RA Nr. 223 - Rote Anneliese
RA Nr. 223 - Rote Anneliese
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Ein anderer Blickwinkel<br />
Der 12. September<br />
Laura Kronig<br />
Wo warst du am 12. September letzten Jahres?<br />
Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Tag.<br />
Denn ich habe mit rund 80 weiteren Menschen<br />
ein Manifest unterschrieben: «Wir, Frauen und<br />
Männer, die in der Schweiz leben und aus unterschiedlichen<br />
Orten und mit verschiedenen Geschichten<br />
zu diesem Land gekommen sind, fühlen<br />
uns dem Erbe einer fortschrittlichen Schweiz verpflichtet.<br />
Aus dieser Verpflichtung heraus und aus<br />
Verantwortung für unsere Zukunft streben wir<br />
eine Schweiz der Freiheit, der Gleichheit und der<br />
Solidarität nach innen und nach aussen an (...).»<br />
Auch dieses Jahr feiern wir den 12. September. Wir<br />
starten in Aarau. Aarau war 1798 – zur Zeit der<br />
Helvetischen Republik – die erste Hauptstadt der<br />
Schweiz. Am 12. September 1848 trat dann die<br />
erste demokratische Bundesverfassung in Kraft:<br />
«Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. Es<br />
gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse,<br />
keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Familien<br />
oder Personen.» Noch war die junge Demokratie<br />
unvollkommen. Aber sie machte sich auf den<br />
Weg ,um sich weiterzuentwickeln und an den<br />
eigenen Grundsätzen zu messen. So gestalteten<br />
ab 1874 und 1891 die Bürger durch Referendum<br />
und Initiative die Schweiz direkt mit. Auch wir<br />
brechen auf zu unserer Wanderung nach Olten.<br />
Wir haben bereits die ersten Kilometer unserer<br />
Wanderung hinter uns gebracht und in der<br />
Schweiz von 1918 gingen die Menschen für das<br />
Proporzwahlrecht, das Frauenstimmrecht, eine<br />
Alters- und Invalidenrente, die 48-Stunden-Woche<br />
und gerechte Steuern auf die Strasse.<br />
Während wir eine Pause einlegen, lernte die<br />
soziale Schweiz Schritt für Schritt laufen: 1948<br />
wurde die erste AHV Rente ausbezahlt. Mit den<br />
Jahren folgte die Invaliden-, die Arbeitslosen-, die<br />
obligatorische Krankenversicherung und 2005 die<br />
Mutterschaftsversicherung.<br />
Wir stehen auf und wandern weiter. Auch die<br />
Schweiz, die Jugend der Schweiz, stand auf. 1968<br />
lehnte sie sich gegen starre Gesellschaftsstruk-<br />
turen auf, stand ein für kritisches Denken und<br />
freie Bildung. In den 80ern forderte sie Freiräume,<br />
erkämpfte sich die Reitschule in Bern, die<br />
<strong>Rote</strong> Fabrik in Zürich. Alles heute noch aktuell:<br />
Während den Aula-Besetzungen 2009 verlangten<br />
die Studierenden freie Bildung. Insgesamt über<br />
10 000 Jugendliche in Bern, Basel und Chur nahmen<br />
sich zu Beginn des Sommers 2012 zumindest<br />
für eine Nacht den Freiraum zurück, der ihnen<br />
durch Verbote und Wegweisungsartikel genommen<br />
wurde.<br />
Wir sind nach wie vor unterwegs. Zwischen<br />
Aarau und Olten ist der Weg flach und unbeschwerlich.<br />
Einige Errungenschaften der Schweiz<br />
führten über steinige Wege. So erhielten 1971 die<br />
Schweizerinnen endlich das Stimmrecht. 1981<br />
