strong>Ges</strong>talt, wenngleich<br />
die unterschiedlichsten weltanschaulichen<br />
Überzeugungen auf ihn projiziert wer<strong>de</strong>n.<br />
Sehr be<strong>de</strong>nklich ist die »völkisch«-nationale,<br />
konservative Sicht <strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Nationalsozialismus<br />
mit vorbereiten<strong>de</strong>n und später<br />
unterstützen<strong>de</strong>n Erwin Guido Kolbenheyer<br />
(1878–1962), <strong>de</strong>r das historisch-biografische<br />
Material zur Grundlage einer erzählerischen<br />
Aufar<strong>bei</strong>tung nutzt: »Die Kindheit<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus« (1917), »Das <strong>Ges</strong>tirn <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus« (1922) und »Das dritte Reich<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus« (1926). Zwar nutzt <strong>de</strong>r<br />
Autor authentisches Material, doch ist<br />
Karl-Heinz Weimann zuzustimmen, wenn<br />
er <strong>de</strong>n viel gelesenen Roman zusammenfassend<br />
bewertet: »Die Phraseologie variiert<br />
von volkstümlicher Einfachheit bis zu<br />
verstiegenen Satzschwa<strong>de</strong>n, die sich bisweilen<br />
zu völliger Nebulosität zusammenbrauen<br />
können.« 22<br />
Auch auf <strong>de</strong>n Bühnen erscheint Paracelsus<br />
nun häufig als Zentralfigur: Die Schweizer<br />
Gustav Müller (1866–1928), »Paracelsus«<br />
(Bern, 1925), und Max Geilinger<br />
(1884–1948), »Das Spiel vom Paracelsus«<br />
(Zürich 1938), sind hier zu nennen.<br />
Zum Gegenstand <strong>de</strong>r Lyrik wur<strong>de</strong> er <strong>bei</strong><br />
Hans Friedrich Blunck (1888–1961), <strong>de</strong>ssen
national-konservative <strong>Ges</strong>innung später mit<br />
<strong>de</strong>n Nationalsozialisten übereinstimmte<br />
(er wur<strong>de</strong> Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Reichsschrifttumskammer!):<br />
»Paracelsus singt« – eine Balla<strong>de</strong>.<br />
Richard Billinger (1893–1965) vertrat in<br />
seinem Salzburger Festspiel »Paracelsus«<br />
(Wien 1943), mundartlich archaisierend,<br />
eine »erdhafte« Heimatkunst.<br />
Ganz an<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Spanier Ortega y Gasset<br />
(1883–1955): In seinem umfangreichen<br />
Werk »Im Geiste Galileis« (1933) versucht<br />
er, Denkern unterschiedlicher Richtungen<br />
wie Agrippa, Paracelsus, Savonarola gerecht<br />
zu wer<strong>de</strong>n. 23 In Frankreich sind die surrealistischen<br />
Texte André Bretons zu Paracelsus’<br />
Gedanken bemerkenswert, beson<strong>de</strong>rs<br />
aber das Wie<strong>de</strong>raufgreifen <strong>de</strong>s Undine-<br />
Stoffes durch Jean Giraudoux (1882–1944).<br />
Das in Paris 1939 uraufgeführte Stück beruft<br />
sich ausdrücklich auf die Tradition<br />
Fouqués. Giraudoux verwan<strong>de</strong>lt das Volksstück<br />
in ein psychologisches Drama, in<br />
<strong>de</strong>m die Titelfigur ihre Liebe zum schuldigen<br />
Mann dadurch zu retten versucht,<br />
dass sie sich selbst <strong>de</strong>s Ehebruchs bezichtigt.<br />
Während im europäischen Raum bemerkenswerte<br />
Beiträge zu diesem Stoff<br />
entstan<strong>de</strong>n, waren diejenigen im <strong>de</strong>utschsprachigen<br />
Bereich vorwiegend im Dienste<br />
