Den Schwanz verloren – das Leben gerettet!
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<strong>Den</strong> <strong>Schwanz</strong> <strong>verloren</strong> <strong>–</strong><br />
<strong>das</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gerettet</strong>!<br />
Helmut Tischlinger & Rupert Wild<br />
„Eidexl fangen“ <strong>–</strong> zu unserer Jugendzeit war es für manchen Jungen eine<br />
aufregende Sache, eine Zauneidechse zu erhaschen, um sie für einige Zeit<br />
in einem ausgedienten Aquarium oder einem anderen Behelfsterrarium<br />
unterzubringen und zu beobachten. Doch nicht selten hielt der Fänger anstatt<br />
des erhofften Reptils nur einen zuckenden <strong>Schwanz</strong> in seinen Händen.<br />
Währenddessen machte sich die Eidechse, schwanzlos zwar, aber immer<br />
noch sehr behände, aus dem Staub, um im Laufe der folgenden Wochen den<br />
<strong>Schwanz</strong> durch ein nachwachsendes Regenerat zu ersetzen. Naturschutzbestimmungen<br />
und vor allem der zunehmende Individuenrückgang der heimischen<br />
Reptilienarten bewahren zwar heutzutage die meisten Eidechsen<br />
vor solchen Nachstellungen, doch für die noch vorhandenen Populationen<br />
stellen z. B. Kleinraubtiere, Greifvögel, Rabenvögel oder streunende Katzen<br />
eine stete Bedrohung dar. Hier rettet dann nicht selten der dem Fressfeind<br />
„angebotene“ <strong>Schwanz</strong> <strong>das</strong> <strong>Leben</strong> des Verfolgten. Dieses Abwehrverhalten<br />
ist bei mehreren heutigen Echsengruppen weit verbreitet. Weniger bekannt<br />
dürfte sein, <strong>das</strong>s auch bei manchen fossilen Echsen diese Fähigkeit vorhanden<br />
war. Seit einigen Jahren liegen sogar Fossilfunde mit vorzüglich überlieferten<br />
<strong>Schwanz</strong>regeneraten vor.<br />
Selbstamputation und<br />
Wiederherstellung<br />
Als Autotomie oder Selbstamputation bzw.<br />
Selbstverstümmelung bezeichnet man die<br />
Fähigkeit mancher Tiere, Gliedmaßen oder<br />
den <strong>Schwanz</strong> abzuwerfen und so einen weniger<br />
wichtigen Körperteil zu opfern, um<br />
einem Beutegreifer zu entkommen. Bei<br />
den Lepidosauriern, also den Sphenodontia<br />
(Brückenechsen) und den Squamata (Eidechsen<br />
und Schlangen) ist dieses Abwehrverhalten<br />
auf den <strong>Schwanz</strong> oder auf Teile<br />
davon beschränkt: Unter den heute lebenden<br />
Formen ist Autotomie bei den Gekko-<br />
Artigen und bei den Eidechsen im engeren<br />
Sinne (Familie Lacertidae) sowie bei Skinken<br />
und manchen Leguanen besonders ausgeprägt.<br />
Auch die Brückenechsen und einige<br />
wenige Schlangen können den <strong>Schwanz</strong><br />
autotomieren. Der <strong>Schwanz</strong>abwurf kann<br />
bereits bei relativ schwachen Berührungsreizen<br />
oder sogar, bevor ein angreifender<br />
Gegner die Echse berührt hat, erfolgen.<br />
Der Abwurfmechanismus ist großteils<br />
ein aktiver Vorgang, bei dem durch starke<br />
Kontraktionen der Ringmuskulatur des betreff<br />
enden <strong>Schwanz</strong>abschnittes an einer<br />
Sollbruchstelle ein <strong>Schwanz</strong>bereich abgetrennt<br />
wird. Die Anzahl dieser Sollbruchstellen<br />
kann unterschiedlich sein. Bei manchen<br />
Echsen hat jeder <strong>Schwanz</strong>wirbel, mit<br />
Ausnahme der ersten 4 bis 6 Wirbel an der<br />
