MANUSKRIPTE THESEN INFORMATIONEN - bei Bombastus-Ges.de
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<strong>MANUSKRIPTE</strong><br />
<strong>THESEN</strong><br />
<strong>INFORMATIONEN</strong><br />
HERAUSGEGEBEN VON DER<br />
DEUTSCHEN<br />
BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />
Nr. 4 – 1 · 1993
EDITORIAL......................................................................................................................................................................................1<br />
ANSICHTEN DES PARACELSUS ZU BÄDERN UND KUREN..................................................................................................2<br />
„GOTT WILL NICHT, DASS HERR UND KNECHT UNTER UNS SIND, SONDERN ALLE BRÜDER“ (Paracelsus)............8<br />
EMPFEHLUNGEN.........................................................................................................................................................................16<br />
PARACELSUS............................................................................................................................................................................16<br />
PARACELSUS (1493-1541).......................................................................................................................................................17<br />
EDITORIAL<br />
Der 500. Geburtstag <strong>de</strong>s Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt Paracelsus, ist in diesem Jahr<br />
Anlass, im In- und Ausland eines Mannes zu ge<strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>ssen Leben und Wirken auch noch heute, ja, heute<br />
erst recht, Beachtung verdient und erfor<strong>de</strong>rt. In <strong>de</strong>n vergangenen fünf Jahrhun<strong>de</strong>rten stand <strong>de</strong>r Arzt und<br />
Naturforscher, <strong>de</strong>r Reformator von Medizin und Pharmazie im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Betrachtungen. Angesichts<br />
<strong>de</strong>r Tatsache, dass neben <strong>de</strong>n 14 Bän<strong>de</strong>n medizinischer, naturwissenschaftlicher und philosophischer<br />
Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus - 1922 bis 1933 von Karl Sudhoff herausgegeben - auch etwa noch einmal soviel<br />
theologisch-religionsphilosophische und sozialkritisch-sozialethische Schriften existieren, kann man<br />
annehmen, dass dieser Bereich im Leben <strong>de</strong>s Hohenheimers keine unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle gespielt hat. Warum<br />
ist diese Seite paracelsischen Wirkens so wenig bekannt? Als Johannes Huser zwischen 1589 und 1591 eine<br />
erste Paracelsus-<strong>Ges</strong>amtausgabe von zehn Bän<strong>de</strong>n herausbrachte, vermied er es, die sozialethischen und<br />
sozialkritischen Schriften <strong>de</strong>s Hohenheimers aufzunehmen. Diese Schriften befassten sich mit <strong>de</strong>n<br />
Schwächen von Kirche und Staat, Wirtschaft und <strong>Ges</strong>ellschaftsordnung, mit Obrigkeit, To<strong>de</strong>sstrafe, Krieg<br />
und Eigentum, mit Ehe, Familie und Ar<strong>bei</strong>t. Wollte Huser <strong>de</strong>n ohnehin umstrittenen Arzt durch diese<br />
Schriften nicht zusätzlich belasten? Warum sind diese Schriften nicht in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />
erschienen? War es etwa nicht opportun, auch <strong>de</strong>n Christen Paracelsus zu würdigen, <strong>de</strong>r sein Arzttum aus<br />
seiner christlichen Weltanschauung herleitete? Wie <strong>de</strong>m auch sei - 1923 begann Wilhelm Matthießen im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>amtausgabe Karl Sudhoffs mit <strong>de</strong>r Drucklegung unveröffentlichter theologischer Werke <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus; es erschien nur ein Band. Es ist ein beson<strong>de</strong>res Verdienst Professor Dr. Kurt Goldammers,<br />
Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Internationalen Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft, seit 1955 die auf etwa 14 Bän<strong>de</strong> konzipierten<br />
theologisch-religionsphilosophischen einschließlich <strong>de</strong>r sozialethischen und sozialkritischen Schriften <strong>de</strong>s<br />
Hohenheimers zu bear<strong>bei</strong>ten; davon ist bisher etwa die Hälfte erschienen. Für Paracelsus war das Motiv<br />
ärztlichen Wirkens die Liebe zu <strong>de</strong>n Mitmenschen. Krankheit kann ausgelöst wer<strong>de</strong>n durch eine gestörte<br />
Beziehung zur eigenen Person, zum eigenen Körper, zur Umgebung, zu <strong>de</strong>n Mitmenschen, zu <strong>de</strong>n<br />
Sinnfragen <strong>de</strong>s Lebens, letztlich zu Gott. Krankheit ist - so Paracelsus - Ausdruck von Disharmonie, von<br />
Trennung. Heilung be<strong>de</strong>utet Wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n von Harmonie, be<strong>de</strong>utet Versöhnung mit sich, mit seiner<br />
Umgebung, mit seinen Nächsten, letztlich mit Gott. Heilung, Harmonie, Versöhnung sind jedoch nichts<br />
an<strong>de</strong>res als Äußerungen <strong>de</strong>r Liebe. Paracelsus wusste um diese Zusammenhänge sehr wohl, wusste, dass<br />
man umso erfolgreicher heilen konnte, je mehr man in diesem Sinne liebte. Heilung ist keine<br />
Leistungsbelohnung, son<strong>de</strong>rn Versöhnung mit Gott und seinem Willen, <strong>de</strong>m Schicksal. So kann man also<br />
auch geheilt sein, wenn man zeitlebens gelähmt bleibt. Eine solche Auffassung von Liebe im ärztlichen<br />
Dienst gewann Paracelsus aus seinem Christsein. Er stand zwischen katholischer Kirche und Protestantismus<br />
und war ein unkonventioneller Gottsucher jenseits <strong>bei</strong><strong>de</strong>r großer Konfessionen. Christus war die Mitte seines<br />
Lebens, und alles Wirken <strong>de</strong>s Hohenheimers ist nur aus dieser Mitte heraus zu verstehen, nicht aus<br />
irgendwelchen Randbezirken. Alle Erfolge <strong>de</strong>s Paracelsus haben zwar auch mit seinem enormen Wissen und<br />
seinen großen Erfahrungen zu tun, sind letztendlich aber nur erklärbar mit seinem Ethos, mit <strong>de</strong>r „Liebe als<br />
Grund <strong>de</strong>r Arznei“, mit <strong>de</strong>m Zentrum Christus. Wir sollten <strong>de</strong>shalb die Persönlichkeit Paracelsus viel stärker<br />
unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r Ethik <strong>de</strong>nn unter <strong>de</strong>m erfolgreich praktizierter wissenschaftlicher Metho<strong>de</strong>n sehen.<br />
Mit immer mehr Wissenschaft und immer weniger Ethik hat <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r homo sapiens (sapiens, latein.<br />
= weise, einsichtig, vernünftig) <strong>de</strong>n Planeten Er<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>s Abgrunds gebracht. Nicht<br />
Fluorkohlenwasserstoffe zerstören die menschliche Umwelt, son<strong>de</strong>rn Egoismus, fehlen<strong>de</strong> Rücksichtnahme,<br />
fehlen<strong>de</strong> Nächstenliebe! Menschen haben immer dann etwas Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen<br />
Entsprechen<strong>de</strong>s geleistet, wenn sie von ethischen Motiven ausgingen. Man <strong>de</strong>nke z. B. an August Hermann<br />
Francke (1663 bis 1727), <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Franckeschen Stiftungen in Halle mit ihren Schulen und
Waisenhäusern, o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Dichter Matthias Claudius (1740-1815), <strong>de</strong>r als Fazit seines Lebens seinem<br />
Sohne das Vermächtnis hinterlässt: „Gehe nicht aus <strong>de</strong>r Welt, ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für <strong>de</strong>n<br />
Stifter <strong>de</strong>s Christentums durch irgend etwas öffentlich bezeugt zu haben.“ Man <strong>de</strong>nke z. B. an <strong>de</strong>n<br />
Schriftsteller Johannes Daniel Falk (1768-1826), <strong>de</strong>r in Weimar die „<strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Not“<br />
grün<strong>de</strong>te, um sich in einem großangelegten sozialen und pädagogischen Hilfswerk <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n<br />
napoleonischen Kriegen gefähr<strong>de</strong>ten und verwahrlosten Jugend anzunehmen. Man <strong>de</strong>nke an Friedrich von<br />
Bo<strong>de</strong>lschwingh (1831-1910), <strong>de</strong>r die Kranken- und Fürsorgeanstalten in Bethel <strong>bei</strong> Bielefeld begrün<strong>de</strong>te,<br />
und an seinen gleichnamigen Sohn (1877-1946), <strong>de</strong>r seine Pfleglinge gegen die Vernichtungsabsichten <strong>de</strong>r<br />
Nationalsozialisten verteidigte. Man <strong>de</strong>nke an Mutter Theresa, an die vielen Mitar<strong>bei</strong>ter karitativer<br />
Organisationen in aller Welt - so sieht Nächstenliebe aus! Wo stün<strong>de</strong> die Welt, wenn alle diese<br />
Persönlichkeiten nicht gewirkt hätten? Die Größe <strong>de</strong>s Paracelsus liegt darin, dass er mit <strong>de</strong>m, was er auch im<br />
sozialethischen Bereich formulierte, nicht nur seine Zeit meinte, son<strong>de</strong>rn Gültiges für künftige Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
markierte. Zweifellos erkennt man in <strong>de</strong>n sozialethischen Schriften <strong>de</strong>s Hohenheimers auch die Sehnsucht<br />
nach einem Gottesreich auf Er<strong>de</strong>n, nach einer Theokratie. Die sozialen Theorien eines Karl Marx sind am<br />
Egoismus ihrer Apologeten unwi<strong>de</strong>rruflich zugrun<strong>de</strong> gegangen; das ist eine historische Erfahrung. Die<br />
Nächstenliebe aus christlicher Ethik hat zwar die Welt noch nicht zum Guten verän<strong>de</strong>rt, aber wo sie<br />
praktiziert wird gibt es geordnete, harmonische und in je<strong>de</strong>r Hinsicht gesun<strong>de</strong> Verhältnisse. Auch das ist eine<br />
Erfahrung, zu <strong>de</strong>r es keine Alternative gibt. Auf diese Verantwortung und Fürsorge für <strong>de</strong>n Menschen neben<br />
mir <strong>de</strong>utlich hingewiesen zu haben, ist auch ein Verdienst <strong>de</strong>s Paracelsus, <strong>de</strong>ssen wir uns im Jubiläumsjahr<br />
erinnern sollten. Paracelsus schrieb: „Gott hat uns Gaben geben auf Er<strong>de</strong>n und Kräft <strong>de</strong>rselbigen, die ein<br />
jeglicher gebrauchen kann und soll, nicht sich selber, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn als sich selbst. Darum ist sich<br />
wohl zu be<strong>de</strong>nken, wie eine jegliche Gab zu gebrauchen sei gegen <strong>de</strong>m Nächsten, damit das Gebot Gottes<br />
vollkommen erfüllt wer<strong>de</strong>, wiewohl <strong>de</strong>r Satan diese Liebe <strong>de</strong>s Nächsten gar heftig und viel verhin<strong>de</strong>rt hat<br />
und auf <strong>de</strong>n Eigennutz zieht und treibet ... Der <strong>de</strong>n Nächsten liebet, <strong>de</strong>r liebet auch Gott et econtra (soviel<br />
wie: und umgekehrt - G. I.). Diese zwei Gebot sind zusammen vermählet wie Weib und Mann, da kein<br />
Schei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Liebe ist“. 1 Besinnen wir uns dieser unserer Gaben und Kräfte zum Nutzen <strong>de</strong>s Nächsten!<br />
Damit ehren wir Paracelsus mehr als mit Ge<strong>de</strong>nkfeiern und Kränzen - und wir besännen uns endlich <strong>de</strong>r<br />
Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen, die <strong>de</strong>r Hohenheimer meint.<br />
1 in: Goldammer, K., PARACELSUS -Vom Licht<br />
<strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes. Eine Auswahl.<br />
Philipp Reclam jun. Stuttgart 1984, S. 177<br />
Vorstand und Verwaltungsrat<br />
<strong>de</strong>r BOMBASTUS-GESELLSCHAFT e.V.<br />
Dres<strong>de</strong>n<br />
ANSICHTEN DES PARACELSUS<br />
ZU BÄDERN UND KUREN<br />
Im Jahre 1525 veröffentlichte Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt Paracelsus, eine Schrift<br />
