und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
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Matthias Trautmann / Julia Sacher (Hg.)<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
durch Videofeedback<br />
Besser kommunizieren lernen<br />
<strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong>
Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
V<br />
© 2010 <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 978-3-525-70107-2 — ISBN E-Book: 978-3-647-70107-3
Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Matthias Trautmann / Julia Sacher (Hg.)<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
durch Videofeedback<br />
Besser kommunizieren lernen<br />
<strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong><br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
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im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
ISBN 978-3-525-70107-2<br />
eISBN 978-3-647-70107-3<br />
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Satz <strong>und</strong> Litho: SchwabScantechnik, Göttingen<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Inhalt<br />
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Einleitung<br />
Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung –<br />
Begründungen, Konzepte, offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Teil I: Videofeedback als Konzept<br />
Projektgruppe<br />
»Kommunikation im Unterricht« – ein Forschungs- <strong>und</strong><br />
Entwicklungsprojekt am Oberstufen-Kolleg Bielefeld . . . . . . . 27<br />
Julia Sacher<br />
»Mir fielen h<strong>und</strong>erttausend Sachen auf« – Ablauf eines<br />
Videofeedbacks am Beispiel der Lehrerin Annette Fink . . . . . 41<br />
Klaus Händler<br />
Technische Voraussetzungen der Videographie . . . . . . . . . . . . 55<br />
Teil II: Erfahrungsberichte <strong>und</strong> vertiefende Analysen<br />
Beatrix Loghin<br />
Wie geht es einer Lehrperson beim Videofeedback? –<br />
Ein persönlicher Erfahrungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
Hans Hermsen<br />
Innere Stimmen <strong>und</strong> äußere Rückmeldungen –<br />
Ein 2. Erfahrungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
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6 Inhalt<br />
Julia Sacher<br />
Merkmale nicht verletzender Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 105<br />
Matthias Trautmann / Beate Wischer<br />
Die Formulierung eigener Beobachtungsschwerpunkte für das<br />
Feedback – eine nicht zu unterschätzende Herausforderung 127<br />
Gerlinde Günther-Boemke<br />
Subjektive Theorien <strong>und</strong> kollegiales Feedback . . . . . . . . . . . . . 143<br />
Ingwer Paul<br />
Strukturelle Probleme der Unterrichtskommunikation . . . . . . 167<br />
Ausblick<br />
Josef Keuff er<br />
Videofeedback – Ein Konzept für die Lehrerbildung<br />
mit Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187<br />
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201<br />
Verzeichnis der Autorinnen <strong>und</strong> Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 203<br />
Anhang<br />
Elternbrief zur Unterrichtsvideographie . . . . . . . . . . . . . . . . 205<br />
Ablaufschema einer Feedbacksitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208<br />
Fragebogen zur Kommunikation im Unterricht . . . . . . . . . . 209<br />
Checkliste zur technischen Vor- <strong>und</strong> Nachbereitung . . . . . . 220<br />
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Vorwort<br />
Die hier versammelten Beiträge sind das Ergebnis eines Forschungs-<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsprojekts, das von 2006 bis 2010 am<br />
Oberstufen-Kolleg Bielefeld durchgeführt wurde. Beteiligt waren<br />
neben Lehrenden des Kollegs auch Wissenschaftler der Universität<br />
Bielefeld. Entwickelt, erprobt <strong>und</strong> erforscht wurde ein Konzept<br />
der videogestützten Unterrichtsreflexion – oder kürzer des Videofeedbacks<br />
–, bei dem Lehrpersonen Sequenzen ihres eigenen<br />
Unterrichts unter einer selbst gewählten Fragestellung in eine<br />
Feedbackgruppe einbringen <strong>und</strong> dort eine Rückmeldung erhalten<br />
bzw. genauer: in der Gruppe eigene <strong>und</strong> fremde Wahrnehmungen<br />
sowie Denk- <strong>und</strong> Handlungsalternativen austauschen <strong>und</strong> diskutieren<br />
konnten. Im Mittelpunkt stand dabei die Weiterentwicklung<br />
der professionellen Kompetenzen von Lehrpersonen unter<br />
Verwendung einer »nicht verletzenden Sprache« (Baumert 2002,<br />
in Dorlöchter et al. 2004). Ob <strong>und</strong> unter welchen Bedingungen<br />
dies gelungen ist, wurde im zweiten Teil des Projekts evaluiert.<br />
Dazu wurden Feedbackgespräche aufgezeichnet, transkribiert <strong>und</strong><br />
analysiert. Zugleich wurden die Lehrpersonen hinsichtlich ihrer<br />
Eindrücke <strong>und</strong> Erfahrungen mit dem Konzept befragt.<br />
Der vorliegende Band richtet sich an Personen in der Lehrerausbildung<br />
sowie an bereits im Beruf tätige Lehrerinnen <strong>und</strong><br />
Lehrer aller Unterrichtsfächer <strong>und</strong> Schulstufen, die ähnliche<br />
Konzepte bereits praktizieren oder die Interesse an videogestützten<br />
Verfahren haben. Er möchte auf Chancen dieses Formats<br />
hinweisen, zugleich aber auch Herausforderungen <strong>und</strong> Risiken<br />
aufzeigen, die mit der Offenlegung von Unterricht vor Kolleginnen<br />
