Gemeindereport September 2004 - Evangelische Kirchengemeinde ...
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11. <strong>September</strong> <strong>2004</strong> in Berlin<br />
50.000 Menschen sollen in diesem Jahr Berlin in eine<br />
Jesus-Begeisterung versetzen, am 11. <strong>September</strong>,<br />
dem Jesus-Tag. Transparente mit Bibelsprüchen und<br />
Flaggentänzer werden dafür sorgen, dass der Zug<br />
durch die Innenstadt nicht zu übersehen ist, jede<br />
Menge Lautsprecher dafür, dass die Gebete und Loblieder<br />
nicht zu überhören sind. Der Ruf, zum Jesus-<br />
Tag zu kommen, ertönt überkonfessionell: „Keiner<br />
fragt nach den Unterschieden, wir feiern den, der<br />
uns alle verbindet: Jesus Christus, unseren Herrn.<br />
Wir feiern Jesus in den Straßen unserer Stadt. Kommt<br />
nach Berlin!“<br />
Wer ruft uns so? Jesus oder doch nur der eingetragene<br />
Verein „Jesus-Tag“, hinter dem freikirchliche, charismatische,<br />
pfingstlerische Gruppen und Personen<br />
stehen?<br />
Die Frage ist wichtig, vor allem ist sie notwendig.<br />
Und zwar immer. Also auch sonntags, wenn wir in<br />
unseren landeskirchlichen Gemeinden mit viel<br />
Glockengeläut die Menschen in unsere Gottesdienste<br />
rufen. Die sind meistens ordentlich, wie es die<br />
Agende vorsieht, mit Wochenlied und Lesungen<br />
und einer Predigt, bei der der Pfarrer sich Mühe<br />
gegeben hat. Trotzdem oder besser: gerade deshalb<br />
sind sie langweilig und fremd für fast alle. Der lebendige<br />
Geist Gottes hat es da schon sehr schwer.<br />
Manchmal gibt es auch mühevoll geplante und liebevoll<br />
ausgestaltete Gottesdienste. Aber auch sie<br />
bleiben dem Fremden oft verschlossen. Wer ruft da<br />
also sonntags Vormittag? Jesus oder doch nur bloß<br />
eine altgewordene Institution mit ihrer überreichen,<br />
aber abgestandenen Tradition?<br />
Meine Frage richtet sich also nicht gegen die Jesus-<br />
Tag-Leute. Und meine Antwort, die ich auf diese<br />
Frage, wer da ruft, geben will, ist es auch nicht. Die<br />
lautet: Gott will und kann seine gute Sache betreiben<br />
durch wen er will; und er tut es, sonst wären<br />
wir längst untergegangen. Er braucht uns Menschen,<br />
so wie wir nun einmal sind, mit unseren<br />
Grenzen, Ecken und Macken, mit unseren kleinen<br />
Einsichten und Irrtümern. Andere Menschen hat<br />
er ja nicht. Und er braucht uns alle; die, die sich<br />
wissentlich in seinen Dienst stellen, aber auch die,<br />
die gar nicht wissen und merken, das er sich ihrer<br />
bedient: also auch Atheisten, Muslime, Buddhisten,<br />
Hindus und sonst wen.<br />
Wenn das klar ist, darf gestritten werden über den<br />
rechten Weg. Ja, muss gestritten werden! Denn<br />
wenn wir nicht mehr streiten, erst recht nicht mehr<br />
mit uns selbst, dann werden wir umso untauglicher<br />
für Gott, weil wir selbstgerecht werden. Wir wissen<br />
Ein sehr persönliches Wort<br />
dann ja schon immer Bescheid. Wir haben ja immer<br />
schon Recht. Kritik und Zweifel sind uns dann<br />
doch nur Zeichen mangelnder Überzeugung.<br />
So aber darf es gerade nicht, wie uns die Bibel auf<br />
Schritt und Tritt lehrt. Was Gott durch uns tut, das<br />
ist seine Sache. Wie wir sind und was wir tun sollen,<br />
das aber ist unsere.<br />
Und so habe ich meine Vorbehalte, meine Anfragen,<br />
ja meine Kritik an denen, die den 11. <strong>September</strong> <strong>2004</strong><br />
als Jesus-Tag ausgerufen haben.<br />
Ihr nennt, liebe Jesus-Tag-Leute, Jesus Euren Herrn.<br />
Und ich unterstelle einem jeden von Euch, dass er<br />
das ehrlich meint. Aber wenn ich Eure Hochglanzbroschüre<br />
lese, muss ich sagen, Jesus ist Euer Produkt,<br />
das Ihr an den Mann bzw. an die Frau bringen<br />
wollt. Da ist nicht die geringste Spur von Selbstkritik,<br />
von Zweifel, von Suchen, von Nachdenklichkeit.<br />
Die Frage, wer dieser Jesus als Jesus von heute für<br />
unsere heutige Zeit mit ihren Problemen überhaupt<br />
sein könnte, was diese Gestalt aus einer erst<br />
einmal ganz anderen Zeit uns Heutigen zu sagen<br />
und zu geben hat, kommt Euch nicht in den Sinn.<br />
Ihr habt diese Frage schon beantwortet, bevor Ihr<br />
sie gestellt habt. Nein, Ihr stellt sie überhaupt<br />
nicht, weil Ihr den Jesus, wie er formuliert worden<br />
ist in den Denk- und Sprachmöglichkeiten der Antike<br />
und des Mittelalters, weil Ihr ihn so wie Ihr ihn<br />
da findet, zeitlos schon für den Jesus von Heute<br />
haltet. So will mir ein Verfasser z.B. weismachen,<br />
dass Jesus als Auferstandener essen konnte, wie wir<br />
auch, aber auch durch verschlossene Türen gehen<br />
konnte, wie wir es nicht können. Jesus – ein<br />
Wunderwesen. Solch ein Jesus ist für mich<br />
unaktuell, hat nichts zu tun mit mir und meinem<br />
Leben; eigentlich finde ich ihn langweilig.<br />
Ihr seht überhaupt nicht, was Geschichte ist. Und<br />
weil Ihr das nicht seht, habt Ihr denen, denen die<br />
Geschichte zum Rätsel geworden ist, nicht wirklich<br />
etwas zu sagen. Ihr haltet einen Schatz in Händen,<br />
aber Ihr hebt den Schatz nicht. Euer Jesus ist konservativ,<br />
ein ewiggültiger Herr, wie er in den ersten<br />
Jahrhunderten des Christentums formuliert worden<br />
ist in damals möglichen, deshalb aber übrigens<br />
keineswegs immer angebrachten Begriffen und<br />
Vorstellungen. Euer Jesus ist von gestern. Ich aber<br />
lebe heute. Und so peppt Ihr ihn auf mit den Popelementen<br />
unserer heutigen Spaß-Gesellschaft.<br />
Euer Jesus ist nicht nur konservativ. Er ist sogar reaktionär.<br />
Denn Euer auf den ersten Blick ziemlich<br />
inhaltsleerer Jesus-Tag hat durchaus einen Inhalt,<br />
wie mich Eure Broschüre und die vielen Internet-