„von <strong>de</strong>n natürlichen be<strong>de</strong>rn“, die oft „Bä<strong>de</strong>rbüchlein“ genannt wird. Sie gehört zu <strong>de</strong>n wenigen verbrieft zu<br />
Lebzeiten erschienenen schriftlichen Hinterlassenschaften <strong>de</strong>s Paracelsus. Die Mehrzahl seiner heute<br />
bekannten o<strong>de</strong>r auszugsweise erwähnten Schriften wur<strong>de</strong> erst Jahre nach seinem To<strong>de</strong> gedruckt, wegen <strong>de</strong>r<br />
damaligen wirtschaftlichen Bedingungen, <strong>de</strong>r erst in <strong>de</strong>r Entwicklung begriffenen Drucktechnik und<br />
erschwert durch <strong>de</strong>n häufigen Ortswechsel <strong>de</strong>s Verfassers. Da die Werke <strong>de</strong>s Paracelsus im Original nur<br />
schwer verständlich sind, hat es verschie<strong>de</strong>ne Versuche <strong>de</strong>r Überar<strong>bei</strong>tung, z. B. von Sudhoff und Aschner,<br />
gegeben sowie sehr interessante Bear<strong>bei</strong>tungen und Ausführungen, veröffentlicht durch die Internationale<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft in Salzburg. Zusätzlich zu <strong>de</strong>r genannten Schrift verfasste Paracelsus etwa 10 Jahre
später für <strong>de</strong>n Abt von Pfäfers ein Ba<strong>de</strong>konzilium; außer<strong>de</strong>m sind Fragmente einer Schrift über die<br />
Thermalwässer bekannt. Diese Ausführungen lassen die Stellung von Paracelsus erkennen, <strong>de</strong>r nicht etwa,<br />
wie oftmals dargestellt, im Sinne eines „Erfin<strong>de</strong>rs“ eine neue Medizin begrün<strong>de</strong>te. Er wirkte vielmehr im<br />
Rahmen seines vielseitigen Schaffens auch auf medizinischem Gebiete als Reformator. In diesem Punkte ist<br />
er Martin Luther vergleichbar, <strong>de</strong>r - ohne <strong>de</strong>ssen überragen<strong>de</strong> Verdienste in irgen<strong>de</strong>iner Weise schmälern zu<br />
wollen - insofern für sein reformatorisches Werk eine günstigere Ausgangsbasis als Paracelsus hatte, als er<br />
vom geschriebenen Wort <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ausgehen konnte. Dagegen war die Medizin über die<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rte, unter <strong>de</strong>m Einfluss <strong>de</strong>r griechischen und arabischen Medizin hin bis zur Scholastik <strong>de</strong>s<br />
Mittelalters, in vielen festen Formen erstarrt. Die Bä<strong>de</strong>rkun<strong>de</strong> stellt ein Teilgebiet <strong>de</strong>r Medizin dar, in <strong>de</strong>m<br />
die reformatorische Wirksamkeit <strong>de</strong>s Paracelsus beson<strong>de</strong>rs spürbar wur<strong>de</strong>, zum Teil mit noch heute gültigen<br />
Ergebnissen. Obwohl die physikalischen und chemischen Erkenntnisse zu damaliger Zeit noch gering waren,<br />
hat Paracelsus aufgrund seiner intensiven Beobachtungen und praktischen Anwendungen eine Neuordnung<br />
eingeleitet.<br />
Zum besseren Verständnis erscheint es angezeigt, sich einen kurzen Überblick über die Entwicklung und<br />
Situation <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>s Kurwesens bis zur Zeit von Paracelsus zu verschaffen. Wir verfügen über zum<br />
Teil 6000 Jahre alte Hinweise und Darstellungen - beson<strong>de</strong>rs aus Ägypten, Indien, Griechenland und Rom -<br />
bezüglich <strong>de</strong>s Wissens <strong>de</strong>r Menschen um die notwendige Nutzung <strong>de</strong>s Wassers zur Erhaltung <strong>de</strong>s Lebens<br />
und zur Hygiene. Speziell die natürlichen Thermen stan<strong>de</strong>n in hohem Ansehen, wur<strong>de</strong> doch <strong>de</strong>m Feuer und<br />
<strong>de</strong>m Wasser eine reinigen<strong>de</strong> Wirkung zugeschrieben, ebenso <strong>de</strong>m Wasser <strong>de</strong>s Lebens aus <strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong>. Außer <strong>de</strong>n medizinischen Anwendungen durch Medizinmänner und Schamanen waren es bereits<br />
frühzeitig Priesterärzte und Religionsgrün<strong>de</strong>r, die aus hygienischen und religiösen Grün<strong>de</strong>n Wasser<br />
anwen<strong>de</strong>ten. Aber bereits zu Urzeiten wird auch <strong>de</strong>m Ba<strong>de</strong>n in Flüssen (Indien) o<strong>de</strong>r im Meer Heilwirkung<br />
zugeschrieben. Zarathustra, Moses, Manu und Mohammed erließen Vorschriften über das Waschen und<br />
Ba<strong>de</strong>n.<br />
Die ersten gezielten Indikationen zur Wasserbehandlung stammen aus <strong>de</strong>m altägyptischen Kulturkreis und<br />
wur<strong>de</strong>n von da aus von <strong>de</strong>n Griechen übernommen; so liegen wissenschaftliche Erkenntnisse von<br />
Hippokrates vor. Ba<strong>de</strong>orte mit Heilquellen waren Behandlungsstellen, aber auch in zunehmen<strong>de</strong>m Maße<br />
Zentren <strong>de</strong>r Unterhaltung und Kultstätten im gesamten Mittelmeerraum. An <strong>de</strong>rartigen Orten wur<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>n<br />
- Salben - Massieren - Sport - Frisieren und Rasieren beson<strong>de</strong>rs gepflegt. Bereits ab 3. Jh. v. Chr. besaßen<br />
die Römer Thermen mit Luxuscharakter als Ausdruck von Macht und Reichtum während <strong>de</strong>r Kaiserzeit. Die<br />
Thermen von Caracalla sind noch heute imposante Ruinen in Rom. Am berühmtesten waren die Thermen<br />
von Diokletian: 3200 Menschen konnten gleichzeitig diese Thermen nutzen, in <strong>de</strong>nen bis zu 3000<br />
Alabasterwannen und Marmorsessel beschrieben wur<strong>de</strong>n. Dazu kamen noch Schwimmbecken mit<br />
Maximalgrößen von 70 x 40 m. Aber auch außerhalb dieser Riesenanlagen entstan<strong>de</strong>n in zunehmen<strong>de</strong>m<br />
Maße sogenannte „Volksbä<strong>de</strong>r“. Man schätzt etwa 300 n. Chr. in Rom 800 solcher kleiner Einrichtungen,<br />
die täglich benutzt wur<strong>de</strong>n und zwar kostenfrei. Hinzu kamen Privatbä<strong>de</strong>r in Villenanlagen. In geringem<br />
Maße wur<strong>de</strong>n kalte Quellen, kalte Güsse sowie Dampf-, Heißluft-, Sand- und Schlammbä<strong>de</strong>r genutzt; die<br />
Indikationen dazu waren vielfältig. Im Vor<strong>de</strong>rgrund stan<strong>de</strong>n Abhärtungsmaßnahmen, die beson<strong>de</strong>rs gern für<br />
Sklaven angewandt wur<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>ren <strong>Ges</strong>undheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten. In <strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />
nach <strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong> kam es allmählich zu Auswüchsen; die Thermen wur<strong>de</strong>n „Herbergen <strong>de</strong>s Lasters“,<br />
Spielhallen, Tänzerinnen wur<strong>de</strong>n engagiert. Das führte letzten En<strong>de</strong>s dazu, dass das Ba<strong>de</strong>leben „für die<br />
Tugend <strong>de</strong>r Frauen“ gefährlich war. Die Nutzung von Quellen und Bä<strong>de</strong>rn sowie Ausbau von Ba<strong>de</strong>orten<br />
kam mit Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>s Römischen Reiches gen Nor<strong>de</strong>n bis Britannien, aber ebenso nach Westeuropa<br />
(Portugal) und nach Nordafrika. Bekannte Orte aus damaliger Zeit in unserem Raum sind Wiesba<strong>de</strong>n,<br />
Aachen, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n, Pyrmont, Trier, Ba<strong>de</strong>nweiler, St. Moritz. Parallel zum Nie<strong>de</strong>rgang Roms, d. h. <strong>de</strong>ssen<br />
Verfall, zerfiel auch das römische Ba<strong>de</strong>wesen. Seine Tradition wur<strong>de</strong> jedoch beson<strong>de</strong>rs im arabischen und<br />
türkischen Raum weitergeführt. Im europäischen Raum erfolgte eine relativ langsame Ausbreitung; Wannen-<br />
und Schwitzbä<strong>de</strong>r verabreichte man in Klöstern und Burgen. Bekannt wur<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>einrichtungen in <strong>de</strong>n<br />
Klöstern auf <strong>de</strong>r Insel Reichenau, Einsie<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Schweiz, Engelberg und St. Gallen. Die Kirche hatte
großen Einfluss auf die Entwicklung <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>wesens. Sie bekämpfte <strong>de</strong>n übertriebenen römischen Luxus,<br />
und Augustin stellte um 400 n. Chr. fest: „Ein Bad im Monat ist gera<strong>de</strong> noch mit <strong>de</strong>m christlichen Glauben<br />
zu vereinigen.“ Der Verzicht auf Bä<strong>de</strong>r war eine ebenso asketische Leistung wie das Fasten; anerkannt war<br />
jedoch das Ba<strong>de</strong>n aus therapeutischen Grün<strong>de</strong>n. Die Aachener Regel besagte, dass Mönche ohne<br />
Son<strong>de</strong>rgenehmigung zweimal im Jahre ba<strong>de</strong>n durften und zwar vor Ostern und Weihnachten.<br />
Über die Jahrtausendwen<strong>de</strong> hinweg entstan<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n Städten, die an Einwohnerzahl zunahmen,<br />
aus hygienischen Grün<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>stuben, aus <strong>de</strong>nen sich im 12./13.Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Beruf <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>rs<br />
entwickelte. Geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> die Ausbreitung <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r durch die Kreuzzüge zwischen 1096 und 1270, die<br />
aus <strong>de</strong>m arabischen Raum hochentwickelte Ba<strong>de</strong>kultur und -prozeduren mitbrachten. Größere Ba<strong>de</strong>stuben<br />
wur<strong>de</strong>n zu Ba<strong>de</strong>anstalten mit Ausklei<strong>de</strong>- und Ruheräumen ausgebaut, die Ba<strong>de</strong>r übernahmen Haarschnei<strong>de</strong>n<br />
und Rasieren, und es konnte Verpflegung eingenommen wer<strong>de</strong>n. Dazu wur<strong>de</strong>n vermehrt medizinische<br />
Maßnahmen eingeführt, z.B. das Schröpfen, <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>rlass, die Fußpflege und in <strong>de</strong>r Folge auch Zahnziehen,<br />
Behandlung von Verrenkungen und Knochenbrüchen. So wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Berufsbild <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>r allmählich<br />
eine Zunft, die ab 15. Jh. in wissenschaftliche Medizin, die Chirurgie, einmün<strong>de</strong>te. Es wur<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>regeln<br />
entwickelt, z. B. für Bekleidung; so das ausgeschnittene Ba<strong>de</strong>hemd <strong>de</strong>r Damen und die Ba<strong>de</strong>hose =<br />
„Ba<strong>de</strong>ehr“ <strong>de</strong>r Männer. Dazu trug man als Kopfbe<strong>de</strong>ckung meist Strohhüte. Vor <strong>de</strong>m Ba<strong>de</strong>n musste man<br />
sich reinigen, das geschah durch Abwaschungen und Abgießungen o<strong>de</strong>r Abreibungen mit Lauge (Seife war<br />
zu teuer) sowie Schwitzprozeduren mit anschließen<strong>de</strong>n Abgüssen.<br />
Die Indikationen waren noch sehr unspezifisch, angeführt sind u. a. Fieber, Alter, Epilepsie, Koliken,<br />
„heftige Liebesglut“ und Melancholie. Dazu spielte die Astrologie eine Rolle hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Mondstellungen (beson<strong>de</strong>rs günstige Wirkung erwartete man <strong>bei</strong> abnehmen<strong>de</strong>m Mond) und <strong>de</strong>r Sternbil<strong>de</strong>r<br />
(hier<strong>bei</strong> beson<strong>de</strong>rs erwähnt Wid<strong>de</strong>r, Schütze, Krebs, Waage, Skorpion und Fische). Der Aufenthalt in <strong>de</strong>n<br />
Ba<strong>de</strong>einrichtungen erstreckte sich oft über <strong>de</strong>n ganzen Tag, wo<strong>bei</strong> Aufenthalte im Wasser von vier bis sechs<br />
Stun<strong>de</strong>n keine Seltenheit darstellten. Dazu mussten natürlich die Ba<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n entsprechend beschäftigt wer<strong>de</strong>n<br />
und so wur<strong>de</strong> die Unterhaltung eine immer vor<strong>de</strong>rgründigere, das Ba<strong>de</strong>leben immer ausschweifen<strong>de</strong>r. Das<br />
