Potsdam 2010 - Gartenstadt Drewitz
Potsdam 2010 - Gartenstadt Drewitz
Potsdam 2010 - Gartenstadt Drewitz
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Kulturhauptstadt Europas <strong>2010</strong><br />
<strong>Potsdam</strong> weckt Visionen<br />
<strong>Potsdam</strong><strong>2010</strong>
<strong>Potsdam</strong><strong>2010</strong><br />
Bewerbung zur<br />
Kulturhauptstadt Europas <strong>2010</strong><br />
<strong>Potsdam</strong> weckt Visionen<br />
Unter der Schirmherrschaft<br />
der Bürgerschaft <strong>Potsdam</strong>s
Bewerbung
<strong>Potsdam</strong> weckt Visionen<br />
Die Bewerbungsschrift <strong>Potsdam</strong>s als<br />
Kulturhauptstadt Europas <strong>2010</strong> besteht<br />
aus zwei Teilen.<br />
Der erste Teil präsentiert im ersten<br />
Kapitel, vor dem Hintergrund der bewegten<br />
Geschichte, die herausragenden Merkmale<br />
der Stadt <strong>Potsdam</strong> – Landschaft,<br />
Architektur und Film.<br />
Im zweiten Kapitel wird die alles<br />
verbindende Gemeinsamkeit ausgeführt:<br />
<strong>Potsdam</strong> – eine Insel für Visionen.<br />
Der Grund, warum <strong>Potsdam</strong> die ideale<br />
Kulturhauptstadt ist.<br />
Kultur, Wissenschaft und Stadtentwicklung<br />
– die wichtigsten Potenziale<br />
für die erfolgreiche und viel versprechende<br />
Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres<br />
– sind schließlich im dritten Kapitel<br />
beschrieben.<br />
Der zweite Teil der Bewerbungsschrift<br />
bietet einen dokumentierenden Blick<br />
in die Stadt. Dabei werden Fragen statistischer<br />
Art beantwortet, konkrete<br />
Vorhaben und Ideen skizziert sowie Umsetzungskonzepte<br />
dargelegt.
Inhalt<br />
014 <strong>Potsdam</strong> gehört Europa<br />
Eine Einführung<br />
020 <strong>Potsdam</strong>: Die Bausteine von morgen<br />
Was <strong>Potsdam</strong> einzigartig macht und wie es dazu kam<br />
030 Baustein 1: Von der Landschaft zum Paradies auf Erden<br />
036 Baustein 2: Vom märkischen Sand zur europäischen Baukultur<br />
042 Baustein 3: 100 Jahre Film<br />
048 <strong>Potsdam</strong>: Eine Insel für Visionen<br />
Warum nur <strong>Potsdam</strong> Kulturhauptstadt werden kann<br />
054 <strong>Potsdam</strong>: Die Kulturlandschaft<br />
Längst auf dem Weg nach Europa<br />
058 Kunst und Kultur<br />
076 Wissenschaften<br />
088 Stadtentwicklung<br />
100 <strong>Potsdam</strong>: Vor allem wunderschön!<br />
Ein Ausblick<br />
105 Dokumentation<br />
110 Einführung 112 Beispiele und Denkanstösse 128 Die Kommune lebt, wo Kultur wächst 132 <strong>Potsdam</strong>er Kultur im Überblick<br />
140 Internationales Kultur-Netzwerk 146 Kulturtourismus 148 <strong>Potsdam</strong> und Brandenburg 152 Die Bewerbung <strong>Potsdam</strong>s<br />
158 Bewerbungskriterien / Verzeichnis 160 Impressum
<strong>Potsdam</strong> gehört Europa<br />
Eine Einführung<br />
<strong>Potsdam</strong> begriff sich schon immer<br />
als eine der Kulturstädte Europas. Das<br />
war zu Zeiten des Alten Fritz genauso wie<br />
im Europa der Gegenwart. <strong>Potsdam</strong> hat<br />
Europa viel zu verdanken, nicht zuletzt<br />
die Integration in das kulturelle Bündnis<br />
der Europäischen Union nach dem Fall<br />
der Mauer im Jahr 1989. Schon immer<br />
begegneten sich in <strong>Potsdam</strong> Geschichte<br />
und Gegenwart. Hier wurden darüber<br />
hinaus Pläne und Projekte für die Zukunft<br />
erdacht, Visionen entworfen, initiiert<br />
und realisiert.<br />
16<br />
Wer über <strong>Potsdam</strong> nachdenkt,<br />
der erinnert sich vielleicht an<br />
Lennésche Gartengestaltungen:<br />
Adlerkopf im Schlosspark<br />
Sanssouci
Ein wesentlicher Bestandteil der <strong>Potsdam</strong>er Visionen, wie sie von Friedrich<br />
dem Großen über Albert Einstein bis heute erdacht wurden, ist die Vorstellung<br />
davon, wie die Welt einmal aussehen soll. Aufbauend auf der europäischen<br />
Geschichte, die man überall in <strong>Potsdam</strong> erfahren kann, wird genau hier – im<br />
Zentrum des „alten Kontinents“ – die „Vision Europa“ für das 21. Jahrhundert<br />
entwickelt.<br />
Das Laboratorium <strong>Potsdam</strong> zeigt auf beeindruckende Weise, dass Kultur<br />
mehr ausmacht, als Konzerte, Vernissagen und Theater. <strong>Potsdam</strong> hat eine<br />
Kulturlandschaft zum Anfassen. Ihre Gebäude und Gärten, die Menschen und<br />
ihre Ideen gehören ebenso zum kulturellen Ensemble dieser Stadt. Das macht<br />
sie einzigartig. In ganz Europa.<br />
So sind die kulturellen Zusammenhänge in <strong>Potsdam</strong> auf vielfältige Weise<br />
erlebbar: In historischer, in räumlicher und in visionärer Dimension. Das Jahr<br />
<strong>2010</strong> stellt vor diesem Hintergrund einen guten Zeitpunkt dar, das vergangene<br />
20. Jahrhundert mit ein wenig Distanz zu betrachten und auszuwerten, um<br />
gleichzeitig den Blick nach vorne zu richten, in das 21. Jahrhundert. <strong>Potsdam</strong><br />
ist – gerade zu diesem Zeitpunkt – der ideale Ort für die Präsentation kultureller<br />
Traditionen im europäischen Maßstab und gleichzeitig für die Entwicklung<br />
von Visionen eines Europas von morgen.<br />
18<br />
<strong>Potsdam</strong> als Kulturhauptstadt Europas <strong>2010</strong> wäre eine geeignete Wahl:<br />
Wo sonst kann man sich auf Schritt und Tritt in vergleichbarer Weise inspirieren<br />
lassen? Von Ideen, die keine Theorien geblieben, sondern Realität geworden<br />
sind. Wo sonst kann man eine Stadt im Wandel beobachten, förmlich<br />
einem „work in progress“ beiwohnen, in dem die großen Herausforderungen<br />
einer einzigartigen Kulisse von Denkmalpflege und Stadtentwicklung gemeistert<br />
werden? <strong>Potsdam</strong> bietet der Kultur Raum im doppelten Sinne des Wortes:<br />
Einerseits als Stadt- und Landschaftsraum, andererseits als gedanklicher Raum<br />
der Inspiration, als geistige Bühne für neue Visionen. In <strong>Potsdam</strong> kann die<br />
Kultur Brücken schlagen. Hier klingt die Melodie der europäischen Verständigung<br />
hell und klar.<br />
<strong>Potsdam</strong> <strong>2010</strong> ist der richtige Ort für Künstler und Kulturschaffende.<br />
Hier können sie ihre Visionen entwerfen und einer europäischen Öffentlichkeit<br />
präsentieren. Die Wahl zur Kulturhauptstadt Europas gäbe <strong>Potsdam</strong> die Chance,<br />
kulturelle Eigenarten aus ganz Europa zusammenzubringen, mit dem Ziel,<br />
dem europäischen Kulturbegriff eine neue Bedeutung, eine Vision, zu geben.<br />
<strong>Potsdam</strong> lädt die Weltöffentlichkeit ein, ein ganzes Jahr lang eine bedeutende<br />
europäische Kulturlandschaft zu genießen. Mehr noch: Teil von ihr zu werden.
<strong>Potsdam</strong>: Kein Wunder<br />
Wer an <strong>Potsdam</strong> denkt, denkt an Schlösser und Gärten, Fürsten und<br />
Könige, Jauch und Joop, Metropolis und Sonnenallee, das <strong>Potsdam</strong>er Abkommen<br />
und die Glienicker Brücke.<br />
Wer über <strong>Potsdam</strong> nachdenkt, erinnert sich vielleicht an Preußische Tugenden<br />
und das Toleranzedikt, an Voltaire und den Antimacchiavelli, an Lennésche<br />
Gartengestaltungen und Schinkelsche Architektur, an das Holländische Viertel<br />
und die Russische Kolonie Alexandrowka, an Albert Einstein und den Telegrafenberg,<br />
an den Tag von <strong>Potsdam</strong> und die verlorene Historische Mitte, an den<br />
Filmmythos von Babelsberg, an die jüngste Wandlung vom Militärstandort zur<br />
Wissenschaftsstadt. Vielleicht erinnert er sich auch an die eine oder andere<br />
sportliche Höchstleistung.<br />
Wer in <strong>Potsdam</strong> denkt, denkt Gedanken, die noch niemand dachte. Wer an<br />
<strong>Potsdam</strong> im Jahr <strong>2010</strong> denkt, dem fällt ein, dass eigentlich nur diese Stadt<br />
Kulturhauptstadt Europas sein kann. Warum? Weil <strong>Potsdam</strong> Visionen weckt.<br />
Visionen sind die Grundlage aller Kunst und Kultur, sie haben Europa geschaffen<br />
und halten Europa zusammen.<br />
20<br />
<strong>Potsdam</strong> weckt Visionen - das ist Tradition und bestechende Eigenschaft<br />
dieser Stadt, die sich auf den Weg macht, die Zukunft zu entwickeln und<br />
umzusetzen. Denn <strong>Potsdam</strong> kennzeichnen nicht nur seine Gärten und Landschaftsgestaltung,<br />
die Schlösser- und Stadtarchitektur oder die Filmwelten<br />
von <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg. <strong>Potsdam</strong> steht seit Jahrhunderten für den geistigen<br />
und wissenschaftlichen Diskurs, für ebenso macht- wie verhängnisvolle<br />
Umbrüche in Politik, Gesellschaft und Kultur. Und es sind die <strong>Potsdam</strong>erinnen<br />
und <strong>Potsdam</strong>er selbst, sie leben ihre Geschichte, ihr Erbe, ihre Traditionen,<br />
und gestalten ihre Zukunft.
<strong>Potsdam</strong>: Die Bausteine von morgen<br />
Wenn du einen Stadtplan vom Paradies<br />
brauchst – komm nach <strong>Potsdam</strong>.<br />
Verklärend? Ein wenig. Aber wahr. Denn<br />
es war kein geringerer als der Große<br />
Kurfürst, der in der zweiten Hälfte des<br />
17. Jahrhunderts beschloss, dass<br />
„… das gantze Eylandt ein Paradies<br />
werden“ sollte.<br />
Und so wurde aus dem kleinen Ort Poztupimi, inselgleich von<br />
Wasser umflossen, die europäisch geprägte Kulturstadt<br />
<strong>Potsdam</strong>. Der Bau dieses Paradieses war eine Herausforderung<br />
für Bürger und Monarch gleichermaßen. Doch Fachleute waren<br />
durch die Verluste des 30-jährigen Krieges rar geworden.<br />
Um seinen Traum zu verwirklichen beschloss der Große Kurfürst<br />
kurzum, Gastarbeiter anzuwerben. Eine Art <strong>Potsdam</strong>er „Green<br />
Card“ war die Lösung. Mit dem Edikt von <strong>Potsdam</strong> im Jahre<br />
1685, bekannt als Toleranzedikt, war die Grundlage für die<br />
Ansiedlung von Arbeitskräften aus Frankreich, der Schweiz und<br />
Holland geschaffen. Da er ein umsichtiger und kluger Staatsmann<br />
war, sicherte der Große Kurfürst darüber hinaus den<br />
Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen und Nationalitäten<br />
Freiheit und Schutz zu und bot ihnen zudem steuerliche<br />
Vergünstigungen, Baugelder sowie Erbberechtigungen für<br />
neu erbaute Häuser.<br />
22<br />
Vom Dorf zur Residenz<br />
<strong>Potsdam</strong> wurde neben Berlin zweite Hauptresidenz der preussischen<br />
Herrscher. Es war ein Leichtes für die Stadt, die<br />
repräsentativen Anforderungen, die diese Rolle verlangte, zu<br />
erfüllen. Die Hohenzollern, die das Schicksal <strong>Potsdam</strong>s<br />
maßgeblich prägten, orientierten sich an europäischen Maßstäben.<br />
Sie betrauten führende Baumeister und Künstler<br />
mit wichtigen Aufträgen und sorgten dafür, dass <strong>Potsdam</strong> einen<br />
glänzenden Rahmen für die Politik Brandenburg-Preußens<br />
bilden konnte.<br />
Die politische Landkarte Europas gestaltete sich immer wieder<br />
neu, woran auch Preußen keinen geringen Anteil hatte. Dies<br />
ging freilich nicht ohne ein schlagkräftiges Heer. Wieder einmal<br />
war Hilfe von außerhalb nötig, um die Vorstellungen des Herrschers,<br />
diesmal Friedrich Wilhelms I., zu erfüllen. Es sollte nicht<br />
Eine Art <strong>Potsdam</strong>er „Green-Card“:<br />
Das Edikt von <strong>Potsdam</strong> aus<br />
dem Jahre 1685
24<br />
irgendeine Armee sein, es sollte eine preußische Mustertruppe<br />
werden. Aus ganz Europa wurden die „langen Kerls“ angeworben,<br />
die gleichermaßen für Bewunderung und Spott sorgten. Die<br />
Garnisonsstadt <strong>Potsdam</strong> war geboren. Von den <strong>Potsdam</strong>ern war<br />
wieder einmal Toleranz gefordert – zwei bis drei Grenadiere<br />
musste jeder Haushalt aufnehmen und versorgen. Die Belastung<br />
der Bürger war groß. Der König dankte es seinen Untertanen,<br />
indem er neue Stadtteile erschließen ließ und die Soldaten als<br />
Handwerker zum Häuserbau verpflichtete.<br />
Trifft Geist bald Macht<br />
Das Vorwärtsstreben, ein Überschreiten von Auffassungen<br />
und Bräuchen der Zeit charakterisiert Friedrich II., dessen wahr<br />
gewordener Traum des Schlosses Sanssouci bis heute ehrfürchtiges<br />
Staunen hervorruft. Sans souci, „ohne Sorge“, ungetrübt<br />
von lästigen Regierungsgeschäften wollte er hier seinen<br />
musischen Neigungen im geselligen Kreise berühmter Gelehrter<br />
und Aufklärer nachgehen. Der König baute zwar das Militärwesen<br />
seines Vaters weiter aus und führte folgenreiche Kriege,<br />
doch in <strong>Potsdam</strong> herrschten Glanz und schöngeistiges Leben.<br />
Zahllos sind die Namen berühmter Besucher – allen voran<br />
Voltaire, der bekannte Philosoph der französischen Aufklärung –<br />
Künstler, Musiker, Architekten und Gelehrte aus ganz Europa,<br />
die sich hier versammelten und der Stadt zu ihrem einzigartigen<br />
Gepräge verhalfen. Friedrich der Große nahm die Toleranzgedanken<br />
seiner Vorgänger auf und setzte sie fort, die Religions-<br />
freiheit und wirtschaftliche Anreize lockten viele ausländische<br />
Handwerker nach <strong>Potsdam</strong>.<br />
Prägend für das Stadtbild und insbesondere die Gesamtanlage<br />
<strong>Potsdam</strong>s wurde im 19. Jahrhundert die Berufung des Architekten<br />
Karl Friedrich Schinkel und des großen Landschaftsgärtners<br />
Peter Joseph Lenné. Sie konnten hier ihre Vorstellungen von<br />
Landschaft, Städtebau und Gärten im Auftrag der preußischen<br />
Könige umsetzen. Immer neue Schlösser und Landhäuser umkränzten<br />
die Stadt. Der Park von Sanssouci und der Neue<br />
Garten wurden in Tradition und Stil englischer Landschaftsgärten<br />
umgestaltet. Weite Blickachsen verbanden fortan die schönsten<br />
Ein „russisches Idyll“:<br />
Dachelement eines Blockhauses<br />
in der Kolonie Alexandrowka (oben)<br />
Wieder im neuen Glanz erstrahlt:<br />
Das Holländische Viertel (unten)<br />
Punkte der Stadt miteinander. Aus der Zusammenarbeit der<br />
beiden Künstler stammt auch die Struktur der Russischen<br />
Kolonie Alexandrowka, einer bis heute erhaltenen Attraktion<br />
<strong>Potsdam</strong>s. Ein „russisches Idyll“ mit Kirche und Popenhaus<br />
wurde geschaffen, benannt nach dem befreundeten Zaren<br />
Alexander.<br />
In den polnischen Teilungen im 18./19. Jahrhundert, noch heute<br />
polnisches Erinnerungsgut, wurden Teile des in der frühen<br />
Neuzeit machtpolitisch schwachen polnischen Staates zu Preussen<br />
geschlagen. Diese Grenzbewegung wurde im 20. Jahrhundert<br />
durch die Westverschiebung Polens umgekehrt.<br />
Auf dem Weg in die Moderne<br />
Die Freiheitsbewegung und die Revolution von 1848 gingen<br />
an Preußen und insbesondere <strong>Potsdam</strong> fast unmerklich vorbei,<br />
führten aber doch zu einem innenpolitischen Schritt von höchster<br />
Tragweite: Friedrich Wilhelm IV. unterzeichnete in Sanssouci<br />
die Verfassung, die Preußen in eine konstitutionelle Monarchie<br />
umwandelte.<br />
Untrennbar von den gesellschaftlichen Veränderungen ist die<br />
revolutionäre Wirkung der beginnenden Industrialisierung, der Entdeckungen<br />
und Neuerungen in Technik und Wissenschaft.<br />
<strong>Potsdam</strong> war Dank der königlichen Interessen auch hier besonders<br />
fortschrittlich: Bereits 1816 im Jahr fuhr das erste Dampfschiff<br />
Deutschlands zwischen Berlin und <strong>Potsdam</strong>, 1838 wurde<br />
der Eisenbahnverkehr zwischen Berlin und <strong>Potsdam</strong> aufgenommen,<br />
1832 errichtete die Berliner Telegrafenanstalt eine optische<br />
Telegrafenstation in <strong>Potsdam</strong>, an deren Stelle später das erste astro-<br />
physikalische Observatorium der Welt entstand. Ein geodätisches<br />
und ein meteorologisches Institut verstärkten diesen wissenschaftlichen<br />
Schwerpunkt, der schließlich mit dem Einsteinturm<br />
von 1920/21 zu einem Wissenschaftspark ausgebaut wurde.<br />
Die politischen Veränderungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts,<br />
die Gründung des Deutschen Reiches und die Kaiserkrönung<br />
Wilhelm I. stärkten das politische, internationale Gewicht
Preußens enorm. <strong>Potsdam</strong> erlebte als Zweitresidenz des Kaisers<br />
in der Gründerzeit nochmals eine bedeutende Erweiterung<br />
durch bürgerliche Villen und Landhäuser. Ein wahrhafter Vorstadt-<br />
