1 WOZU DAS THEATER? [...] Wulf Schlünzen Eine ... - Thomas Faupel
1 WOZU DAS THEATER? [...] Wulf Schlünzen Eine ... - Thomas Faupel
1 WOZU DAS THEATER? [...] Wulf Schlünzen Eine ... - Thomas Faupel
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>WOZU</strong> <strong>DAS</strong> <strong>THEATER</strong>? [...]<br />
<strong>Wulf</strong> <strong>Schlünzen</strong><br />
<strong>Eine</strong> Frage - und viele..., auch sehr unterschiedliche Antworten.<br />
„Die Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion von Welt unter dem Aspekt der<br />
Theatralität sind die Gegenstände des Faches Darstellendes Spiel.“ So die Antwort des<br />
Hamburger Rahmenplans auf diese Frage, der damit eine grundsätzliche Bestimmung<br />
des Faches vornimmt, die auf die ästhetisch-theatrale Aneignung von Welt zielt, nicht<br />
nur auf das Theater im engeren Sinne. Sie verweist damit auf die allgemeinbildende<br />
Aufgabe des Darstellenden Spiels an der Schule. Doch der Diskurs zum Darstellenden<br />
Spiel an der Schule hat häufig ganz andere Argumente, da wird dessen Beitrag zur<br />
Allgemeinbildung schlicht negiert:<br />
• „Schule muss sich im Zeichen von PISA auf die wesentlichen Aufgaben<br />
beschränken und darf sich nicht verzetteln! So ist auch ästhetische Bildung besser<br />
eine Sache für die Freizeit.“<br />
• „Theater ist eine nicht zeitgemäße Kunstform, daher in der Schule entbehrlich.“;<br />
• „Theater nimmt den anderen Künsten Zeit und Schüler.“<br />
• „Theater an der Schule betont noch den durch die Medien erzeugten<br />
unsäglichen Drang zu übertriebener Selbstdarstellung.“<br />
Jede dieser Antworten kann widerlegt oder entkräftet werden. Doch das hieße hier im<br />
Saal Eulen nach Athen tragen.<br />
Dennoch werden auch hier im Saal die Antworten sich unterscheiden.<br />
Wozu das Theater?<br />
• Die einen betonen die Schulung von Life-Skills, also von Lebenskompetenzen<br />
durch das aktive Theaterspielen,<br />
• andere sehen im Schultheater eine besondere, durch die anderen Künste nicht zu<br />
ersetzende Spielart der ästhetischen Bildung,<br />
• wieder andere schätzen das fächerverbindende Lernen durch Darstellendes Spiel<br />
• oder sehen eine Erweiterung des Methodenrepertoires in den Fächern durch<br />
Darstellendes Spiel,<br />
• andere wiederum möchten durch das Schultheater die weltweit beispielhafte<br />
Kultur des öffentlich subventionierten Theaters in Deutschland stützen,<br />
• vielleicht auch die Teilhabe an mehr als 2500 Jahren abendländischer Kultur<br />
ermöglichen,<br />
• oder die besonderen Chancen für den Umgang mit dem Interkulturellen in einer<br />
multikulturellen Gesellschaft sehen,<br />
• wieder andere sehen im Schultheater einen wichtigen Beitrag zur Schule als<br />
Lebensraum<br />
• oder in einem Theaterschwerpunkt ein positives Entwicklungspotenzial für die<br />
Schule als System,<br />
• vielleicht wollen sie auch einfach eine alternative Möglichkeit in der Schule<br />
nutzen, die sie ihren Schülerinnen und Schülern nahe bringt und auch ihnen<br />
selbst ganz viel Spaß macht.<br />
All diese Betrachtungsweisen halte ich für legitim und teile sie teils mehr, teils weniger.<br />
Doch die differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen würde die mir heute zur<br />
Verfügung stehende Zeit - bei weitem übersteigen. Und - es gibt ja auch noch andere<br />