gemeinsame Ba<strong>de</strong>n von Frauen und Männern, von <strong>de</strong>r Kirche bekämpft, setzte sich durch. Das Ba<strong>de</strong>n<br />
gehörte letzten En<strong>de</strong>s zum täglichen Leben, statt Trinkgeld wur<strong>de</strong> Handwerkern Ba<strong>de</strong>geld gegeben,<br />
Richtfeste in Ba<strong>de</strong>stuben gefeiert, das gemeinsame Sonnabend-Bad <strong>de</strong>r Zünfte auf Kosten <strong>de</strong>r Bauherren<br />
durchgeführt sowie Gastempfänge und selbst Hochzeiten in Bä<strong>de</strong>rn absolviert. Einschränkungen gab es nur<br />
an Freitagen und in <strong>de</strong>r Karwoche. So wur<strong>de</strong> in einigen größeren Städten <strong>de</strong>r Freitag Ba<strong>de</strong>tag <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n. Der<br />
Ruf <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>stuben wur<strong>de</strong> unter all <strong>de</strong>m immer schlechter; die Kirchen protestierten heftig und verboten<br />
allen Geistlichen <strong>de</strong>n Besuch von Ba<strong>de</strong>stuben. Aber auch Kontraindikationen waren damals schon bekannt;<br />
dazu gehörten Zahnschmerzen, frische Wun<strong>de</strong>n und Fieber sowie ein Verbot für Kranke mit Lepra und Pest<br />
und lei<strong>de</strong>r erst zu spät für Syphilis, <strong>de</strong>ren Verbreitung bis zum 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt sich sehr negativ auf<br />
Ba<strong>de</strong>stuben und Sitten auswirkte und zu einem weitgehen<strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>rselben führte. Im Mittelalter,<br />
etwa ab 13./14. Jahrhun<strong>de</strong>rt, wur<strong>de</strong>n die aus früheren Jahrhun<strong>de</strong>rten bekannten Mineral- und Thermalquellen<br />
wie<strong>de</strong>r verstärkt genutzt. „Ba<strong>de</strong>fahrten“ kamen wie<strong>de</strong>r in Mo<strong>de</strong>, beson<strong>de</strong>rs nach Italien, Österreich, <strong>de</strong>r<br />
Schweiz und Deutschland. Es muss aber erwähnt wer<strong>de</strong>n, dass da<strong>bei</strong> die Massensuggestion und <strong>de</strong>r<br />
Aberglaube bezüglich <strong>de</strong>r erwarteten Wirkungen eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle spielten. In <strong>de</strong>r Regel absolvierte<br />
man die Ba<strong>de</strong>prozeduren, -fahrten und -kuren ohne spezielle Kenntnisse <strong>de</strong>r Wirkungsweisen und<br />
entsprechen<strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>technik. Das war die Situation, die Paracelsus vorfand und die Toxites, Herausgeber <strong>de</strong>s<br />
Ba<strong>de</strong>büchleins von Paracelsus, wie folgt schil<strong>de</strong>rte: „Es ist ein gemeiner Brauch <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Ärzten, dass sie<br />
gern in die Bä<strong>de</strong>r raten, was die Arznei nicht helfen will, daraus oft mehr Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Nutzen und<br />
Wohlfahrt befun<strong>de</strong>n wird. Zu<strong>de</strong>m so begehrt auch <strong>de</strong>r gemeine Haufen oft wi<strong>de</strong>r sich selbst nichts an<strong>de</strong>res<br />
<strong>de</strong>nn zu ba<strong>de</strong>n, weiß nicht warum, hofft das Wasser soll ihn gesund machen, zieht dahin ohne Rat, vermeint<br />
die Sache wohl angestellt zu haben, wenn er bald in die Retz kommt, darin liegt er wie ein Schwein Tag und<br />
Nacht, isst und trinkt dazu ohne alle Ordnung, als wenn er sich selbst wollte o<strong>de</strong>r müsste zersie<strong>de</strong>n. Von<br />
<strong>bei</strong><strong>de</strong>n Teilen folgt viele Unrat, schwere Krankheiten, oft <strong>de</strong>r Tod wie <strong>de</strong>r Exempel jährlich viel in allen<br />
Bä<strong>de</strong>rn sich begeben.“ Paracelsus, und das dürfen wir nicht vergessen, musste sich selbst erst von <strong>de</strong>n<br />
damals herrschen<strong>de</strong>n Lehrmeinungen und Gewohnheiten befreien. Er hat versucht, neben <strong>de</strong>r Beschreibung
einiger Ba<strong>de</strong>orte und <strong>de</strong>ren Quellen die Entstehung und Wirkung nach seinen Erfahrungen zu erklären,<br />
wo<strong>bei</strong> er beson<strong>de</strong>ren Wert auf die Einhaltung von Indikationen und Ba<strong>de</strong>technik legte, um so die<br />
Missverhältnisse und unangenehmen Nebenwirkungen abzubauen und damit die vorhan<strong>de</strong>nen Missstän<strong>de</strong><br />
und unsinnigen Verhaltensweisen zu korrigieren. Er beginnt seine Ausführungen damit: „Anfenglich, so ich<br />
die ursach <strong>de</strong>r warmen be<strong>de</strong>rn anzeigen sol, ist die erst ursach scaratio und das auf ein solchen grunt zu<br />
beschreiben, erstlich, so ist die notdurft zupissen, was separatio sei.“ Er begrün<strong>de</strong>t in mehreren Abschnitten<br />
die Wirkung <strong>de</strong>s Wassers wie folgt:<br />
„Am Anfang <strong>de</strong>r Dinge war die gleiche Temperatur da. Wie je<strong>de</strong> Temperatur aus zwei wi<strong>de</strong>rwärtigen<br />
Dingen zusammengesetzt ist, so ist es auch hier. Die Scheidung (Trennung) hat das Heiße vom Kalten<br />
getrennt. Am Anfang vor <strong>de</strong>r Scheidung waren Tag und Nacht, Sonne und Mond, Sommer und Winter, alle<br />
Metalle in einem Körper, alle <strong>Ges</strong>chöpfe auch. Wie es notwendig war, die Lichter zu schei<strong>de</strong>n, Sommer und<br />
Winter usw., war es auch notwendig, das kalte vom warmen Wasser zu schei<strong>de</strong>n. Darum sollen solche<br />
warmen Wässer neben <strong>de</strong>n kalten Wässern und allen an<strong>de</strong>ren Gewächsen geschätzt und geachtet wer<strong>de</strong>n.<br />
Wie auch alle an<strong>de</strong>ren Dinge, Arznei, Zucker und Salz, Honig von Bitteren, ursprünglich in einem Körper<br />
waren, und erst geschie<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n, waren auch warmes und kaltes Wasser in einem Körper. Das warme<br />
Wasser hat seine Eigenschaften und das kalte auch. Für viel Leute, Gras und Bäume ist es in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>talt, wie<br />
es ist, am besten. Es können auch in an<strong>de</strong>rer Weise warme Wässer aus kalten durch Verwandlung<br />
entspringen.“<br />
Paracelsus war noch nicht über geologische Tiefenstufen informiert und glaubte <strong>de</strong>shalb, dass als eine <strong>de</strong>r<br />
Ursachen für heißes Wasser das Durchlaufen von Kalk verantwortlich sei. „Es gibt aber auch an<strong>de</strong>re<br />
Ursprünge mancher Bä<strong>de</strong>r. Ihr sahet die Feuerberge und Kohlenberge; sie haben die Art <strong>de</strong>s Aetna an sich.<br />
Sie brennen, obwohl ihr Körper nur Stein- und Erdreich ist und können we<strong>de</strong>r durch Regen noch durch<br />
Wasser gelöscht wer<strong>de</strong>n. Dieses Wun<strong>de</strong>r geschieht vom Zentrum <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, das von <strong>de</strong>r Mitte aus durch<br />
einen Stollen o<strong>de</strong>r Gang verbun<strong>de</strong>n ist.“ Damit erkannte Paracelsus <strong>de</strong>n vulkanischen Ursprung von heißen<br />
Quellen. Be<strong>de</strong>utung maß Paracelsus ebenso <strong>de</strong>n Inhaltsstoffen <strong>bei</strong>; er unterschied das Vitriol sowie Salze<br />
und Minerale, z. B. die Salze <strong>de</strong>s Salpeters, und stellte fest, dass diese in <strong>de</strong>n warmen Bä<strong>de</strong>rn enthalten sind,<br />
aber auch organische Inhaltsstoffe, z. B. im Moorbad. „Der Brunnen zu Eger, das ist also Franzensbad,<br />
nimmt seine Säure aus <strong>de</strong>m Fänel <strong>de</strong>s Mooses und hat seinen kleinen Anhang von <strong>de</strong>n bemel<strong>de</strong>n<br />
mineralibus.“ Paracelsus war also bekannt, dass Moor mineralarm ist.<br />
Aus <strong>de</strong>n unterschiedlichen Inhaltsstoffen wur<strong>de</strong>n von ihm die diversen Anwendungsmöglichkeiten <strong>de</strong>r<br />
warmen Wässer abgeleitet, so die Anwesenheit von Silber in <strong>de</strong>n Wässern als wirksam <strong>bei</strong> Krankheiten <strong>de</strong>r<br />
Gelenke erachtet, Merkurius <strong>bei</strong> Alopecia, Pruritus und gewöhnlichen <strong>Ges</strong>chwüren. Bä<strong>de</strong>r, die aus <strong>de</strong>m<br />
Eisen entspringen, geben wun<strong>de</strong>rbare Heilung <strong>bei</strong> Fieber und Fäulnis. Vom Kampfer stammt die Art zu<br />
reinigen und zu säubern Schä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Körpers und abzuführen; vom Zinn her die Behandlung von<br />
krebsartigen <strong>Ges</strong>chwüren. Von Blei entsprungene Bä<strong>de</strong>r sollen zur Erreichung eines langen Lebens dienen.<br />
Paracelsus entwickelt eine Theorie, dass Bä<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Flüssigkeiten auch <strong>de</strong>r E<strong>de</strong>lsteine ihren Ursprung<br />
haben, daneben Gewächse in Wässern gelöst sein können, die wichtig sind, z. B. zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Schlafes.<br />
Er erwähnt außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n unterschiedlichen <strong>Ges</strong>chmack verschie<strong>de</strong>ner Gewässer und führt dies auf <strong>de</strong>n<br />
Einfluss von Salzbrunnen in Salzbergen zurück. „Ein Arzt soll sie erkennen und wissen, dass darin ist nicht<br />
nur die Medizin, son<strong>de</strong>rn auch die Philosophie, die einem Arzt gebührt.“ Er verlangt vom Arzt, dass er die<br />
Tugend und die Art <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r erkennen müsse und wisse, welche Minerale sie enthalten, um damit auf<br />
bestimmte Krankheiten einzuwirken. „Denn manche leisten auch das Gegenteil, sie machen krank und<br />
ver<strong>de</strong>rben. Daher soll ein Arzt die Kraft aller Minerale erkennen, dann weiß er, welches in <strong>de</strong>m Ba<strong>de</strong><br />
vorherrscht. Er weiß dadurch, welche Natur <strong>de</strong>r Menschen geheilt wer<strong>de</strong>n kann und welche nicht o<strong>de</strong>r ob die<br />
Zeit <strong>de</strong>r Heilung da ist. So heilt Merkurius wun<strong>de</strong>rbar die Franzosenkrankheit und Flechten. Wenn die Zeit<br />
und die Art <strong>de</strong>r Krankheit übersehen wer<strong>de</strong>n, so verdirbt er ebenso viel wie er gut macht. Immer sollt Ihr<br />
<strong>de</strong>shalb die Praxis und Theorie beachten.“<br />
Aber auch zur Hygiene trifft Paracelsus grundsätzliche Festlegungen: „Sich begeben auch mancherlei wasser<br />
von <strong>de</strong>n tieren und menschen, als die tümpff, da solche würm und fisch teglich in ligen; solche wasser zu
a<strong>de</strong>n zu gebrauchen, sind <strong>de</strong>r natur wi<strong>de</strong>rwärtig aus ursachen, das sie von irer vergiftigkeit wegen ein<br />
erblich reu<strong>de</strong> und kretze machen, auch <strong>de</strong>nen, so daraus trinken.“ Er führt auch Krankheiten, wie die<br />
Wurmkrankheit, auf das Trinken von verschmutztem Wasser zurück. „Wenn das Wasser aus <strong>de</strong>m Becken<br />
aber trübe ist, so leit es in <strong>de</strong>n Höhlen; solch Wasser hat kein son<strong>de</strong>rlich nützliche Art an ihm, als allein zu<br />
gebären die Würm.“<br />
Eine wichtige Verhaltensweise ist die Einhaltung einer Diät <strong>bei</strong> allen Krankheiten und Bä<strong>de</strong>rn. Die<br />
Lebensweise soll nach <strong>de</strong>m Inhalt je<strong>de</strong>r Krankheit geordnet wer<strong>de</strong>n, die Eigenschaft <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s und die Diät<br />
zusammenstimmen. „Die Bä<strong>de</strong>r von Arsenik bringen ihre Wirkung nur, wenn man Abstinenz einhält.“ Bei<br />
Bä<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Gol<strong>de</strong>s soll das Beste von Essen und Trinken verordnet wer<strong>de</strong>n, <strong>bei</strong> Podagra, Flüssen usw.<br />
vollkommene Enthaltung. Auch die Zeit <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>ns sei zu beachten, viel o<strong>de</strong>r wenig soll verordnet wer<strong>de</strong>n<br />
