Tapas - Ensuite
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KULTUR & GESELLSCHAFT<br />
umstadtläufer<br />
Von Andy Limacher (Text) und Raphael Hünerfauth (Bilder)<br />
■ Nr. 43 // Erste Etappe. Bis um drei Uhr morgens<br />
haben wir die erste Etappe unserer Expedition<br />
besprochen, jetzt sind wir bereit. Über 50 Kilometer<br />
Stadtgrenze liegen vor uns, heute wollen wir<br />
uns den ersten fünf annehmen. Ich packe unsere<br />
Mittagsbrote, die Stadtkarte und den Notizblock in<br />
meinen Rucksack, Raphael überprüft zum letzten<br />
Mal seine Kamera. Um 8.32 Uhr stellen wir das Bier<br />
für den Abend kalt.<br />
Am Steinhölzliweg auf der Höhe des Waldrandes<br />
markiert ein Grenzstein die Trennlinie zwischen<br />
der Stadt und Köniz; er symbolisiert auch den Ausgangs-<br />
und Schlusspunkt unserer Reise. Wir installieren<br />
eine Gedenktafel: «Am 10.05.08 um 08.57<br />
Uhr starteten Limi und Hügi hier zur Stadtumwanderung<br />
– Kilometer Null». Dann folgen wir dem Weg<br />
Richtung Osten.<br />
Wir umrunden das Zieglerspital, biegen beim<br />
Bahnübergang in die Morillonstrasse ein und folgen<br />
anschliessend der Seftigenstrasse. Zu Stosszeiten<br />
dominiert hier der Privatverkehr, aber im Moment<br />
ist nicht viel los. Das sagt mir, dass wir zu spät dran<br />
sind, wir haben verschlafen und laufen bereits unter<br />
Zeitdruck. Raphael schlägt vor, den Neuner von der<br />
Schönegg bis zur Gurtenbahn zu nehmen. Das wäre<br />
grundsätzlich legitim, die Tramlinie verkehrt hier direkt<br />
an der Stadtgrenze, aber ich winke ab. Wer Bier<br />
trinken kann, kann auch wandern.<br />
Wir überqueren die Seftigenstrasse und folgen<br />
der Parkstrasse Richtung Aare. Hier stellt sich zum<br />
ersten Mal die Idylle ein, die uns die ganze erste<br />
Etappe begleiten wird, aber auch die ersten Probleme<br />
zeigen sich: Die Gärten hinter der Nummer<br />
41 sehen ziemlich privat aus, es riecht nach Hun-<br />
dezwinger und Alarmanlagen. Wir entscheiden uns<br />
für einen kurzen Umweg via Aarhaldenstrasse und<br />
stehen wenig später vor der zweiten grossen Herausforderung<br />
des Tages: Von nun an verläuft die<br />
Stadtgrenze nämlich mitten im Fluss.<br />
Schwimmen kommt nicht in Frage, tauchen auch<br />
nicht, dazu ist die Strömung viel zu stark. Aber wir<br />
haben vorgesorgt – schliesslich ist unsere Grenzwanderung<br />
eine Expedition, und wie alle Abenteurer<br />
haben wir uns zuvor bei Experten Rat geholt.<br />
Während wir warten, markieren wir die Stadtgrenze<br />
mit Absperrband und gehen damit Velofahrern,<br />
Hündelern und Joggern gehörig auf die Nerven.<br />
Kurz vor zehn Uhr durchdringt der Lärm eines<br />
Aussenbordmotors die Stille: Die Pontoniere halten<br />
Wort und legen wenig später direkt vor unseren<br />
Füssen an. Gleich zu viert unterstützen sie uns auf<br />
unserer Mission: Josef Berger, Präsident des Pontonierfahrvereins,<br />
seine Frau Elen und ihr Sohn Thomas.<br />
Ebenfalls an Bord ist Sven Thierstein. Er steigt<br />
aus und steckt uns in überdimensionale Schwimmwesten.<br />
Rund fünfzig aktive Mitglieder zählt der 1876 gegründete<br />
Verein, erzählt uns Josef Berger, während<br />
am Ufer unbemerkt das Kirchenfeld vorbeizieht.<br />
Während früher der militärische Zweck im Vordergrund<br />
stand, misst man sich heute in sportlichen<br />
Wettkämpfen auf Reuss, Rhein, Aare und Limmat.<br />
Dabei treten die 44 Schweizer Sektionen gegeneinander<br />
an, mit dem Ruder bewegen sie ihre Boote<br />
fl ussabwärts, mit dem Stachel fl ussaufwärts; sie<br />
müssen Aufgaben erfüllen, zum Beispiel zielgenau<br />
den Fluss überqueren.<br />
magazin<br />
Für unsere Expedition ist der Fahrverein allerdings<br />
mit Motor unterwegs. Betrügt man damit<br />
nicht sich selbst? «Nein», lacht Sven Thierstein, «es<br />
ist ein schönes und notwendiges Übel. Wir sind alle<br />
im Hochwasserdetachement der Stadt und Übungen<br />
mit Motor gehören zu unseren Aufgaben.» Die<br />
Pontoniere sind also nicht nur Präzisionssportler,<br />
sondern auch Lebensretter, und heute sorgen sie<br />
zusätzlich dafür, dass zwei Grenzgänger nicht nass<br />
werden.<br />
Auf Höhe der Bodenackerfähre verlässt die<br />
Stadtgrenze das Wasser und verläuft auf der Nordostseite<br />
der Aare. Wir legen an, steigen aus und<br />
verabschieden uns. Der Motor heult auf, das Boot<br />
fällt kurz zurück, dann rauschen die vier über das<br />
glitzernde Wasser davon. Wir sind fast ein bisschen<br />
neidisch.<br />
Für die nächste Ausgabe verweilen wir im Viergemeindeneck<br />
zwischen Bern, Wabern (Köniz),<br />
Muri-Gümligen und Kehrsatz und berichten von<br />
Pächterinnen, Fährimännern und Kammmolch-Populationen.<br />
Dann geht es weiter durch die Villette,<br />
wir queren die A6 und berichten von fünf Generationen<br />
Bauerntum im Melchenbühl.<br />
Fotos der Expedition und Wettbewerb unter:<br />
www.tink.ch/bernaround<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 66/67 | Juni 08 35