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Verlangt der demografische Wandel eine neue Zuordnung der ...

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Kluth, <strong>Verlangt</strong> <strong>der</strong> <strong>demografische</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>eine</strong> <strong>neue</strong> zuordnung <strong>der</strong> Gesundheitsleistungen? MedR (2010) 28: 372−378 373<br />

zu kommt <strong>eine</strong> Betrachtung aus <strong>eine</strong>r Metaebene, wenn<br />

es etwa darum geht, das Gesundheits­ und Sozialrecht als<br />

teilbereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts zu qualifizieren<br />

2 . Daran wird deutlich, dass den strukturellen Rahmenbedingungen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e den durch Wettbewerb<br />

erzeugten Wirtschaftlichkeitsanreizen, sowie den nichtärztlichen<br />

Leistungen im Gesundheitswesen, die lange zeit<br />

ein rechtswissenschaftliches Schattendasein führten, <strong>eine</strong><br />

wachsende Bedeutung zukommt.<br />

Als wichtigste Auslöser des (erfor<strong>der</strong>lichen) strukturellen<br />

<strong>Wandel</strong>s im Gesundheitswesen werden in <strong>der</strong> Regel die<br />

durch den technischen fortschritt bedingte Kostenexplosion<br />

und <strong>der</strong> demographische <strong>Wandel</strong> (höherer Anteil alter<br />

Menschen mit vermehrter inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen<br />

3 ) angeführt. Der Bundesgesetzgeber<br />

hat darauf bereits in den vergangenen Jahren mit <strong>eine</strong>r<br />

Vielzahl von thematisch eng begrenzten Maßnahmen 4 reagiert,<br />

die neben Kürzungen im Leistungskatalog <strong>der</strong> Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung auch auf die Stärkung des<br />

Wettbewerbs im System abzielen 5 . in diesem zusammenhang<br />

haben sich auch die Stellung und das Selbstverständnis<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsberufe in mehrfacher Hinsicht verän<strong>der</strong>t.<br />

Sie unterliegen stärker als bislang expliziten Wirtschaftlichkeitsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

6 , die in <strong>der</strong> Einrichtung des instituts<br />

für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(iQWiG) 7 auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> §§ 139a ff. SGB V ihren<br />

sichtbaren und wirksamen Ausdruck gefunden haben. Darüber<br />

hinaus sind sie auch im Hinblick auf Qualität und<br />

Eigenverantwortlichkeit <strong>der</strong> Leistungserbringung höheren<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen unterworfen. Die dominierende Rolle des<br />

ärztlichen Berufsstandes soll – nicht zuletzt zur Senkung<br />

<strong>der</strong> Kosten – durch <strong>eine</strong> vermehrte Delegation und Substitution<br />

einzelner tätigkeiten durch an<strong>der</strong>e qualifizierte<br />

Gesundheitsberufe abgeschwächt werden 8 .<br />

Exemplarisch zum Ausdruck kommt diese Entwicklung<br />

in <strong>eine</strong>m Gesetzesantrag des Landes nordrhein­Westfalen<br />

zur Einführung <strong>eine</strong>r Modellklausel in die Berufsgesetze<br />

<strong>der</strong> Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten<br />

und Rettungsassistenten vom 18. 4. 2008 9 . ziel des<br />

Vorschlags war es unter an<strong>der</strong>em, den zugang zu diesen Berufen<br />

über ein fachhochschulstudium zu ermöglichen und<br />

auf diese Weise den Ausbildungsstandard anzuheben und<br />

an das europäische Ausland anzupassen. Dort sind nämlich<br />

schon seit vielen Jahren ein höherer Ausbildungsstand und<br />

<strong>eine</strong> höhere Eigenständigkeit an<strong>der</strong>er Gesundheitsberufe<br />

zu verzeichnen 10 . zudem soll durch die verbesserte Eigenständigkeit<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsberufe etwaigen Versorgungslücken<br />

und ­engpässen im Bereich <strong>der</strong> ärztlichen Versorgung<br />

vorgebeugt werden 11 .<br />

Vor diesem Hintergrund wird nachstehend <strong>der</strong> Versuch<br />

unternommen, nach <strong>eine</strong>m knappen Überblick zum Status<br />

quo <strong>der</strong> Gesundheitsberufe die Auswirkungen des <strong>demografische</strong>n<br />