(Ba<strong>de</strong>dauer, Tages- und Jahreszeit). „Die Heilung muss jedoch vom Ba<strong>de</strong> kommen, darum muss man am<br />
meisten achten, <strong>de</strong>n richtigen Brunnen als Bad zu treffen. Denn wenn <strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn die Stärke fehlt, helfen die<br />
Diät und Ordnung <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Besserung mit, jedoch nicht <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Heilung.“ „Es ist auch das Höchste an einem<br />
Arzt, <strong>de</strong>r die Kranken in die Bä<strong>de</strong>r schickt, zu wissen, ob <strong>de</strong>r Kranke auf keinerlei Weise durch eine an<strong>de</strong>re<br />
Arznei geheilt wer<strong>de</strong>n könnte. Der Brauch ist so, wenn <strong>de</strong>r Arzt an einem Kranken verzweifelt und eine<br />
zukünftige Verschlechterung fürchtet, rät er als Entschuldigung ein Bad. Viele gebrauchen auch nur zum<br />
eigenen Vergnügen ein Bad.“ „Die Zusammensetzung muss vollkommen sein. Man kann ein Bad nicht<br />
gegen alle Krankheiten verordnen. So soll man nicht alle Kranken zusammen in einen Kasten setzen, um<br />
16erlei Krankheiten miteinan<strong>de</strong>r zu vertreiben, son<strong>de</strong>rn man soll für je<strong>de</strong> Krankheit das Passen<strong>de</strong> verordnen.<br />
Man muss daher gut aufpassen, damit man alle Eigenschaften kenne.“ Das sind sehr ernsthafte Ermahnungen<br />
an die Ärzte bezüglich <strong>de</strong>r Verordnung von Ba<strong>de</strong>kuren. Das Einhalten fester Ba<strong>de</strong>regeln war nicht nur <strong>bei</strong><br />
<strong>de</strong>n damaligen Übertreibungen (Ba<strong>de</strong>zeiten bis zu sechs, acht Stun<strong>de</strong>n täglich usw.) angezeigt, son<strong>de</strong>rn hat<br />
auch heute noch Gültigkeit. Eine generelle Ba<strong>de</strong>dauer kann nicht angegeben wer<strong>de</strong>n, „sie ist abhängig von<br />
<strong>de</strong>r Krankheit, <strong>de</strong>r Stärke <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Jahreszeit und nicht vom Rat <strong>de</strong>s Doktors. Das Bad regiert nach<br />
seinem Willen. Wer nur nach <strong>de</strong>r Zahl han<strong>de</strong>ln wollte und die Kraft <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s wäre nicht so, dann wür<strong>de</strong> ein<br />
Ärgernis daraus entstehen.“ „Mit Speise und Trank soll man es mäßig und fleißig halten und in keiner Weise<br />
Völlerei treiben. Man soll sich warm halten und sich nicht mit kaltem Wasser benetzen. Auch vor <strong>de</strong>m Wind<br />
soll man sich hüten, <strong>de</strong>sgleichen mit Klei<strong>de</strong>rn und Schuhen wohl verwahren. Man soll auch <strong>de</strong>r<br />
Unkeuschheit nicht pflegen und durch solche Dinge die Kräfte <strong>de</strong>s Wassers nicht verwirken. Zur<br />
allgemeinen Ordnung <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s gehört es, folgen<strong>de</strong>s zu vermei<strong>de</strong>n: Knoblauch, Zwiebel, Rettich, Senf,<br />
Lauch, Branntwein, Milchmüser, Käse; Quark nur frisch zubereitet. Wildbret nur, wenn es zur richtigen Zeit<br />
gefangen wur<strong>de</strong>. Schweinefleisch, Geisfleisch und altes Fleisch, Fisch vor allem Schleie, Dreuschen und<br />
Aale. Vom Gebackenen altbackenes Brot und Gerstenbrot, gemengten starken trüben o<strong>de</strong>r sauren Wein.“<br />
Was an<strong>de</strong>re Speisen sind, wer<strong>de</strong>n sie erlaubt und für gesund befun<strong>de</strong>n. Kein Gewürz soll gebraucht wer<strong>de</strong>n<br />
außer Zimt, Safran und Muskatblüte. Es soll sich auch je<strong>de</strong>r seiner Krankheit entsprechend mehr o<strong>de</strong>r<br />
min<strong>de</strong>r schonen. „Was weiter notwendig ist, berichten die Leute, die das Bad verwalten; <strong>de</strong>nn die tägliche<br />
Erfahrung übertrifft die Ratschläge <strong>de</strong>r Bücher. Für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r ba<strong>de</strong>t, ist es nützlich, wenn er auch keine<br />
Arznei gebraucht, außer je<strong>de</strong>n Morgen 3 Wachol<strong>de</strong>rbeeren in Essig sowie morgens und abends nach <strong>de</strong>m<br />
Essen 2 o<strong>de</strong>r 3 Korian<strong>de</strong>rkörnlein aus <strong>de</strong>m Essig genommen.“ „Es gibt da viele Krankheiten, die je<strong>de</strong>s Jahr,<br />
manche je<strong>de</strong>s zweite, manche je<strong>de</strong>s dritte o<strong>de</strong>r vierte Jahr eine Ba<strong>de</strong>reise erfor<strong>de</strong>rn. Dies soll eingehalten<br />
wer<strong>de</strong>n. Es gibt aber auch eine Reihe von Krankheiten, für die die Natur <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s zu schwach ist und die<br />
zusätzlicher Behandlung bedürfen.“ Paracelsus empfiehlt dafür Einreibungen und Packungen.<br />
Aufgrund seiner umfangreichen Reisen beschreibt Paracelsus eine Reihe von Ba<strong>de</strong>orten und <strong>de</strong>ren<br />
Wirkungsweisen, z. B. - Bad Pfeffers, <strong>de</strong>ssen Wirkungsweise er beson<strong>de</strong>rs eingehend studierte: geeignet für<br />
Podagra, Lähmungen, Rekonvaleszenz, und er empfiehlt je nach Krankheit Kräuterzusätze. Er weist die<br />
Doktoren und Ärzte (Doktoren sind wissenschaftlich ausgebil<strong>de</strong>te Ärzte, während die Ärzte sich mehr auf<br />
Allgemeinpraktiker beziehen) darauf hin, „dass gut wissen sollte: Was durch außer Purgationen gereinigt<br />
wer<strong>de</strong>n soll, das könnt ihr in dieses Bad Pfeffers schicken.“ Er hält <strong>de</strong>ssen natürliche Wirkung für so<br />
vortrefflich, dass die Dauer <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>reise je nach Krankheit in 9, 10 o<strong>de</strong>r auch 12 o<strong>de</strong>r 15 Tagen
einzurichten ist. Evtl. müsste man noch etwas zurechnen und er bemerkt, dass die „Bosheit und das Alter <strong>de</strong>r<br />
Krankheit nicht immer auf einmal ausgezogen wer<strong>de</strong>n können“, es sei dann eine zweite o<strong>de</strong>r dritte Ba<strong>de</strong>reise<br />
notwendig. - Bad Ba<strong>de</strong>n: geeignet für Stoffwechselerkrankungen, Frauenkrankheiten, Gelenkschmerzen.<br />
- Bad Wallis: mit <strong>de</strong>n gleichen Eigenschaften, aber <strong>de</strong>r Indikationseinschränkung: „es scha<strong>de</strong>t <strong>bei</strong><br />
entzün<strong>de</strong>ten Augen und Ohren und <strong>bei</strong> Darmkoliken“.<br />
- Bad Plumbers: Hier warnt er vor zu häufigem Ba<strong>de</strong>n, was zu Ausschlägen ohne Nutzen und zu Müdigkeit<br />
führen kann. „Es bricht <strong>Ges</strong>chwüre auf, die dann nicht heilen.“<br />
- Westerbad eignet sich beson<strong>de</strong>rs für offene Wun<strong>de</strong>n und Ulcerationen sowie Fisteln durch gleichzeitige<br />
Beigabe von Lehm in das Ba<strong>de</strong>wasser o<strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong> Lehmauflagen.<br />
- Nie<strong>de</strong>rba<strong>de</strong>n, Wildbad und Zellerbad sind nach Paracelsus gleichen Ursprungs, alle drei Thermalbä<strong>de</strong>r. Sie<br />
wirken vor allem durch Kalkbestandteile roborierend und reinigend.<br />
- Badgastein: Hier war Paracelsus die Radonwirkung noch nicht bekannt und er führte die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Ba<strong>de</strong>s auf Kalk und Salpeter zurück.<br />
- Gleiches schreibt er über Döpplik in Böhmen (gemeint ist sicher Teplitz), Ba<strong>de</strong>n in Oesterreich und<br />
Villach.<br />
- Weiter beschreibt er die Brunnen bzw. Bä<strong>de</strong>r von Göppingen, Eger (Franzensbad), Koblenz und<br />
Salzsulzen.<br />
Er fasst zusammen: „Außer <strong>de</strong>m was ich von <strong>de</strong>n Kräften <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r geschrieben habe, wisset, dass noch viel<br />
seltsamere Kräfte und Tugen<strong>de</strong>n in ihnen liegen, die noch nicht gründlich bekannt sind. Wegen <strong>de</strong>s schlecht<br />
Verstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Doktoren und Ärzte wer<strong>de</strong>n die Bä<strong>de</strong>r so sehr missbraucht, dass die Eigenschaft <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>s in<br />
<strong>de</strong>n Kranken nichts bewirken kann. Je<strong>de</strong> Tugend, die gegen ihre Art gebraucht wird, verläuft ohne<br />
Wirkungen. Es gibt auch viele Bä<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>ren Namen ich nicht kenne. Damit aber die<br />
Eigenschaften <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r leichter und besser verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, merket euch, welchen Kräutern und<br />
Simplicia sie verglichen wer<strong>de</strong>n:<br />
- Bad Pfeffers gleich <strong>de</strong>r Melisse, <strong>de</strong>r Feldzypresse;<br />
- Oberba<strong>de</strong>n gleich <strong>de</strong>r Artenisia, Basilikum und Pfingstrose;<br />
- Wallis gleich <strong>de</strong>m Alaun, <strong>de</strong>m Stiefmütterchen und <strong>de</strong>n Staubgefäßen <strong>de</strong>r Lilien;<br />
- Nie<strong>de</strong>rba<strong>de</strong>n gleich <strong>de</strong>n Kamillen;<br />
- Badgastein gleich <strong>de</strong>r Melisse und Kamille.“<br />
„Merket euch aber, diese Kräuter sind zwar vortrefflich, können aber manchmal die Hilfe versagen. So<br />
wirken die Bä<strong>de</strong>r in ihren Tugen<strong>de</strong>n.“ Alle Dinge, die sich auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zeigen, seien „aus drei Dingen<br />
gemacht, nämlich: Sulfur, Merkurius und Sal. Daraus können die Kräfte und Tugen<strong>de</strong>n nachfolgend erkannt<br />
wer<strong>de</strong>n; die Bä<strong>de</strong>r in Europa zeigen es an und lassen es erkennen.“ Mit <strong>de</strong>n in seinem Ba<strong>de</strong>büchlein<br />
dargelegten Ansichten unterschei<strong>de</strong>t Paracelsus sich grundlegend von <strong>de</strong>n bis dahin vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Veröffentlichungen. Er erkennt die Ba<strong>de</strong>heilkun<strong>de</strong> in vollem Umfange an und sucht als erster Erklärungen<br />
für die Wirkungen <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>ren Inhaltsstoffe, Paracelsus zeigt das Wer<strong>de</strong>n und Vergehen auf dieser<br />
Welt an in <strong>de</strong>n Beispielen <strong>de</strong>r Jahreszeiten, <strong>de</strong>m Wachstum <strong>de</strong>r Kräuter während <strong>de</strong>s Sommers und ihr<br />
Vergehen mit seinem Schei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Mondphasen. Er stellt wie<strong>de</strong>rholt Beziehungen her zur<br />
Pharmakologie, in<strong>de</strong>m er die Wirkung von Mineralien, Metallen und Pflanzen nicht nur vergleicht, son<strong>de</strong>rn<br />
auch als zusätzlichen Behandlungsfaktor einbringt.<br />
Sicher sind wir heute in einigen Spezialgebieten aufgrund <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Weiterentwicklung etwas<br />
umfassen<strong>de</strong>r informiert. Wir sollten aber be<strong>de</strong>nken, dass Paracelsus seine Zeit nicht nur weit überflügelte<br />
und vor knapp 500 Jahren bereits hervorragen<strong>de</strong> Erkenntnisse bezüglich <strong>de</strong>r Indikation, Ba<strong>de</strong>technik, Diät u.<br />
a. postulierte. Diese wichtigen For<strong>de</strong>rungen, Hinweise und Empfehlungen sind - nicht nur seiner Zeit<br />
entsprechend - auch heute noch durchaus von Be<strong>de</strong>utung:<br />
- Das Ba<strong>de</strong>vergnügen nicht als Unterhaltung son<strong>de</strong>rn als gezielt ärztliche Verordnung zu wirkungsvoller<br />
Rehabilitation sowie zur Prophylaxe <strong>bei</strong> funktionellen Störungen - etwa entsprechend <strong>de</strong>n heutigen<br />
stationären bzw. ambulanten Kuren.<br />
- Der verordnen<strong>de</strong> Arzt muss die Wirkungskomponenten <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>orte kennen, in die er seine Patienten<br />
einweist.