boom setzte ein. Doch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges<br />
und der Abdankung des Kaisers ging ihre große Ära als Zentrum<br />
der höfischen Welt zu Ende. Für <strong>Potsdam</strong> war es an der Zeit,<br />
nach einer neuen Identität zu suchen.<br />
Schöner Schein und schlimme Folgen<br />
Mit den im Jahre 1912 in Neubabelsberg gegründeten Filmstudios<br />
entstand ein neues Lebensgefühl. Die Aufbruchstimmung<br />
der Zwanziger Jahre bekam ihren Ort, der Mythos<br />
Film ein Zuhause: <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg. Eine weitsichtige<br />
Leistung war die Gründung der Preußischen Schlösserverwaltung,<br />
die die ehemals königlichen Kunstschätze nun unter<br />
modernen denkmalpflegerischen Gesichtspunkten der Öffentlichkeit<br />
zugänglich machte.<br />
26<br />
<strong>Potsdam</strong>s Geschichte und deutschnationaler Nimbus ließ die<br />
Stadt zur Bühne einer besonderen Inszenierung im nationalsozialistischen<br />
Deutschland werden: Unter der Bezeichnung „Tag von<br />
<strong>Potsdam</strong>“ am 21. März 1933 ging die Reichstagseröffnung<br />
durch den Reichspräsidenten Hindenburg in die Geschichte ein.<br />
Bei dem Festakt in der Garnisonkirche wurde symbolisch der Bund<br />
zwischen Preußentum und Nationalsozialismus geschlossen.<br />
Die allgemeine Wehrpflicht und Aufrüstung machten <strong>Potsdam</strong><br />
im Dritten Reich wieder verstärkt zur Militär- und Kasernenstadt.<br />
Gemeinhin bekannt sind jedoch auch die Verknüpfungen<br />
des <strong>Potsdam</strong>er Militärs mit der Widerstandsbewegung um den<br />
20. Juli 1944 gegen das Naziregime, die Namen von Widerstandskämpfern<br />
wie Henning v. Tresckow oder Graf von Schwerin,<br />
die in jedem Schulbuch stehen. Bei der Reichspogromnacht oder<br />
der Judendeportation aber unterschied sich die Stadt nicht<br />
von anderen.<br />
Markenzeichen seiner Stadt,<br />
einst erster Bürger, heute<br />
beliebtes Mitbringsel: Friedrich<br />
der Große, dutzendfach als<br />
Souvenir (links)<br />
Hier entschied sich 1945<br />
Europas Schicksal: Tagungsort<br />
der <strong>Potsdam</strong>er Konferenz im<br />
Schloss Cecilienhof (unten)
...das gantze Eylandt soll ein<br />
Paradies werden: „Verschoenerungsplan<br />
von <strong>Potsdam</strong> und Umgebung“<br />
von Peter Joseph Lenné, 1833<br />
28<br />
Im April 1945 wurden weite Teile der historischen Innenstadt in<br />
Schutt und Asche gelegt. Wenige Monate später war Schloss<br />
Cecilienhof Tagungsort der <strong>Potsdam</strong>er Konferenz. Die Vertreter<br />
der Siegermächte Churchill, Stalin und Truman entschieden über<br />
das Schicksal Deutschlands. Sie legten die Oder-Neiße-Linie<br />
als neue Ostgrenze fest und beschlossen die Umsiedlung von<br />
Millionen Menschen – Entscheidungen, die bis heute europaweit<br />
nachwirken.<br />
Der Sozialismus prägt<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte auch <strong>Potsdam</strong> einen großen<br />
Wechsel in der Bevölkerung. Viele Bewohner waren vor dem<br />
Krieg und den einrückenden sowjetischen Truppen geflüchtet.<br />
Der Versuch einer demokratischen Neuordnung scheiterte, 1952<br />
wurde <strong>Potsdam</strong> Bezirkshauptstadt der DDR. Die Akademie für<br />
Staat und Recht wurde eine der Kaderschmieden der DDR, die<br />
Hochschule in Golm zum Ausbildungszentrum der Stasi, bereits<br />
1948 war die Pädagogische Hochschule zur Ausbildung der<br />
Lehrer gegründet worden.<br />
Wer nach dem Mauerbau 1961 von <strong>Potsdam</strong> aus Ost-Berlin,<br />
die Hauptstadt der DDR, besuchen wollte, musste Berlins<br />
Westen weiträumig umfahren, häufig mit dem so genannten<br />
„Sputnik“, einem doppelstöckigen Zug. Der Hauptbahnhof wurde<br />
an die Peripherie der Stadt gelegt.<br />
Durch den Krieg waren große Teile des historischen Erbes in<br />
Mitleidenschaft gezogen worden. Wurde beim Wiederaufbau der<br />
zerstörten Innenstadt anfangs auf die Stadtstruktur geachtet,<br />
so wurde diese später bewusst überformt, um den „Geist von<br />
<strong>Potsdam</strong>“ auszurotten. Markanteste Beispiele sind die Spreng-<br />
ung der Ruine des Stadtschlosses und der Garnisonkirche, die<br />
beide restaurierbar gewesen wären, die Neubebauung der<br />
Breiten Straße und der Friedrich-Ebert-Straße. Proteste blieben<br />
beim politischen Regime ohne Gehör.<br />
Die militärische Tradition <strong>Potsdam</strong>s hingegen wurde fortgesetzt:<br />
Truppen der sowjetischen Besatzungsmacht und der Nationalen<br />
Volksarmee zogen in die noch erhaltenen Kasernen. In der<br />
Bezirkshauptstadt war Wohnraum knapp, so dass frühzeitig mit<br />
dem Bau neuer Wohngebiete begonnen wurde. Hierbei und bei<br />
der Gestaltung der Innenstadt suchte man, sozialistische<br />
Zeichen zu setzen.<br />
Angeknüpft wurde aber auch an <strong>Potsdam</strong>s Filmtradition. Die<br />
Filmhochschule Babelsberg wurde gegründet, auf dem alten<br />
Gelände entstanden Filmproduktionen der DDR und mancher<br />
Staaten des Warschauer Paktes. Trotz allgegenwärtiger<br />
Schwierigkeiten wurde im Kulturhaus Hans Marchwitza, dem<br />
Haus des Kulturbundes „Bernhard Kellermann“ – und auch dem<br />
Hans-Otto-Theater – ambitionierte und streitbare Programme<br />
erarbeitet.<br />
Die jüngste Vergangenheit und ein neuer Geist<br />
Gleich nach der Wende 1989 wurde in einem der ersten Grundsatzbeschlüsse<br />
der neuen und ersten frei gewählten Stadtver-<br />
ordnetenversammlung die „Wiederannäherung an das historische<br />
Stadtbild“ beschlossen. Der Ruf nach der Herstellung der „Historischen<br />
Mitte“ wurde damit zum Programm erklärt.<br />
Heute ist <strong>Potsdam</strong> Landeshauptstadt des Bundeslandes<br />
Brandenburg, die Schlösser- und Gartenlandschaft wurde 1990<br />
als Welterbe der UNESCO anerkannt. Die in den letzten Jahren<br />
liebevoll restaurierten Stadtteile inmitten traumhafter Natur<br />
bilden heute wieder – ganz im Sinne des Großen Kurfürsten –<br />
ein Paradies in Europa.<br />
Die Vision von einst ist Wirklichkeit geworden. Für die Bürgerinnen<br />
und Bürger der Stadt sind die Historie und die gegenwärtigen<br />
Potenziale <strong>Potsdam</strong>s Verpflichtung und Herausforderung zu<br />
gleich, neue Maßstäbe im europäischen Kontext zu setzen. Es<br />
gilt einen neuen Geist zu beleben. Als Vision für das 21. Jahrhundert.<br />
Die Vision von einem europäischen Arkadien der Künste<br />
und Wissenschaften.
<strong>Potsdam</strong> weckt Visionen<br />
Die Biografie der Stadt spiegelt in besonderem Maße das enge Zusammenspiel<br />
von Idee, Plan und Ausführung wider. Untrennbar verbunden mit<br />
der preußischen und deutschen Geschichte, kommt <strong>Potsdam</strong> eine bedeutende<br />
Rolle zu. An kaum einem Ort finden sich für die Gegenwart so nachhaltige<br />
Ereignisse zusammen.<br />
Aus der unberührten Landschaft, die in eine einmalige Kulturlandschaft<br />
verwandelt wurde, über die von verschiedensten Ländern und Nationen geformte<br />
Baukunst und Architektur, bis zur Umsetzung von Geschichten in den virtuellen<br />
Filmwelten leitet sich eine Gemeinsamkeit ab, die sich durch die Jahrhunderte<br />
durchzieht, Epochen und Ären überdauerte: Visionen.<br />
Mitten in Europa entstand in Laufe der Jahrhunderte ein Ort, an dem<br />
die Quintessenz der verschiedensten politischen, künstlerischen, militärischen<br />
und gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenkam – <strong>Potsdam</strong>. Ein<br />
visionärer Ort, an dem die Welt von gestern antizipiert und die Welt von morgen<br />
gestaltet wird.<br />
Die Bausteine dafür befinden sich in der Kulturlandschaft <strong>Potsdam</strong>s mit<br />
ihrer Landschaftsgestaltung, ihrer Architektur und ihrem internationalen<br />
Medienstandort Babelsberg. Das sind die herausragenden Elemente, die in ganz<br />
Europa bekannte Bilder <strong>Potsdam</strong>s hervorrufen. Das sind die Bausteine für<br />
Konzepte von morgen.<br />
30<br />
Seit 1990 Bestandteil<br />
des UNESCO-Welterbes:<br />
Schloss Sanssouci
„Der Herzog von Dessau<br />
hat aus seinem Reich einen<br />
großen Garten gemacht.<br />
Das kann ich ihm nicht nach-<br />
machen, dazu ist mein Land<br />
zu groß. Aber aus der Umgebung<br />
von Berlin und <strong>Potsdam</strong><br />
könnte ich nach und nach<br />
einen Garten machen.“<br />
Friedrich Wilhelm IV., ~1830<br />
Baustein 1: Von der Landschaft<br />
zum „Paradies auf Erden“<br />
Die reizvolle Lage der Stadt <strong>Potsdam</strong>, umgeben<br />
von prachtvollen Wäldern und Seen, inmitten<br />
sanft geschwungener Hügel, veranlasste nicht<br />
nur den Großen Kurfürsten bereits im 17. Jahr-<br />
hundert, das Stadtgebiet zu erwerben, seine<br />
Einzigartigkeit ist auch für den Besucher heute<br />
noch erlebbar. Seinerzeit war es dem maßgeblichen<br />
Einfluss des Johann Moritz von<br />
Nassau-Siegen, Freund und Berater des Kur-<br />
fürsten, zu verdanken, dass die Erarbeitung<br />
eines umfassenden Programms, das die ganze<br />
Landschaft um <strong>Potsdam</strong> verschönern sollte,<br />
veranlasst wurde. Seine Forderung lautete<br />
schlicht und gleichsam visionär: „das gantze<br />
Eylandt soll ein Paradies werden…“.<br />
Aus Ideen werden Pläne – aus Plänen<br />
werden Räume<br />
Schon mit dem Bau des ersten Stadtschlosses<br />
und den damit verbundenen städtebaulichen<br />
Veränderungen ging die einzigartige Garten-<br />
gestaltung einher. Der Große Kurfürst scheute<br />
weder Kosten noch Mühen und ließ Gewächse,<br />
Sämereien und gewachsene Bäume aus Holland,<br />
England, Frankreich und Italien kommen. Neben<br />
der gezielten Platzierung von Zierpflanzungen<br />
wurden ausladende Obst- und Weinbauanlagen<br />
geschaffen und brachliegende landwirtschaftliche<br />
Flächen bebaut. Darüber hinaus wurde bereits<br />
nach wenigen Jahren um <strong>Potsdam</strong> herum ein<br />
32<br />
wahrer Ring von Lustschlössern angelegt.<br />
Die prächtigen Alleen formulierten bereits das<br />
später dominierende Gestaltungselement der<br />
Sichtachsen. Vom malerischen Schloss Caputh<br />
aus konnte man damals beispielsweise bis auf<br />
das <strong>Potsdam</strong>er Stadtschloss sehen.<br />
Mit Friedrich dem Großen kam im 18. Jahrhundert<br />
der strahlende Glanz der Aufklärung nach<br />
<strong>Potsdam</strong>. Sanssouci wurde erbaut, und mit<br />
diesem prachtvollen Sommerschloss auf dem<br />
Weinberg begann die Gestaltung einer der<br />
herausragenden Gartenanlagen der Welt, die<br />
rund 290 Hektar umfasst und in mehr als hundert<br />
Jahren durch königlichen Willen und natürlich<br />
durch die Arbeit ungezählter Gärtner entstand.<br />
Unverkennbar ist der französische Einfluss,<br />
der sich sowohl in den königlichen Parkanlagen<br />
mit überraschenden Sichtbeziehungen, mit seinen<br />
optischen Täuschungen und aufwendig gestalteten<br />
Bepflanzungen als auch in den prächtigen<br />
Gebäuden selbst widerspiegelt. Natur und Pflanzen<br />
wurden im wahrsten Sinne des Wortes<br />
„kultiviert“, indem sie etwa durch Beschneidungen,<br />
Pflanzung in Fluchten oder symmetrische<br />
Platzierungen eine wahre Inszenierung der durch<br />
den Menschen gestalteten Landschaft bildeten.<br />
Die so „gebaute“ Landschaft verdeutlichte in der<br />
Folge den Begriff der Landschafts-„Architektur“.<br />
Mit der Errichtung des prachtvollen<br />
Sommerschlosses auf dem<br />
Weinberg begann die Gestaltung<br />
einer beeindruckenden Gartenanlage:<br />
Schlosspark Sanssouci
Stadt – Land – Fluss<br />
Friedrich Wilhelm IV. setzte kurz nach der Thronbesteigung seine<br />
Vorstellung einer fantastisch-romantischen Parklandschaft,<br />
die <strong>Potsdam</strong> umgeben sollte, mit Hilfe des genialen Architekten<br />
Ludwig Persius und des nicht weniger begnadeten Gartenarchitekten<br />
Peter Joseph Lenné fort. Damit wurde der einmalige<br />
städtebaulich-landschaftsplanerische Trumpf der <strong>Potsdam</strong>er<br />
Kulturlandschaft begründet und schließlich die Forderung umgesetzt,<br />
dass doch „das gantze Eylandt ein Paradies“ sein möge.<br />
Ausgehend vom herausragenden Potenzial der Stadt und des<br />
Landschaftsraumes entstand 1833 mit dem „Verschoenerungs-<br />
34<br />
plan für <strong>Potsdam</strong> und Umgebung“ ein Gesamtkunstwerk aus<br />
Natur und Kultur, das bis heute weltweit seinesgleichen sucht.<br />
Die Planungen betrachteten zum ersten Mal übergeordnet die<br />
Schlösser und deren Gärten, die Naturräume, die Landwirtschaft,<br />
sowie die Siedlungen und verbanden diese unter ästhetischen und<br />
ökonomischen Gesichtspunkten miteinander. Sowohl im theoretischen<br />
Ansatz, als auch in der praktischen Umsetzung handelte es<br />
sich hierbei um eine herausragende Leistung des 19. Jahrhunderts.<br />
Sie gilt im Hinblick auf die Gestaltung des menschlichen Lebensraumes<br />
als eine der fortschrittlichsten, aufgeklärtesten und<br />
menschenfreundlichsten Sichtweisen der Kulturgeschichte. Dabei<br />
bildet der großzügige Park Sanssouci das Zentrum der Gestaltung,<br />
während die Havel als zentrale Seenlandschaft das Rückgrat<br />
der grandiosen Anlage von ca. 15 Kilometer Ausdehnung darstellt,<br />
in dieser Form ein einzigartiges Werk in Europa. Um <strong>Potsdam</strong><br />
herum entstand ein Kranz ausgedehnter Gartenanlagen, in<br />
welchem fast alle Bergkuppen, wie durch das Belvedere auf dem<br />
Pfingstberg oder die Gestaltung des Ruinenbergs deutlich wird,<br />
sowie die Ufer der Havelseen künstlerisch aufgewertet wurden.<br />
Die Steigerung der natürlichen Schönheit durch pittoreske Veränderungen<br />
der Topografie, Anpflanzungen, Bauwerke mit ihren Ausblicken<br />
vermittelte dem Betrachter stets den Eindruck, dass<br />
er sich in einer besonders schönen, natürlich entstandenen und<br />
visionär erweiterten Landschaft bewegte.<br />
Der Bezug der Kulturlandschaft auf den Menschen drückte sich<br />
nicht nur in kleinen intimen Räumen aus, sondern durchzog<br />
gleichsam als roter Faden alle gedanklichen Ansätze und praktischen<br />
Ausformulierungen. Die Auswirkungen der umfassenden<br />
landschaftsgestalterischen Aktivitäten auf die Baukultur und die<br />
städtebaulichen Planungen waren in der Wirkung so nachhaltig,<br />
dass <strong>Potsdam</strong> heute noch – trotz Kriegsfolgen und Eingriffe<br />
während des Wiederaufbaus – ein einzigartiges Gesamtkunst-<br />
werk darstellt.<br />
Um <strong>Potsdam</strong> herum entstand<br />
ein Kranz ausgedehnter Gartenanlagen:<br />
Blick von der Glienicker<br />
Brücke auf den Schlosspark<br />
Babelsberg
36<br />
Große öffentliche Grünanlagen<br />
durchziehen die Stadt:<br />
Künstlerische Gestaltung im<br />
ehemaligen BUGA-Gelände (links)<br />
Blick auf den Schlosspark<br />
Babelsberg (unten)<br />
Land schafft Stadt<br />
Der engere Stadtraum <strong>Potsdam</strong>s ist von großen öffentlichen<br />
Grünanlagen durchzogen. Der Kranz der historischen Gärten<br />
Sanssouci, Neuer Garten, Pfingstberg und Park Babelsberg, der<br />
moderne große Volkspark des Bornstedter Feldes, der in die<br />
Lennésche Feldflur im Norden der Stadt übergeht, umrahmen<br />
das engere Stadtgebiet. Und doch zieht sich die gestaltete<br />
Landschaft auch in das dicht besiedelte Stadtgebiet hinein und<br />
umfasst wesentliche innerstädtische Freiräume, wie etwa die<br />
liebliche Freundschaftsinsel, gestaltet von Karl Foerster, den<br />
urbanen Platz der Einheit, den funktionalen Bassinplatz, den<br />
schlichten Luisenplatz, den neuen Lustgarten, den Stadtkanal<br />
oder den historischen Platz am Neuen Markt.<br />
In <strong>Potsdam</strong> wurde zwar die vielerorts so oft strapazierte Suche<br />
nach dem „menschlichen Maßstab“ in eindrucksvoller Weise<br />
erreicht, doch stellen sich trotzdem für die Zukunft wichtige Fragen<br />
nach dem Erhalt, der Weiterentwicklung und der noch immer<br />
notwendigen „Reparaturen“ am Gesamtkunstwerk. Das ist eine<br />
Aufgabe von internationaler Dimension, die Visionen verlangt.<br />
Der Blick zurück zeigt, dass <strong>Potsdam</strong> auch im Jahr <strong>2010</strong><br />
keineswegs lediglich Kulisse sein wird. Das war die Stadt nie.<br />
Vielmehr wird sie sein, was sie immer war: Visionärer Gestaltungsraum<br />
für die Zukunft Europas.