<strong>und</strong> Kollegen (<strong>und</strong> möglicherweise Vorgesetzten) verb<strong>und</strong>en<br />
sind. Wir haben selbst erlebt, wie bereichernd die Diskussion von<br />
Videoausschnitten sein kann, <strong>und</strong> möchten Mut machen, diesen<br />
Weg einmal auszuprobieren. Unser Dank gilt in erster Linie den<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern, die sich uns anvertraut haben, sowie ihren<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern, die uns die Aufnahmen gestattet<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
8 Vorwort<br />
haben. Nicht zuletzt danken wir auch Annika Gerstenberg vom<br />
Verlag <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong>, die die Entwicklung des Bandes<br />
begleitet <strong>und</strong> gefördert hat.<br />
Matthias Trautmann <strong>und</strong> Julia Sacher<br />
Bielefeld, im September 2010<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Einleitung<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Videofeedback als Instrument zur<br />
Unterrichtsentwicklung –<br />
Begründungen, Konzepte, off ene Fragen<br />
In der Folge des deutschen PISA-Schocks rücken seit einigen Jahren<br />
Unterricht <strong>und</strong> Lehrerbildung als zentrale Stellschrauben für Veränderungen<br />
immer stärker in den Blickpunkt der schulpädagogischen<br />
Aufmerksamkeit. Lehr(er)kompetenzen gelten dabei erneut<br />
als zentrale Bedingung für eine Verbesserung der Qualität im<br />
deutschen Schulsystem. Erziehungswissenschaftler, Bildungspolitiker,<br />
Administratoren <strong>und</strong> Journalisten erzeugen in schneller Folge<br />
Forderungen nach einem anderen Lehren <strong>und</strong> Lernen wie »Schüler<br />
aktivieren«, »Mit Heterogenität produktiv umgehen«, »Individuell<br />
fördern«, »Kompetenzorientiert unterrichten«, »Anregende Lerngelegenheiten<br />
schaffen«, »Kooperative Lernformen einsetzen« oder<br />
auch »Lob des Fehlers«. Angemahnt werden andere Unterrichtsskripts,<br />
ein angemessener, vielfältiger Methodeneinsatz, erweiterte<br />
Formen der Diagnose <strong>und</strong> Leistungsbewertung, individuell<br />
abgestimmte Fördermaßnahmen, förderbezogene Einstellungen<br />
<strong>und</strong> Überzeugungen – die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.<br />
Mit anderen Worten: Die Forderungen an Lehrerinnen <strong>und</strong><br />
Lehrer sind zahlreich <strong>und</strong> gleichen nicht selten langen Listen von<br />
wünschenswerten Eigenschaften <strong>und</strong> Fähigkeiten, die an die idealen<br />
Lehrerbilder der geisteswissenschaftlichen Pädagogik erinnern:<br />
Man kann ihnen nur schwerlich widersprechen, <strong>und</strong> doch sind<br />
sie oft nur wenig anschlussfähig für die eigene Alltagspraxis. Die<br />
Unterrichtsforschung der jüngeren Vergangenheit hat bekanntlich<br />
Kriterien für guten Unterricht wiederentdeckt, wie sie etwa Meyer<br />
(2004) von Seiten der Allgemeinen Didaktik <strong>und</strong> Helmke (2009)<br />
von Seiten der Lehr-Lern-Forschung zusammengetragen haben.<br />
Doch sind auch diese Qualitätskriterien nur bedingt hilfreich,<br />
wenn es um Veränderungen der persönlichen (Unterrichts-)Praxis<br />
geht. Sie vermögen zwar unerlässliche normative Zielpunkte anzugeben,<br />
auf die hin sich die Entwicklung orientieren sollte, haben<br />
aber doch auch deutliche Grenzen:<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
12 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
− Qualitätskriterien sind immer noch recht abstrakt <strong>und</strong> der Auslegung<br />
bedürftig, wie Mühlhausen (2007, S. 32f.) am Beispiel<br />
des Kriteriums Klarheit eindrücklich zu zeigen vermag.<br />
− Guter Unterricht lässt sich zwar nicht auf beliebige, aber doch<br />
individuell sehr verschiedene Art <strong>und</strong> Weise realisieren (vgl.<br />
Helmke 2009, 45f.). Eine flexible <strong>und</strong> kreative Adaption auf die<br />
Verhältnisse vor Ort, die Schüler der jeweiligen Lerngruppe sowie<br />
auf die eigene Person bleibt also notwendig.<br />
− Was gut ist, muss auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> der jeweils angestrebten<br />
Ziele diskutiert werden.<br />
− Die allgemeindidaktischen Kriterien müssen durch fachbezogene<br />
Überlegungen ergänzt <strong>und</strong> erweitert werden (vgl. z.B. die<br />
Beiträge in Arnold 2006).<br />
− Wie die Fülle an Forderungen kleinzuarbeiten ist, was die Empfehlungen<br />
konkret für den jeweiligen Lehrer <strong>und</strong> die jeweilige<br />
Lehrerin bedeuten <strong>und</strong> wie eigene Denk- <strong>und</strong> Handlungsroutinen<br />
zu bewerten <strong>und</strong> ggf. zu verändern sind, bleibt hier (notwendig)<br />
unbestimmt.<br />
Aus derartigen Überlegungen heraus wird in der Schulpädagogik<br />
zunehmend die Frage diskutiert, wie Unterricht sich nicht nur<br />
analysieren <strong>und</strong> in seiner Qualität beschreiben, sondern auch<br />
verbessern <strong>und</strong> entwickeln lässt (vgl. Feindt / Fichten / Meyer<br />
2006; Bastian 2007). Neben Forschung muss – darüber besteht<br />
Einigkeit – mehr Entwicklung treten, ist doch bislang keineswegs<br />
sicher, dass die Rede von Bildungsstandards, Kompetenzorientierung<br />
oder einer »neuen Lernkultur«, um nur einige aktuelle<br />
Schlagwörter zu nennen, mehr als nur symbolische Wirkungen<br />
hervorbringt. Weder das Messen von Leistungen noch das Setzen<br />
von Standards, weder die Entwicklung kompetenzorientierter<br />