- Der im Ba<strong>de</strong>ort tätige Arzt ist mittels seiner Erfahrungen zuständig und verantwortlich für die individuelle<br />
Behandlung vor Ort.<br />
- Für eine erfolgreiche Ba<strong>de</strong>therapie von Be<strong>de</strong>utung ist die Einhaltung <strong>de</strong>r wichtigsten Indikationen und<br />
Kontraindikationen.<br />
- Einhaltung von „Ba<strong>de</strong>techniken“, wie z. B. Ba<strong>de</strong>dauer, Häufigkeit, Tageszeit, Jahreszeit.<br />
- Diät kann - je nach Krankheit - <strong>bei</strong> Ba<strong>de</strong>kuren von großer Be<strong>de</strong>utung sein.<br />
- Mögliche Steigerung <strong>de</strong>r Wirkung durch Zusätze (Pflanzen - Mineralien).<br />
- Sparsame Kombination von Pharma- und Balneotherapie <strong>bei</strong> entsprechen<strong>de</strong>r Indikation möglich und nötig.<br />
- For<strong>de</strong>rungen an die Patienten zur Einhaltung <strong>de</strong>r Verordnungen und Ba<strong>de</strong>regeln, um zur „Ba<strong>de</strong>wirkung“<br />
<strong>bei</strong>zutragen.<br />
- Integration <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>kuren in die <strong>Ges</strong>amtbehandlung - so auch gezielte Wie<strong>de</strong>rholungskuren je nach Art<br />
und Stadium <strong>de</strong>r Erkrankung nach 2 bis 4 Jahren.<br />
Dieser Versuch einer auszugsweisen Darstellung <strong>de</strong>r Schrift „von <strong>de</strong>n natürlichen be<strong>de</strong>rn“ (genannt<br />
Bä<strong>de</strong>rbüchlein) aus heutiger Sicht erhebt keinen Anspruch auf Vollkommenheit; er soll vielmehr das<br />
reformatorische Anliegen <strong>de</strong>s großen Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt Paracelsus,<br />
aufzeigen, das dann auch aus seinen 1535 erschienenen Schriften ersichtlich ist, wo da u. a. steht: „... daß<br />
diese göttliche Gabe wegen <strong>de</strong>r unerfahrenen Ärzte zum Nutzen <strong>de</strong>r Kranken geschaffen wur<strong>de</strong>.“<br />
Dr. med. Wolfgang Klinger<br />
Falkensteinstraße 2 A - 01814 Bad Schandau-Ostrau<br />
(Literaturnachweise sind <strong>bei</strong>m Verfasser zu erfragen.)<br />
„GOTT WILL NICHT, DASS HERR UND KNECHT<br />
UNTER UNS SIND, SONDERN ALLE BRÜDER“ (Paracelsus)<br />
1.<br />
Wie „ein Talent sich in <strong>de</strong>r Stille“ bil<strong>de</strong>t und „ein Charakter in <strong>de</strong>m Strom <strong>de</strong>r Welt“ (Goethe, „Torquato<br />
Tasso“, 1/2), ist auch am Lebensweg <strong>de</strong>s Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim (1493 -1541), genannt<br />
Paracelsus, erkennbar. Geboren und bis zu seinem 9. Lebensjahr aufgewachsen im Tal <strong>de</strong>r Sihl <strong>bei</strong><br />
Einsie<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Schweiz, lernte <strong>de</strong>r junge Theophrastus die Enge seiner Heimat mit all ihrem Glauben und<br />
Aberglauben kennen. Das gute Verstehen mit <strong>de</strong>m als Arzt tätigen Vater führte <strong>de</strong>n jungen Theophrastus<br />
sehr bald auch ein in <strong>de</strong>n weiten Bereich von Krankheit, Leid und Tod. Es ist sehr gut vorstellbar, dass<br />
während <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rjahre in Einsie<strong>de</strong>ln im jungen Theophrastus <strong>de</strong>r Wunsch entstand, Arzt zu wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r<br />
letzten Hälfte seines Lebens, um 1533, verlässt Paracelsus St. Gallen, um zunächst in das nahe gelegene<br />
Appenzeller Land zu wan<strong>de</strong>rn. Nach Jahren <strong>de</strong>s Umherziehens durch fast ganz Europa und <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
Wirkens, das nicht ohne Konfrontationen verlief, zieht sich Paracelsus vorübergehend in die Stille dieser<br />
Schweizer Landschaft zurück, um <strong>de</strong>n armen und notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bauern Arzt und Prediger zu sein, um ihnen<br />
in leiblicher wie geistlicher Not zu helfen. Wenn nicht schon vorher, dann gewiss hier muss <strong>de</strong>m<br />
Hohenheimer klar gewor<strong>de</strong>n sein, dass es neben körperlichen Wun<strong>de</strong>n und Gebrechen auch solche im<br />
sozialen Bereich gibt. In seinen theologischen und religionsphilosophischen Schriften wi<strong>de</strong>rspiegelt sich <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus’ Erkenntnis, dass <strong>de</strong>r Mensch nicht nur ein Individuum, son<strong>de</strong>rn auch ein sozial geprägtes Wesen<br />
ist. Man kann wohl <strong>de</strong>n Arzt Paracelsus erst richtig verstehen, wenn man <strong>de</strong>n Sozialethiker und<br />
Sozialkritiker Paracelsus kennt. Gewiss, Paracelsus war ein ausgesprochener Individualist und Außenseiter,<br />
kein Angepasster, keiner, <strong>de</strong>r sich irgendwie und mit irgend jeman<strong>de</strong>m arrangierte. Das schloss aber nicht<br />
aus, dass er sich <strong>de</strong>r sozialen Frage in bemerkenswerter Deutlichkeit zuwandte. Paracelsus stand während<br />
<strong>de</strong>r Salzburger Unruhen auf Seiten <strong>de</strong>r Bauern. Er hatte als Feldarzt während <strong>de</strong>s Venedischen Krieges 1516,
<strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rländischen Krieges 1519 und <strong>de</strong>s Dänischen Krieges 1520 die Not <strong>de</strong>s „kleinen Mannes“ hautnah<br />
kennen gelernt, zumal die eigentliche Not erst mit <strong>de</strong>r Heimkehr aus <strong>de</strong>m Krieg anwuchs, mit <strong>de</strong>r<br />
verletzungsbedingten Erwerbsunfähigkeit und <strong>de</strong>n sich daraus ergeben<strong>de</strong>n Problemen. Hautnah hatte <strong>de</strong>r<br />
Hohenheimer die soziale Frage auch während seiner Aufenthalte in <strong>de</strong>n österreichischen Bergbaugebieten<br />
erlebt, die Ar<strong>bei</strong>tslast, die Krankheiten, die Armut und die sich z. B. aus <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Altersversorgung<br />
ergeben<strong>de</strong>n Probleme. Paracelsus war trotz seines leicht aufbrausen<strong>de</strong>n Wesens gewiss kein Revolutionär,<br />
aber er gewann aus seinen Erfahrungen als Arzt wie auch als Laienprediger die Erkenntnis von <strong>de</strong>r<br />
Notwendigkeit <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r menschlichen <strong>Ges</strong>ellschaft. Paracelsus hatte die Schwächen von Kirche<br />
und Staat, von Wirtschaft und <strong>Ges</strong>ellschaftsordnung sehr gut erkannt. Er wollte auch die sozialen Wun<strong>de</strong>n<br />
und Gebrechen heilen, und was er in seinen sozialethischen und sozialkritischen Schriften als Therapie<br />
formulierte, war ungewöhnlich und für seine Umwelt beängstigend. Was Paracelsus for<strong>de</strong>rte, musste die<br />
Obrigkeit schockieren: Die Abschaffung von To<strong>de</strong>sstrafe und Krieg, die Teilung <strong>de</strong>s Ar<strong>bei</strong>tsertrages o<strong>de</strong>r<br />
seine kritische Prüfung <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong>ordnung. Paracelsus setzte sich auseinan<strong>de</strong>r mit Eigentum und Ar<strong>bei</strong>t<br />
sowie mit Ehe und Familie, mit Kin<strong>de</strong>rerziehung und Armenfürsorge sowie mit <strong>de</strong>m vernünftigen Umgang<br />
mit Besitz und Vermögen. Ehe und Familie waren für <strong>de</strong>n Hohenheimer die Grundlagen <strong>de</strong>r menschlichen<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft. Paracelsus war kein Humanist im Sinne <strong>de</strong>s Erasmus von Rotterdam, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n Problemen,<br />
die <strong>de</strong>n Hohenheimer belasteten, überhaupt nicht in Berührung kam. Paracelsus war ein unkonventioneller<br />
Christ. Christus war die Mitte seines Lebens, und alles Wirken <strong>de</strong>s Hohenheimers ist nur aus dieser Mitte<br />
heraus zu verstehen, nicht aus irgendwelchen Randbezirken. Paracelsus konnte nicht Arzt sein ohne diese<br />
Mitte, und er musste sich zur Mühseligkeit <strong>de</strong>r menschlichen Existenz äußern, die sich ihm in <strong>de</strong>r sozialen<br />
Frage offenbarte. Sein Therapiekonzept im sozialen Bereich lautete daher: „Gott will nicht, dass Herr und<br />
Knecht unter uns sind, son<strong>de</strong>rn alle Brü<strong>de</strong>r“ .<br />
2.<br />
Die erste Abteilung <strong>de</strong>r sämtlichen Werke <strong>de</strong>s Paracelsus umfasst seine medizinischen,<br />
naturwissenschaftlichen und philosophischen Schriften. Diese Abteilung umfasst 14 Bän<strong>de</strong> und wur<strong>de</strong><br />
zwischen 1922 und 1933 von Karl Sudhoff herausgegeben. Die zweite Abteilung mit <strong>de</strong>n ursprünglich auf<br />
ca. 14 Bän<strong>de</strong> konzipierten theologisch-religionsphilosophischen Schriften <strong>de</strong>s Hohenheimers wird von Prof.<br />
Dr. Kurt Goldammer bear<strong>bei</strong>tet und herausgegeben; davon ist bis jetzt etwa die Hälfte erschienen. Wenn <strong>bei</strong><br />
<strong>de</strong>r Paracelsus-Betrachtung <strong>de</strong>r Arzt und Naturforscher meist zuerst genannt wird bzw. im Mittelpunkt steht,<br />
so <strong>de</strong>uten die Hinterlassenschaften <strong>de</strong>s Hohenheimers auf eine an<strong>de</strong>re Richtung hin: Der Christ Paracelsus<br />
artikuliert sich min<strong>de</strong>stens ebenso <strong>de</strong>utlich wie <strong>de</strong>r Arzt und Naturforscher - Paracelsus war Christ und Arzt,<br />
und überall in seinen Schriften ist diese Einheit von Wissen und Han<strong>de</strong>ln erkennbar. So sind z. B. im 2.<br />
Band <strong>de</strong>r von Kurt Goldammer herausgegebenen theologisch-religionsphilosophischen Schriften <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus u.a. enthalten:<br />
„De honesti utrisque divitiis“, vom rechten Gebrauch <strong>de</strong>r Güter,<br />
„De tempore laboris et requiei“, von Ar<strong>bei</strong>tszeit und Erholung,<br />
„De virtute humana“, von <strong>de</strong>r menschlichen Tugend,<br />
„De iustitia“, von <strong>de</strong>r Gerechtigkeit bzw. vom Recht als Inbegriff <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>etze,<br />
„De magnificis et superbis“, von Pomp und Hoffart, d. h. von <strong>de</strong>r Obrigkeit,<br />
„De nupta, <strong>de</strong> alienis rebus non concupiscendis“, von <strong>de</strong>r Heirat und Eigentumsfragen.<br />
Der aus Groß-Glogau in Schlesien stammen<strong>de</strong> und in Waldkirch/Breisgau wirken<strong>de</strong> Arzt Johannes Huser<br />
gab im Auftrag <strong>de</strong>s Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Ernst, Pfalzgraf <strong>bei</strong> Rhein und Herzog in Ober- und<br />
Nie<strong>de</strong>rbayern, zwischen 1589 und 1591 eine erste Paracelsus-<strong>Ges</strong>amtausgabe heraus. Die Manuskripte trug<br />
Huser u. a. aus Neuburg an <strong>de</strong>r Donau, Hirschberg in Schlesien, Klagenfurt, Ansbach, Solothurn, Görlitz,<br />
Augsburg und Bern zusammen. Diese Manuskripte bestan<strong>de</strong>n aus Abschriften <strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s Hohenheimers,<br />
aber auch aus inzwischen verloren gegangenen Autographen. Diese Ausgabe erschien <strong>bei</strong> Conrad Waldkirch<br />
und umfasste 10 Bän<strong>de</strong>, davon 7 medizinisch-naturwissenschaftlichen und 3 philosophischen Inhalts. Die<br />
oben genannten sozialethischen und sozialkritischen Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus nahm Huser in seine<br />
<strong>Ges</strong>amtausgabe nicht auf, Möglicherweise - wer will das heute sagen können! - hat Huser <strong>de</strong>n ohnehin
umstrittenen Arzt Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim durch diese Schriften nicht zusätzlich belasten<br />
wollen. Prof. Dr. Kurt Goldammer bemerkt, dass das Weiterwirken <strong>de</strong>r sozialethischen und sozialkritischen<br />
Entwürfe <strong>de</strong>s Paracelsus und ihre Überlieferung „unterirdisch“ und auf kleine Kreise beschränkt erfolgte. Es<br />
ist im Rahmen dieser Ausführungen unmöglich, das sozialethische und sozialkritische Wirken <strong>de</strong>s<br />
Hohenheimers auch nur annähernd darzustellen; je<strong>de</strong> einzelne seiner Schriften ergäbe Stoff genug für einen<br />
geson<strong>de</strong>rten Vortrag. Aber ein erster Einblick soll vermittelt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r möglicherweise ver<strong>de</strong>utlicht, dass<br />
Paracelsus in all seinem Wirken von christlicher Grundlage ausging, die sein gesamtes Denken und Tun<br />
bestimmte, auch sein Arztsein.<br />
3.<br />
Nicht nur Ärzte und Alchemisten, Bergleute und Ba<strong>de</strong>r, Bauern und alte Frauen waren im Verlauf seiner<br />
jahrelangen Wan<strong>de</strong>rungen seine Lehrer, son<strong>de</strong>rn auch die einfachen, bedürftigen und in keiner Weise<br />
privilegierten Leute. Paracelsus’ unersättliche Wissbegier<strong>de</strong> führte sehr bald auch - und vor allem während<br />
seiner Wan<strong>de</strong>rjahre - zu <strong>de</strong>r Erkenntnis, dass es zwar soziale Klassen und Schichten gibt, diese aber für sein<br />