Vorträge, Workshops und Arbeitsgruppen in dieser Tagung, die zu einer<br />
Auseinandersetzung mit diesen Themen anregen.<br />
Sowohl die von mir referierten negativen als auch positiven Antworten betrachten das<br />
Darstellende Spiel aus der Perspektive der Erwachsenen, die sich aus ihrer –auch<br />
professionellen- Warte um den gesellschaftlichen, pädagogischen und im engeren Sinne<br />
kulturellen Nutzen Gedanken machen. Mit meinem Beitrag möchte ich die Sichtweise<br />
der Kinder und Jugendlichen auf das Schultheater einbeziehen.<br />
1. „Hier bin ich! Endlich darf ich mal!“<br />
Darstellendes Spiel wird auch als Ventil genutzt. Denn Schule macht in der Regel den<br />
Schülerinnen und Schülern nicht gerade Mut, ihre Persönlichkeit auszudrücken,<br />
individuell zu sein und zu wirken. Der unverwechselbare Ausdruck ihrer Persönlichkeit in<br />
der theatralen Darstellung wird von den Schülerinnen und Schülern als Gewinn erlebt,<br />
sie können und dürfen etwas mit ihren individuellen Möglichkeiten gestalten und<br />
müssen sich nicht in erster Linie mit ihren persönlichen Defiziten herumschlagen. Ihre<br />
Gestaltungsvorschläge sind gerade deshalb wichtig, weil sie ihre eigenen sind. Auf dieser<br />
1
Grundlage baut die Theaterarbeit auf, indem sie die Gestaltungsvorschläge<br />
weiterentwickelt.<br />
Die persönlich gefärbten Gestaltungsvorschläge sind ein Gewinn für die ästhetische<br />
Gestaltung, denn die gestalteten Rollen wirken authentisch; wir nehmen als Zuschauer<br />
den Darstellern ihre gestalteten Rollen ab, ob sie nun ganz nah an den unmittelbaren<br />
Erfahrungsfeldern der Schülerinnen und Schüler bleiben oder sich weiter entfernen. Wir<br />
spüren, dass sie sich auch fremde Rollen anverwandeln können.<br />
Das szenische Gestalten durchläuft einen Regelkreis von Probieren, Beobachten,<br />
Wahrnehmen, Erinnern, Empfinden, Imaginieren, Reflektieren und Kommunizieren. Es<br />
bleibt nicht beim ersten, vielleicht noch etwas unbedarften Versuch. Die Aufgabe der<br />
Spielleitung ist es, den Schülerinnen und Schülern klar zu machen, dass es nicht nur<br />
darauf ankommt, sich gut zu fühlen, sondern dass es auch darum geht, das Publikum zu<br />
erreichen.<br />
Dass es Gestaltungsmittel gibt, die etwas rüberbringen können, dass also nicht nur die<br />
inhaltliche Botschaft, sondern auch die gewählte Form ausschlaggebend für die<br />
Wirksamkeit ist, wird im Schultheater für Schülerinnen und Schüler wichtig und<br />
nachvollziehbar. Beim spielerischen Ausprobieren erfahren die Schülerinnen und<br />
Schüler, dass ihre individuellen Fähigkeiten zu einer Bereicherung der<br />
Gestaltungsmöglichkeiten führen. So können die Schülerinnen und Schüler ihre<br />
kreativen Möglichkeiten nutzen und weiterentwickeln und dabei zugleich Erfahrungen<br />
machen, die sie in ihrem Selbstvertrauen stärken.<br />
• Theater ermöglicht den Kindern und Jugendlichen, sich mit ihrer Person im Vorgang des<br />
Darstellens auszudrücken, und das auch in fremden Rollen. Die Besonderheit der eigenen<br />
Persönlichkeit wird als wichtig erfahren und somit nicht als Defizit, das an einem objektiven<br />
Maßstab abgewertet wird.<br />
Auch im Schultheater geht kein Weg daran vorbei, dass sich jede Aufführung an ein<br />
Publikum richtet. Aber das ist für die Schülerinnen und Schüler gerade sehr attraktiv: Denn<br />
hier erreichen sie eine (Schul-) Òffentlichkeit, die für sie in der Schule und erst recht in den<br />
