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Verlangt der demografische Wandel eine neue Zuordnung der ...

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Kluth, <strong>Verlangt</strong> <strong>der</strong> <strong>demografische</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>eine</strong> <strong>neue</strong> zuordnung <strong>der</strong> Gesundheitsleistungen? MedR (2010) 28: 372−378 377<br />

Die mit den Begrifflichkeiten für Gesundheitsberufe implizierte<br />

hierarchische Position <strong>der</strong> Ärzte im Gesundheitssystem<br />

steht <strong>eine</strong>m mo<strong>der</strong>nen, auf Kooperation gegründeten<br />

Verständnis von zusammenarbeit <strong>der</strong> Gesundheitsberufe<br />

im Wege, in dem gleichwohl eindeutige Verantwortlichkeiten<br />

bestehen 52 . Allerdings ist zu beobachten, dass nicht<br />

zuletzt durch die Gutachten des Sachverständigenrates die<br />

Einsicht in die notwendigkeit von Anpassungen langsam<br />

steigt, so dass auch bei denjenigen Berufsgruppen, die bislang<br />

<strong>eine</strong> Beeinträchtigung eigener finanzieller o<strong>der</strong> ideeller<br />

interessen befürchteten, <strong>eine</strong> sachliche Diskussion über<br />

Anpassungsmöglichkeiten begonnen hat. im folgenden<br />

wird <strong>der</strong> dabei zu beachtende verfassungsrechtliche Rahmen<br />

in den Blick genommen.<br />

IV. Der verfassungsrechtliche Rahmen<br />

des Anpassungsprozesses<br />

1. Der grundrechtliche Rahmen<br />

zentraler verfassungsrechtlicher Orientierungspunkt für<br />

die Verän<strong>der</strong>ung von Berufsbil<strong>der</strong>n ist das in Art. 12 Abs. 1<br />

GG verankerte Grundrecht <strong>der</strong> Berufsfreiheit 5 3 . Es dient<br />

aus <strong>eine</strong>r marktorientierten Betrachtungsweise, wie sie<br />

insbeson<strong>der</strong>e den EG­Grundfreiheiten und dem Binnenmarkt<br />

zugrunde liegt 5 4 , als Maßstab für die Verän<strong>der</strong>ung<br />

des „Marktzugangs“ (Berufswahl) und des „Marktverhaltens“<br />

(Berufsausübung). neben <strong>der</strong> freiheit <strong>der</strong> Anbieter<br />

von Gesundheitsdienstleistungen kommt aus verfassungsrechtlicher<br />

Perspektive allerdings auch <strong>der</strong> Schutzpflicht aus<br />

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG <strong>eine</strong> beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Rechtfertigung von subjektiven zugangsbeschränkungen<br />

(Anfor<strong>der</strong>ungen an die Berufsqualifikation)<br />

sowie <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> Berufsausübung (ärztliches<br />

Berufsrecht als Kehrseite von Patientenrechten) 55 .<br />

Verän<strong>der</strong>ungen bei den Berufszugangsanfor<strong>der</strong>ungen bedürfen<br />

<strong>eine</strong>r ausreichenden sachlichen Rechtfertigung. Sollen<br />

z. B. für bislang als Ausbildungsberufe konzipierte Gesundheitsberufe<br />

fachhochschulabschlüsse vorgeschrieben<br />

werden 5 6 , so muss <strong>der</strong> nachweis erbracht werden, dass die<br />

bisherigen Ausbildungsformen k<strong>eine</strong> adäquate Qualifikation<br />

vermitteln, o<strong>der</strong> <strong>eine</strong> Öffnung für <strong>eine</strong>n Berufszugang<br />

auch auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>eine</strong>r strukturierten Ausbildung<br />

vorgesehen wird. Dies entspricht auch <strong>der</strong> Regelungssystematik<br />

<strong>der</strong> Berufsanerkennungsrichtlinie. Denkbar ist aber<br />

auch <strong>eine</strong> „zweiteilung“ von Berufsbil<strong>der</strong>n, indem nur den<br />

besser qualifizierten Berufsträgern ein erweitertes tätigkeitsspektrum<br />

mit ggf. besseren Vergütungsmöglichkeiten<br />

eröffnet wird. Eine solche differenzierende Regelung wäre<br />

auch für <strong>eine</strong> Übergangsregelung naheliegend.<br />

<strong>neue</strong> Berufsbil<strong>der</strong> werden in <strong>der</strong> Regel 5 7 durch den<br />

Gesetzgeber entwickelt. nur er kann sie auch verbindlich<br />

umsetzen, d. h. die damit verbundenen Qualifikationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

als zwingende Voraussetzung <strong>eine</strong>r Berufswahl<br />

vorschreiben 5 8 . Die Entwicklung <strong>der</strong> letzten Jahre<br />

hat aber gezeigt, dass die initiative zur Entwicklung <strong>neue</strong>r<br />

Berufsbil<strong>der</strong> zunehmend von den Berufen selbst und den<br />

Bildungseinrichtungen, vor allem Hochschulen 59 , ausgeht.<br />

Diese können durch <strong>neue</strong> Studiengänge zugleich <strong>neue</strong><br />

Berufsbil<strong>der</strong> entwickeln, die sich zunächst innerhalb des<br />

geltenden Rechts am Markt bewähren müssen. Wie das<br />

Beispiel <strong>der</strong> rechtsberatenden Berufe gezeigt hat, kann ein<br />

bestimmter Ausbildungsstandard <strong>eine</strong>r nicht ganz unerheblichen<br />

