18.01.2013 Aufrufe

INHALT - bei Bombastus-Ges.de

INHALT - bei Bombastus-Ges.de

INHALT - bei Bombastus-Ges.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Maria Seifert-Eulen<br />

Stanislav Burachovicˇ<br />

Dr. Gisela-Ruth Engewald<br />

Ludwig Mühlberg<br />

Rolf A. Meyer<br />

Günter Ickert<br />

Michael Liebscher<br />

<strong>INHALT</strong><br />

Nachruf<br />

Editorial<br />

225 Jahre<br />

Oberlausitzische <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaften<br />

Aus <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Jahreshauptversammlung<br />

Brief an die Ministerin<br />

Bildungsreise<br />

Veranstaltungskalen<strong>de</strong>r<br />

Vegetationsgeschichte zum Sooster Moor<br />

Von <strong>de</strong>r Hautfresserkur zur Pyramidalkur<br />

Das böhmische Kurwesen im 16. und 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt am Beispiel <strong>de</strong>r Stadt Karlsbad<br />

Joachimsthal – Joachimsthaler – Taler<br />

Die Be<strong>de</strong>utung von PARACELSUS für die<br />

Chemie<br />

„Wie <strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur werket, so sollt<br />

ihr auch werken.“<br />

„drumb so ist das wort do, das dich lernen<br />

sol“<br />

Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes<br />

Empfehlung<br />

Valentin Weigel: Von Betrachtung <strong>de</strong>s Lebens<br />

Christi. Vom Leben Christi. De vita Christi.<br />

2<br />

3<br />

5<br />

6<br />

9<br />

12<br />

18<br />

22<br />

33<br />

40<br />

45<br />

1


2<br />

†<br />

NACHRUF<br />

Wir ge<strong>de</strong>nken unseres Mitglie<strong>de</strong>s<br />

Diplom-Grafiker Albrecht Ehnert<br />

* 18. Juli 1927 † 4. Februar 2004<br />

Herr Albrecht Ehnert gehörte zu <strong>de</strong>n Mitbegrün<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />

und war bis 2003, zwölf Jahre lang, Mitglied <strong>de</strong>s Verwaltungsrates.<br />

Herr Ehnert hat in <strong>de</strong>r seltenen Verbindung von künstlerischen Fähigkeiten<br />

und geistiger Durchdringung nicht nur das Logo<br />

<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT und das äußere Bild<br />

<strong>de</strong>s Periodikums geschaffen. Er gestaltete maßgebend die Paracelsus-Ausstellung<br />

1993 im Museum für Stadtgeschichte Dres<strong>de</strong>n anlässlich <strong>de</strong>s 500. Geburtstages<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers und schenkte damit sowohl<br />

<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT als auch <strong>de</strong>r Stadt Dres<strong>de</strong>n<br />

ein bemerkenswertes Datum. Wir schätzen an Albrecht Ehnert sein<br />

fundiertes Wissen, seine feinfühlige Art <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Klärung jedwe<strong>de</strong>r Probleme und<br />

sein fleißiges wie engagiertes und zuverlässiges Wirken.<br />

Er prägte das grafische Bild<br />

<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT vom Plakat über Poster<br />

und Einladungen bis zur weihnachtlichen Spruchkarte.<br />

Albrecht Ehnert setzte Maßstäbe, die uns Verpflichtung sind.<br />

Die nicht mehr aufhaltbare Krankheit ließ ihn im Frühjahr 2003 aus <strong>de</strong>m<br />

Verwaltungsrat ausschei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Staffelstab in jüngere Hän<strong>de</strong> übergeben.<br />

In ehren<strong>de</strong>m Ge<strong>de</strong>nken und dankbaren Herzens wer<strong>de</strong>n wir Albrecht Ehnert<br />

in bleiben<strong>de</strong>r Erinnerung behalten.<br />

Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r<br />

DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT


EDITORIAL<br />

„Wo geht es <strong>de</strong>nn hin?“, mag es <strong>de</strong>m reisen<strong>de</strong>n Theophrastus oft entgegengeschallt haben<br />

– als Frage o<strong>de</strong>r auch nur als Kontaktfloskel. Um 1520 mag seine Antwort wohl auch<br />

„Nach Meissen“ gelautet haben, womit er <strong>de</strong>n sächsischen Erzgebirgsraum hinein bis ins<br />

Egerland meinte. Auf <strong>de</strong>r Bildungsreise <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft wur<strong>de</strong>n<br />

diese Spuren verfolgt – Eindrücke von <strong>de</strong>r Fahrt sind in diesem Heft nachzulesen.<br />

Die Antwort <strong>de</strong>s Paracelsus hätte aber auch an<strong>de</strong>rs lauten können: „In die Welt.“<br />

Schließlich schreibt er: „So sein doch die Künst nicht alle verschlossen in eines Vatterlandt/son<strong>de</strong>rn<br />

sie seindt außgetheilt durch die gantze Welt.“ 1<br />

Und er fragt weiter, ob es nicht richtig und ihm gemäß sei, „diese Ziel zu erforschen und zu<br />

ersuchen“. 2<br />

Damit erhält die Antwort auf die Eingangsfrage eine innere, geistige Zieldimension:<br />

Erfahrung und Erkenntnis <strong>de</strong>r (ärztlichen) Kunst und darüber hinaus <strong>de</strong>r Zusammenhänge<br />

<strong>de</strong>r Schöpfung. So leitet sich „Erfahrung“ eben von „fahren“ ab, vom Herumkommen<br />

in <strong>de</strong>r Welt. Erst das da<strong>bei</strong> erworbene Wissen bil<strong>de</strong>t die Grundlage <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

innerer, höherer Zusammenhänge. Bei Paracelsus klingt das so: „…die geschrift wird<br />

erforschet durch ire buchstaben, die natur aber durch lant zu lant. als oft ein lant als oft ein blat.<br />

also ist co<strong>de</strong>x naturae, also muß man ire bletter umbkeren. – Habt Fleiß, ihr Ärzte! Lernet, lernet!“ 3<br />

Und in seiner ersten Verteidigungsre<strong>de</strong> appelliert er: „Perscrutamini naturas rerum“, „Lasst<br />

uns die Natur erforschen!“ 4<br />

Paracelsus begreift die Natur als Offenbarung Gottes, ihre Universalität als Spiegel göttlicher<br />

Universalität, ihre naturgesetzliche Ordnung als Manifestation <strong>de</strong>r höchsten<br />

Liebe. Die Annäherung an diese Liebe erfolgt über die Suche nach Erkenntnis, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>Bombastus</strong> formuliert: „Ie mehr aber die erkantnus in einem ding, ie mehr die lieb“. 5 Hier wird<br />

Suchen, Forschen und Lernen als ethischer Auftrag verstan<strong>de</strong>n! Als dritten Begriff verknüpft<br />

<strong>de</strong>r Hohenheimer <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wahrheit mit diesem Zusammenhang. „Gott ist <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit Ursprung“, er ist „die höchste warheit“. 6<br />

Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit und Erkenntnis <strong>de</strong>r Liebe sind also wesensgleich, da ja Gott<br />

auch das Zentrum <strong>de</strong>r Liebe ist.<br />

Dahin ging <strong>de</strong>r Weg für Paracelsus. Und dahin muss es auch heute gehen! Denn auch<br />

heute steht die Frage: „Wo geht es <strong>de</strong>nn hin?“, drängend vor <strong>de</strong>r Menschheit. Hohenheim<br />

formulierte die für ihn offensichtlich entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Ursache für ein gestörtes<br />

Mensch-Umwelt-Verhältnis im Liber <strong>de</strong> felici liberalitate: „Unverstan<strong>de</strong>n, hoffertigen, stolzen<br />

menschen, die do vermeinen, es sei kein got, sie seient über himel und er<strong>de</strong>n, und also in solchem verstand<br />

wer<strong>de</strong>n sie verdambt“. 7<br />

Trennung von <strong>de</strong>r Liebe ist zugleich Trennung von <strong>de</strong>r Wahrheit und Verzicht auf<br />

Erkenntnis. Alle wissenschaftlichen und ökonomischen „Erkenntnisse“, die <strong>de</strong>r Gewinnmaximierung<br />

auf Kosten an<strong>de</strong>rer dienen, die Natur als zufällig begreifen und <strong>de</strong>shalb<br />

jegliche Verantwortung negieren o<strong>de</strong>r die nur materielle Aspekte betrachten und nicht<br />

<strong>de</strong>ren Einbettung in das geistig-energetische System sehen, sind damit wertlos, bringen<br />

keinen Fortschritt, ja führen zur „Verdammnis“. Aus dieser Position heraus hat sich die<br />

Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft in einem Brief an die zuständige Ministerin <strong>de</strong>utlich<br />

gegen die Novellierung <strong>de</strong>s Gentechnikgesetzes ausgesprochen – und hat damit neben<br />

vielen an<strong>de</strong>ren einen Beitrag dazu geleistet, dass das <strong>Ges</strong>etz inzwischen abgelehnt wur<strong>de</strong>.<br />

Beson<strong>de</strong>rs die Verantwortungsträger in Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch alle an<strong>de</strong>ren<br />

Menschen müssen stärker als bisher lernen zu werken, „wie <strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur<br />

werket“. Rolf Meyer zeigt in seinem Vortrag wie in einem Kaleidoskop auf, in wie viele<br />

3


Richtungen da<strong>bei</strong> zu <strong>de</strong>nken ist. Ludwig Mühlberg stellt Paracelsus als wahren Wissenschaftler<br />

vor, <strong>de</strong>r das Oben und Unten, das Grobe und Feine, das Sichtbare und Unsichtbare<br />

als Alchemist zusammendachte mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Vervollkommnung. Gleichermaßen<br />

führt Günter Ickert <strong>de</strong>n Zusammenhang von Stoff und Kraft am Beispiel <strong>de</strong>r<br />

Sprache vor Augen.<br />

Die Welt als Ganzes zu begreifen, als sinnvolle Schöpfung eines lieben<strong>de</strong>n Schöpfers,<br />

<strong>de</strong>r nichts an<strong>de</strong>res will, als dass seine <strong>Ges</strong>chöpfe seine Ebenbil<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n, also entsprechend<br />

<strong>de</strong>r Liebe als innerstem und höchstem Prinzip han<strong>de</strong>ln, das ist die einzige tragfähige<br />

Antwort auf die Frage nach <strong>de</strong>m Weg – die Entscheidung je<strong>de</strong>s Einzelnen sollte so<br />

schwer nicht fallen.<br />

4<br />

Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />

DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />

LITERATUR<br />

1 Paracelsus: Septem Defensiones. Übertragung und Einführung von Gunhild Pörksen. Basel 2003, S. 68.<br />

2 Ebenda.<br />

3 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />

– New York 1996, XI/145f. – VIII/298.<br />

4 Paracelsus: Septem Defensiones. Übertragung und Einführung von Gunhild Pörksen. Basel 2003, S. 49.<br />

5 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />

– New York 1996, IX/207.<br />

6 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />

– New York 1996, XIII/296.<br />

7 Matthießen,<br />

Wilhelm: Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus. Sämtliche Werke II. Abt., Otto Wilhelm Barth<br />

München 1923, I/156.


225 JAHRE<br />

OBERLAUSITZISCHE GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN<br />

Am 21. April 1779 wur<strong>de</strong> die Oberlausitzische <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften zu<br />

Görlitz gegrün<strong>de</strong>t. Ihr 225. Geburtstag ist uns willkommener Anlass, ihrer Grün<strong>de</strong>r wie<br />

ihres Wirkens in hoher Achtung zu ge<strong>de</strong>nken.<br />

Der Historiker und Sprachforscher Karl Gottlob Anton (1751–1818) und <strong>de</strong>r Naturforscher,<br />

Großagrarier und För<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r Künstler und Gelehrten Adolph Traugott von<br />

Gersdorf (1744–1807) legten mit ihrer Initiative <strong>de</strong>n Grundstein für eine bemerkenswerte<br />

wissenschaftliche wie ethische Ausstrahlung <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft über die Grenzen <strong>de</strong>s<br />

oberlausitzisch-böhmisch-nie<strong>de</strong>rschlesischen Kulturraums hinaus.<br />

Unmittelbar nach Gründung <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft im Juni 1991 kam<br />

es zu Kontakten mit <strong>de</strong>m damaligen Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaften, Herrn Prof. Dr. Dr. phil. habil Ernst-Heinz Lemper, die in ein<br />

harmonisches persönliches Miteinan<strong>de</strong>r und ein ge<strong>de</strong>ihliches geistiges Wirken mün<strong>de</strong>ten,<br />

das die Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft nachhaltig för<strong>de</strong>rte. Wechselseitige<br />

Vorträge und Besuche haben nicht nur zum Gedankenaustausch um Werk und Be<strong>de</strong>utung<br />

von Jakob Böhme wie Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, <strong>bei</strong>getragen,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft auch Wege zu polnischen Wissenschaftlern<br />

gewiesen, <strong>de</strong>ren Interesse ebenfalls <strong>de</strong>m Hohenheimer gilt.<br />

Wir nehmen, auch im Namen unserer Mitglie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n 225. Jahrestag <strong>de</strong>r Oberlausitzischen<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Görlitz zum Anlass, <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten,<br />

Herrn Prof. Dr. Karlheinz Blaschke, sowie Präsidium und Mitglie<strong>de</strong>rn herzliche Glückwünsche<br />

zu übermitteln und <strong>de</strong>r Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass das Wirken <strong>de</strong>r<br />

Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften auch in Zukunft ein erfolgreiches, ein<br />

<strong>de</strong>n Intentionen <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Ethik verpflichtetes Wirken sein<br />

möge. Wir danken <strong>de</strong>r Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften für allen<br />

geistigen Gewinn aus harmonischer Zusammenar<strong>bei</strong>t und wünschen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaften<br />

ein wechselseitig befruchten<strong>de</strong>s und in die Öffentlichkeit ausstrahlen<strong>de</strong>s Wirken.<br />

Prof. Dr.-Ing. Bernd Meyer Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-<br />

GESELLSCHAFT<br />

5


JAHRESHAUPTVERSAMMLUNG<br />

6<br />

AUS DER ARBEIT DER GESELLSCHAFT<br />

Die Jahreshauptversammlung unserer <strong>Ges</strong>ellschaft fand am 20. März 2004 statt.<br />

Zu Beginn wur<strong>de</strong> mit einer Schweigeminute <strong>de</strong>s verstorbenen langjährigen Mitglie<strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>s Verwaltungsrates Albrecht Ehnert ehrend gedacht.<br />

In seinem Rechenschaftsbericht sprach <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> über die Ar<strong>bei</strong>t von Vorstand<br />

und Verwaltungsrat:<br />

Wichtiger Schwerpunkt war und ist die Vorbereitung <strong>de</strong>s IV. Dresdner Symposiums im<br />

kommen<strong>de</strong>n Jahr unter <strong>de</strong>m Thema „Mensch und Ar<strong>bei</strong>t“. Paracelsus hat sich mit <strong>de</strong>r<br />

Ar<strong>bei</strong>t als Pflicht und göttlichem Auftrag zur Höherentwicklung <strong>de</strong>s Menschen auseinan<strong>de</strong>rgesetzt.<br />

Heute steht das Anrecht <strong>de</strong>s Menschen auf Ar<strong>bei</strong>t in Frage. Es ist zu erörtern,<br />

inwiefern uns Paracelsus mit seinem gesamtheitlichen Denken aus christlicher Ethik<br />

einen Ausweg aus <strong>de</strong>r Misere zeigen kann.<br />

Ein zweites Ar<strong>bei</strong>tsfeld <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft ist die Betreuung von Beson<strong>de</strong>ren Lernleistungen<br />

an Gymnasien. Im Oktober 2003 begannen zwei Schülerinnen <strong>de</strong>s Gymnasiums<br />

Dres<strong>de</strong>n-Plauen, betreut von Herrn Dorfinger und Herrn Dr. Liebscher, sich in das<br />

Thema „Paracelsische Einflüsse in Goethes Faust. Aspekte verschie<strong>de</strong>ner Inszenierungen“<br />

einzuar<strong>bei</strong>ten. Nach mehreren Treffen und <strong>de</strong>m Literaturstudium erkannten die<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>n Schülerinnen allerdings <strong>de</strong>n hohen Anspruch einer BeLL und entschie<strong>de</strong>n sich,<br />

ihre Kraft auf die unterrichtlichen Aufgaben zu konzentrieren und die Ar<strong>bei</strong>t an diesem<br />

Projekt zu been<strong>de</strong>n. Die <strong>Ges</strong>ellschaft wird sich weiterhin auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Jugendar<strong>bei</strong>t<br />

engagieren.<br />

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>r öffentlichen Wirksamkeit sind die Urania-Vorträge.<br />

Das Publikum bestätigt immer wie<strong>de</strong>r, Gewinn aus <strong>de</strong>n Veranstaltungen gezogen<br />

zu haben. Schön wäre es allerdings, wenn wie<strong>de</strong>r eine regere Teilnahme verzeichnet wer<strong>de</strong>n<br />

könnte.<br />

Die Vorträge wer<strong>de</strong>n im Periodikum „Manuskripte – Thesen – Informationen“ veröffentlicht.<br />

Dieses ist zum anerkannten wissenschaftlichen Markenzeichen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft gewor<strong>de</strong>n.<br />

Aus Kostengrün<strong>de</strong>n erscheint es nur noch einmal jährlich. Zur übersichtlichen<br />

Aufbewahrung wird ein Faltschuber mit sehr ansprechen<strong>de</strong>m Äußeren angeboten, <strong>de</strong>r<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chäftsstelle zum Selbstkostenpreis zu erwerben ist.<br />

Der von Frau Dr. Berger im Auftrag <strong>de</strong>r DBG erar<strong>bei</strong>tete Forschungsantrag wur<strong>de</strong> von<br />

Herrn Prof. Albrecht an <strong>de</strong>r TU Bergaka<strong>de</strong>mie Freiberg im August 2003 <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft eingereicht. Im Dezember erhielt er die Ablehnung <strong>de</strong>r<br />

DFG. Wenn man weiß, dass die Bewilligungsquote nur 10 bis 20% beträgt, ist das zwar<br />

tröstlich, aber nicht erfreulich. Der Vorsitzen<strong>de</strong> betonte, dass sich die <strong>Ges</strong>ellschaft nicht<br />

entmutigen lassen wird, auch wenn sich die Anschubhilfe für die Paracelsus-Forschung<br />

langwieriger als erhofft gestaltet. Wo es möglich und angebracht erscheint, wird die wissenschaftliche<br />

Ar<strong>bei</strong>t mit <strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>nen finanziellen Möglichkeiten <strong>de</strong>r DBG beför<strong>de</strong>rt.<br />

Da<strong>bei</strong> steht ganz ein<strong>de</strong>utig die Paracelsus’ Wirken zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Ethik aus<br />

christlicher Nächstenliebe im Mittelpunkt.<br />

Die Anfrage einer Berliner Wissenschaftlerin, die an einer Habilitationsschrift über Paracelsus´<br />

Naturphilosophie schreibt, und an<strong>de</strong>re Anfragen zeigen, dass die DBG als Institution<br />

wahrgenommen wird und als die <strong>de</strong>utsche Anlaufstelle für die Beschäftigung mit<br />

Paracelsus gilt, wo<strong>bei</strong> die Schriftenreihe MTI eine wichtige Rolle spielt. Damit trägt die<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft zur Rehabilitation von Namen und Werk <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> Paracelsus in einer


Weise <strong>bei</strong>, wie es noch vor Jahren nicht vorstellbar war.<br />

Herr Prof. Meyer berichtete schließlich von <strong>de</strong>r Bildungsreise und <strong>de</strong>n Jahrestagungen<br />

<strong>de</strong>r Internationalen bzw. Schweizerischen Paracelsusgesellschaft, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>nen jeweils Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s bzw. Verwaltungsrates vertreten waren.<br />

Der Vorsitzen<strong>de</strong> gab einen Überblick über <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rstand und rief in Anbetracht<br />

<strong>de</strong>r ungünstigen Altersstruktur <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft dazu auf, verstärktes Augenmerk auf das<br />

Gewinnen jüngerer Mitglie<strong>de</strong>r zu lenken.<br />

Die Berichte <strong>de</strong>r Schatzmeisterin und <strong>de</strong>r Revisionskommission belegten ein korrektes Umgehen<br />

mit <strong>de</strong>n finanziellen Mitteln und so konnte <strong>de</strong>r Vorstand einstimmig entlastet wer<strong>de</strong>n.<br />

Beson<strong>de</strong>rs wur<strong>de</strong> allen Mitglie<strong>de</strong>rn für die hohe Spen<strong>de</strong>nbereitschaft gedankt, die wichtige<br />

Voraussetzung für die erfolgreiche Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft ist.<br />

Mit einem sehr informativen und durch Bil<strong>de</strong>r anschaulichen Vortrag zu <strong>de</strong>n Bildnissen<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus run<strong>de</strong>te Frau Grätz die gelungene Veranstaltung ab.<br />

BRIEF AN DIE MINISTERIN<br />

In einem Brief vom 19. April 2004 an Frau Bun<strong>de</strong>sministerin Künast, Bun<strong>de</strong>sministerium<br />

für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, hat <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> die<br />

sozialethisch begrün<strong>de</strong>ten Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft gegen die Gefährdung <strong>de</strong>r natürlichen<br />

Grundlagen <strong>de</strong>r Menschheit durch unverantwortliche Eingriffe in das Genom vorgebracht<br />

und zur ersatzlosen Zurücknahme <strong>de</strong>s Entwurfs aufgefor<strong>de</strong>rt. Spekulative<br />

Konzerninteressen stün<strong>de</strong>n im Wi<strong>de</strong>rspruch zum Motto <strong>de</strong>s Hohenheimers: „Der<br />

Grund aller Arznei ist die Liebe“. Als Alternative wird die Unterstützung <strong>de</strong>r ökologischen<br />

Landwirtschaft gefor<strong>de</strong>rt, damit die Menschen mit natürlichen, qualitativ hochwertigen<br />

Lebensmitteln versorgt wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

In <strong>de</strong>r Antwort vom 12. August 2004 dankt die Beauftragte <strong>de</strong>s Ministeriums im Namen<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sministerin für das Schreiben und betont, dass die inzwischen gültige <strong>Ges</strong>etzesnovelle<br />

„<strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r gentechnikfreien Produktion durch mehrere Regelungen Rechnung“<br />

trägt. Die Regelungen wer<strong>de</strong>n dann abschließend angeführt.<br />

Mit ihrer Meinungsäußerung hat die Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft am <strong>de</strong>mokratischen<br />

Prozess teilgenommen und sie ist ihrer Pflicht zum ethisch begrün<strong>de</strong>ten Han<strong>de</strong>ln<br />

gerecht gewor<strong>de</strong>n.<br />

BILDUNGSREISE<br />

Die Bildungsreise <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e. V. am 15./16. Mai 2004<br />

führte auf <strong>de</strong>n Spuren Bombasts von Hohenheim ins sächsisch-böhmische Erzgebirge.<br />

Wichtige Stationen waren die alte böhmische Stadt Eger, das Sooster Moor, Franzensbad,<br />

Karlsbad, Joachimsthal und Gottesgab. Herr Dr. Burachovič, Leiter <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Museums, war ein ebenso liebenswürdiger wie kompetenter Führer durch <strong>Ges</strong>chichte<br />

und Kultur <strong>de</strong>s Egerlan<strong>de</strong>s.<br />

Neben Mitglie<strong>de</strong>rn unserer <strong>Ges</strong>ellschaft war auch <strong>de</strong>r Freiberger Altertumsverein mit<br />

einer Gruppe vertreten. Vom historischen und naturkundlichen Wissen einiger Mitglie<strong>de</strong>r<br />

konnten alle unterwegs reichlich profitieren. Die Beiträge von Frau Seifert-Eulen, Frau<br />

Dr. Engewald und Herrn Dr. Burachovič erscheinen im Anschluss an diese Übersicht.<br />

7


8<br />

VERANSTALTUNGSKALENDER<br />

Mittwoch, 10. November 2004, 19.00 Uhr Studiotheater im Kulturpalast<br />

Vortrag Herr Prof. Dr. Dr. phil. habil. Friedrich Naumann<br />

Ein Riese an Denkkraft, Lei<strong>de</strong>nschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und<br />

Gelehrsamkeit – Georgius Agricola<br />

Samstag, 12. März 2005, 9.30 Uhr, Deutsches Hygienemuseum Dres<strong>de</strong>n<br />

Jahreshauptversammlung <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e. V.<br />

Samstag, 28. Mai 2005, Kulturrathaus Dres<strong>de</strong>n<br />

IV. Dresdner Symposium<br />

Thema: „Mensch und Ar<strong>bei</strong>t“<br />

„Also wird <strong>de</strong>r mensch gesegnet, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r ar<strong>bei</strong>t lebt und<br />

die ar<strong>bei</strong>t sein reichtumb ist.“<br />

Samstag/Sonntag, 10./11. September 2005<br />

Bildungsreise nach Herrnhut<br />

Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT


Maria Seifert-Eulen<br />

VEGETATIONSGESCHICHTE ZUM SOOSTER MOOR<br />

Während einer Bildungsreise „Auf <strong>de</strong>n<br />

Spuren <strong>de</strong>s Paracelsus“ wur<strong>de</strong> das Saure<br />

Moos (Sooster Moor), ein als europäische<br />

Rarität gelten<strong>de</strong>s Naturschutzgebiet, besucht.<br />

Entlang <strong>de</strong>s Moorlehrpfa<strong>de</strong>s erläuterte<br />

Herr Dr. BURACHOVIČ die geologische<br />

Situation <strong>de</strong>r Soos und die Entstehung <strong>de</strong>s<br />

Moores mit seinen Beson<strong>de</strong>rheiten, <strong>de</strong>n<br />

Mofetten („Minivulkanen“). Mofetten<br />

sind mit Kohlendioxyd vermischte Wasseraustritte.<br />

Er sprach über <strong>de</strong>n heutigen Zustand<br />

<strong>de</strong>s Moores und machte auf Tiere<br />

und Pflanzen aufmerksam.<br />

Moore sind leben<strong>de</strong> und dadurch äußerst<br />

empfindliche Ökosysteme. Sie sind Lebensräume<br />

vielfältiger spezialisierter Pflanzenund<br />

Tierarten. Unter an<strong>de</strong>rem akkumulieren<br />

sie Nähr- und Schadstoffe sowie Kohlenstoff<br />

und stabilisieren <strong>de</strong>n Wasserhaushalt<br />

einer Landschaft. Sie bil<strong>de</strong>n Vergleichsräume<br />

für die Klimaentwicklung einer<br />

Region, sie speichern sämtliche Umweltdaten<br />

im Laufe ihrer Entwicklung. Die<br />

Eingriffe <strong>de</strong>s Menschen in das Moor und<br />

seine Umgebung stören seine natürliche<br />

Entwicklung. Moore sind somit leben<strong>de</strong><br />

Archive <strong>de</strong>r Natur.<br />

Wie man in diesem Archiv lesen kann,<br />

zeigte am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rundganges Frau SEI-<br />

FERT-EULEN. Sie erklärte an Hand <strong>de</strong>r<br />

Pollenanalyse und eines vereinfachten Pollendiagramms<br />

die jahrtausendlange Waldgeschichte<br />

<strong>de</strong>s Moores bezogen auf die<br />

wichtigsten Baumarten.<br />

Die Pollenanalyse ist eine Metho<strong>de</strong>, mit<br />

<strong>de</strong>ren Hilfe die Vegetationsgeschichte<br />

eines Moores und seiner Umgebung aufgezeigt<br />

wird. Gleichzeitig können Aussagen<br />

zum Alter <strong>de</strong>r einzelnen Vegetations- und<br />

Siedlungsphasen gemacht und Hinweise<br />

zur Klimaentwicklung gegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Um diese Metho<strong>de</strong> anwen<strong>de</strong>n zu können,<br />

sind verschie<strong>de</strong> Voraussetzungen notwendig.<br />

Einige sollen hier aufgeführt wer<strong>de</strong>n:<br />

Alle Pollenkörner, Sporen, kleine Tierund<br />

Pflanzenreste wer<strong>de</strong>n hauptsächlich<br />

zwischen <strong>de</strong>n Torfmoosen <strong>de</strong>r leben<strong>de</strong>n<br />

Mooroberfläche festgehalten. Während<br />

<strong>de</strong>r Vertorfung <strong>de</strong>r Pflanzen bleiben diese<br />

Organismenreste in <strong>de</strong>r Torfschicht <strong>de</strong>r<br />

Zeit ihres Eintrages. Sie verbleiben durch<br />

die filtern<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>s Torfes in ihrem<br />

zugehörigen Horizont und kennzeichnen<br />

je<strong>de</strong>n Bildungsabschnitt <strong>de</strong>s Moores. Gelangen<br />

die Pollenkörner und Sporen<br />

schnell unter Luftabschluss, bleiben ihre<br />

Hüllen mehrere Jahrtausen<strong>de</strong> erhalten.<br />

Diese Konservierung erfüllen Torfe und<br />

Seesedimente. Eine weitere Voraussetzung<br />

ist, dass die Hüllen <strong>de</strong>r Pollenkörner und<br />

Sporen (Größe <strong>de</strong>r Hüllen zwischen 10<br />

und 80µ) auf Grund ihrer Form und Struktur<br />

<strong>de</strong>n jeweiligen Pflanzenarten o<strong>de</strong>r Gattungen<br />

zugeordnet wer<strong>de</strong>n können.<br />

Pollenkörner <strong>de</strong>r Bäume wer<strong>de</strong>n im<br />

Wesentlichen aus <strong>de</strong>r Waldvegetation <strong>de</strong>r<br />

Umgebung <strong>de</strong>r Moore eingetragen, währen<br />

die Kräuterpollenkörner zum großen<br />

Teil von Standorten auf <strong>de</strong>m Moor selbst<br />

o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Randbereichen stammen. So<br />

kann man auf Grund <strong>de</strong>s Mengenverhältnisses<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Pollenarten die Vegetationsentwicklung<br />

im Untersuchungsgebiet<br />

ermitteln.<br />

Ein Bohrprofil, das ca. 100 m nördlich<br />

<strong>de</strong>r Kaiserquelle abgeteuft wur<strong>de</strong>, zeigt<br />

nach KEILHACK und RUDOLPH (1929)<br />

<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s Moores:<br />

Der Unterbo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Moores besteht ab<br />