<strong>Wandel</strong>s bei <strong>der</strong> nachfrage von Gesundheitsdienstleistungen<br />

sowie den Rahmen für <strong>eine</strong> Anpassung<br />

des Berufsrechts von Gesundheitsberufen zu ermitteln. Dabei<br />

soll <strong>der</strong> zuordnung <strong>der</strong> verschiedenen Gesundheitsberufe<br />

zum Ärztestand beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit geschenkt<br />

werden.<br />

II. Die aktuelle Struktur<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsdienstleistungen<br />

1. Die Verteilung <strong>der</strong> Gesetzgebungskompetenzen<br />

Das deutsche Gesundheitswesen ist traditionell durch <strong>eine</strong><br />

zersplitterung <strong>der</strong> Gesetzgebungskompetenzen für die Gesundheitsberufe<br />

geprägt 1 2 . Bei den Heilberufen, zu denen<br />

das BVerfG auch die Altenpflege rechnet 13 , ist <strong>der</strong> Bund<br />

gem. Art. 74 Abs. 1 nr. 19 GG „nur“ für die Regelung <strong>der</strong><br />

Ausbildung und <strong>der</strong> eng damit verbundenen zulassungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

zuständig, während die Berufsausübung<br />

einschließlich <strong>der</strong> fortbildung etwa zum facharzt 14 durch<br />

die Län<strong>der</strong>, vor allem in den Heilberufsgesetzen, geregelt<br />

wird. Das gleiche gilt für die Heilgewerbe, die überwiegend<br />

landesgesetzlich geregelt sind 15 . Hinzu kommen die<br />

fünf klassischen Gesundheitshandwerke, die in <strong>der</strong> Handwerksordnung<br />

verankert sind und die auf <strong>der</strong> Gesetzgebungskompetenz<br />

für das Recht <strong>der</strong> Wirtschaft nach Art. 74<br />

Abs. 1 nr. 11 GG beruhen. unterfüttert wird das gesamte<br />

Spektrum mit unterschiedlicher intensität durch harmonisierende<br />

Regelungen in <strong>der</strong> Berufsanerkennungsrichtlinie<br />

<strong>der</strong> Europäischen union 16 , die für die Ärzte, zahnärzte,<br />

Apotheker, Hebammen und Krankenschwestern in<br />

den Artt. 24 ff. spezielle Vorgaben aus früheren sektoralen<br />

Richtlinien enthalten 17 . Diese beziehen sich auf die jeweilige<br />

Berufsqualifikation und <strong>der</strong>en gegenseitige Anerkennung<br />

in den Mitgliedsstaaten.<br />

neben diesen genuin berufsrechtlichen Regelungen<br />

kennt das deutsche Recht mit den berufsbezogenen Regelungen<br />

des SGB V indes noch <strong>eine</strong> zweite bundesgesetzliche<br />

Regelungsebene, die aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> zulassung<br />

zur Leistungserbringung im Rahmen <strong>der</strong> GKV prägend auf<br />

die Gesundheitsberufe einwirkt und dabei <strong>der</strong>en Berufsausübung<br />

steuert 18 . Wegen des Vorrangs des Bundesrechts<br />

2) Dazu grundlegend Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht,<br />

2005.<br />

3) Dazu zugespitzt Schirrmacher, Das Methusalem­Komplott, 2. Aufl.<br />

2006, S. 124 ff.; ausgewogener Birg, Die demographische zeitenwende,<br />

4. Aufl. 2005, S. 184 ff.; allgem<strong>eine</strong>r zu den Entwicklungen<br />

Kaufmann, Schrumpfende Gesellschaft, 2005, S. 95 ff.; speziell<br />

zu medizinischen Aspekten Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Alter als<br />