„Ich habe die Pläne<br />
des Schönsten ausgewählt, was<br />
man in Europa erbaut hat, und<br />
habe es im Kleinen und mit meinen<br />
Mitteln ausführen lassen.“<br />
Friedrich II., 1758<br />
Baustein 2: Vom märkischen<br />
Sand zur europäischen Baukultur<br />
<strong>Potsdam</strong> ist beileibe nicht allein Sanssouci.<br />
Neben dem Schlosspark mit seinen Gebäuden<br />
und Anlagen sind viele weitere sehenswerte<br />
Quartiere unterschiedlichster Epochen zu<br />
entdecken. Eine Schlossbesichtigung ganz<br />
anderer Art zeigt die vielen Facetten dieser<br />
Stadt und die unterschiedlichen Schichten<br />
der Stadtentwicklung eindrucksvoll auf: Denn<br />
<strong>Potsdam</strong> ist ein begehbares Bilderbuch. Das<br />
Modell im Maßstab 1:1 hat die Ausdehnung<br />
von 187 Quadratkilometern und bietet herausragende<br />
europäische Bau- und Kulturgeschichte<br />
in unterschiedlichsten Dimensionen. Vom<br />
massiven Türschloss über die detaillierte<br />
Fassadengestaltung, vom historischen Dachgesims<br />
über die privaten Höfe und Gärten,<br />
von der strengen Bauflucht bis hin zur innovativen<br />
Gestaltung des öffentlichen Raumes.<br />
Da ist etwa das Raster der zweiten barocken<br />
Stadterweiterung und das Holländische Viertel,<br />
heute <strong>Potsdam</strong>s Innenstadt, oder das bürgerliche<br />
Viertel der Jägervorstadt unmittelbar nördlich<br />
angrenzend mit seiner teils instand gesetzten<br />
Villen-Vorortbebauung des zu Ende gehenden<br />
19. Jahrhunderts. Weiter gen Norden durchquert<br />
man das Bornstedter Feld, eine neue „<strong>Gartenstadt</strong>“<br />
und künftiges Zuhause für 15.000 Einwohner,<br />
um zum Krongut Bornstedt mit seinem italienischen<br />
Flair zu gelangen.<br />
Vom märkischen Sand zur<br />
europäischen Baukultur: Blick<br />
auf die historische Mühle<br />
im Park Sanssouci<br />
38
Schlossbesichtigungen<br />
<strong>Potsdam</strong> verfügt über eine große Anzahl architektonisch und<br />
stadtgeschichtlich bedeutender Bauwerke. Der Großteil stammt<br />
aus dem 18. und 19. Jahrhundert, doch auch zu Beginn des<br />
20. Jahrhunderts wurde noch eifrig am Erscheinungsbild<br />
<strong>Potsdam</strong>s weitergebaut. Wichtige Zeitzeugen sind etwa das im<br />
englischen Tudorstil errichtete Schloss Cecilienhof (1912–1917),<br />
Schauplatz der <strong>Potsdam</strong>er Konferenz nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg, oder die Glienicker Brücke (1907), Symbol für die<br />
unüberwindbare Grenze und Trennung während des Kalten Krieges.<br />
Neben vielen Einzelbauten, die ihre Vorbilder in den verschiedensten<br />
Ländern Europas haben, stellen großflächig insbesondere<br />
der französische Einfluss auf die Anlage der Schlösser und Gärten,<br />
die Russische Kolonie Alexandrowka sowie das Holländische<br />
Viertel gebaute Zeitzeugnisse und Zeichen von Toleranz und<br />
Offenheit dar – ausgerechnet in einer preußischen Residenzstadt<br />
und einem bedeutenden Militärstandort unterschiedlicher<br />
Armeen. Doch gerade dieser scheinbare Gegensatz, der dazu<br />
noch im Laufe der Zeit unterschiedlichsten politischen Einflüssen<br />
unterlag, macht den Reiz dieser Stadt aus. Wer heute durch<br />
<strong>Potsdam</strong> wandelt, fühlt sich immer wieder in fremde Welten<br />
versetzt: Stand diese Moschee nicht in der Türkei? Sah man<br />
diese Aneinanderreihung backsteinroter Giebel nicht zuletzt<br />
in Amsterdam? Auch wer sich, etwa durch die Kolonie Alexand-<br />
40<br />
rowka spazierend in einem russischen Bauerndorf wähnt oder<br />
während des Flanierens im Schlosspark Sanssouci meint, französische<br />
Stimmen zu hören, ist mitnichten im „falschen Film“, er<br />
ist in <strong>Potsdam</strong>!<br />
Zwischen Pracht und Verlust<br />
Auf dem Weg zur Glienicker Brücke lockt die prachtvolle Berliner<br />
Vorstadt mit prominenten Bewohnern, die Reisebusse aus ganz<br />
Europa anziehen. Da sind aber auch Babelsberg und Griebnitzsee<br />
mit ihrer exklusiven Lage am See und ihrem dörflichen<br />
Charakter sowie der Stern und <strong>Drewitz</strong> mit Plattenbausiedlungen<br />
der DDR-Zeit. Wohin immer das Auge blickt in dieser Stadt:<br />
<strong>Potsdam</strong> hat viele Quartiere und Ortsteile mit eigenem Charme,<br />
die sich alle im Umwandlungsprozess befinden. Es bewegt sich<br />
etwas in <strong>Potsdam</strong>, sei es durch Neubau, Abriss oder Sanierung,<br />
und dem Besucher eröffnen sich Beispiele europäischer Baukultur<br />
in ihren unterschiedlichen Schichten und Ausprägungen<br />
vor dem Hintergrund der wechselvollen Stadtgeschichte.<br />
Große Projekte sind seit 1990 realisiert worden, Stadterneuerung,<br />
Denkmalpflege, Stadterweiterung, Bundesgartenschau… Und<br />
immer noch steht die Stadt vor großen Herausforderungen. Denn<br />
die Erfahrung der Vergangenheit zeigt: Nicht alle Leitbilder haben<br />
einen dauerhaften Wert. Ihre Wertigkeit im Sinne ihrer Nachhaltigkeit<br />
wird in der Regel erst von nachfolgenden Generationen beurteilt.<br />
Mit dieser Herausforderung hat nicht nur <strong>Potsdam</strong> zu kämpfen, das<br />
ist ein vielen Städten bekanntes, europäisches Thema: Wie umgehen<br />
mit den Hinterlassenschaften einer zwischenzeitlichen Moderne?<br />
Gegenwärtige Zielsetzung<br />
Auch die Stadterweiterungs- und Konversionsprojekte der 90er<br />
Jahre, das Kirchsteigfeld und das Bornstedter Feld etwa, werden<br />
ihren Praxistest noch bestehen müssen. Neben dem Aufgabenbereich<br />
des „Stadtumbaus Ost“, in dessen Zentrum die Aufwertung<br />
der Plattenbausiedlungen steht, wird die städtebauliche<br />
Diskussion seit Jahren durch die Rekonstruktion von <strong>Potsdam</strong>s<br />
Historischer Mitte rund um das zerstörte Stadtschloss geprägt.<br />
Der Kampf um dieses Erbe ist noch lange nicht abgeschlossen,<br />
da gibt es von den europäischen Nachbarn viel zu lernen.<br />
Dem Bahnreisenden, der sich im neuen Hauptbahnhof der Stadt<br />
nach der Lage des Zentrums erkundigt hat, wird nach Überqueren<br />
der Langen Brücke klar, dass <strong>Potsdam</strong> seine aktuelle Bau-Philosophie<br />
noch nicht gefunden hat. Doch die landschaftlichen, architektonischen<br />
und städtebaulichen Zeugnisse in ihrer europäischen<br />
Dimension suchen indes ihresgleichen. Und vielleicht eröffnen<br />
die historischen Sichtachsen in der Stadt neue Perspektiven, das<br />
kulturelle Erbe von über 300 Jahren europäischer Kulturgeschichte<br />
gemeinsam weiterzuentwickeln und so ein neues Kapitel des<br />
Drehbuchs für <strong>Potsdam</strong> im 21. Jahrhundert zu schreiben.<br />
Wer heute durch <strong>Potsdam</strong><br />
wandelt, fühlt sich immer wieder<br />
in fremde Welten versetzt:<br />
Heilandskirche in Sacrow (links)<br />
und Friedenskirche im Schlosspark<br />
Sanssouci (oben)
42<br />
Blick hinter die Bauwerke<br />
Die Dialektik von Stadt und Land scheint in <strong>Potsdam</strong> auch heute<br />
noch weitgehend zu einer Einheit zu verschmelzen. Der in die<br />
Kulturlandschaft an der Havel integrierte urbane Raum spiegelt<br />
nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Ort, dem genius loci,<br />
wider, sondern zeigt auch die internationalen Einflüsse auf die<br />
Entwicklung der <strong>Potsdam</strong>er Stadtlandschaft. Denn hier wirkten<br />
nicht nur die preußischen Baumeister des 18. und 19. Jahrhunderts<br />
– Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, Carl Gotthard<br />
Langhans, Karl Friedrich Schinkel, Friedrich August Stüler, Ludwig<br />
Persius, Ludwig Ferdinand Hesse und Johann Heinrich Strack –<br />
vielmehr drangen auch von überall her neue Ideen und Geistesströmungen<br />
in die Stadt, sei es aus Holland, aus Russland, aus<br />
Böhmen, aus Frankreich, aus Italien oder aus England. Das<br />
jüngste Gebäude von internationalem Rang und außerordentlichem<br />
Denkmalwert im <strong>Potsdam</strong>er Stadtgebiet stammt aus dem Jahre<br />
1921: Der von Erich Mendelsohn auf dem Telegrafenberg für die<br />
Erforschung der Relativitätstheorie errichtete Einsteinturm.<br />
Mit einem beeindruckenden Theaterneubau durch den Architekten<br />
Gottfried Böhm am Kulturstandort Schiffbauergasse<br />
knüpfen die Verantwortlichen an die Tradition an. Dieser werden<br />
weitere mutige und mitunter auch unkonventionelle Vorhaben<br />
folgen. Der Visionen gibt es genug.<br />
Beispiele europäischer Baukultur<br />
vor dem Hintergrund der wechselvollen<br />
Stadtgeschichte: Belle Étage einer Villa<br />
an der Puschkinallee, Torbogen des<br />
Pumpwerkes und der Einsteinturm auf<br />
dem Telegrafenberg
„Wie soll ich einen Film,<br />
der in der Bronx, in Las Vegas,<br />
New York und in Beverly Hills<br />
spielt, in Deutschland drehen?’<br />
dachte ich. Aber jetzt weiß ich es:<br />
Das Studio ist fantastisch.“<br />
(Kevin Spacey, 2003)<br />
Baustein 3: 100 Jahre Film<br />
Ob „Der Blaue Engel“, „Sonnenallee“, „Solo Sunny“,<br />
„Der Pianist“ oder „Metropolis“ – alle diese<br />
Filme haben eines gemeinsam: Sie stammen<br />
aus Babelsberg!<br />
An kaum einem anderen Ort in Europa werden<br />
seit fast 100 Jahren Visionen in Filme verwandelt.<br />
An kaum einem anderen Ort in Europa kann<br />
man durch europäische und deutsche Filmgeschichte<br />
wandeln und dabei auch einem Oscarpreisträger<br />
44<br />
bei der Arbeit begegnen. Nirgendwo sonst werden<br />
gleichzeitig die unterschiedlichsten filmischen<br />
Genres – von TV-Serien über Dokumentarfilme<br />
bis hin zu großen Hollywood-Produktionen –<br />
geschaffen. Das Erfolgsrezept des Medienstandortes<br />
<strong>Potsdam</strong>-Babelsberg war und ist sein kreatives<br />
Potenzial, welches sich aus drei Quellen speist:<br />
Dem historisch-kulturellen Kontext europäischer<br />
Dimension, dem Wechselverhältnis von professioneller<br />
Kunst und wirtschaftlichem Handeln<br />
sowie den unzähligen Möglichkeiten, die sich<br />
aus der Symbiose von Ausbildung, Wissenschaft<br />
und Infotainment ergeben.<br />
In unmittelbarer Nachbarschaft finden sich alle<br />
Facetten und Bedingungen, die für Film, Funk<br />
und Fernsehen relevant sind: Von den Spielfilm-,<br />
Soap- oder Dokuproduktionen der Filmstudios,<br />
über Forschung, Ausbildung, Nachwuchsförderung<br />
und internationalem Austausch an der<br />
Hochschule für Film und Fernsehen ,Konrad<br />
Wolf‘, dem staatlichen Sendeauftrag des<br />
Rundfunks Berlin-Brandenburg, dem Bestand des<br />
Deutschen Rundfunkarchiv bis hin zum Filmpark<br />
Babelsberg als Ressort für anspruchsvolle Unterhaltung<br />
rund um das Medium Film. Babelsberg<br />
bietet die perfekten Voraussetzungen an<br />
einem Ort.<br />
Eine Stadt als Bühnenbild:<br />
Kulissenbau für den Film Metropolis<br />
(links) und eine Daily-Soap (unten)
46<br />
Mit Filmproduktionen wie<br />
„Der Pianist“ wurde die Marke<br />
<strong>Potsdam</strong> wieder ein Qualitätsmerkmal:<br />
Blick in die Berliner<br />
Straße, Schauplatz u.a. von<br />
„Sonnenallee“ (oben)<br />
Die Filmstadt als Filmfabrik:<br />
Blick in die Produktionsstätte<br />
des Sandmännchens (unten)<br />
Als die Visionen laufen lernten<br />
Im Jahr 1912 wurde Babelsberg als Filmstadt geboren – in einer<br />
ehemaligen Futtermittelfabrik. Die Entwicklung von einer kleinen<br />
Produktionsstätte hin zu einem großen Unternehmen ging rasant<br />
voran – schon nach einem Jahr mussten neue Hallen gebaut<br />
werden, die Studios wurden ausgebaut und gehörten bald zu<br />
den modernsten Filmproduktionsstätten in ganz Europa.<br />
Filmtitel wie „Nosferatu“ oder „Die Nibelungen“ rufen sofort<br />
Bilder und Gesichter vor das geistige Auge. Untrennbar verbunden<br />
mit Babelsberg sind Stars wie Asta Nielsen, Emil Jannings,<br />
Zarah Leander und Marlene Dietrich. Geschaffen wurde ihr<br />
Mythos von Regisseuren wie Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz<br />
Lang, Josef von Sternberg. Sie setzten Maßstäbe. Beständig<br />
auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, nutzten sie das<br />
Medium nicht nur zur Unterhaltung der Zuschauer, sondern<br />
begriffen es als neue Kunstform, die die Grenzen von Film zu<br />
Film überschritt und die Zuschauer stets aufs Neue fesselte.<br />
Sie verwirklichten im märkischen Sand ihre Visionen des<br />
künstlerisch massentauglichen Films. Als erste zeigten sie,<br />
welche eigene gestalterische Dimension abseits des Theaters<br />
das Medium Film eröffnet. Sie schufen das neue emotionale<br />
Massenmedium.<br />
Die technischen Herausforderungen des Films nahmen die<br />
Mitarbeiter der UFA schon in den 20er Jahren an. In <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg entstand das erste große Studio für die Produktion<br />
von Tonfilmen in Europa. Karrieren wurden abrupt beendet –<br />
neue Stars und Filmtypen prägten die Epoche. Mit dem „Tonkreuz“<br />
erhielt Babelsberg eines der ersten Tonstudios zur<br />
Bearbeitung von Filmen weltweit, und begründete damit eine<br />
bis heute andauernde Tradition. Gegenwärtig steht in <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg das modernste Synchronstudio der Welt.<br />
Auch die Nationalsozialisten erkannten die Macht, die vom<br />
bewegten Bild ausging und nutzten die Filmkunst für ihre Zwecke.<br />
Zeitgleich begründete Leni Riefenstahl hier eine atemberaubende<br />
Bildsprache, die bis heute prägt und Anlass zu Diskussionen<br />
bietet. Trotz Zensur und propagandistischer Zielsetzung arbeitete<br />
die Filmfabrik weiter, selbst als die produktiven Visionäre ins<br />
Exil geflüchtet oder vertrieben waren. 35.000 Tonnen Schutt<br />
waren das Erbe des Zweiten Weltkrieges auf dem <strong>Potsdam</strong>er<br />
Filmgelände. Doch der Wunsch nach neuen Geschichten, die die<br />
eigene Tragödie verarbeiten halfen, war groß.<br />
Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg<br />
Nach 1945 war der Wiederaufbau und die Wiederinbetriebnahme<br />
der Filmstudios durch Brücken und Brüche mit Europa<br />
verbunden, denn mit der Gründung der DEFA erfuhren die<br />
Produktionen aus <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg eine europäische Ausrichtung<br />
nach Osten. In den vier Jahrzehnten VEB-Produktion<br />
entstanden mehr als siebenhundert Spielfilme, darunter 160<br />
Kinder- und Märchenfilme, die in Ost- und Westeuropa gleichermaßen<br />
beliebt waren. Die Filmstadt wurde wieder Filmfabrik:<br />
Hunderte Filmfacharbeiter – vom Dekorateur über die Cutterin<br />
bis zur Maske – arbeiteten an Produktionen von Wolfgang<br />
Staudte, Konrad Wolf oder Frank Beyer. In Babelsberg schien<br />
etwas möglich, auch wenn ganze Produktionen von der Zensur<br />
archiviert wurden und große Charaktere das Land verließen.<br />
Allen Ambivalenzen zum Trotz blieb Babelsberg ein Ort, an dem<br />
sich Kreativität gegen Widerstände durchsetzte und entfalten<br />
konnte. <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg erhielt 1954 mit der Filmhochschule<br />
eine Institution, die den Namen <strong>Potsdam</strong> bis heute in alle<br />
Welt trägt. Die Ausbildung in Babelsberg war und ist für viele<br />
der jungen Studierenden aus dem In- und Ausland eine positiv<br />
prägende Erfahrung. Nicht zuletzt deshalb genießt der Standort<br />
auch heute insbesondere bei osteuropäischen Filmemachern<br />
hohes Ansehen als professioneller Produktionsort.<br />
Totgesagte leben länger<br />
Unter diesem Motto begann nach der Wende eine Neuprofilierung<br />
der <strong>Potsdam</strong>er Filmstadt. Auf dem Markt der westeuropäischen<br />
Produktionsstandorte war Babelsberg trotz seines guten<br />
Rufes um Jahre zurück, hinfällige Strukturen mussten abgebaut,<br />
neue Perspektiven und Ziele mussten formuliert werden. Von<br />
manchen belächelt, warf der bis dahin einzige deutsche Oscar-
preisträger Volker Schlöndorff Anfang der 90er Jahre seinen<br />
Hut in den Ring – sein Instinkt sollte ihn nicht täuschen. Turbulent<br />
aber kontinuierlich entwickelte sich die Filmstadt wieder<br />
zu einer weltweit ernst zu nehmenden Größe der Filmproduktion.<br />
Der damalige Ostdeutsche Rundfunk siedelte sich in <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg an und das Deutsche Rundfunkarchiv mit seinen<br />
außergewöhnlichen historischen Beständen erhielt hier sein<br />
neues Haus. Abseits des Kinoglamours wurde <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg<br />
zuerst zur Fernseh-Fabrik. Täglich neue TV-Sternchen, die<br />
Bärbel, Vera, Jeanette oder Yvonne heißen, spielen sich am<br />
Nachmittag und frühen Abend in die Herzen von Millionen junger<br />
und alter Fernsehzuschauer. Mehrere hundert Arbeitsplätze<br />
wurden durch Seifenopern und Talkshows gesichert. Bei aller<br />
notwendigen Technik, Produktion und Finanzierung – wieder<br />
waren es die künstlerischen Visionäre, die hier ihre Vorstellungen<br />
verwirklichen konnten und den Namen der Filmstadt <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg wieder in die Welt trugen.<br />
Good bye Lenin – auf der Sonnenallee in die Zukunft<br />
Eine Schlüsselstellung für die Entwicklung der Studios <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg nahm die Produktion des Films „Der Pianist“ unter<br />
der Regie von Roman Polanski ein. Mit dieser internationalen<br />
Produktion wurde die „Marke <strong>Potsdam</strong>“ wieder als Qualitätsmerkmal<br />
definiert, die Dank der künstlerischen Dimension, der<br />
materiellen und personellen Produktionsbedingungen und<br />
schließlich des kommerziellen Erfolgs sogar Weltspitze begrün-<br />
48<br />
dete. Folgeproduktionen wie „In 80 Tagen um die Welt“, „the<br />
bourne supremacy“ oder „beyond the sea“ messen sich an<br />
diesen Standards, ebenso auch bedeutende deutsche Filme<br />
der letzten Jahre wie „Sonnenallee“ und „Good bye Lenin“. Internationale<br />
Filmstars wie Jackie Chan, Matt Damon, Jean-Marie<br />
Poiré, Kevin Spacey, Jude Law, Jean-Jacques Annaud, Joseph<br />
Fiennes, Rachel Weisz, Adrien Brody tragen den Ruf <strong>Potsdam</strong>s<br />
in die Welt. Sie alle schätzen die professionellen Kino-Dienstleister<br />