<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Propaganda<br />
gedacht: Max Mells Legen<strong>de</strong>nspiel, Hans<br />
Reitz »Das Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Paracelsus«. Ein<br />
<strong>de</strong>utsches (!) Spiel (1942) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Film<br />
Georg Wilhelm Pabsts (nach einem Drehbuch<br />
von Kurt Heuser) »Paracelsus« (München<br />
1942).<br />
Nach 1945 setzte eine i<strong>de</strong>ologiefreie,<br />
neue Beschäftigung in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />
literarischen Genres ein. Erwähnenswert<br />
sind hier Peter Bamms »Das Schnupftuch<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus«, ein Essay in »Ex Ovo«<br />
(1948), Ernst Penzoldts in Erlangen 1950<br />
uraufgeführtes Theaterstück »Der gläserne<br />
Storch« unter ausdrücklichem Bezug zu<br />
Paracelsus’ Homunculus-I<strong>de</strong>en o<strong>de</strong>r die<br />
Lyrik Karl Krolows »Undine« (in »Wind<br />
und Zeit«, 1954). Hans Werner Henze<br />
komponiert sein »Undine«-Ballett 1956<br />
nach einem Libretto F. Ashtons (und reflektiert<br />
zum Stoff in »Undine. Tagebuch<br />
eines Balletts«‚ 1959). Ingeborg Bachmann<br />
nennt ihre Erzählung im Band »Das dreißigste<br />
Jahr« (1961) »Undine geht«. Der Salzburger<br />
Komponist Cesar Bresgen (1913–<br />
1988) komponiert eine »Paracelsus«-Oper<br />
nach einem Libretto <strong>de</strong>s Münchners Ernst<br />
Gärtner, die 1959 konzertant in Salzburg<br />
uraufgeführt wird; er stellt Paracelsus als<br />
Arzt während seines ersten Salzburger Aufenthalts<br />
in <strong>de</strong>n Mittelpunkt um zwei Frauen,<br />
die er nicht von <strong>de</strong>r Pest retten kann.<br />
Auch aus <strong>de</strong>r Literatur <strong>de</strong>r DDR ist ein<br />
Beispiel zu nennen: Rosemarie Schu<strong>de</strong>r<br />
veröffentlichte 1955 eine nicht sehr umfangreiche<br />
Prosaar<strong>bei</strong>t: »Paracelsus. Eine<br />
historisch-biografische Erzählung«, die sich<br />
<strong>de</strong>r neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
bedient, wichtige Lebensabschnitte<br />
mit knapper Handlungsführung ausstattet,<br />
sprachlich <strong>de</strong>m Geist <strong>de</strong>r Zeit verpflichtet<br />
ist. Fritz Usinger dagegen bettet seinen Paracelsus-Essay<br />
in die europäische Geistesgeschichte<br />
ein: »Deutscher und französischer<br />
Geist« (1960). Für <strong>de</strong>n Bewun<strong>de</strong>rer<br />
<strong>de</strong>s argentinischen Sprachmagiers Jorge<br />
Luis Borges (1899—1986) nicht unerwartet,<br />
dass sich dieser Kenner <strong>de</strong>r Weltliteraturen<br />
(und ihrer Sprachen) auch mit Paracelsus<br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen wür<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Erzählsammlung,<br />
die nach einer nordamerikanischen<br />
Sagengestalt benannt ist, »Der Squonk.<br />
Buch <strong>de</strong>r imaginären Wesen« (1967/68),<br />
wer<strong>de</strong>n unter direktem Bezug auf Paracelsus<br />
»Der Salaman<strong>de</strong>r«, »Die Sylphen«,<br />
»Die Elfen« und »Die Gnomen« zu Erzählgegenstän<strong>de</strong>n.<br />
24 In <strong>de</strong>m Band »Rose und<br />
blau« (1977) fin<strong>de</strong>t sich die Erzählung<br />