Last und Chance, 2005; zu dem damit verbundenen Szenario <strong>der</strong><br />

Rationierung Zitter, Rationierung in <strong>der</strong> Altersmedizin?, 2001.<br />

4) Knappe Übersicht zu den einzelnen Reformschritten bei Quaas/<br />

Zuck (fn. 1), § 4, Rdnrn. 50 ff.<br />

5) zu <strong>eine</strong>m Aspekt des verschärften Wettbewerbs: Kluth, Verfassungs­<br />

und europarechtliche fragen <strong>eine</strong>r gesetzlichen Beschränkung<br />

<strong>der</strong> Abgabe von Hilfsmitteln durch Ärzte, 2004.<br />

6) näher Kluth, MedR 2005, 65 ff. zu den damit verbundenen folgen<br />

für das ärztliche Berufsbild: Gesellensetter, Die Annäherung<br />

des freien Arztberufes an das Gewerbe, 2007.<br />

7) S. www.iqwig.de sowie Sawicki, MedR 2005, 389 ff.; Genzel,<br />

ArztR 2006, 228 ff.; Quaas/Zuck (fn. 1), § 9, Rdnrn. 24 f.<br />

8) Dazu auch Bergmann, MedR 2009, 1 ff.<br />

9) BR­Dr. 256/08. Der Vorschlag fand indes k<strong>eine</strong> Mehrheit. Weniger<br />

weit reichende Erweiterungen von beruflichen zuständigkeiten<br />

im Bereich <strong>der</strong> Delegation und Substitution ärztlichen<br />

Handelns wurden kurz danach durch das Pflege­Weiterentwicklungsgesetz<br />

vorgenommen, G. v. 1. 7. 2008, BGBl. i S. 874.<br />

S. dazu auch Bergmann, MedR 2009, 1, 3.<br />

10) So sind in den romanischen Län<strong>der</strong>n die Pflegeberufe und <strong>der</strong><br />

Hebammenberuf seit langer zeit durch <strong>eine</strong> Hochschulausbildung<br />

für <strong>eine</strong> weiter gehende Selbständigkeit bestimmt. zu den<br />

unterschiedlichen Qualifikationen im Bereich <strong>der</strong> Augenoptik<br />

s. Kluth, Rechtliche Rahmenbedingungen <strong>eine</strong>r neupositionierung<br />

des Augenoptikerberufs in Deutschland, 2008, S. 21 ff.;<br />

<strong>der</strong>s., GewArch 2009, 110 ff.<br />

11) zu Versorgungslücken bei den Ärzten allgemein fAz nr. 235 v.<br />

20. 20. 2007, S. 13. Speziell zu Versorgungslücken bei Augenärzten<br />

Ärzte­zeitung v. 17. 3. 2008. zur Entwicklung <strong>der</strong> zahl <strong>der</strong><br />

Ärzte insgesamt Bergmann, MedR 2009, 1, unter Hinweis auf das<br />

Krankenhausbarometer.<br />

12) Übersicht bei Quaas/Zuck (fn. 1), § 2, Rdnrn. 27 ff.<br />

13) BVerfGE 106, 62 ff.<br />

14) zu <strong>der</strong> in diesem Bereich bestehenden Ausgestaltungsbefugnis<br />

<strong>der</strong> Berufskammern s. grundlegend BVerfGE 33, 125 ff.<br />

15) zu Einzelheiten Schnitzler, Das Recht <strong>der</strong> Heilberufe, 2004,<br />

S. 53 ff.<br />

16) Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des<br />

Rates v. 7. 9. 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen,<br />

ABlEu nr. L 255/22. S. dazu auch Kluth/Rieger, EuzW<br />

2005, 486 ff.<br />

17) zu Einzelheiten Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EuV/EGV,<br />

Kommentar, 3. Aufl. 2007, Art. 52, Rdnrn. 49 ff.<br />

18) Übersicht bei Quaas/Zuck (fn. 1), § 12 sowie §§ 17 ff.

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