– vom Filmorchester bis zum Kopierwerk – die hier<br />
gebündelt aufgeboten werden.<br />
In Babelsberg werden Träume und Visionen sichtbar gemacht.<br />
Das Medium Film strahlt auf die gesamte Stadt und in die ganze<br />
Welt. Dieser einzigartige Kulturstandort, der 1992 Gastgeber für<br />
die Verleihung des Europäischen Filmpreises war, gehört nicht<br />
nur Babelsberg, nicht nur <strong>Potsdam</strong> – er gehört Ost wie West,<br />
Nord wie Süd. Ein wahrhaft europäisches Unternehmen. Gegründet<br />
als Vision für Visionen.<br />
Eine Vision von Visionen:<br />
Eingangstor des Filmparks<br />
Babelsberg
<strong>Potsdam</strong>: Eine Insel für Visionen<br />
Warum nur <strong>Potsdam</strong> Kulturhauptstadt werden kann<br />
„<strong>Potsdam</strong> war ein elendes Nest aus<br />
der Zeit meines Vaters. Wenn er wiederkäme,<br />
würde er sicher die Stadt nicht<br />
wiedererkennen, so sehr habe ich sie<br />
verschönt. Ich habe die Pläne des<br />
Schönsten ausgewählt, was in Europa<br />
gebaut hat, vornehmlich in Italien…<br />
ich liebe es, zu bauen und zu schmücken.“<br />
Friedrich II.<br />
50<br />
Was wäre <strong>Potsdam</strong> ohne Friedrich<br />
den Großen: Sein Bild von einer<br />
Sommerresidenz
Was wäre <strong>Potsdam</strong> ohne Friedrich den Großen? Ohne seine Lust, aus<br />
dem „elenden Nest“ an der Havel etwas zu machen. Und ohne seine Ideen<br />
von dem, was einmal werde, aufgeklärt und sans souci? Was wäre <strong>Potsdam</strong><br />
ohne seine sprichwörtliche Toleranz? Was wäre <strong>Potsdam</strong> ohne die Weitsicht<br />
seiner Babelsberger, die ein kleines Hollywood schufen, mitten im märkischen<br />
Sand?<br />
Was wäre <strong>Potsdam</strong> ohne den Forschungsdrang seiner Wissenschaftler,<br />
Einsteins Erben, die von dieser Stadt aus Fragen stellen und beantworten,<br />
die die Welt bewegen.<br />
Was wäre <strong>Potsdam</strong> schließlich ohne seine Bürger, die nach der Wende<br />
angepackt haben. Die nach vorn geschaut haben: Was für ein herrliches,<br />
verfallenes, schützenswertes Erbe. Ihnen verdankt es die Stadt, dass<br />
Schlösser und Gärten stehen, Stadttore und Villen in neuem Glanz erstrahlen,<br />
dass dem Pfingstberg sein Belvedere und dem Alten Markt sein Fortunaportal<br />
zurückgegeben wurden.<br />
Warum kamen Softwareentwickler wie Hasso Plattner ausgerechnet<br />
nach <strong>Potsdam</strong>? Warum gründeten sie ausgerechnet hier ihre Denkfabriken?<br />
Warum kommen die Designer von Volkswagen hierher? Warum entwickeln<br />
sie ausgerechnet in <strong>Potsdam</strong> das deutsche Fahrzeugdesign der Zukunft?<br />
52<br />
Es ist der Weitblick, der sie alle einte und eint. Die Vision. Die Vorstellung<br />
davon, wie die Welt einmal aussehen soll. Hier in <strong>Potsdam</strong> wird voraus<br />
gedacht. Das war zu Friedrichs Zeiten so, zu Einsteins, und es ist heute so.<br />
Es muss ein Mix aus Landschaft und Menschenschlag sein, aus Gegebenem<br />
und Erarbeitetem, eine Melange aus preußischem Lebensmut und italienischer<br />
Lebensart: <strong>Potsdam</strong> weckt Visionen. Aus Visionen schöpfen diese<br />
Stadt und ihre Bürger Kraft. Aus dem Wissen um visionäres Handeln in der<br />
Vergangenheit schöpfen sie Mut für die Zukunft. <strong>Potsdam</strong>s Blick in das<br />
Jahr <strong>2010</strong> ist ein Blick zurück nach vorn.<br />
Diese Visionen machen <strong>Potsdam</strong> zur idealen Kulturhauptstadt Europas.<br />
Denn nur da, wo Ideen entstehen, ist Kultur. Und nur inmitten von Kultur<br />
können neue Ideen entstehen und reifen.<br />
Europäische Kultur braucht Visionen, <strong>Potsdam</strong> weckt Visionen. Das<br />
macht die Stadt einzigartig. Und darum ist <strong>Potsdam</strong> die ideale Kulturhauptstadt<br />
Europas.
„Der Glanz der europäischen Kultur ist nicht zuletzt ein Widerschein<br />
seiner wissenschaftlichen Größe. [...] Gerade der Wissenschaftsstandort<br />
<strong>Potsdam</strong> ist wie eine Stradivari, deren Klang im Zusammenspiel mit anderen<br />
kostbaren Instrumenten noch eindrucksvoller zur Geltung kommt. Das von<br />
mir geleitete <strong>Potsdam</strong>-Institut für Klimafolgenforschung, untergebracht in<br />
einem der schönsten Wissenschaftsgebäude des Kontinents, hat bereits<br />
begonnen, für das europäische Konzert zu üben – insbesondere zusammen<br />
mit dem britischen Tyndall Centre for Climate Change Research, für das ich<br />
ebenfalls Leitungsverantwortung trage. So wird ein integriertes Wissenschaftsnetzwerk<br />
entstehen, das helfen soll, die natürlichen Lebensgrundlagen<br />
unserer Zivilisation zu bewahren. Kann es ein schöneres Ziel in der Tradition<br />
der Tafelrunde von Sanssouci geben?“<br />
John Schellnhuber, Direktor des <strong>Potsdam</strong>-Instituts für Klimafolgenforschung<br />
„Mein <strong>Potsdam</strong> ist gerettet! Dem Himmel sei Dank!“ Diesen Satz sage<br />
ich mir fast einmal pro Tag. Ich, Wolfgang Joop, geboren in dieser Stadt bei<br />
Bombenalarm als einziger Spross auf einem Hof nahe Schloss Sanssouci lebe<br />
und erlebe diesen Ort als Inbegriff von Heimat. Aber auch als Kunstwerk, das<br />
mein Wesen und meine Arbeit geprägt und inspiriert hat. <strong>Potsdam</strong> ist Harmonie<br />
und Widerspruch zugleich: Provinz und Residenz. Sein Geist bestimmt von<br />
Royalismus, Toleranz, Humanismus, Militarismus und Eklektizismus, Bohème<br />
und Beamtenmief. Fast zerstört von Großspurigkeit und Kleingeistern. Von<br />
Faschismus, S-E-Dismus, falschem Fortschrittsdenken und falsch verstandener<br />
Stadtsanierung. Doch sein wahrer Kern ist hart und glänzend wie ein Diamant.<br />
Unzerstörbar in seiner fragilen Schönheit und Poesie: „<strong>Potsdam</strong>, mon amour!“<br />
Wolfgang Joop, Modedesigner<br />
54<br />
„Viele Auguren behaupten, dass sich unter den aktuellen Trends im<br />
europäischen Medienmarkt mit Sicherheit zumindest ein Ergebnis voraussagen<br />
lässt: Film, Fernsehen, Computer und Telefon werden im Jahr <strong>2010</strong> – besonders<br />
wegen der rasant fortschreitenden Digitalisierung – noch mehr zusammengewachsen<br />
sein, als sie es in Ansätzen bereits sind. [...] Beides gehört<br />
zusammen, ergänzt sich und hält in seiner Wechselwirkung unsere Branche,<br />
die nach den Dellen der Vergangenheit gerade wieder Mut schöpft, lebendig:<br />
Die technische Innovation und dieser unvermeidbare, unausrechenbare<br />
„menschliche Faktor“. [...] So hege ich keinen Zweifel daran, dass <strong>Potsdam</strong>-<br />
Babelsberg mit seiner reichen Tradition des phantastischen Films und seiner<br />
immer wieder verblüffenden Erfindungskraft auch in den nächsten Jahren ein<br />
hervorragender Standort für europäische Phantasie und Vision sein wird.“<br />
Friedhelm Schatz, Geschäftsführer Filmpark Babelsberg<br />
„Genauso wenig wie ich mir <strong>Potsdam</strong> ohne Sanssouci vorstellen kann,<br />
genauso wenig kann ich mir die Schlösser und Gärten ohne <strong>Potsdam</strong> denken.<br />
In 250 Jahren haben die preußischen Könige mit Künstlern, Handwerkern und<br />
Gärtnern aus ganz Europa in den märkischen Seen und Hügeln ein Arkadien<br />
geschaffen, in dem sowohl die Stadt wie die Schlösser und Gärten als zufriedenes<br />
Paar leben. Man kennt sich lange, man ist aneinander und miteinander<br />
gewachsen, man kann viele Geschichten erzählen und hat gute und schwere<br />
Zeiten erlebt, man hat sich gestritten und versöhnt. Und – ganz entscheidend –<br />
man schaut nicht nur in die gemeinsam Vergangenheit, sondern ist neugierig,<br />
hat viele Pläne für die Zukunft und manchmal träumt man auch…“<br />
Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor Stiftung Preußische Schlösser<br />
und Gärten Berlin-Brandenburg
<strong>Potsdam</strong>: Die Kulturlandschaft<br />
Längst auf dem Weg nach Europa<br />
<strong>Potsdam</strong> hat den Weg zur Kulturhauptstadt<br />
Europas längst beschritten: Nicht<br />
allein mit dem Bau eines neuen Theaters.<br />
Vielmehr entsteht derzeit ein ganzer<br />
Kulturstandort, der als besondere Symbiose<br />
von Kunst und Wirtschaft gilt. Bei<br />
genauerer Betrachtung der Kunst- und<br />
Wissenschaftsszene lassen sich beinahe<br />
unglaubliche Entdeckungen machen:<br />
Da gibt es Wissenschaftswunder in<br />
einmaliger Kulisse auf dem Telegrafenberg.<br />
Oder die Denkschmieden am Neuen<br />
Markt, die den intellektuellen Diskurs<br />
mitprägen. Künstlerische Projekte von<br />
internationalem Renommee sind hier<br />
anzutreffen: Ob die <strong>Potsdam</strong>er Tanztage<br />
56<br />
oder die Musikfestspiele <strong>Potsdam</strong>-Sanssouci,<br />
das Theater-Festival „Unidram“ oder<br />
das Filmfestival „Sehsüchte“.<br />
Neben den kulturellen Entwicklungen<br />
ist auch der urbane Raum stets im Wandel<br />
begriffen. Bedeutende historische<br />
Architektur setzt hohe Maßstäbe an die<br />
Entwicklung der modernen Stadt. Die<br />
Diskussion um die Historische Mitte ist<br />
aktueller denn je. Die Garnisonkirche, das<br />
während und nach dem Krieg zerstörte<br />
Wahrzeichen, wird wieder erbaut.<br />
Die Entwicklung von Wohngebieten und<br />
Lebensräumen setzt nachhaltige Akzente.<br />
Diese Lebendigkeit und Anteilnahme<br />
seiner Bürger ergänzt das etablierte<br />
<strong>Potsdam</strong>bild ebenso, wie die Kreativität<br />
in Kunst und Kultur.
„Der Zeitgenössische Tanz ist eine wunderbar starke und zugleich fragile<br />
Kunst. Stark in der Körperlichkeit und fragil in der Auseinandersetzung<br />
mit dem Gegenwärtigen. Die Stadt <strong>Potsdam</strong> ist stark in ihrer historischen<br />
Verankerung und fragil auf dem Weg in die Zukunft. Aus dieser Verbindung<br />
entstehen Bewegung und Spannung. Kreativität, Risiko und Klarheit zeichnen<br />
den Tanz aus – der Tanz passt gut nach <strong>Potsdam</strong>. Ich bin 1992 nach<br />
<strong>Potsdam</strong> gekommen, weil hier Bewegung möglich ist. Es gibt Menschen,<br />
die sich wie ich voller Lust auf den Tanz einlassen, die verbinden und etwas<br />
aufbauen, sich allem Nahen und Fernen öffnen und Kunstwerke schaffen.<br />
Diese positive, visionäre und zugleich zupackende und sehr reale Energie,<br />
hat viel auf den Weg gebracht hat. Ich bin immer noch auf dem Weg.“<br />
Sabine Chwalisz, Künstlerische Leiterin der fabrik <strong>Potsdam</strong><br />
„<strong>Potsdam</strong> - wo sonst könnte die Inspiration schöner sein: Für das<br />
Leben und die Musik. Hier schöpfe ich Ideen für die Interpretation der Musik<br />
– und trage sie von hier wieder nach Europa und die Welt.“<br />
Daniel Lipton, Dirigent<br />
„Viele Plätze in <strong>Potsdam</strong> erzählen von der Verwobenheit der Stadt<br />
mit der preußischen, deutschen und europäischen Geschichte. Diese Orte<br />
der Kultur, Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft auch für die Gegenwart<br />
erleben und nutzen zu können, das gehört zur Einmaligkeit von <strong>Potsdam</strong>.“<br />
Gert Streidt, Direktor des Hauses der Brandenburgisch-<br />
Preußischen Geschichte<br />
58<br />
„Junge Leute an Kunst und Kultur heranführen ist ein Markenzeichen<br />
der <strong>Potsdam</strong>er Jugend– und Kulturpolitik. Dennoch muss der Raum für<br />
Experimente immer vorhanden sein – und das ist das oberste Ziel, was wir<br />
im Bereich Jugend- und Soziokultur auch in Zukunft verfolgen werden.“<br />
Monika Keilholz, Geschäftsführerin des Lindenpark e.V.<br />
„Ein neues Theater zu eröffnen, ist wohl eines der schönsten Erlebnisse,<br />
die einem Theaterschaffenden passieren können. Noch dazu an einem<br />
solchen Ort, am See, in einer der schönsten Städte überhaupt., nahe einer<br />
Weltstadt – hier wird eine Gruppe von Menschen ihre Vorstellung von Theater<br />
präsentieren: Theater als Ort, an dem Bürger alle Fragen ihres gesellschaftlichen<br />
Miteinanders diskutieren können, und wo wir die nicht lösbaren<br />
Fragen unseres Mensch-Seins – wozu leben wir… warum sterben wir…<br />
– zum Klingen bringen können.“<br />
Uwe-Eric Laufenberg, Intendant des Hans-Otto-Theaters<br />
„Weil diese Stadt eine europäische Kulturhauptstadt ist, engagieren<br />
sich die Menschen hier für die Gestaltung <strong>Potsdam</strong>s und fühlen sich als<br />
Botschafter eines wachsenden Kulturbürgertums, dem die Künste, Wissen-<br />
schaft, Sport und soziales Denken lebenswichtig sind.“<br />
Björn O. Wiede, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins<br />
Kulturhauptstadt <strong>2010</strong>
Kunst und Kultur: Eine Stadt<br />
mitten im Leben<br />
Die Stadt verfügt über eine ungewöhnlich große Vielfalt an kulturellen<br />
und künstlerischen Organisationen und Einrichtungen, wissenschaftlichen und<br />
sozialen Initiativen. Ein prall gefüllter Veranstaltungskalender mit mannigfaltiger<br />
Auswahl an Konzerten, Theateraufführungen, Ausstellungen und Tanz belegt,<br />
dass <strong>Potsdam</strong> seinen Platz „an der Seite Berlins“ gefunden hat.<br />
Obwohl mit 140.000 Einwohnern eine der<br />
kleinsten Landeshauptstädte, kann <strong>Potsdam</strong><br />
auf eine weit gefächerte Kulturlandschaft<br />
blicken. Die Attraktivität der Stadt und<br />
Aktivität ihrer Bürgerinnen und Bürger führen<br />
dazu, dass alljährlich nicht nur Millionen<br />
von Touristen kommen, sondern dass viele<br />
Menschen auch für immer bleiben. Im<br />
Gegensatz zu anderen, insbesondere ostdeutschen<br />
Städten, kann sich <strong>Potsdam</strong> trotz<br />
nicht ausbleibendem Wegzugs gleichzeitig<br />
über regen Zuzug freuen, die Einwohnerzahl<br />
ist nicht nur stabil, sie steigt sogar. Über<br />
30.000 Neubürger konnte <strong>Potsdam</strong> in<br />
den vergangenen 10 Jahren begrüßen.<br />
Bei aller Euphorie über die Bewerbung<br />
als Kulturhauptstadt Europas gibt es<br />
natürlich auch noch Defizite, gerade in<br />
Zeiten knapper Kassen und rückgängiger<br />
Steuereinnahmen der Kommunen.<br />
Doch diese Situation begreift <strong>Potsdam</strong><br />
als Herausforderung. Die Stadt weiß<br />
um die Chancen, die die Bewerbung<br />
zur Kulturhauptstadt bietet. Sämtliche<br />
60<br />
Leistungsträger aus Kultur, Wissenschaft,<br />
Soziales, Bildung, Sport, Politik und<br />
Wirtschaft werden sich bei der Bewerbung<br />
und der Umsetzung der Kulturhauptstadt<br />
engagieren. Neue Ideen und Projekte aus<br />
all diesen Bereichen werden im Rahmen<br />
der Kulturhauptstadt ein Forum finden.<br />
Die daraus entstehende Bewegung wird<br />
die Kulturlandschaft nachhaltig fördern<br />
und prägen – zunächst auch unabhängig<br />
vom Zuschlag im Jahr 2006.<br />
Ort des Austausches und der<br />
Inspiration: Blick in das Foyer<br />
des Nikolaisaals
Bretter, die die Welt bedeuten<br />
Die „Blechbüchse“, wie der Volksmund<br />
das Theaterhaus liebevoll-ironisch<br />
nennt, ist seit über einem Jahrzehnt die<br />
provisorische Spielstätte des Hans-Otto-<br />
Theaters. Doch ein Ende der schaurigen<br />
Optik und Akustik ist abzusehen: Im Jahre<br />
2006 wird an der Schiffbauergasse<br />
für das Ensemble erstmals der Vorhang<br />
in einem beeindruckenden Neubau<br />
des Architekten Gottfried Böhm aufgehen.<br />
Damit wird die über 200jährige Theatergeschichte<br />
der Stadt, die von glanzvollen<br />
Namen geprägt ist und zu Zeiten der<br />
DDR kulturpolitische Maßstäbe setzte,<br />
würdig fortgeschrieben.<br />
Die jüngere Geschichte um das Theater<br />
liest sich bei oberflächlicher Betrachtung<br />
ein wenig wie ein Schildbürgermärchen:<br />
Im Jahr 1990 stand am Ende der einst<br />
berühmten Sichtachse der Breiten Strasse<br />
der Rohbau des Bühnenturms des neuen<br />
Stadttheaters. Noch zu Zeiten der DDR<br />
war anstelle des beengten Nachkriegsprovisoriums<br />
ein Theaterneubau<br />
beschlossen worden. Ausgerechnet auf<br />
dem Gelände des ehemaligen Stadtschlosses.<br />
Eine respektable Geste<br />
gegenüber den Schönen Künsten, aber<br />
eine Entscheidung gegen die historische<br />
Stadtstruktur. Nach der Wende änderte<br />
<strong>Potsdam</strong> seine Pläne radikal, der Rohbau<br />
wurde abgetragen, um der Chance Raum<br />
zu geben, an historischem Ort die<br />
Rekonstruktion des einmaligen Stadtensembles<br />
zu ermöglichen. Das<br />
geduldige Warten auf eine zeitgemäße,<br />
neue Spielstätte wird sich lohnen.<br />
Das Hans-Otto-Theater hat verschiedene<br />
Spielstätten. Neben der Reithalle und der<br />
Blechbüchse gibt es im Neuen Palais<br />
eines der ältesten heute im Originalzustand<br />
erhaltenen Schlosstheater in Europa.<br />
1768 durch Carl von Gontard erbaut, passt<br />
das Schlosstheater nicht in die Klischees<br />
62<br />
der höfischen Theaterbauten, die den<br />
Monarchen in die königliche Loge als<br />
Gegenüber zur Szene und ihrer Bühne<br />
positionierten, während die Logenbesucher<br />
zwei Blickrichtungen hatten:<br />
Zum Herrscher und zur Szene. Hier ist<br />
<strong>Potsdam</strong> ganz anders: Nicht in bequemen<br />
Fauteuils, sondern auf Terrassenstufen<br />
sitzt das Publikum allein der Kunst<br />
zugewandt. Auch die umlaufenden Ränge<br />
sind auf die Bühne ausgerichtet, der<br />
aufklärerische Gedanke war Bestandteil<br />
der Theaterarchitektur.<br />
Die Theaterfaszination der <strong>Potsdam</strong>er<br />
beschränkt sich nicht allein auf die<br />
Inszenierungen der professionellen Akteure,<br />
sondern wird durch eine erstaunliche<br />
Anzahl von Amateurtheatergruppen<br />
und Initiativen ergänzt. Erwähnt seien<br />
stellvertretend das Theater- und<br />
Theaterpädagogikzentrum T-Werk,<br />
das jährliche osteuropäisch-deutsche<br />
Festival für Off-Theater „Unidram“ und die<br />
Internationalen Kinderkultur-Tage „Welt<br />
Traum.“ Als Botschafter der Kulturhauptstadtbewerbung<br />
legt – wenn es die Mittel<br />
zulassen – das Theaterschiff im Jahr 2005<br />
am Alten Markt ab. Mit Kurs Richtung Polen.<br />
Die Theaterfaszination der<br />
<strong>Potsdam</strong>er hat viele Bühnen:<br />
Schlosstheater, Schlössernacht<br />
und Hans-Otto-Theater in der<br />
Reithalle (v.l.n.r.)