Han<strong>de</strong>ln be<strong>de</strong>utungslos waren: Er half je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihn um Hilfe bat. Seine Sympathien für die<br />
Aufständischen im Salzburger Land zwangen ihn 1524 zur Flucht aus Salzburg, zur Flucht vor <strong>de</strong>m Zugriff<br />
<strong>de</strong>s Erzbischofs Kardinal Lang. Paracelsus war <strong>de</strong>r Auffassung, dass die Reichen und Mächtigen durch die<br />
von ihnen errichteten Strukturen die gottgewollte Ordnung zerstören und damit die einfachen Leute<br />
bedrücken. Deshalb stellte er sich grundsätzlich gegen die Vornehmen und Herrschen<strong>de</strong>n, stellte er sich auf<br />
die Seite <strong>de</strong>r Benachteiligten. Das führte zwangsläufig zu einem unbequemen Leben, <strong>de</strong>m jegliche Sicherheit<br />
durch Anpassung und Einfügen fehlte. In seiner Schrift „De honestis utrisque divitiis“ geht Paracelsus von<br />
<strong>de</strong>r Erkenntnis aus, dass Gott will, dass „keiner vor seinem gericht wer<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>r sein nechsten gehan<strong>de</strong>lt<br />
haben gefun<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r sich an<strong>de</strong>rst ernert, als gebürlich zum heiligen leben ernere“ 2 . Demzufolge besteht für<br />
<strong>de</strong>n Hohenheimer <strong>de</strong>r „selig weg <strong>de</strong>r narung“ (= in <strong>de</strong>r Wirtschaft - GI) allein in <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t und nicht im<br />
Müßiggang. Gütererwerb ohne Ar<strong>bei</strong>t verwirft Paracelsus mit <strong>de</strong>r Begründung, dass dies <strong>de</strong>n Weg zur<br />
Seligkeit verbaue. Man solle seine Glie<strong>de</strong>r gebrauchen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und<br />
be<strong>de</strong>nken, keinen Schatz zu sammeln, <strong>de</strong>n ohnehin die Schädlinge vernichten (siehe auch Matth. 6/19-21<br />
sowie Matth. 6/31-34), son<strong>de</strong>rn man solle mit <strong>de</strong>n Bedürftigen teilen. „So du nun <strong>de</strong>r bist, <strong>de</strong>r sein ar<strong>bei</strong>t<br />
anlegt nit zur reichtumb, son<strong>de</strong>r in die notdurft (= notwendiger Bedarf - GI), so bistu selig und dir wird<br />
Wol“ 3 . Paracelsus fasst gegen En<strong>de</strong> seiner Schrift „De honestis...“ seine diesbezüglichen Erkenntnisse<br />
zusammen in <strong>de</strong>m Gedanken, dass Wohlleben im Diesseits das Elend im Jenseits be<strong>de</strong>ute und schreibt: „Das<br />
ist die selig reichtumb, daß in seim guet keiner sein lust sucht, son<strong>de</strong>rn sein narung und eines nechsten nutz.<br />
und do<strong>bei</strong> ge<strong>de</strong>nk, daß hie uf er<strong>de</strong>n kein freud soll sein on schweiß, angst und not“ 4 . Das waren keine Worte<br />
zur Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reichen und Privilegierten! Paracelsus wollte mit seinen sozialethischen und sozialkritischen<br />
Darlegungen vermutlich keinen fachwissenschaftlichen Beitrag leisten, son<strong>de</strong>rn die Gewissen orientieren<br />
und schärfen. Es ist nicht uninteressant, dass sich sein großer Zeitgenosse Martin Luther 1524 zum gleichen<br />
Problemkreis äußerte in <strong>de</strong>r Schrift „Über Han<strong>de</strong>l und Zinswirtschaft“. Auch Luther rang um neue, aus <strong>de</strong>m<br />
Glauben kommen<strong>de</strong> Ansätze zur Bewältigung <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n sozialen Probleme. Auch Luther sah die<br />
Ursache für die Missstän<strong>de</strong> seiner Zeit in einer Verletzung <strong>de</strong>s Gebotes <strong>de</strong>r Nächstenliebe: „Wenn ich (<strong>de</strong>r<br />
Kaufmann - GI) nur meinen Gewinn habe und meine Habsucht befriedige, was geht es mich an, wenn damit<br />
meinem Nächsten zehnfacher Scha<strong>de</strong>n auf einmal entsteht? Da siehst du, daß dieser Wahlspruch direkt und<br />
schamlos nicht nur gegen die christliche Liebe, son<strong>de</strong>rn auch gegen das Naturgesetz verstößt“ 5 . In <strong>de</strong>r 1520<br />
herausgegebenen Schrift „Eine kurze Form <strong>de</strong>r Zehn Gebote, eine kurze Form <strong>de</strong>s Glaubensbekenntnisses,<br />
eine kurze Form <strong>de</strong>s Vaterunsers“ nimmt Luther auch Stellung zur Nächstenliebe und schreibt: „So ist es<br />
also verboten, seinem Nächsten in allen seinen Gütern zu scha<strong>de</strong>n, und geboten, ihm darin zu helfen. Wenn<br />
wir nun das ansehen, was von Natur ganz selbstverständlich sein sollte, so fin<strong>de</strong>n wir, wie recht und billig<br />
alle diese Gebote sind. Denn hier wird nichts geboten, gegenüber Gott und <strong>de</strong>m Nächsten einzuhalten, was<br />
nicht je<strong>de</strong>r gegenüber sich selbst eingehalten haben wollte, wenn er Gott bzw. an Gottes o<strong>de</strong>r seines<br />
Nächsten Stelle wäre. Die letzten <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Gebote lehren, wie verdorben die menschliche Natur ist und wie<br />
rein wir sein sollten von allen ver<strong>de</strong>rblichen Gelüsten und <strong>de</strong>m Verlangen nach vielem Besitz“ 6
(Hervorhebung durch <strong>de</strong>n Autor). Der große Reformator und <strong>de</strong>r Hohenheimer sprachen diesbezüglich eine<br />
Sprache! In allen seinen Überlegungen zur sozialen Frage orientiert sich Paracelsus immer wie<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r<br />
Mitte, an Gott und Christus, so auch in Sachen Obrigkeit. Es gibt für <strong>de</strong>n Hohenheimer nur eine Obrigkeit,<br />
nämlich Gott, „und weiter keiner mehr. Was sonst ist, das ist alles unter Gott, keiner <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Herr noch<br />
Meister, Gebieter noch Zwinger“ 7 . Eine gute Obrigkeit solle in allen Dingen allein Gottes Rat beherzigen<br />
und dazu <strong>bei</strong>tragen, dass sich die Menschen wie Brü<strong>de</strong>r und Schwestern verhalten und einan<strong>de</strong>r helfen.<br />
Wenn jedoch alle Menschen Brü<strong>de</strong>r sind, dann kann es keine Stan<strong>de</strong>sunterschie<strong>de</strong> geben. In seiner nicht<br />
immer geschliffenen Sprache formuliert <strong>de</strong>r Hohenheimer: „Was bist du, E<strong>de</strong>lmann? Was bist du, Bürger?<br />
Was bist du, Kaufmann? Stinkt <strong>de</strong>in Dreck nit so übel als <strong>de</strong>s Bauern Dreck? Ja freilich, und noch viel ärger<br />
dazu! Was machst du aus dir selber, so du doch gleich <strong>de</strong>s Geblüts, Ge<strong>bei</strong>ns und Fleisch bist als <strong>de</strong>r Bauer,<br />
und gleich so wohl <strong>de</strong>n Würmern, und zu Staub und Aschen und wie<strong>de</strong>r zur Er<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n musst? Wer will<br />
<strong>de</strong>nn dich im Beinhaus neben <strong>de</strong>m Bauern o<strong>de</strong>r Bettler erkennen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ine Ge<strong>bei</strong>ne edler schätzen ?“ 8 .<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für die Beurteilung eines Menschen sind für Paracelsus <strong>de</strong>r innere Wert, die Tugen<strong>de</strong>n,<br />
niemals jedoch Stand, Reichtum o<strong>de</strong>r Titel. Seine schlechte Meinung von <strong>de</strong>r Obrigkeit artikuliert <strong>de</strong>r<br />
Hohenheimer in <strong>de</strong>r Feststellung, dass in Versammlungen und Ratssitzungen die Obrigkeit<br />
zusammenkomme, um die Armen zu betrügen, um zum eigenen Vorteil, zum eigenen Ansehen, zum eigenen<br />
Reichtum zu beschließen. Die Unterprivilegierten wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb stets in Armut und Jammer verbleiben.<br />
Paracelsus verlangt von <strong>de</strong>r Obrigkeit, <strong>de</strong>n Armen Recht zu verschaffen und sich um <strong>de</strong>ren Wohl zu<br />
bemühen, nicht um das eigene. Drei Tugen<strong>de</strong>n habe die Obrigkeit zu beachten: Gerechtigkeit, Wahrheit und<br />
Weisheit. Gute Menschen benötigen, so Paracelsus, keine Obrigkeit: „Drumb sind die guten <strong>de</strong>r obrigkeit<br />
nichts schuldig, <strong>de</strong>nn sie haben keine“ 9 . Ob <strong>de</strong>r Hohenheimer damit eine „völlige Herausnahme <strong>de</strong>r Christen<br />
aus <strong>de</strong>n Beziehungen <strong>de</strong>r Staats- und <strong>Ges</strong>ellschaftsordnung“ 10 meint, muss nicht angenommen wer<strong>de</strong>n. Ein<br />
guter Mensch könnte durch praktizierte Nächstenliebe, durch gelebte christliche Tugen<strong>de</strong>n so auftreten, dass<br />
er <strong>de</strong>r ordnen<strong>de</strong>n Hand einer Obrigkeit nicht bedarf. Das ist kein Wi<strong>de</strong>rspruch zu Römer 13/1, da Paulus<br />
formuliert: „je<strong>de</strong>rmann sei untertan <strong>de</strong>r Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne<br />
von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.“ Diese Passage betonte auch Luther und ergänzte<br />
sie durch Römer 13/4: „Denn sie (die Obrigkeit - GI) ist Gottes Dienerin dir zugut. Tust du aber Böses, so<br />
fürchte dich; <strong>de</strong>nn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über<br />
<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Böses tut.“ Luther wollte mit diesem Paulus-Wort die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Obrigkeit hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Bestrafung <strong>de</strong>r Bösen bzw. <strong>de</strong>s Schutzes <strong>de</strong>r Guten begrün<strong>de</strong>n und schrieb: „Wenn die Gewalt und das<br />
Schwert ein Gottesdienst sind ... muss auch das alles Gottesdienst sein, was die Gewalt braucht, um das<br />
Schwert zu führen. Es muss doch einer da sein, <strong>de</strong>r die Bösen fängt, anklagt, hinrichtet (und umgekehrt) die<br />
Guten schützt, entschuldigt, verteidigt und rettet“ 11 . Der Paracelsus wie Luther verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Gedanke zum<br />
Obrigkeitsthema könnte <strong>de</strong>r sein: Obrigkeit und <strong>Ges</strong>etze sind wie eine Richtschnur, an die man sich halten<br />
kann, sind Wegweiser für die, die ohne Obrigkeit nicht wissen wür<strong>de</strong>n, wie und wohin sie zu gehen haben.<br />
Wer allerdings das Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe befolgt, steht über <strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>etzen <strong>de</strong>r Obrigkeit und bedarf ihrer<br />
nicht, <strong>de</strong>nn das letzte Urteil wird für einen Christen ohnehin nicht vor <strong>de</strong>r Obrigkeit gesprochen, son<strong>de</strong>rn vor<br />
Gott. Seine Auffassung von Gerechtigkeit bzw. vom Recht als Inbegriff <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>etze legt Paracelsus im<br />
„Liber <strong>de</strong> iustitia“ dar. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Paulus-Wort im Römerbrief. „Sintemal<br />
darin (im Evangelium Christi - GI) offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus<br />
Glauben in Glauben; wie <strong>de</strong>nn geschrieben steht: Der Gerechte wird seines Glaubens leben“ (Römer 1/17).<br />
Da für <strong>de</strong>n Hohenheimer die Gerechtigkeit im Glauben steht, hat <strong>de</strong>r Glaube mit <strong>de</strong>m „auswendigen gesätz“<br />
nichts zu tun; „darumb (ist) im gesätz kein gerechtigkeit“ 12 . Die Zweifelhaftigkeit menschlicher<br />
Gerechtigkeit macht Paracelsus <strong>de</strong>utlich durch die For<strong>de</strong>rung, dass „alle gerechtigkeit <strong>de</strong>r menschen sollen<br />
inwendig sein und nit auswendig. also welcher die gerechtigkeit bricht, <strong>de</strong>r bricht sie inwendig. dieweil nun<br />
also die gerechtigkeit inwendig ligt, das ist im herzen, und nit auswendig, als mit <strong>de</strong>m leib, sollen wir entlich<br />
versehen (= Vorsorge treffen), in was weg das zu erkennen sei“ 12 . Es ist folgerichtig, dass Paracelsus <strong>de</strong>n<br />
Schluss zieht, dass eine Tat <strong>de</strong>n Menschen nur äußerlich wertet, nicht „inwendig“. „Keiner ist ungerecht<br />
darumb, daß er stilet, darumb daß er mördt, darumb daß er ein ehebrecher ist und <strong>de</strong>rgleichen“, weil das<br />
„leibliche stück“ sind, die <strong>de</strong>r Leib vollbringt. „Aber aus <strong>de</strong>r ursach ist er ungerecht, daß er wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
glauben und liebe gottes tut und seines nechsten“ 13 . Der Maßstab für Recht und Gerechtigkeit ist wie<strong>de</strong>rum
die Nächstenliebe. Aber <strong>de</strong>r Hohenheimer berührt mit dieser Aussage auch das Problem <strong>de</strong>s Motivs für eine<br />
Tat. Wenn Menschen nur nach ihren Taten und Worten, nicht „inwendig“ beurteilt wer<strong>de</strong>n, geht man fast<br />
immer fehl. Die Tat und das Wort sind oft an<strong>de</strong>rs, sobald sie geschehen sind bzw. gesprochen wur<strong>de</strong>n, als<br />
das Motiv war. Im Wort und in <strong>de</strong>r Tat kann sich <strong>de</strong>r Mensch überstürzen, und wür<strong>de</strong> er dann nach Wort und<br />
Tat beurteilt, könnte ein falsches Urteil entstehen. Diese Problematik ist nicht nur eine Aufgabe für die<br />