anderen Fàchern unerreichbar ist.<br />
2. „Immer soll ich nett sein, und ordentlich und fleißig und überhaupt!“<br />
Seit Jahrtausenden wird die jeweils folgende Generation von den Älteren misstrauisch<br />
beäugt. Danach müsste es einen immerwährenden Abstieg gegeben haben. Das istnatürlich und<br />
nachweislich Unsinn; und die jeweils junge Generation wehrt sich zu<br />
Recht dagegen, denn jede Generation muss selbst ihre Antworten auf die in ihrer<br />
Gegenwart aufgeworfenen Fragen finden. Wenn Theater direkt und allgemeine<br />
Gültigkeit versprechend zur einseitig verstandenen moralischen Anstalt mit erhobenem<br />
Zeigefinger wird, wird es schwierig, gerade auch für junge Leute, die sich nicht gern von<br />
der älteren Generation vorschreiben lassen wollen, was moralisch erstrebenswert oder<br />
abzulehnen ist.<br />
Theater kann sich nicht zum Sprachrohr gut gemeinter moralischer Grundsätze machen.<br />
Daher wirkt es dann auch meist nicht im beabsichtigten Sinne, wenn es allzu sehr in den<br />
Dienst löblicher gesellschaftlicher Forderungen gestellt wird. Es lebt vielmehr eher vom<br />
Gegenteil: von der Auseinandersetzung, sogar vom Einverständnis mit dem<br />
gesellschaftlich bedingten moralischen Verstoß, vom Widerstand gegen gesellschaftliche<br />
Ge- und Verbote. Es bietet einem sogar die Möglichkeit, für einen begrenzten Zeitraum<br />
in Rollen zu schlüpfen, die einem selbst „gegen den Strich“ gehen, und dabei die<br />
Motive und Emotionen „am eigenen Leib“ zu erfahren, wenn auch nur zum Schein, im<br />
„Als-ob“ der Rollendarstellung.<br />
• Theater funktioniert nicht als Sprachrohr von „political correctness“. Es ist vielmehr ein<br />
Forum für Widerstand und Aufbegehren, was gerade Jugendlichen entgegenkommt. Jede<br />
Generation muss die Möglichkeit haben, den vorhandenen gesellschaftlichen Zustand in<br />
Frage zu stellen.<br />
4. „Einmal jemand Anders sein!“<br />
Mit diesem Ausspruch ist die Bühnenfigur Leonce des jungen Autors Georg Büchner<br />
auch heute noch Sprachrohr jugendlichen Selbstverständnisses. Und das ist nicht nur<br />
Ausdruck persönlicher Unsicherheit, sondern ein Lust besetzter Wunsch: „Der Mensch,<br />
in ein kurzes Dasein gesetzt, in eine dicht gedrängte Fülle verschiedenartigster<br />
Menschen, die ihm so nahe und doch so unfassbar fern sind, hat eine unwiderstehliche<br />
Lust, sich im Spiel seiner Phantasie von einer Gestalt in die andere, von einem Schicksal<br />
ins andere, von einem Affekt in den anderen zu stürzen.“ (Max Reinhardt)<br />
2
Diese Lust macht Lust, sich in andere einzufühlen. Sie befähigt auch dazu, bestimmte<br />
menschliche Verhaltensweisen zu verstehen, ohne sie deshalb billigen zu müssen.<br />
Theaterspielen ist damit –auch- eine Schule der Empathie.<br />
Im Spielen unterschiedlicher theatraler Rollen probieren sich die Schülerinnen und<br />
Schüler selbst aus, indem sie sich Situationen und Verhaltensweisen fiktiver Personen<br />
anverwandeln.<br />
In der spielerischen Begegnung und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem<br />
historisch, kulturell oder sozial Fremden reflektieren die Schülerinnen und Schüler den<br />
Hintergrund ihres eigenen Agierens. Sie erfahren dabei unterschiedliche Perspektiven<br />
von Wirklichkeit, gewinnen Einsicht in die Konstruierbarkeit von Wirklichkeiten und<br />