4 m Tiefe aus Sand. Darüber ist eine ca.<br />

0,50 m mächtige zersetzte Torfmud<strong>de</strong> aufgewachsen.<br />

Diese wird überlagert von<br />

einer ca. 1,50 m mächtigen Kieselgur<br />

(Kieselschalen <strong>de</strong>r Diatomeen). Nach oben<br />

folgt dann eine ca. 2 m mächtige Torfgur.<br />

Darin ist im obersten Meter eine Eisenerzschicht<br />

eingeschaltet. Über dieser Torfgur<br />

befin<strong>de</strong>t sich die heutige Oberfläche.<br />

Aus dieser 4 m mächtigen, organischen<br />

Schichtfolge konnten KEILHACK und<br />

RUDOLPH (1929) die nacheiszeitliche<br />

Waldgeschichte <strong>de</strong>r Soos rekonstruieren<br />

9


und eine ca. 10 000-jährige Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s Sooster Moores nachweisen.<br />

Die Waldgeschichte wird in Kurzform<br />

wie folgt wie<strong>de</strong>rgegeben.<br />

Präboreal (Vorwärmezeit) ab ca. 10 000<br />

bis 9 000 Jahre vor heute: Die Bildung <strong>de</strong>r<br />

Torfmud<strong>de</strong> begann in <strong>de</strong>r frühpostglazialen<br />

Kiefern-Birkenzeit. Die Sommer waren<br />

noch kühl, die Winter schon etwas mil<strong>de</strong>r<br />

als am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Spätglazials. Im Untersuchungsgebiet<br />

waren hauptsächlich Kiefernwäl<strong>de</strong>r<br />

mit Birken vorhan<strong>de</strong>n. Langsam<br />

wan<strong>de</strong>rn wärmelieben<strong>de</strong> Arten ein.<br />

Boreal (Frühe Wärmezeit) ab ca. 9 000<br />

bis 7 500 Jahre vor heute: Mit <strong>de</strong>r raschen<br />

Ausbreitung <strong>de</strong>r Hasel entstan<strong>de</strong>n Kiefern-<br />

Haselwäl<strong>de</strong>r. Der Eichenmischwald mit<br />

Lin<strong>de</strong>, Ulme und Eiche nimmt im weiteren<br />

Verlaufe immer größere Flächen ein.<br />

Das Klima war warm und trocken. Durch<br />

Wasseraustritte von Mineralquellen und<br />

Mofetten kam es zur Bildung eines offenen,<br />

flachen Gewässers und zur Bildung<br />

<strong>de</strong>r Kieselgur. Dafür spricht <strong>de</strong>r hohe Prozentsatz<br />

<strong>de</strong>r gefun<strong>de</strong>nen Diatomeen. Es<br />

wird angenommen, dass die Kaiserquelle<br />

und ihre Begleiter während <strong>de</strong>s Boreals<br />

entstan<strong>de</strong>n sind, als Folge <strong>de</strong>r tektonischen<br />

Nachwirkungen <strong>de</strong>s Vulkanismus <strong>de</strong>s<br />

Kammerbühls.<br />

Atlantikum (Mittlere Wärmezeit) ab<br />

ca. 7 500 bis 4 500 Jahre vor heute: Hier<br />

kommt es zur raschen Ausbreitung <strong>de</strong>r<br />

Fichte und zur Verdrängung <strong>de</strong>r Hasel. Es<br />

dominieren Fichten-Eichenmischwäl<strong>de</strong>r.<br />

Buche und Tanne wan<strong>de</strong>rn ein. Am En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Atlantikums wird die Buche, etwas<br />

später auch die Tanne immer häufiger. Bei<br />

einem feuchten und warmen Klima begann<br />

die Bildung <strong>de</strong>r Torfgur. Im Atlantikum<br />

liegt das Klimaoptimum mit Ø ca.<br />

2,3° wärmer als heute.<br />

Subboreal (Späte Wärmezeit) ab ca.<br />

4 500 bis 2 500 Jahre vor heute: Die Waldvegetation<br />

wird neben <strong>de</strong>r Fichte immer<br />

stärker von Buchen und Tannen geprägt,<br />

so dass ein Fichten-Buchen-Tannenwald in<br />

<strong>de</strong>r Umgebung <strong>de</strong>r Soos sich herausbil<strong>de</strong>n<br />

10<br />

konnte. Das Klima wird kühler und trockener.<br />

Subatlantikum (Nachwärmezeit) ab ca.<br />

2 500 vor heute bis in die Historische<br />

Zeit: Der ältere Teil <strong>de</strong>s Subatlantikums ist<br />

durch die maximale Verbreitung von<br />

Buche und Tanne gekennzeichnet. Die<br />

Buche erreicht im Egerbecken nicht so<br />

hohe Anteile wie in höheren Gebirgslagen.<br />

Es bil<strong>de</strong>n sich Buchen-Tannenwäl<strong>de</strong>r mit<br />

Fichten- und Kiefernbestän<strong>de</strong>n. Das Klima<br />

wird kühler und feuchter. Diese Wäl<strong>de</strong>r<br />

be<strong>de</strong>ckten die Landschaft noch während<br />

<strong>de</strong>s Jüngeren Subatlantikum (Miriquidi<br />

<strong>de</strong>s Erzgebirges) und wur<strong>de</strong>n erst mit Beginn<br />

<strong>de</strong>s Mittelalterlichen Lan<strong>de</strong>sausbaues<br />

(ab ca. 12. Jahrhun<strong>de</strong>rt n. Chr.) und <strong>de</strong>r<br />

Industrialisierung immer mehr zurückgedrängt.<br />

Die Waldvegetation in <strong>de</strong>n obersten<br />

Schichten zeigt <strong>de</strong>n Übergang zu <strong>de</strong>n historischen<br />

Verhältnissen und ist durch die<br />

Zunahme von Fichte und Kiefer gekennzeichnet.<br />

Diese Verän<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r Waldzusammensetzung<br />

ist durch die immer<br />

stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Eingriffe (geregelte<br />

Forstwirtschaft) <strong>de</strong>s Menschen auf seine<br />

Umgebung bedingt. Das Klima geht in die<br />

heutigen Verhältnisse über.<br />

Nach <strong>de</strong>m Rückzug <strong>de</strong>s letzten Eises<br />

(Weichsel-Eiszeit) aus Mitteleuropa begann<br />

eine allmähliche Wie<strong>de</strong>rbewaldung<br />

<strong>de</strong>r Landschaften. Die Reihenfolge <strong>de</strong>s<br />

Wie<strong>de</strong>rerscheinens <strong>de</strong>r einzelnen Baumarten<br />

und ihrer Ausbreitung erfolgte in Mitteleuropa<br />

nach recht einheitlichen <strong>Ges</strong>etzmäßigkeiten.<br />

Die vorgestellte Vegetationsentwicklung<br />

ist sowohl in <strong>de</strong>n Mittelgebirgen<br />

Böhmens, <strong>de</strong>m Erzgebirge und an<strong>de</strong>ren<br />

Landschaften im Wesentlichen gleich.<br />

Die Entstehungszeiten <strong>de</strong>r Moore sind unterschiedlich.<br />

Es gibt auf Grund regionaler<br />

Gegebenheiten Abweichungen.


LITERATUR<br />

KEILHACK, K. (1929): Die Soos <strong>bei</strong> Franzensbad in naturwissenschaftlicher und<br />

balneologischer Beziehung – mit einem botanischen Beitrag von K. RUDOLPH –<br />

Veröffentlichungen <strong>de</strong>r Zentralstelle für Balneologie, Neue Folge, Heft 13.<br />

Durchschnittspollendiagramm <strong>de</strong>r Erzgebirgsmoore<br />

nach RUDOLPH und FIRBAS (1924) ergänzt durch M. SEIFERT-EULEN (2004)<br />

Klimaabschnitte ungefähre<br />

Jahre vor<br />

heute Pollenzonen<br />

Kulturstufe<br />

Wald<br />

Vegetationsentwicklung<br />

Gehölze<br />

(nach FIRBAS 1949)<br />

Historische Zeit<br />

Klimacharakter<br />

heutige Verhältnisse<br />

10 20 30 40 50 60 70 80 90%<br />

0<br />

kühl, feucht<br />

geregelte Forstwirtschaft<br />

Kiefer- Fichtenwäl<strong>de</strong>r<br />

x<br />

Xb<br />

jüngeres<br />

Früh<strong>de</strong>utsche Zeit<br />

x<br />

1000<br />

x<br />

Slawenzeit<br />

Xa<br />

kühler<br />

und<br />

feuchter<br />

wer<strong>de</strong>nd<br />

Miriquidi<br />

(Dunkelwald)<br />

x<br />

Subatlantikum<br />

Völkerwan<strong>de</strong>rung<br />

Römische Kaiserzeit<br />

Buchen- Tannenwäl<strong>de</strong>r<br />

x<br />

1500<br />

Nachwärmezeit<br />

x<br />

IX b<br />

Germanenzeit<br />

Zeitenwen<strong>de</strong><br />

2000<br />

mit Fichten und Kiefern<br />

(auf Mooren)<br />

älteres<br />

Eisenzeit<br />

x<br />

x<br />

x<br />

IX a<br />

2500<br />

Bronzezeit<br />

abkühlend<br />

Buchen- Fichtenwäl<strong>de</strong>r<br />

mit Tannen<br />

VIII<br />

trocken<br />

sehr feucht mit<br />

Feuchteschwankungen<br />

weniger warm<br />

x<br />

Subboreal<br />

Spätere<br />

4500<br />

Jungsteinzeit<br />

x<br />

VII<br />

jüngeres<br />

Fichtenwäl<strong>de</strong>r mit<br />

Eichenmischwald<br />

Erlen und Hasel<br />

6000<br />

feucht<br />

maritimes Klima<br />

Atlantikum<br />

VI<br />

Klimaoptimum<br />

ca. 2,3° wärmer<br />

als heute<br />

älteres<br />

Mittlere Wärmezeit<br />

Vb<br />

Boreal<br />

Va<br />

Frühe Wärmezeit<br />

IV b<br />

9000<br />

Präboreal<br />

IV a<br />

10 000<br />

Jüngere<br />

III<br />

Dryas<br />

+<br />

11 000<br />

II<br />

Tundren - Zeit Vorwärmezeit<br />

Spätglazial A l t h o l o z ä n Mittelholozän<br />

J u n g h o l o z ä n<br />

H o l o z ä n (Postglazial; Nacheiszeit)<br />

(Neolithikum)<br />

x<br />

7500<br />

warm, trocken<br />

mehr kontinentales<br />

Klima<br />

Kiefern- Haselwäl<strong>de</strong>r<br />

mit Eichenmischwald<br />

Mittelsteinzeit<br />

(Messolithikum)<br />

Sommer noch<br />

kühl, Winter mil<strong>de</strong>r,<br />

Westwin<strong>de</strong><br />

vorherrschend<br />

Kiefernwäl<strong>de</strong>r mit<br />

Birken<br />

Einwan<strong>de</strong>rung<br />

Wärme lieben<strong>de</strong> Arten<br />

Altsteinzeit<br />

(Paläolithikum)<br />

kalte Sommer<br />

strenge Winter<br />

kaltes Übergangsklima<br />

Waldarme Zeit mit<br />

Birken, Kiefern, Wei<strong>de</strong>n;<br />

subarktische Arten<br />

+<br />

+ +<br />

+<br />

Kiefern- Birkenwäl<strong>de</strong>r mit vorübergehen<strong>de</strong><br />

vereinzelt wärmeren Erwärmung<br />

Arten<br />

mäßig warm<br />

Erle, Eiche, Fichte mäßig feucht<br />

Allerod /<br />

90 80 60 50 40 30 20 10 %<br />

Kräuter<br />

Weichsel -Kaltzeit<br />

+<br />

Kräuter<br />

Kiefer<br />

Birke<br />

Fichte<br />

Eichenmischwald<br />

Tanne<br />

Buche<br />

Erle<br />

Hasel<br />

Wei<strong>de</strong><br />

x<br />

+<br />

gez. B. Bieber 06/04<br />

11


Die älteste Phase <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Kurgeschichte<br />

liegt zwischen <strong>de</strong>n Jahren 1350<br />

und 1522. Den beträchtlichen Ruhm <strong>de</strong>r<br />

Karlsba<strong>de</strong>r Thermen schon am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

15. Jahrhun<strong>de</strong>rts beweist die lateinische<br />

Lobeso<strong>de</strong> auf die Spru<strong>de</strong>lquelle <strong>de</strong>s berühmten<br />

böhmischen Humanisten Bohuslav<br />

Lobkowitz von Hassenstein aus <strong>de</strong>r<br />

Zeit um 1500. Schon zu dieser Zeit gehörte<br />

Karlsbad zu <strong>de</strong>n vorzüglichsten Bä<strong>de</strong>rn<br />

Mitteleuropas, <strong>de</strong>ssen Heilquellen im 16.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt viele be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Männer <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaft besucht, erforscht und beschrieben<br />

haben, z. B. Paracelsus, Agricola,<br />

Thurneysser, Corda u. a.)<br />

Die größte Therme heute mit <strong>de</strong>r bis 18 m hohen<br />

Fontäne<br />

Die meisten Karlsba<strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>gäste etablierten<br />

sich seit <strong>de</strong>m 14. Jahrhun<strong>de</strong>rt (die<br />

Gründung <strong>de</strong>s Kurortes erfolgte im Jahre<br />

1349) bis zum Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r a<strong>de</strong>ligen und kirchlichen<br />

sowie militärischen Wür<strong>de</strong>nträger.<br />

Die ältesten erhaltenen namentlichen Er-<br />

12<br />

Stanislav Burachovič<br />

VON DER HAUTFRESSERKUR ZUR PYRAMIDALKUR<br />

Das böhmische Kurwesen im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt am Beispiel <strong>de</strong>r Stadt Karlsbad<br />

wähnungen über die Karlsba<strong>de</strong>r Patienten<br />

fin<strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n Ausgabebüchern <strong>de</strong>r Stadt<br />

Eger (Cheb) aus <strong>de</strong>m 15. und 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Die Stadt Eger spen<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n a<strong>de</strong>ligen<br />

Gästen von Karlsbad jährlich eine gewisse<br />

Anzahl Schoppen von ihrem leckeren Bier.<br />

So wird z. B. zum Jahre 1443 angegeben,<br />

dass „an die Markgräfin von Kulmbach und<br />

ihr Gefolge aus Eger zwei Eimer Bier in das<br />

Warmbad <strong>bei</strong> Elbogen zugeschickt wor<strong>de</strong>n<br />

waren“. Im Jahre 1457 heilte sich <strong>bei</strong>m<br />

Spru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Bischof von Agram. Ihm waren<br />

aus Eger 4 Kannen Bier zugeschickt wor<strong>de</strong>n.<br />

Von an<strong>de</strong>ren a<strong>de</strong>ligen Karlsba<strong>de</strong>r Kurgästen<br />

aus <strong>de</strong>m 15.–16. Jahrhun<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />

aufgezeigt z. B.: Johann von Hassenstein<br />

(1475), Bohuslav Lobkowitz von Hassenstein<br />

(um 1500), Benesch von Weitmühle<br />

(1479), Markgraf von Bayreuth (1491),<br />

Graf Schwarzburg (1492), Fürst von Sachsen<br />

(1504), Wilhelm von Rosenberg mit<br />

Gemahlin (1559), Markgraf Johann von<br />

Bran<strong>de</strong>nburg (1569) und Erzherzog Ferdinand<br />

von Tyrol mit seiner Gemahlin Philipine<br />

Welser (1571).<br />

Die Karlsba<strong>de</strong>r Kurbehandlung bestand<br />

von <strong>de</strong>r Stadtgründung an bis zum Anfang<br />

<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts fast ausschließlich aus<br />

einer einzigen Prozedur, aus einem Übermaß<br />

von Bä<strong>de</strong>rn im Thermalwasser, für die<br />

sich die passen<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Bezeichnung<br />

„Hautfresserkur“ eingebürgert hatte. Bei<br />

manchen Indikationen ba<strong>de</strong>ten die Patienten<br />

10 und mehr Stun<strong>de</strong>n täglich. Die langen<br />

Bä<strong>de</strong>r führten bis zu schmerzlichen<br />

Riss- und Platzwun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Haut, womit<br />

das Ziel <strong>de</strong>r damaligen humoralen Therapie<br />

erreicht war (Theorie <strong>de</strong>r 4 kranken Flüssigkeiten<br />

im menschlichen Körper, die auch<br />

Paracelsus vertrat). Dieser Therapie nach<br />

sollte das Heilwasser durch die offene<br />

Haut die Krankheitserreger aus <strong>de</strong>m Organismus<br />

herausspülen.<br />

Die Trinkkur begann sich <strong>bei</strong>m Karlsba-


<strong>de</strong>r Spru<strong>de</strong>l erst durch die Anregung <strong>de</strong>s<br />

Arztes Wenzel Payer durchzusetzen. Er<br />

gab im Jahre 1522 in Leipzig die überhaupt<br />

erste monothematische medizinische Monografie<br />

über das Karlsba<strong>de</strong>r Heilverfahren<br />

heraus. In diesem Buch empfahl er neben<br />

<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn als Neuerung auch das Trinken<br />

<strong>de</strong>s Thermalwassers. Payers Werk trat energisch<br />

gegen manche Dogmen und Inkorrektheiten<br />

<strong>de</strong>s bis zu diesem Zeitpunkt üblichen<br />

Karlsba<strong>de</strong>r Heilsystems an. Seine<br />

Schrift Tractatus <strong>de</strong> Thermis Caroli Quarti<br />

Imperatoris ist als ein Handbuch für <strong>de</strong>n<br />

Arzt konzipiert, <strong>de</strong>r die Kranken nach<br />

Karlsbad schickte sowie auch als Anleitung<br />

zum Kurgebrauch für <strong>de</strong>n Patienten selbst.<br />

Payers Traktat war das erste Werk, das für<br />

Karlsbad warb und das <strong>de</strong>r Autor geschrieben<br />

hatte aus „Liebe zum Vaterland“ und<br />

„weil er sich darum sorgte, dass das Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Wasser nützlicher verwen<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>, als es bisher<br />

<strong>de</strong>r Brauch war“. Payer wusste, dass er<br />

<strong>de</strong>r erste war, <strong>de</strong>r über Karlsbad schrieb,<br />

weil er im Buch sagt, dass vor ihm „kein<br />

Arzt diese Ar<strong>bei</strong>t einging“. Das Werk stellt<br />

einen wichtigen Meilenstein in <strong>de</strong>r Periodisierung<br />

<strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Heilverfahrens dar,<br />

da <strong>de</strong>r Autor außer Bä<strong>de</strong>rn auch das Trinken<br />

<strong>de</strong>s Quellenwassers empfahl. Payer ermunterte<br />

die Kurgäste zum Trinken <strong>de</strong>s Wassers<br />

offensichtlich unter <strong>de</strong>m Eindruck seiner<br />

Erfahrungen aus <strong>de</strong>n italienischen<br />

Bä<strong>de</strong>rn, wo die Trinkkur schon zur Zeit<br />

<strong>de</strong>r Antike ordiniert wur<strong>de</strong>.<br />

Venceslav Payer (genannt auch Wenzel<br />

o<strong>de</strong>r Wenceslaus Beyer bzw. Bayer) wur<strong>de</strong><br />

im Jahre 1488 in Elbogen (Loket) <strong>bei</strong> Karlsbad<br />

geboren. Im Jahre 1508 wur<strong>de</strong> er an <strong>de</strong>r<br />

Universität Leipzig immatrikuliert, wo er<br />

sein dreijähriges Philosophiestudium, das<br />

so genannte Studium generale, absolvierte.<br />

Im Jahre 1510 erreichte er das Bakkalaureat<br />

und im Winter <strong>de</strong>s Jahres 1512 wur<strong>de</strong> er<br />

Magister <strong>de</strong>r Philosophie. Sieben Jahre später<br />

ging Payer nach Italien, um hier sein<br />

Studium fortzusetzen. In Bologna erwarb<br />

er 1520 o<strong>de</strong>r 1521 das Medizin-Doktorat.<br />

Im Jahre 1520 durchreiste er eine ganze<br />

Reihe von italienischen Bä<strong>de</strong>rn und beobachtete<br />

da<strong>bei</strong> die Wirkungen <strong>de</strong>s Thermalwassers,<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Trinkkur. Er stellte<br />

fest, dass <strong>de</strong>r „göttliche Karlsba<strong>de</strong>r Spru<strong>de</strong>l<br />

seines Vaterlan<strong>de</strong>s keiner <strong>de</strong>r italienischen Quellen<br />

nachsteht“. Seine Erkenntnisse über die<br />

italienischen Thermen hatten sicherlich<br />

wesentlich sein fachliches Interesse an Karlsbads<br />

Quellen beeinflusst. Im Jahre 1521<br />

kehrte Payer in seine Heimat zurück. Dann<br />

ging er nach Leipzig, wo er Vorträge an <strong>de</strong>r<br />

medizinischen Fakultät hielt. Zu dieser<br />

Zeit entschloss er sich, eine Schrift über<br />

Karlsbad zu verfassen. Ihre Handschrift<br />

beurteilte <strong>de</strong>r Professor an <strong>de</strong>r Leipziger<br />

medizinischer Fakultät O. Rülein von Calw<br />

und empfahl sie zum Druck. Nach<strong>de</strong>m er<br />

die Ar<strong>bei</strong>t am Traktat über Karlsbad been<strong>de</strong>t<br />

hatte und sie herausgegeben wur<strong>de</strong>,<br />

schrieb Payer auch einen kurzen Traktat<br />

über die so genannte Bergmannskrankheit,<br />

unter <strong>de</strong>r die Bergleute in St. Joachimsthal<br />

(Jáchymov) litten. Hier<strong>bei</strong> weist er auf das<br />

Elend und die ungesun<strong>de</strong>n Verhältnisse<br />

hin, in <strong>de</strong>nen die Joachimsthaler Bergleute<br />

lebten und ar<strong>bei</strong>teten. Das Schriftlein kam<br />

im Jahre 1522 in Leipzig heraus. Payer<br />

wur<strong>de</strong> durch diese Abhandlung zum Vorkämpfer<br />

<strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsmedizin in <strong>de</strong>n böhmischen<br />

Län<strong>de</strong>rn. Über Dr. Payer ist weiter<br />

bekannt, dass er kurzzeitig in Elbogen<br />

sowie in <strong>de</strong>r Bergstadt St. Joachimsthal<br />

tätig war, wo er gleichzeitig als Stadtarzt<br />

und Leibarzt <strong>de</strong>r Grafen Schlick wirkte,<br />

höchstwahrscheinlich in <strong>de</strong>n Jahren<br />

1524–1525(?). Am 15. Januar 1525 ist<br />

Payer Leipziger Bürger gewor<strong>de</strong>n. Im selben<br />

Jahr hatte er dort Margarete, die Tochter<br />

<strong>de</strong>s Leipziger Buchhändlers Augustin<br />

Pantschmann geheiratet. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahren gab er noch eine ganze Reihe von<br />

Schriften heraus: im Jahre 1529 eine Publikation<br />

über die so genannte englische<br />

Schweißkrankheit, im Jahre 1530 eine<br />

<strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>s Traktates über<br />

die Pest, die schon vorher in lateinisch als<br />

Zulage zum Traktat über Karlsbad erschienen<br />

war (1522), und im Jahre 1535 eine<br />

13


Schrift über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Herzens<br />

und eine Polemik gegen seinen Kollegen<br />

Sebastian Roth aus Auerbach.<br />

Venceslaus Payer starb zwischen <strong>de</strong>m 11.<br />

und 17. März 1537 in Leipzig. Seit <strong>de</strong>r Zeit<br />

<strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Arztes Jean <strong>de</strong> Carro<br />

(1770–1857) überlieferte sich in <strong>de</strong>r Literatur<br />

falsch, dass Payer schon im Jahre 1526 starb.<br />

Dieses Datum bezieht sich auf eine Prägung<br />

von zwei silbernen Ge<strong>de</strong>nkmedaillen<br />

mit <strong>de</strong>m Porträt Payers, die im Jahre 1526<br />

in St. Joachimsthal <strong>de</strong>r Graf Stephan<br />

Schlick aus unbekannten Grün<strong>de</strong>n gießen<br />

ließ. Das Erbschaftsverfahren <strong>de</strong>r Payerschen<br />

Hinterlassenschaft fand am 6. Juli<br />

1537 in Elbogen und in Leipzig am 16.<br />

August <strong>de</strong>sselben Jahres statt.<br />

Wegen ihrer Be<strong>de</strong>utung für das böhmische<br />

Kurwesen <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts konzentrieren<br />

wir uns nun auf Payers bahnbrechen<strong>de</strong><br />

Schrift über Karlsbad. Das Buch, das<br />

<strong>de</strong>m Grafen Stephan Schlick gewidmet ist,<br />

weist die Form eines siebenteiligen Traktates<br />

auf. Be<strong>de</strong>utungsvoll ist das fünfte Kapitel,<br />

in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Autor seine eigene Meinung<br />

über effektive Ba<strong>de</strong>kuren beschreibt<br />

und das Trinken <strong>de</strong>s Wassers empfiehlt.<br />

Die Ratschläge über die Lebensweise und<br />

die Diät für die Patienten wirken auch nach<br />

<strong>bei</strong>nahe 500 Jahren überraschend mo<strong>de</strong>rn.<br />

An manchen Stellen <strong>de</strong>s Traktates stoßen<br />

durch die medizinische Thematik auch<br />

präzise Beobachtungen <strong>de</strong>s damaligen Ba<strong>de</strong>lebens.<br />

Payer rügt die Patienten, die in<br />

Karlsbad nur Vergnügen und Ablenkung<br />

suchen: „Et ibi notandum quod plerique causa<br />

<strong>de</strong>lectationis Thermas illas accedunt“ (Hier ist<br />

zu erwähnen, dass manche dieses Bad nur vergnügungshalber<br />

besuchen). Weiter unterstreicht<br />

er, dass die Bä<strong>de</strong>r zum Heilen geschaffen<br />

wur<strong>de</strong>n und nicht, um ein Ort mit be<strong>de</strong>nklichem<br />

Ruf zu sein. Nennenswert ist auch,<br />

dass Payer in seinem Buch das Duschen<br />

mit Spru<strong>de</strong>lwasser schon fünfzig Jahre vor<br />

<strong>de</strong>m Arzt Fabian Sommer empfiehlt. Für<br />

die Distribution <strong>de</strong>s Wassers rät er Glasbehälter,<br />

die seine chemische Zusammensetzung<br />

am wenigsten beeinflussen. Im Buch<br />

14<br />

steht nichts über die <strong>Ges</strong>chichte Karlsbads.<br />

Nur im Vorwort ist die Erwähnung, dass<br />

die Einwohner das Warmbad Kaiser-Karls-<br />

Bad nennen. Die verschie<strong>de</strong>nen, öfter auch<br />

unbeabsichtigten Verfälschungen <strong>de</strong>s Traktatinhaltes<br />

in jüngerer Zeit ergaben sich<br />

zum großen Teil aus <strong>de</strong>r Unkenntnis und<br />

auch Unverfügbarkeit seines lateinischen<br />

Originals, von <strong>de</strong>m weltweit nur ein paar<br />

sehr wertvolle Exemplare erhalten geblieben<br />

sind (in <strong>de</strong>r Tschechischen Republik<br />

sind nur zwei Exemplare vorhan<strong>de</strong>n, eines<br />

in Prag und eines in Karlsbad). Die meisten<br />

<strong>de</strong>r Schriftsteller, die später über Karlsbad<br />

schrieben, hatten über Payers Werk<br />

nur vermittelte Informationen. Diese stammen<br />

durchweg von einer <strong>de</strong>utschen Neuauflage<br />

aus <strong>de</strong>m Jahre 1614 und vielleicht<br />

auch <strong>de</strong>swegen, weil das Original in einem<br />

sehr schlechten und kaum verständlichen<br />

Latein geschrieben war, das manche Forscher<br />

entmutigte.<br />

Der ersten Auflage <strong>de</strong>s Traktates (1522)<br />

ist eine lateinische Abhandlung über die<br />

Pest (Consilium <strong>de</strong> peste) und eine <strong>de</strong>utsch<br />

geschriebene Anleitung für <strong>de</strong>n richtigen<br />

Gebrauch <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Wassers <strong>bei</strong>gefügt:<br />

Nutzlicher und Kurtzer begreiff in Deutschen<br />

in wasser Kranckheiten das Warm padt tzu<br />

Elbogen noth und nutzlich sey. Dem angegebenen<br />

Datum nach hat Payer das Buch am<br />

19. Dezember 1521 been<strong>de</strong>t.<br />

Payers Traktat wur<strong>de</strong> für seine mo<strong>de</strong>rne<br />

und fortschrittliche Auffassung sowohl von<br />

<strong>de</strong>n zeitgenössischen Autoren sowie von seinen<br />

Nachfolgern sehr hoch geschätzt. Im<br />

Jahre 1614 erlebte er in Leipzig seine zweite<br />

Auflage in <strong>de</strong>utscher Übersetzung mit einem<br />

Nachtrag <strong>de</strong>s Medizin-Doktors Michael Reu<strong>de</strong>nius<br />

aus Schlaggenwald (Horní Slavkov).<br />

Reu<strong>de</strong>nius fügte zur Auflage 16 Briefe von<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Ärzten hinzu, die dieselbe<br />

Meinung über das Heilverfahren wie Payer<br />

vertraten und das Trinken <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Wassers empfohlen hatten (z. B. Mathias<br />

Klingeisen, J. C. Naevius und weitere). Die<br />

tschechische Übersetzung <strong>de</strong>s Payerschen<br />

Traktates über Karlsbad erschien erst im Jahre


1984 dank <strong>de</strong>m PragerVerlag Avicenum.<br />

Trotz Payers fortschrittlicher Empfehlung<br />

<strong>de</strong>r Trinkkur herrschte in Karlsbad und<br />

auch in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren böhmischen Bä<strong>de</strong>rn<br />

bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts vorwiegend<br />

die Ba<strong>de</strong>therapie. Der Behandlungsaufenthalt<br />

in <strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn dauerte damals<br />

allgemein 4–5 Wochen.<br />

Ähnliche Prinzipien wie Dr. Payer vertrat<br />

im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt auch <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Arzt Med. Dr. Fabian Sommer<br />

(1533–1571). In seinem Karlsbad-Buch aus<br />

<strong>de</strong>m Jahre 1571 De inventione, <strong>de</strong>scriptione,<br />

temperie, viribus et inprimis usu thermarum<br />

D.Caroli IV. Imperatoris empfiehlt er <strong>de</strong>n<br />

Patienten nach ihrer Ankunft Ruhe, Abführung<br />

und danach eine Kombination von<br />

Ba<strong>de</strong>- und Trinkkur. Das Heilverfahren sollte<br />

nach Sommer aufgrund <strong>de</strong>s Rates eines<br />

erfahrenen Karlsba<strong>de</strong>r Arztes und nicht<br />

gemäß <strong>de</strong>r Instruktionen <strong>de</strong>s Leibarztes erfolgen.<br />