Justiz, son<strong>de</strong>rn für je<strong>de</strong>n einzelnen. Wer an Christus glaubt, <strong>de</strong>r ist gerecht und leitet seine Motive aus <strong>de</strong>m<br />
Glauben und <strong>de</strong>ssen Gerechtigkeit her. Die Gerechtigkeit in Christus ist die Wahrheit, und diese<br />
Gerechtigkeit macht selig. „Nun dieweil in diesen stücken die seligkeit ist, so hat keiner <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn zu<br />
gebieten: bis also, tu das, tue dis, du kombst sonst nit gen himmel. solches seindt ales irrsal und abweg von<br />
<strong>de</strong>r seligkeit. dann <strong>de</strong>r weg zu <strong>de</strong>r seligkeit will nit gebotten sein (Hervorhebung GI), wann er steht allein im<br />
glauben und sonst in nichten. wird gebotten zue glauben, so wissent, daß nur auf die gehorsamkeit dienet<br />
und nit auf die seligkeit. <strong>de</strong>rgleichen gute lobliche werk tun, wie sie dann mögen durch fasten, betten und<br />
<strong>de</strong>rgleichen erdacht wer<strong>de</strong>n, seindt alle umb sonst“ 14 . Der Weg zur Seligkeit will nicht geboten sein,<br />
son<strong>de</strong>rn kommt aus <strong>de</strong>r eigenen freien Entscheidung nach <strong>de</strong>m Glauben. Im „Sermon von <strong>de</strong>n guten<br />
Werken“ (1520), <strong>de</strong>m „Besten von allem“, was er bisher veröffentlicht habe, formuliert Luther die gleiche<br />
Erkenntnis mit seinen Worten so: „Genauso ist es auch <strong>bei</strong>m Christen, <strong>de</strong>r in diesem Vertrauen zu Gott lebt,<br />
<strong>de</strong>r weiß alle Dinge, vermag alle Dinge und wagt sich an alle Dinge, die zu tun sind. Er tut es fröhlich und<br />
frei (Hervorhebung GI), nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln (Paracelsus: „gute lobliche<br />
werk ... wie fasten, betten“), son<strong>de</strong>rn weil es ihm eine Lust ist, Gott damit zu gefallen. Er dient Gott lauter<br />
und umsonst und begnügt sich damit, daß es Gott gefällt“ 15 . Das Motiv für menschliches Tun soll Gott<br />
gefallen, ob es <strong>de</strong>n Menschen und <strong>de</strong>r Obrigkeit, menschlichem Recht und <strong>Ges</strong>etz gefällt, ist eine an<strong>de</strong>re<br />
Frage: „Petrus aber antwortete und die Apostel und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n<br />
Menschen“ (Apostelgeschichte 5/29). Mit <strong>de</strong>r Bemerkung, dass durch <strong>de</strong>n Glauben „ein jeglicher mensch<br />
sein fürst, sein könig und sein herr, selbst zu gebieten“ 14 wird, unterstreicht <strong>de</strong>r Hohenheimer die Freiheit<br />
und Unabhängigkeit, zu <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r rechte Glauben führt. Luther meint Gleiches am Beginn seiner Schrift „Von<br />
<strong>de</strong>r Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) mit <strong>de</strong>n Worten: „Ein Christ ist ein freier Herr über alle Dinge<br />
und nieman<strong>de</strong>m untertan. Ein Christ ist ein dienstbarer Knecht in allen Dingen und je<strong>de</strong>rmann untertan“ 16 .<br />
Die erste dieser Lutherschen Thesen bezieht sich auf die Freiheit aus <strong>de</strong>m Glauben, die zweite auf die<br />
Nächstenliebe. Paracelsus hatte Recht und <strong>Ges</strong>etz seiner Zeit wahrhaftig in praxi erfahren, <strong>bei</strong> vielen<br />
„kleinen Leuten“ wie am eigenen Leib. Es ist verständlich, dass er seinem Zorn über eine Justiz, die nach<br />
<strong>de</strong>m Grundsatz „Wer die Macht hat, hat das Recht“ urteilt, mit harten Worten Ausdruck verleiht:<br />
„Verflucht seindt ir, ir gesatzerfahrnen dann alle gesatz für sich selbst; glauben in das gesatz, das ist in <strong>de</strong>n<br />
teufel. und heißt euer gesatz justitiam. und so ir justitia seid, wo müeßt Christus sein? aus mit euch hun<strong>de</strong>n,<br />
ir verfluchte gesatzerfahrnen! gehet in das euangelium und nit in euern buchstaben, ir teufel und teuflin!“ 17<br />
4.<br />
Paracelsus lernte Armut und Not seiner Mitmenschen schon in Kindheit und Jugend kennen, von seiner<br />
Heimat Einsie<strong>de</strong>ln bis zum Kärntner Bergbau- und Verhüttungsgebiet. Während seiner Wan<strong>de</strong>rung durch<br />
Europa, während <strong>de</strong>r Salzburger Bauernunruhen wie während seines Aufenthaltes im Appenzeller Land<br />
erfuhr er hautnah die soziale Problematik, wie sie sich in je<strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> darstellte. Mit wachen Sinnen<br />
sammelte <strong>de</strong>r Hohenheimer nicht nur Wissen und Erfahrungen für seinen Beruf, son<strong>de</strong>rn lernte er die soziale<br />
Not eines Kontinents kennen. Diese Erfahrungen nicht nur im Umkreis von Heimat und Vaterland, son<strong>de</strong>rn<br />
in europäischen Dimensionen, diese än<strong>de</strong>rungsbedürftige christlich-abendländische <strong>Ges</strong>ellschaft müssen<br />
Paracelsus sehr empfindlich für soziale Probleme gemacht haben. Nur so erklären sich vielleicht seine<br />
heftig-kritischen Äußerungen zu sozialer Problematik, seine manchmal radikalen und revolutionären<br />
Konzepte. Paracelsus musste nicht nur als medizinischer Außenseiter erscheinen, son<strong>de</strong>rn auch als sozialer<br />
und politischer Ketzer. Da<strong>bei</strong> ging es ihm „nur“ um die Befolgung <strong>de</strong>s Gebotes <strong>de</strong>r Nächstenliebe. Die<br />
Größe dieses Mannes liegt darin, dass er mit <strong>de</strong>m, was er auch im sozialethischen Bereich formulierte, nicht<br />
nur seine Zeit meinte, son<strong>de</strong>rn Gültiges für künftige Jahrhun<strong>de</strong>rte markierte. Es ist legitim, von einer<br />
schöneren Zukunft zu träumen und diesbezügliche Sehnsüchte zu äußern. Zweifellos erkennt man in <strong>de</strong>n
sozialethischen Schriften <strong>de</strong>s Hohenheimers auch die Sehnsucht nach einem Gottesreich auf Er<strong>de</strong>n, nach<br />
einer Theokratie. Sehnsucht hat man nach <strong>de</strong>m, was man liebt.<br />
Paracelsus war ein Christ zwischen katholischer Kirche und Protestantismus. Er war ein Gottsucher mit<br />
eigener Religiosität jenseits <strong>bei</strong><strong>de</strong>r großen Konfessionen. In seinem <strong>Ges</strong>amtwerk, <strong>de</strong>m medizinisch<br />
naturwissenschaftlichen, wie <strong>de</strong>m philosophisch-theologischen geht er von Gott, Mensch und Welt als einem<br />
Ganzen aus. Aus dieser umfassen<strong>de</strong>n Perspektive sah Paracelsus die Einzelheiten, und wohl <strong>de</strong>shalb blieb<br />
sein Werk kein zeitbezogenes, son<strong>de</strong>rn ein für Jahrhun<strong>de</strong>rte gültiges und aktuelles, ja gera<strong>de</strong>zu mo<strong>de</strong>rnes. In<br />
seinen sozialethischen Schriften geht es Paracelsus um die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen. Der Hohenheimer sieht<br />
<strong>de</strong>n Menschen in einer zweifachen Verwandtschaft: Der Mensch ist ein natürliches Wesen, wie es die Tiere<br />
sind -in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Bibel gemacht aus einem „Er<strong>de</strong>nkloß“. Der Mensch ist aber auch gottverwandt,<br />
<strong>de</strong>nn in ihm ist <strong>de</strong>r gestirnte Leib, <strong>de</strong>r himmlische Leib, das Firmament, <strong>de</strong>r „lebendige O<strong>de</strong>m“, <strong>de</strong>n ihm<br />
Gott einblies (l. Mose 2/7). Paracelsus äußert sich zur Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen so: „Wer ist sonst <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Menschen erkennen kann, was er ist, wie groß ihn Gott gemacht hat, als allein <strong>de</strong>r Arzt? Der kann die Werke<br />
Gottes erkennen, wie e<strong>de</strong>l die Welt sei, und noch wie viel edler <strong>de</strong>r Mensch in dieser ist, und wie eins aus<br />
<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn geboren ist und hervorgegangen. Der das nicht weiß, <strong>de</strong>r berühme sich <strong>de</strong>r Arznei nicht. Denn<br />
wun<strong>de</strong>rbarlich ist <strong>de</strong>r Mensch geschaffen und geordnet, wenn man erst in sein recht Wesen kommt, was er<br />
ist ... Und das ist ein Großes, das sie be<strong>de</strong>nken sollen: nichts ist im Himmel noch auf Er<strong>de</strong>n, das nicht im<br />
Menschen sei. Denn Gott, <strong>de</strong>r im Himmel ist, <strong>de</strong>r ist auch im Menschen. Denn wo ist <strong>de</strong>r Himmel als im<br />
Menschen? Wenn wir ihn brauchen sollen, so muss er in uns sein ... Gott hat im Menschen seinen Himmel<br />
groß und schön gemacht, e<strong>de</strong>l und wohl. Denn Gott ist in <strong>de</strong>m Himmel, das ist im Menschen“. 18 Der Wür<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Menschen, so wie sie Paracelsus sieht, muss sein Verhalten in allen Bereichen <strong>de</strong>s Lebens entsprechen.<br />
So wie die Krankheit von Körper und Seele ein Ausbruch aus göttlicher Ordnung und Heilung eine<br />
Rückkehr in die Geborgenheit ihrer <strong>Ges</strong>etze ist, so sieht Paracelsus die „Krankheiten“ <strong>de</strong>r menschlichen<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft ebenfalls als Verletzung eines Ordnungsprinzips, nämlich <strong>de</strong>s Prinzips <strong>de</strong>r Nächstenliebe. Er<br />
schreibt: „Gott hat uns Gaben geben auf Er<strong>de</strong>n und Kräft <strong>de</strong>rselbigen, die ein jeglicher gebrauchen kann und<br />
soll, nicht sich selber, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn als sich selbst. Darum ist sich wohl zu be<strong>de</strong>nken, wie ein jegliche<br />
Gab zu gebrauchen sei gegen <strong>de</strong>m Nächsten, damit das Gebot Gottes vollkommen erfüllt wer<strong>de</strong>, wiewohl<br />
<strong>de</strong>r Satan diese Liebe <strong>de</strong>s Nächsten gar heftig und viel verhin<strong>de</strong>rt hat und auf <strong>de</strong>n Eigennutz zieht und treibet<br />
... Damit aber um solches Reich und Eigennutz in vita beata (glückliches, seliges Leben - GI) nit eindringen<br />
möge, folgt also ein Ordnung <strong>de</strong>r Gaben eines jeglichen gegen <strong>de</strong>m Nächsten. Denn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Nächsten liebet,<br />
<strong>de</strong>r liebet auch Gott et econtra (soviel wie: und umgekehrt - GI). Diese zwei Gebot sind zusammen<br />
vermählet wie Weib und Mann, da kein Schei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Liebe ist“. 19 Die Einmaligkeit <strong>de</strong>s Paracelsus leitet sich<br />
her von seinem weiten, umfassen<strong>de</strong>n Blickwinkel, <strong>de</strong>n Wechselbeziehungen zwischen Makro- und<br />
Mikrokosmos, zwischen Schöpfer und Schöpfung, zwischen Universum und Mensch. Die Ordnung <strong>de</strong>s<br />
Makrokosmos wie<strong>de</strong>rholt sich im Mikrokosmos, <strong>de</strong>nn „nichts ist im Himmel noch auf Er<strong>de</strong>n, das nicht im<br />
Menschen sei.“ Verstöße gegen diese göttliche Ordnung führen zur Disharmonie zwischen Mensch und<br />
Schöpfung sowie zwischen Mensch und Mitmenschen. Disharmonie aber führt zu Krankheiten von Seele<br />
und Körper wie zu Krankheiten in <strong>de</strong>r menschlichen <strong>Ges</strong>ellschaft. Nur das Erkennen dieser Ordnung sowie<br />
ihre Wie<strong>de</strong>rherstellung lassen Seele und Leib wie die menschliche <strong>Ges</strong>ellschaft gesun<strong>de</strong>n. Im<br />
Zusammenhang mit <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Betrachtungen heißt das Ordnungsprinzip Nächstenliebe. Wir sind<br />
mitverantwortlich für das Leid in unserer Umgebung und sollten danach trachten, Gutes zu wirken. Dann<br />
erst wür<strong>de</strong>n wir wahrhaft unsere Pflicht tun und unserer Verantwortlichkeit entledigt wer<strong>de</strong>n. Durch <strong>de</strong>s<br />
Hohenheimers gesamtes Leben und Wirken zieht sich <strong>de</strong>r rote Fa<strong>de</strong>n tätiger und opferbereiter Nächstenliebe:<br />
„Was ist unser wiz, vernunft, fürsittlichkeit, weisheit, als alein, das wir <strong>de</strong>m nechsten darmit zu nuz<br />
erschießen in seinen nöten. Schwezen, süß re<strong>de</strong>n, blandieren ist <strong>de</strong>s mauls ampt, helfen aber, nuz sein,<br />
erschließlich, ist <strong>de</strong>s herzen ampt“. 20 So wollen wir das Schwätzen und <strong>de</strong>s Maules Amt vertauschen mit<br />
<strong>de</strong>m Helfen und <strong>de</strong>s Herzens Amt. „Gott will nicht, daß Herr und Knecht unter uns sind, son<strong>de</strong>rn alle<br />
Brü<strong>de</strong>r“. Eine an fehlen<strong>de</strong>r Nächstenliebe erkrankte Welt offenbarte sich <strong>de</strong>m Hohenheimer vor 500 Jahren,<br />
todkrank ist sie heute, trotz aller mutmachen<strong>de</strong>n Einzelaktionen in Sachen Nächstenliebe! Des Paracelsus’<br />
For<strong>de</strong>rung nach Liebe zum Mitmenschen sollte keine fromme Träumerei, keine Phantasie sein. Sie war und
ist eine höchst aktuelle Aufgabenstellung, <strong>de</strong>r wir uns endlich mit ganzem Ernst und voller Hingabe<br />
verpflichtet fühlen sollten!<br />
Vortrag von Dipl.-Biol. Günter Ickert<br />
Mitglied <strong>de</strong>s Verwaltungsrates <strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V.<br />