Klangwelten<br />
Musik war stets bedeutender Bestandteil<br />
des höfischen, aber auch des bürgerlichen<br />
Lebens. Mitglieder der königlichen Familie<br />
waren selbst „geniale Dilettanten“, wie<br />
Friedrich der Große, der Märsche kompo-<br />
nierte, Flötenkonzerte gab und regelmäßig<br />
Kammermusiken veranstaltete. Es entwickelte<br />
sich in den folgenden Jahrhunderten<br />
eine rege Musikkultur, die bis heute kaum<br />
etwas missen lässt. Das historische Erbe<br />
wurde bis in die Gegenwart treu gepflegt<br />
– eine Vielzahl der bedeutendsten Konzertereignisse<br />
finden alljährlich im Sommer in<br />
der Kulisse der Schlösser und Gärten statt.<br />
Musik im Grünen<br />
So locken das Zusammenspiel von<br />
Architektur, Gartenkunst und Musik seit 50<br />
Jahren alljährlich zahlreiche Besucher zu<br />
den Musikfestspielen <strong>Potsdam</strong>-Sanssouci.<br />
Sie gehören schon aufgrund der einmaligen<br />
Szenerie seit ihrer Gründung zu den Höhepunkten<br />
des städtischen Musiklebens.<br />
Ihr ursprünglich formuliertes Ziel, die Begegnung<br />
von deutschen Ensembles aus<br />
Ost und West zu ermöglichen und dadurch<br />
die Einheit der deutschen Kultur zu stärken,<br />
wird seit nunmehr 14 Jahren erneut ver-<br />
wirklicht, wobei die europäische Dimension<br />
dieses Vorhabens zunehmend an Bedeu-<br />
tung gewinnt. Alljährlich im Juni sind alle<br />
Musen in den Schlössern und Gärten von<br />
<strong>Potsdam</strong> Sanssouci einmalig vereint, dann<br />
scheint der Geist der Historie mit Händen<br />
greifbar. Zahlreiche Konzerte, Theater- und<br />
Opernaufführungen gruppieren sich um<br />
einen thematischen Schwerpunkt aus der<br />
Jahrhunderte geprägten brandenburgisch-<br />
preußischen Musik- und Kulturgeschichte.<br />
Nicht nur in den authentischen friderizianischen<br />
Schlössern des Parks Sanssouci,<br />
auch im Palmensaal der Orangerie im<br />
Neuen Garten, im englisch inspirierten<br />
Tanzsaal im Schloss Babelsberg oder im<br />
Schloss Cecilienhof musizieren Künstler<br />
aus aller Welt. Die einmalige Kulisse lockt<br />
jedes Jahr Tausende von Musikliebhabern<br />
aus ganz Europa nach <strong>Potsdam</strong>.<br />
Musik als Botschaft<br />
Für eine gelungene Verknüpfung von<br />
Genres, Stilen und Vorlieben sorgt der vor<br />
wenigen Jahren als städtisches Konzert-<br />
und Veranstaltungshaus eröffnete Nikolaisaal<br />
<strong>Potsdam</strong>. Eine Sehenswürdigkeit ist allein<br />
der futuristische Bau des französischen<br />
Architekten Rudy Ricciotti: Durch ein Entree<br />
mit barocker Architektur des 18. Jahrhunderts<br />
gelangt man in das Foyer, das die<br />
Spuren der 30er Jahre trägt. 1909 war der<br />
erste Nikolaisaal im Beisein der Kaiserin<br />
eröffnet worden, der im Laufe der Jahrzehnte<br />
zu einem lebendigen Zentrum der Stadt<br />
avancierte, an dem auch international renommierte<br />
Künstler wie Wilhelm Furtwängler<br />
oder Dietrich Fischer-Dieskau konzertierten.<br />
Das Orchester des Nikolaisaals, Partner der<br />
Musikfestspiele <strong>Potsdam</strong>-Sanssouci, aber<br />
auch musikalischer Botschafter der<br />
Stadt bei Gastspielen im In- und Ausland<br />
ist die Kammerakademie <strong>Potsdam</strong> – ein<br />
Kammerorchester, das den internationalen<br />
Vergleich nicht scheuen muss. Die Kammerakademie<br />
spielt regelmäßig mit Stars<br />
wie Katia und Marielle Labêque, Christian<br />
64<br />
Tetzlaff, Christine Schäfer, Bruno Canino<br />
oder Emmanuel Pahud. Auf höchstem<br />
künstlerischem Niveau repräsentiert die<br />
Kammerakademie lebendige Musikpflege<br />
von historischer Aufführungspraxis bis zu<br />
zeitgenössischer Musik. Sie wird in freier<br />
Trägerschaft von der Stadt <strong>Potsdam</strong> als das<br />
Orchester der Landeshauptstadt gefördert.<br />
Eine wichtige Rolle im Musikleben <strong>Potsdam</strong>s<br />
spielte immer auch die Musik in Kirchen.<br />
Mit dem Oratorienchor und der <strong>Potsdam</strong>er<br />
Kantorei waren schon zu DDR-Zeiten zwei<br />
große Chorverbände weit über Stadtgrenzen<br />
hinaus bekannt. Nunmehr frei von staatlicher<br />
Reglementierung erlebte auch dieser Teil<br />
des kulturellen Lebens nach der politischen<br />
Wende einen beeindruckenden Aufschwung:<br />
In <strong>Potsdam</strong>er Kirchen, die insgesamt etwa<br />
7500 Besuchern Platz bieten, wird heute<br />
ein breites Spektrum unterschiedlicher musikalischer<br />
Genres angeboten. Als Höhepunkte<br />
sind hervorzuheben: Die Bachtage <strong>Potsdam</strong><br />
und die <strong>Potsdam</strong>er Vocalwoche „VOCALISE“,<br />
aber auch der Internationale Orgelsommer,<br />
der seit 1991 jährlich stattfindet.<br />
Eine Sehenswürdigkeit ist allein<br />
der futuristisch anmutende Bau<br />
des französischen Architekten<br />
Rudy Ricciotti: Der Konzertraum<br />
des Nikolaisaals
Aufforderung zum Tanz<br />
Das Einzigartige an <strong>Potsdam</strong>s<br />
„fabrik“ sind die Offenheit und<br />
die Neugierde ihrer Künstler:<br />
Tänzer in der Inszenierung „Fallen“<br />
(aussen) und „Pandora“<br />
Nach der Wende entstand die „fabrik<br />
<strong>Potsdam</strong>“ – ein Ort, geschaffen eigens für<br />
den zeitgenössischen Tanz, für eine Kunstform,<br />
die zu DDR-Zeiten nur in Ansätzen<br />
und allenfalls im Verborgenen existierte.<br />
In den ersten acht Jahren wurden vier<br />
verschiedene Bühnen auf- und ausgebaut,<br />
ein Forum entstand, in dem erstmals das<br />
kreative Potenzial von Tänzern und Choreo-<br />
grafen aufeinander traf. Inzwischen ist es<br />
angewachsen zu einem internationalen<br />
künstlerischen Netzwerk, beheimatet in der<br />
Schiffbauergasse: Hier hat die tanzende<br />
Welt eine Heimstatt, und Künstler der<br />
„fabrik“ sind auf allen Kontinenten zu Gast.<br />
Allein im Jahr 2004 präsentieren sie ihre<br />
Produktionen an der Sydney Opera, in<br />
Adelaide, in Paris, in den Niederlanden und<br />
in Großbritannien. Das Einzigartige an<br />
<strong>Potsdam</strong>s „fabrik“ sind die Offenheit und die<br />
Neugierde ihrer Künstler, gepaart mit dem<br />
Mut, neue Wege zu gehen: Derzeit plant die<br />
„fabrik“ in Kooperation mit der Fachhoch-<br />
schule <strong>Potsdam</strong> das erste künstlerische<br />
Forschungszentrum mit dem Studiengang<br />
Tanz. Schon im kommenden Jahr wird ein<br />
Symposium den Studienplan erarbeiten<br />
– allein die Ankündigung dieses interdisziplinären<br />
Ansatzes machte in der Szene<br />
Furore. Kurzum: Die „fabrik <strong>Potsdam</strong>“ ist<br />
eine Institution. Die <strong>Potsdam</strong>er Tanztage,<br />
das einzige internationale Festival für Tanz<br />
im Land Brandenburg, sind inzwischen<br />
überregional bekannt. P.S.: Im Jahr <strong>2010</strong><br />
feiert die „fabrik“ ihr 20-jähriges Bestehen!<br />
66
Mehr als nur Bilder<br />
Ach, könnte <strong>Potsdam</strong> im Bereich der<br />
Bildenden Kunst nur ähnlich Spektakuläres<br />
bieten wie die benachbarte Hauptstadt –<br />
<strong>Potsdam</strong> kann!<br />
Um einen Eindruck der großartigen<br />
Bildergalerie im Schlosspark Sanssouci<br />
zu vermitteln, wäre ein ganzes Buch<br />
nötig. Der älteste erhaltene Museumsbau<br />
Deutschlands wurde 1755 für die<br />
Allgemeinheit eröffnet und überwältigt<br />
allein durch seine architektonische<br />
Schönheit im Stile des preußischen<br />
Rokoko. Gemälde großer Meister wie<br />
Caravaggio, Rubens oder van Dyck<br />
vereinen sich mit der Ausstattung des<br />
Raums zu einem Gesamtkunstwerk.<br />
Und der Raffaelsaal in der Orangerie<br />
beherbergt mit über 50 Gemäldekopien<br />
nach Raffael vielleicht eine der größten<br />
Sammlungen von „Fälschungen“<br />
Deutschlands.<br />
Was die zeitgenössische Kunst anbelangt,<br />
so gestaltet sich die Lage etwas<br />
schwieriger. Bei Künstlern, Galeristen<br />
und Kunstvermittlern ist das Potenzial<br />
zweifelsohne vorhanden. Allein es fehlt<br />
am Geld: Seit Jahren kann die Stadt<br />
keinen Etat für Kunstankauf einstellen.<br />
Hier ist Kreativität gefragt. Und daran hat<br />
es <strong>Potsdam</strong> nie gemangelt. Denn alle<br />
eint die Vision von einem Ausstellungsort,<br />
der museale Bedingungen erfüllt und mit<br />
dem der zeitgenössischen Kunst ein angemessener<br />
Platz neben den historischen<br />
Kunstschätzen verliehen werden kann.<br />
Bild ohne Rahmen<br />
<strong>Potsdam</strong>s Stadtgeschichte ist nicht immer<br />
nur königlich, auch wenn eine der größten<br />
Ausstellungen des 1909 gegründeten<br />
<strong>Potsdam</strong>er Stadtmuseums von 2003 bis<br />
2004 unter dem Titel „Königliche Visionen“<br />
stand. Gerade die Sammlungen des<br />
Bürgertums, der Alltags- und Kulturgeschichte<br />
sind erhaltenswerte Zeitzeugen<br />
im Puzzlespiel der Vergangenheit<br />
einer Stadt. Das <strong>Potsdam</strong>-Museum ist<br />
eine solche Institution. Hier wurden<br />
Exponate aus den verschiedensten<br />
Epochen und Sparten aus oder über<br />
<strong>Potsdam</strong> zusammengetragen.<br />
Über 90 Prozent der wertvollen Bestände<br />
jedoch schlummern in diversen Depots<br />
über das Stadtgebiet verteilt. Malerei<br />
und Grafik, Schriften und Drucksachen,<br />
Skulpturen, Möbel oder Tausende von<br />
Fotografien werden bewahrt, sortiert<br />
und gepflegt. Eine umfangreiche Techniksammlung<br />
sowie eine umfassende<br />
kulturgeschichtliche Sammlung aus dem<br />
18., 19. und 20. Jahrhundert runden<br />
die Bestände ab, sind jedoch mangels<br />
Möglich- und Räumlichkeiten nur in<br />
den seltensten Fällen der Öffentlichkeit<br />
zugänglich. Es ist erklärtes Ziel des<br />
<strong>Potsdam</strong>-Museums, bis zum Jahr <strong>2010</strong><br />
im Holländischen Viertel einen ansprechenden<br />
Raum für eine Dauerausstellung<br />
und für thematische Sonderausstellungen<br />
zur Geschichte der Stadt <strong>Potsdam</strong> zu<br />
schaffen. Die einhundertjährige Odyssee<br />
einer permanenten Standortsuche<br />
soll in der Kultur- und Landeshauptstadt<br />
68<br />
endlich ein Ende finden. <strong>Potsdam</strong>s<br />
Bild bekommt endlich einen passenden<br />
Rahmen, versprochen!<br />
Hort der Heimatliebe<br />
Bereits wenige Wochen nach seiner Eröff-<br />
nung gehört das im Jahr 2003 eröffnete<br />
Haus der Brandenburgisch-Preußischen<br />
Geschichte (HBPG) zu den wichtigsten Ausstellungsorten<br />
der Stadt und des Landes.<br />
Als lebendiges Forum für die aktive,<br />
kritische und offene Beschäftigung mit der<br />
Landesgeschichte in Brandenburg und<br />
Preußen ist es der Mittelpunkt des „Tourismusforums<br />
Neuer Markt“, das Wissenschaft<br />
und Forschung, Tourismus und<br />
Kultur vereint. Die ständige Ausstellung<br />
bietet eine erlebnisreiche Reise durch<br />
900 Jahre Landesgeschichte, führt zu<br />
geheimnisvollen Orten und faszinierenden<br />
Persönlichkeiten, sie erzählt spannende<br />
Geschichten und stellt kritische Fragen<br />
an die Vergangenheit und Gegenwart<br />
Brandenburgs. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen<br />
Geschichte besitzt<br />
keine eigene Sammlung. Dank der großzügigen<br />
Bereitschaft, die Ausstellung mit<br />
Realien, aber auch mit Rat und Hilfe zu<br />
unterstützen, stammen sämtliche Exponate<br />
aus großen und kleinen Berliner und<br />
Brandenburger Museen und Sammlungen;<br />
auch Häuser aus anderen Ländern<br />
und etliche Privatpersonen stellen ihre<br />
Schätze für längere Zeit zur Verfügung.<br />
Die Ausstellung wendet sich insbesondere<br />
auch an Schüler und Jugendliche, die<br />
über spezielle museumspädagogische<br />
Programme die Geschichte Brandenburg-<br />
Preußens kennen lernen können. Für die<br />
Vermittlung des regionalen Erbes schließt<br />
das HBPG eine Lücke in der Region und<br />
bildet zugleich eine Ergänzung zu den von<br />
der Stiftung Preußische Schlösser und<br />
Gärten präsentierten Bauten, Gärten und<br />
Kunstsammlungen der Hohenzollern.<br />
Blick hinter die Kulisse<br />
Das erste dem Film gewidmete Museum<br />
auf deutschem Boden eröffnete Ende<br />
April 1981 als Filmmuseum der DDR. Die<br />
Unterbringung im ehemaligen Marstall<br />
des gesprengten Stadtschlosses war auch<br />
als Existenzsicherung für dieses Gebäude<br />
gedacht, das zu den ältesten Bauten<br />
<strong>Potsdam</strong>s gehört. Das Museum zeigte<br />
Teile seiner technischen Sammlung und<br />
seit 1983 eine Ausstellung zur Geschichte<br />
der DEFA. Nach der Wende sah sich das<br />
personell umstrukturierte Filmmuseum<br />
<strong>Potsdam</strong> vor neue Aufgaben gestellt: Es<br />
richtete 1994 eine ständige Ausstellung<br />
zur Geschichte des Produktionsortes<br />
<strong>Potsdam</strong>-Babelsberg ein. Die Dokumentation<br />
dieses Standorts auch als nationale<br />
Kulturgeschichte steht immer noch im<br />
Mittelpunkt der Aktivitäten, doch weitete<br />
sich das Spektrum des Hauses mit<br />
Ausstellungen etwa zum Filmarchitekten<br />
Alexandre Trauner (1992), zu Federico<br />
Fellini (1995) oder Romy Schneider<br />
(1998) aus. Publikationen des Museums<br />
zur Filmstadt Babelsberg, zur DEFA,<br />
zum Dokumentarfilm der DDR und<br />
zu Frank Beyer sind mittlerweile<br />
zu Standardwerken gut recherchierter<br />
Filmgeschichtsschreibung geworden.<br />
2003 wurde das Filmmuseum <strong>Potsdam</strong><br />
mit dem Programmpreis der DEFA-<br />
Stiftung ausgezeichnet.<br />
Die Bildergalerie im Schlosspark<br />
Sanssouci (oben)<br />
Wer in Babelsberg drehte, ist<br />
hier verewigt: Das erste deutsche<br />
Filmmuseum im Marstall (unten)
Bürgerliches Engagement in <strong>Potsdam</strong><br />
Die <strong>Potsdam</strong>er beginnen sich zu trauen,<br />
den Stolz auf die Heimat durch Einsatz<br />
für ihre Stadt zu unterstreichen. Das<br />
bürgerschaftliche Engagement ist lebendiges<br />
Zeugnis der inneren Verbundenheit<br />
der Menschen mit ihrem Zuhause. Wer<br />
auf diese Weise glücklich ist, ist ein guter<br />
Gastgeber und wird seine Stadt auch fern<br />
der Heimat stolz präsentieren, für sie<br />
werben und deutlich machen, dass sie<br />
eine würdige Kulturhauptstadt ist. Die<br />
Mischung der Engagierten ist Ausdruck<br />
des Zusammenwachsens von Alteingesessenen<br />
und Neubürgern. Da bürgerschaftliches<br />
Engagement an einem<br />
Objekt Ausdruck der Gleichgesinntheit<br />
ist, ist durch den „frei–willigen“ Zusammenschluss<br />
zugunsten einer Idee schon<br />
beste Grundvoraussetzung für gemeinsames<br />
Handeln gegeben, nämlich ein<br />
gemeinsames Ziel. Ergebnisse der<br />
Leistungsfähigkeit bürgerlichen Engagements<br />
kann man sich in <strong>Potsdam</strong> an<br />
vielen Orten anschauen: Ob der Kirchturm<br />
in Eiche, die Kirche auf dem Neuendorfer<br />
Anger, die Freilegung des Stadtkanals,<br />
der Wiederbau des Fortunaportals,<br />
die Restaurierung des Pfingstbergs, die<br />
Finanzierung des Glockenstuhls der<br />
Pfingstkirche u.v.m. Wenn auch im Stadt-<br />
bild nicht vordergründig präsent und<br />
prägend, so beeinflusst das aktive<br />
Engagement der Kunst- und Kulturvereine<br />
den kulturellen Geist der Stadt doch<br />
maßgeblich. <strong>Potsdam</strong> hat eine hoch<br />
motivierte Bürgerschaft, die in verschiedensten<br />