Dr. Sommer verurteilte <strong>de</strong>n täglichen<br />

Wechsel von Ba<strong>de</strong>n und Trinken sowie<br />

auch das Trinken und Ba<strong>de</strong>n während<br />

eines Tages. Am meisten kritisierte er die<br />

schädliche Gewohnheit, das Mineralwasser<br />

direkt im Bad zu trinken. Er empfiehlt das<br />

Trinken morgens früh auf nüchternen<br />

Magen mit 3 Tassen beginnend und je<strong>de</strong>n<br />

Tag um zwei zu steigern, d. h. 5, 7, 9 Tassen<br />

und danach die Dosierung wie<strong>de</strong>r in umgekehrter<br />

Reihenfolge zu verringern, sodass<br />

<strong>de</strong>r Patient am siebten Tag wie<strong>de</strong>r so viel<br />

trank wie am ersten Tag. Das Spru<strong>de</strong>lwasser<br />

sollte so heiß getrunken wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>r<br />

Kranke es gera<strong>de</strong> noch ertragen konnte.<br />

Beim Trinken sollte <strong>de</strong>r Patient durch‘s<br />

Zimmer spazieren. Dr. Sommer legte sehr<br />

strenge Diätverordnungen fest. Nach <strong>de</strong>r<br />

siebentägigen Trinkkur sollte eine vierzehntägige<br />

Ba<strong>de</strong>kur folgen. Bei <strong>de</strong>n Krankheiten,<br />

<strong>de</strong>ren Heilung die Hautaufplatzung<br />

verlangte, wur<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>r verordnet, die<br />

10 –12 Stun<strong>de</strong>n pro Tag dauerten. Sommer<br />

verordnete auch das Duschen mit Spru<strong>de</strong>lwasser,<br />

was eine Neuigkeit war, die am Anfang<br />

<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts aus Italien nach<br />

Böhmen übernommen wur<strong>de</strong>. Es wur<strong>de</strong><br />

lediglich <strong>de</strong>r Kopf geduscht. Sommer war<br />

<strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r zur Einrichtung von Dampfbä<strong>de</strong>rn<br />

mahnte. Er starb aber sehr jung im<br />

Alter von 38 Jahren und ein von ihm entworfenes<br />

Spru<strong>de</strong>l-Dampfbad hat man in<br />

Karlsbad erst im Jahre 1794 gebaut.<br />

Weitere eifrige Verfechter <strong>de</strong>r Payerschen<br />

Prinzipien und <strong>de</strong>r Trinkkur waren in Karlsbad<br />

nach <strong>de</strong>m Jahre 1600 die Ärzte Michael<br />

Reu<strong>de</strong>nius und vor allem Johann Stephan<br />

Strobelberger. Bei<strong>de</strong> waren ohne<br />

Zweifel durch die I<strong>de</strong>en und Schriften <strong>de</strong>s<br />

großen Paracelsus belehrt und inspiriert.<br />

Im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt begann sich in Karlsbad<br />

und auch in an<strong>de</strong>ren böhmischen Bä<strong>de</strong>rn<br />

allmählich die Trinkkur durchzusetzen.<br />

Wir konzentrieren uns jetzt auf Dr.<br />

Johann Stephan Strobelbergers Persönlichkeit<br />

und sein Werk, in <strong>de</strong>m die Renaissance-Kenntnisse<br />

über das Heilverfahren<br />

in Karlsbad und Böhmen kulminierten. Er<br />

war nach Payer <strong>de</strong>r eifrigste Befürworter<br />

<strong>de</strong>r Trinktherapie. Er war <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r die<br />

Versendung von Spru<strong>de</strong>lsalz empfahl. Seine<br />

Werke zeichnen sich durch einen gut lesbaren<br />

und witzigen Stil aus und <strong>bei</strong>nhalten<br />

auch ziemlich kritische Beschreibungen <strong>de</strong>s<br />

Ba<strong>de</strong>lebens sowie originelle Belehrungen<br />

<strong>de</strong>s Kurgastes durch Gedichte.<br />

Strobelberger wur<strong>de</strong> im Jahre 1593 in<br />

Graz geboren. Sein Vater, ein Apotheker,<br />

stammte aus Pressburg. Im Jahr 1600<br />

wur<strong>de</strong> die Familie Strobelberger wegen<br />

ihres protestantischen Glaubens aus Graz<br />

ausgewiesen. Sie fand ihr neues Zuhause<br />

in Regensburg. Der junge Strobelberger<br />

wur<strong>de</strong> nach seinem Studium in Nürnberg,<br />

Wittenberg, Strassburg und Basel im Jahre<br />

1615 an <strong>de</strong>r Universität in Montpellier<br />

zum Medizin-Doktor promoviert. Er ließ<br />

sich zuerst in Regensburg nie<strong>de</strong>r. Später<br />

reiste er nach Prag, wo er Leibarzt <strong>de</strong>s Grafen<br />

Georg Leopold Schwarzenberg wur<strong>de</strong>.<br />

Nach <strong>de</strong>m Jahr 1618 kam er zuerst saisonbedingt<br />

und dann dauerhaft nach Karlsbad.<br />

Hier lernte er <strong>de</strong>n vor Ort praktizieren<strong>de</strong>n<br />

Arzt Dr. Michael Reu<strong>de</strong>nius näher<br />

kennen und nach seinem Umzug nach Hof<br />

15


übernahm er die Funktion <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />

städtischen Ba<strong>de</strong>arztes. Im Kurort verkehrte<br />

er auch mit <strong>de</strong>m einheimischen Arzt Dr.<br />

Wenzel Hillinger. In Karlsbad wur<strong>de</strong> Strobelberger<br />

sehr früh von <strong>de</strong>r a<strong>de</strong>ligen Klientel<br />

aufgenommen und für seine ausgezeichneten<br />

Kenntnisse und Heilerfolge wur<strong>de</strong><br />

ihm <strong>de</strong>r Titel eines kaiserlichen Ba<strong>de</strong>arztes<br />

verliehen. Trotz seines protestantischen Bekenntnisses<br />

durfte er auch nach <strong>de</strong>m Jahre<br />

1628, als in <strong>de</strong>r Stadt eine strenge Gegenreformation<br />

durchgeführt wur<strong>de</strong>, ohne<br />

Zwang in Karlsbad bleiben. Erst ein Jahr<br />

später, aufgrund <strong>de</strong>r Initiative <strong>de</strong>s Elbogener<br />

Hauptmannes, musste er das Bad verlassen.<br />

Er ging nach Regensburg, wo er sehr jung<br />

am 24. Mai 1630 starb.<br />

Strobelberger war ein sehr fleißiger<br />

Schriftsteller. Er schrieb insgesamt 15 Bücher,<br />

von <strong>de</strong>nen 4 von Karlsbad han<strong>de</strong>ln.<br />

In seinen Karlsba<strong>de</strong>r Werken zitiert er häufig<br />

Sommer und Reu<strong>de</strong>nius. Seine erste<br />

Schrift über Karlsbad, Politiae Thermo-Carolinae<br />

Prodromus, stammt aus <strong>de</strong>m Jahre<br />

1622 und ist Elisabeth und Kaspar Schlick<br />

gewidmet. Im Vorwort <strong>de</strong>s Buches beschäftigt<br />

sich <strong>de</strong>r Autor mit <strong>de</strong>m Ursprung <strong>de</strong>s<br />

Heilwassers. Er ging da<strong>bei</strong> von Sommers<br />

Schrift aus. Es war ihm noch nicht ganz<br />

klar, woher die Karlsba<strong>de</strong>r Quellen ihre<br />

Temperatur gewinnen. Deshalb schreibt er:<br />

„Woher die Bä<strong>de</strong>r Warm sein,<br />

Niemand recht weiss, <strong>de</strong>n Gott allein.“<br />

Weiter prägte er die Theorie, dass man das<br />

Karlsba<strong>de</strong>r Wasser mit Erfolg das ganze<br />

Jahr über anwen<strong>de</strong>n kann:<br />

„Die Zeit sey gleich Warm o<strong>de</strong>r Kalt<br />

Wirstu sehr Kranck so eyle bald<br />

Zu diesem Badt und brauch es recht<br />

Sonst dich <strong>de</strong>r Todt umbs Leben brächt.“<br />

Strobelberger empfahl das reichliche Trinken<br />

<strong>de</strong>s Wassers und lehnte das Vorurteil <strong>de</strong>r Versteinerung<br />

<strong>de</strong>s Verdauungsapparates ab:<br />

„Drumb scheu dich nit, du krancker Mann,<br />

Das dir ein Stein soll wachsen an,<br />

In <strong>de</strong>inen Len<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Bauch,<br />

Von dises warmen Wassers brauch.<br />

Wann du es Trinckst, wie sichs gebührt,<br />

16<br />

Natur alln Schadt verhüten wird.“<br />

Im Buch ta<strong>de</strong>lt Strobelberger sehr scharf<br />

manche Unwesen im Bad. Er verurteilt unmäßiges<br />

Essen und beson<strong>de</strong>rs die Trunksucht.<br />

In Karlsbad gab es auch solche<br />

„Kranke“, die sich in <strong>de</strong>n heilen<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn<br />

sehr oft ihren Alkohol-Kater ausgeschlafen<br />

haben (<strong>de</strong>r Autor benutzt für sie die kernige<br />

Bezeichnung „Badtschwein“). Den Karlsba<strong>de</strong>rn<br />

gibt er <strong>de</strong>n Rat, wie sie sich gegenüber<br />

<strong>de</strong>n frem<strong>de</strong>n Kurgästen benehmen<br />

sollen, <strong>de</strong>m Prinzip nach, „wie du willst,<br />

dass die Leute zu dir sind, so sei du zu<br />

ihnen“. Die Gäste ermahnt er dann, dass<br />

sie nicht undankbar sein sollen und listet<br />

die vielen Umstän<strong>de</strong> auf, die die Karlsba<strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>r Unterkunft und <strong>de</strong>r Bedienung<br />

<strong>de</strong>r Patienten haben.<br />

Strobelbergers be<strong>de</strong>utendstes Buch<br />

Kurtze Instruction und Bad-Regiment wie<br />

das Keyser Carols-Badt sampt guter Diät zu<br />

gebrauchen aus <strong>de</strong>m Jahre 1629 erlebte insgesamt<br />

zehn Auflagen, was ein vielsagen<strong>de</strong>s<br />

Zeugnis über seine zeitgenössische<br />

Nützlichkeit und Beliebtheit ist. Das Werk<br />

wird mit einem Kapitel über das Alter und<br />

<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Quellen eingeführt. Der Autor interessiert<br />

sich sehr für die Frage ihrer Ent<strong>de</strong>ckung.<br />

Er legt eine mutige Hypothese fest, nach<br />

<strong>de</strong>r die Quellen schon zur Zeit <strong>de</strong>s Römerstreifzuges<br />

in Böhmen bekannt waren.<br />

Seine Behauptungen stützt er auf eine Textpassage<br />

aus <strong>de</strong>n Tacitus-Annalen. Hier gibt<br />

es eine Erwähnung über einen Ort „Civitas<br />

Juhonum“. Mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation dieser<br />

Stelle beschäftigte sich <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

Renaissance-Gelehrte Valerius Cordus.<br />

Und eben von ihm geht Strobelberger aus.<br />

Er ist davon fest überzeugt, dass <strong>de</strong>r erwähnte<br />

Ort einst im Gebiet <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Thermen<br />

war. Er ist angeblich durch Feuer untergegangen<br />

und versank in <strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n.<br />

Die eingegangene Stadt ist in Vergessenheit<br />

geraten und die Lokalität mit <strong>de</strong>n warmen<br />

Heilquellen wur<strong>de</strong> dann zum zweiten<br />

Mal durch Kaiser Karl IV. im Jahre 1358<br />

ent<strong>de</strong>ckt und zur Stadt erhoben. Strobel-


ergers Theorie wur<strong>de</strong> schon von seinen<br />

Zeitgenossen konsequent abgelehnt, sodass<br />

wir sie heute nur als eine historische Kuriosität<br />

o<strong>de</strong>r ein verführerisches Fragezeichen<br />

<strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Regionalgeschichte akzeptieren.<br />

Weiter fin<strong>de</strong>n wir im Text die Erwähnungen<br />

über Wenzel Payer, die große Überschwemmung<br />

Karlsbads im Jahre 1582,<br />

<strong>de</strong>n Brand vom 13. August 1604 sowie<br />

über die Mineralien <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Umgebung.<br />

Dann folgt <strong>de</strong>r medizinische Teil.<br />

Die Anlage bil<strong>de</strong>t eine Anleitung zur geeigneten<br />

Lebensweise samt Diät-Instruktionen<br />

und Tabellen, aus <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Patient<br />

selbst feststellen konnte, wieviel Becher<br />

Wasser pro Tag er trinken soll. Der Ba<strong>de</strong>gast<br />

sollte sich nach Strobelbergers Instruktionen<br />

zuerst einer Trinktherapie von 5–7<br />

Tagen unterziehen. Die maximale Anzahl<br />

<strong>de</strong>r zu trinken<strong>de</strong>n Spru<strong>de</strong>lbecher hatte <strong>bei</strong><br />

einer siebentätigen Therapie folgen<strong>de</strong> Reihenfolge:<br />

15, 25, 25, 45, 55, 45 und 35.<br />

Danach folgte eine siebentägige Ba<strong>de</strong>kur.<br />

Diese Trink- und Ba<strong>de</strong>therapie wur<strong>de</strong> 3–4mal<br />

wie<strong>de</strong>rholt. Dr. Strobelberger verordnete<br />

als erster <strong>de</strong>n Patienten auch Spru<strong>de</strong>lsalz,<br />

um die abführen<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>s<br />

Thermalwassers zu steigern. Strobelberger<br />

war auch <strong>de</strong>r erste Befürworter <strong>de</strong>s ganzjährigen<br />

Ba<strong>de</strong>verfahrens in Karlsbad.<br />

Strobelbergers Heilkonzeption wur<strong>de</strong> in<br />

Karlsbad bis zur Zeit Dr. David Bechers<br />

(1725–1792) angewandt. Unter <strong>de</strong>m Einfluss<br />

<strong>de</strong>r zahlreichen Schriften von Dr. J. S.<br />

Strobelberger wur<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>m Jahre 1620<br />

die Trinktherapie in Karlsbad und auch in<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren böhmischen Kurorten immer<br />

mehr bevorzugt. Die in <strong>de</strong>r Barockzeit modische<br />

und vielfach übertrieben praktizierte<br />

Trinkkur führte manchmal zu Extremen,<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>nen z. B. in Karlsbad um das Jahr<br />

1750 je nach Krankheit und Statur <strong>de</strong>s Patienten<br />

auch 50 bis 70 Tassen Mineralwasser<br />

täglich getrunken wur<strong>de</strong>n. Man muss<br />

jedoch betonen, dass die Patienten diese<br />

Wassermengen nur an wenigen Tagen in<br />

<strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>aufenthaltes trinken<br />

mussten. Am Anfang und zum Schluss <strong>de</strong>r<br />

Kur trank man gemäßigte Wasserportionen.<br />

Diese Form <strong>de</strong>r Trinkkur, die rund 140<br />

Jahre in Karlsbad praktiziert wur<strong>de</strong><br />

(1630–1770), nannte man „Pyramidalkur“.<br />

Die fortschrittlichen medizinischen Anschauungen<br />

J. S. Strobelbergers sind teilweise<br />

noch heute gültig. Der Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Stadrat ehrte <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utendsten Karlsba<strong>de</strong>r<br />

Kurarzt und Schriftsteller <strong>de</strong>r Zeit vor Dr.<br />

David Becher im Jahre 1930 mit <strong>de</strong>r Herausgabe<br />

einer Auswahl seiner Heilnormen in<br />

Originalfassung mit Erklärungen.<br />

LITERATUR<br />

1 Payer, Venceslaus: Tractatus <strong>de</strong> Thermis Caroli<br />

Quarti Imperatoris. Lipsiae, V. Schumanni 1522,<br />

57 S.<br />

2 Sommer, Fabian: De inventione, <strong>de</strong>scriptione,<br />

temperie, viribus et inprimis usu thermarum D.<br />

Caroli IV. Imperatoris. Lipsiae, J. Steinmann<br />

1571, 103 S.<br />

3 Strobelberger, Johann Stephan: Kurtze Instruction<br />

und Ba<strong>de</strong>-Regiment wie das Keyser Carols-<br />

Badt sampt guter Diät zu gebrauchen. Nürnberg,<br />

A.Wagenmann 1629, 22 S.<br />

4 Hoffmann, Friedrich: Dissertatio medico-physica<br />

inauguralis <strong>de</strong> Carolinis thermis. Hallae-Mag<strong>de</strong>burgae<br />

1695, 47 S.<br />

5 Springsfeld, Carl Gottlob: Abhandlung vom<br />

Carlsba<strong>de</strong>. Leipzig, Gleditsch 1749, 324+54 S.<br />

6 Becher, David: Neue Abhandlungen vom Carlsba<strong>de</strong>.<br />

Prag, Gerle 1772, 148+156+244 S.<br />

7 Ludwig, Karl: Ba<strong>de</strong>-und Trinkkur in Alt-Karlsbad.<br />

Jena, Fischer 1924, 14 S.<br />

8 Ludwig, Karl: Alt-Karlsba<strong>de</strong>r Ärzte und ihre Kurmetho<strong>de</strong>n.<br />

Jena, Fischer 1929, 21 S.<br />

9 Burachovič , Stanislav: Karlovy Vary a jejich vlastivědné<br />

písemnictví (Karlsbad und sein heimatkundliches<br />

Schrifttum). Karlovy Vary, Státní<br />

okresní archiv 2000.<br />

10 Burachovič , Stanislav – Wieser, Stanislav: Encyklopedie<br />

lázní a léčivyˇch pramenu ° v Čechách, na<br />

Moravě a ve Slezsku (Enzyklopädie <strong>de</strong>r Heilbä<strong>de</strong>r<br />

und Heilquellen in Böhmen, Mähren und<br />

Schlesien). Praha, Libri 2001, 520 S.<br />

Nach einem Vortrag am 14. April 2004 im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n<br />

Dr. phil. Stanislav Burachovič, Bezirksmuseum Karlovy Vary (Karlsbad)<br />

S ˇ ípková 21 · 36007 Karlovy Vary · Tschechien · Mail: burachovic@kvmuz.cz<br />

17


Die Stadt Joachimsthal<br />

In <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Dorfes Konradsgrün in<br />

<strong>de</strong>r Herrschaft Schlackenwerth fand ein<br />

Bewohner im Jahre 1515 am Südhang <strong>de</strong>s<br />

Erzgebirges 1 reiche Silberanbrüche 2 . Zur<br />

Besichtigung dieser Fundstelle lud <strong>de</strong>r Besitzer<br />

<strong>de</strong>r böhmischen Herrschaft von<br />

Schlackenwerth Graf Stephan I. von<br />

Schlick 3 im Jahre 1516 anlässlich einer Jagd<br />

von <strong>de</strong>r Burg Karlsbad aus ein. Es beteiligten<br />

sich: Burggraf Alexan<strong>de</strong>r von Leisnig<br />

auf Penig 4 , Wolf von Schönberg 5 sowie<br />

Hans Hirnes (Thumbshirnen) 6 . Sie alle<br />

waren so begeistert von <strong>de</strong>m Silberfund,<br />

dass sie sich zu einer Gewerkschaft zum<br />

Abbau <strong>de</strong>r Silbererze zusammenschlossen 7 .<br />

Die meisten Bergwerksanteile (Kuxe) hatten<br />

die Grafen von Schlick inne.<br />

Als Besitzer <strong>de</strong>r Herrschaft grün<strong>de</strong>ten die<br />

Grafen von Schlick schon 1516 die Stadt<br />

St. Joachimsthal, benannt nach <strong>de</strong>m Großvater<br />

von Jesus. Ein Privileg vom 6. Januar<br />

1520, ausgefertigt vom böhmischen König<br />

Ludwig, erhob Joachimsthal zur „Freien<br />

königlichen Bergstadt“. 8<br />

Schon Mitte <strong>de</strong>s Jahres 1516 war Joachimsthal<br />

ein großer Bauplatz. 9<br />

Bis En<strong>de</strong> 1516 hatte das große Berggeschrei<br />

bereits 1 050 Menschen angezogen, 1517<br />

hatte sich die Einwohnerzahl verdoppelt,<br />

1521 waren es 5 800 Einwohner, 1526 ca.<br />

14 000 Einwohner. In <strong>de</strong>n Jahren 1527 bis<br />

1533, als Georgius Agricola in Joachimsthal<br />

weilte, war sie nach Prag die zweitgrößte<br />

Stadt in Böhmen. 10<br />

Neben Gruben- und Holzhäusern entstan<strong>de</strong>n<br />

schon in <strong>de</strong>n Anfangsjahren Steingebäu<strong>de</strong>,<br />

die trotz mehrerer verheeren<strong>de</strong>r<br />

Brän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />

z.T. erhalten bzw. in ihrer Grundsubstanz<br />

noch heute erkennbar sind. 11<br />

1. Spital-/Friedhofskirche: Die Spitalkirche<br />

ist das älteste Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stadt. Sie<br />

wur<strong>de</strong> 1516 an einem Abhang über <strong>de</strong>r<br />

Stadt erbaut und ist mit <strong>de</strong>m hochragen<strong>de</strong>n,<br />

mit Schin<strong>de</strong>ln ge<strong>de</strong>ckten Satteldach<br />

18<br />

Dr. Gisela-Ruth Engewald<br />

JOACHIMSTHAL – JOACHIMSTHALER – TALER<br />

und <strong>de</strong>m Dachreitertürmchen in seiner<br />

originalen Bausubstanz über die Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

hinweg erhalten geblieben. Große<br />

Teile <strong>de</strong>r wertvolle Innenausstattung (Epitaph,<br />

gestiftet von be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Stadtbürgern)<br />

befin<strong>de</strong>t sich jetzt in Museen von Jachymow/Joachimsthal<br />

und Karlovy<br />

Vary/Karlsbad. Nur <strong>de</strong>r kostbare Flügelaltar<br />

von 1530, bestehend aus einem Mittelschrein<br />

mit Pre<strong>de</strong>lla und zweigeschossigem<br />

Aufsatz, verblieb in <strong>de</strong>r Kirche. 1530<br />

ließ Georgius Agricola neben <strong>de</strong>r Kirche<br />

ein Spital für arme Bergleute errichten (im<br />

20. Jahrhun<strong>de</strong>rt abgerissen) und mit <strong>de</strong>r<br />

Kirche verbin<strong>de</strong>n.<br />

2. Burg Freu<strong>de</strong>nstein: Die Grafen Schlick<br />

erbauten oberhalb <strong>de</strong>r Stadt 1517 bis 1525<br />

eine Burg, in <strong>de</strong>r sie, noch bevor ihnen das<br />

Münzrecht 1520 12 verliehen wur<strong>de</strong>, die<br />

erste Münzstätte errichteten. Gegenwärtig<br />

sind nur noch Türme <strong>de</strong>r Burganlage erhalten.<br />

3. Stadtkirche St. Joachim: Sie wur<strong>de</strong> von<br />

1534/40 mit Gel<strong>de</strong>rn reicher Gewerke, vor<br />

allem <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>r Stephan und Hieronymus<br />

Schlick, auf einem steilen Abhang am<br />

Markt erbaut und am 25. November 1537<br />

geweiht. Beim großen Stadtbrand 1873<br />

brannte sie fast vollständig ab, wur<strong>de</strong> 1874<br />

bis 1876 nach Entwürfen <strong>de</strong>s Prager Dombaumeisters<br />

Josef Mocker vom Baumeister<br />

Karl Friedrich Richter aus Johanngeorgenstadt<br />

gotisierend neu aufgebaut und erhielt<br />

ihre heutige Ausstattung. Das schönste Detail<br />

ist das Westportal mit einem Medaillon<br />

im Giebelfeld mit <strong>de</strong>m Brustbild <strong>de</strong>s<br />

Stadtgrün<strong>de</strong>rs Graf Stephan von Schlick 13 .<br />

Ein Distichon von Doktor Johannes Neff<br />

(Naevius) aus Chemnitz, in Stein gehauen<br />

vom Steinmetz Jörg von Bamberg, befin<strong>de</strong>t<br />

sich darunter. 14<br />

4. Münzstätte: Das Gebäu<strong>de</strong> am Markt<br />

wur<strong>de</strong> 1533/36 als Neubau errichtet, nach<strong>de</strong>m<br />

das Münzrecht von <strong>de</strong>n Grafen<br />

Schlick 1528 an <strong>de</strong>n böhmischen König<br />

Ferdinand übergegangen und das vorheri-


ge Gebäu<strong>de</strong> zu klein gewor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>nn<br />

es kamen hinzu: Ankauf und Lagerung<br />

von Silber, Gießen von Münzmetall und<br />

Prägewerkstätten, Prüfung <strong>de</strong>r Qualität<br />

von Münzen auf Silbergehalt, Wohnräume<br />

für königliche Beamten, Münzmeister<br />

und War<strong>de</strong>in. Beim großen Stadtbrand<br />

1873 wur<strong>de</strong> das Gebäu<strong>de</strong> vernichtet und<br />

damit auch die dort gelagerten Archivalien.<br />

Die Joachimsthaler Münze ist als Gebäu<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts in ihrer<br />

Grundsubstanz erhalten geblieben. Mit<br />

ihren zwei Innenhöfen ist sie heute als<br />

„Alte Münze“ ein Denkmal I. Kategorie<br />

(Staatsbesitz) und in Verwaltung <strong>de</strong>s Museums<br />

Karlovy Vary. 15<br />

5. Rathaus: Es wur<strong>de</strong> von 1540/44 als repräsentatives<br />

Gebäu<strong>de</strong> errichtet, 1873<br />

brannte es ab und wur<strong>de</strong> 1902 erneuert.<br />

6. Portale an ehemaligen Bürgerhäusern:<br />

entlang <strong>de</strong>r Talstraße in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s<br />

Marktes fin<strong>de</strong>t man an einigen ehemaligen<br />

Bürgerhäusern sehr schöne Renaissanceportale<br />

mit Jahreszahl und reichhaltigem<br />

Schmuck. 16<br />

Mehrmals erkämpften Bergar<strong>bei</strong>ter in Aufstän<strong>de</strong>n<br />

Lohnerhöhungen sowie neue Verwaltungs-,<br />

Betriebs- und Sozialmaßnahmen,<br />

so 1517, 1522 und 1525. Während<br />

<strong>de</strong>s Aufstan<strong>de</strong>s 1525 kam es zu Plün<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r Burg und <strong>de</strong>s Rathauses. 17<br />

Der Bergbau in Joachimsthal gehörte <strong>de</strong>r<br />

2. Hauptperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s erzgebirgischen Bergbaus<br />

an. Er erreichte Mitte <strong>de</strong>r 1. Hälfte<br />

<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts seinen Höhepunkt.<br />

Nach <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r oberflächennahen<br />

Schichten setzte um 1550 <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rgang<br />

<strong>de</strong>s Bergbaus ein, das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Blütezeit<br />

wird auf 1563 datiert. 18<br />

Nach<strong>de</strong>m Marie und Pierre Curie 1898 in<br />

<strong>de</strong>r Uranpechblen<strong>de</strong> das Radium nachgewiesen<br />

hatten, wur<strong>de</strong> neben Oberschlema/<br />

Schneeberg und Bad Brambach auf sächsischer<br />

Seite auch Joachimsthal auf Grund<br />

radioaktiver Wässer zum Kurort ausgebaut.<br />

19 1945 erfuhr <strong>de</strong>r Bergbau auf böhmischer<br />

Seite durch die SAG Wismut zunächst<br />

eine Intensivierung. Nach 1990<br />

wur<strong>de</strong> Joachimsthal wie<strong>de</strong>r zu einem anerkannten<br />

Kurort.<br />

In <strong>de</strong>n Jahren 1528/29 begann <strong>de</strong>r Aufschwung<br />

<strong>de</strong>s Bergbaus <strong>bei</strong> Gottesgab (Bozi<br />

Dar) mit <strong>de</strong>r Verleihung kurfürstlich-sächsischer<br />

Bergfreiheit. 20<br />

Joachimsthaler – Taler<br />

Die reichen Silberfun<strong>de</strong> veranlassten die<br />

Grafen Schlick, eine Münzstätte in ihrer<br />

Herrschaft einzurichten. Sie prägte 1519<br />

erstmals einen Gul<strong>de</strong>ngroschen, <strong>de</strong>n „Joachimsthaler“.<br />

Vertraglich regelten sie das<br />

mit <strong>de</strong>m böhmischen König im Vertrag<br />

vom 9. Januar 1520. 21 Darin verpflichteten<br />

sie sich als Besitzer von Joachimsthal, <strong>de</strong>n<br />

be<strong>de</strong>utsamen Politikern <strong>de</strong>s Königreiches<br />

Böhmen sowie <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r königlichen<br />

Familie von je<strong>de</strong>m Pfund <strong>de</strong>s in<br />

Joachimsthal geför<strong>de</strong>rten Silbers sieben<br />

böhmische Groschen abzugeben. So erwarben<br />

sie auch das Einverständnis <strong>de</strong>s<br />

böhmischen Landtages für die Prägung<br />

einer neuen Münze mit <strong>de</strong>m Porträt von<br />

König Ludwig von Böhmen mit Text auf<br />

<strong>de</strong>r einen Seite und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />

das Bild <strong>de</strong>s Heiligen Joachim und <strong>de</strong>m<br />

Wappen <strong>de</strong>r Herren von Schlick 22 und versahen<br />

ab 1520 die Münzen, kurz „Taler“<br />

genannt, mit <strong>de</strong>r Jahreszahl. 23 Die ersten<br />

Münzen wur<strong>de</strong>n vom Münzmeister<br />

Stephan Gemisch aus Nürnberg und <strong>de</strong>m<br />

technischen Leiter <strong>de</strong>r Münze Ullrich<br />

(Utz) Gebhart aus Sachsen mit <strong>de</strong>r Prägung<br />

„Schlicker Münze“ geprägt.<br />

Um <strong>de</strong>n Bergbau voranzubringen und die<br />

Bergleute zu entlohnen (sie drohten schon<br />

1517, in das benachbarte Buchholz abzuwan<strong>de</strong>rn,<br />

falls sie nicht gerecht entlohnt<br />

wür<strong>de</strong>n), reichte das Gründungskapital <strong>de</strong>r<br />

Adligen nicht. Deshalb lieh sich schon<br />

1516 Graf Stephan von Schlick als Bergbauunternehmer<br />

größere Geldmengen von<br />

<strong>de</strong>m reichen Bankhaus Welser aus Nürnberg<br />

und 1517 auch von <strong>de</strong>n Fuggern aus<br />

Augsburg 24 . Durch diese Schuldverschreibungen<br />

kam ein Teil <strong>de</strong>s Reingewinnes in<br />

Form von Silbertalern nach Nürnberg und<br />

19


an <strong>de</strong>n Bankier Anton Fugger und machte<br />

<strong>de</strong>n Taler als Zahlungsmittel bekannt. 25<br />

Bis 1528 wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Grafen Schlick<br />