am 10. März 1993 im Deutschen Hygiene-Museum Dres<strong>de</strong>n
ANMERKUNGEN<br />
Die römischen Ziffern geben <strong>de</strong>n Band, die arabischen Ziffern die Seiten an.<br />
1 Goldammer VI/121<br />
2 Ebda. II/27<br />
3 Ebda. II/34<br />
4 Ebda. II/47<br />
5 Luther V/241<br />
6 Ebda. IV/139<br />
7 Goldammer Auswahl S. 177 (2a)<br />
8 Ebda. Auswahl S. 178 (2b)<br />
9 Goldammer II/133<br />
10 Ebda. II/133 Anm. 8<br />
LITERATUR<br />
11 Luther V/127<br />
12 Goldammer 11/153<br />
13 Ebda. II/156<br />
14 Ebda. II/159<br />
15 Luther IV/45<br />
16 Ebda. II/124<br />
17 Goldammer II/163<br />
18 Peuckert S. 150/151<br />
19 Goldammer Auswahl S. 177<br />
20 Geerk S. 276<br />
Geerk, Frank: Paracelsus - Arzt unserer Zeit<br />
Leben, Werk und Wirkungsgeschichte <strong>de</strong>s<br />
Theophrastus von Hohenheim<br />
Benziger Verlag AG Zürich 1992<br />
Goldammer, Kurt: PARACELSUS - Sämtliche Werke 2. Abt.<br />
Theologische und religionsphilosophische Schriften<br />
Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesba<strong>de</strong>n<br />
1955-1965<br />
Goldammer, Kurt: PARACELSUS - Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes<br />
Eine Auswahl<br />
Philipp Reclam jun. Stuttgart 1984<br />
Peuckert, Will-Erich: PARACELSUS - Die Geheimnisse<br />
Ein Lesebuch aus seinen Schriften<br />
Droemersche Verlagsanstalt<br />
Th. Knaur Nachf.<br />
München 1990<br />
Luther, Martin: Taschenausgabe - Auswahl in 5 Bän<strong>de</strong>n<br />
Herausgegeben von Horst Beintker, Helmar Junghans und Hubert Kirchner<br />
Evangelische Verlagsanstalt GmbH<br />
Berlin 1982
EMPFEHLUNGEN<br />
PARACELSUS<br />
Vom glückseligen Leben<br />
Ausgewählte Schriften zu Religion,<br />
Ethik und Philosophie<br />
Herausgegeben und eingeleitet von<br />
Katharina Biegger<br />
Resi<strong>de</strong>nz Verlag, Salzburg und Wien 1993<br />
306 Seiten 49,- DM<br />
Im Hinblick auf <strong>de</strong>n 500. Geburtstag <strong>de</strong>s Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt Paracelsus,<br />
erscheinen interessante, mit unterschiedlichen Zielsetzungen versehene Bücher. Nach wie vor steht <strong>de</strong>r Arzt<br />
und Naturforscher Paracelsus im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Betrachtungen. Dem Christen und Laienprediger, <strong>de</strong>m<br />
Sozialethiker und Sozialkritiker Paracelsus Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, ist das Verdienst von<br />
Katharina Biegger. Mit ihren ausgewählten Schriften zu Religion, Ethik und Philosophie schließt Katharina<br />
Biegger eine <strong>de</strong>utliche Lücke im Literaturangebot zum Paracelsus-Jubiläum. Sie öffnet <strong>de</strong>m interessierten<br />
Leser <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>m frommen, gläubigen und zugleich quer<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Christen Paracelsus, <strong>de</strong>r aus<br />
seiner Besorgnis über die än<strong>de</strong>rungsbedürftige christlich-abendländische <strong>Ges</strong>ellschaft zum Streiter für eine<br />
bessere Welt wird und seiner Sehnsucht nach einem Gottesreich, nach einer Theokratie, Ausdruck verleiht.<br />
Bei aller Sehnsucht bleibt <strong>de</strong>r Hohenheimer sachlich und nüchtern, alltagsbezogen und auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Tatsachen; er ist we<strong>de</strong>r ein frommer Schwärmer, noch ein wirklichkeitsfrem<strong>de</strong>r Träumer. Aber er kann<br />
for<strong>de</strong>rn und streitbar argumentieren, lei<strong>de</strong>nschaftlich und recht <strong>de</strong>rb formulieren. Der beson<strong>de</strong>re Wert <strong>de</strong>r<br />
vorliegen<strong>de</strong>n Auswahl liegt darin, dass <strong>de</strong>r aufmerksame Leser <strong>de</strong>n Weg zu <strong>de</strong>m Zentrum fin<strong>de</strong>t, von <strong>de</strong>m<br />
Paracelsus all sein Denken und Wirken herleitete: von <strong>de</strong>r Liebe zum Mitmenschen. Nur aus diesem<br />
Zentrum sind Persönlichkeit und Werk <strong>de</strong>s Hohenheimers zu verstehen, <strong>de</strong>r praktische Erfolg wie das<br />
Zukunftweisen<strong>de</strong>, das kosmische Dimensionen aufweisen<strong>de</strong> Lebenswerk eines <strong>de</strong>r Großen <strong>de</strong>r Menschheit.<br />
In <strong>de</strong>r Einleitung ihres Werkes schil<strong>de</strong>rt Katharina Biegger u. a. das historische Umfeld <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />
mit seinen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen sowie <strong>de</strong>s Paracelsus wesentliche<br />
Lebensstationen. Die vierzehn Abhandlungen enthalten u. a. <strong>de</strong>s Hohenheimers Auslegung <strong>de</strong>r zehn Gebote<br />
sowie seine Gedanken zu Taufe und Tugen<strong>de</strong>n, Freigebigkeit, Ordnung <strong>de</strong>r Gaben o<strong>de</strong>r zu Glück und<br />
Unglück. Dem Arzt Paracelsus, <strong>de</strong>r vom Christen nie zu trennen ist, erweist Katharina Biegger ihre<br />
Reverenz mit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>r kleinen Ar<strong>bei</strong>ten „Das Labyrinth <strong>de</strong>r irren<strong>de</strong>n Ärzte“ und „Die sieben<br />
Verteidigungsre<strong>de</strong>n“ (Defensiones). Entgegen manch kritischer Stimme aus Kreisen <strong>de</strong>r Fachleute halte ich<br />
die Übertragung dieser paracelsischen Schriften in zeitgemäßes Deutsch für günstig, um <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n<br />
Schriften <strong>de</strong>s Hohenheimers und ihr Verständnis zu erleichtern. Dass Kraft und Melodik <strong>de</strong>r Sprache eines<br />
Paracelsus durch eine Übertragung in zeitgemäßes Deutsch min<strong>de</strong>stens geschmälert wer<strong>de</strong>n, dürfte aber das<br />
kleinere Übel sein. Übrigens hat Katharina Biegger die Hälfte <strong>de</strong>r Texte selbst übertragen. Katharina<br />
Bieggers Buch verdient Respekt, Dank und weite Verbreitung. Katharina Biegger, geboren und<br />
aufgewachsen in Zürich, studierte Germanistik, Erziehungswissenschaft und Volkskun<strong>de</strong> in Zürich und<br />
Marburg. Dissertation über eine bis dahin unveröffentlichte Abhandlung von Paracelsus („De invocatione<br />
beatae Mariae Virginis“); 1989 Promotion; Universitätsassistentin in Zürich, freie Übersetzerin, <strong>de</strong>rzeit<br />
Mitar<strong>bei</strong>terin am Wissenschaftskolleg in Berlin.<br />
Günter Ickert
PARACELSUS (1493-1541)<br />
„Keines an<strong>de</strong>rn Knecht ...“<br />
Im Auftrag <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Salzburg herausgegeben von<br />
Heinz Dopsch<br />
Kurt Goldammer<br />
Peter F. Kramml<br />
Verlag Anton Pustet Salzburg 1993<br />
396 Seiten 84,- DM<br />
Mehr als 3 0 Autoren, unter ihnen so bekannte wie Udo Benzenhöfer, Sepp Domandl, Kurt Goldammer o<strong>de</strong>r<br />
Heinrich Schipperges, haben als interdisziplinäre Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft <strong>de</strong>n Versuch unternommen, ein<br />
<strong>Ges</strong>amtbild von Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt Paracelsus, zu zeichnen. Angesichts <strong>de</strong>r<br />
vielschichtigen Persönlichkeit <strong>de</strong>s Hohenheimers, seiner lückenhaften Biographie und <strong>de</strong>s Umfangs seiner<br />
Hinterlassenschaften ist <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong> Band eine hervorragen<strong>de</strong> Leistung. Die Spezialkenntnisse <strong>de</strong>r<br />
einzelnen Autoren vereinen sich zu einem gut fassbaren Mosaik, in <strong>de</strong>m alle Seiten paracelsischen Denkens<br />
und Wirkens einen gebühren<strong>de</strong>n Platz fin<strong>de</strong>n. Die Kürze und allgemeine Verständlichkeit <strong>de</strong>r Beiträge folgt<br />
<strong>de</strong>m bekannten Goethe-Wort, dass sich „in <strong>de</strong>r Beschränkung ... erst <strong>de</strong>r Meister“ zeigt - hier waren Meister<br />
am Werk! Auch das Bildmaterial ist von einer bemerkenswerten Qualität und Vielfalt. Das Buch ist in<br />
folgen<strong>de</strong> Abschnitte geglie<strong>de</strong>rt:<br />
I. Zur Person <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
II. Paracelsus als Arzt<br />
III. Apotheken und Heilmittel<br />
IV. Paracelsus als Forscher und Gelehrter<br />
V. Grenzbereiche<br />
VI. Paracelsus und die politische Ordnung seiner Zeit<br />
VII. Paracelsus und <strong>de</strong>r Bergbau<br />
VIII. Das Nachleben<br />
Im ersten Abschnitt wird auch auf das <strong>Ges</strong>chlecht <strong>de</strong>r Bombaste von Hohenheim eingegangen, das erstmals<br />
urkundlich um 1100 mit einem Egilolffus von Hohenheim erwähnt wird. Auch die forensischanthropologischen<br />
Untersuchungen <strong>de</strong>r Skelettreste <strong>de</strong>s Paracelsus, von <strong>de</strong>r Internationalen Paracelsus-<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft in Auftrag gegeben, wer<strong>de</strong>n diskutiert. Der dritte Abschnitt befasst sich u. a. mit <strong>de</strong>r „I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r<br />
Heilpflanze <strong>bei</strong> Paracelsus“, mit <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>s Hohenheimers zur Alchemie und mit seiner<br />
Signaturenlehre. Der Naturphilosoph Paracelsus, sein Menschenbild, sein religiöses Denken sowie Sprache<br />
und Wortschatz <strong>de</strong>s Hohenheimers wer<strong>de</strong>n im vierten Abschnitt behan<strong>de</strong>lt. Paracelsus und die Magie sowie<br />
seine Auffassungen von Leib und Seele bzw. Leib-Seele-Geist stehen im Mittelpunkt <strong>de</strong>s fünften Abschnitts.<br />
Den Berührungspunkten <strong>de</strong>s Hohenheimers mit <strong>de</strong>n politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, religiösen und<br />
gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit ist <strong>de</strong>r sechste Abschnitt gewidmet. Die Be<strong>de</strong>utung Johannes<br />
Husers (geb. vermutlich 1545, gest. zwischen 1597/1601) als Herausgeber paracelsischer Schriften und seine<br />
Beziehungen zu <strong>de</strong>n schlesischen Paracelsisten (einschließlich Görlitz), Paracelsus in Literatur und<br />
Dichtung, auf <strong>de</strong>r Bühne, im Film und in Ausstellungen sowie Erörterungen bildlicher Darstellungen <strong>de</strong>s<br />
Hohenheimers bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s letzten Abschnitts. Da die Themen <strong>de</strong>r Abschnitte II und VII eine klare<br />
inhaltliche Abgrenzung ergeben, wur<strong>de</strong> auf erläutern<strong>de</strong> Hinweise verzichtet. Es soll noch einmal<br />
anerkennend gesagt wer<strong>de</strong>n: Was hier auf nahezu 400 Seiten zusammengetragen und von <strong>de</strong>n Herausgebern<br />
gesichtet und geordnet wur<strong>de</strong>, zeugt von hoher Sachkenntnis und enormer Mühe. Es ist so, wie es die<br />
Herausgeber im Vorwort wünschten: Es entstand zum Paracelsus-Jahr 1993 ein Beitrag von bleiben<strong>de</strong>m<br />
Wert. Es entstand aber auch eine Fundgrube sowohl für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich bereits mit <strong>de</strong>m Hohenheimer<br />
beschäftigt, als auch für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Zugang zu Leben und Werk dieser Persönlichkeit sucht -Fundgrube auch<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r Anmerkungen am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r einzelnen Beiträge. Die Herausgeber dieses wertvollen und<br />
repräsentativen Ban<strong>de</strong>s sind:
Dr. phil. Heinz Dopsch, Ordinarius für Vergleichen<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>sgeschichte an <strong>de</strong>r Universität Salzburg,<br />
Herausgeber <strong>de</strong>r achtbändigen „<strong>Ges</strong>chichte Salzburgs“ und an<strong>de</strong>rer historischer Werke,<br />
wissenschaftlicher Leiter großer Ausstellungen,<br />
Dr.phil. Kurt Goldammer, entpflichteter Universitätsprofessor für Allgemeine Religionswissenschaft,<br />
Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Internationalen Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft Salzburg, Editionsleiter <strong>de</strong>r<br />
<strong>Ges</strong>amtausgabe <strong>de</strong>r Theologischen und Religionsphilosophischen Werke Theophrasts von<br />
Hohenheim; zahlreiche Monographien und Aufsätze zu Paracelsus,<br />
Dr. phil. Peter F. Kramml, Universitätsassistent und Lehrbeauftragter am Institut für <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />
Universität Salzburg, Mitherausgeber <strong>de</strong>r „<strong>Ges</strong>chichte von Berchtesga<strong>de</strong>n“, Schriftleiter<br />
<strong>de</strong>r Zeitschrift „Salzburg Archiv“.<br />
Das seiner Art einmalige Werk, im Auftrag <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Salzburg herausgegeben, wur<strong>de</strong> auch möglich durch<br />
großzügige finanzielle Unterstützung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Salzburg. Herzlichen Dank an Autoren wie Herausgeber<br />
und hohe Anerkennung für eine <strong>de</strong>m Anlass würdige Leistung! Auf diesen Beitrag zum Paracelsus-Jahr kann<br />
man nicht verzichten.<br />
Günter Ickert