Bereichen sehr agil ist. Der eine<br />
ist engagiert im ehrenamtlichen Tun,<br />
der andere ist zeitlich dazu nicht in der<br />
Lage, und leistet dafür gerne eine finanz-<br />
ielle Unterstützung, egal ob Verkehrsplanung,<br />
Denkmalschutz, Förderung von<br />
kulturellen Einrichtungen, ob im sozialen<br />
Sektor oder im Bereich des Sports<br />
mit den ungezählten Übungsleitern, die<br />
oft schon seit vielen Jahren unbeirrt<br />
ihren Dienst tun. Nicht zu vergessen sind<br />
die Gruppen von der Telefonseelsorge,<br />
Wohlfahrtsverbänden und viele andere<br />
mehr.<br />
Ohne dieses Engagement wäre <strong>Potsdam</strong><br />
arm und ausdruckslos. Denn Kultur<br />
zeigt sich nicht nur durch mitreißende<br />
Konzert- und Theaterführungen, oder<br />
die Präsentation bildender Künste.<br />
Die Kultur einer Stadt entsteht aus der<br />
Geisteshaltung ihrer Bewohner. Die<br />
Kultur einer Stadt spiegelt sich in den<br />
Reibeflächen intellektueller Diskussionen.<br />
Je aktiver eine Bürgerschaft ihr Leben<br />
selbst mitgestaltet, umso kreativer ist<br />
die kulturelle Szene einer Stadt und umso<br />
mehr werden die Ziele einer Stadt –<br />
wie die Kulturhauptstadtbewerbung –<br />
Unterstützung erfahren.<br />
70<br />
<strong>Potsdam</strong> hat eine hoch motivierte<br />
Bürgerschaft: Das Belvedere auf dem<br />
Pfingstberg wurde in den letzten<br />
Jahren durch privates Engagement<br />
restauriert
<strong>Potsdam</strong> – ganz jung!<br />
Der Lindenpark ist eines der größten<br />
soziokulturellen Jugendzentren des Landes<br />
Brandenburg. Seit Generationen begleitet<br />
diese Institution die Zeit zwischen Kind-<br />
heit und Erwachsensein. Rock- und Popkonzerte,<br />
internationale Festivals von Ska<br />
bis Skaten und die Bühne im Grünen<br />
bieten ein vielseitiges Programm für die<br />
bis 27-Jährigen. Projekte des Lindenparks<br />
sind die Sternwerkstatt für Kinder und<br />
das Waldschloss als Studentenclub.<br />
Der Treffpunkt Freizeit ist ein historisch<br />
gewachsener Kinder- und Jugendtreff, der<br />
mit seinen Angeboten von Theater über<br />
Bildungswerkstätten, <strong>Potsdam</strong> als eine<br />
kinderfreundliche Stadt repräsentiert.<br />
Der Treffpunkt bietet neben Kunst und<br />
Kultur einen wunderschönen Freizeitpark<br />
mit Blick auf den Heiligen See.<br />
Einer der angesagtesten Orte für das<br />
Szeneleben befindet sich auf dem<br />
Gelände des Kulturstandortes Schiffbauer-<br />
gasse. Das Waschhaus sorgt mit seinen<br />
Veranstaltungen für eine spannende<br />
Mischung aus Off-Szene und Kommerz.<br />
Von Klubkonzerten bis hin zu großen<br />
Open-Air-Festivals, Ausstellungen und<br />
72<br />
angesagten Partys – hier findet jeder<br />
seinen Platz. Das Jugend- und Ausbildungs-<br />
zentrum Spartacus steht in der historischen<br />
Mitte <strong>Potsdam</strong>s. 20 Auszubildende<br />
gestalten in einem Knobelsdorff-Haus<br />
ein vielfältiges Programm.<br />
Der Offene Kunstverein bietet jungen<br />
Menschen die Möglichkeit, Theater selbst<br />
zu gestalten. Der Ort Schiffbauergasse ist<br />
in dieser Szene eingeführt. Am Standort<br />
agieren die fabrik mit den Internationalen<br />
Tanztagen sowie T-Werk mit den Theatergruppen<br />
Havarie und Degater’87.<br />
Das kulturelle Angebot bietet<br />
für jede Altergruppe Abwechslung:<br />
Kindervorstellung im Hans-Otto-<br />
Theater (links), Open-Air-Konzert<br />
(unten)<br />
In über 30 Einrichtungen der Kinder- und<br />
Jugendarbeit treffen sich junge Menschen<br />
in <strong>Potsdam</strong>. Von der Alltagskultur bis<br />
zur künstlerischen Gestaltung wachsen,<br />
entstehen und verändern sich auch hier<br />
stetig Kultur- und Lebensentwürfe.<br />
Erwachsene begleiten, unterstützen und<br />
setzen nur die Rahmenbedingungen. Vom<br />
Mädchentreff Zimtzicken über den sport-<br />
betonten Jugendklub Off Line und<br />
verschiedene Jugendtheater sind der krea-<br />
tiven Gestaltung nur die Grenzen gegeben,<br />
die sich Jugendkultur selber setzen will.<br />
Apropos Sport: Der spielt überhaupt<br />
eine Hauptrolle in <strong>Potsdam</strong> – über 120<br />
Sportvereine sorgen sich um die Fitness<br />
ihrer Mitglieder – darunter auch zahlreiche<br />
Olympiasportler und Weltmeister.<br />
Daneben hat Brandenburg von allen<br />
Bundesländern die längste Grenze zu<br />
Polen. Vielleicht der Grund, weshalb<br />
der Sitz des Deutsch-Polnischen Jugendwerks<br />
neben Warschau <strong>Potsdam</strong> ist.<br />
Über eine Million Jugendliche konnten<br />
sich seit 1993 durch die Unterstützung<br />
des Deutsch-Polnischen Jugendwerks<br />
treffen. Die europaweit einmalige,<br />
binationale Einrichtung ist ein gemeinsames<br />
Unternehmen der polnischen<br />
und deutschen Regierung.
Exkurs<br />
<strong>Potsdam</strong>: Ein Magnet für Brandenburg<br />
„<strong>Potsdam</strong> hat das Potenzial und die Akteure, die Patina königlich-preußischer Epochen aufzuarbeiten, um auch<br />
heute über die Landesgrenzen Brandenburgs hinaus zu strahlen – im neuen Glanz als einflussreiches geistigkulturelles<br />
Zentrums des 21. Jahrhunderts. – Das ist die Vision. Das ist die Chance. Für Europa. Als Modell.“<br />
Prof. Dr. Johanna Wanka, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg<br />
<strong>Potsdam</strong> geht nicht nur als Hauptstadt des<br />
Bundeslandes Brandenburg in die Bewerbung<br />
zur europäischen Kulturhauptstadt<br />
<strong>2010</strong>. <strong>Potsdam</strong> steht synonym für die<br />
kulturelle Identität einer ganzen Region<br />
im Herzen Europas. Hier, am Schnittpunkt<br />
uralter Handelswege zwischen Ost und<br />
West, an diesem einzigartigen Ort<br />
europäischer Geschichte und Politik,<br />
fokussiert sich die Brandenburger Kulturlandschaft<br />
und Lebensart auf besondere<br />
Weise. <strong>Potsdam</strong> – als administratives<br />
Zentrum und herrschaftliche Residenz<br />
verschiedenster Epochen – spiegelt wie<br />
keine andere Stadt den kulturellen<br />
Reichtum Brandenburgs wider. Von der<br />
Uckermark bis ins Havelland, von der<br />
Prignitz bis in den Spreewald.<br />
Und reich an Künstlern und bedeutenden<br />
kulturellen Orten war und ist Brandenburg<br />
allemal. Hier wirkten namhafte Architekten<br />
wie Landschaftsgestalter, Musiker wie<br />
Literaten. So verbinden sich Berühmtheiten,<br />
wie Karl Friedrich Schinkel<br />
oder Hermann Fürst von Pückler-Muskau,<br />
wie Carl Philipp Emanuel Bach oder<br />
Theodor Fontane untrennbar mit dieser<br />
„Streusandbüchse“ im Märkischen. Ob<br />
Bettina und Achim von Arnim in ihrem<br />
geliebten Wiepersdorf oder Heinrich von<br />
Kleist in Frankfurt (Oder), ob Brecht in<br />
Buckow (Märkische Schweiz) oder<br />
Strittmatter in seinem Ruppiner Schulzen-<br />
hof, ob Tucholsky, Huchel, Eich oder<br />
Arendt – allein die Liste der hier<br />
ansässigen Dichter spricht für den Ruf<br />
und die künstlerische Kraft dieses nicht<br />
selten geschmähten Landstriches. Denn<br />
Brandenburg ist – bei aller Kargheit<br />
und Bescheidenheit – ein Paradies der<br />
Musen. Und <strong>Potsdam</strong> sein Zentrum.<br />
Denn hier, in dieser zauberhaft weiten<br />
Wald- und Seenlandschaft, ließ es sich<br />
schon immer trefflich parlieren und<br />
fabulieren – über Gott und die Welt,<br />
über Kunst und Kultur. In Jahrhunderten<br />
erwuchs so eine unverwechselbare<br />
Kulturlandschaft, die ihre Eigenheiten<br />
nicht zuletzt dem Austausch der Kulturen<br />
zwischen Mittel- und Osteuropa, den<br />
früh privilegierten Freiheiten zur Zeit der<br />
preußischen Aufklärung sowie dem Sog<br />
der Metropole Berlin zu danken hat.<br />
Heute erstrahlt <strong>Potsdam</strong> in dieser Kulturlandschaft<br />
wie ein Juwel unter vielen<br />
in der Krone kultureller Einmaligkeiten<br />
Brandenburgs. Etwas größer zwar und<br />
etwas heller als alle anderen, aber in der<br />
selben Farbe, weil aus der selben Erde.<br />
Genau wie die <strong>Potsdam</strong>er Schlösser-<br />
und Parklandschaft, tragen etwa<br />
Schloss Rheinsberg oder ein Choriner<br />
Musiksommer den kulturellen Charme<br />
Brandenburgs über die Landesgrenzen<br />
hinaus. Ebenso wie das Staatstheater<br />
Cottbus oder all die Konzert- und<br />
74<br />
Ganz gleich, aus welcher Richtung<br />
man nach <strong>Potsdam</strong> reist, stets<br />
durchquert der Besucher das schöne<br />
Brandenburger Land
Festival-Highlights zwischen<br />
Wittenberge und Neuhardenberg.<br />
Aber im Kulturland Brandenburg gibt es<br />
weit mehr zu entdecken: Allein rund<br />
350 Museen und zahlreiche Gedenkstätten,<br />
etwa 160 öffentliche Bibliotheken,<br />
Hunderte Orchester und Chöre, etwa<br />
23.000 Bodendenkmale und mehr als<br />
10.000 Baudenkmale, ganz zu schweigen<br />
von den fast 3.000 Schlössern und<br />
Herrenhäusern, den Kulturzentren, Kunsthäusern,<br />
den Stadttheatern und Galerien<br />
– sie alle künden von einer kulturellen<br />
Vitalität, die ihresgleichen sucht.<br />
Brandenburg hat die Jahre seit der<br />
Wiedervereinigung genutzt, vor allem<br />
das kulturelle Erbe denkmalpflegerisch<br />
zu sichern und für die Öffentlichkeit<br />
zugänglich zu machen. Aber so, wie<br />
<strong>Potsdam</strong> weit mehr ist als Sanssouci,<br />
wurde analog im Land Brandenburg<br />
auch in eine stabile und quicklebendige<br />
Alltagskultur und in Projekte der zeit-<br />
genössischen Kunst investiert. Heute<br />
finden sich hier spektakuläre Kulturevents<br />
ebenso selbstverständlich, wie sanierte<br />
Klöster, Schlossanlagen und Slawenburgen.<br />
Wo sonst kann man in einem<br />
früheren Tagebau eine so großräumig<br />
angelegte Ausstellung zur Industrie- und<br />
Sozialkultur bewundern, wie in der<br />
„ZEITmaschineLAUSITZ“ bei Großräschen.<br />
Gegenwartskunst ist ebenso zu bestau-<br />
nen in den unprätentiösen Ausstellungsorten<br />
des „Museums Junge Kunst“ in<br />
Frankfurt (Oder), im Rohkunstbau Schloss<br />
Groß Leuthen, in den Brandenburgischen<br />
Kunstsammlungen Cottbus, ja, selbst in<br />
den ehemaligen und derzeit noch<br />
maroden Kasernen der Sowjetarmee<br />
in Beelitz.<br />
Ob „Klassik im Grünen“ oder „Rock am<br />
See“ – „Kultur in der Natur“ ist in<br />
Brandenburg längst zur unverwechselbaren<br />
Marke geworden. Schließlich<br />
76<br />
warten hier immer noch jede Menge Überraschungen<br />
auf die Besucher, die mittler-<br />
weile in Scharen das Brandenburger<br />
Kultur-Reiseland für sich entdecken. Denn<br />
musiziert wird hierzulande neuerdings<br />
auch in ehemaligen Reitställen, Flugzeughangars<br />
und auf Pferderennbahnen. So<br />
paart sich in Brandenburg der eigentümliche<br />
Sinn für Tradition und Erbe mit einer<br />
ebenso eigenwilligen Kreativität, neue Kunstformen<br />
und Kunsträume zu erschließen,<br />
die europaweit von sich Reden machen.<br />
Und wo die Künste sprießen in freier Natur,<br />
haben auch die Geistes- und Naturwissenschaften<br />
ihr Zuhause. Hatten sich<br />
doch vor allem Preußens Regenten die<br />
Entwicklung einer bedeutsamen Wissenschafts-<br />
und Forschungslandschaft<br />
auf die Fahnen geschrieben. Sie knüpften<br />
dabei an bestehende Traditionen an, wie<br />
etwa in Frankfurt (Oder) mit der schon seit<br />
1506 bestehenden Alma mater Viadrina<br />
(heute Europa-Universität Viadrina).<br />
Wissenschaftler von Weltruf zieht es bis<br />
heute ins beschauliche Brandenburg,<br />
wohl wissend, hier Ruhe, Inspiration<br />
und eine intakte Infrastruktur für ihre<br />
Arbeit zu finden. Nicht von ungefähr fand<br />
1929 selbst Albert Einstein den Weg ins<br />
Märkische, um abseits vom Trubel in<br />
Berlin arbeiten und leben zu können.<br />
Mehr denn je zeugen heute die knapp<br />
40.000 Studenten an den Universitäten<br />
und Fachhochschulen des Landes, die<br />
komplette Vertretung aller bedeutenden<br />
deutschen Forschungsgemeinschaften in<br />
ihren 20 Brandenburger Instituten, sowie<br />
einzigartige Forschungszentren – vom<br />
Sorbischen Institut bis zur Berlin-Brandenburgischen<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
– davon, dass Brandenburg weniger durch<br />
rauchende Schornsteine, als durch rauchende<br />
Köpfe sich seinen Ruf als Zukunftsstandort<br />
verdient. Kein Wunder: Wo es an Rohstoffen<br />
und Schwerindustrie mangelt, ist<br />
Wissen das Kapital des Märkers.<br />
<strong>Potsdam</strong> als geistiges Zentrum dieser<br />
prosperierenden Kultur- und Wissenschaftslandschaft<br />
wird <strong>2010</strong> deutliche<br />
Signale setzen, diesen Standort erlebbar<br />
zu machen. In weiträumigen Projekten,<br />
visionären Entwürfen für die Gesellschaft<br />
und einer modernen Alltagskultur.<br />
Kunst und Wissenschaft sind dabei die<br />
Ingredienzen, aus denen die Realträume<br />
erwachsen werden. Sie sollen wie ein<br />
Magnet wirken und kreative Köpfe aus<br />
Brandenburg, aus Deutschland, und<br />
ganz Europa auf den Plan rufen, die<br />
Bewerbung zur Kulturhaupstadt Europas<br />
in ein spektakuläres wie dauerhaftes<br />
Gesamtkunstwerk für die Zukunft zu<br />
gießen. Hier mit zu tun, ist nicht allein<br />
Herausforderung, sondern Privileg.<br />
Schließlich geht es nicht um irgendeine<br />
Stadt, die sich auf den Weg zur Kultur-<br />
und Zukunftswerkstatt Europas macht.<br />
Ausgerechnet <strong>Potsdam</strong> will es wagen.<br />
Dabei steht kein anderer Ort in Brandenburg<br />
so in der Pflicht der Historie, die<br />
– nach Nietzsche – ebenso von „Nutzen“<br />
wie von „Schaden“ sein kann.<br />
Doch <strong>Potsdam</strong> hat das Potenzial und die<br />
Akteure, um erneut über die Landesgrenzen<br />
Brandenburgs hinaus zu strahlen<br />
– im Glanz eines einflussreichen geistigkulturellen<br />
Zentrums des 21. Jahrhunderts.<br />
Das Land Brandenburg zählt zu<br />
den gewässerreichsten Gebieten<br />
Deutschlands
Wissenschaften:<br />
Was die Welt zusammenhält<br />
In <strong>Potsdam</strong> wurde schon immer an der<br />
Zukunft gearbeitet, in besonderem<br />
Maße im Bereich der Wissenschaft und<br />
Lehre. Aus allen Zweigen und aus allen<br />
Teilen der Welt treffen hier Wissensdurst<br />
und Forscherdrang zusammen.<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der<br />
Forschungsstandort begründet, der<br />
seinerzeit maßgeblich durch die Aktivi-<br />
täten auf den Gebieten Astrophysik,<br />
Geodäsie und Gravitationsforschung<br />
geprägt war.<br />
Nach der deutschen Wiedervereinigung<br />
erfolgte eine Neugestaltung der Forschungs-<br />
und Akademielandschaft. In deren Folge<br />
siedelten weitere bedeutende Einrich-<br />
tungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften,<br />
insbesondere nun auch aus den<br />
Geistes- und Sozialwissenschaften an.<br />
Einer der leistungsfähigsten Forschungsstandorte<br />
Deutschlands entstand, an dem<br />
die gesamte Bandbreite der Wissenschaft,<br />
von hochabstrakter Grundlagenforschung<br />
bis zu applikationsorientierter Zielforschung,<br />
vertreten ist. Interdisziplinäre und internationale<br />
Netzwerke bilden die Grundlage<br />
für den interkulturellen Austausch.<br />
<strong>Potsdam</strong> hat sich als Wissenschaftsstandort<br />
profiliert, den Ideen und Visionen<br />