<strong>Schwanz</strong>wurzel, eine solche Bruchstelle. Sie<br />
ist in der Regel als mehr oder weniger ausgeprägter<br />
Spalt oder Kerbe im Wirbelkörper<br />
vorhanden. Dieser Sollbruchstelle bzw.<br />
Bruchebene entsprechen Schwächestellen<br />
in der Muskulatur und im Bindegewebe<br />
nahe dem Wirbelspalt.<br />
Nach erfolgter Autotomie bewirkt <strong>das</strong> autonome<br />
Nervensystem des abgebrochenen<br />
<strong>Schwanz</strong>es, <strong>das</strong>s sich der abgeworfene Körperteil<br />
noch längere Zeit heftig krümmt,<br />
dadurch die Aufmerksamkeit des Räubers<br />
auf sich lenkt und auf diese Weise der Echse<br />
die Flucht erleichtert. Die Blutgefäße an<br />
der Bruchstelle schließen sich sehr schnell,<br />
und die Wiederherstellung des ab-<br />
Paläontologie aktuell <strong>–</strong> Berichte aus Forschung und Wissenschaft
Abb. 1: Die Eidechse Ardeosaurus brevipes aus<br />
dem Solnhofener Plattenkalk von Eichstätt. Der<br />
fehlende <strong>Schwanz</strong>teil ist vermutlich bereits einige<br />
Zeit vor dem Tod und der Einbettung des Tieres<br />
abgeworfen worden. Hinweise auf eine beginnende<br />
Regeneratbildung sind jedoch noch nicht erkennbar.<br />
Gesamtlänge des Fossils 10 cm.<br />
Präparation und Sammlung: D. Kümpel.<br />
geworfenen <strong>Schwanz</strong>es beginnt mit dem<br />
Wachstum einer neuen Oberhaut sowie der<br />
Ausbildung eines dünnen, häutigen Rohrs.<br />
Umschlossen wird dieses von einem ungegliederten,<br />
hohlen Knorpelstab. Muskeln,<br />
Bindegewebe und zuletzt Beschuppung<br />
vervollständigen <strong>das</strong> Regenerat, welches<br />
sich nach einiger Zeit in Form und Länge<br />
manchmal nur unwesentlich vom ursprünglichen<br />
<strong>Schwanz</strong> unterscheidet. Da keine<br />
neuen Wirbelkörper angelegt werden und<br />
in dem neu gebildeten Knorpelstab Sollbruchstellen<br />
fehlen, kann dieses Regenerat<br />
nicht mehr autotomieren.<br />
Autotomie schon seit dem Perm<br />
Autotomie als eff ektive Schutzvorrichtung<br />
ist bereits relativ früh in der Erdgeschichte<br />
von den Vorfahren der Echsen entwickelt<br />
worden. So sind bei den unterpermischen<br />
„Stammreptilien“ Captorhinus und Labidosaurus<br />
bei vorderen <strong>Schwanz</strong>wirbeln ventrale<br />
Autotomiekerben festgestellt worden (Price<br />
1940). Bei dem diapsiden Reptil Araeoscelis<br />
aus dem unteren Perm beschrieb Vaughn<br />
(1955) sogar ein knorpeliges <strong>Schwanz</strong>regenerat.<br />
Von den unterpermischen, wasserlebenden<br />
Mesosauriern kennt man ebenfalls<br />
<strong>Schwanz</strong>-Autotomie (Romer 1956).<br />
Hinweise auf Sollbruchstellen in den<br />
<strong>Schwanz</strong>wirbeln wurden bei mehreren Exemplaren<br />
der zu den Prolacertiformes oder<br />
Protorosauria zählenden Giraff enhalsechse<br />
Tanystropheus aus der mittleren Trias der<br />
Tessiner Kalkalpen entdeckt (Wild 1974).<br />
Einen ersten Hinweis auf ein mögliches<br />
<strong>Schwanz</strong>regenerat bei Tanystropheus verdanken<br />
wir (R.W.) Herrn Präparator U. Oberli,<br />
St. Gallen, Schweiz. Jüngst wurden aus der<br />
mittleren Trias von Besano (Norditalien)<br />
zwei vorzüglich erhaltene Exemplare von Tanystropheus<br />
beschrieben (Nosotti 2007). Der<br />