3.250.000 Taler und 22 Mio. Prager Groschen<br />

geprägt. 26 Das Geld wur<strong>de</strong> vor<br />

allem auf <strong>de</strong>r in dieser Zeit berühmten<br />

Leipziger Messe vertrieben. Der Münzfuß<br />

(Silbergehalt) <strong>de</strong>s Joachimsthalers richtete<br />

sich <strong>de</strong>shalb nach <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>r<br />

kurfürstlich-sächsischen Münzstätten. 27<br />

Im Jahre 1528 gingen Münze und damit<br />

Münzprägung in <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s böhmischen<br />

Königs Ferdinand I. (1503–1564)<br />

über. Die Brü<strong>de</strong>r Schlick blieben allerdings<br />

die Münzstättenbetreiber, wenn auch ihre<br />

Vollmachten durch königliche Beamte eingeschränkt<br />

wur<strong>de</strong>n.<br />

Ab 1528 wur<strong>de</strong>n die Taler als Regierungsmünzen<br />

für Böhmen geprägt. Bis 1539<br />

1 Im 16. Jh. wur<strong>de</strong> das bis dahin als „Böhmischer<br />

Wald“ o<strong>de</strong>r „Böhmisches Gebirge“ bezeichnete<br />

Gebiet infolge <strong>de</strong>s intensiven Bergbaus „Erzgebirge“<br />

genannt. Erstmals taucht <strong>de</strong>r Name 1527 in<br />

Bergwerksakten auf, dann offiziell 1542 in <strong>de</strong>r<br />

Münzordnung <strong>de</strong>s Herzogs (später Kurfürst) Moritz.<br />

In die Literatur wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begriff „Erzgebirge“<br />

1590 mit <strong>de</strong>r „Meißnischen Bergchronik“ von<br />

Petrus ALBINUS eingeführt. (Wagenbreth, O. &<br />

Wächtler, E. [Hrsg.] (1990): Bergbau im Erzgebirge.<br />

Leipzig, S. 24).<br />

2 Beim Dorf Konradsgrün waren zwei zueinan<strong>de</strong>r<br />

senkrecht stehen<strong>de</strong> silberhaltige Gänge von wenigen<br />

Zentimetern Mächtigkeit am Südrand <strong>de</strong>s<br />

Erzgebirges, im Kontakthof <strong>de</strong>s Eibenstocker<br />

Granites, ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Erzführung <strong>de</strong>r Gänge än<strong>de</strong>rte sich mit zunehmen<strong>de</strong>r<br />

Teufe (Tiefe) als Folge <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Erdoberfläche ausgehen<strong>de</strong>n Verwitterung. In <strong>de</strong>n<br />

oberen, nur wenige Dezimeter starken Bereichen<br />

verwittern Minerale und Erze (metallhaltige Minerale)<br />

unterschiedlich, wo<strong>bei</strong> E<strong>de</strong>lmetalle wie<br />

Silber in <strong>de</strong>n Gängen angereichert wer<strong>de</strong>n. Deshalb<br />

fan<strong>de</strong>n die Bergleute in <strong>de</strong>n obersten fünfzig<br />

Metern <strong>de</strong>r Gänge (Oxydations- und Zementationszone)<br />

in Joachimsthal reiche Silbererze.<br />

Darunter in <strong>de</strong>n unverwitterten Bereichen war<br />

eine Gangausfüllung mit nur geringen Gehalten<br />

20<br />

war die Münzstätte Joachimsthal die einzige<br />

in Böhmen. 28 1547 sprach König Ferdinand<br />

<strong>de</strong>n Grafen Schlick sowohl das Bergbau-<br />

als auch das Stadtrecht ab. 29<br />

Fast 150 Jahre wur<strong>de</strong>n in Joachimsthal Taler<br />

und Groschen, ein anerkanntes und weit<br />

verbreitetes Zahlungsmittel, geprägt. Mit<br />

<strong>de</strong>m Rückgang <strong>de</strong>s Bergbaus im Erzgebirge<br />

im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt war auch allgemein ein<br />

Rückgang in <strong>de</strong>r Prägung von Silbermünzen<br />

verbun<strong>de</strong>n. 1671 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Betrieb <strong>de</strong>r<br />

Münzstätte Joachimsthal eingestellt.<br />

So begann die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Münze, die<br />

nach <strong>de</strong>m Ursprungsort zunächst Joachimsthalergul<strong>de</strong>n,<br />

dann Thaler, Taler, Talero,<br />

Tolar, Joachimucus, Jocondale, Joachimik<br />

und Jefimok genannt wur<strong>de</strong>. Die „Schlicksche<br />

Münze“ gab auch <strong>de</strong>m amerikanischen<br />

Dollar seinen Namen. 30<br />

ANMERKUNGEN UND LITERATUR<br />

an Silber vorhan<strong>de</strong>n, das Silber war fein verteilt.<br />

Nach <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r Reicherzzone verarmten<br />

die Gänge schlagartig, und es lohnte sich <strong>de</strong>r<br />

Abbau nicht mehr. Damit setzte auch <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rgang<br />

<strong>de</strong>s Bergbaus etwa um 1550 in Joachimsthal<br />

ein. (Engewald, G.-R.: Georgius Agricola. Stuttgart,<br />

Leipzig, Zürich 1994, S. 60).<br />

3 Graf Stephan I. von Schlick war zugleich Herr zu<br />

Passau und Weißkirchen/Ungarn, sowie Herr auf<br />

Elnbogen und Hartinberg, <strong>bei</strong><strong>de</strong>s Nähe Karlsbad.<br />

4 Burggraf Alexan<strong>de</strong>r von Leisnig war zugleich Besitzer<br />

<strong>de</strong>r benachbarten böhmischen Herrschaft<br />

Hauenstein.<br />

5 Wolf von Schönburg war gemeinsam mit seinem<br />

Bru<strong>de</strong>r Ernst I. Besitzer <strong>de</strong>r benachbarten nördlich<br />

gelegenen Herrschaft Hartenstein sowie von<br />

Graupen/Böhmen.<br />

6 Hans Hirnen (auch Thumbshirnen) war ein reicher<br />

Bergbautreiben<strong>de</strong>r aus Annaberg und Bürger<br />

<strong>de</strong>r böhmischen Stadt Elnbogen/Karlsbad.<br />

7 Schön, Th.: Schönburgsche Hausgeschichten, IV.<br />

Bd. Urkun<strong>de</strong>nbuch 1489–1512. Wal<strong>de</strong>nburg<br />

1903, S.116; Engewald, G.-R.:Georgius Agricola. S.<br />

60/61.<br />

8 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />

Bergbau im Erzgebirge. S. 23, 127.<br />

9 Majer, J.: Zur Gründung, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.<br />

In: St. Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit


Georgius Agricola. Zur <strong>Ges</strong>chichte einer Bergstadt<br />

im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt. – Hrg. Lan<strong>de</strong>sstelle für<br />

Erzgebirgische und Vogtländische Volkskultur.<br />

Schneeberg 1994; S. 9–11.<br />

10 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />

Bergbau im Erzgebirge. S. 109.<br />

11 Ebenda. S. 118.<br />

12 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />

In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20, hier<br />

18.<br />

13 Seit <strong>de</strong>r Schlacht am 29. August 1526 <strong>bei</strong> Mohacs/<br />

Ungarn gegen die Türken vermisst.<br />

14 Krasensky, F.: Die Stadtkirche „St. Joachim“. In:<br />

St. Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola.<br />

S. 15–16.<br />

15 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />

In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20.<br />

16 Die Häuser sind größtenteils nicht o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />

unteren Etagen nicht bewohnt, da sie Radon belastet<br />

sind.<br />

17 Engewald, G.-R.: Georgius Agricola. Stuttgart,<br />

Leipzig, Zürich 1994, S. 62; Werner, Elvira: „Ins<br />

Thal, ins Thal, mit Mutter mit All“. In: St. Joachimsthal.<br />

In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S.<br />

12–14, hier S. 13.<br />

18 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />

Bergbau im Erzgebirge. S. 118.<br />

19 Ebenda. S. 14, 130.<br />

20 Ebenda. S. 128.<br />

21 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />

In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20, hier<br />

S. 18: Martinek schreibt, dass es zwei Wege waren,<br />

die die Grafen von Schlick veranlassten, das<br />

Recht, Münzen zu prägen, für sich in Anspruch<br />

zu nehmen. Der erste war die Fälschung <strong>de</strong>s königlichen<br />

Privilegs vom 30. August 1437, <strong>de</strong>r zweite<br />

<strong>de</strong>r Vertrag vom 9. Januar 1520.<br />

22 Martinek, J.: Die Münzstätten …; S. 18: Noch<br />

bevor <strong>de</strong>r Landtag das Privileg ausstellte, wur<strong>de</strong>n<br />

insgeheim die ersten Münzen in <strong>de</strong>n Kellerräumen<br />

<strong>de</strong>r neu entstehen<strong>de</strong>n Burg Freu<strong>de</strong>nstein<br />

(Schlick-scher Besitz) geprägt. Die Kellerräume<br />

eigneten sich aber nur sehr bedingt als Münze,<br />

<strong>de</strong>shalb erwarben die Grafen von Schlick Gebäu<strong>de</strong><br />

und Grundstücke am Markt und bauten hier<br />

die erste „Münze“ Anfang <strong>de</strong>r 20er Jahre.<br />

23 Prescher, H. & O. Wagenbreth (1994): Georgius<br />

Agricola – seine Zeit und ihre Spuren. Leipzig,<br />

Stuttgart. S. 43/44.<br />

24 Georgius Agricola – Ausgewählte Werke, Bd. II,<br />

Berlin 1955, S. 162–164.<br />

25 Knopf, K.: Wun<strong>de</strong>rstadt Joachimsthal. Weipert<br />

und Leipzig o. D., S. 13.<br />

26 Über die Menge <strong>de</strong>r geprägten Münzen gibt es<br />

unterschiedliche Angaben: siehe Majer, Jiri: zur<br />

Gründung, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. St.<br />

Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S.<br />

9–11, hier 9. Dort heißt es: Bis 1528 wur<strong>de</strong>n aus<br />

Joachimsthaler Silber rund 2 Mio. Thaler und<br />

kleinere Münzen geprägt im Wert von 4 Mio.<br />

Thalern.<br />

27 Martinek, J.: Die Münzstätten …; S. 18.<br />

28 Ebenda.<br />

29 Ebenda.<br />

30 Ebenda.<br />

Dr. Gisela-Ruth Engewald · 09599 Freiberg · Chemnitzer Str. 113 · Tel. 03731-69 60 62<br />

21


22<br />

Ludwig Mühlberg<br />

DIE BEDEUTUNG VON PARACELSUS FÜR DIE CHEMIE<br />

1. Einleitung<br />

PARACELSUS (1493–1541) war in erster<br />

Linie Arzt, und dieser Beruf führte ihn<br />

dazu, auf alchemisch-spagyrischem Wege<br />

Arzneimittel zur Genesung von kranken<br />

Menschen herzustellen. Durch seine intensiven,<br />

langjährigen experimentellen Ar<strong>bei</strong>ten<br />

auf alchemischem Gebiet öffnete er<br />

das Tor für eine „ärztliche Chemie“, die in<br />

<strong>de</strong>r „<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Chemie“ als das „jatrochemische<br />

Zeitalter“ bezeichnet wird –<br />

mit ihm beginnend und lange nach seinem<br />

To<strong>de</strong> noch gültig.<br />

Es soll u. a. untersucht wer<strong>de</strong>n, was PA-<br />

RACELSUS als Alchemist geleistet hat,<br />

was man eigentlich unter <strong>de</strong>m Begriff „Alchemie“<br />

versteht und in welchem Verhältnis<br />

die damalige „Alchemie“ und die jetzige<br />

„Naturwissenschaft Chemie“ zueinan<strong>de</strong>r<br />

stehen?<br />

PARACELSUS wirkt in <strong>de</strong>r 1. Hälfte<br />

<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts, also am Beginn <strong>de</strong>r<br />

Neuzeit, was für die Menschheit <strong>de</strong>s alten<br />

Europa unauslöschbar mit <strong>de</strong>m Jahr 1492<br />

n. Chr. verbun<strong>de</strong>n ist, jenem <strong>de</strong>nkwürdigen<br />

Datum, das KOLUMBUS<br />

(1451–1506) unsterblich macht. PARA-<br />

CELSUS wird ein Jahr später geboren.<br />

Die Zeit davor ist eine relativ geruhsame<br />

Phase. Um die Jahrtausendwen<strong>de</strong> ist entgegen<br />

kirchlicher Erwartungen kein Weltuntergang<br />

eingetreten. In <strong>de</strong>n darauf folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten inspiriert ein durch<br />

die Kreuzzüge verursachtes religiöses<br />

Fieber das Abendland. Der dumpfe Schlaf,<br />

<strong>de</strong>r sich über die abendländische Welt<br />

legte, ist plötzlich vergessen. Die Berührung<br />

mit <strong>de</strong>m Morgenland führt zu wichtigen<br />

Kontakten und Anregungen insbeson<strong>de</strong>re<br />

für die kommen<strong>de</strong> europäische<br />

Alchemie.<br />

Angetrieben durch die neuen Erkenntnisse<br />

und das Streben nach Kultur, Bildung<br />

und Wissenschaft wer<strong>de</strong>n erste europäische<br />

Universitäten gegrün<strong>de</strong>t, darunter<br />

die in Ferrara (1381), wo PARACELSUS<br />

1516 zum Doktor <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Arzneien promoviert.<br />

Basierend auf <strong>de</strong>n Berichten MARCO<br />

POLOS (1254–1324) sind die Menschen<br />

<strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts vom Traum, nach Indien<br />

zu gelangen, erfüllt, und vor allem<br />

am En<strong>de</strong> dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts und im<br />

Übergang zum 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt wird diese<br />

Sehnsucht realisiert. Denken wir neben<br />

KOLUMBUS an solche Männer wie<br />

VASCO DA GAMA o<strong>de</strong>r MAGELLAN,<br />

<strong>de</strong>ren mutige Fahrten über die Meere das<br />

alte Weltbild umwälzend korrigieren.<br />

Von ähnlich revolutionieren<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />

für die Menschheit ist zu jener Zeit<br />

die Erfindung <strong>de</strong>r Buchdruckerkunst durch<br />

GUTENBERG (1397–1468). Ohne sie<br />

hätte die schnelle Verbreitung von Humanismus,<br />

Renaissance und Reformation<br />

nicht stattfin<strong>de</strong>n können. Ein markanter<br />

Vertreter <strong>de</strong>s Humanismus zur Wen<strong>de</strong><br />

vom 15. zum 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt ist ERAS-<br />

MUS v. ROTTERDAM (1466–1536), <strong>de</strong>ssen<br />

satirische Angriffe gegen die Kirche die<br />

spätere Reformation von Martin LUTHER<br />

(1483–1546) mit vorbereiten. PARACEL-<br />

SUS begegnet 1527 ERASMUS in Basel.<br />

Große Geister, die im gleichen Zeitraum<br />

<strong>Ges</strong>chichte schreiben.<br />

Ein neues Lebensgefühl ist ausgebrochen,<br />

die Menschen treten mit aller Macht aus<br />

<strong>de</strong>n Ordnungen <strong>de</strong>r alten Zeit heraus, die<br />

geistige Wen<strong>de</strong> von Mittelalter zu Neuzeit<br />

wird immer spürbarer, und PARACELSUS<br />

charakterisiert diese historische Zäsur mit<br />

<strong>de</strong>n Worten:<br />

„So wisset nun ... dass die Bücher, so an euch<br />

und an mich von <strong>de</strong>n Alten her gelangt sind,<br />

mich genugsam zu sein nicht ge<strong>de</strong>ucht haben,<br />

<strong>de</strong>nn sie sind nicht vollkommen, son<strong>de</strong>rn sie<br />

stellen eher eine unzuverlässige Schrift dar, die<br />

mehr zur Verführung dient als zum Beschreiten<br />

<strong>de</strong>s rechten Weges. Aus <strong>de</strong>m gleichen Grun<strong>de</strong><br />

habe ich sie verlassen.“ (15, XI; 163)<br />

Das geniale Wirken von PARACELSUS<br />

zu Beginn <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts hat <strong>de</strong>r


Schweizer Psychoanalytiker C. G. JUNG<br />

(1875–1961), <strong>de</strong>r sich auch eingehend mit<br />

<strong>de</strong>r Alchemie beschäftigte, wie folgt beschrieben<br />

(8):<br />

„Er war ein gewaltiger Sturmwind, welcher<br />

alles auseinan<strong>de</strong>r riss und alles zusammenwirbelte,<br />

was sich irgendwie von <strong>de</strong>r Stelle rücken<br />

ließ. Wie ein Vulkanausbruch hat er gestört und<br />

zerstört, aber auch befruchtet und belebt. Man<br />

kann ihm nicht gerecht wer<strong>de</strong>n, man kann ihn<br />

immer nur unter- o<strong>de</strong>r überschätzen, und<br />

darum ist man mit <strong>de</strong>r eigenen Bemühung, wenigstens<br />

einen Teil seines Wesens genügend zu<br />

erfassen, stets unzufrie<strong>de</strong>n... PARACELSUS<br />

ist ein Meer o<strong>de</strong>r – weniger freundlich – ein<br />

Chaos, und insofern er eine historisch beschränkte,<br />

menschliche Persönlichkeit ist, kann<br />

man ihn als einen alchemischen Schmelztiegel<br />

bezeichnen, in welchen die Menschen, Götter<br />

und Dämonen jener ungeheuerlichen Zeit <strong>de</strong>r<br />

ersten Hälfte <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts, je<strong>de</strong>r einzeln,<br />

ihren beson<strong>de</strong>ren Saft gegossen haben.“<br />

PARACELSUS hinterlässt ein gewaltiges<br />

Werk über Botanik, Astronomie, Astrologie,<br />

Alchemie (Chemie), Pharmazie, Philosophie<br />

(insbeson<strong>de</strong>re Theologie), Psychiatrie<br />

und Magie – das meiste auf seinen<br />

Reisen quer durch Europa entstan<strong>de</strong>n.<br />

Er geht un<strong>bei</strong>rrt seinen Weg. Er verbrennt<br />

öffentlich die Medizinschriften von GALEN<br />

und AVICENNA am Johannisfest. Die<br />

Meinungen dieser Koryphäen auf medizinischem<br />

Gebiet galten seit alters her als<br />

unumstößliche Glaubenssätze. Sie vertraten<br />

die Viersäftelehre <strong>de</strong>s HIPPOKRATES<br />

(Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle)<br />

und bevorzugten zur Aufrechterhaltung<br />

<strong>de</strong>s Gleichgewichtes <strong>de</strong>r 4 Säfte im Körper<br />

so genannte Komposita (organische Pflanzenpräparate).<br />

Statt<strong>de</strong>ssen empfiehlt PA-<br />

RACELSUS spezifische Heilmittel (Arcana)<br />

unter Verwendung <strong>de</strong>r Metalle. Diese<br />

Tabus anzutasten verlangte Mut. PARA-<br />

CELSUS besitzt ihn, und so bringt ihn<br />

seine neue Arzneimittellehre in Gegensatz<br />

zu <strong>de</strong>n Ärzten <strong>de</strong>s Altertums.<br />

Dieser Weltbürger am Übergang von<br />

Mittelalter zur Neuzeit, am Schei<strong>de</strong>weg<br />

einer Epoche zwischen magischem und<br />

rationalem Weltbild, wird geliebt und gehaßt.<br />

Sein Leben ist eine einzige Wan<strong>de</strong>rschaft<br />

und en<strong>de</strong>t viel zu früh. Was bleibt,<br />

ist ein riesiges, noch heute nicht voll zu<br />

unserer Kenntnis gelangtes Werk.<br />

Sein großer Schatten eilt uns weiter voran,<br />

er muss noch in vielen Dingen aus <strong>de</strong>r<br />

Dunkelheit geholt, durchleuchtet und erforscht<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Alchemie<br />

Ehe die alchemischen Ar<strong>bei</strong>ten von PA-<br />

RACELSUS näher betrachtet wer<strong>de</strong>n, sind<br />

noch einige Ausführungen zur Deutung<br />

<strong>de</strong>s Begriffes „Alchemie“ notwendig<br />

(nach 7).<br />

Das Wort „Alchemie (Chemie)“ kann viersprachig<br />

ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n:<br />

1. ki mijah (hebräisch) –<br />

soll be<strong>de</strong>uten „weil sie von Gott ist“<br />

o<strong>de</strong>r ki mi JAH = „weil von Gott“.<br />

Es sei hier auf die Bezeichnung <strong>de</strong>s israelischen<br />

Gottesnamen JHWE hingewiesen,<br />

vokalisiert JAHWE gesprochen.<br />

2. al kimija (arabisch) –<br />

heißt „das Schwarze”.<br />

3. keme, chemi (ch’mi) (ägyptisch) –<br />

ebenfalls „das Schwarze“ o<strong>de</strong>r<br />

kem (kmt) (ägyptisch) –<br />

“schwarz“, in Beziehung zum dunklen<br />

Humusbo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Nilschlamm<br />

hinterlässt.<br />

4. cheein (griechisch) „gießen“ bzw.<br />

chymos (griechisch) – be<strong>de</strong>utet „Flüssigkeit<br />

o<strong>de</strong>r Saft“<br />

chymia (chyma) o<strong>de</strong>r chemeia (griechisch)<br />

ist die Handwerkskunst <strong>de</strong>s<br />

Metallgusses.<br />

5. Für das Wort „Chemie“ könnte auch<br />

zur Bibel (Gen 10,1 und 10,6–20) eine<br />

Beziehung bestehen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r 3. Sohn<br />

Noahs ist Ham o<strong>de</strong>r Cham. Er soll<br />

Kunst und Wissenschaft gelehrt haben.<br />

Interessant zu dieser Thematik sind auch<br />

Auslegungen von W. SCHNEIDER (12):<br />

Er berichtet von <strong>de</strong>r Altertumsdroge Iksir<br />

23


aus China; sie sollte Unsterblichkeit verleihen.<br />

Aus dieser hypothetischen Droge ist<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Arabern al-Iksir, unser heutiges<br />

Wort Elixier gewor<strong>de</strong>n. Nach chinesischer<br />

Darstellung enthielt diese Droge <strong>de</strong>n Saft<br />

kim-ja, <strong>de</strong>r unedle Metalle in Gold verwan<strong>de</strong>ln<br />

könne. Daraus sollen die Araber al-kimija<br />

gemacht haben, womit sich <strong>de</strong>r Kreis<br />

<strong>de</strong>r Begriffserklärungen wie<strong>de</strong>r schließt. Im<br />

heutigen <strong>de</strong>utschen Sprachgebrauch ist<br />

„Alchemie“ üblich (manche Autoren vertreten<br />

das latinisierte „Alchimie“).<br />

Alchemische Kenntnisse und ihre praktische<br />

Umsetzung gehen bis ins Altertum<br />

zurück, wesentliche Grundlagen schufen<br />

Chinesen, Ägypter, Griechen und Araber.<br />

In Europa wird die Alchemie etwa ab <strong>de</strong>m<br />

13. Jahrhun<strong>de</strong>rt begrün<strong>de</strong>t. Die alchemische<br />

Ar<strong>bei</strong>t, die Gedankenwelt <strong>de</strong>r Alchemisten<br />

ist von <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>s HER-<br />

MES TRISMEGISTOS geprägt.<br />

So auch <strong>bei</strong> PARACELSUS. Er befolgt<br />

in seinem Tun die „hermetischen Prinzipien“<br />

<strong>de</strong>s legendären HERMES TRISME-<br />

GISTOS, <strong>de</strong>r als König von Ägypten etwa<br />

2000 v. Chr. eingeordnet wird und <strong>de</strong>r als<br />

„Erfin<strong>de</strong>r“ und zugleich Schutzheiliger <strong>de</strong>r<br />

Alchemie gilt. Über das Mittelalter kamen<br />

Teile <strong>de</strong>s hermetischen Schriften-Corpus<br />

in die Renaissance und so auch zu PARA-<br />

CELSUS.<br />

Auf TRISMEGISTOS geht die „Tabula<br />

smaragdina hermetis“, die „Smaragdtafel“,<br />

zurück. Der herrliche grüne Smaragd, <strong>de</strong>r<br />

biblisch zu <strong>de</strong>n Grundsteinen <strong>de</strong>s himmlischen<br />

Jerusalems zählt, steht für <strong>de</strong>n<br />

Werteinhalt dieser Tafel. In dieser Tabula<br />

sind auch die 7 hermetischen Prinzipien<br />

zu fin<strong>de</strong>n, sie galt und gilt als <strong>de</strong>r wichtigste<br />

Text <strong>de</strong>r Alchemie.<br />

Von diesen Prinzipien seien einige herausgegriffen:<br />

1. Das Prinzip <strong>de</strong>r Geistigkeit<br />

Das All ist Geist, das Universum ist geistig.<br />

2. Das Prinzip <strong>de</strong>r Entsprechung<br />

Wie oben – so unten<br />

24<br />

Wie unten – so oben<br />

3. Das Prinzip <strong>de</strong>s Rhythmus<br />

Alles fließt aus und ein – alles hat seine<br />

Zeiten. Erlebbares Beispiel: Die Atmung<br />

<strong>de</strong>s Menschen.<br />

4. Das Prinzip von Ursache und Wirkung<br />

Je<strong>de</strong> Ursache hat ihre Wirkung – je<strong>de</strong><br />

Wirkung ihre Ursache. Alles verläuft<br />

und geschieht gesetzmäßig: Es gibt keinen<br />

Zufall.<br />

Hermetische Philosophie offenbart sich als<br />

paracelsische Philosophie!<br />

Bestes Beispiel ist die Verwirklichung <strong>de</strong>s<br />

„Oben-Unten-Prinzips“ in <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

Lehre vom „Makrokosmos – Mikrokosmos“,<br />

wo <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Mikrokosmos<br />

ist, die Schöpfung hat für ihn einen<br />

„Auszug <strong>de</strong>s Makrokosmos“ verwen<strong>de</strong>t.<br />

PARACELSUS beschreibt die Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r Alchemie in seinem Viersäulenbuch<br />

PARAGRANUM.<br />

Von <strong>de</strong>n 4 Säulen <strong>de</strong>r Heilkunst ist die<br />

Alchemie die 3. Säule. Es heißt dort (15,<br />

VIII, 181):<br />

„Die Natur ist so subtil und so scharf in<br />

ihren Dingen, dass sie ohne große Kunst nicht<br />

kann gebraucht wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn sie gibt nichts an<br />

<strong>de</strong>n Tag, das auf sein End vollen<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r Mensch muss es vollen<strong>de</strong>n. Diese Vollendung<br />

heißt Alchemie.“ Diese Worte sind <strong>de</strong>r<br />

Schlüssel zum Begriff „Alchemie“. Sie be<strong>de</strong>uten:<br />

Gott hat die Natur bewusst unfertig<br />

geschaffen. Er hat Erz gemacht, aber<br />

kein Eisen, er hat Getrei<strong>de</strong> gemacht, aber<br />

kein Mehl. Die Natur trägt in sich selbst<br />

<strong>de</strong>n Drang nach Vollendung, <strong>de</strong>r Mensch<br />

muss dies erkennen und mit alchemischen<br />

Mitteln eingreifen.<br />

Auf die Frage, was ein Alchemist ist, antwortet<br />

<strong>de</strong>r bekannte französische Paracelsus-Forscher<br />

LUCIEN BRAUN (4):<br />

„Der Alchemist ist <strong>de</strong>r paracelsische Mensch in<br />

reinster Ausprägung, je<strong>de</strong>rzeit und überall dazu<br />

aufgerufen, die Dinge ihrer Bestimmung entgegenzuführen.<br />

Wo <strong>de</strong>r Mensch dies tut, folgt er<br />

einem kosmischem Befehl.“


Im Rahmen alchemischer Betrachtungen<br />

muss ein Wort zum „Stein <strong>de</strong>r Weisen“ gesagt<br />

wer<strong>de</strong>n, seit <strong>de</strong>r Spätantike die erstrebte<br />

Wun<strong>de</strong>rsubstanz <strong>de</strong>r Alchemie. Die<br />

Suche nach diesem Stein und seine eventuelle<br />

Herstellung hat die Alchemisten<br />

aller Zeiten und Volksschichten stark beschäftigt.<br />

Im Besitz <strong>de</strong>s „Steins <strong>de</strong>r Weisen“<br />

zu sein, das versprach: Weisheit, letzte Erkenntnis,<br />

ewige Jugend, Unsterblichkeit,<br />

aber für viele auch die Erfüllung von<br />

Macht und Reichtum.<br />

Ein angestrebtes Ziel war die „Transmutation“<br />

stofflicher Dinge. Alchemisch gesehen<br />

war „Transmutation“ je<strong>de</strong> qualitative<br />

Verän<strong>de</strong>rung, beson<strong>de</strong>rs „schlechte“ Metalle<br />

in „gute“ umzuwan<strong>de</strong>ln: Eben unedle<br />

Stoffe wie Quecksilber o<strong>de</strong>r Blei in edle<br />

wie Silber und Gold mit Hilfe dieses<br />

„Steins“, <strong>de</strong>r in vielerlei <strong>Ges</strong>talt beschrieben<br />

wird, als ein rotes Pulver, als eine<br />

Wun<strong>de</strong>rtinktur, als das Magisterium <strong>de</strong>s<br />

Alchemisten schlechthin; ein geheimnisvoller<br />

„Stoff“, <strong>de</strong>r wie ein Ferment ar<strong>bei</strong>tete,<br />

eigentlich kein Stein im mineralischen<br />

Sinne. Seine Herstellung ist – alchemisch<br />

gesehen – das „Große Werk“.<br />

PARACELSUS ist 1540 auf einer Radierung<br />

von AUGUSTIN HIRSCHVOGEL<br />

(1503–1553) mit einem Schwert abgebil<strong>de</strong>t,<br />

<strong>de</strong>ssen Knauf die Inschrift „Azoth“<br />

trägt. Dieses Wort be<strong>de</strong>utet das A und O,<br />

es ist ein Deckname für <strong>de</strong>n „Stein <strong>de</strong>r<br />

Weisen“, abgeleitet vom arabischen Wort<br />

el-dhat, was mit „Essenz <strong>de</strong>r Transmutation“,<br />

synonym für <strong>de</strong>n Ausdruck „Stein <strong>de</strong>r<br />

Weisen“, übersetzbar ist. Es wird erzählt,<br />

PARACELSUS soll in diesem Schwertknauf<br />

„seinen“ Stein <strong>de</strong>r Weisen aufbewahrt<br />

haben, mit <strong>de</strong>m er Gold „machen“<br />

konnte. Um in <strong>de</strong>n Besitz dieses Steines<br />

zu gelangen, sei er von Habgierigen ermor<strong>de</strong>t<br />

wor<strong>de</strong>n (7). Für manche war in diesem<br />

Knauf aber sein berühmtes „Laudanum“<br />

versteckt, das war getrockneter Milchsaft<br />

<strong>de</strong>r Mohnpflanze, stark opiumhaltig,<br />

schon damals die Droge gegen starke<br />

Schmerzen. Opium enthält mehrere Alka-<br />

loi<strong>de</strong> u. a. Morphin, Co<strong>de</strong>in, Narcotin,<br />

wo<strong>bei</strong> das Morphium <strong>de</strong>r wichtigste Bestandteil<br />

ist.<br />

Die bisherigen Darlegungen zeigen: Der<br />

Ausgangspunkt für die „alchemistische Ar<strong>bei</strong>t“<br />

war und ist ein völlig an<strong>de</strong>rer als <strong>de</strong>r<br />

für die spätere chemische Praxis.<br />

Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s „Steins <strong>de</strong>r Weisen“ und<br />

die mühevolle Suche nach ihm wur<strong>de</strong> für<br />

die kommen<strong>de</strong> Zeit zur Triebfe<strong>de</strong>r alchemisch-chemischen<br />