folgten umsetzungsorientierte Ansätze<br />
und Lösungen. Auch für die Bürger und<br />
Studenten hat diese Ballung von Einrichtungen<br />
ihren ganz alltäglichen Wert, denn<br />
78<br />
als Stadt der Wissenschaften ist natürlich<br />
auch die Auswahl an Bibliotheken ent-<br />
sprechend beeindruckend. Neben der<br />
Stadt- und Landesbibliothek und den drei<br />
Hochschulbibliotheken stehen alleine 17<br />
Spezialbibliotheken, wie die Bibliothek<br />
des Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische<br />
Studien, zur Verfügung.<br />
Eine herausragende Stellung nimmt die<br />
landeskundliche Sammlung Brandenburgica<br />
in der Stadt- und Landesbibliothek ein.<br />
Sie ist das Gedächtnis der <strong>Potsdam</strong>er<br />
und Brandenburger Geschichte.<br />
Das Forschungsspektrum ist breit<br />
gefächert: Fontane-Handschrift und<br />
Sternentstehung im Orionnebel
Laboratorien der Zukunft<br />
80<br />
Eine gelungen Verbindung von<br />
Tradition und Zukunft: Forschung<br />
auf dem Telegrafenberg<br />
<strong>Potsdam</strong> ist überdurchschnittlich intelli-<br />
gent und gebildet. Neben drei Hochschuleinrichtungen<br />
mit 20.000 Studierenden<br />
widmen sich in der Landeshauptstadt<br />
über 4.000 Wissenschaftlerinnen und<br />
Wissenschaftler an rund 50 Instituten in<br />
Hörsälen, Laboratorien, Werkstätten und<br />
Studios der Forschung und Bildung.<br />
Mit der Gründung des ersten speziellen<br />
astrophysikalischen Observatoriums der<br />
Welt im Jahre 1874 schlug die Geburtsstunde<br />
des Forschungsstandortes<br />
Telegrafenberg. 1924 wurde im Einsteinturm<br />
auf dem Telegrafenberg das Sonnenobservatorium<br />
fertig gestellt, das den<br />
Nachweis eines von Albert Einstein voraus-<br />
gesagten Effektes der Allgemeinen<br />
Relativitätstheorie erbringen sollte.<br />
1892 siedelte das Königlich-Preußische<br />
Geodätische Institut von Berlin nach<br />
<strong>Potsdam</strong> über. Im gleichen Jahr wurde auf<br />
dem Telegrafenberg das Meteorologisch-<br />
Geomagnetische Observatorium gegründet.<br />
Durch beide Institute wurden zahlreiche<br />
Expeditionen in Arktis und Antarktis<br />
vorbereitet und unterstützt. Alexander von<br />
Humboldt weilte Mitte des 19. Jahr-<br />
hunderts geraume Zeit in der Stadt und<br />
verfasste hier Teile seines Hauptwerkes.<br />
Ein großer Sohn <strong>Potsdam</strong>s ist der<br />
Physiker Hermann von Helmholtz. Die<br />
Wissenschaften wurden von der kaiserlichen<br />
Familie protegiert. Doch ohne<br />
die inspirierende Aura <strong>Potsdam</strong>s wären<br />
sie wohl kaum so produktiv gewesen.<br />
Weitere frühe Höhepunkte in der über<br />
120-jährigen Forschungstradition<br />
<strong>Potsdam</strong>s sind die Absolutbestimmung<br />
der Erdschwere im Jahre 1909 sowie die<br />
Inbetriebnahme der ersten beiden Quarzuhren<br />
für den offiziellen Zeitdienst 1933.<br />
Mit den Zentralinstituten für Physik der<br />
Erde und für Astrophysik blieb <strong>Potsdam</strong><br />
auch in der DDR ein bedeutender<br />
Wissenschaftsstandort. Neu gegründet<br />
wurden unter anderem 1951 das Zentrale<br />
Institut für Landtechnik der DDR<br />
– das heutige Institut für Agrartechnik<br />
Bornim e.V. – und die Schiffbau-Versuchs-<br />
anstalt <strong>Potsdam</strong> im Jahre 1953.<br />
Ziel der Wissenschaftler am GeoForschungs-<br />
Zentrum ist es, über ein Verständnis des<br />
Systems Erde zur Entwicklung eines<br />
‚Erdmanagements‘ zu kommen, das auch<br />
nachfolgenden Generationen die Erde als<br />
Lebensraum bewahrt. Das <strong>Potsdam</strong>-Institut<br />
für Klimafolgenforschung untersucht den<br />
Klimawandel in seiner ganzen Komplexität,<br />
bis hin zu dessen möglichen ökologischen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Es<br />
kann dabei von den Kollegen des Alfred-<br />
Wegener-Instituts profitieren, die ihre<br />
Kenntnisse aus dem Polarkreis einbringen.<br />
Am Max-Planck-Institut für Kolloid- und<br />
Grenzflächenforschung durchleuchten<br />
Physiker und Chemiker die „Welt der<br />
vernachlässigten Dimensionen“ zwischen<br />
Atomen und sichtbaren Körpern. Biomimetische<br />
Systeme stellen dabei eine<br />
besondere Herausforderung dar; hier<br />
werden sie von den Wissenschaftlern aus<br />
dem Max-Planck-Institut für Molekulare<br />
Pflanzenphysiologie unterstützt, die einen<br />
neuen, ganzheitlichen Ansatz zur Auf-<br />
klärung der komplexen pflanzlichen<br />
Prozesse verfolgen. Im dritten Max-Planck-<br />
Institut auf dem Forschungscampus<br />
Golm, dem Albert-Einstein-Institut, wird in<br />
einer weltweit einzigartigen Vereinigung<br />
verschiedener Forschungszweige im<br />
Geiste Albert Einsteins u.a. nach der „Welt-<br />
formel“ gesucht, die Mikro- und Makrokosmos<br />
vereinigt. Ganz der Frage nach<br />
dem Universum widmet sich das Astrophysikalische<br />
Institut <strong>Potsdam</strong>, das sowohl<br />
in der Sternwarte Babelsberg, als auch<br />
in den spektakulären Gebäuden auf dem<br />
einhundertjährigen Wissenschaftszentrum<br />
Telegrafenberg beheimatet ist: Im expres-<br />
sionistischen Einsteinturm des Architekten<br />
Erich Mendelsohn aus dem Jahre 1920,<br />
sowie im Großen Refraktor-Gebäude aus<br />
dem Jahre 1899.<br />
Typisch für den neuen Geist von <strong>Potsdam</strong><br />
ist der beständige Zuzug renommierter<br />
Wissenschaftseinrichtungen. So ist vor<br />
kurzem das Hasso-Plattner-Institut für Soft-<br />
waresystemtechnik in die Stadt gekommen.<br />
Weitere werden folgen.
Denkschmieden<br />
Ein in Deutschland einzigartiges<br />
Ensemble von hervorragenden Einricht-<br />
ungen im Bereich der Geistes- und<br />
Kulturwissenschaften bilden die wissenschaftlichen<br />
Institutionen Am Neuen<br />
Markt. An einem der schönsten Plätze<br />
der Stadt beherbergen die historischen<br />
Bauten acht national und international<br />
renommierte Institute, die sich in ihrer<br />
Forschung und bei der Vermittlung<br />
wissenschaftlicher Inhalte an ein breites<br />
Publikum wenden. Wie bereits am<br />
preußischen Hofe, wird auch hier der<br />
geistige Austausch gepflegt. Das Themenspektrum<br />
reicht von Europäischer Aufklärung<br />
über Kultur und Geschichte<br />
der Deutschen im östlichen Europa bis hin<br />
zu Fragen des jüdischen Lebens in<br />
Geschichte und Gegenwart.<br />
Den in ihrem Profil individuellen Institutionen<br />
bietet das inspirierende Forum die<br />
Grundlage für einen interdisziplinären<br />
Dialog, fördert Kooperationen und den<br />
Austausch mit der Öffentlichkeit. Es stellt<br />
darüber hinaus überregional einen<br />
intellektuellen Anziehungspunkt dar. Die<br />
gemeinsame Veranstaltungsreihe „<strong>Potsdam</strong><br />
in Europa“ im Jahr 2003 thematisierte die<br />
fundamentale Ambivalenz des preußisch-<br />
deutschen Beitrags zur gemeinsamen<br />
europäischen Vergangenheit. Inhaltliche<br />
und räumliche Ergänzung finden die<br />
Einrichtungen im Haus der Brandenburgisch-Preußischen<br />
Geschichte, das<br />
Kongresszentrum, Ausstellungsraum<br />
und Archiv zugleich ist.<br />
Schnittstelle zwischen Wissenschaft und<br />
Gesellschaft ist das Einstein Forum, das<br />
bedeutenden Wissenschaftlern aus aller<br />
Welt eine Plattform bietet. Mit seinen<br />
Diskussionen und Dialogen hat sich das<br />
Forum in den letzten Jahren zu einem<br />
festen Bestandteil des intellektuellen<br />
Diskurses in Berlin und Brandenburg<br />
entwickelt. In unmittelbarer Nähe<br />
beleuchten Geschichtswissenschaftler<br />
aus ganz Deutschland am Zentrum für<br />
Zeithistorische Forschung <strong>Potsdam</strong> e.V.<br />
zusammen mit internationalen Gästen<br />
die Fragen der jüngeren deutschen Zeitgeschichte.<br />
Eine besondere Bedeutung<br />
kommt der zweiten deutschen Diktatur<br />
im Kontext der europäischen Geschichte<br />
des 20. Jahrhunderts zu.<br />
Das Deutsche Kulturforum östliches<br />
Europa ist für die weitere Entwicklung des<br />
europäischen Einigungsprozesses von<br />
herausragender Bedeutung, da es sich<br />
für eine kritische und zukunftsorientierte<br />
Auseinandersetzung mit der Geschichte<br />
einsetzt. Es behandelt insbesondere jene<br />
Gebiete im östlichen Europa, in denen<br />
früher Deutsche gelebt haben bzw.<br />
heute noch leben und strebt im Dialog<br />
mit Partnern aus Mittel- und Osteuropa<br />
die Entdeckung der Geschichte dieser<br />
Regionen als verbindendes Erbe der<br />
Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn<br />
an. Einem breiten Publikum wird dieser<br />
Ansatz durch Ausstellungen, Lesungen,<br />
Vorträge, Diskussionsveranstaltungen,<br />
Konzerte etc. anschaulich vermittelt.<br />
82<br />
Das Interesse an Wissenschaft<br />
und Forschung findet sich<br />
im ganzen Stadtbild wieder.
84<br />
Hort für Liebhaber und Forscher:<br />
Das Fontane-Archiv am Bassin-Platz<br />
Das Forschungszentrum Europäische<br />
Aufklärung verfolgt die Zusammenführung<br />
von Literaturwissenschaften, Geschichte,<br />
Kultur-, Philosophie-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte.<br />
Damit soll das<br />
Phänomen der Aufklärung interdisziplinär<br />
und in gesamteuropäischer Perspektive<br />
erforscht und der vergleichenden Betrachtung<br />
der europäischen Regionen, ihrer<br />
Begriffe und Medien besondere<br />
Aufmerksamkeit gewidmet werden.<br />
Der Akzent des Moses Mendelssohn<br />
Zentrum für europäisch-jüdische Studien<br />
liegt auf der Beziehungsgeschichte von<br />
Juden und nicht-jüdischer Umwelt sowie<br />
vergleichenden sozialgeschichtlichen<br />
Fragestellungen, soziokulturellen<br />
und ideengeschichtlichen Aspekten. Nicht<br />
zuletzt ist die Berlin-Brandenburgische<br />
Akademie der Wissenschaften, eine Fach-<br />
und Ländergrenzen überschreitende<br />
Gelehrtengesellschaft, die in der Tradition<br />
der Kurfürstlich Brandenburgischen<br />
Sozietät der Wissenschaften steht.<br />
Nicht außer Acht gelassen werden sollte<br />
auch das Fontane-Archiv am Bassinplatz,<br />
das den Nachlass des märkischen<br />
Dichters verwaltet.<br />
<strong>Potsdam</strong>s Ruf, eine Denkschmiede vor<br />
den Toren der Hauptstadt zu sein, ist weit<br />
über die Grenzen Deutschlands hinaus<br />
vernehmbar. Nicht zuletzt deshalb hat der<br />
größte Schweizer Zeitungsverlag Ringier<br />
im Herbst 2003 ausgerechnet in<br />
<strong>Potsdam</strong>, unmittelbar an der Glienicker<br />
Brücke, die CICERO-Redaktion gegründet.<br />
Seit März 2004 erscheint Deutschlands<br />
erstes „Magazin für politische Kultur“<br />
monatlich. Es belebt die alte Tradition der<br />
Autorenmagazine wieder: Am bekanntesten<br />
war wohl Kurt Tucholskys „Weltbühne“,<br />
ebenfalls einst ein <strong>Potsdam</strong>er Medien-<br />
produkt. Mit CICERO hat einmal mehr eine<br />
Vision ihre Heimstatt in <strong>Potsdam</strong> gefunden.
Campus <strong>Potsdam</strong><br />
Aus der 1948 gegründeten Landes- und<br />
später Pädagogischen Hochschule wurde<br />
1991 die Universität <strong>Potsdam</strong> neu<br />
gegründet. 1954 wurde die Deutsche<br />
Hochschule für Filmkunst am traditionsreichen<br />
Standort in <strong>Potsdam</strong>-Babelsberg<br />
ins Leben gerufen. Die älteste von fünf<br />
deutschen Filmhochschulen trägt seit<br />
1985 den Namen Hochschule für Film<br />
und Fernsehen ,Konrad Wolf‘. Als jüngste<br />
Institution nahm im Oktober 1991 die<br />
Fachhochschule <strong>Potsdam</strong>, eine Neugründung<br />
aus bestehenden Instituten, ihren<br />
Forschungs- und Lehrbetrieb auf.<br />
Allen Einrichtungen gemein ist die<br />
Forschungs- und Praxisnähe, die enge<br />
Vernetzung durch Interdisziplinarität<br />
sowie die Verbindung zu zahlreichen<br />
außeruniversitären Forschungseinrichtungen.<br />
Kennzeichnend sind zudem die<br />
unkonventionellen, übergreifenden und<br />
manchmal sogar exotischen Fächerkombinationen,<br />
wie Polymer Science,<br />
Patholinguistik oder Softwaresystem-<br />
technik.<br />
Die Hochschullandschaft <strong>Potsdam</strong>s<br />
konzentriert sich nicht an einem zentralen<br />
Campus, sondern prägt das gesamte Bild<br />
der Stadt. Ob am Standort Babelsberg, an<br />
dem die jungen Filmprofis ihr Handwerk<br />
lernen und sich mit Juristen, Wirtschafts-<br />
sowie Sozialwissenschaftlern austauschen<br />
können. Oder auch in unmittelbarer Nähe<br />
des Neuen Palais, in den Communs, wo<br />
die Studierenden der humanwissenschaftlichen<br />
Fakultäten in königlichem Ambiente<br />
geistige Anregung und Inspiration finden.<br />
Am Rande des Schlossparks Sanssouci,<br />
in zwei palastartigen Pavillons mit geschwungenen<br />
Freitreppen und prächtigen<br />
Kuppelaufsätzen aus dem 18. Jahrhundert,<br />
befindet sich der Hauptsitz der Universität.<br />
Die Fachhochschule <strong>Potsdam</strong> mit den<br />
Fachrichtungen Architektur, Design und<br />
Kulturarbeit geben ehemaligen Militäranlagen<br />
im Norden mit junger Frische<br />
und kreativem Geist neues Leben. Viele<br />
Kasernengebäude und Exerzierplätze<br />
86<br />
Wo die Filmemacher von<br />
morgen ihr Handwerk lernen:<br />
Die Hochschule für Film und<br />
Fernsehen ,Konrad Wolf‘<br />
der einstigen Garnisonsstadt wurden in<br />
den vergangenen Jahren zu attraktiven,<br />
modernen Adressen um- und ausgebaut.<br />
Die naturwissenschaftlichen Institute<br />
der Universität bilden zusammen mit dem<br />
Fraunhofer und dem Max-Planck-Institut<br />
den weiter wachsenden Forschungs-<br />
campus Golm.<br />
Natürlich kommt auch der Spaßfaktor<br />
im studentischen Leben nicht zu kurz.<br />
Die hier ansässigen Fachrichtungen<br />
eröffnen ein dankbares Spektrum an<br />
Geistige Anregung und Inspiration<br />
in königlichem Ambiente:<br />
Blick von den Communs auf das<br />
Neue Palais<br />
außeruniversitären Aktivitäten über<br />
die etablierten Gremien hinaus.<br />
So entwickelte sich das Festival<br />
Sehsüchte seit 1995 zu einem international<br />
angesehen Filmereignis. Die bereits<br />
Anfang der 70er Jahre begründeten<br />
Studentenfilmtage waren das größte<br />
studentische Filmfest des Ostblocks.<br />
Inzwischen sind sie ein Geheimtipp für<br />
Fans aus aller Welt.<br />
Das Unidram, das osteuropäisch-deutsche<br />
Festival für Off-Theater, hat sich seit seinem<br />
Bestehen zu einem renommierten Ort<br />
für junges Theater aus Deutschland und<br />
dem osteuropäischen Raum entwickelt.<br />
Mittlerweile ist es unverrückbarer<br />
Bestandteil der Theaterlandschaft der<br />
Landeshauptstadt und kultureller Höhepunkt<br />
in den neuen Bundesländern.<br />
Im Herzen der Stadt verwirklichen die<br />
Studierenden <strong>Potsdam</strong>s ein ehrgeiziges<br />
Projekt: 2005 beziehen sie ihr Kultur-<br />
zentrum in den mitten in der Altstadt<br />
gelegenen Elfleinhöfen. Sie stehen schon<br />
heute für idealistische und avantgardistische<br />
Konzepte, und bemühen sich<br />
darüber hinaus, wirtschaftlich selbständig<br />
zu agieren. Zukunftsweisend.<br />
Wer hat das Meer versalzen? Warum<br />
soll ich Gemüse essen, wenn Schokolade<br />
viel besser schmeckt? Solch spannende<br />
Fragen werden Kindern im Rahmen<br />
der Kinder-Universität beantwortet, die ab<br />
Oktober 2004 angeboten wird.