vollständig überlieferte <strong>Schwanz</strong> des einen<br />
Exemplars besteht, wie die der Publikation<br />
von S. Nosotti beigegebenen ausgezeichneten<br />
Fotografi en nach unserer Auff assung<br />
eindeutig belegen, zu etwa 2 / 3 der gesamten<br />
<strong>Schwanz</strong>länge aus einem Regenerat. Dieses<br />
ziemlich homogen aussehende <strong>Schwanz</strong>regenerat<br />
beginnt ab dem 12. <strong>Schwanz</strong>wirbel<br />
und reicht bis zum <strong>Schwanz</strong>ende. Die Autorin<br />
der genannten Publikation wies zwar<br />
darauf hin, <strong>das</strong>s bei dem 27,5 cm langen Gebilde<br />
Wirbelgrenzen kaum zu erkennen seien,<br />
identifi zierte es jedoch nicht als Regenerat.<br />
Auch <strong>das</strong> zweite Exemplar weist nach<br />
unserer Auff assung ein vergleichbar langes<br />
<strong>Schwanz</strong>regenerat auf <strong>–</strong> allerdings nicht<br />
mehr im natürlichen Wirbelsäulenverband.<br />
Tanystropheus wurde bisher vielfach als vorwiegend<br />
im Wasser lebend beschrieben, wobei<br />
der <strong>Schwanz</strong> auch an der Fortbewegung<br />
beteiligt war. Hauptantriebsorgan waren jedoch<br />
die zu Ruderpaddeln umgestalteten<br />
Hintergliedmaßen (Wild 1974). Doch es<br />
ist schwer vorstellbar, <strong>das</strong>s Tanystropheus bei<br />
vorwiegend mariner <strong>Leben</strong>sweise einen Teil<br />
des <strong>Schwanz</strong>es abgeworfen hätte, der dann,<br />
bis ausreichend Regeneration erfolgt war, für<br />
die Fortbewegung im Wasser nicht mehr zur<br />
Verfügung gestanden hätte.<br />
Paläontologie aktuell <strong>–</strong> Berichte aus Forschung und Wissenschaft
Nachweise aus dem Oberjura<br />
Die mit Abstand häufigsten Funde mesozoischer<br />
Brückenechsen und Eidechsen stammen<br />
aus den berühmten Oberjura-Plattenkalken<br />
der Südlichen Frankenalb. Insgesamt<br />
gehören sie aber auch dort zu den ganz großen<br />
Raritäten, wobei Eidechsen noch ungleich<br />
seltener als Brückenechsen vorkommen.<br />
Doch immerhin lieferten im Laufe der<br />
letzten zwei Jahrhunderte die Fundregionen<br />
bei Solnhofen, Eichstätt, Daiting, Zandt,<br />
Schamhaupten, Painten und Kelheim eine<br />
ganze Reihe von teils hervorragend erhaltenen<br />
Exemplaren. Darunter befanden sich<br />
immer wieder Echsen, bei denen der hintere<br />
<strong>Schwanz</strong>abschnitt fehlt (Abb. 1). In<br />
Analogie zu heutigen Eidechsen vermutete<br />
man bereits bei den ersten Funden dieser<br />
Art die Fähigkeit zur Autotomie, ohne diese<br />
jedoch am Fossil genauer belegen zu können,<br />
da immerhin die Möglichkeit bestand,<br />
<strong>das</strong>s der fehlende <strong>Schwanz</strong>teil kurz vor der<br />
Einbettung aus anderen Gründen <strong>verloren</strong><br />
gegangen war (v. Meyer 1847, 1860). Bisweilen<br />
wurde in ansonsten sehr gründlichen<br />
Beschreibungen der fehlende hintere<br />
<strong>Schwanz</strong>teil überhaupt nicht kommentiert<br />
(Mateer 1981). Insbesondere ab den 60er<br />
Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden bei<br />
den meisten Brückenechsen und Eidechsen<br />
aus den süddeutschen Plattenkalken in den<br />
<strong>Schwanz</strong>wirbeln Autotomie-Bruchebenen<br />
nachgewiesen, anhand derer man annehmen<br />
durfte, <strong>das</strong>s die Tiere zur Autotomie fähig<br />