Curricula noch rhetorische Appelle zur Veränderung der Unterrichtskultur<br />
sind Selbstläufer. Das eigentliche Problem besteht<br />
darin, die Klassenzimmer zu erreichen <strong>und</strong> eine nachhaltige <strong>und</strong><br />
wirksame Veränderung der Unterrichtspraxis tatsächlich auch in<br />
der Breite in Gang zu setzen.<br />
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Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 13<br />
Argumente für den Einsatz von Unterrichtsvideos<br />
Für die Aufgabe, Veränderungen in der Schulpraxis einzuleiten<br />
<strong>und</strong> neue Konzepte in den Schulalltag zu implementieren, hat sich<br />
der Begriff der Unterrichtsentwicklung, ein vor einigen Jahren<br />
noch weitgehend unbekannter Ausdruck, eingebürgert. Andreas<br />
Helmke verwendet den Ausdruck für alle Aktivitäten,<br />
[…]die sich auf die Diagnose <strong>und</strong> Verbesserung des eigenen Unterrichts beziehen,<br />
<strong>und</strong> Unterricht umfasst das gesamte unterrichtliche Angebot, also nicht<br />
nur die Veränderung der Lehrmethoden <strong>und</strong> Lehr-Lern-Szenarien, sondern<br />
auch die Effektivierung der Klassenführung sowie die Stärkung eigener (didaktischer,<br />
fachlicher, diagnostischer) Kompetenzen sowie die Optimierung<br />
des Lehrmaterials, mit dem Ziel, die Wirksamkeit des eigenen Unterrichts zu<br />
steigern (Helmke 2009, S. 193).<br />
Aus der Vielzahl an Möglichkeiten, Unterrichtsentwicklungsprozesse<br />
anzustoßen, greift dieser Band einen Aspekt heraus: die<br />
Nutzung von Unterrichtsvideos durch Lehrpersonen zum Zweck<br />
der Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung, gelegentlich auch als videobasierte<br />
Unterrichtsreflexion oder hier als Videofeedback bezeichnet. Als<br />
Mittel der Professionalisierung von Lehrpersonen werden solche<br />
Verfahren seit einigen Jahren hoch gehandelt. Der Arbeit mit videographiertem<br />
Unterricht wird das Potenzial zugesprochen, verschiedene<br />
Nachteile traditioneller Aus- <strong>und</strong> Fortbildungskonzepte<br />
vermeiden zu können:<br />
− Videos machen Unterrichtsprozesse in ihrer Komplexität anschaulich<br />
zugänglich <strong>und</strong> kommen der teilnehmenden Beobachtung<br />
in dieser Hinsicht zumindest nahe.<br />
− Die Arbeit mit Unterrichtsvideos erweist sich als anschlussfähig<br />
an individuelle Lagen <strong>und</strong> Probleme <strong>und</strong> passt gut zu Theorien<br />
des situierten, fallbasierten Lernens, wie sie in der Lehrerausbildung<br />
seit einiger Zeit populär sind.<br />
− Videos ermöglichen eine kontextsensible <strong>und</strong> konkrete Rekonstruktion<br />
aus verschiedenen Blickwinkeln <strong>und</strong> eine handlungsentlastete<br />
Diskussion von Alternativen.<br />
− Videos verbinden die Entwicklung von Fähigkeiten der Wahrnehmung<br />
<strong>und</strong> Analyse mit der Diskussion von Veränderungen<br />
auf Handlungsebene.<br />
− Sie sind kognitiv <strong>und</strong> emotional aktivierend <strong>und</strong> können zur<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
14 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Schärfung der professionellen Selbstwahrnehmung beitragen<br />
(vgl. z.B. Krammer / Reusser 2004; Brophy 2004).<br />
Allerdings verweist Sherin (2004) auch auf Begrenzungen bzw. besondere<br />
Herausforderungen der Videoarbeit: Insbesondere muss<br />
den mit dem Ansehen von videographiertem Unterricht verb<strong>und</strong>enen<br />
Aufgaben hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn<br />
vom bloßen Zuschauen lernen Lehrkräfte <strong>und</strong> Studierende in der<br />
Regel nicht sehr viel. Es kommt also – nicht sonderlich überraschend<br />
– darauf an, was man mit den Unterrichtsvideos macht.<br />
Konzepte der videogestützten Unterrichtsentwicklung<br />
Dinkelaker & Herrle (2009, S. 1) unterscheiden drei Möglichkeiten<br />
des Einsatzes von Videographie im Kontext erziehungswissenschaftlicher<br />
Forschung: 1. erziehungswissenschaftliche Film -<br />
analyse, 2. videogestützte Unterrichtsqualitätsforschung <strong>und</strong> 3.<br />
erziehungswissenschaftliche Videographie. Während die erziehungswissenschaftliche<br />
Filmanalyse vor allem das Video selbst<br />
zum Gegenstand hat, d.h. untersucht, wie das Video als Kommunikationsmedium<br />
zwischen Produzent <strong>und</strong> Rezipient zur Vermittlung<br />
von Wissen über die Gr<strong>und</strong>lagen der Filmproduktion <strong>und</strong><br />
-rezeption eingesetzt werden kann, fungiert das Videomaterial<br />
in 2. <strong>und</strong> 3. meist als Datengr<strong>und</strong>lage zur Untersuchung von unterrichtlichen<br />
Interaktionsprozessen. Die TIMSS-Videostudie der<br />
1990er Jahre ist sicherlich das bekannteste Beispiel für eine solche<br />
videobasierte Forschung im Schul- <strong>und</strong> Unterrichtskontext.<br />
Sie lässt sich der videogestützten Unterrichtsqualitätsforschung<br />
zuordnen, die untersuchen will, welchen Bedingungsfaktoren<br />
Lehren <strong>und</strong> Lernen unterliegen. In eine vergleichbare Richtung<br />
gehen Forschungsprojekte, die mittels Videotests <strong>und</strong> Unterrichtsaufzeichnungen<br />
Lehrkompetenzen zu bestimmen suchen, basierend<br />
auf der standardisierten Analyse von zuvor videographierten<br />
Unterrichtsst<strong>und</strong>en (Beck et al. 2008; Baer et al. 2009).<br />
Daneben werden Videoaufnahmen von Unterricht seit einigen<br />