»Die Rose <strong>de</strong>s Paracelsus« mit einem Hinweis<br />
auf Thomas <strong>de</strong> Quincey im Motto.<br />
Die kurze <strong>Ges</strong>chichte erzählt, wie Johannes<br />
Grisebach in Basel Schüler Paracelsus’<br />
wer<strong>de</strong>n und ein Wun<strong>de</strong>r erzwingen will:<br />
das Wie<strong>de</strong>rerstehen einer Rose aus <strong>de</strong>r<br />
Asche. Doch er begreift beschämt: »Es fehlt<br />
mir <strong>de</strong>r Glaube, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Herr von <strong>de</strong>n<br />
Gläubigen verlangt hat. Laß mich weiter<br />
23
die Asche sehen. Ich kehre zurück, wenn<br />
ich stärker bin, und dann wer<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>in<br />
Schüler sein und am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wegs die<br />
Rose sehen.« 25<br />
Immer aufs Neue fühlen sich Schriftstellerinnen<br />
und Schriftsteller angezogen von<br />
<strong>de</strong>r Persönlichkeit und <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus. Die österreichische Erzählerin<br />
Barbara Frischmuth umkreist spielerisch<br />
dieses Erbe und zugleich seine Fortschreibung<br />
durch E.T.A. Hoffmann und Fouqué<br />
in <strong>de</strong>n drei Romanen »Die Mystifikation<br />
<strong>de</strong>r Sophie Silber« (1976), »Amy o<strong>de</strong>r die<br />
Metamorphose« (1978) und »Kai und die<br />
Liebe zu <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen« (1979) – Bücher<br />
im Zeichen <strong>de</strong>r Elementargeister, <strong>de</strong>r<br />
Sphärendurchdringung und <strong>de</strong>s Zaubers<br />
»<strong>de</strong>r lang existieren<strong>de</strong>n Wesen«. Es ist wohl<br />
Das Titelzitat stammt aus <strong>de</strong>r Erzählung »Die Rose<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus« von Jorge Luis Borges (vgl. Anm. 25).<br />
1 Schnei<strong>de</strong>r, Reinhold: »Der Balkon. Aufzeichnungen<br />
eines Müßiggängers in Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n«,<br />
Frankfurt am Main und Leipzig 2000, S. 22 f.<br />
2 ebd. S. 24 f.<br />
3 »Opus Epistolorum Des. Erasmi Roterdami«,<br />
ed. P. S. Allan, Oxford 1928; hier zitiert nach<br />
»Der <strong>de</strong>utsche Renaissance-Humanismus«,<br />
Abriss und Auswahl von Winfried Trillitsch,<br />
Leipzig 1981, S. 555.<br />
4 Weimann, Karl-Heinz: »Paracelsus in <strong>de</strong>r Weltliteratur.<br />
Beiträge zur Wirkungsgeschichte Hohenheims«.<br />
In: Germanisch-Romanische Monatsschrift<br />
1961, 42/3, S. 241.<br />
5 Fischart, Johann »Affenteurlich naupengeheurliche<br />
<strong>Ges</strong>chichtklitterung«, hier zitiert nach <strong>de</strong>r gekürzten<br />
Ausgabe im Eichborn-Verlag Frankfurt/Main<br />
1997, S. 241 und S. 288.<br />
6 Handschrift in <strong>de</strong>r Herzog-August-Bibliothek<br />
Wolfenbüttel; vgl. Weimann a.a.O. S. 244.<br />
7 Shakespeare, William: »All’s Well thats ends Well«.<br />
In: »The Works of William Shakespeare«, Leipzig<br />
1868, Band 2, S.103. Deutsch »Sämtliche Werke«,<br />
Berlin 1956, Band 2, S. 807.<br />
8 Nashe, Thomas: »The Unfortunate Traveller,<br />
or The Life of Jack Wilton«, <strong>de</strong>utsch von Jutta<br />
Schlösser, Berlin und Weimar 1982, S. 31.<br />
9Johnson, Ben: »Volpone o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Fuchs und an<strong>de</strong>re<br />