waren (Cocude-Michel 1963). Damit gab<br />
es zwar zahlreiche Hinweise auf eine mögliche<br />
<strong>Schwanz</strong>-Autotomie bei Brückenechsen<br />
und Eidechsen aus den Plattenkalken<br />
der Südlichen Frankenalb, der eindeutige<br />
Beweis dafür, nämlich ein im Fossilbefund<br />
vorliegendes <strong>Schwanz</strong>regenerat, stand aber<br />
noch aus.<br />
Abb. 2: Eidechse Ardeosaurus brevipes aus dem Solnhofener Plattenkalk von Eichstätt. Länge 17,5 cm; Slg.<br />
H.T. Das Tier hatte in einer vermutlich lebensbedrohlichen Situation den <strong>Schwanz</strong> abgeworfen, entkam<br />
seinem Verfolger und ersetzte in den folgenden Wochen und Monaten den abgeworfenen <strong>Schwanz</strong>teil durch<br />
ein Regenerat. Anstelle einer Wirbelsäule findet sich, beginnend an der Bruchstelle (im entsprechenden<br />
<strong>Schwanz</strong>wirbel), ein durchgehender Knorpelstab. Unter ultraviolettem Licht sind diese Sollbruchstelle im<br />
Wirbel sowie der Beginn des Knorpelstabs deutlich zu erkennen.<br />
zusammengestellt von Mitgliedern der Paläontologischen Gesellschaft<br />
205
Abb. 3: Die Eidechse Eichstaettisaurus schroederi aus Wintershof bei Eichstätt ist bisher erst in einem einzigen Exemplar<br />
bekannt. Im sichtbaren Licht betrachtet scheint der hintere <strong>Schwanz</strong>abschnitt auf dieser Platte nicht überliefert zu sein.<br />
Länge (im sichtbaren Licht): 9,7 cm; Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, München.<br />
Abb. 4: Erst unter ultraviolettem Licht wird <strong>das</strong> vorzüglich erhaltene <strong>Schwanz</strong>regenerat beim Münchner Eichstaettisaurus<br />
sichtbar. Außerdem erkennt man zahlreiche skelettmorphologische Details und stellenweise weitere Weichteilerhaltung.<br />
Paläontologie aktuell <strong>–</strong> Berichte aus Forschung und Wissenschaft
Erst vor etwa 10 Jahren wurde die erste<br />
Plattenkalk-Eidechse mit einem gut erkennbaren<br />
und vollständig regenerierten<br />
<strong>Schwanz</strong>teil bekannt (abgebildet in Frickhinger<br />
1999, Abb. 246). Das <strong>Schwanz</strong>regenerat<br />
besteht aus dem in Substanzerhaltung<br />
vorliegendem Knorpelstab und den ebenfalls<br />
überlieferten Weichteilarealen, welche<br />
die Form des regenerierten <strong>Schwanz</strong>es detailgetreu<br />
nachzeichnen (Abb. 2).<br />
Ein „neuer“ <strong>Schwanz</strong><br />
für Eichstaettisaurus<br />
Im Jahr 1938 beschrieb der Münchner Wissenschaftler<br />
Ferdinand Broili <strong>das</strong> vorzüglich<br />
erhaltene Skelett einer neu erworbenen Eidechse<br />
aus einem Plattenkalk-Steinbruch<br />
von Wintershof<br />
bei Eichstätt. Er<br />
stellte fest, <strong>das</strong>s<br />
vom <strong>Schwanz</strong><br />
nur die ersten 5<br />
Wirbel sowie ein<br />
Vorderhälften-<br />
Abdruck des 6.<br />
Wirbels erhalten<br />
sind und daran<br />
eine wulstartige<br />
Erhebung anschließt.<br />
Ein Präparationsversuch<br />
an diesem Wulst<br />
legte keine weiterenWirbelreste<br />
frei. „Daraus<br />
folgt, <strong>das</strong>s unser<br />
Tier den hinteren<strong>Schwanz</strong>ab-<br />
schnittabgebrochen hatte und<br />
<strong>das</strong>s derselbe neu<br />
gebildet wurde“<br />
(Broili 1938: 97).<br />
Broili vermutete also, <strong>das</strong>s mit dem Wulst<br />