Jahren auch als Mittel zur Professionalisierung von Lehrkräften<br />
bzw. zur Unterrichtsentwicklung eingesetzt – <strong>und</strong> teilweise auch<br />
erforscht. Bereits in den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren hatte es diesbe-<br />
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Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 15<br />
züglich erste Versuche gegeben, in der Aus- <strong>und</strong> Fortbildung von<br />
Lehrpersonen mit Unterrichtsaufnahmen zu arbeiten; Institute<br />
<strong>und</strong> Anlagen zur Unterrichtsmitschau, Telekollegs <strong>und</strong> Microteaching<br />
sind hier als zentrale Stichworte zu nennen. Aufgr<strong>und</strong><br />
technischer Schwierigkeiten <strong>und</strong> der recht hohen Kosten für die<br />
Ausstattung waren diese Bemühungen allerdings in der Regel auf<br />
Einzelfälle beschränkt; die Versuche wurden nicht systematisch<br />
weiterverfolgt <strong>und</strong> verliefen in den 1980er Jahren im Sande. Erst<br />
mit der Weiterentwicklung der Videotechnik bzw. entsprechender<br />
Auswertungssoftware, der damit einhergehenden leichteren<br />
Finanzierbarkeit der Geräte sowie durch die großen Videostudien<br />
(TIMSS, IPN-Videostudie) wurden Unterrichtsaufzeichnungen<br />
Ende der 1990er Jahre neu für die erziehungswissenschaftliche<br />
Forschung <strong>und</strong> – hier im Zentrum des Interesses stehend – für die<br />
Lehrerbildung interessant.<br />
Doch gerade in Bezug auf die Entwicklung von Unterricht<br />
mittels Videographie stehen wir immer noch am Anfang, sowohl<br />
was die Verbreitung <strong>und</strong> Nutzung von videobasierten Angeboten<br />
betrifft als auch bezüglich der Wirkungen dieser Konzepte. Deskriptive<br />
Bef<strong>und</strong>e zur Nutzung <strong>und</strong> zur Verbreitung von Videoausschnitten<br />
zu Unterricht – z.B. als Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen<br />
R<strong>und</strong>funks, Filmausschnitte, als private, durch<br />
Dozierende, Studienseminarleiter oder Lehrkräfte, an Schulen<br />
hergestellte Aufzeichnungen oder als Ausschnitte aus Forschungs-<br />
<strong>und</strong> Fortbildungsprojekten – liegen unseres Wissens bisher nicht<br />
vor. Wir vermuten, dass viele in der Lehrerbildung Tätige entsprechendes<br />
Material ausprobieren, einsetzen <strong>und</strong> auch herstellen, wobei<br />
mittels Videoportalen gegenwärtig an verschiedenen Standorten<br />
daran gearbeitet wird, derartige Aufzeichnungen systematisch<br />
<strong>und</strong> für einen größeren Personenkreis aufzubereiten (vgl. auch die<br />
Übersicht bei Helmke 2009).<br />
Folgende Projekte <strong>und</strong> erfahrungsbasierte Konzepte im Zusammenhang<br />
mit der Entwicklung von Unterricht <strong>und</strong> Lehr(er)-kompetenzen<br />
konnten wir in unserer Recherche ausfindig machen:<br />
− für die erste Phase der Lehrerbildung das Projekt »LUV – Lernen<br />
aus Unterrichtsvideos« an der Universität Jena, bei dem es<br />
um die Entwicklung einer computerbasierten Lernumgebung<br />
<strong>und</strong> die Erhebung bzw. Veränderung von Lehrerwahrnehmungen<br />
für das Fach Physik geht (vgl. Seidel et al. 2005 sowie<br />
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16 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Schwindt 2008), zum Einsatz kommen hier eher standardisierte<br />
Beobachtungsverfahren;<br />
− eine Reihe von Projekten, die ebenfalls aus den TIMSS-<br />
Videostudien erwachsen sind, z.B. Science Teachers Learning<br />
Through Lesson Analysis (vgl. den Abschnitt III in Janik / Seidel<br />
2009);<br />
− ebenfalls für die erste Phase der Lehrerbildung eine Zusammenstellung<br />
verschiedener Erfahrungen <strong>und</strong> Versuche von<br />
Naturwissenschaftsdidaktikern mit Unterrichtsvideos (Welzel /<br />
Stadler 2005);<br />
− für die zweite Phase sowie die Lehrerfortbildung das auf Verfahren<br />
der kollegialen Supervision aufbauende Konzept von<br />
Dorlöchter et al. (2004; 2006), basierend auf halbstandardisierten<br />
bzw. auf offeneren Beobachtungsverfahren.<br />
Einige wenige Studien befassen sich darüber hinaus mit der Evaluation<br />
von Videographie als Mittel zur Unterrichtsentwicklung:<br />
Im Rahmen seiner Dissertation entwickelte Gärtner (2007) einen<br />
Videozirkel, den er mit 14 Berliner Gr<strong>und</strong>schul- <strong>und</strong> Gymnasiallehrern<br />
durchführte <strong>und</strong> anschließend evaluierte. Untersucht werden<br />
sollte, inwieweit das gemeinsame Anschauen <strong>und</strong> Besprechen<br />
von Unterrichtssequenzen in kollegialen Gruppen dazu beitragen<br />
konnte, die Vorgaben eines neuen Rahmenlehrplanes zu erarbeiten<br />
<strong>und</strong> umzusetzen. Dazu trafen sich die teilnehmenden Lehrer<br />
einmal monatlich, um – den eigentlichen Unterrichtsaufnahmen<br />
vorangehend – neue Themen zu erarbeiten. In einem nächsten<br />
Schritt wurden diejenigen Unterrichtsst<strong>und</strong>en videographiert, in<br />
denen die neuen Themen eingeführt <strong>und</strong> umgesetzt wurden. Die<br />
unterrichtenden Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer hatten dann die Möglichkeit,<br />
sich »ihre« Aufzeichnungen anzuschauen, um dann – im<br />
letzten Schritt von Gärtners Videozirkel – zusammen mit den anderen<br />
Teilnehmern die persönlichen Erfahrungen zu reflektieren<br />
<strong>und</strong> zu diskutieren <strong>und</strong> sie schließlich in erneute Planungen einzubringen.<br />