Ar<strong>bei</strong>tens (19).<br />

Eine <strong>de</strong>r schillerndsten <strong>Ges</strong>talten nach<br />

<strong>de</strong>m Ableben von PARACELSUS auf alchemischem<br />

Gebiet sollte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Kaiser RUDOLF II. von Habsburg (Regierungszeit<br />

1576–1612) wer<strong>de</strong>n, „<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Politik in die Welt <strong>de</strong>r Athanors und Retorten<br />

floh, einmal <strong>de</strong>r Goldmacherei wegen, aber auch<br />

um <strong>de</strong>m grässlichen Inquisitionstreiben seines<br />

Onkels Philipp II. v. Spanien nicht <strong>bei</strong>wohnen<br />

zu müssen“ (5). Er ließ auf <strong>de</strong>r Prager Burg<br />

die „geheimen Wissenschaften“ erblühen,<br />

nie zuvor hatte es eine solche Schaffensstätte<br />

für Künstler, Astronomen, Astrologen,<br />

Magier, Ärzte und Alchemisten gegeben.<br />

In Prag tummelten sich die<br />

„Eingeweihten“, auch Schüler <strong>de</strong>s PARA-<br />

CELSUS, etwa O. CROLL (1560–1609),<br />

einer <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n Jatrochemiker dieser<br />

Zeit (10). Rudolf II. grün<strong>de</strong>te eine „Aka<strong>de</strong>mie<br />

<strong>de</strong>r Alchemie“, man nannte ihn <strong>de</strong>n<br />

„Neuen Hermes Trismegistos“. Durch<br />

diese Entwicklung glitten die A<strong>de</strong>pten (Alchemisten)<br />

von ihren eigentlichen Aufgaben<br />

ab und die Mahnung <strong>de</strong>s PARACEL-<br />

SUS, neue Heilmittel zu schaffen, wur<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>n Wind geschlagen.<br />

Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> noch bis zum 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

die Alchemie als eine holistische<br />

Wissenschaft akzeptiert.<br />

Durch die Bewegung <strong>de</strong>r Rosenkreuzer,<br />

die anfangs <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts aufkommt,<br />

wird immer stärker die spirituelle Seite <strong>de</strong>r<br />

Alchemie zu Lasten <strong>de</strong>r laborantischen Ar<strong>bei</strong>t<br />

betont. Das führte in <strong>de</strong>r Folge dazu,<br />

dass sich die vornehmlich wissenschaftlich<br />

Interessierten <strong>de</strong>r materiellen Seite <strong>de</strong>r<br />

Chemie zuwen<strong>de</strong>n. So beginnt die Che-<br />

25


mie eigene Wege zu gehen bis hin zur Industrierevolution<br />

<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

und weiter bis in unsere Tage.<br />

Es wäre aber ein Fehler, anzunehmen,<br />

alchemisches Denken und alchemische<br />

Ar<strong>bei</strong>tsweise seien für immer vergessen,<br />

sozusagen sei eine totale Ablösung durch<br />

die exakte Chemie erfolgt.<br />

Die Alchemie hörte nicht auf zu existieren,<br />

und sie führt im „hermetischen Sinne“<br />

ein eigenständiges Dasein bis heute. Die<br />

Ar<strong>bei</strong>ten einer Reihe mo<strong>de</strong>rner Alchemisten<br />

bezeugen das.<br />

Ein Beispiel dafür ist Alexan<strong>de</strong>r Freiherr<br />

v. BERNUS (1880–1965), einer <strong>de</strong>r<br />

be<strong>de</strong>utendsten Alchemisten unserer Zeit,<br />

entfernt mit Goethe verwandt, <strong>de</strong>r mit seinen<br />

alchemistisch-spagyrischen Ar<strong>bei</strong>ten<br />

und <strong>de</strong>r Erzeugung von spagyrischen<br />

Arzneimitteln international bekannt<br />

wur<strong>de</strong>. In seinem Buch „Alchemie und<br />

Heilkunst“ (2) beschreibt er im Kapitel<br />

„Goethes Urbegegnung“ die wun<strong>de</strong>rbare<br />

Heilung <strong>de</strong>s jungen Goethe (1768) durch<br />

einen paracelsischen Arzt.<br />

H. GEBELEIN (7) sieht in <strong>de</strong>r Gegenwart<br />

<strong>de</strong>n Unterschied zwischen Alchemie<br />

und Chemie wie folgt:<br />

„... die heutige Chemie ist eine Wissenschaft<br />

<strong>de</strong>r Fakten, nur auf die materielle<br />

Welt beschränkt. Die Alchemie entnimmt<br />

ihre Richtlinien <strong>de</strong>r Philosophie, sie ist<br />

eine spirituelle Chemie, sie versucht mit<br />

ihrer Ar<strong>bei</strong>tsweise durch die Dunkelheit<br />

<strong>de</strong>r Stoffe hindurch das Wirken Gottes zu<br />

erahnen. Der entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Unterschied<br />

zur Chemie besteht im Umgang mit <strong>de</strong>r<br />

Natur, die Alchemie folgt ihr, sie muss<br />

allerdings durch <strong>de</strong>n Alchemisten erst –<br />

wie bereits im Paragranum ausgeführt –<br />

zur Vollendung gebracht wer<strong>de</strong>n. Der<br />

Chemiker betrachtet die Natur als „Steinbruch“,<br />

<strong>de</strong>ssen Rohmaterial beliebig verwertbar<br />

ist.“<br />

Und G. WEHR (16, 17) schreibt:<br />

„Die spätere Chemie, die ganze, große Naturwissenschaft<br />

kann in ihrer <strong>Ges</strong>amtheit<br />

auf Religiosität und Glaubensanschauung<br />

26<br />

verzichten, weil ja Religion ‚Privatsache’<br />

ist. Für <strong>de</strong>n alchemistischen A<strong>de</strong>pten aber<br />

gibt es noch die Ganzheit <strong>de</strong>s Zusammenspiels<br />

von Laboratorium und Oratorium;<br />

wer kennt nicht <strong>de</strong>n Spruch: ‚Ora et labora<br />

– bete und ar<strong>bei</strong>te’.“<br />

Der Paracelsist GERHARD DORN<br />

(2. Hälfte <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts) hat diesen<br />

Wer<strong>de</strong>gang kommen sehen und geschrieben<br />

(6,18): „Verwan<strong>de</strong>lt euch selbst in lebendige<br />

philosophische Steine“. Diese<br />

Worte wollen sagen, <strong>de</strong>n „Stein <strong>de</strong>r Weisen“<br />

könnt ihr nur durch Wandlung <strong>de</strong>s eigenen<br />

Wesens fin<strong>de</strong>n. Der Schlüssel für<br />

diesen Wandlungsprozess ist die For<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s „Erkenne dich selbst“ an je<strong>de</strong>n<br />

von uns. Das ist die Sprache <strong>de</strong>s PARA-<br />

CELSUS und später die von V. WEIGEL<br />

und J. BÖHME, ganz alchemisch gedacht,<br />

wer die Wahrheiten <strong>de</strong>r eigenen Umgebung,<br />

seinen „Mikrokosmos“ erkennt,<br />

<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n die Geheimnisse <strong>de</strong>s „Makrokosmos“<br />

offenbar. Er steht nach PARA-<br />

CELSUS „im Lichte <strong>de</strong>r Natur“.<br />

C. G. JUNG (8) führt zur gleichen Problematik<br />

aus: „Alchemie ist mehr als eine<br />

Vorgeschichte <strong>de</strong>r Chemie. Alchemie wollte<br />

niemals die Materie um ihrer selbst willen<br />

untersuchen, sie war eine Lebensweise,<br />

und ihre Grundlage ist die hermetische<br />

Philosophie, stets mündlich tradiert, abgeschlossen,<br />

geheim, höheres Wissen ist nur<br />

für Eingeweihte zugänglich.“<br />

Und H.-W. SCHÜTT (13) schreibt:<br />

„Die Alchemie war und ist weit mehr als<br />

die esoterische Kunst, gewisse Materialien<br />

zu höherem Sein zu vere<strong>de</strong>ln, wie sie auch<br />

keine primitive Vorstufe <strong>de</strong>r heutigen Chemie<br />

ist. Sie ist vielmehr <strong>de</strong>r überaus filigrane<br />

und komplexe Ausdruck <strong>de</strong>s Bemühens,<br />

die tiefsten Zusammenhänge <strong>de</strong>r Welt,<br />

ihren religiösen Sinn sowie ihre philosophische<br />

Be<strong>de</strong>utung abzubil<strong>de</strong>n und zu begreifen.“<br />

Und für <strong>de</strong>n bereits erwähnten Alchemisten<br />

A. v. BERNUS (2) lässt sich Alchemie<br />

eben nicht ins Formelnetz mo<strong>de</strong>rner<br />

Chemie einfangen, weil sie gegenüber <strong>de</strong>r


jetzigen Chemie/Physik ein kosmogenetisches<br />

Weltanschauungssystem ist.<br />

3. Paracelsische Ar<strong>bei</strong>ten für die spätere<br />

Chemie<br />

PARACELSUS hat zu Lebzeiten etwa<br />

350 medizinische, naturwissenschaftliche<br />

und philosophische Schriften verfasst,<br />

wovon etwa 120 einen alchemisch-chemischen<br />

Einschlag haben (14), schon unter<br />

diesem <strong>Ges</strong>ichtspunkt ist sein Wirken für<br />

die kommen<strong>de</strong> Chemie höchst beachtlich<br />

und verdienstvoll.<br />

Wo nahm PARACELSUS seine alchemischen<br />

Kenntnisse her?<br />

Es kann nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, dass es<br />

bereits vor ihm und zu seinen Lebzeiten<br />

eine Reihe von Alchemisten gab, die erstaunliches<br />

Wissen besaßen, welches er gekannt<br />

und für eigene Untersuchungen<br />

auch genutzt hat.<br />

Beson<strong>de</strong>rs vertraut war er mit <strong>de</strong>n Werken<br />

<strong>de</strong>s fast zeitgleich mit ihm leben<strong>de</strong>n<br />

Heinrich AGRIPPA v. NETTESHEIM<br />

(1486–1535), eigentlich Heinrich Cornelius,<br />

Magier und Philosoph, Arzt und A<strong>de</strong>pt,<br />

und mit <strong>de</strong>m Wissen solcher Alchemisten<br />

wie VALENTINUS (14./15. Jahrhun<strong>de</strong>rt;<br />

Hauptwerk „Triumph – Wagen <strong>de</strong>s Antimons“)<br />

o<strong>de</strong>r BRUNSCHWYCK<br />

(1430–1513) mit seinem Buch über die<br />

„Destillationskunst“, aus <strong>de</strong>m PARACEL-<br />

SUS geschöpft hat (10). Der Destillationsprozess<br />

war für die Alchemisten aller<br />

Schattierungen von überragen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />

für ihre Untersuchungen.<br />

Der junge PARACELSUS hatte hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Begegnung mit <strong>de</strong>r alchemischen<br />

Ar<strong>bei</strong>t günstige Bedingungen.<br />

Sein erster und bester Lehrer war sein<br />

Vater WILHELM, als Arzt und Metallurg<br />

ab 1502 an <strong>de</strong>r Bergschule in Villach/Kärnten<br />

tätig und die Bergleute in <strong>de</strong>n Bergwerken<br />

betreuend. Die Metallurgie<br />

(Gießereiwesen) stand im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

auch aus militärischen Grün<strong>de</strong>n (Kriege<br />

Kaiser Karls V.) in hoher Blüte, im damaligen<br />

<strong>de</strong>utschen Reichsteil waren etwa<br />

100 000 Personen im Bergbau beschäftigt.<br />

In PARACELSUS wird in diesem Umfeld<br />

die Liebe zum alchemischen Handwerk erweckt,<br />

er erlebt gewissermaßen hautnah<br />

das Laboratorium. Dieser Kontakt wird<br />

beson<strong>de</strong>rs in Schwaz durch die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

mit <strong>de</strong>n FUEGER-Laboranten<br />

geför<strong>de</strong>rt.<br />

In <strong>de</strong>r „Großen Wundarznei“ (15, X,<br />

354) benennt PARACELSUS <strong>de</strong>n „edl und<br />

fest Junker Sigmund FUEGER von Schwaz“<br />

als einen seiner weiteren Lehrer in <strong>de</strong>r Alchemie.<br />

In Schwaz, einer ausgewiesenen<br />

Silber- und Bleistadt, waren zu dieser Zeit<br />

etwa 12 000 Bergleute tätig. Auch die Tiroler<br />

Salzgewinnung in HALL dürfte für ihn<br />

lehrreich gewesen sein. Diese ersten Erkundungen<br />

in „Sachen Alchemie“ liegen für<br />

PARACELSUS vor seinen Wan<strong>de</strong>rjahren.<br />

Nach diesen fügt er alchemische mit wundärztlichen<br />

Kenntnissen zu einem, man darf<br />

schon sagen, hohen Wissensstand zusammen,<br />

<strong>de</strong>nn ihm wer<strong>de</strong>n die damals kursieren<strong>de</strong>n<br />

„Stoffe“ <strong>de</strong>r Alchemisten zu Eigen.<br />

Das sind vorrangig die Metalle bzw. Mineralien,<br />

wie sie die Natur in Form von<br />

Oxi<strong>de</strong>n, Karbonaten, Chlori<strong>de</strong>n, Sulfi<strong>de</strong>n,<br />

Sulfaten und Nitraten anbietet. Aus dieser<br />

Aufzählung sind auch die Mineralsäuren<br />

erkennbar, mit <strong>de</strong>nen die Alchemisten laborierten,<br />

vor allem Salz-, Schwefel- und<br />

Salpetersäure.<br />

Die chemischen „Elemente“, mit <strong>de</strong>nen<br />

es PARACELSUS direkt o<strong>de</strong>r indirekt zu<br />

tun hatte – <strong>de</strong>r heutige Element-Begriff<br />

war zu dieser Zeit noch gar nicht <strong>de</strong>finiert<br />

–, das sind in erster Linie die sieben<br />

„sprichwörtlichen“ Metalle <strong>de</strong>r Alchemisten,<br />

also Kupfer, Silber, Gold, Quecksilber,<br />

Blei, Zinn und Eisen. Die Kenntnis über<br />

sie reicht weit ins Altertum zurück.<br />

Neben diesen „7“ hat PARACELSUS mit<br />

Verbindungen von Antimon, Arsen,<br />

Schwefel, Zink sowie mit Kobalt und Wismut<br />

gear<strong>bei</strong>tet. Er erwähnt diese letzten<br />

Elemente, die in ihrem Elementcharakter<br />

offiziell erst im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt ent<strong>de</strong>ckt<br />

wur<strong>de</strong>n, in seinem Werk „De mineralibus“<br />

27


als „Kobolt und Wismat“ (15, III, 29–63).<br />

Die Namen für die Elemente Kobalt, Wismut<br />

und Zink stammen von ihm, wie PA-<br />

RACELSUS überhaupt viele noch heute<br />

gültige Bezeichnungen in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

Sprachschatz eingeführt hat. Durch seine<br />

alchemistischen Ar<strong>bei</strong>ten wur<strong>de</strong> er zum<br />

Sprachschöpfer, er schuf sich seine eigene<br />

Terminologie (3).<br />

Salze wie Pottasche und Soda, <strong>bei</strong><strong>de</strong> mit<br />

<strong>de</strong>m Carbonatrest behaftet, also kohlenstoffhaltig,<br />

ebenso <strong>de</strong>r Alaun (ein Aluminiumsulfat),<br />

gehörten zur „Laborausstattung“<br />

eines Alchemisten, wo<strong>bei</strong> das<br />

Leichtmetall Aluminium erst 1827 ent<strong>de</strong>ckt<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Wasserstoff und Sauerstoff, die ja in <strong>de</strong>n<br />

Mineralien ebenfalls gebun<strong>de</strong>n sind,<br />

waren noch unbekannt. Aber PARACEL-<br />

SUS hat die Sammelbezeichnung „Chaos“<br />

für verschie<strong>de</strong>ne „luftförmige Körper“ geschaffen,<br />

daraus bil<strong>de</strong>t sich später das Wort<br />

„Gas“. Er hob immer wie<strong>de</strong>r die Rolle <strong>de</strong>r<br />

Luft im Weltall hervor; die Luft gibt <strong>de</strong>n<br />

Dingen das Leben.<br />

Beson<strong>de</strong>rs wichtige Elemente bzw. <strong>de</strong>ren<br />

Verbindungen für die paracelsischen Ar<strong>bei</strong>ten<br />

waren Quecksilber, Arsen und Antimon.<br />

E. KAISER schreibt (9):<br />

„PARACELSUS hat erstmalig eine möglichst<br />

vorsichtige und genau bemessene<br />

Dosierung <strong>de</strong>s gefährlichen Quecksilbers<br />

zur Syphilistherapie beschrieben, gleichfalls<br />

empfiehlt er die rechte Anwendung<br />

von Arsen-Präparaten gegen diese venerische<br />

Krankheit.“ Erinnert sei an seine Syphilisschriften<br />

(1528–30, Aufenthalt in<br />

Nürnberg). Er macht sich damit das Großhan<strong>de</strong>lshaus<br />

FUGGER zum Feind, welches<br />

das Monopol auf Guajakholz besaß;<br />

Guajak galt (obwohl unwirksam) als das<br />

Heilmittel gegen Syphilis.<br />

GMELIN (1788–1853) schreibt in seiner<br />

„<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Chemie“ (nach 14):<br />

„... er hat mehrere kräftige Arzneien in<br />

Gang gebracht, für <strong>de</strong>ren Kenntnis ihn<br />

noch die späte Nachwelt segnen wird.“<br />

PARACELSUS gab also <strong>de</strong>n Grundge-<br />

28<br />

danken, „giftige“ Schwermetalle gegen<br />

Krankheitserreger im Körper einzusetzen.<br />

Mit dieser Art <strong>de</strong>r Behandlung von Infektionskrankheiten<br />

leitet PARACELSUS die<br />

Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Chemotherapie“ ein,<br />

revolutionierend für die Medizin seiner<br />

Zeit und bahnbrechend bis heute.<br />

Zu Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts erhielten<br />

<strong>de</strong>r Mediziner PAUL EHRLICH und<br />

<strong>de</strong>r Bakteriologe SAHACHIRO HATA für<br />

die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Chemotherapeutikums<br />

„Salvarsan“ <strong>de</strong>n Nobelpreis. Dieses<br />

Mittel stellte eine organische Arsenverbindung<br />

dar, die sich <strong>de</strong>r Giftwirkung <strong>de</strong>s Arsens<br />

bedient (wie einst von PARACELSUS<br />

erprobt); getreu seinem oft zitierten Ausspruch<br />

aus <strong>de</strong>n „Sieben Defensiones“ (15,<br />

XI, 138): „Alle ding sind gift und nichts on<br />

gift, alein die dosis macht das ein ding kein gift<br />

ist.“<br />

Bei <strong>de</strong>n so genannten „Anorganika“ <strong>de</strong>s<br />

PARACELSUS spielte neben Arsen und<br />

Quecksilber beson<strong>de</strong>rs auch das Antimon<br />

eine Rolle. Es ist ein Para<strong>de</strong><strong>bei</strong>spiel für ein<br />

paracelsisches Chemiatrikum. Antimon-<br />

Präparate gab es vor und auch nach PARA-<br />

CELSUS. Grundlage war <strong>de</strong>r „Grauspießglanz“,<br />

ein Antimonsulfid.<br />

Antimonpräparate haben sich lange in<br />

<strong>de</strong>n Arzneibüchern gehalten – bis ins 20.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt. Sie galten als schweißtreibend<br />

und blutreinigend. Synthetische organische<br />

Antimonverbindungen wer<strong>de</strong>n in<br />

neuerer Zeit als Heilmittel gegen Tropenkrankheiten<br />

verwen<strong>de</strong>t.<br />

Das beson<strong>de</strong>re Verdienst von PARA-<br />

CELSUS <strong>bei</strong> dieser neuen Therapie ist,<br />

dass er Mineraldrogen, die seit alters her<br />

äußerlich eingesetzt wur<strong>de</strong>n, entgegen <strong>de</strong>r<br />

damaligen medizinischen Meinung zur inneren<br />

Anwendung bringt. Damit befolgt<br />

er die hermetische (alchemistische) Grundvorstellung<br />

<strong>de</strong>s „wie oben – so unten“, die<br />

er in „wie außen – so innen“ wan<strong>de</strong>lt. Mit<br />

dieser Tat, die Alchemie im Dienst <strong>de</strong>s<br />

Menschen anzuwen<strong>de</strong>n und Heilmittel für<br />

medizinische Zwecke herzustellen, verwirklicht<br />

er <strong>de</strong>n im PARAGRANUM (15,


VIII) aufgestellten Grundsatz, Arcana zu<br />

machen und diese gegen Krankheiten <strong>de</strong>s<br />

Menschen einzusetzen. Das macht PARA-<br />

CELSUS in <strong>de</strong>r Wissenschaftsgeschichte<br />

zum Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r CHEMIATRIE bzw.<br />

JATROCHEMIE. Diese Begriffe sind erst<br />

im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt entstan<strong>de</strong>n, sie wur<strong>de</strong>n<br />

von PARACELSUS nie gebraucht, aber<br />

<strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s Zeitalters <strong>de</strong>r Chemiatrie<br />

wird mit seiner Person gleichgesetzt.<br />

In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Begriffen, die eine gewisse Synonymität<br />

besitzen, stecken die Worte<br />

„Chemie“ und „iatros“ (griechisch) = Arzt.<br />

G. SCHWEDT <strong>de</strong>finiert 1993 (14): „Chemiatrie“<br />

(Jatrochemie) ist die Lehre von<br />

<strong>de</strong>r Herstellung und Anwendung chemischer<br />

Arzneimittel, sowohl anorganischer<br />

wie organischer Natur. Sie ist als Vorstufe<br />

<strong>de</strong>r pharmazeutischen Chemie (Pharmazie)<br />

zu <strong>de</strong>uten.“ In <strong>de</strong>n 9 Büchern „Archidoxis“<br />

(1525/26) <strong>de</strong>s PARACELSUS sind<br />

allein 88 Chemiatrika mit 166 Vorschriften<br />

enthalten. Die „Archidoxen“ gelten<br />

schlechthin als das alchemische Standard-<br />

Werk von PARACELSUS (1; 14; 15, III,<br />

91–200).<br />

Derselbe Autor erwähnt <strong>de</strong>n interessanten<br />

Fakt, dass <strong>de</strong>r Arzt PAUL LUTHER<br />

(1533–1593), letzter Sohn <strong>de</strong>s Reformators,<br />

versuchte, eine Synthese von Medizin<br />

und Chemie im Sinne <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

Jatrochemie herzustellen. Er führte in die<br />

Apotheken neue Salben, Wässer, Extrakte<br />

und Chemikalien ein.<br />

Was die Metalle bzw. Heilmittel aus Mineralien<br />

weiterhin betrifft, so hat PARA-<br />

CELSUS Eisentinkturen verschrieben. Er<br />

verordnete auch Arzneien aus <strong>de</strong>m Schwefel,<br />

die Schwefelblume o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vitriolgeist<br />

gegen Fieber und Husten. Das<br />

Vitriolöl, d. h. die Schwefelsäure, eine<br />

wichtige Mineralsäure, spielte neben Salzund<br />

Salpetersäure für die Alchemisten<br />

eine große Rolle. Die trockene Destillation<br />

von z. B. Kupfervitriol (Kupfersulfat) ergibt<br />

Vitriolöl. PARACELSUS erwähnt in<br />

<strong>de</strong>n „Archidoxen“ auch die stark auflösen<strong>de</strong><br />

Kraft <strong>de</strong>s Königswassers (ein Salzsäure-<br />

Salpetersäure-Gemisch), das bekanntlich<br />

<strong>de</strong>n „König“ <strong>de</strong>r Metalle, das Gold, in ein<br />

lösliches Goldsalz überführt.<br />

Auch <strong>de</strong>r Antipo<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Säuren – die<br />

Alkalien – waren ihm, z.B. im Salmiak,<br />

vertraut.<br />

Es wird ferner berichtet, dass PARA-<br />

CELSUS die Kenntnis <strong>de</strong>r gegenseitigen<br />

Metallverdrängung aus <strong>de</strong>n Lösungen<br />

ihrer Salze in <strong>de</strong>r Reihenfolge Gold, Silber,<br />

Kupfer, Eisen besaß. Was be<strong>de</strong>utet<br />

das? Ein Beispiel: Ein Eisennagel wird auf<br />

Grund dieses elektrochemischen Vorganges<br />

<strong>bei</strong>m Eintauchen in eine Kupfersulfatlösung<br />

mit rötlichem, elementarem Kupfer<br />

überzogen; das Eisen geht <strong>bei</strong> dieser Reaktion<br />

in Lösung.<br />

In <strong>de</strong>r heutigen Chemie wer<strong>de</strong>n die Elemente<br />

in <strong>de</strong>r so genannten elektrochemischen<br />

Spannungsreihe geordnet. Sie besagt<br />

praktisch, dass unedle Metalle (wie eben<br />

Eisen) bestrebt sind, in Lösung zu gehen<br />

(Oxydation), edle hingegen behalten möglichst<br />

ihren Elementarzustand (Reduktion).<br />

Vor ca. 500 Jahren war PARACELSUS diesen<br />

Vorgängen auf <strong>de</strong>r Spur.<br />

Weiter sei erwähnt, dass wir seinem großen<br />

Wissen auch wichtige Studien zum<br />

Bä<strong>de</strong>rwesen verdanken. Bei <strong>de</strong>r Beschäftigung<br />

mit <strong>de</strong>n Heilquellen stieß er auf die<br />

Tatsache, dass die im Wasser gelösten Metallsalze<br />

von Natrium, Kalium, Calcium,<br />

Lithium eine beson<strong>de</strong>re Heilkraft besitzen<br />

(11) und eine Flamme metallspezifisch färben<br />

und sich dadurch „anzeigen“, z. B.<br />

Natriumsalze leuchten gelb (praktische<br />

Anwendung im Feuerwerk).<br />

Neben <strong>de</strong>m anorganischen Material<br />

haben die Alchemisten auch „Organika“<br />

verwen<strong>de</strong>t, also Substanzen, die vorrangig<br />

aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff<br />

(in geringerem Maße Stickstoff) bestehen,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Alkohol, <strong>de</strong>r ja<br />

schon als „Weingeist“ seit <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

bekannt und begehrt war. Die Bezeichnung<br />

„Alcool“ o<strong>de</strong>r „Alkohol“ hat<br />

PARACELSUS (1527) in die Fachsprache<br />

<strong>de</strong>r Alchemie/Chemie eingeführt; Al-<br />

29


cohol heißt arabisch so viel wie „feinstes<br />

Pulver“, nämlich feiner Bleiglanz zum Färben<br />

<strong>de</strong>r Augenbrauen, und diese Bezeichnung<br />

„feinstes“ hat ihren Namen auf das<br />

„Feinste“ im Weingeist übertragen, eben<br />

<strong>de</strong>n Alkohol, genauer Äthylalkohol. Er<br />

war das Universallösungsmittel <strong>de</strong>r Alchemisten<br />

(Alkahest).<br />

Alkohol diente für alles, Auszüge, also<br />

Isolierung reiner Wirkstoffe aus pflanzlichem<br />

Material (z. B. ätherische Öle o<strong>de</strong>r<br />

Alkaloi<strong>de</strong>) waren üblich. Die Naturdroge<br />

„Pflanze“ war für PARACELSUS ein wichtiger<br />

Grundstoff, vor allem gegen innere<br />

Krankheiten. Tausendgül<strong>de</strong>nkraut, Johanneskraut,<br />

Laven<strong>de</strong>l, Mohn sind wichtige<br />

Rohstoffe für seine Ar<strong>bei</strong>t. Fast sagenumwoben<br />

sind die berühmten „Heil-Latwerge“,<br />

eine musartige Arzneiform, am bekanntesten<br />

<strong>de</strong>r „Theriak“ (enthält u. a. Opium<br />

und Schlangenfleisch). Er wur<strong>de</strong> gegen alle<br />

Krankheitsgifte empfohlen und war schon<br />

im Altertum bekannt.<br />

PARACELSUS hat aus Terpentin mit<br />

Eidotter Salben gegen äußere Krankheiten<br />

bereitet, als opiumhaltige Komposition<br />

gab es die Apostelsalbe (weil aus 12 Bestandteilen!).<br />

Er wusste auch, dass man<br />

Wein, <strong>de</strong>r etwa 10–12 Vol. % Alkohol<br />

enthält, zur Gewinnung von höherprozentigem<br />

Alkohol „ausfrieren“ kann<br />

(Wasser wird als Eis abgeschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Gefrierpunkt von Alkohol liegt <strong>bei</strong><br />