ein Abdruck des regenerierten <strong>Schwanz</strong>abschnittes<br />
vorläge und verglich die Autotomiefähigkeit<br />
seines „?Ardeosaurus schröderi“<br />
(= Eichstaettisaurus schroederi) mit jener<br />
heutiger Eidechsen. Im Gegensatz dazu<br />
nahm Jahrzehnte später der ebenfalls in<br />
München tätige Solnhofen-Forscher Karl<br />
Werner Barthel an, <strong>das</strong>s sich die fehlenden<br />
Skelettreste des <strong>Schwanz</strong>es noch auf der<br />
Negativplatte befänden (Barthel 1978), jedoch<br />
ohne die gleichfalls in der Münchner<br />
Sammlung vorhandene Gegenplatte genau-<br />
er in Augenschein zu nehmen. Eichstaet-<br />
tisaurus war damit zwar als Unikum seiner<br />
Art unter den ohnehin im Solnhofener<br />
Plattenkalk extrem seltenen Eidechsen eines<br />
der Glanzstücke der Münchner Staatssammlung<br />
für Paläontologie und Geologie<br />
<strong>–</strong> doch leider eben nur ein „schwanzloses“<br />
Exemplar (Abb. 3).<br />
Als H.T. vor einigen Jahren Untersuchungen<br />
unter ultraviolettem Licht an Flugsauriern<br />
der Münchner Sammlung durchführte,<br />
wurde auch der Eichstaettisaurus<br />
eingehend dokumentiert. Dabei zeigte<br />
sich, <strong>das</strong>s unter intensivem langwelligem<br />
UV-Licht tatsächlich ein vorzüglich erhaltenes<br />
<strong>Schwanz</strong>regenerat sichtbar wird,<br />
bei dem der Knorpelstab brillant lumines-<br />
Abb. 5: Das Regenerat hat eine Länge von fast 5 cm. Die Leerstelle zwischen dem letzten<br />
vorhandenen <strong>Schwanz</strong>wirbel und dem Beginn des Knorpelstabes dokumentiert einen vergeblichen<br />
Präparationsversuch, um den gar nicht vorhandenen nächsten Wirbel aufzufinden.<br />
ziert und auch Weichteilreste gut erkennbar<br />
sind (Abb. 4-5). Die fossile Eidechse<br />
ist also doch vollständig überliefert und<br />
konnte durch die neue Untersuchungstechnik<br />
erstmals einschließlich ihrer Weichteile<br />
sichtbar gemacht werden (Tischlinger<br />
2005).<br />
Weitere Nachweise gesucht!<br />
Bei Nachforschungen in Museumssammlungen<br />
und verschiedenen Privatsammlungen<br />
konnten wir einige weitere Plattenkalk-Echsen<br />
ausfindig machen, bei denen<br />
zusammengestellt von Mitgliedern der Paläontologischen Gesellschaft<br />
207
Abb. 6; Der Dinosaurier Compsognathus longipes aus den Solnhofener Plattenkalken von Jachenhausen<br />
bei Riedenburg. Im Bauchraum befi ndet sich seine letzte Beute, eine kleine Eidechse (siehe Pfeil). Größe der<br />
Gesteinsplatte: 41 cm x 30 cm.<br />
Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, München. Fotos: H. Tischlinger.<br />
der hintere <strong>Schwanz</strong>abschnitt autotomiert<br />
worden ist (Abb. 1). Besonders erfolgreich<br />
war die Suche im Museum von Solnhofen.<br />
Dort entdeckten wir eine Brückenechse<br />
(Homoeosaurus) sowie eine Eidechse (Ardeosaurus)<br />
mit jeweils sehr gut erhaltenen<br />
<strong>Schwanz</strong>regeneraten. Der Vollständigkeit<br />
halber sei erwähnt, <strong>das</strong>s auch bei einer<br />
Eidechse aus dem Oberjura von Karatau<br />
(Sharovisaurus) und bei einigen unterkreidezeitlichen<br />
Eidechsen (z. B. Yabeinosaurus<br />
aus der chinesischen Jehol-Formation)<br />
<strong>Schwanz</strong>autotomie nachgewiesen ist.<br />
Da wir an einer Dokumentation aller Autotomiebelege<br />