erweitern somit den Handlungsspielraum für ihr künftiges privates und sogar berufliches<br />
Leben.<br />
• Theater ist immer auch die Begegnung mit dem Fremden, und das hat für Schülerinnen<br />
und Schüler eine hohe Faszination, scheinen doch im Fremden auch immer eigene<br />
Möglichkeiten eines sich noch entwerfenden Lebenskonzepts auf.<br />
5. „Was geht da ab? Hätt ich nicht gedacht! Das ist ja abgefahren!“<br />
Die Arbeit im Darstellenden Spiel sollte von eine experimentellen Grundhaltung geprägt<br />
sein. In Rollenbild, inhaltlichem Zugriff und theatraler Form etwas ergebnisoffen<br />
versuchen, dabei auch persönlich etwas wagen: Das sind Erfahrungen, die Schülerinnen<br />
und Schüler brauchen. Nicht dass Schülerinnen und Schülern diese Grundhaltung<br />
vordergründig immer schon nahe liegt, denn das noch Unbekannte kann ja auch Angst<br />
machen und irritieren. Doch die Spielleitung kann sie für das Experimentieren gewinnen<br />
und die Kinder und Jugendlichen können dies als für sie bedeutsam erleben. Die<br />
experimentelle Grundhaltung ist zugleich etwas, was das Schultheater mit dem<br />
modernen Theater verbindet (ein paar Stichworte: Freies Theater, Grotowski, Peter<br />
Brook u.a.). Diese Erfahrungen werden durch das Gelingen einer Aufführung in den<br />
Spielerinnen und Spielern fest verankert. Es ist für jeden einzelnen schon ein besonderes<br />
Erlebnis festzustellen, dass eigene Vorstellungen und Gestaltungen kunstfähig werden.<br />
• Schultheater kann und soll experimentieren. Das entspricht auch dem Lebensalter der<br />
Kinder und Jugendlichen, selbst wenn sie sich anfangs die „Nummer-Sicher“ wünschen. Sie<br />
selbst können sich im Schultheater als kreativ erleben, müssen also nicht nur Vorgegebenes<br />
nachvollziehen, und das tut ihnen gut.<br />
7. „Toll, dass ihr da seid! Unterschiedlich und doch gemeinsam!“<br />
Jugendliche definieren sich in ihrer äußerlichen Gestaltung (Kleidung, Frisur, Tatoos<br />
etc.), ihrem Musikgeschmack, ihrer Sprache häufig als Mitglieder einer Peer-Group, die<br />
sich von anderen Gruppen ihres Alters, insbesondere aber von den Älteren absetzt. In<br />
den weitgehend altershomogenen Schultheatergruppen (besonders homogen bei<br />
Darstellendem Spiel als Fach) finden sich andere Ansatzpunkte für die gemeinsame<br />
Arbeit, in der Trends und Moden der Jugendkultur unwichtiger werden. Sie sind<br />
vielleicht Fans einer Musikgruppe, eines Filmschauspielers, aber sie sind deshalb nicht<br />
Vorstellungen anderer gegenüber grundsätzlich verschlossen. In der Theaterarbeit<br />
können sie den Wert unterschiedlicher Individuen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen,<br />
Eigenarten positiv erleben, auch wenn diese nicht im gleichen Fanclub sind.<br />
Theaterspielen fördert die soziale Kompetenz. In jeder Szene ist für den Spieler evident,<br />
dass das Spiel nur zusammen mit den Mitspielern gelingen kann. Er lernt, die<br />
unterschiedlichen Begabungen in der Gruppe zu respektieren.<br />
• Schultheater ist Gruppentheater. Es lebt davon, dass die Einzelnen ihre besonderen<br />
Fàhigkeiten einbringen und dass die Gruppe mit ihren darstellerischen Möglichkeiten als<br />
Gruppe ganz besondere Gestaltungsmöglichkeiten hat. Und das gefàllt den Kindern und<br />
Jugendlichen, denn dabei kommen sie mit ihren Ideen und auch ihren körperlichen<br />
Möglichkeiten vor.<br />
3