Herunterladen der Projektdokumentation - Lebenshilfe Baden ...
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II.<br />
14<br />
DIE GRUNDLAGEN<br />
Die Furcht vor <strong>der</strong> Vernachlässigung <strong>der</strong> Interessen<br />
„schwerbehin<strong>der</strong>ter“ Menschen impliziert indes die<br />
Annahme, dass Menschen mit leichterer Behin<strong>der</strong>ung<br />
zur Solidarität mit schwerer beeinträchtigten<br />
Kollegen nicht o<strong>der</strong> zumindest nur in geringerem<br />
Maße fähig seien als wir so genannte „Nichtbehin<strong>der</strong>te“<br />
– bei genauerem Hinsehen eine arrogante<br />
Anmaßung, die empirisch durch nichts belegt ist.<br />
Bedenken gegen Überfor<strong>der</strong>ung<br />
bzw. eine Alibifunktion<br />
Die wesentlichsten Bedenken im Hinblick auf die<br />
Mitbestimmung von Menschen mit geistiger Behin<strong>der</strong>ung<br />
im Sinne einer aktiven Beteiligung in<br />
Gremien <strong>der</strong> <strong>Lebenshilfe</strong> bezogen sich auch in <strong>der</strong><br />
Diskussion beim baden-württembergischen Landesverband<br />
auf die Befürchtung einer Überfor<strong>der</strong>ung<br />
von Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung, an denen die Arbeit<br />
in den Gremien – so die Befürchtung –„vorbeirauschen“<br />
würde, sodass ihre Beteiligung eher<br />
dekorativen Charakter hätte und somit eine Alibifunktion<br />
erfüllen würde. Argumente für diese Bedenken<br />
ließen sich leicht finden: man denke zum<br />
Beispiel nur an die Diskussion von Haushaltsplanungen,<br />
die Bewertung von Bilanzen und ähnliche Vorstandsthemen.<br />
Man denke an die Anhäufung von<br />
Tagesordnungspunkten, die abzuhandeln wären<br />
und die häufige Abstraktheit <strong>der</strong> zu diskutierenden<br />
Angelegenheiten – dies in beson<strong>der</strong>em Maße bei einem<br />
Landesverband, in dem es nicht um die konkrete<br />
Einrichtung und konzeptionelle Gestaltung von<br />
Angeboten geht, son<strong>der</strong>n zum Beispiel um hoch<br />
komplexe sozialpolitische Zusammenhänge wie die<br />
Binnendifferenzierung o<strong>der</strong> die Umsetzung <strong>der</strong> §§<br />
93 ff BSHG.<br />
Diese Bedenken führen bis heute häufig zu <strong>der</strong> Entscheidung,<br />
behin<strong>der</strong>te Menschen in Gremien nur<br />
gezielt zu bestimmten Tagesordnungspunkten einzuladen,<br />
welche sie direkt betreffen würden (wobei<br />
die Frage erlaubt sein darf, welche Fragen ein<br />
<strong>Lebenshilfe</strong>vorstand wohl zu diskutieren hätte, die<br />
behin<strong>der</strong>te Menschen nicht betreffen würden). So<br />
geschah es anfänglich auch beim Landesverband<br />
<strong>Baden</strong>-Württemberg, wie weiter unten noch darzustellen<br />
sein wird. Weil die damalige kontroverse Diskussion<br />
aber durchaus mit großer Offenheit geführt<br />
wurde, stellte sich dabei folgendes heraus: Auch <strong>der</strong><br />
Vorstand in seiner bisherigen Zusammensetzung<br />
bestand nicht nur aus Teilnehmern, die allen Fragen<br />
in allen Punkten folgen konnten, beispielsweise waren<br />
nur ganz wenige Mitglie<strong>der</strong> des Lesens einer<br />
Bilanz wirklich mächtig, und die an<strong>der</strong>en verließen<br />
sich darauf, dass ihre in dieser Frage kompetenteren<br />
Kollegen diese Aufgabe verantwortungsvoll<br />
und im Sinne aller übernehmen würden. Dies betraf<br />
aber nicht nur die finanztechnischen Fragen. Als wir<br />
seinerzeit für die neuen Vorstandskollegen mit Behin<strong>der</strong>ung<br />
eine Art Glossar <strong>der</strong> häufig vorkommenden<br />
Fremdwörter, Abkürzungen und komplizierten<br />
Sachverhalte in einfacher Sprache erstellten („LWV“,<br />
„Hilfebedarfsgruppen“, „Intensivkooperation“, „§§<br />
93 ff BSHG“ usw.) und dieses dann selbstverständlich<br />
auch den „alten“ Vorstandsmitglie<strong>der</strong>n zur Kenntnis<br />
übergaben, reagierten einige von diesen sehr<br />
erfreut und gaben gerne zu, dass sie manche <strong>der</strong><br />
dargestellten Sachverhalte nun eigentlich auch zum<br />
ersten Mal wirklich begriffen hätten. Es zeigte sich<br />
also: Dem Anspruch, allen im Vorstand zu besprechenden<br />
Themen in ganzer Breite folgen zu können,<br />
vermag wohl kaum ein Vorstandsmitglied zu<br />
entsprechen. Vielmehr setzt sich ein solches Gremium<br />
im positiven Fall aus verschiedenen Persönlichkeiten<br />
zusammen, die jeweils ganz unterschiedliche<br />
Erfahrungen, Sichtweisen und Kompetenzen einzubringen<br />
haben: z.B. die Finanzerfahrung als Banker,<br />
die pädagogische Kompetenz eines Son<strong>der</strong>pädagogen,<br />
die Kompetenz <strong>der</strong> Betroffenheit als Eltern<br />
usw. – häufig natürlich auch mit mehreren Kompetenzen<br />
und Hintergründen in einer Person vereint.<br />
Nur hatte man bisher darauf verzichtet, eine ganz<br />
wesentliche Kompetenz im Vorstand personell vertreten<br />
zu lassen: nämlich diejenige <strong>der</strong> Betroffenheit<br />
als Mensch mit Behin<strong>der</strong>ung.<br />
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“<br />
– Zunehmende Beteiligung als Prozess<br />
In diesem Abschnitt soll anhand <strong>der</strong> Vorgehensweise<br />
beim Landesverband <strong>Baden</strong>-Württemberg <strong>der</strong> <strong>Lebenshilfe</strong><br />
beschrieben werden, wie die Beteiligung<br />
von Menschen mit geistiger Behin<strong>der</strong>ung schrittweise<br />
im Sinne eines Prozesses entwickelt werden<br />
kann. Die prozesshafte Vorgehensweise wird dabei<br />
deshalb für sinnvoll erachtet, weil die Entwicklung<br />
einer neuen Verteilung von Verantwortlichkeiten<br />
und von Macht (!) Lern- bzw. Gewöhnungsprozesse<br />
auf den verschiedenen Seiten voraussetzt, und man<br />
mit einem „Wir-wollen-alles-auf-einmal“ zumindest<br />
Gefahr läuft, auf Blockierungen zu stoßen, die dann<br />
nur schwer zu überwinden sind.<br />
In Stuttgart begann die Entwicklung mit <strong>der</strong> Besetzung<br />
von Fachausschüssen, die <strong>der</strong> Vorstand 1993<br />
eingerichtet und <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> er berufen hatte.<br />
Hier beschloss man mit einer kleinen Verzögerung,