bei süddeutschen Plattenkalk-Lepidosauriern<br />
arbeiten, bitten wir<br />
Museumskustoden und Sammler, die einschlägige<br />
Funde aufbewahren oder kennen,<br />
um entsprechende Hinweise (ggf.<br />
Kontaktaufnahme an die Verfasser über<br />
den Verlag).<br />
Besonderheiten<br />
Es ist auff ällig, <strong>das</strong>s wir bis jetzt aus dem<br />
Fossilbefund der süddeutschen Plattenkalke,<br />
abgesehen von unversehrten<br />
Exemplaren oder zerfallenen Funden, nur<br />
Echsen mit off ensichtlich autotomiertem<br />
<strong>Schwanz</strong>teil oder solche mit bereits vollständig<br />
ausgebildetem Regenerat kennen.<br />
Eine „beginnende“ Regeneratbildung ist<br />
uns bisher noch nicht bekannt geworden.<br />
Auff ällig ist auch die Tatsache, <strong>das</strong>s Sollbruchstellen<br />
in den <strong>Schwanz</strong>wirbeln zwar<br />
bei den „Solnhofener“ Brückenechsen mit<br />
Ausnahme der vermutlich voll aquatisch<br />
lebenden Pleurosaurier nachweisbar sind,<br />
doch unseres Wissens erst ein einziger<br />
Fund einer Brückenechse (der erwähnte<br />
Homoeosaurus des Solnhofener Museums)<br />
mit erhaltenem Regenerat vorliegt.<br />
Bei den Eidechsen konnten wir dagegen<br />
bisher sechs Funde mit autotomiertem<br />
<strong>Schwanz</strong>teil und drei Exemplare mit<br />
<strong>Schwanz</strong>regenerat ausmachen, obwohl sie<br />
insgesamt wesentlich seltener als Brückenechsen<br />
sind. Über die Gründe kann man<br />
nur mutmaßen. Möglicherweise waren,<br />
ausgeprägter noch als bei den Brückenechsen,<br />
bei den geckoverwandten Oberjura-Eidechsen<br />
neben dem Druck durch<br />
Räuber auch innerartliche Faktoren (z. B.<br />
Paläontologie aktuell <strong>–</strong> Berichte aus Forschung und Wissenschaft
Territorialkämpfe) die Auslöser für Autotomie.<br />
Dies ist jedenfalls bei manchen<br />
heutigen Gecko-Populationen festzustellen.<br />
Doch davon abgesehen gab es im<br />
Oberjura in großer Anzahl Fressfeinde, die<br />
sowohl den Eidechsen als auch den Brückenechsen<br />
nach dem <strong>Leben</strong> trachteten:<br />
Kleine Raubdinosaurier wie Juravenator<br />
oder Compsognathus scheinen ihnen mit<br />
Vorliebe nachgestellt zu haben. Eine erfolgreiche<br />
Eidechsenjagd ist im Bauchraum<br />
des Münchner Compsognathus-Exemplars<br />
dokumentiert (Abb. 6). Auch<br />
Urvögel und Flugsaurier dürften, falls sie<br />
ihrer habhaft werden konnten, eine kleine<br />
Echse oder zumindest den abgeworfenen<br />
<strong>Schwanz</strong>teil, nicht verschmäht haben.<br />
Literatur<br />
Barthel, K. W. (1978): Solnhofen <strong>–</strong> ein Blick in die Erdgeschichte.<br />
Ott-Verlag, Th un.<br />
Broili, F. (1938): Ein neuer Fund von ?Ardeosaurus H.<br />
v. Meyer. Sber. Bayer. Akad. Wiss., math.-naturwiss.<br />
Abt. 1938: 97-114.<br />
Cocude-Michel, M. (1963): Les Rhynchocéphales et<br />
les Sauriens des Calcaires Lithographiques ( Jurassique<br />
supérieur) d´Europe occidentale. Nouv. Arch.<br />
Mus. Hist. Nat. Lyon 7: 1-187.<br />
Tischlinger, H. & R. Wild: Tail lost <strong>–</strong> Life saved!<br />
Frickhinger, K. A.(1999): Die Fossilien von Solnhofen,<br />
Band 2. Goldschneck-Verlag, Korb.<br />
Mateer, N. J. (1981): Osteology of the Jurassic lizard<br />
Ardeosaurus brevipes (Meyer). Palaeontology 25: 461-<br />
469.<br />