Die Evaluierung des Videozirkels ergab, dass sich die<br />
Videokomponente in der Tat positiv auf das Unterrichtshandeln<br />
der Lehrpersonen auswirkte. Allerdings kam sie nach Angaben<br />
Gärtners tatsächlich nur in etwa 50% der Videozirkel-Sitzungen<br />
zum Einsatz; meist diskutierten die Lehrenden auf der Basis von<br />
Aufgaben <strong>und</strong> Materialien ohne Zuhilfenahme von Unterrichts-<br />
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Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 17<br />
aufzeichnungen. Zwei Lehrpersonen weigerten sich sogar, ihren<br />
Unterricht videographieren zu lassen.<br />
Sherin <strong>und</strong> Han (2004) berichten vom Format der sogenannten<br />
»Video Clubs«, innerhalb dessen sich eine kleine Gruppe von<br />
Lehrern regelmäßig traf, um gemeinsam Unterrichtsaufnahmen<br />
anzuschauen <strong>und</strong> diese zu diskutieren. Dabei untersuchten die<br />
Autoren anhand von Protokollen der Treffen, wie sich die Beobachtungsschwerpunkte<br />
der teilnehmenden Lehrer über die Zeit<br />
veränderten <strong>und</strong> inwieweit es den Lehrern gelang, die Schülerperspektive<br />
einzunehmen. Wo anfangs über generelle pädagogische<br />
Themen gesprochen wurde, standen zu späteren Zeitpunkten<br />
vor allem die Denkprozesse der Schüler im Vordergr<strong>und</strong>. Auch<br />
hinsichtlich der Fähigkeit, sich in die Schüler hineinversetzen zu<br />
können, konnten Veränderungen festgestellt werden: Nachdem in<br />
der Anfangsphase der Video-Club-Treffen eher inhaltliche Äußerungen<br />
zu den Schülerbeiträgen gemacht wurden, verlagerte sich<br />
der Fokus mit Fortschreiten der Treffen über Interpretationen <strong>und</strong><br />
Analysen zur Rekonstruktion der Schülerbeiträge <strong>und</strong> schließlich<br />
zur Perspektivübernahme.<br />
In einer anschließenden Studie untersuchten Sherin / van Es<br />
(2005) genauer, wie sich die Nutzung von Unterrichtsvideos auf<br />
die Beobachtungskompetenz von Lehrern auswirkt. Die in der<br />
Video-Club-Studie entstandenen Daten wurden verglichen mit<br />
Daten aus einem weiteren Projekt, in welchem Lehrer mithilfe des<br />
Computerprogrammes VAST (»Video Analysis Support Tool«)<br />
Unterrichtsvideos betrachten <strong>und</strong> analysieren sollten. Auch in<br />
dieser Anschlussstudie konnten Veränderungen festgestellt werden:<br />
Innerhalb der VAST-Gruppe zeigte sich, dass anfängliche<br />
Nacherzählungen von Unterrichtsgeschehen im Laufe der Zeit zu<br />
Analysen konkreter Unterrichtsmerkmale wurden; die Lehrer entwickelten<br />
also eine bessere Diskriminationsfähigkeit in Bezug auf<br />
subjektiv relevante Merkmale von Lehrenden <strong>und</strong> Lernern. Auch<br />
die Diskussionen über das Filmmaterial veränderten sich: Bestanden<br />
die Äußerungen der Teilnehmer zu Beginn der Untersuchungen<br />
noch vorwiegend aus wertenden Urteilen, so gingen diese<br />
anteilmäßig zugunsten von Interpretationen des Geschehens stark<br />
zurück. Damit ging einher, dass eigene Aussagen immer stärker an<br />
das im Video Gesehene geb<strong>und</strong>en wurden (vgl. auch die Übersicht<br />
in Sacher 2009).<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
18 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Von einer internet- <strong>und</strong> videogestützten Fortbildung berichten<br />
Ratzka et al. (2006): Zwanzig schweizerische <strong>und</strong> deutsche<br />
Mathematik-Lehrkräfte nahmen an einer einjährigen Fortbildung<br />
teil, bei der in Online- <strong>und</strong> Präsenzphasen u.a. auch eigener <strong>und</strong><br />
fremder Unterricht mit einem besonderen Fokus auf der kognitiven<br />
Aktivierung der Schüler analysiert <strong>und</strong> diskutiert wurde.<br />
Daneben gab es weitere Elemente wie Vorträge, individuelle Rückmeldungen<br />
zu den Mathematikleistungen ihrer Lerngruppen (erhoben<br />
in einem vorausgehenden Projekt), Unterrichtsplanung in<br />
Kleingruppen etc. Dabei stellten sich die Präsenzphasen als besonders<br />
bedeutsam heraus, während die Diskussionen in den Online-<br />
Foren als schwierig empf<strong>und</strong>en wurden. Die Weiterbildung wurde<br />
mit einem Stimmungsbarometer evaluiert <strong>und</strong> von den beteiligten<br />
Lehrkräften insgesamt als interessant <strong>und</strong> ertragreich eingeschätzt.<br />
Die face-to-face-Diskussionen wurden im Projekt offenbar<br />
nicht eigens aufgenommen <strong>und</strong> analysiert; die inhaltsanalytischen<br />
Auswertungen der Online-Diskussionen stehen überwiegend<br />
noch aus.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Videographie in letzter<br />
Zeit vermehrt <strong>und</strong> vor allem zu Forschungszwecken in Kontexten<br />
der Schul- <strong>und</strong> Unterrichtsforschung eingesetzt wurde. Auch für<br />
die Entwicklung von Unterricht wird ihr Einsatz zunehmend empfohlen,<br />
wobei aber die Datenbasis <strong>und</strong> die Forschungsintensität<br />
hier deutlich dünner ausfallen. Kaum eine Publikation verzichtet<br />
auf die großflächige Darstellung der potenziellen Vorteile, die die<br />
Nutzung von Videographie mit sich bringen soll. Im Hinblick auf<br />
die konkrete Realisierung gibt es allerdings bislang noch wenig<br />
systematische Ansätze <strong>und</strong> Forschungsergebnisse, sondern eher<br />
verstreute Versuche von Einzelpersonen in der Lehrerbildung <strong>und</strong><br />
-forschung, Unterrichtsausschnitte zusammen mit Aufgaben zu<br />