folgte der Gleichstellungsartikel: aus Männerrechten<br />
wurden Menschenrechte. Seit 1994 wird<br />
der Berg nicht bezwungen, sondern durchgraben:<br />
die Schweiz nimmt die Alpeninitiative an.<br />
Während wir den letzten Kilometer bezwingen,<br />
trat die Schweiz 2002 der UNO bei. 2005 anerkannte<br />
sie als eines der ersten Länder der Welt das<br />
Recht auf Liebe unabhängig der sexuellen Orientierung<br />
und sagte Ja zum Partnerschaftsgesetz.<br />
Nun sind wir in Olten angelangt. Olten: Kilometer<br />
Null des Schweizer Bahnnetzes. Olten: Gründungsort<br />
des Oltner Aktionskomitees, aus dem<br />
1918 der Generalstreik entstand. Beschwingt und<br />
bestärkt schauen wir auf den zurückgelegten Weg.<br />
Stossen darauf an. Lauschen der jungen Extrem<br />
Bosnian Blues Band. Machen uns Gedanken zur<br />
Zukunft der Schweiz, lassen uns dabei von Pedro<br />
Lenz inspirieren. Und wir feiern. Wir feiern den<br />
Tag der fortschrittlichen Schweiz.<br />
Was machst du am 12. September 2012? Kommst<br />
du mit?<br />
Das Manifest und mehr Infos zum 12. September 2012<br />
auf: www.12september.ch<br />
ROTE ANNELIESE / NR. <strong>223</strong> / Juni 2012<br />
Buchtipp:<br />
Tal des schweigens<br />
11<br />
Walliser geschichten über Parteifilz, kirche,<br />
Medien und Justiz<br />
Von kurt Marti<br />
Rotpunktverlag<br />
IsbN: 978-3-85869-507-9<br />
Über zehn Jahre war Kurt Marti Redaktor der «<strong>Rote</strong>n<br />
<strong>Anneliese</strong>». In dieser Zeit hat der kritische Journalist<br />
viel über das Wallis und seine Machtstruktur<br />
gelernt. Immer wieder ist er bei seinen Recherchen<br />
auf einen Filz aus Kirche, Politik und Staat gestossen.<br />
Jetzt hat er die prägendsten Erlebnisse, die spannendsten<br />
Geschichten aus seiner Tätigkeit als<br />
Journalist im Wallis niedergeschrieben und in<br />
Buchform gebracht. In diesem Herbst erscheint<br />
sein Buch mit dem Titel «Tal des Schweigens» im<br />
Zürcher Rotpunktverlag.<br />
Der Verlag schreibt dazu: «Marti hat zahlreiche<br />
Fälle von Parteifilz, Vetternwirtschaft, illegalen<br />
Machenschaften, Intrigen, Willkür, Medienzensur,<br />
Bigotterie und Heuchelei aufgedeckt. Er wurde vor<br />
Gericht gezerrt und von der Walliser Justiz verurteilt<br />
und diffamiert. Schliesslich sprach ihn das<br />
Bundesgericht in allen Punkten frei.<br />
Das Buch soll exemplarisch aufzeigen, welch<br />
schädlichen Einfluss die 155-jährige Vorherrschaft<br />
der katholischen Mehrheitspartei CVP auf Politik,<br />
Gesellschaft, Medien und Justiz hat, insbesondere<br />
wie die Einschränkung der kritischen Öffentlichkeit<br />
funktioniert.<br />
In diesem Sinn ist das Buch ein Plädoyer für eine<br />
offene Gesellschaft und steht in der Tradition der<br />
politischen Aufklärung.»<br />
Kurt Marti, der nach seinem Studium der Philosophie<br />
und Physik eine Journalistenschule besuchte,<br />
arbeitet heute für die Online-Nachrichtenplattform<br />
«infosperber.ch».<br />
Auch dort schreibt er regelmässig über Walliser<br />
Themen. So zum Beispiel über christliche Symbole<br />
in der Öffentlichkeit oder über die Verstrickungen<br />
des WWF mit der Wirtschaft. (cp)