Tapas - Ensuite
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TANZSERIE FOLGE II:<br />
contact improvisation<br />
Von Kristina Soldati - Jam-Session Bild: Tinu Hettich & Peter Aerni in «back&forth»<br />
■ Peter kommt auf seine Hände zu stehen, er<br />
glitt gerade von einer grünen Schulter. Putzmunter<br />
baumelt die orange Hose oben, Peter Aerni ist<br />
im Handstand gelandet, nicht gestrandet: Er wird<br />
schon wieder abgeholt werden. Lange bleibt man<br />
nicht einsam bei der Contact Improvisation. Eine<br />
Jam-Session (ein aus der Jazzwelt entlehnter Begriff)<br />
ist dafür da, nach Möglichkeit jeden mit jedem<br />
tanzen zu lassen. So kommt auch alsbald ein<br />
blauer Rücken dahergeschwungen - alles ist im<br />
Fluss -, wölbt sich und bietet den orangen Beinen<br />
sein Kreuz dar. Das Auf- und Abladen geschieht<br />
ohne Hände, versteht sich. Denn Berührung geschieht<br />
in Contact Improvisation über die gesamte<br />
Hautfl äche, nicht über den Tastsinn. Die Arme und<br />
Hände geben auch keine Ideen kund, verhelfen<br />
nicht zu ihrer Ausführung. Ob die orangen Beine<br />
auf dem blauen Rücken zur Ruhe kommen wollen<br />
oder nicht, entzieht sich jeder manuellen Manipulation.<br />
Was sich entwickelt, ergibt sich aus dem<br />
Moment und aus der Wahl angebotener Möglichkeiten.<br />
Die Konzentration auf die Gegenwart, ohne<br />
sich um Pläne und Erwartungen zu scheren, hat<br />
etwas von asiatischen Weisheiten. Natürlich hätte<br />
Peter sich nicht in die verdrehte Lage gebracht,<br />
wüsste sein Körper nicht um etliche schmerzfreie<br />
Auswege. Jahrelang werden solche Auswege eingeübt,<br />
wird der Fall rollend abgefangen. Jeder<br />
muss sich selbst aus den Situationen, in die er sich<br />
bringt, retten können. Diese Einsicht, eine wahre<br />
Lebensschule, verpfl ichtet jeden, seine Grenzen<br />
kennenzulernen, sie aber auch zu erweitern. Bei<br />
einer Jam-Session treffen nun solche grünen,<br />
blauen und orangen Jogginghosen aufeinander,<br />
die sich über Jahre diszipliniert beulten und nun<br />
übermütig ein Rad schlagen. Am besten über den<br />
gerade gewölbten Rücken eines Andersfarbigen.<br />
Die Freude an Überraschungen ist befreiend, das<br />
wissen wir seit unserem Hervorpreschen aus dem<br />
Versteck der Kinderstube. Gelächter gehört ebenso<br />
zur musiklosen Geräuschkulisse wie das freie<br />
Atmen oder das Marschieren der Fussgänger, der<br />
«pedestrian», wie die Pioniere dieser Tanzrichtung<br />
in den USA auch genannt wurden. Das immer wieder<br />
mal eingelegte gemächliche Laufen lockert die<br />
Formationen auf, bricht entstandene Paarkonstellationen<br />
ab und ermöglicht neue Begegnungen.<br />
In Zeiten immer schnellerer Mobilität ist diesem<br />
hintergrund<br />
Potential der Fussgänger aus dem Weg zu gehen,<br />
eben: zu umfahren. Der Blick der Tänzer ist nach<br />
innen gerichtet, denn Begegnungen entstehen<br />
nicht über Augenkontakt. Der Fussgänger lauscht<br />
in sich hinein, denn er möchte auf mögliche Einwirkungen<br />
und freudige Überraschungen gefasst<br />
sein.<br />
Heute bietet die Jam ein Ausklinken aus dem<br />
Netz von Handlungsverstrickungen, das unser<br />
Leben bildet. Einem Netz, dessen Fäden Richtung<br />
Zwecke gespannt sind, die aus unserer Perspektive<br />
erstrebenswert sind, welche wiederum durch<br />
Fäden, den wohlfundierten Gründen, die wir anhäufen,<br />
möglichst weitverzweigt abgesichert sind.<br />
Am besten bewegen wir uns im Netz von einem<br />
steten Hintergedanken begleitet, uns aus jeder<br />
misslichen Lage zur Not blitzschnell abseilen zu<br />
können. Fäden sind geknüpft allenthalben auch an<br />
Personen, denen Rollen zugewiesen sind. Je mehr,<br />
desto besser. Je fester, desto besser. Selbst wenn<br />
sich nicht alle Verbindungen zu Seilschaften auswachsen,<br />
erwarten wir von jedem, zumindest unser<br />
absicherndes Netz nicht einzureissen. Ein jegliches<br />
Spiel bietet da ein Ausklinken. Was aber, wenn<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 66/67 | Juni 08 13