deren Bearbeitung einzusetzen. Zudem wird nur selten zu den tatsächlichen<br />
Effekten geforscht: »Obwohl der Einsatz von Videos in<br />
der Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung schon eine lange Tradition aufweist,<br />
gibt es nur wenig systematische empirische Forschung auf diesem<br />
Gebiet. Es liegen nur wenige Aussagen über die Möglichkeiten<br />
der Nutzung <strong>und</strong> noch weniger über die zu erwartenden Wirkungen<br />
vor. Gerade auch über die Bedingungen eines konstruktiven<br />
Diskurses über Unterrichtsvideos gibt es noch kaum empirische<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 19<br />
Evidenz« (Krammer / Reusser 2004, S. 95f.). Hier liegt einer der<br />
Ansatzpunkte des Projektes »Kommunikation im Unterricht«.<br />
Es sollte deutlich geworden sein, dass es auf dem Feld der videobasierten<br />
Unterrichtsentwicklung gegenwärtig noch mehr<br />
offene Fragen als Antworten gibt. Das sei hier zum Abschluss an<br />
drei Beispielen angedeutet: Ein erster Komplex von Fragen bezieht<br />
sich darauf, ob eigene oder fremde Unterrichtsvideos eingesetzt<br />
werden sollen bzw. welche Vor- <strong>und</strong> Nachteile mit einem solchen<br />
Einsatz verb<strong>und</strong>en sind. Offen sind daneben aber auch andere<br />
Detailfragen zum Vorgehen, so z.B. wie lang die Ausschnitte aus<br />
dem Unterricht jeweils sein sollen, welche Kontextinformationen<br />
unerlässlich sind, <strong>und</strong> ob nicht in den meisten Fällen ein Transkript<br />
der verbalen Äußerungen von großem Nutzen ist. Ein zweiter<br />
wichtiger Fragenkomplex betrifft den Grad der Strukturierung<br />
oder Standardisierung der Analyse bzw. des Feedbacks: Seidel<br />
(2005) beispielweise unterscheidet bei der Unterrichtsanalyse die<br />
Selbstbeobachtung von halbstandardisierten <strong>und</strong> standardisierten<br />
Auswertungsverfahren. Was ist angemessen? Man kann argumentieren,<br />
dass eine hohe Strukturierung, etwa durch die Vorgabe eines<br />
Beobachtungsfokus oder durch klare Aufgabenstellungen, für<br />
Novizen hilfreich sein mag <strong>und</strong> es für berufserfahrene Lehrkräfte<br />
sinnvoller ist, ihren Fokus selbst zu bestimmen. Man kann aber<br />
auch der Meinung sein, dass gerade routinierte Lehrpersonen gut<br />
strukturierte Aufgaben benötigen, um einen neuen, anderen Blick<br />
auf Unterricht zu entwickeln. Ein letzter Fragenkomplex bezieht<br />
sich schließlich auf die Einbettung der Videoausschnitte in Konzepte<br />
von Reflexion, Kommunikation <strong>und</strong> kollegialer Fallberatung:<br />
Wie kann der Ablauf einer Reflexions- <strong>und</strong> Analysesitzung gestaltet<br />
werden, welche Kompetenzen müssen die Teilnehmenden<br />
entwickeln, damit das Videofeedback als unterstützend erfahren<br />
wird <strong>und</strong> tatsächlich zur Professionalisierung beiträgt? Wie Sherin<br />
(2004) feststellt, gibt es auf diese Fragen vermutlich nicht die<br />
richtige Antwort. Allerdings kann die empirische Untersuchung<br />
verschiedener Formate ihren Teil dazu beitragen, Möglichkeiten<br />
<strong>und</strong> Grenzen verschiedener Vorgehensweisen zu erk<strong>und</strong>en.<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
20 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Übersicht über die einzelnen Beiträge<br />
Der vorliegende Band ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil<br />
Videofeedback als Konzept wird das dem Projekt »Kommunikation<br />
im Unterricht« zugr<strong>und</strong>e liegende Verfahren näher vorgestellt.<br />
Hierbei spielen die einzelnen Bestandteile eines Videofeedback-<br />
Durchgangs ebenso eine Rolle wie die technische Seite. Im Beitrag<br />
der Projektgruppe wird der Entstehungshintergr<strong>und</strong> des Videographieprojektes<br />
erläutert <strong>und</strong> die Mitwirkenden werden mit ihren<br />
unterschiedlichen fachlichen Hintergründen vorgestellt. Auch<br />
die Wirkung der Projektarbeit sowohl auf die analysierten Lehrerinnen<br />
<strong>und</strong> Lehrer als auch auf die Mitglieder der Projektgruppe<br />
selbst spielt hier eine Rolle – es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass<br />
langjährige Projektarbeit nur auf die Forschungsobjekte Auswirkungen<br />
hat. Anschließend schildert Julia Sacher in ihrer Fallstudie<br />
den exemplarischen Ablauf eines kompletten Videozirkels <strong>und</strong><br />
illustriert durch Transkript-Ausschnitte das Geschehen in den<br />
einzelnen Phasen. Ohne Videokamera keine Videographie, so viel<br />
ist klar. Doch welche technische Ausstattung ist für eigene Unterrichtsaufnahmen<br />
geeignet? Welches Budget muss mindestens einkalkuliert<br />
werden? Wie viel eigene Vorerfahrung <strong>und</strong> technisches<br />
Geschick ist notwendig, um qualitativ zufriedenstellende Aufnahmen<br />
herzustellen? Diesen Fragen widmet sich Klaus Händler. Er<br />
stellt in seinem Beitrag sowohl verschiedene Kamera- <strong>und</strong> Stativtypen<br />
als auch Schnittprogramme verschiedener Preisklassen vor,<br />
um den an Videographie interessierten Leserinnen <strong>und</strong> Lesern<br />
eine Hilfestellung an die Hand zu geben.<br />
Im zweiten Teil des Bandes geht es einerseits um die Erfahrungen<br />
zweier Projektmitglieder mit der Methode der Videographie,<br />
andererseits werden aus einer Metaperspektive heraus verschiedene<br />
Aspekte des Verfahrens analytisch betrachtet. Beatrix Loghin<br />