-114°C).<br />

Schwerpunkte <strong>de</strong>r alchemischen Ar<strong>bei</strong>t<br />

waren, wie wir heute <strong>de</strong>finieren wür<strong>de</strong>n,<br />

für <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>pten solche Verfahrensschritte<br />

wie Destillation, Fraktionierung o<strong>de</strong>r<br />

Schmelzen und Veraschen. Sie gehörten<br />

zur Kunst <strong>de</strong>r „Spagyrik“, die <strong>bei</strong> PARA-<br />

CELSUS <strong>de</strong>r wichtigste Grundsatz alchemistischer<br />

Arzneibereitung war, nämlich<br />

„Trennen“, d. h. die wesentliche Arzneiwirkung<br />

einer Droge von <strong>de</strong>n Schlacken befreien<br />

und „wie<strong>de</strong>rvereinigen“, d. h. durch<br />

Mischung <strong>de</strong>r abgetrennten Wirkprinzipien<br />

eine Wirkungssteigerung her<strong>bei</strong>führen.<br />

Eine spagyrische Pflanzenaufbereitung zur<br />

30<br />

Herstellung einer spagyrischen Tinktur<br />

umfasste viele Verfahrensschritte, hauptsächlich<br />

Gärung, Filtration, Destillation,<br />

Veraschung, Extraktion.<br />

Die vielleicht herausragendste Leistung<br />

<strong>de</strong>s HOHENHEIMERS aus Sicht <strong>de</strong>s<br />

heutigen Chemikers ist seine Abhandlung<br />

von 1526, „Von <strong>de</strong>n ersten dreien Prinzipien“<br />

o<strong>de</strong>r „Essentiis“ (15, III, 1–11), das<br />

ist die Lehre von <strong>de</strong>r „Tria principia“ bzw.<br />

„Tria prima“. P. WALDEN sah in dieser<br />

Lehre eine theoretische Deutung zu einem<br />

chemischen Grundproblem, ausgedrückt<br />

mit <strong>de</strong>n Worten „Untersuchungen zur Zusammensetzung<br />

bzw. zur chemischen Konstitution<br />

<strong>de</strong>r Stoffwelt in Abhängigkeit von<br />

<strong>de</strong>ren chemischem Verhalten“ (nach 14).<br />

Die hermetische Philosophie ging von<br />

einem Urstoff aus, <strong>de</strong>r „materia prima“.<br />

Aus ihr entspringen die dualen Gegensätze,<br />

z. B. „oben – unten“, das sind die<br />

zwei Prinzipien <strong>de</strong>r Alchemie – „Merkur“<br />

(= Quecksilber) und „Sulfur“ (= Schwefel)<br />

genannt. Der Urstoff enthält aber noch ein<br />

3. Prinzip, <strong>de</strong>r Vermittler von Merkur und<br />

Sulfur, das ist das „sal“ (= Salz), die Grundlage<br />

aller Formgebung.<br />

Es ist ungeklärt, warum über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

nur Merkur und Sulfur erwähnt wer<strong>de</strong>n.<br />

PARACELSUS hat das 3. Prinzip Sal<br />

wie<strong>de</strong>r aufgegriffen, ihm wird die Tria<br />

prima zugeschrieben, obwohl schon Hil<strong>de</strong>gard<br />

von BINGEN (1098–1179) auf die<br />

Dreiteilung aller Dinge hingewiesen hat.<br />

PARACELSUS <strong>de</strong>utet alle Vorgänge <strong>de</strong>s<br />

Naturgeschehens inklusive die im menschlichen<br />

Körper als Zusammenspiel dieser<br />

3 Prinzipien, die folgen<strong>de</strong> Eigenschaften<br />

haben:<br />

1. MERKUR = Quecksilber, <strong>de</strong>r Planet<br />

Merkur gilt als wechselhafter, unruhiger<br />

Planet, genau wie Quecksilber<br />

(= “lebendiges“ Silber), man spricht<br />

vom Prinzip <strong>de</strong>r Flüchtigkeit, <strong>de</strong>r Sublimierbarkeit,<br />

auch <strong>de</strong>s Metallischen,<br />

gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Geist = Wasser,<br />

heute: Chemische Verfahrenstechnik,


z. B. Operation <strong>de</strong>r „Destillation“<br />

2. SULFUR = Schwefel, das ist das Prinzip<br />

<strong>de</strong>r Brennbarkeit, <strong>de</strong>r Verbrennung,<br />

gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r Seele = Luft<br />

und Feuer,<br />

heute: z. B. chemischer Grundprozess,<br />

Operation <strong>de</strong>r „Verbrennung“<br />

3. SAL = Salz, das ist <strong>de</strong>s Prinzip <strong>de</strong>r Unverbrennbarkeit,<br />

<strong>de</strong>s Beständigen, <strong>de</strong>r<br />

Formbildung, <strong>de</strong>s Salzigen, Erdigen; die<br />

Asche;<br />

gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Körper = Er<strong>de</strong>,<br />

heute: z. B. Operation <strong>de</strong>r Auflösung von<br />

Substanzen und <strong>de</strong>ren „Kristallisation“<br />

Durch die Neubelebung <strong>de</strong>r „Tria<br />

prima“ verleiht PARACELSUS <strong>de</strong>r „Alchemie-Chemie“<br />

eine neue Grundlage; „er<br />

leitet intuitiv die Aufteilung <strong>de</strong>r Körperwelt<br />

in die später bekannt wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n chemischen<br />

Elemente ein, d. h. seine neue<br />

Lehre stellt erstmalig einen Zusammenhang<br />

zwischen <strong>de</strong>m Stoff und seinem chemischen<br />

Verhalten her.“ (14)<br />

Nach PARACELSUS ist <strong>de</strong>r Mensch<br />

nur gesund, wenn das Mischungsverhältnis<br />

<strong>de</strong>r 3 Grundbestandteile stimmt, durch<br />

Disharmonie <strong>de</strong>r „Drei“ entsteht die<br />

Krankheit, die durch Anwendung von<br />

Chemiatrika geheilt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

„Mit dieser neuen Zielsetzung hat sich<br />

PARACELSUS als Schöpfer <strong>de</strong>r „Angewandten<br />

Chemie“ in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />

Chemie etabliert, <strong>de</strong>nn die höchste Form<br />

<strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r Chemie ist doch wohl<br />

die unmittelbare Anwendung für die <strong>Ges</strong>undheit<br />

<strong>de</strong>s Menschen selbst.“ (14)<br />

G. SCHWEDT nennt in seiner Ar<strong>bei</strong>t<br />

(14) zur 500. Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Geburtstages<br />

von PARACELSUS (1993) „PARACELSUS<br />

<strong>de</strong>n Luther <strong>de</strong>r Chemie“ und PAUL v.<br />

WALDEN (1863–1957) (nach 14) sieht in<br />

PARACELSUS <strong>de</strong>n „Ent<strong>de</strong>cker <strong>de</strong>r Chemie“,<br />

<strong>de</strong>r die Synthese von Medizin und<br />

Chemie her<strong>bei</strong>führte.<br />

Zu seinen Lebzeiten war er schon als<br />

„Luther <strong>de</strong>r Medizin“ gefeiert wor<strong>de</strong>n.<br />

Das sind hohe Maßstäbe und großes Lob<br />

zugleich. Geht man die eben gemachten<br />

Ausführungen noch einmal vorurteilsfrei<br />

durch, so bestätigt sich, dass PARACEL-<br />

SUS für die heutige Chemie und Pharmazie<br />

tatsächlich „Reformatorisches“ geleistet<br />

hat, und man kann sich dieser hohen<br />

Wertschätzung durchaus anschließen. Und<br />

eines gehört <strong>bei</strong> dieser Bewertung noch<br />

dazu: Das paracelsische Wirken führte<br />

auch zur Umgestaltung und Neuordnung<br />

<strong>de</strong>r drei alten, ehrwürdigen wissenschaftlichen<br />

„Künste“:<br />

- <strong>de</strong>r ärztlichen Kunst<br />

- <strong>de</strong>r alchemischen Kunst und<br />

- <strong>de</strong>r Apothekerkunst.<br />

Wir dürfen nicht übersehen, er hatte die<br />

Voraussetzungen geschaffen, dass die Chemie<br />

zum Ausbildungsbestandteil <strong>de</strong>r Ärzte<br />

und Apotheker wur<strong>de</strong>. Es erfolgte eine<br />

Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r jungen Chemie in die<br />

medizinischen Fakultäten <strong>de</strong>r Universitäten,<br />

die aus <strong>de</strong>r Alchemie hervorgegangene<br />

Chemie erhielt einen neuen Stellenwert.<br />

Der große Chemiker JUSTUS von LIE-<br />

BIG, (nach 14) fasst die Chemieverdienste<br />

von PARACELSUS so zusammen: „Mit<br />

PARACELSUS begann eine neue Perio<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Naturbetrachtung und im Hohenheimer<br />

spiegelten sich alle I<strong>de</strong>en, alle Fehler,<br />

alle Irrtümer seiner Zeit; in ihm kämpfte<br />

eine gigantische Kraft gegen äußere, hemmen<strong>de</strong><br />

Fesseln. Er hatte <strong>de</strong>n Instinkt <strong>de</strong>s<br />

richtigen Weges, und er gab seinem Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

und <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Generationen<br />

mit <strong>de</strong>n Worten, ’nicht Gold zu machen,<br />

son<strong>de</strong>rn Arzneien’ die Richtung an!“<br />

Das entsprach seinem Ethos.<br />

Der über ihn erhaltene Lobspruch:<br />

„Hier ist <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m das Geheimnis <strong>de</strong>r großen<br />

Welt bekannt war, und <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>s<br />

Verstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Verstand geben konnte.“ (4)<br />

gibt preis, warum THEOPHRASTUS<br />

BOMBAST VON HOHENHEIM, genannt<br />

PARACELSUS für uns Epigonen so<br />

be<strong>de</strong>utsam ist.<br />

31


1. ASCHNER, B.: Paracelsus. Sämtliche Werke<br />

I–IV. Nachdruck: Anger-Verlag EICK 1993.<br />

2. v. BERNUS, A.: Alchymie und Heilkunst.<br />

Rudolf-Geering-Verlag, (Copyright Philosophisch-<br />

Anthroposophischer Verlag am Goetheanum<br />

Dornach, Schweiz 1994).<br />

3. BLASER, R.- H.: Paracelsus in seiner Zeit und<br />

seine Be<strong>de</strong>utung für die Nachwelt. Son<strong>de</strong>rdruck<br />

Boehringer Ingelheim Fonds<br />

>Futura< Vol. 14 (1999) Nr. 3.<br />

4. BRAUN, L.: Paracelsus. Alchimist - Chemiker<br />

- Erneuerer <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>. Eine Bildbiographie.<br />

SV international/Schweizer Verlagshaus<br />

Zürich 1988.<br />

5. DAUXOIS, J.: Der Alchimist von Prag.<br />

Rudolf II. von Habsburg.<br />

Artemis und Winkler 1997, Düsseldorf/Zürich.<br />

6. DORN, G.: (Gerhardum Dornäum, <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Arzneien<br />

Doktor) Schlüssel zu <strong>de</strong>r chimistischen<br />

Philosophy. Straßburg <strong>bei</strong> Lazari Zetzeri<br />

1602.<br />

7. GEBELEIN, H.: Alchemie. Die<strong>de</strong>richs Gelbe<br />

Reihe, Hugendubel-Verlag München 1991, Son<strong>de</strong>rausgabe<br />

2000.<br />

8. JUNG, C. G.: Paracelsus. Alchemie und die<br />

Psychologie <strong>de</strong>s Unbewussten.<br />

Königsfurt-Verlag 2002.<br />

9. KAISER, E.: Paracelsus.<br />

Rohwohlt Hamburg 1989.<br />

10. PÖTSCH, R.,<br />

FISCHER, A.,<br />

32<br />

LITERATUR<br />

MÜLLER, W.,<br />

CASSEBAUM, H.:<br />

Lexikon be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Chemiker,<br />

VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1988.<br />

11. SCHADEWALDT, H.:<br />

Paracelsus und die Balneologie.<br />

In „500 Jahre Paracelsus“ (1993).<br />

12. SCHNEIDER,W.: Mein Umgang mit Paracelsus<br />

und Paracelsisten, Govi-Verlag GmbH – Pharmazeutischer<br />

Verlag Frankfurt a. M. 1982.<br />

13. SCHÜTT, H.-W.: Auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m<br />

Stein <strong>de</strong>r Weisen (Die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Alchemie).<br />

Verlag C. H. Beck, München 2000.<br />

14. SCHWEDT, G.: Paracelsus (1493-1541) für<br />

Chemiker. Edition Clausthal Band II, 1993.<br />

15. SUDHOFF, K.: Sämtliche Werke. 1. Abteilung,<br />

Band I–XIV. R. Ol<strong>de</strong>nburg-Verlag 1933,<br />

Nachdruck: Georg Olms-Verlag 1996.<br />

16. WEHR, G.: Alle Weisheit ist von Gott.<br />

Gütersloher Verlagshaus – Gerd Mohn 1980.<br />

17. WEHR, G.: Paracelsus. Aurum Verlag<br />

Freiburg i. B. 1979.<br />

18. WEHR, G.: C. G. Jung.<br />

Rohwohlt Hamburg 2000.<br />

19. WIBERG, E.: Vom Stein <strong>de</strong>r Weisen. Aka<strong>de</strong>mischer<br />

Festvortrag anlässlich <strong>de</strong>r Rektoratsübernahme<br />

am 23.11.1957 (München).<br />

Max-Huber-Verlag München.<br />

Dr. Ludwig Mühlberg · Frie<strong>de</strong>nsstraße 24 · 01465 Liegau-Augustusbad<br />

Vortrag im Studiotheater <strong>de</strong>s Kulturpalastes Dres<strong>de</strong>n am 22. Oktober 2003


Der Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

danke ich für die Einladung zu diesem Vortrag.<br />

Was interessiert uns heute am Beginn<br />

<strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts noch an Paracelsus?<br />

Wir befin<strong>de</strong>n uns am „En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Neuzeit“<br />

auf <strong>de</strong>m Weg ins Ungewisse. Der Blick auf<br />

<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit kann uns <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Orientierung helfen. Hannah Arendt nennt<br />

in ihrem Buch „Vita activa o<strong>de</strong>r vom tätigen<br />

Leben“ drei große Ereignisse an <strong>de</strong>r<br />

Schwelle zur Neuzeit 1 :<br />

1. die Ent<strong>de</strong>ckung Amerikas und die<br />

Inbesitznahme <strong>de</strong>r Erdoberfläche durch<br />

die europäische Menschheit<br />

2. die Reformation<br />

3. die Entwicklung einer neuen Wissenschaft<br />

<strong>Ges</strong>tatten Sie mir dazu einige Bemerkungen:<br />

ad 1.: Die Kolonialisierung <strong>de</strong>r Erdoberfläche,<br />

das Ergreifen <strong>de</strong>r Welt erstreckte sich<br />

auch auf die Tiefen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Davon wird<br />

zu re<strong>de</strong>n sein.<br />

ad 2.: Paracelsus gehörte zu <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utendsten<br />

Vertretern <strong>de</strong>r Reformation. Lei<strong>de</strong>r ist<br />

die Herausgabe seiner theologischen Schriften<br />

durch <strong>de</strong>n Tod von Prof. Goldammer<br />

ins Stocken geraten. Er hatte 1944 im Japanischen<br />

Palais mit dieser Aufgabe begonnen,<br />

insofern ist die Stadt Dres<strong>de</strong>n mit diesen<br />

Anfängen verbun<strong>de</strong>n. Ich möchte die<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft bitten, in Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

mit <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaften<br />

auf die Fortsetzung <strong>de</strong>r<br />

Herausgabe <strong>de</strong>r theologischen und an<strong>de</strong>ren<br />

Schriften, möglichst auch in elektronischer<br />

Form, zu dringen.<br />

ad 3.: Paracelsus hat wesentlich zur Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r neuen Wissenschaft <strong>bei</strong>getragen.<br />

Sein Ansatz führte jedoch zu einer<br />

„weichen“, nicht-aggressiven Art <strong>de</strong>r Aneignung<br />

<strong>de</strong>r Natur. Goethe gehörte – teilweise<br />

durch direkten Einfluss <strong>de</strong>r Schriften <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus – dieser Linie an. Ein schönes<br />

Rolf A. Meyer<br />

„WIE DER ALCHEMIST DER NATUR WERKET,<br />

SO SOLLT IHR AUCH WERKEN.“<br />

Beispiel seiner Haltung ist das Gedicht „Gefun<strong>de</strong>n“,<br />

das er seiner Frau Christiane am<br />

26. August 1813 (also 2 Tage vor seinem 64.<br />

Geburtstag) übersandte:<br />

„Ich grub´s mit allen<br />

Den Würzlein aus,<br />

Zum Garten trug ich´s<br />

Am hübschen Haus.“<br />

Volumen Paramirum<br />

Eine erste Zusammenfassung seiner<br />

Krankheitslehre gab Paracelsus im „Volumen<br />

Paramirum“ um 1520. Paramirum be<strong>de</strong>utet<br />

über-wun<strong>de</strong>rbar, hoch-erstaunlich.<br />

Hei<strong>de</strong>gger spricht von <strong>de</strong>m Wun<strong>de</strong>r 2 , dass<br />

es überhaupt etwas gibt und nicht nichts.<br />

Alle Krankheiten wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m „Volumen<br />

Paramirum“ in fünferlei Weg geheilt.<br />

Der Weg <strong>de</strong>r Heilung zeigt <strong>de</strong>m Arzt die<br />

fünf Ursachen, die fünf Ursprünge <strong>de</strong>r<br />

Krankheiten an. 3 Aus <strong>de</strong>m Heilungsprozess<br />

wird also <strong>de</strong>r Krankheitsprozess erkannt.<br />

Nach Hannah Arendt ist es ein<br />

Charakteristikum <strong>de</strong>r Neuzeit, dass die Gegenstän<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis Entstehungsprozesse<br />

sind, und nicht Dinge. 4 Paracelsus<br />

spricht davon, dass die Krankheiten geboren<br />

wer<strong>de</strong>n, wachsen und sterben. Mit seiner<br />

neuen dynamischen Krankheitslehre<br />

überwand er die antike 4-Humores-Doktrin,<br />

nach <strong>de</strong>r Krankheit auf <strong>de</strong>r unausgewogenen<br />

Mischung <strong>de</strong>r 4 Grundsäfte beruhte.<br />

Diese 4 Humores sind Blut (sanguinisch,<br />

salzig, Frühling), gelbe Galle (cholerisch,<br />

bitter, Sommer), schwarze Galle (melancholisch,<br />

sauer, Herbst) und Schleim<br />

(phlegmatisch, süß, Winter). Diese 4 statischen<br />

Elemente sind nach Paracelsus mit<br />

<strong>de</strong>n 3 chemischen Prozessen Sulfur, Mercurius<br />

und Sal durchwirkt (Ein Werk <strong>de</strong>s<br />

Dresdner Künstlers Hermann Glöckner,<br />

das die Durchdringung <strong>de</strong>r 4 durch die 3<br />

darstellt [Abb. 1], hing jahrelang in meinem<br />

Ar<strong>bei</strong>tszimmer).<br />

33


Abb. 1<br />

Der, in <strong>de</strong>ssen Hand alle Weisheit steht,<br />

hat eine dynamische Ordnung in die<br />

Natur gelegt. Bäume wachsen aus Samen,<br />

<strong>de</strong>r Birnbaum nach oben, <strong>de</strong>r Baum <strong>de</strong>r<br />

Erze nach unten. Der Mensch wächst aus<br />

<strong>de</strong>r Matrix (Gebärmutter). Durch die „Corporalität<br />

gleicher Prozesse“ 5 ist <strong>de</strong>r Mensch<br />

mit allem verknüpft. Im Zentrum hält er<br />

das Gewebe <strong>de</strong>s Makrokosmos in seiner<br />

Hand und bewegt es. Seinen Wi<strong>de</strong>rsachern<br />

wirft Paracelsus Irrtum vor, wenn sie die<br />

Pest aus <strong>de</strong>n 4 Körpersäften entspringen<br />

lassen: „Ge<strong>de</strong>nkt an das, was das sei, das <strong>de</strong>n<br />

Leib (von außen, RAM) vergiftet, und nit,<br />

wie <strong>de</strong>r Leib vergiftet da liegt.“ 6 Auch hier<br />

geht es um <strong>de</strong>n Vergiftungsprozess. Alle<br />

Krankheiten kommen aus Gift (von<br />

außen, RAM). 7 „Gift ist einer jeglichen Krankheit<br />

Anfang und durch das Gift wer<strong>de</strong>n alle<br />

Krankheiten.“ 8 Paracelsus will ergrün<strong>de</strong>n,<br />

wie das Gift, das Negative in die Welt<br />

kommt. Er geht zurück bis auf die erste<br />

Schöpfung <strong>de</strong>r Welt, zurück auf das „Mysterium<br />

Magnum“, das Große Wun<strong>de</strong>r, aus<br />

<strong>de</strong>m „alle <strong>Ges</strong>chöpfe im Himmel und auf<br />

Er<strong>de</strong>n und alle Elemente leben.“ 9 „Dieses<br />

M.M. das mag (kann, RAM) vergiftet wer<strong>de</strong>n“<br />

und dadurch <strong>de</strong>r Mensch. 10 Paracelsus<br />

benutzt häufig die Abkürzung M.M., die<br />

sich als Mysterium Magnum, aber auch als<br />

Magna Mater = Große Mutter <strong>de</strong>uten<br />

ließe. In seiner Schöpfungslehre verbin<strong>de</strong>t<br />

Paracelsus die biblische Genesis mit Vorchristlichem<br />

und Unchristlichem. 11 Paracelsus<br />

hat das selbst so gesehen, bezeich-<br />

34<br />

net er doch die ersten vier Bücher <strong>de</strong>s<br />

„Volumen Paramirum“ als heidnisch. Das<br />

„Volumen Paramirum“ hat fünf Bücher.<br />

Nach<strong>de</strong>m wir die 3 und die 4 behan<strong>de</strong>lt<br />

haben, wollen wir uns <strong>de</strong>r 5 zuwen<strong>de</strong>n,<br />

die <strong>bei</strong> Paracelsus durchaus auch symbolische<br />

Be<strong>de</strong>utung hat. Das Pentagramm<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dru<strong>de</strong>nfuß fin<strong>de</strong>t sich <strong>bei</strong>m Aufschnei<strong>de</strong>n<br />

eines Apfels. Es ist das Symbol<br />

<strong>de</strong>r Göttin Kore, <strong>de</strong>r Heiligen Jungfrau <strong>de</strong>r<br />

Griechen. Seine Be<strong>de</strong>utung ist Schutz vor<br />

äußerer Krankheit (vgl. „Faust“, Studierzimmer<br />

I, Vers 1396). Eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />

hat <strong>bei</strong> Paracelsus auch das Symbol<br />

<strong>de</strong>s Welten-Ei 12 : Die Sterne umgeben<br />

die ganze Welt wie die Schale das Ei.<br />

Durch die Schale kommt die Luft mit <strong>de</strong>m<br />

Sternengift und geht auf das Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Welt, <strong>de</strong>n Menschen. 13 Zu <strong>de</strong>n Sternen<br />

o<strong>de</strong>r Astra nur so viel, dass sie in ihrem<br />

Lauf die Zeit geben. Sie sind im Gleichlauf<br />

mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Schwingungen und<br />

Rhythmen, die die Welt durchpulsen.<br />

Dazu fällt mir sofort <strong>de</strong>r Prolog im Himmel<br />

im “Faust“ ein: „Die Sonne tönt nach<br />

alter Weise/in Bru<strong>de</strong>rsphären Wettgesang.“<br />

Die Sterne geben chemische Prozesse und<br />

(neue) Krankheiten. Sie sind aber auch <strong>de</strong>r<br />

Ursprung <strong>de</strong>r menschlichen Kunstfertigkeit.<br />

Dies alles ist <strong>de</strong>r Zeit unterworfen.<br />

Nahrungskette/Netz <strong>de</strong>s Lebendigen<br />

Im Tractat „De ente veneni“, im Tractat<br />

von <strong>de</strong>r Vergiftung, beschreibt Paracelsus<br />

das, was wir heute als Nahrungskette bezeichnen.<br />

Der Ochse, wie er in seinem<br />

Ornat dasteht, ist in sich vollkommen und<br />

enthält kein Gift. 14 Statt Ochsenfleisch<br />

können wir auch einen guten Hasenbraten<br />

essen. Der Hase – wie ihn Dürer gemalt<br />

hat – ist nicht weniger schön als <strong>de</strong>r<br />

Ochse. Gebraucht 15,16 jedoch <strong>de</strong>r Mensch<br />

<strong>de</strong>n Ochsen zu seiner Nahrung, so isst er<br />

im Fleisch mit <strong>de</strong>m Guten auch Gift. Da<br />

wir Pflanzen und Tiere als Speise einnehmen<br />

müssen, hat uns Gott einen Alchemisten<br />

17 gesetzt, <strong>de</strong>r das Gift abtrennt und<br />

ausschei<strong>de</strong>t und das Gute in Eigenes ver-


wan<strong>de</strong>lt. Mo<strong>de</strong>rn gesprochen han<strong>de</strong>lt es<br />

sich hier um eine Ernährungslehre, die auf<br />

<strong>de</strong>r dynamischen Biochemie beruht. Die<br />

Körperzellen essen, während sie ar<strong>bei</strong>ten,<br />

so drückt das Prof. Lottspeich aus. Die<br />

netzartige Verbindung alles Lebendigen<br />

durch Nahrungsketten (Pflanzen – Tiere –<br />

Menschen) und die Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>s Alchemisten<br />

stellen sich für Paracelsus gleichsam als<br />

weiterwirken<strong>de</strong> Schöpfung dar. 18 Wird <strong>de</strong>r<br />

innere Alchemist, <strong>de</strong>n wir heute vor allem<br />

in <strong>de</strong>r Leber lokalisieren, mit unabbaubaren<br />

Giften konfrontiert, wie DDT und<br />

PCB’s, so können diese Stoffe nicht ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n und reichern sich in <strong>de</strong>r<br />

Nahrungskette Gras – Kuh – Mensch an.<br />

Man kann das auch alles zynisch sehen<br />

wie Gottfried Benn in seiner Sentenz:<br />

„Die Krone <strong>de</strong>r Schöpfung, <strong>de</strong>r Mensch,<br />

das Schwein.“<br />

Gleichnis vom Weiher/Umweltmedizin<br />

Paracelsus vergleicht <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Menschen<br />

mit einem Fischweiher, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />

Sternen vergiftet wird. 19 Die Fische „kommen<br />

aus <strong>de</strong>r Tiefe herauf an <strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>nn sie<br />

vermeinen eine … unvergiftete Stätte zu fin<strong>de</strong>n.“<br />

„Der Arsenik, <strong>de</strong>r die Fische herfür treibt,<br />

... <strong>de</strong>r vergiftet auch die Menschen, dass sie nach<br />

<strong>de</strong>n Fischen krank wer<strong>de</strong>n“. Es „wer<strong>de</strong>n nit allein<br />

die Fische und Menschen vergiftet, son<strong>de</strong>rn<br />

auch die Früchte <strong>de</strong>r Fel<strong>de</strong>r und alles, das da<br />

lebt.“ Diese anschauliche Beschreibung<br />

dürfte auf die Umgebung einer Schmelzhütte<br />

zutreffen 20 , wie sie Paracelsus <strong>bei</strong> seiner<br />

Tätigkeit als Berglaborant und auf seinen<br />

Reisen – auch nach Sachsen – begegnet<br />

sein dürfte. 21 Bereits die Salzburger Bergordnung<br />

von 1477 bestimmte, dass „merklicher<br />

Scha<strong>de</strong>n durch Bergwerke wi<strong>de</strong>rkehrt<br />

(wie<strong>de</strong>r gutgemacht) wer<strong>de</strong>n sollte.” 22<br />

Kurfürst August von Sachsen erteilte 1564<br />

Hieronimus Zurich aus Nürnberg ein Patent,<br />

nach <strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Hüttrauch das giftige<br />

Arsen aufgefangen wur<strong>de</strong>, so dass es<br />

nicht mehr „die Äcker, Wiesen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Früchte ver<strong>de</strong>rben sollte.“ 23 Betroffen<br />

von <strong>de</strong>n Rauchschä<strong>de</strong>n waren auch die<br />

kurfürstlichen Wäl<strong>de</strong>r um Grillenburg.<br />

Das Arsen wur<strong>de</strong> exportiert und brachte<br />

mehrere „Tonnen Gol<strong>de</strong>s an barem Gel<strong>de</strong><br />

ins Land“. Die Sachsen waren schon damals<br />

helle und machten aus giftigem<br />

Dreck Gold. Vielleicht gelingt es ihnen<br />

auch heute, Umweltschutz und Ökonomie<br />

nutzbringend zu verbin<strong>de</strong>n. – Nach<strong>de</strong>m<br />

im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt immer wie<strong>de</strong>r ähnliche<br />

Massenvergiftungen durch Schwermetalle<br />

aufgetreten sind, erkennen wir, dass<br />

Paracelsus <strong>de</strong>r erste war, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rartige Umweltvergiftungen<br />

beschrieben und in größere<br />

Zusammenhänge eingeordnet hat. Die<br />

Erkenntnisse <strong>de</strong>s Paracelsus auf <strong>de</strong>m Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Umweltmedizin sind bisher allerdings<br />

noch nicht umfassend untersucht und gewürdigt<br />

wor<strong>de</strong>n. 24<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmedizin/Kosmologie<br />

Die Leistungen <strong>de</strong>s Hohenheimers auf<br />

einem an<strong>de</strong>ren Gebiet sind dagegen allgemein<br />

anerkannt: Mit seiner Schrift „Von<br />

<strong>de</strong>r Bergsucht“ gilt Paracelsus als Begrün<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsmedizin. Dank an Herrn<br />

Dr. Lauterbach und die DBG für die Herausgabe<br />

<strong>de</strong>r „Bergsucht“ in <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />

schönen Bändchen. Sudhoff datierte diese<br />

Schrift auf „spätestens im Jahre 1543.“ 25<br />

Edwin Rosner kam auf Grund umfassen<strong>de</strong>r<br />

Textstudien zu <strong>de</strong>r Auffassung, dass<br />

das Werk 1522/23 nie<strong>de</strong>rgeschrieben wor<strong>de</strong>n<br />

ist. 26 Ingrid Kästner schließt sich in<br />

ihrer Paracelsus-Biographie <strong>de</strong>r Meinung<br />

von Rosner an. 27 – Gehen wir noch einmal<br />

zurück zu Hannah Arendt und ihrem<br />

Buch „Vom tätigen Leben.“ In § 35 charakterisiert<br />

sie unter <strong>de</strong>r Überschrift „Weltentfremdung“<br />

<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit mit<br />

<strong>de</strong>n Begriffen <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckung und Erfindung.<br />

Was die Götter „gnädig be<strong>de</strong>ckt hatten<br />

mit Nacht und Grauen“, wur<strong>de</strong> jetzt<br />

aufge<strong>de</strong>ckt, ent-<strong>de</strong>ckt. Fin<strong>de</strong>n, erfin<strong>de</strong>n<br />

von lat. in-venire = hineinkommen. Nach<br />

<strong>de</strong>m Religionshistoriker Elia<strong>de</strong> stellt <strong>de</strong>r<br />