Berufsgruppe zugleich den Gesetzgeber zur Marktöffnung<br />

zwingen 6 0 . Pauschale Anwalts­ o<strong>der</strong> Arztvorbehalte<br />

sind gegenüber Berufsträgern, die jedenfalls für <strong>eine</strong>n<br />

teil <strong>der</strong> vom Vorbehalt erfassten tätigkeiten ausreichend<br />

qualifiziert sind, im zweifel unverhältnismäßig.<br />

für die Gesundheitsdienstleistungen bedeutet dies, dass<br />

<strong>eine</strong> höhere Qualifikation einzelner Berufe sich auch bei<br />

<strong>der</strong> Aufgabenabgrenzung zum ärztlichen Berufsbild aus­<br />

wirken wird. indem das BVerfG 61 den impliziten Arztvorbehalt<br />

des HeilPrG eng auslegt und <strong>eine</strong> auf gesetzlicher<br />

Regelung basierende Qualifikation ausreichen lässt,<br />

um ihn zu durchbrechen, wird letztlich diesem umstand<br />

Rechnung getragen. Eine lediglich tatsächlich vorliegende<br />

Qualifikation reicht dabei jedoch nicht aus. Sie kann<br />

allenfalls den Gesetzgeber zu <strong>eine</strong>r nachregulierung<br />

verpflichten.<br />

2. Neuordnung <strong>der</strong> Gesetzgebungskompetenzen?<br />

Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> erheblichen zerklüftung des<br />

Berufsrechts <strong>der</strong> Gesundheitsberufe muss auch die frage<br />

nach <strong>der</strong> angemessenen zuweisung <strong>der</strong> Gesetzgebungskompetenzen<br />

jenseits aller fö<strong>der</strong>alistischen Arithmetik<br />

gestellt werden. nicht nur das nebeneinan<strong>der</strong> von Bundes­<br />

und Landesrecht, son<strong>der</strong>n die zweiteilung vieler<br />

Berufsrechte zwischen bundes­ und landesgesetzlichen<br />

Regelungsbestandteilen (bei den Heilberufen) sowie das<br />

Überwölben <strong>der</strong> berufsrechtlichen Regelungen durch die<br />

berufsbezogenen sozialrechtlichen Vorgaben erschweren<br />

<strong>eine</strong> Gesamtkoordination ganz erheblich. Je mehr es deshalb<br />

bei <strong>der</strong> Weiterentwicklung des Gesundheitswesens<br />

darauf ankommt, Koordination und Kooperation <strong>der</strong> Gesundheitsberufe<br />

zu verbessern, wird man auch über die<br />

Kompetenzfrage vorurteilsfrei nachdenken müssen. Dabei<br />

wird nicht verkannt, dass auch <strong>der</strong> kooperative fö<strong>der</strong>alismus<br />

deutscher Prägung leistungsfähig ist. Dieses Modell<br />

leidet aber unter den zahlreichen Veto­Akteuren, die vor<br />

allem im Bereich des Gesundheitswesens zahlreich anzutreffen<br />

sind.<br />

V. Weitere Rahmenbedingungen <strong>eine</strong>r Neuordnung<br />

1. Höherpositionierung von bislang<br />

nicht-akademischen Gesundheitsberufen<br />

Bei einigen Ausbildungsgesundheitsberufen haben sich inzwischen<br />

fachhochschulstudiengänge etabliert 6 2 . Die Regelung<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Studiengänge ist Län<strong>der</strong>sache,<br />

denn es handelt sich hier um berufliche Weiterbildungen.<br />

So finden sich fachhochschulstudiengänge (z. B. für Pflegefachkräfte,<br />

Physiotherapeuten o<strong>der</strong> Ergotherapeuten), die<br />

zum Erwerb <strong>eine</strong>s Diploms, Bachelors o<strong>der</strong> Masters führen,<br />

sowie einige pflegespezifische universitäre Studiengänge 6 3 .<br />

52) SVR­Gesundheit (fn. 22), nr. 73.<br />

53) Aktuelle Bestandsaufnahme bei Bulla, freiheit <strong>der</strong> Berufswahl,<br />

2009.<br />

54) zur Relevanz des Grundrechts <strong>der</strong> Berufsfreiheit für das Binnenmarktziel<br />

Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte<br />

und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 16, Rdnr. 2.<br />

55) S. dazu Kluth, Die verfassungsrechtliche und europarechtliche<br />

Verankerung von Patientenrechten, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.),<br />

Arzt und Patient. Eine Beziehung im <strong>Wandel</strong>, 2006, S. 125 ff.<br />

56) Etwa für den Optometristen als höher qualifizierten Augenoptiker,<br />

s. Kluth, GewArch 2009, 110 ff.<br />

57) Private Berufsverbände leisten dabei <strong>eine</strong> wichtige Vorarbeit, auf<br />

die <strong>der</strong> Gesetzgeber nicht selten zurückgreift.<br />

58) S. zum Beruf des Altenpflegers BVerfGE 106, 62 ff.<br />

59) Den Hochschulen steht das Recht zur Entwicklung <strong>neue</strong>r Studiengänge<br />

zu, das die Entwicklung <strong>neue</strong>r Berufsbil<strong>der</strong> einschließt.<br />

S. dazu auch Schnellenbach, Studium und Prüfung, in: Hartmer/<br />

Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 2004, S. 378 ff.; Thieme, Deutsches<br />

Hochschulrecht, 3. Auf. 2004, S. 251 ff.<br />

60) S. dazu näher BVerfG, nJW 2002, 3531.<br />

61) BVerfG (K), nJW 2000, 2736.<br />

62) Man sollte dies nicht pauschal als Akademisierung bezeichnen,<br />

da unter <strong>eine</strong>r akademischen Ausbildung in <strong>der</strong> Regel die universitäre<br />

Ausbildung mit <strong>eine</strong>r wissenschaftlichen Ausrichtung<br />

verstanden wird.<br />

63) SVR­Gesundheit (fn. 22), nr. 82.

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