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Hospizbote 2012 - Hospizbewegung Varel e.V.

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Erfahrungsbericht einer ehrenamtlichen Begleiterin<br />

Als ich von unserer Koordinatorin gefragt wurde, ob ich eine Begleitung übernehmen könne, war<br />

ich zunächst zögerlich. Da mein Freund ein Wohnmobil besitzt, wollten wir eigentlich nach Ostern<br />

mit unseren Fahrten starten. Aber etwas in der Schilderung des Lebenslaufes des Patienten durch<br />

Frau Büppelmann ließ mich zögern und zusagen, den Mann zu besuchen. Ich vereinbarte telefonisch<br />

einen Termin für ein Gespräch mit Herrn B. Ein Mann – Mitte 60 – öffnete mir die Tür und bat mich<br />

herein. Er hatte Tee gemacht und Plätzchen besorgt. Die Wohnung machte einen sehr sauberen,<br />

aufgeräumten Eindruck und war durch viele selbstgemalte Bilder und Specksteinskulpturen sehr<br />

individuell eingerichtet. Er berichtete aus seinem Leben, das alles andere als gradlinig verlaufen war.<br />

Er erzählte davon, daß er als Säugling 1945 in Ostpreußen in einem ausgebombten Zug von einer<br />

Frau gefunden worden sei. Er sei nur in Decken gewickelt gewesen und über seine Identität habe er<br />

nie etwas erfahren. Die Frau, die ihn gefunden habe, nahm ihn mit nach Westdeutschland, wo er<br />

zusammen mit ihrem leiblichen Sohn bis zu seinem 14. Lebensjahr aufwuchs. Er habe sich dort sehr<br />

wohl gefühlt und die Frau Mutter genannt. Später sei er von einem Ehepaar adoptiert worden, „seine<br />

Mutter“ sah er nur noch einmal. Herr B. weinte nun sehr heftig und ich wußte nicht so richtig, wie<br />

ich mich verhalten sollte. Bis vor einer Stunde war es ein völlig fremder Mann für mich und nun? Ich<br />

konnte seine Hand nehmen und sie halten, bis er sich beruhigt hatte. Ich fragte ihn, ob er das Gespräch<br />

für den Tag beenden möchte. Er bat mich jedoch, noch zu bleiben, falls ich noch Zeit hätte.<br />

Er erzählte jetzt das weitere Leben in größeren Schritten.<br />

Anstatt direkt nach Hause zu gehen, machte ich noch einen längeren Spaziergang, um die vielen<br />

Informationen zu verarbeiten. Aber für mich stand fest, daß ich die Begleitung übernehmen würde.<br />

Schon am nächsten Tag rief Herr B. mich an und erzählte, daß es ihm sehr schlecht gehe. Über mein<br />

Angebot, ihn zu besuchen, war er sehr erfreut. Er berichtete von starken Ängsten und großen Unsicherheiten.<br />

Er klagte über Schwindel und Schmerzen. Aber er freute sich auf seine jüngste Tochter,<br />

die ihren Besuch angekündigt hatte. Obwohl es ihm nicht so gut ging, stimmte er meinem Vorschlag,<br />

einen kurzen Spaziergang zu machen, zu. Anschließend fühlte er sich besser.<br />

Am nächsten Tag fuhr ich zu einem Besuch meines Sohnes nach Berlin. Ich hatte Herrn B. mitgeteilt,<br />

daß ich erst in vier Tagen wieder da sein würde. Abends erhielt ich einen Anruf von Herrn B. Er wolle<br />

nur mitteilen, daß er im Krankenhaus sei. Nach meiner Rückkehr aus Berlin besuchte ich Herrn<br />

B. im Krankenhaus. Es gehe ihm nicht gut, es seien durch die Röntgenaufnahmen neue Metastasen<br />

entdeckt worden, berichtete Herr B. weinend. Er bat mich, ihm dabei behilflich zu sein, eine Patienten-<br />

und Betreuungsverfügung zu erstellen. Zusammen mit Herrn K. vom Besuchsdienst der Stadt<br />

<strong>Varel</strong> erstellten wir nach seinen Wünschen und Vorstellungen die Dokumente. Herr K. stellt sich als<br />

Betreuer – falls es notwendig werden sollte – zur Verfügung.<br />

In den nächsten Tagen waren starke Stimmungswechsel zu beobachten. Mal wirkte Herr B. sehr euphorisch,<br />

mal war er total depressiv. Er äußerte große Ängste – auch vor einer Querschnittslähmung<br />

– da es wohl große Metastasen an der Wirbelsäule gab. Nach Rücksprache mit dem Hausarzt willigte<br />

Herr B. in eine Chemotherapie mit zusätzlicher Bestrahlung ein, die er auch ohne große Nebenwirkungen<br />

überstand. Er bekam jetzt stärkere Schmerzmittel und es ging ihm soweit zufriedenstellend.<br />

Die Ärzte teilten ihm bei der Visite mit, daß er nach Hause gehen und die nächste Chemo und Bestrahlung<br />

ambulant machen könne. Herr B. schien sehr unsicher, machte sich große Sorgen, wie er<br />

seine Versorgung alleine gestalten könne. Er fühlte sich überfordert mit der Situation. Ich telefonierte<br />

in seinem Beisein mit unserer Koordinatorin, die den Kontakt mit dem ambulanten Pflegedienst<br />

aufnahm. Die Ärzte teilten den Termin der Entlassung mit.<br />

Am nächsten Tag sagte mir Herr B., daß er keine weitere Chemo und Bestrahlung möchte. Ich erzählte<br />

ihm von der Möglichkeit, in ein stationäres Hospiz zu gehen, wenn er nicht mehr alleine zu<br />

Hause leben könne. Ich habe verschiedene Lebensmittel eingekauft und erklärte mich bereit, Herrn<br />

B. im Krankenhaus abzuholen und nach Hause zu fahren. In seiner Wohnung informierten wir den<br />

Pflegedienst und den Hausarzt, die schon einen gemeinsamen Besprechungstermin vereinbart hatten.<br />

Ich signalisierte Herrn B und auch dem Pflegedienst, daß ich telefonisch erreichbar sei.<br />

Am nächsten Tag äußerte Herr B. starke Schmerzen. Er wartete auf den Pflegedienst. Wir besprachen<br />

noch mal die Möglichkeit, in ein stationäres Hospiz zu gehen und daß ich Kontakt zum Hospiz<br />

in Westerstede aufnehmen könnte. Er hatte den Wunsch geäußert, nach Westerstede in das stationäre<br />

Hospiz zu gehen, da dort in der Stadt gute Bekannte von ihm wohnten. Am selben Tag habe ich<br />

einen „Besichtigungstermin“ in Westerstede vereinbart. Herr B. wirkte sehr erleichtert. Er machte<br />

sich viele Gedanken, wie es mit ihm weitergehen solle. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie er seine<br />

Wohnung auflösen solle, auf der anderen Seite schien ihm die Möglichkeit im Hospiz aufgenommen<br />

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