Bergbau für viele alte Religionen eine Verletzung<br />

<strong>de</strong>r Heiligkeit <strong>de</strong>r Erdmutter dar 28<br />

(Schmie<strong>de</strong> und Alchemisten, Mythos und<br />

35


Magie <strong>de</strong>r Machbarkeit). – Paracelsus <strong>de</strong>finiert<br />

die Bergsucht als Erkrankung „<strong>de</strong>r<br />

Erzleute, Schmelzer, Knappen und was<br />

<strong>de</strong>n Bergwerken verwandt ist.“ 29 Er bemerkt,<br />

dass von diesen Krankheiten <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n alten Skribenten nichts gefun<strong>de</strong>n<br />

wird. Huser, <strong>de</strong>r Herausgeber <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>amtwerks<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus, schreibt in seinem<br />

Vorwort 30 , dass „Neue Zeit neue Krankheiten<br />

und Künste hervorbringt“ und dürfte<br />

in dieser Darlegung mit Paracelsus’ Zeitbegriff<br />

und seiner Lehre von <strong>de</strong>n Sternen,<br />

<strong>de</strong>n Astra, übereinstimmen. 31 Einer Anregung<br />

von Prof. Goldammer folgend verknüpfte<br />

ich meine Ar<strong>bei</strong>ten zur Giftlehre<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus mit Studien zur Kosmologie<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers. Wie schon im „Volumen<br />

Paramirum“ von 1520 zeigt sich auch<br />

in <strong>de</strong>r „Bergsucht“ <strong>de</strong>r Doppelcharakter<br />

von „wissenschaftlicher“ und kosmologischer<br />

Betrachtungsweise. Paracelsus beschrieb<br />

zum einen <strong>de</strong>n Stoffwechsel, wenn<br />

er die Luft „als Speise <strong>de</strong>r Lunge“ 32 bezeichnet.<br />

Noch mehr aber beschäftigten<br />

ihn zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Ursprung und die<br />

„<strong>Ges</strong>chichte“ <strong>de</strong>s Elements Luft. Gott als<br />

„höchster Fabricator“ hat „am ersten hinweg<br />

genommen <strong>de</strong>n Luft.“ 33 Erst danach<br />

sind die an<strong>de</strong>ren Elemente Feuer, Wasser<br />

und Er<strong>de</strong> separiert wor<strong>de</strong>n. Im „Volumen<br />

Paramirum“ heißt es dazu: „Der Luft<br />

kommt vom höchsten Gut und ist gewesen vor<br />

allen <strong>Ges</strong>chöpfen das aller erst.“ 34 „Das Element<br />

Luft ... ist geordnet als ... Haus <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren drei<br />

Elemente.“ 35 „Soweit <strong>de</strong>r Aer (Luft, RAM) umfasst,<br />

ist gewesen <strong>de</strong>r Stuhl Gottes und <strong>de</strong>r Centrum<br />

seines Reichs.“ 36 Im 3. Buch von <strong>de</strong>n<br />

Bergkrankheiten steht: „Wir Menschen alle<br />

... liegen in <strong>de</strong>r Mutter noch und die Matrix<br />

(Gebärmutter, RAM) hat uns noch alle umfangen...<br />

So sind alle Elemente und Generation<br />

(zu) ringweis um uns.“ Die Striemen <strong>de</strong>r<br />

Planeten gehen von <strong>de</strong>r Schale durch das<br />

Eiklar ins Centrum zum Menschen, <strong>de</strong>r<br />

„das minste (Min<strong>de</strong>ste, Kleinste, RAM) und<br />

doch alles“ 37 ist. Valentin Weigel übernimmt<br />

in seinem Werk „Vom Ort <strong>de</strong>r Welt“ von<br />

Paracelsus das Gleichnis vom Welten-Ei<br />

36<br />

und stellt es <strong>de</strong>r „ewigen Weite“ <strong>de</strong>s Himmelreichs<br />

gegenüber. 38 Paracelsus vergleicht<br />

die durch Luft zusammengehaltene<br />

„tötliche“ (im Gegensatz zur ewigen, RAM)<br />

Welt mit einem Weiher und mit einer<br />

Stadt. 39 Be<strong>de</strong>nkenswert ist, dass Weiher<br />

und Stadt, auch <strong>de</strong>r Baum Symbole <strong>de</strong>s<br />

Makrokosmos und zugleich Mariensymbole<br />

darstellen, wie auch das Gleichnis<br />

vom Welten-Ei auf Weibliches verweist.<br />

Oft verwen<strong>de</strong>t Paracelsus in <strong>de</strong>r „Bergsucht“<br />

für Luft <strong>de</strong>n Begriff Chaos, <strong>de</strong>r auf<br />

das Tohuwabohu <strong>de</strong>r Schöpfungsgeschichte<br />

verweist. Walker sieht in diesem Urchaos<br />

die Formlosigkeit zwischen <strong>de</strong>r Zerstörung<br />

<strong>de</strong>r einen und <strong>de</strong>r Erschaffung <strong>de</strong>r<br />

nächsten Welt. 40<br />

Der „Mineralien-Himmel“<br />

Im Berg gibt es nach Paracelsus einen eigenen<br />

Himmel, aus <strong>de</strong>m die Mineralien<br />

gleichsam wie die Sterne ihre Wirkung in<br />

das Chaos geben 41 und dadurch die Bergleute<br />

chronisch vergiften. 42 Paracelsus’<br />

neuer Blick auf <strong>de</strong>n Kosmos fin<strong>de</strong>t sich<br />

auch in <strong>de</strong>r sächsischen Bergmannssage<br />

„Der Traum von <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Eiern“ 43 :<br />

Dem Bergmann Daniel Knappe erschien<br />

im Traum ein Engel und sprach: „Gehe<br />

morgen zum Fuß <strong>de</strong>s Schreckenberges.<br />

Dort ragt eine Tanne hoch über alle<br />

Bäume <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s hervor. In ihren Zweigen<br />

wirst Du ein Nest mit gol<strong>de</strong>nen Eiern<br />

fin<strong>de</strong>n: dies ist Dein, brauche es wohl!“<br />

Daniel Knappe fand aber nichts. Er sann<br />

hin und her, und da<strong>bei</strong> fiel ihm ein, dass<br />

unter <strong>de</strong>n Zweigen wohl auch die Wurzeln<br />

<strong>de</strong>r Tanne verstan<strong>de</strong>n sein könnten. Er<br />

schürfte und fand mächtige, nach allen<br />

Seiten streichen<strong>de</strong> Silbergänge. Tausen<strong>de</strong><br />

zogen herzu, um sich in <strong>de</strong>r bisher so wil<strong>de</strong>n<br />

Gegend anzusie<strong>de</strong>ln. Am 21. September<br />

1496 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Grundstein zum ersten<br />

Haus <strong>de</strong>r neuen Bergstadt Annaberg<br />

gelegt. Zum An<strong>de</strong>nken an Daniel Knappe<br />

aber heißen noch heute die Bergleute die<br />

Knappen und ihre Gemeinschaft die<br />

Knappschaft. – Hans Hesse malte im Auf-


trag <strong>de</strong>r Annaberger Bergknappschaft 1521<br />

<strong>de</strong>n Bergaltar, auf <strong>de</strong>m die Sage von <strong>de</strong>r<br />

Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Annaberger Silberschätze<br />

dargestellt wird (Abb. 2).<br />

Neben <strong>de</strong>r großen Tanne fin<strong>de</strong>n sich<br />

nur wenige Bäume in dieser Erzgebirgslandschaft,<br />

die zugleich eine Weltlandschaft<br />

darstellt. Stellt die große Tanne<br />

einen Baum aus <strong>de</strong>m Paradies dar? Aber<br />

warum ist in <strong>de</strong>n Stamm die Axt geschlagen?<br />

Ist es die Streitaxt, die wir nach Jean<br />

Paul an <strong>de</strong>n Lebensbaum – und nun<br />

schon selbst an <strong>de</strong>n Baum <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

– gelegt haben? Das ist Stoff zum Nach<strong>de</strong>nken.<br />

Auch Paracelsus sah unterirdisch <strong>de</strong>n<br />

Mineralienbaum wachsen, ein Ast reichte<br />

in die Alpen, ein an<strong>de</strong>rer Ast nach Joachimstal,<br />

ein an<strong>de</strong>rer nach Siebenbürgen44 Abb. 2<br />

(Zu DDR-Zeiten war es uns ein Trost und<br />

eine Hoffnung, dass die Welt ohne Rücksicht<br />

auf wi<strong>de</strong>rnatürliche Grenzen unterirdisch<br />

zusammenhing). – Der eine Baum<br />

wächst nach oben, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re nach unten,<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong> bil<strong>de</strong>n Äste mit Früchten: Paracelsus<br />

spricht von <strong>de</strong>r „Corporalität gleicher<br />

Prozesse.“ 45 Alles wächst aus <strong>de</strong>m Samen.<br />

Was <strong>de</strong>n Baum vergiftet, das vergiftet die<br />

Matrix (Gebärmutter). 46 Dieser Satz machte<br />

uns betroffen, als die Wäl<strong>de</strong>r im Erzgebirge<br />

und im Isergebirge starben. 47 Die<br />

Antwort hieß damals: „Global <strong>de</strong>nken –<br />

lokal han<strong>de</strong>ln“. Hat sich das wirklich alles<br />

erledigt, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kapitalismus sein<br />

dunkles Spiegelbild endgültig besiegt hat?<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Arztes<br />

Nach Paracelsus ist es die Aufgabe <strong>de</strong>s<br />

Arztes, die Gefahren <strong>bei</strong>m Umgang mit<br />

giftigen Metallen zu erkennen und ihnen<br />

zuvorzukommen. Paracelsus unterschei<strong>de</strong>t<br />

die akute Arsenvergiftung durch Einnehmen<br />

(Tod „in 10 Stun<strong>de</strong>n“) von <strong>de</strong>r chronischen<br />

durch Spiritus = Dämpfe (Tod „in<br />

10 Jahren“) mit gleichen Vergiftungs“zeichen“,<br />

z.B. Leberschä<strong>de</strong>n. 48 Paracelsus war<br />

die Wirkung <strong>de</strong>s Arsen nach oraler Aufnahme<br />

also durchaus bekannt, ob durch<br />

Gabe an Patienten o<strong>de</strong>r durch Selbstversuche<br />

kann nur vermutet wer<strong>de</strong>n. Folgen<strong>de</strong>s<br />

Zitat aus <strong>de</strong>m Osterspaziergang <strong>de</strong>s<br />

„Faust“ bezieht sich nach meiner Ansicht<br />

auf Paracelsus und seinen Vater, <strong>de</strong>r durchaus<br />

nicht abschätzig als „dunkler Ehrenmann“,<br />

als Alchemist, bezeichnet wird:<br />

„So haben wir mit höllischen Latwergen<br />

In diesen Tälern, diesen Bergen<br />

Weit schlimmer als die Pest getobt.<br />

Ich habe selbst <strong>de</strong>n Gift an Tausen<strong>de</strong> gegeben,<br />

Sie welkten hin, ich muss erleben,<br />

Dass man die frechen Mör<strong>de</strong>r lobt.“ 49<br />

Ärztliches Han<strong>de</strong>ln bleibt immer ambivalent.<br />

Je<strong>de</strong>s Ding hat zwei Seiten. Gift<br />

steht immer <strong>bei</strong>m Guten. Ungeachtet <strong>de</strong>r<br />

Gefahren durch <strong>de</strong>n Hüttrauch „wills Gott<br />

(al)so haben, dass die Schätze und Wun<strong>de</strong>rwerke<br />

Gottes ... erforscht ... wer<strong>de</strong>n.” Der Arzt ist<br />

geschaffen, „dass er fürkomme und wen<strong>de</strong> die<br />

Krankheiten, so auf ... Erforschung göttlicher<br />

Ordnung einfallen.“ 50<br />

Paracelsus glaubte: „Was uns durch unsere<br />

Hän<strong>de</strong> schädlich mag sein, das wird durch unsere<br />

Hän<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r zur Arznei (Heilung,<br />

37


RAM) gebracht.“ 51 Diese Hoffnung können<br />

wir heute nicht mehr teilen. Auch die<br />

Sehnsucht nach Frie<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n<br />

Menschen und mit <strong>de</strong>r Natur, die unsere<br />

Kin<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung „Schwerter zu<br />

Pflugscharen“ (Jes 2,4) so mutig vertraten,<br />

blieb Utopie. Unsere Welt bleibt ständig<br />

bedroht (vgl. Dürer: Die Große Kanone).<br />

Wenn unsere Bemühungen nichts fruchten,<br />

wenn Wissenschaft immer zwiespältig<br />

ist, soll man da untätig bleiben? Nach Paracelsus<br />

will <strong>de</strong>r Teufel <strong>de</strong>n Menschen zur<br />

Faulheit verführen. Paracelsus entgegnet:<br />

„Der Gott nicht erkennt, <strong>de</strong>r liebt ihn nicht...<br />

Der Maria nicht kennt, <strong>de</strong>r liebt sie nicht. Der<br />

die Natur nicht kennt, <strong>de</strong>r liebt sie nicht… Der<br />

nichts erkennt, tut nichts.“ 52 Wenn <strong>de</strong>r<br />

Mensch die Natur nicht gründlich versteht,<br />

so wird er sie missbrauchen. 53 „Wie<br />

<strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur werket, (al)so sollt ihr<br />

auch werken.” 54 Der Werken<strong>de</strong> steht in <strong>de</strong>r<br />

Verantwortung vor <strong>de</strong>m sprechen<strong>de</strong>n Angesicht<br />

<strong>de</strong>s An<strong>de</strong>ren (Levinas) und – so<br />

möchte ich mit Paracelsus hinzufügen –<br />

auch in <strong>de</strong>r Verantwortung vor <strong>de</strong>m „Angesicht<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.“ 55 Zum rechten Gebrauch<br />

<strong>de</strong>r Natur muss jedoch <strong>de</strong>r Mensch<br />

„frei sein in seinen Gaben“, dass ihn also niemand<br />

zwingt, seine Gabe „zu versperren<br />

o<strong>de</strong>r zu verkaufen.“ 56 In <strong>de</strong>m Reclam-Büchlein,<br />

das 1973 in <strong>de</strong>r DDR erschien, zitierten<br />

Löther und Wollgast Paracelsus dahin-<br />

1 Arendt, H.: Vita activa, R. Piper & Co, München,<br />

1967, S. 244.<br />

2 Safranski, R.: Ein Meister aus Deutschland,<br />

Hei<strong>de</strong>gger und seine Zeit, Fischer Frankfurt am<br />

Main 1998, S. 124/5.<br />

3 SI, 165: Volumen Paramirum, Prologus (Im Folgen<strong>de</strong>n<br />

be<strong>de</strong>utet SI,II,III folg.: 1.,2.,3. folg.<br />

Band <strong>de</strong>r Sudhoff-Ausgabe, gefolgt von <strong>de</strong>r Seitenzahl).<br />

4 Arendt, H.: Vita activa, S. 289: In <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

sind die Gegenstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erfahrung Entstehungsprozesse<br />

und nicht Dinge.<br />

38<br />

LITERATUR<br />

gehend, dass eine schlechte Obrigkeit<br />

wirke wie Gift im Körper. Mit Freu<strong>de</strong> bezogen<br />

wir diese Aussage natürlich auf die<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r Partei, die alles Lebendige<br />

lähmte und versperrte. Heute dagegen<br />

müssen sich viele mit ihren Gaben verkaufen.<br />

In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Systemen wird also die<br />

Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen verletzt. Mit Wehmut<br />

und Stolz <strong>de</strong>nken wir an <strong>de</strong>n Herbst<br />

1989, als wir in <strong>de</strong>r Tradition von Mahatma<br />

Gandhi und Martin Luther King unsere<br />

gewaltfreie Revolution durchführten,<br />

in<strong>de</strong>m wir friedlich eine gute Obrigkeit<br />

einfor<strong>de</strong>rten. Auf <strong>de</strong>r Millionen<strong>de</strong>mo in<br />

Berlin zitierte Friedrich Schorlemmer<br />

einen Ausspruch von Luther: „Lasset die<br />

Geister aufeinan<strong>de</strong>rprallen, die Fäuste aber haltet<br />

still.“ Für kurze Zeit stand uns damals<br />

<strong>de</strong>r Himmel offen. Der Mensch wur<strong>de</strong><br />

zum „Tempel, in <strong>de</strong>m Gott wohnt“ 57 und han<strong>de</strong>lt,<br />

o<strong>de</strong>r wie Paracelsus an an<strong>de</strong>rer Stelle<br />

schreibt: “Die Welt ist das Haus Gottes ... da<br />

wer<strong>de</strong>n bleiben vom Menschen das Herz und<br />

von <strong>de</strong>r Welt das Geblühe.” 58<br />

Noch einmal bedanke ich mich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft. Beson<strong>de</strong>rs<br />

aber bedanke ich mich <strong>bei</strong> meiner<br />

Frau Brigitte, ohne die diese Ar<strong>bei</strong>t nicht<br />

zu Stan<strong>de</strong> gekommen wäre. Den Zuhörer-<br />

Innen danke ich für Aufmerksamkeit und<br />

Diskussion.<br />

5 SIII, 39: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />

6 SI, 172: Volumen Paramirum, Prologus.<br />

7 SII, 68: Von <strong>de</strong>m Terpentin.<br />

8 SI, 185: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente astrorum,<br />

Cap. IX.<br />

9 SI, 182: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VI.<br />

10 SI, 183/4: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VII.<br />

11 Achelis, J. D.: Paracelsus – Volumen Paramirum,<br />

Die<strong>de</strong>richs, Jena 1928 (im Folgen<strong>de</strong>n: Achelis),<br />

S. 128.<br />

12 SI, 184: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VIII.<br />

13 Achelis S. 131.


14 SI, 199: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. XIII.<br />

15 SI, 190: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. II.<br />

16, 17<br />

SI, 194: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. VII.<br />

18 SI, 191: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. IV.<br />

19 SI, 185–187: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. IX–XI, vgl.<br />

auch SI, 237: Zwei Bruchstücke zu <strong>de</strong> ente astrorum.<br />

20 Meyer, R.A.: Vom Umgang mit Frem<strong>de</strong>m: Alle<br />

Ding sind Gift und nichts ohn Gift – die 3. Defension<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus, Vortrag vor <strong>de</strong>r Internationalen<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft am 29. Sept.<br />

1990 in Salzburg.<br />

21 Gruber, F.: Bergbaubedingte Umweltprobleme<br />

zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus, in: Dopsch, H., Goldammer,<br />

K., Kramml, P.F.: Paracelsus (1493–1541)<br />

„Keines an<strong>de</strong>rn Knecht...“, Verlag Anton Pustet,<br />

Salzburg 1993, S. 333–338.<br />

22 Ludwig, K.-H.: Die Frühentwicklung <strong>de</strong>s E<strong>de</strong>lmetallbergbaus<br />

im Gastein/Rauriser Montanrevier<br />

und die bergmännischen Lebensumstän<strong>de</strong><br />

zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus, in: Dopsch, H., Kramml,<br />

P.F.: Paracelsus und Salzburg, <strong>Ges</strong>ellschaft für<br />

Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, 1994, S. 414, Anm.18,<br />

S. 430.<br />

23 Creutz, H.-J., <strong>de</strong>r neuerer 33 (1984), 42.<br />

24 Meyer, R.A.: Umwelttoxikologische Ansätze im<br />

Werk <strong>de</strong>s Paracelsus, Vortrag vor <strong>de</strong>r AG „Chemische<br />

Toxikologie“ am 13. Dez. 1984 in Erfurt.<br />

25 S IX, 25.<br />

26 Rosner, E.: Die Schrift <strong>de</strong>s Paracelsus über die<br />

Erkrankungen im Bergbau und ihre Be<strong>de</strong>utung<br />

in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin, in: Dopsch, H.,<br />

Kramml, P. F.: Paracelsus und Salzburg, <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

für Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, 1994, S.<br />

445–460, bes. Anm. 25, S. 446/456.<br />

27 Kästner, I.: Paracelsus, Teubner, Leipzig, 2. Auflage<br />

1989, S.61.<br />

28 Elia<strong>de</strong>, M.: Schmie<strong>de</strong> und Alchemisten, Mythos<br />

und Magie <strong>de</strong>r Machbarkeit, Her<strong>de</strong>r, Freiburg,<br />

Basel, Wien 1992.<br />

29 SIX, 463: Bergsucht.<br />

30 Lauterbach, W. (Hrsg.): <strong>Bombastus</strong> Paracelsus<br />

von Hohenheim: Abhandlungen über die Bergsucht,<br />

nach <strong>de</strong>r Huser-Ausgabe von 1589-91,<br />

Neuauflage mit Vorwort von 1616, Jens-Kugler-<br />

Verlag, Kleinvoigtsberg (Sachsen) 2001, S. 13.<br />

31 Meyer, R.A.: Verän<strong>de</strong>rung und Verän<strong>de</strong>rbarkeit<br />

<strong>de</strong>r Welt im Werk <strong>de</strong>s Paracelsus, TU Dres<strong>de</strong>n<br />

1971, S. 20ff.<br />

32 SIX, 465: Bergsucht.<br />

33 SXIII, 13: Philosophia <strong>de</strong> generationibus et<br />

fructibus quatuor elementorum: Liber primus:<br />

<strong>de</strong> elemento aeris (Frühwerk von 1525/6).<br />

34 SI, 183: Volumen Paramirum, Tractatus <strong>de</strong> ente<br />

astrorum, Cap.VII.<br />

35 SXIII, 15: Philosophia <strong>de</strong> generationibus…<br />

36 SXIII, 12: Philosophia <strong>de</strong> generationibus…<br />

37 SIX, 527/8, vgl. auch oben SI, 184.<br />

38 Wollgast, S.: Valentin Weigel – Ausgewählte<br />

Werke, Union-Verlag, Berlin 1977, S. 263, 265.<br />

39 SXIII, 15: Philosophia <strong>de</strong> generationibus...<br />

40 Walker, Barbara G.: Das geheime Wissen <strong>de</strong>r<br />

Frauen, Deutscher Taschenbuchverlag, München<br />

1995, S. 1097.<br />

41 SIX, 475: Bergsucht.<br />

42 SIX, 479: Bergsucht.<br />

43 Gräße, J.G.T.: Der Sagenschatz <strong>de</strong>s Königreichs<br />

Sachsen, Dres<strong>de</strong>n 1874, S. 464.<br />

44 SIII, 40: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />

45 SIII, 39: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />

46 SIX, 212: Opus paramirum, <strong>de</strong> matrice (1531).<br />

47 Meyer, R.A.: Paracelsus zur gefähr<strong>de</strong>ten Schöpfung<br />

und zur Verantwortung <strong>de</strong>s Menschen,<br />

Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch –<br />

Er<strong>de</strong>, Kirchliches Forschungsheim Wittenberg,<br />

Nr. 13, 1986, S. 7–9.<br />

48 SIX, 478: Bergsucht.<br />

49 „Faust“, Verse 1050ff.<br />

50 SIX, 492: Bergsucht.<br />

51 SIX, 482: Bergsucht.<br />

52 SXI, 207: Labyrinthus... (1537/8).<br />

53 SIII, 31: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />

54 SI, 200: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente veneni.<br />

55 SI, 186: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente astrorum.<br />

56 Matthießen, W.: Paracelsus, Sämtliche Werke,<br />

II. Abteilung, 1. Band, Barth, München 1923,<br />

S. 159: De felici liberalitate.<br />

57 Goldammer, K., Weimann, K.-H., Paracelsus,<br />

Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes, Reclam,<br />

Stuttgart 1993, S. 217: 2. Mt.-Kommentar.<br />

58 SXIII, 12: Philosophia <strong>de</strong> generationibus...: <strong>de</strong><br />

elemento aeris.<br />

Dr. Rolf A. Meyer · Corinthstraße 27 · 01219 Dres<strong>de</strong>n<br />

Vortrag im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n am 26. November 2003<br />

39


1. Der Streit um <strong>de</strong>n Hintergrund <strong>de</strong>s<br />

Wortes in <strong>de</strong>r Scholastik<br />

2. Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes<br />

3. Das Wort – eine Buchstabenfolge?<br />

1. Der Streit um <strong>de</strong>n Hintergrund <strong>de</strong>s<br />

Wortes in <strong>de</strong>r Scholastik<br />

Im so genannten Universalienstreit <strong>de</strong>r<br />

Frühscholastik <strong>de</strong>battierten be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

Persönlichkeiten über die Ontologie <strong>de</strong>r<br />

Universalien, d. h. über die Lehre vom<br />

Sein <strong>de</strong>r Allgemeinbegriffe. Aus <strong>de</strong>n vielfältigen<br />

und hochdifferenzierten Theorien<br />

zu diesem Problem entwickelten sich zwei<br />

Richtungen, die die folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

bis in die Gegenwart beeinflussten: Nominalismus<br />

und Realismus (nomen, lat.<br />

= Name, nominatio = Benennung, Namen<strong>bei</strong>legung).<br />

Für die Nominalisten wird <strong>de</strong>m Begriff<br />

nur eine logische Funktion bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Aussagbarkeit zugestan<strong>de</strong>n. Das Allgemeine<br />

kommt – im Gegensatz zum Beson<strong>de</strong>ren<br />

– in <strong>de</strong>r Wirklichkeit nicht vor (es<br />

gibt zwar „Menschen“, aber nicht „<strong>de</strong>n<br />

Menschen“). Wörter drücken Allgemeinbegriffe<br />

aus, die es uns möglich machen,<br />

überhaupt etwas zur Sprache zu bringen.<br />

Wörter dürften uns aber nicht darüber<br />

hinwegtäuschen (so die Nominalisten),<br />

dass jegliche „Ordnung <strong>de</strong>r Dinge“ nichts<br />

als ein Gedankengebäu<strong>de</strong> darstellt.<br />

Begrün<strong>de</strong>r eines extremen Nominalismus<br />

war Roscelin von Compiègne (um<br />

1045 – nach 1120). Für ihn war <strong>de</strong>r Allgemeinbegriff<br />

nur ein „Worthauch“ (flatus<br />

vocis) und <strong>de</strong>mzufolge z. B. die Dreieinigkeit<br />

Gottes eine bloße Dreizahl. Es ist<br />

nachvollziehbar, dass die meisten Vertreter<br />

<strong>de</strong>r Scholastik je<strong>de</strong> Spielart <strong>de</strong>s Nominalismus<br />

als Irrlehre behan<strong>de</strong>lten. Für die Nominalisten<br />

existierte nur das Wort, die<br />

Buchstabenfolge, nicht aber die hinter<br />

40<br />

Günter Ickert<br />

„DRUMB SO IST DAS WORT DO, DAS DICH LERNEN SOL“<br />

– Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes –<br />

<strong>de</strong>m Wort stehen<strong>de</strong> geistige Wirklichkeit<br />

(Realität).<br />

Die Nominalisten haben <strong>de</strong>n Streit<br />

zweifellos gewonnen, „in<strong>de</strong>m ihre Haltung<br />

zur mo<strong>de</strong>rnen Naturwissenschaft und Technik<br />

führte, <strong>de</strong>nn dazu reichte sie aus. Heute in<strong>de</strong>ssen<br />

reicht sie nicht mehr aus, da ihr Zerstörungspotential<br />

sichtbar wird“ 1 In seinem<br />

auch verfilmten Roman „Der Name <strong>de</strong>r<br />

Rose“ formuliert Umberto Eco (italienischer<br />

Sprachwissenschaftler, geb. 1932):<br />

„Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus“<br />

(Die Rose von einst steht nur noch<br />

als Name, uns bleiben nur nackte<br />

Namen) 2 .<br />

Die Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Realismus (realis, lat.<br />

= wirklich) fußten weitgehend auf <strong>de</strong>n<br />

Lehren Platons (427–347 v. Chr.) und Aristoteles‘<br />

(394–322 v. Chr.) und vertraten<br />

die Auffassung, dass <strong>de</strong>r Begriff die Substanz<br />

<strong>de</strong>r Dinge wi<strong>de</strong>rspiegele, dass das begriffliche<br />

Allgemeine auch außerhalb <strong>de</strong>s<br />

menschlichen Denkens existiert und wirklich<br />

ist. Be<strong>de</strong>utendster Vertreter <strong>de</strong>s Realismus<br />

und überragen<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>talt <strong>de</strong>r Scholastik<br />

war Thomas von Aquin (um 1224/<br />

1225–1274), <strong>de</strong>r auch „doctor angelicus“<br />

(<strong>de</strong>r engelsgleiche Lehrer) wegen seiner<br />

Sanftmut und Lauterkeit genannt wur<strong>de</strong>.<br />

Der aristotelische Realismus fin<strong>de</strong>t sich <strong>bei</strong><br />

Thomas von Aquin, <strong>de</strong>r das Universale<br />

„in re“ (res, lat. = Sache, Wesen, Gegenstand,<br />

Erscheinung, Wirklichkeit, Wahrheit)<br />

als Substanz, „post rem“ im Intellekt<br />

(post, lat. = hinter) und „ante rem“ (ante,<br />

lat. = vor) in Gott als I<strong>de</strong>e postuliert (=<br />

feststellt). Realisten sehen also das Geistige<br />

hinter <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r Dinge.<br />

2. Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>s Wortes<br />

Die historische Betrachtung war erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

um <strong>de</strong>n Hintergrund aufzuhellen,<br />

vor <strong>de</strong>m sich möglicherweise die paracelsi-


schen Auffassungen von Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>s Wortes abheben. Der äußerst belesene<br />

Hohenheimer könnte sich durchaus<br />

auch mit <strong>de</strong>m so genannten<br />

Universalienstreit beschäftigt haben. Seine<br />

Auffassung von Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes ist jedoch eine eigenständige und<br />