<strong>und</strong> Hans Hermsen beschreiben in ihren Erfahrungsberichten sehr<br />
anschaulich ihren jeweils ersten Kontakt mit Unterrichtsvideographie<br />
<strong>und</strong> der Arbeit der Projektgruppe. Beide Erfahrungsberichte<br />
haben jeweils zwei Schwerpunkte: Beatrix Loghin beschreibt vergleichend<br />
ihre zweimalige Teilnahme am Videoprojekt. Dabei<br />
schildert sie, mit welchen Ängsten <strong>und</strong> Befürchtungen die Vorbereitung<br />
der Analysesitzung verb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> erläutert auch die<br />
Gründe für die Auswahl der diskutierten Unterrichtssequenzen.<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 21<br />
Anschließend beschreibt sie, wie sich die Anregungen aus der<br />
Analysesitzung auf ihren Unterrichtsalltag ausgewirkt haben. Das<br />
Videographieprojekt wird mit einem weiteren Forschungsprojekt,<br />
in dem die kollegiale Unterrichtshospitation im Mittelpunkt stand,<br />
verglichen. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus gibt die Autorin<br />
praktische Hinweise, die sowohl auf die Entwicklung einer guten<br />
kollegialen Arbeitsatmosphäre als auch auf den Umgang mit eigenen<br />
Ängsten <strong>und</strong> Unsicherheiten abzielen.<br />
Hans Hermsen stellt seinen Bericht unter das Motto »Innere<br />
Stimmen <strong>und</strong> äußere Rückmeldungen«. Analog dazu reflektiert<br />
er sowohl seinen eigenen Umgang mit den Anforderungen der<br />
Teilnahme am Videographieprojekt als auch Diskussionsbeiträge<br />
der Projektmitglieder. Seine Perspektive auf das Geschehen im<br />
Videographieprojekt ist stark psychoanalytisch geprägt.<br />
Im darauf folgenden Beitrag wird der für die Analysesitzungen<br />
wesentliche Gr<strong>und</strong>satz der »nicht verletzenden Kommunikation«<br />
von Julia Sacher untersucht. Im Vergleich zu einer strukturell<br />
ähnlichen Situation – Unterrichtsnachbesprechungen im Kontext<br />
der Lehrerausbildung – wird konversationsanalytisch herausgearbeitet,<br />
wie sich die Projektmitglieder darum bemühen, eine<br />
hierarchisch flache Situation herzustellen <strong>und</strong> innerhalb dieser in<br />
nicht verletzender Weise mit dem Analysanden zu kommunizieren.<br />
Vier sprachliche Verfahren, mit denen die Projektmitglieder<br />
auf die Anforderungen der Situation reagieren, werden exemplarisch<br />
vorgestellt. Komplementär dazu konzentrieren sich Matthias<br />
Trautmann <strong>und</strong> Beate Wischer auf diejenigen Strategien, mit denen<br />
die am Projekt teilnehmenden Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer ihre<br />
Beobachtungsschwerpunkte für die Analyse formulieren. Dabei<br />
liegt ihr besonderes Augenmerk auf den Weichenstellungen, die<br />
dadurch für das spätere Gespräch ermöglicht werden, <strong>und</strong> auf den<br />
Selbstpositionierungen, die sich dadurch ergeben. Auch die Art<br />
<strong>und</strong> Weise, wie die Projektgruppe auf die Beobachtungsschwerpunkte<br />
reagiert, ist relevant für ihre Untersuchung. Gerlinde<br />
Günther-Boemke nähert sich den im Projekt entstandenen Daten<br />
aus psychologischer Perspektive. Sie untersucht anhand eines<br />
Fallbeispiels, inwieweit das Mitwirken am Videoprojekt dazu beitragen<br />
kann, subjektive Theorien zu Unterricht zu verändern oder<br />
zumindest auf diese einzuwirken. Ihr Fokus liegt dabei auf dem<br />
Selbstbild, den Unterrichtszielen <strong>und</strong> der Definition von »guter<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
22 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Kommunikation« des untersuchten Lehrers; auch die Funktionen,<br />
die die Rückmeldungen der einzelnen Projektmitglieder zum<br />
jeweils diskutierten Unterricht haben, werden berücksichtigt.<br />
Ingwer Paul widmet sich schließlich den von den Lehrkräften<br />
eingebrachten Unterrichtsausschnitten <strong>und</strong> zeigt an einer exemplarischen<br />
Analyse einer Unterrichtssequenz den Reflexionsbedarf<br />
auf, den der Umgang mit Unterrichtskommunikation erfordert.<br />
Er fokussiert dabei auf zwei Sorten von Problemen, mit denen<br />
sich Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer konfrontiert sehen: denjenigen, die<br />
strukturell bedingt (also durch die institutionellen Bedingungen<br />
gegeben) sind, <strong>und</strong> denjenigen, die hausgemacht sind (also in der<br />
Person des Lehrers <strong>und</strong> seinem Umgang mit der Unterrichtssituation<br />
begründet liegen).<br />
Im Ausblick spricht sich Josef Keuffer schließlich deutlich<br />
dafür aus, Videofeedback als festen Baustein in der Lehrer(fort)bildung<br />
zu etablieren. Dazu skizziert er die aktuelle Situation in<br />
der Lehrerausbildung, vergleicht das von der Forschungsgruppe<br />
entwickelte Vorgehen mit anderen Videographiesettings <strong>und</strong> geht<br />
kritisch auf Chancen <strong>und</strong> Grenzen des Verfahrens ein. Auch die<br />
(nicht unerheblichen) Anforderungen an die Selbstreflexionskompetenz<br />
der teilnehmenden Lehrkräfte werden thematisiert.<br />
Im Anhang finden sich vier Kopiervorlagen, die für die eigene<br />
Planung <strong>und</strong> Durchführung von Unterrichtsvideographie nützlich<br />
sein können: Ein Elternbrief, mit dem Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer<br />
das Einverständnis von Eltern minderjähriger Schülerinnen <strong>und</strong><br />
Schüler zur Teilnahme an Videoaufnahmen einholen können; die<br />
Zusammenfassung des Ablaufes der Videoanalysesitzungen; die<br />