Meyer, H. v. (1847): Homoeosaurus maximiliani und<br />
Rhamphorhynchus (Pterodactylus) longicaudus, zwei<br />
fossile Reptilien aus dem Kalkschiefer von Solenhofen.<br />
Frankfurt/M.<br />
Meyer, H. v. (1859-1860): Reptilien aus dem lithographischen<br />
Schiefer des Jura in Deutschland und<br />
Frankreich. In: Zur Fauna der Vorwelt, vierte Abt.<br />
Frankfurt/M.<br />
Nosotti, S. (2007): Tanystropheus longobardicus (Reptilia,<br />
Protorosauria): Re-interpretation of the anatomy<br />
based on new specimens from the Middle Triassic of<br />
Besano (Lombardy, northern Italy). Memorie della<br />
Società Italiana di Science Naturali e del Museo Civico<br />
di Storia Naturale di Milano 35 (3): 1-88.<br />
Price, L. J. (1940): Autotomy of the tail in Permian reptiles.<br />
Copeia 1940 (2): 119-120.<br />
Romer, A. S. (1956): Osteology of the reptiles. University<br />
Press, Chicago & London.<br />
Tischlinger, H. (2005): Ultraviolet Light Investigations<br />
of Fossils from the Upper Jurassic Plattenkalks<br />
of Southern Franconia. Zitteliana B 26: 26.<br />
Wild, R. (1974): Die Triasfauna der Tessiner Kalkalpen<br />
XXIII. Tanystropheus longobardicus (Bassani)<br />
(Neue Ergebnisse). Schweizerische Paläontologische<br />
Abhandlungen, 95: 4-162.<br />
Vaughn, P. P. (1955): Th e Permian reptile Araeoscelis<br />
restudied. Bull. Mus. Comp. Zool. 113: 305-467.<br />
Autotomy or self amputation is the ability to release a specifi c body part as a self defense mechanism designed to<br />
elude a predator’s grasp. In certain lizards (Sphenodontia and Squamata), it is the tail that autotomizes. Th e detached<br />
tail will continue to wiggle attracting the predator’s attention away from the fl eeing prey animal. Lizard<br />
tails separate at “fracture planes” that are regularly spaced along the length of the tail in the vertebrae. Th e animal<br />
can partially regenerate its tail over a period of weeks. Th e new section will contain cartilage rather than bone. In<br />
the fossil record fracture planes in the tail vertebrae are known from the Triassic prolacertiform or protorosaur<br />
Tanystropheus and from some Late Jurassic Sphenodontia and Squamata. In a few lizards from the Upper Jurassic<br />
Lithographic Limestones of Southern Franconia exquisitely preserved squamation and caudal autotomy represented<br />
by fully regenerated tails was proved by using new ultraviolet-light investigation techniques.<br />
Mitglieder der Paläontologischen Gesellschaft berichten<br />
aus Forschung und Wissenschaft. Der 1912 in Greifswald gegründeten Paläontologischen<br />
Gesellschaft gehören heute mehr als 1000 Paläontologen, Geologen,<br />
Biologen, Ur- und Frühgeschichtler, aber auch zahlreiche Hobbypaläontologen an.<br />
Seit 1984 wurde bereits 21-mal die Karl-Alfred-von-Zittel-Medaille der Gesellschaft an verdiente Hobbypaläontologen<br />
verliehen.<br />
www.palaeontologische-gesellschaft.de • www.palges.de<br />
Spezielle Fragen zu Fossilien, regionaler Geologie und Paläontologie werden von kompetenten Ansprechpartnern<br />
aus der Paläontologischen Gesellschaft beantwortet unter:<br />
www.palaeontologische-gesellschaft.de/palges/kontakt/frag.html<br />
zusammengestellt von Mitgliedern der Paläontologischen Gesellschaft<br />
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