Bestandteil seiner kosmischen Sicht allen<br />

<strong>Ges</strong>chehens.<br />

Der Christ Paracelsus weiß um die Quelle<br />

<strong>de</strong>r Kraft:<br />

„und in summa, das vom wort gottes alle kreft<br />

gehen und das das wort alle kraft in im hat und<br />

sovil mer, das alle natur in iren kreften sovil<br />

nicht vermag, das alein in einem wort ist“ 3 .<br />

Diese grundsätzliche Aussage verdichtet<br />

<strong>de</strong>r Hohenheimer mit folgen<strong>de</strong>n Worten:<br />

„so nun aber got die welt beschafen hat, nicht<br />

unsichtbar zu sein, son<strong>de</strong>rn sichtbar, das ist, er<br />

hat sie beschaffen, die vorhin nichts gewesen ist,<br />

und aus <strong>de</strong>m das nichts gewesen ist himel und<br />

er<strong>de</strong>n beschaffen, und also sein wort, das unsichtbar<br />

gewesen ist, sichtbar gemacht, als das<br />

sein wort ist wor<strong>de</strong>n, das wir greifen und sehen.<br />

dan got erfreuet sich gleich so wol im sichtbaren<br />

als im unsichtbaren, in <strong>de</strong>m das sein wort materialisch,<br />

substantialisch wor<strong>de</strong>n ist, darumb es<br />

got wolgefalen, was er gemacht hat“ 4 .<br />

Nach<strong>de</strong>m Paracelsus formulierte, dass<br />

Gottes Wort i<strong>de</strong>ntisch ist mit Gottes Kraft,<br />

erkennt er die logische Konsequenz, dass<br />

sich die unsichtbare Kraft verstofflichen<br />

muss, um für <strong>de</strong>n stofflichen Menschen in<br />

<strong>de</strong>r Welt von Raum und Zeit erkennbar<br />

und nutzbar zu wer<strong>de</strong>n. Die Welt von Zeit<br />

und Raum, unser Lebensraum, ist „materialisch,<br />

substantialisch“ gewor<strong>de</strong>ne Kraft<br />

Gottes. Da es Gottes erklärtes Ziel ist, <strong>de</strong>n<br />

Menschen aus seiner Stofflichkeit zurückzuführen<br />

in sein Reich, betrachtet <strong>de</strong>r Hohenheimer<br />

die „Verstofflichung“ göttlicher<br />

Kraft als Hilfe für <strong>de</strong>n Menschen:<br />

„die geister und himlischen kreften können<br />

uns nicht an<strong>de</strong>rst helfen, dan durch die namen<br />

und wörter. so wir sie haben, so haben wir <strong>de</strong>n<br />

garten ir arznei. nun wissen also, das natürlich<br />

arznei ist, <strong>de</strong>r nam wie ein kraut, das kraut wie<br />

ein nam, alein un<strong>de</strong>rschi<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r sichtigen<br />

und unsichtigen natur“ 5 .<br />

Gottes Kraft wird uns aber nicht nur zuteil<br />

durch „namen und wörter“, son<strong>de</strong>rn<br />

z.B. auch durch die Heilkräuter:<br />

„aus <strong>de</strong>m folgt nun, das die natur jr krefte<br />

in die wörter sezet wie in kreuter und in die<br />

wurzen“ 6 .<br />

„vermag ein Kraut ein Kraft, und das Kraut<br />

ist sichtbar und ist greiflich und ist natürlich, so<br />

vermags auch das Wort, wiewohl es unsichtbar<br />

ist und nit greiflich, aber natürlich“ 7 .<br />

Gottes Kraft ist quasi <strong>de</strong>poniert in <strong>de</strong>n<br />

Wirkstoffen einer Heilpflanze. Gottes<br />

Kraft wird freigesetzt in uns, wenn wir die<br />

Heilpflanze anwen<strong>de</strong>n. Deshalb ist Paracelsus<br />

so konsequent gegen das „componiren“<br />

von Rezepten, <strong>de</strong>nn: „wer ist <strong>de</strong>r da<br />

componirt hat das recept <strong>de</strong>r natur? hat es nicht<br />

got getan? warumb wollt ich im sein compositum<br />

verachten?“ 8<br />

Weil Paracelsus um die Kraft <strong>de</strong>s Wortes<br />

und <strong>de</strong>r Namen weiß, ist er folgerichtig gezwungen,<br />

unzutreffen<strong>de</strong> (d. h. kraft- und<br />

be<strong>de</strong>utungslose) Namen auszuwechseln<br />

gegen neue, die seinen Intentionen entsprechen.<br />

In <strong>de</strong>n „Septem Defensiones“<br />

verteidigt er seine Überzeugung:<br />

„mir ist auch begegnet (vorgehalten wor<strong>de</strong>n<br />

– GI), das ich <strong>de</strong>n krankheiten neue nomina<br />

gebe, die niemant erkenne noch verstehe, warumb<br />

ich nit bleib <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n alten nominibus? wie<br />

kan ich die alten nomina brauchen, dieweil sie<br />

nicht gehen aus <strong>de</strong>m grunt, aus <strong>de</strong>m die krankheit<br />

entspringt“ 9 .<br />

„also sollen die namen aus <strong>de</strong>m grund gon<br />

und im grund und nit in <strong>de</strong>r fantasei“ 10<br />

„grunt“ ist das „Licht <strong>de</strong>r Natur“, und<br />

einen Menschen im Licht <strong>de</strong>r Natur erkennt<br />

Gott an <strong>de</strong>ssen Herzen.<br />

Wörter und Namen sind für Paracelsus<br />

nicht nur Buchstabenfolgen, Hülsen, Verpackungen<br />

ohne Inhalt und Wirkung, son<strong>de</strong>rn<br />

Gottes Kraft, die wir „greifen und sehen“.<br />

Aus seinem Verständnis von <strong>de</strong>n Wechselwirkungen<br />

zwischen Makrokosmos und<br />

Mikrokosmos ist <strong>de</strong>r Mensch als <strong>Ges</strong>chöpf<br />

Gottes mit <strong>de</strong>r Kraft Gottes versehen wor<strong>de</strong>n<br />

– in sich und in seinem Lebensraum:<br />

41


„alein das jr verstan<strong>de</strong>nt das <strong>de</strong>r mensch die<br />

klein welt ist ... in allen kreften und tugen<strong>de</strong>n<br />

wie die groß welt ist. aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>m menschen<br />

nun folget <strong>de</strong>r e<strong>de</strong>l nam microcosmus ... was ist<br />

auf er<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s natur und kraft nit im menschen<br />

sei?“ 11<br />

„drumb so ist das wort do, das dich lernen<br />

sol“ 12<br />

Paracelsus gewann diese Sicht als Christ.<br />

Sein religiöses Nach<strong>de</strong>nken musste er<br />

schon zu Lebzeiten rechtfertigen:<br />

„ich bin ein Creatur Gottes, erlöset mit seinem<br />

Blut, damit gespeiset und getrinket in die<br />

neu Gepurt, ein vollmächtiger Christ“ 13 . Auch<br />

<strong>de</strong>r Physiker und Nobelpreisträger Max<br />

Planck (1858–1947) bekannte, dass seine<br />

christliche Weltanschauung das Fundament<br />

seines wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>tens<br />

gewesen war:<br />

„Aus ihm (Gott – GI), aus seinem allmächtigen<br />

Willen quillt alles Leben und alles <strong>Ges</strong>chehen<br />

in <strong>de</strong>r körperlichen wie in <strong>de</strong>r geistigen Welt<br />

... Die Naturwissenschaft braucht <strong>de</strong>r Mensch<br />

zum Erkennen, die Religion aber braucht er<br />

zum Han<strong>de</strong>ln ... die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Wege (Naturwissenschaft<br />

und Religion – GI) divergieren<br />

nicht, son<strong>de</strong>rn gehen einan<strong>de</strong>r parallel, und sie<br />

treffen sich in <strong>de</strong>r fernen Unendlichkeit an <strong>de</strong>m<br />

nämlichen Ziel ... und das richtungweisen<strong>de</strong><br />

Losungswort in diesem Kampf (gegen Skeptizismus<br />

und Dogmatismus, gegen Unglaube<br />

und Aberglaube – GI) lautet von jeher<br />

und in alle Zukunft: Hin zu Gott!“ (Vortrag:<br />

„Religion und Naturwissenschaft“, Mai<br />

1937. 14 )<br />

Erkennen und Han<strong>de</strong>ln als notwendige<br />

und logische Einheit war auch für Paracelsus<br />

Fundament seines Wirkens:<br />

„zugleicherweis als einer, <strong>de</strong>r da predigt und<br />

lernt das volk und sagt in vil und neben <strong>de</strong>m<br />

gehet kein apostolisch werk mit, das ist <strong>de</strong>r buchstab,<br />

<strong>de</strong>r tot ist“ 15 .<br />

Worte ohne Kraft, Worte als reine Buchstabenfolgen<br />

– das ist „<strong>de</strong>r buchstab, <strong>de</strong>r tot<br />

ist“. Man betrachte Re<strong>de</strong>n von Mächtigen<br />

in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft<br />

42<br />

unter diesem Aspekt; man betrachte aber<br />

auch sein eigenes Re<strong>de</strong>n und Schreiben!<br />

„die euangelisten zu durchfaren, ist recht und<br />

wol getan, das fin<strong>de</strong>st du alles im papir; <strong>de</strong>n<br />

verstant aber fin<strong>de</strong>st du nicht im papir, son<strong>de</strong>r<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es in das papir geschlossen hat“ 16 .<br />

Den Verstand in das Papier einschließen,<br />

das Papier mit <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Wortes, mit<br />

geistigem Gehalt erfüllen – darauf kommt<br />

es an! Wir alle kennen genügend gelesene<br />

Seiten o<strong>de</strong>r Vorträge, die uns gepackt, erschüttert,<br />

bewegt, angespornt haben, weil<br />

kraft- und geistvolle Persönlichkeiten ihre<br />

Re<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m ihnen innewohnen<strong>de</strong>n<br />

Geist erfüllten. Bücher o<strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>n solcher<br />

Persönlichkeiten haben neben <strong>de</strong>m Verstand<br />

vor allem unsere Seele berührt.<br />

Wenn „<strong>de</strong>r mensch die klein welt ist“ mit <strong>de</strong>n<br />

„kreften und tugen<strong>de</strong>n wie die groß welt ist“ 11 ,<br />

dann vermag er freilich mit <strong>de</strong>m Wort eine<br />

Art Energieumwandlung von göttlicher<br />

Kraft in sittliches Wollen und Han<strong>de</strong>ln zu<br />

vollbringen – „drumb ist das wort do, das<br />

dich lernen sol“ 12 – vorausgesetzt, man will<br />

lernen.<br />

Den paracelsischen Schlussfolgerungen<br />

und Überzeugungen von Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>s Wortes steht Martin Luther<br />

nahe. In seiner Ar<strong>bei</strong>t „Von <strong>de</strong>r Freiheit<br />

eines Christen“ aus <strong>de</strong>m Jahre 1520<br />

schreibt er:<br />

„Nun sind aber diese und alle Worte Gottes<br />

heilig, wahrhaftig, gerecht, friedfertig, frei und<br />

aller Güte voll. Wer ihnen daher mit <strong>de</strong>m rechten<br />

Glauben anhängt, <strong>de</strong>ssen Seele wird mit<br />

ihm so ganz und gar vereinigt, daß alle Macht<br />

<strong>de</strong>s Wortes auch <strong>de</strong>r Seele eigen wird“ 17 .<br />

Dieser Überlegung Luthers ist zunächst zu<br />

entnehmen<br />

1. dass Gottes Worte Kraft enthalten,<br />

2. dass sie Kraft vermitteln und<br />

3. dass Worte göttliche Kraft sinnlich<br />

wahrnehmbar übertragen.<br />

Im Sinne <strong>de</strong>s scholastischen Universalienstreites<br />

ist auch Luther ein Realist. Die<br />

göttliche Kraft <strong>de</strong>s Wortes bzw. im Wort<br />

überträgt sich auf die menschliche Seele


und vereinigt sich mit ihr. Diesen von Luther<br />

beschriebenen Vorgang könnte man<br />

mo<strong>de</strong>rn so ausdrücken: Die Seele nimmt<br />

Informationen auf (informare, lat. = eine<br />

<strong>Ges</strong>talt geben, formen, bil<strong>de</strong>n, befähigen).<br />

Wenn Worte Kraft vermitteln, wenn Worte<br />

wirklich informieren, dann vermögen sie<br />

die Seele zu formen, <strong>de</strong>r Seele etwas<br />

einzuprägen: Trost, Liebe, Begeisterung,<br />

Trauer, Sehnsucht, Vorsätze, Überzeugungen,<br />

Verhaltensweisen – „drumb so ist das<br />

wort do, das dich lernen sol“ 12 und: haben<br />

wir die Namen und Wörter, „so haben wir<br />

<strong>de</strong>n garten jr arznei“ 5 .<br />

Der Mangel an geistiger Wirklichkeit<br />

und Kraft in <strong>de</strong>n Worten all unserer gegenwärtigen<br />

Wirkungs- und Lebensbereiche<br />

ist das größte Energieproblem unserer<br />

Tage!<br />

3. Das Wort – eine Buchstabenfolge?<br />

Wir alle haben schon einmal erfahren,<br />

welche Macht einem Wort innewohnen<br />

kann: Worte können streicheln und trösten,<br />

aufmuntern und begeistern, heilen<br />

und beruhigen, verführen und blen<strong>de</strong>n.<br />

Worte können vor Sün<strong>de</strong> bewahren, sie<br />

können uns von Negativem befreien,<br />

wenn wir uns Belasten<strong>de</strong>s „von <strong>de</strong>r Seele<br />

re<strong>de</strong>n“, ohne damit einem Mitmenschen<br />

zu scha<strong>de</strong>n. Worte können aber auch verletzen,<br />

erniedrigen und trennen, sie können<br />

Hass auslösen und töten. Ohne<br />

Kenntnis von Nominalismus und Realismus<br />

bedienen wir uns – bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst<br />

– <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Wortes, <strong>de</strong>r Magie<br />

<strong>de</strong>s Wortes. Wir greifen mit Worten an<br />

und wir verteidigen uns mit Worten. Wir<br />

wollen mit Worten etwas durchsetzen,<br />

etwas erreichen. Worte können fürchterliche<br />

Waffen sein, und was die böse Kraft<br />

<strong>de</strong>r Worte von Demagogen (griech.,<br />

ursprünglich: Volksführer) anrichten kann,<br />

haben wir in zwei totalitären Systemen in<br />

jüngster Vergangenheit erlebt – und Demagogie<br />

ist noch lange nicht ausgestorben!<br />

Verbin<strong>de</strong>n wir ein Wort mit böser Kraft,<br />

mit Lieblosigkeit und Hass, so wird ein<br />

Fluch geboren. Vereinigen wir Worte mit<br />

liebevoller Kraft, dann segnen wir!<br />

Die Kraft vom Himmel, die in heilen<strong>de</strong>n<br />

Kräutern enthalten ist, können wir auch an<br />

Worte bin<strong>de</strong>n. Paracelsus sagt das so:<br />

„also weiter die dritte species (<strong>de</strong>r Magie –<br />

GI) lernet machen wörter, die da alle die kraft<br />

haben, so vom himel in <strong>de</strong>n kreutern seind, als<br />

ein exempel: alles das <strong>de</strong>r arzt vermag aus <strong>de</strong>r<br />

arznei zu bringen, solchs vermag solche species<br />

durch wörter zu volen<strong>de</strong>n“ 18 .<br />

In diesem Zusammenhang sind die Ar<strong>bei</strong>ten<br />

<strong>de</strong>s Japaners Dr. Masaru Emoto 19 ,<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Allgemeinen Forschungsinstitutes<br />

Japan IHM, interessant. In mehreren<br />

Veröffentlichungen zeigt er, dass Wasserproben,<br />

die mit positiven Begriffen<br />

(z. B. Liebe, Dankbarkeit) besprochen o<strong>de</strong>r<br />

beklebt wur<strong>de</strong>n, die regelmäßigsten und<br />

schönsten Kristalle ausbil<strong>de</strong>ten. Wasser,<br />

das mit bösen Worten versehen wur<strong>de</strong>,<br />

reagierte mit verzerrten bis strukturlosen<br />

Kristallen, unabhängig, in welcher Sprache<br />

diese Worte <strong>de</strong>m Wasser mitgeteilt wur<strong>de</strong>n.<br />

Die Kraft <strong>de</strong>s Wortes ist von <strong>de</strong>r<br />

Buchstabenfolge verschie<strong>de</strong>ner Sprachen<br />

unabhängig. Die Kraft <strong>de</strong>s Wortes ist eine<br />

Information, die <strong>de</strong>m Wasserkristall eine<br />

<strong>Ges</strong>talt gibt, es formt. Könnte diese Versuche<br />

nicht auch überzeugen, dass die Kraft<br />

von Worten unsere Seele informiert, ihr<br />

eine entsprechen<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>talt gibt? Mit Sicherheit<br />

wer<strong>de</strong>n diese Resultate Emotos<br />

mit <strong>de</strong>n so genannten exakten Naturwissenschaften<br />

ebenso kollidieren, wie die<br />

Grundannahmen <strong>de</strong>r Homöopathie mit<br />

ihnen nun schon seit 200 Jahren kollidieren.<br />

Das „Gedächtnis“ <strong>de</strong>s Wassers für Informationen<br />

aus Heilpflanzen o<strong>de</strong>r Mineralien<br />

in hochpotenzierten Präparaten<br />

ohne auch nur ein Substanzmolekül ist für<br />

die „Nominalisten“ <strong>de</strong>r Gegenwart nicht<br />

nachvollziehbar und keine „exakte“ Wissenschaft.<br />

Paracelsus, <strong>de</strong>nkend, lebend und<br />

wirkend in <strong>de</strong>n Wechselwirkungen von<br />

Mikrokosmos und Makrokosmos musste<br />

und konnte <strong>de</strong>n von ihm geformten Buch-<br />

43


staben die Kraft und das Leben einhauchen,<br />

die er um sich und in sich empfand.<br />

Der Hohenheimer möge uns auch in dieser<br />

Hinsicht Beispiel und Vorbild sein!<br />

Die Erkenntnisse <strong>de</strong>s Bombast von Hohenheim,<br />

Martin Luthers o<strong>de</strong>r Max<br />

Plancks von Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes sollten wir prüfen und umsetzen,<br />

damit auch unsere Worte keine leeren<br />

Hülsen, keine Buchstabenfolgen bleiben,<br />

1 Deggeller Nr. 2 2/1997<br />

2 Eco S. 606<br />

3 Paracelsus I XII/348<br />

4 ebda. XII/291<br />

5 ebda. XIV/323<br />

6 ebda. XII/127<br />

7 Kayser S. 250<br />

8 Paracelsus I XI/137<br />

9 ebda. XI/135<br />

10 ebda.<br />

DEGGELLER, Lore: Vom Nominalismus <strong>de</strong>r Naturwissenschaft<br />

zum spirituellen Realismus <strong>de</strong>r Medizin.<br />

Der Deutsche Apotheker. Nr. 2, Februar 1997,<br />

49. Jhg.<br />

ECO, Umberto: Der Name <strong>de</strong>r Rose. Verlag Volk<br />

und Welt Berlin 1988.<br />

PARACELSUS I: Sämtliche Werke (Nachdruck).<br />

Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim<br />

– Zürich – New York 1996.<br />

PARACELSUS II: Sämtliche Werke. Bearb. Kurt<br />

Goldammer, Franz Steiner Verlag GmbH Wiesba<strong>de</strong>n.<br />

44<br />

ANMERKUNGEN<br />

LITERATUR<br />

son<strong>de</strong>rn dass wir verantwortungsvollen<br />

Umgang mit <strong>de</strong>m Wort und seiner Kraft<br />

pflegen – im Sinne paracelsischer Ethik,<br />

im Sinne <strong>de</strong>s Guten!<br />

Möge die Straße, die du gehst,<br />

mit <strong>de</strong>inen freundlichen Worten<br />

gepflastert sein!<br />

(Irischer Segensspruch)<br />

11 ebda. IX/308<br />

12 ebda. XIV/371<br />

13 Paracelsus II III/169<br />

14 Planck S. 27-30<br />

15 Paracelsus I VIII/207<br />

16 ebda. XII/194<br />

17 Luther S. 129<br />

18 Paracelsus I XII/84<br />

19 Emoto s. Literatur<br />

KAYSER, Hans: Schriften Theophrasts von Hohenheim<br />

genannt Paracelsus.<br />

Insel-Verlag Leipzig 1924.<br />

LUTHER, Martin: Taschenausgabe Band 2, Evangelische<br />

Verlagsanstalt GmbH Berlin 1984.<br />

PLANCK, Max: Religion und Naturwissenschaft. Johann<br />

Ambrosius Barth Verlag Leipzig 1947.<br />

EMOTO, Masaru: Die Antwort <strong>de</strong>s Wassers. KOHA<br />

Verlag GmbH Burgrain 2002. ISBN 3-929512-93-3.<br />

Dipl.-Biol. Günter Ickert · Zum Schmie<strong>de</strong>berg 13 · 01156 Dres<strong>de</strong>n<br />

Vortrag im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n am 22.09.2004


VALENTIN WEIGEL: Von Betrachtung<br />

<strong>de</strong>s Lebens Christi. Vom Leben Christi.<br />

De vita Christi. Hrsg. und eingeleitet von<br />

Horst Pfefferl, frommann-holzboog Stuttgart-Bad<br />

Cannstatt 2002.<br />

(= Valentin Weigel – Sämtliche Schriften.<br />

Begrün<strong>de</strong>t von Will-Erich Peuckert und<br />

Winfried Zeller, Neue Edition, Hrsg. von<br />

Horst Pfefferl, Band 7.)<br />

Mit Band 7 liegt nun <strong>de</strong>r vierte <strong>de</strong>r<br />

Neuen Edition <strong>de</strong>r Schriften Valentin Weigels<br />

vor und schließt eine weitere Lücke<br />

<strong>de</strong>r verfügbaren Texte <strong>de</strong>s sächsischen Pfarrers<br />

und Paracelsisten.<br />

Im Zentrum steht die umfangreiche theologische<br />

Streitschrift „Vom Leben Christi“<br />

aus <strong>de</strong>m Jahre 1578, Weigels spiritueller<br />

Gegenentwurf zur Konkordienformel von<br />

1577. Sie wird flankiert von <strong>de</strong>m erbaulichunterrichten<strong>de</strong>n<br />

Schriftchen „Von Betrachtung<br />

<strong>de</strong>s Lebens Christi“ und einer Kompilation<br />

(„De vita Christi“), welche fünf<br />

Kapitel aus <strong>de</strong>r „Betrachtung“ mit Gedanken<br />

und Zitaten vor allem Weigels, Meister<br />

Eckharts und Johannes Taulers ergänzt.<br />

Der Anlage <strong>de</strong>r vorhergehen<strong>de</strong>n Bän<strong>de</strong><br />

folgend, wer<strong>de</strong>n in einer ausführlichen<br />

Einleitung akribisch die relevanten Handschriften<br />

und Drucke beschrieben und<br />

durch ganzseitige Faksimiles <strong>de</strong>r Titelseiten<br />

illustriert. In <strong>de</strong>n Erläuterungen fin<strong>de</strong>n<br />

sich neben Ausführungen zu philosophischen,<br />

theologischen bzw. christologischen<br />

Zusammenhängen auch vielfältige weiterführen<strong>de</strong><br />

Informationen zur Editions- und<br />

Wirkungsgeschichte, zu biografischen Zusammenhängen<br />

und zur Zuschreibung <strong>de</strong>r<br />

Texte zu bestimmten Autoren. Da<strong>bei</strong> differenziert<br />

<strong>de</strong>r Herausgeber verantwortungsbewusst<br />

zwischen gesicherten Fakten und<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger wahrscheinlichen<br />

Schlussfolgerungen o<strong>de</strong>r Vermutungen.<br />

Immer sind entsprechen<strong>de</strong> Argumente angeführt,<br />

die <strong>de</strong>n aktuellen Forschungsstand<br />

repräsentieren. Da<strong>bei</strong> wer<strong>de</strong>n auch Sicht-<br />

Michael Liebscher<br />

EMPFEHLUNG<br />

weisen revidiert, von <strong>de</strong>nen Pfefferl noch<br />

in seiner Dissertation (1991) ausging, in<br />

<strong>de</strong>r mögliche Zuschreibungen und Zusammenhänge<br />

<strong>de</strong>r Weigelschriften untersucht<br />

wur<strong>de</strong>n. Beispielsweise bestätigte sich die<br />

Annahme nicht, dass die „Handschriftliche<br />

Predigtensammlung“ als Vorlage für einige<br />

Kapitel in „De vita Christi“ gedient<br />

habe. (vgl. S. LXI)<br />

Der Anmerkungsapparat ist das Ergebnis<br />

äußerst sorgfältiger Ar<strong>bei</strong>t aller Beteiligten.<br />

Oft wer<strong>de</strong>n Verweise auf Primärliteratur<br />

durch Zitate <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Textstellen<br />

ergänzt, was nicht nur <strong>de</strong>m wissenschaftlich<br />

ar<strong>bei</strong>ten<strong>de</strong>n Leser das Erschließen von<br />

Zusammenhängen erleichtert bzw. ermöglicht.<br />

Beson<strong>de</strong>rs bemerkenswert ist aus textkritischer<br />

Sicht die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r vermutlich<br />

ältesten und mit Sicherheit sorgfältigsten<br />

Handschrift zu <strong>de</strong>r Hauptschrift<br />

„Vom Leben Christi“ durch Dr. Carlos<br />

Gilly, Basel, 1993 in <strong>de</strong>r Anhaltinischen<br />

Lan<strong>de</strong>sbücherei Dessau. Damit liegt dieses<br />

wichtige Werk nunmehr in einer weitgehend<br />

authentischen Fassung im Druck vor.<br />

1578 verfasst, wur<strong>de</strong> es 1648 in einer englischen<br />

Übersetzung gedruckt und erschien<br />

1647 und 1686 auf nie<strong>de</strong>rländisch. Weigels<br />

Gedanken waren also nicht nur von regionalem<br />

Interesse, son<strong>de</strong>rn wirkten weit über<br />

die Grenzen hinaus.<br />

Das ist umso verständlicher, als darin <strong>de</strong>r<br />

Konkordienformel in einer streitbaren<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung theologisch begrün<strong>de</strong>te<br />

Positionen entgegengesetzt wer<strong>de</strong>n. Wie<br />

sicher sich Weigel <strong>de</strong>r Richtigkeit seiner<br />

Positionen war, wird in <strong>de</strong>r Vorre<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n<br />

Leser <strong>de</strong>utlich. Er meint, am Leben Christi<br />

könne man prüfen, ob jemand nach dieser<br />

„richtschnur“ gehe. Zugleich könne man<br />

„erkennen und pruefen alle or<strong>de</strong>n, rottenn,<br />

secten, ketzer in welchem Artickel sie Jrre<br />

gehen“. (S. 26) Ein Christ kenne Christus,<br />

seine Lehre und Leben und nehme somit<br />

auch sein (Weigels – ML) Büchlein an. Im<br />

45


Umkehrschluss steckt nun <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich erkennbare<br />

Angriff auf die „Mauerkirche“:<br />

Wer das Buch „verwirfft, gibt Zeugniß vber<br />

seinen Halß, dass ehr kein Christ sey…“ (S. 27)<br />

Für Weigel ist <strong>de</strong>r Glaube eine aus Gott<br />

stammen<strong>de</strong> innere Sache. Dieser Gedanke<br />

fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n bislang in <strong>de</strong>r Neuen<br />

Edition veröffentlichten Schriften immer<br />

wie<strong>de</strong>r (vgl. beson<strong>de</strong>rs „Gebetbuch“, Bd.<br />

4) und prägt auch die kurze Erbauungsund<br />

Lehrschrift „Von Betrachtung <strong>de</strong>s Lebens<br />

Christi“, die am Anfang <strong>de</strong>r Primärtexte<br />

in Band 7 veröffentlicht ist und in<br />

<strong>de</strong>r, wie bereits von Weigel bekannt, je<strong>de</strong>s<br />

Kapitel mit rühren<strong>de</strong>n Gebeten abschließt.<br />

Aus seiner Überzeugung heraus bezieht er<br />

klare Position gegen die, welche „ahn Jhn<br />

glauben mit <strong>de</strong>m maule.“ (S. 27)<br />

Pikanterweise hat Weigel selbst die Konkordienformel<br />

unterschrieben. Er konnte<br />

als Pfarrer auch gar nicht an<strong>de</strong>rs, sonst<br />

hätte er <strong>de</strong>n Broterwerb verloren. Auch <strong>bei</strong><br />

Visitationen wur<strong>de</strong>n keine anstößigen Gedanken<br />

in <strong>de</strong>n Predigten gefun<strong>de</strong>n. Seine<br />

Missbilligung <strong>de</strong>r Auffassungen und Kompromisse<br />

in <strong>de</strong>r Konkordienformel aber<br />

musste er loswer<strong>de</strong>n – das Aufschreiben<br />

war offenbar <strong>de</strong>r einzige Weg.<br />

Weigel glie<strong>de</strong>rt sein Werk in 3 Hauptpunkte:<br />

1. Einheit von Glaube und christlichem<br />

Leben<br />

2. Der Weg zum Glauben<br />

3. Prüfung aller Lehren/Bücher etc. auf<br />

Zugehörigkeit zur „heylige[n] stat Gotteß“<br />

(S. 28)<br />

Darin erörtert er folgen<strong>de</strong> zentrale Themen:<br />

- Die göttliche Herkunft Christi und sein<br />

Wan<strong>de</strong>ln im höchsten Willen<br />

- Die Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe mit ent-<br />

46<br />

sprechen<strong>de</strong>r theologischer Begründung<br />

- Die Ablehnung von Kriegen zur Beschirmung<br />

<strong>de</strong>s Reichs; statt <strong>de</strong>ssen Orientierung<br />

auf <strong>de</strong>n Schutz durch ein friedfertiges<br />

Evangelium<br />

- Lei<strong>de</strong>n und Flucht vor weltlicher Ehre<br />

- Liebe und Freiheit Christi<br />

- Christus als Herr <strong>de</strong>r Kirche, die keinen<br />

Statthalter brauche<br />

- Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Kirche von äußeren<br />

Regenten und Lehrern<br />

- Der Glaube erwächst aus <strong>de</strong>r inneren<br />

Stimme durch die Gna<strong>de</strong> Gottes<br />

- Die Prüfung <strong>de</strong>r Positionen unter an<strong>de</strong>rem<br />

<strong>de</strong>r Konkordienformel am Leben Christi<br />

Beson<strong>de</strong>rs wichtig ist Weigel das Wesen <strong>de</strong>r<br />

wahren Kirche Christi. Er begreift sie als<br />

„vnsichtige versamlung aller glaubigen Jnn <strong>de</strong>r<br />

gantzen welt vereinigt Jnn <strong>de</strong>r einikeyt <strong>de</strong>s geistes<br />

vnd durch das banndt <strong>de</strong>r liebe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s frie<strong>de</strong>s.“<br />

(S. 130) Diesem I<strong>de</strong>al steht seine Wahrnehmung<br />

einer „vilkopffige[n] kirche“ (S. 131)<br />

entgegen, in <strong>de</strong>r „Je<strong>de</strong>r hauffe in einem gewissen<br />

orthe seinen sinn kopff vnnd leermeister“<br />

(ebda.) habe. Konkret zielt er auf <strong>de</strong>n<br />

Papst, Luther, Calvin und Zwingli hin.<br />

„Aller Jammer komet daher das man die menschen<br />

kirche fur Gottes kirche achtet vnnd das<br />

eussere ahn stat <strong>de</strong>s Jnnern setzet“. (S. 133)<br />

Gera<strong>de</strong> dieser letzte Satz enthält eine<br />

Erkenntnis, die so wie damals auch heute in<br />

die Welt gerufen wer<strong>de</strong>n müsste. Nur eine<br />

Besinnung auf das Innere – Liebe und Frie<strong>de</strong>n<br />

– können die ganze Welt vereinigen.<br />

Aus dieser Aktualität heraus erhält das<br />

Buch zusätzlich zu seinem philologischen<br />

und geistesgeschichtlichen einen be<strong>de</strong>utsamen<br />

ethischen Wert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!