Komödien«, <strong>de</strong>utsch von Anselm Schlösser,<br />
Leipzig 1973, S. 48 f. und S.191ff.<br />
10 Burton, Robert: »Anatomie <strong>de</strong>r Melancholie«,<br />
<strong>de</strong>utsch von Ulrich Horstmann, München 1991,<br />
S. 323 f.<br />
24<br />
ANMERKUNGEN<br />
so, wie Reinhold Schnei<strong>de</strong>r von ihm schrieb,<br />
er »sah <strong>de</strong>n Menschen in seiner ganz bestimmten<br />
<strong>Ges</strong>chichtszeit, <strong>de</strong>m ›historischen<br />
Augenblick‹, und lehrte, dass die Zeit einwirke<br />
auf <strong>de</strong>n Organismus und seine Funktionen.<br />
Zugleich suchte er <strong>de</strong>n Kranken im<br />
Kosmos, er, <strong>de</strong>r auf revolutionäre Weise<br />
seine Erfahrung einsetzte gegen die in<br />
Schriften überlieferte Medizin, gegen Hippokrates<br />
und Galen, stimmte doch mit<br />
<strong>de</strong>n Alten überein, mit Empedokles und<br />
Pythagoras: nur in <strong>de</strong>r Beziehung zum<br />
Kosmos wie zum Lebensgeheimnis <strong>de</strong>s<br />
einzelnen mit recht dosiertem Gift – <strong>de</strong>nn<br />
Gift ist in je<strong>de</strong>m Medikament und in je<strong>de</strong>r<br />
Speise – in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nstun<strong>de</strong>, da Arzt<br />
und Patient gemeinsam Gott begegnen,<br />
kann Heilung gelingen. Seltsamer Mann!« 26<br />
11 Grimmelshausen, Hans J.Christoffel von: »Der<br />
abenteuerliche Simplicissimus«,Berlin1955,S. 531f.<br />
12 Pontenelle, Bernard <strong>de</strong>: »Totengespräche«, <strong>de</strong>utsch<br />
von Hans-Horst Henschen, Frankfurt am Main<br />
1991.<br />
13 ebd. S. 250.<br />
14 Wieland, Christoph Martin: »Teutscher Merkur«,<br />
Jahrgang 1776, 3.Vierteljahr, S. 85 ff.<br />
15 Goethe, Johann Wolfgang von: »Materialien zur<br />
<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Farbenlehre«. In: Hamburger<br />
Ausgabe, 1960, Band XIV, Kapitel »Paracelsus«<br />
S.77 ff.; im 8. Buch von »Dichtung und Wahrheit«:<br />
Paracelsus-Lektüre mit Susanne von Klettenberg,<br />
a.a.O. Band IX, S. 338 ff.; vgl.dazu auch Weimann,<br />
a.a. O.S. 254 f.<br />
16 Hoffmann, Ernst Theodor Ama<strong>de</strong>us: »Der Elementargeist«,<br />
in Poetische Werke, Berlin 1958, Band 6,<br />
S. 412 f. u. S. 424.<br />
17 Heine, Heinrich: »Werke und Briefe«, Berlin 1961,<br />
Band 5, S. 237 f.<br />
18 ebd. S. 312 f.<br />
19 Meyer, Conrad Ferdinand: »Sämtliche Werke«,<br />
Band 1, Essen o. J., S. 285 u. S. 287.<br />
20 Schnitzler, Arthur: »Die dramatischen Werke«,<br />
Band 1, Frankfurt am Main 1962, S.498.<br />
21 Hofmannsthal, Hugo von: »Die Gedichte und<br />
kleinen Dramen.«, Leipzig 1911, S.78 u. S. 80.<br />
22 Weimann a.a.O. S. 261.<br />
23 Ortega y Gasset: »<strong>Ges</strong>ammelte Werke« <strong>de</strong>utsch,<br />
Augsburg 1996, Band 3, S. 509 ff.<br />
24 Borges, Jose Luis: »Ausgewählte Werke, Berlin 1982,<br />
Band. 2, S. 254 u. S. 335 u.a.<br />
25 ebd. S.185.<br />
26 Schnei<strong>de</strong>r a.a.0. S. 24 f.<br />
Dr. Klaus Stiebert · Ricarda-Huch-Straße 23 · 01219 Dres<strong>de</strong>n<br />
DerVortrag vom 19.09.2001 im Deutschen Hygiene-Museum Dres<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> bear<strong>bei</strong>tet.