Beschreibung des von Karl-Peter Ohly entwickelten Fragebogens<br />
inkl. einem Link, unter dem der Fragebogen für die eigene Verwendung<br />
aus dem Internet heruntergeladen werden kann, <strong>und</strong><br />
eine Technik-Checkliste, mit deren Hilfe die wesentlichen Schritte<br />
bei der Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung von Unterrichtsvideographie<br />
nachvollzogen werden können.<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Videofeedback als Instrument zur Unterrichtsentwicklung 23<br />
Literatur<br />
Arnold, Karl-Heinz (Hrsg.): Unterrichtsqualität <strong>und</strong> Fachdidaktik, Bad Heilbrunn<br />
2006<br />
Baer, Matthias et al.: Auf dem Weg zu Expertise beim Unterrichten – Erwerb<br />
von Lehrkompetenz im Lehrerinnen- <strong>und</strong> Lehrerstudium, in: Unterrichtswissenschaft<br />
39 (2009), H. 2, S. 118–144<br />
Bastian, Johannes: Einführung in die Unterrichtsentwicklung, Weinheim u.a.<br />
2007<br />
Beck, Erwin et al.: Adaptive Lehrkompetenz. Analyse <strong>und</strong> Struktur, Veränderbarkeit<br />
<strong>und</strong> Wirkung handlungssteuernden Lehrerwissens, Münster u.a.<br />
2008<br />
Brophy, Jere (Hrsg.): Using video in teacher education, Oxford 2004<br />
Dinkelaker, Jörg / Herrle, Matthias: Erziehungswissenschaftliche Videographie.<br />
Eine Einführung, Wiesbaden 2009<br />
Dorlöchter, Heinz et al.: Unterricht im Diskurs, in: Seminar Lehrerbildung<br />
<strong>und</strong> Schule 4 (2004), S. 127–142<br />
Feindt, Andreas / Fichten, Wolfgang / Meyer, Hilbert: Skizze einer Theorie der<br />
Unterrichtsentwicklung, in: Josef Keuffer (Hrsg.): TriOS Heft 3, Bielefeld<br />
2006 (Oberstufen-Kolleg), S. 4–41<br />
Gärtner, Holger: Unterrichtsmonitoring. Evaluation eines videobasierten<br />
Qualitätszirkels zur Unterrichtsentwicklung, Münster 2007<br />
Helmke, Andreas: Unterrichtsqualität <strong>und</strong> Lehrerprofessionalität. Diagnose,<br />
Evaluation <strong>und</strong> Verbesserung des Unterrichts, Seelze 2009<br />
Janik, Tomás / Seidel, Tina (Eds.): The Power of Video Studies in Investigating<br />
Teaching and Learning in the Classroom, Münster u.a. 2009<br />
Krammer, Kathrin / Reusser, Kurt: Unterrichtsvideos als Medium der Lehrerinnen-<br />
<strong>und</strong> Lehrerbildung, in: Seminar Lehrerbildung <strong>und</strong> Schule 4<br />
(2004), S. 80–101<br />
Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Berlin 2004<br />
Mühlhausen, Ulf: Abenteuer Unterricht. Wie Lehrer/innen mit überraschenden<br />
Unterrichtssituationen umgehen, Baltmannsweiler 2007<br />
Ratzka, Nadja / Lipowsky, Frank / Klieme, Eckhard: Qualitätsentwicklung des<br />
Mathematikunterrichts in der Sek<strong>und</strong>arstufe I durch eine internet- <strong>und</strong> videogestützte<br />
Fortbildung. Abschlussbericht an die Robert-Bosch-Stiftung,<br />
unveröff. Ms., Frankfurt 2006<br />
Sacher, Julia: Videografie in der Lehrerbildung – ein Literaturbericht, in:<br />
TriOS 2 (2008) 3. Jg., S. 93–116<br />
Schwindt, Katharina: Lehrpersonen betrachten Unterricht. Kriterien für die<br />
kompetente Unterrichtswahrnehmung, Münster u.a. 2008<br />
Seidel, Tina / Meyer, Lena / Dalehefte, Inger Marie: »Das ist mir in der St<strong>und</strong>e<br />
gar nicht aufgefallen …« – Szenarien zur Analyse von Unterrichtsaufzeichnungen,<br />
in: Manuela Welzel / Helga Stadler (Hrsg.), 2005, S. 133–154<br />
© 2010 <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 978-3-525-70107-2 — ISBN E-Book: 978-3-647-70107-3
Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
24 Matthias Trautmann / Julia Sacher<br />
Sherin, Miriam Gamoran: New Perspectives on the Role of Video in Teacher<br />
Education, in: Jere Brophy (Hrsg.), 2004, S. 1–27<br />
Sherin, Miriam Gamoran / Han, Sandra: Teacher learning in the context of a<br />
video club, in: Teaching and Teacher education 20 (2004), S. 163–183<br />
Sherin, Miriam Gamoran / van Es, Elisabeth: Using video to support teacher’s<br />
ability to notice classroom interactions. In: Journal of Technology and<br />
Teacher Education, 13 (2005), H. 3, S. 475–491<br />
Welzel, Manuela / Stadler, Helga (Hrsg.): Nimm doch mal die Kamera! Zur<br />
Nutzung von Videos in der Lehrerbildung – Beispiele <strong>und</strong> Empfehlungen<br />
aus den Naturwissenschaften, Münster 2005<br />
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Matthias Trautmann / Julia Sacher, Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback<br />
Teil I:<br />
Videofeedback als Konzept<br />
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Videoaufnahmen des eigenen oder fremden Unter -<br />
richts bieten eine Möglichkeit zur Professionalisierung<br />
für Lehrkräfte aller Schulformen <strong>und</strong><br />
-stufen. Denn Bilder mehr oder weniger gelungenen<br />
alltäglichen Unterrichts können die Selbstreflexion<br />
<strong>und</strong> das Gespräch unter Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen<br />
anregen.<br />
Am Beispiel eines Praxisforschungsprojekts am<br />
Oberstufen-Kolleg Bielefeld zeigen die Beiträge in<br />
diesem Sammelband, wie Unterrichtsentwicklung<br />
mithilfe von Videofeedback gelingen kann <strong>und</strong> auf<br />
welche Herausforderungen ein solches Unterfangen<br />
trifft.<br />
Die Herausgeber<br />
Julia Sacher M.A., Universität Bielefeld, <strong>und</strong><br />
Matthias Trautmann, Professor für Schulpädagogik<br />
<strong>und</strong> Allgemeine Didaktik an der Universität Siegen.<br />
www.v-r.de