Exkurs <strong>Potsdam</strong> und Berlin –<br />
zwei ungleiche Schwestern?!<br />
Die Linie R1 zwischen <strong>Potsdam</strong> und Berlin<br />
gehört zu den am besten ausgelasteten<br />
Streckenverbindungen im Großraum<br />
Berlin-Brandenburg. In <strong>Potsdam</strong> wird<br />
gewohnt und in Berlin gearbeitet, und<br />
umgekehrt. Betrachtet man das Treiben<br />
am <strong>Potsdam</strong>er Hauptbahnhof oder an<br />
der Glienicker Brücke, dann stellt man<br />
fest, dass alltäglich ein unglaublicher<br />
Austausch zwischen beiden Städten<br />
stattfindet. Aber nicht nur zur Arbeit und<br />
zum Studium, sondern auch für Freizeit<br />
und Erholung, zu Kino, Theater und<br />
Konzerten finden die Einwohner den Weg<br />
in die jeweilige Nachbarstadt.<br />
Die Rollenverteilung im gemeinsamen<br />
Siedlungsraum Berlin-Brandenburg<br />
ist jedenfalls klar. Berlin spielt als<br />
Bundeshauptstadt im „big business“,<br />
während die kleine Schwester sich im<br />
Schatten der großen Bundeshauptstadt<br />
eingerichtet hat. Und diese Rolle<br />
genießt. Das vielfältige kulturelle und<br />
infrastrukturelle Angebot Berlins wird<br />
weniger als Konkurrenz, denn als<br />
„<strong>Potsdam</strong> steht für europäische Kulturgeschichte.<br />
Die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart<br />
und Zukunft macht <strong>Potsdam</strong> zu einer aufregenden Stadt.<br />
Eine halbe Stunde von Berlin entfernt, kann man<br />
in <strong>Potsdam</strong> die Seele baumeln lassen. Ob durch seine<br />
einzigartige Architektur oder durch die wunder-<br />
schöne Seenlandschaft. Ich habe vier Jahre in den<br />
weltberühmten Babelsberger Studios gedreht und unterstütze<br />
aus ganzem Herzen die Bewerbung <strong>Potsdam</strong>s als<br />
Kulturhauptstadt <strong>2010</strong>“. Jeanette Biedermann<br />
Standortvorteil für sich selbst betrachtet.<br />
Umgekehrt wirkt die Qualität der <strong>Potsdam</strong>er<br />
Kultur wie ein Magnet auf viele<br />
Berliner. Darüber hinaus ziehen immer<br />
mehr Berliner Familien ins grüne <strong>Potsdam</strong>.<br />
Denn hier ist die großstädtische Hektik<br />
fern, ihr unerschöpfliches Angebot jedoch<br />
nah. Und nirgendwo regeneriert es sich<br />
besser, als inmitten von Schlössern<br />
und Gärten. Das rege Pendeln tut dem<br />
Austausch zwischen beiden Städten gut:<br />
Jeden Tag kommen neue Ideen und neue<br />
Gesichter in die Stadt – genau das ist es,<br />
was diese Stadt ausmacht.<br />
Und wenn man nach der Vereinigung<br />
von Brandenburg und Berlin zu einem<br />
gemeinsamen Bundesland beim<br />
Überqueren der Glienicker Brücke keine<br />
Landes-, sondern nur noch eine ganz<br />
normale Gemeindegrenze überquert,<br />
dann sitzen beide Städte auch föderalistisch<br />
und administrativ in einem Boot.<br />
Das trägt dann den Namen Berlin-<br />
Brandenburg – und wird von <strong>Potsdam</strong><br />
aus gesteuert.<br />
88<br />
Einst Ort des Agentenaustauschs,<br />
heute kommen jeden Tag<br />
neue Ideen in die Stadt: Über die<br />
Glienicker Brücke
Stadtentwicklung: Zwischen<br />
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />
Die Landeshauptstadt hat noch großes<br />
städtebauliches Entwicklungspotenzial.<br />
Doch Fragen nach der Verkehrsführung,<br />
Parkplätzen oder Tiefbau spielen eine<br />
Nebenrolle: Die Herausforderungen sind<br />
weitaus größer.<br />
An reizvollen Plätzen und Märkten<br />
mangelt es nicht, doch das eigentliche<br />
historische Zentrum liegt brach. Dem<br />
Besucher bietet sich ein unschönes<br />
Entree, wenn er mit der Bahn in die Stadt<br />
kommt und nach der Überquerung der<br />
Langen Brücke auf den Alten Markt<br />
stößt. Neben einer überdimensionierten<br />
Verkehrskreuzung steht mahnend ein<br />
Hotelhochhaus. Das im Volksmund als<br />
Blechbüchse bezeichnete Theater lässt<br />
wenig Gutes erwarten, die Baustelle vor<br />
der Nikolaikirche und dem Alten Rathaus<br />
wirkt trotz des Neubaus des Fortuna-<br />
Portals verlassen. Ein weiterer Dorn im<br />
Auge ist das zwar architektonisch interessante,<br />
doch dort deplazierte Gebäude<br />
der Fachhochschule aus den 70er Jahren.<br />
Die Diskussion um die zukünftige Gestaltung<br />
<strong>Potsdam</strong>s löst hitzige Debatten<br />
aus. Sie stellt die Stadt und ihre Bürger<br />
vor große Aufgaben. Ihre Lösungen<br />
wird die Nachwelt kritisch betrachten.<br />
<strong>Potsdam</strong> weckt einmal mehr Visionen!<br />
Die Schiffbauergasse als Kulturstandort,<br />
an dem Off-Szene, Theaterneubau<br />
und neue Ökonomie eine inspirierende<br />
Symbiose eingehen, ist einer der größten<br />
wahr gewordenen Träume der letzten<br />
Jahre. An den spannungsvollen Ort zieht<br />
es gegenwärtig in erster Linie die Avantgarde<br />
und die Jugend, doch spätestens<br />
im Jahre 2006 wird die Schiffbauergasse<br />
zu <strong>Potsdam</strong>s Kulturmeile Nr. 1 zählen.<br />
Neben den Entwicklungskonzepten von<br />
öffentlichen Einrichtungen spielen die<br />
Wohnungsbaukonzepte eine entscheidende<br />
Rolle. Ob der <strong>Potsdam</strong>er Osten mit<br />
den Großraumsiedlungen Stern, <strong>Drewitz</strong>,<br />
Schlaatz. Waldstadt und Kirchsteigfeld,<br />
oder das neu erschlossene Gebiet um das<br />
Bornstedter Feld – <strong>Potsdam</strong> ist im Bau.<br />
90<br />
Gemeinsam mit den Bürgern stellen sich<br />
Kommune und Wohnungsbauunternehmen<br />
sowohl in den großen Stadtteilen, die in<br />
den vergangenen 30 Jahren entstanden<br />
sind, als auch in neu erschlossenen<br />
Siedlungen, den Herausforderungen. Der<br />
Stadt gelang es, im Laufe des letzten<br />
Jahrzehnts beispielhafte Lösungsansätze zu<br />
formulieren und diese auch umzusetzen.<br />
Im Gegensatz zu anderen Städten ist<br />
<strong>Potsdam</strong> in der glücklichen Lage, auf eine<br />
steigende Einwohnerzahl zu blicken. Durch<br />
die bewusste Gestaltung des Stadtbildes<br />
und das innere Zusammenwachsen der<br />
Stadtteile, durch Wohnquartiere, Einkaufsmöglichkeiten<br />
und Freizeitangebote,<br />
gewinnt <strong>Potsdam</strong> sein Profil als eine vitale<br />
Stadt, die viel mehr ist, als ein Ort mit<br />
unzähligen Sehenswürdigkeiten.<br />
Die Herausforderungen an den<br />
Städtebau sind enorm: Kulturbaustelle<br />
in der Schiffbauergasse
Im Herzen der Stadt<br />
Die Wiedergewinnung der Historischen<br />
Mitte <strong>Potsdam</strong>s ist eine vielfältige<br />
Aufgabe, die neben einem langen Atem<br />
vor allem Verständnis für die gewachsene<br />
Stadt, ihre menschlichen Proportionen<br />
und urbanen Strukturen braucht. Die<br />
in wenigen Jahren erreichten Erfolge<br />
– sowohl in der Stadterneuerung als auch<br />
in den Köpfen der Menschen – eröffnen<br />
<strong>Potsdam</strong> die reelle Chance, in dem sich<br />
schnell wandelnden Zeitgeschmack<br />
wieder mit dauerhaften Qualitäten zu<br />
bestehen. In einer Zeit, in der virtuelle<br />
Welten zunehmend an Bedeutung<br />
gewinnen, Distanzen und Grenzen spielend<br />
elektronisch überwunden werden können,<br />
suchen Menschen als Gegenpol wieder<br />
den physischen, in einer kulturellen<br />
Tradition stehenden Ort. Basierend auf<br />
einer Vorstellung, die vor fast dreieinhalb<br />
Jahrhunderten geboren wurde, bietet<br />
„das gantze Eyland“ heute dafür über-<br />
zeugende Angebote.<br />
Verborgene Schönheiten<br />
Das Areal um den Alten Markt zählte vor<br />
dem Zweiten Weltkrieg zu den bedeutenden,<br />
fast vollständig erhaltenen<br />
barocken Stadtkunstwerken in Deutschland.<br />
Die Abfolge von Plätzen und Straßenräumen<br />
mit einheitlich gestalteten<br />
Fassaden, teilweise Nachbildungen von<br />
italienischen Palästen, und der Stadtkanal<br />
nach holländischem Vorbild<br />
beeindruckte Besucher und Bewohner.<br />
Die Stadtsilhouette mit den Türmen der<br />
Heilig-Geist-Kirche, der Garnisonkirche,<br />
der Kuppel der Nikolaikirche, dem<br />
Alten Rathaus und dem Fortunaportal des<br />
Schlosses war berühmt.<br />
Der Luftangriff im April 1945 zerstörte<br />
den Stadtkern mit dem Stadtschloss,<br />
den Kirchen, der Haveluferbebauung und<br />
den Wohngebäuden der ersten barocken<br />
Stadterweiterung. Die frühen fünfziger<br />
Jahre des 20. Jahrhunderts waren in<br />
<strong>Potsdam</strong> noch weitgehend vom Gedanken<br />
des Wiederaufbaus geprägt. Auch für<br />
das Stadtschloss gab es Nutzungskonzepte.<br />
Die Überformung des histori-<br />
schen Stadtbildes wurde zum Symbol<br />
der neuen Gesellschaft, die aus Ruinen<br />
auferstehen sollte.<br />
Für die Stadt bedeutete das einerseits<br />
Abriss der noch wiederaufbaufähigen<br />
Ruinen des Stadtschlosses, Sprengung<br />
der Garnisonkirche, Zuschüttung des<br />
Stadtkanals und Abriss der Ruine<br />
der Heilig-Geist-Kirche, andererseits<br />
Schaffung einer städtebaulichen<br />
92<br />
In einer kulturellen Tradition<br />
stehender Ort im Herzen der Stadt:<br />
Historische Ansicht des Stadtschlosses<br />
mit dem Fortunaportal
Großstruktur mit Aufmarschmagistrale,<br />
wie sie für eine sozialistische Bezirksstadt<br />
als angemessen angesehen wurde.<br />
Kurz: Die Mitte der Stadt wurde systema-<br />
tisch ihrer wertvollen historischen<br />
Substanz und stadträumlichen Struktur<br />
beraubt.<br />
Umso höher sind die Leistungen anzuerkennen,<br />
die zur Erhaltung bedeutender<br />
Gebäude geführt haben. Schon 1947<br />
begann die evangelische Kirche mit der<br />
Sicherung der Nikolaikirche, die 1981<br />
wieder eingeweiht werden konnte. 1966<br />
wurde das Alte Rathaus unter Einbeziehung<br />
der beiden Nachbargebäude als Kulturhaus<br />
wieder aufgebaut. Weitere Beispiele<br />
sind die Wiederherstellung des Marstalls<br />
als Filmmuseum der DDR und die<br />
Erneuerung der Knobelsdorffschen<br />
Pendanthäuser am Beginn der Breiten<br />
Straße. Überwiegend wurde jedoch nach<br />
der Direktive des Politbüros von 1968<br />
verfahren, die für den Aufbau des<br />
„Stadtzentrumskerns“ von <strong>Potsdam</strong> ein<br />
„neues unverwechselbares sozialistisches<br />
Gepräge“ forderte.<br />
Zwischen gestern und morgen<br />
Nach dem Ende der DDR wurde die Stadt-<br />
verwaltung im Oktober 1990 beauftragt,<br />
„eine langfristige, die Jahrtausendwende<br />
überschreitende Konzeption für eine von<br />
Verantwortung getragene, behutsame<br />
Wiederannäherung an das charakteristisch,<br />
historisch gewachsene Stadtbild“ zu<br />
entwickeln. Ein 1991 durchgeführtes, viel<br />
beachtetes internationales Architektenseminar<br />
empfahl übereinstimmend, das<br />
„Gesamtkunstwerk <strong>Potsdam</strong>“ wiederherzustellen.<br />
Damit besteht für die heutige<br />
Generation die Herausforderung und die<br />
Chance, die Historische Mitte <strong>Potsdam</strong>s<br />
als Bezugspunkt des „Gesamtkunstwerks“<br />
wiederzugewinnen. Mit der Festsetzung als<br />
Sanierungsgebiet hat die Stadt <strong>Potsdam</strong><br />
seit 1999 ein geeignetes Instrumentarium,<br />
eine so weitreichende städtebauliche<br />
Maßnahme umzusetzen und zu finanzieren.<br />
Besonders ermutigend ist, dass vor allem<br />
auch private Initiativen diesem Prozess<br />
treibende Impulse gegeben haben. Aus den<br />
anfänglich widersprüchlichen Diskussionen<br />
sind konkrete Initiativen der Bürger<br />
geworden. Etwa zwanzig Vereine bemühen<br />
sich mit steigender Resonanz um die Wieder-<br />
herstellung der bauhistorischen Qualität<br />
der Stadt. Dabei geht es nicht nur um<br />
private Gelder, die zur Wiederherstellung<br />
der Schönheit der Stadt beitragen,<br />
sondern gerade auch um das wachsende<br />
Verständnis der Menschen für die<br />
Erneuerung des historischen Ortes.<br />
Nach einer breiten Debatte wurde vom<br />
Beirat „<strong>Potsdam</strong>er Mitte“ die weitgehende<br />
Rekonstruktion der Schlossfassade in<br />
ihrer historischen Gestalt empfohlen.<br />
Durch die Verbindung historischer Elemente<br />
und originaler Fragmente mit modernen<br />
Gebäudeteilen kann ein einzigartiger Ort<br />
entstehen – ein Ort, der Bewahrenswertes<br />
94<br />
in sich aufnimmt und gleichzeitig die<br />
angemessene Umgebung für Zukunftsent-<br />
scheidungen bietet.<br />
Am Neuen Markt, der weitgehend von<br />
Kriegszerstörungen verschont blieb, sind mit<br />
dem Kabinettshaus und dem ehemaligen<br />
Kutschpferdestall zwei besonders wertvolle<br />
und geschichtsträchtige Gebäude rekonstruiert<br />
worden. An einem der schönsten<br />
Plätze in der Mitte der Stadt haben sich<br />
Kultur, Geisteswissenschaften, Fremdenverkehr<br />
und Gastronomie fest etabliert.<br />
Diese Funktionen sollen bei der weiteren<br />
Umgestaltung des Stadtraumes zwischen<br />
Neuem Markt und Plantage zu einem<br />
lebendigen innerstädtischen Quartier ge-<br />
stärkt werden.<br />
Gefasst wurde die Historische Mitte<br />
gleichsam wie eine Insel auf der Insel durch<br />
den Stadtkanal – einst charakteristisches<br />
Element der barocken Stadtanlage<br />
<strong>Potsdam</strong>s, nach holländischem Vorbild aus<br />
einem Entwässerungsgraben entstanden.<br />
Unmittelbar nach der Wende forderte eine<br />
<strong>Potsdam</strong>er Bürgerinitiative, den Stadtkanal<br />
wieder auszugraben. Man wusste, dass die<br />
Einfassungen, die Treppen und die<br />
Brückenpfeiler noch vorhanden waren.<br />
Inzwischen konnte der Stadtkanal in zwei<br />
Teilstücken wieder sichtbar gemacht<br />
werden. Ein Gesamtkonzept für die Wieder-<br />
herstellung ist erarbeitet; die nächsten<br />
Abschnitte werden in Angriff genommen.<br />
Die historische Mitte bewegt<br />
seit Jahrzehnten die Bürger:<br />
Alter Markt mit Fortunaportal<br />
und Nikolaikirche
Schiffbauergasse – Ein Hauch von Metropole<br />
96<br />
Ein Ort der Widersprüche<br />
und Spannungen: Die Schiffbauergasse<br />
mit dem Neubau des<br />
Hans-Otto-Theaters<br />
Die Schiffbauergasse ist ein Ort der<br />
Widersprüche, der Spannungen erzeugt<br />
und Fortschritt ermöglicht. An dem Ort,<br />
der heute eine Vision des gegenwärtigen<br />
<strong>Potsdam</strong>s verkörpert, liegen die<br />
Ursprünge der Stadt. Es liegt auch heute<br />
noch etwas Originäres in diesem Areal –<br />
verfallene Speicher, ausgetretene Wege,<br />
matschige Fahrspuren, vom Verfall<br />
bedrohte Mauern. Baukräne stehen<br />
für Aufbau, Leuchtschilder weisen den<br />
Weg zum Hightechstandort und der<br />
Zukunft des Autodesigns, während hinter<br />
den von Graffiti beschmierten Wänden<br />
und maroden Gebäuden künstlerische<br />
Ideen und Gedanken reifen.<br />
Die freien Kulturträger, die das Areal für<br />
sich entdeckten und beleben, sind der<br />
ursprüngliche Motor der Entwicklung in<br />
der Schiffbauergasse. Im Sommer 1991<br />
waren erste Vertreter der <strong>Potsdam</strong>er<br />
Kunst- und Kulturszene in das Gelände<br />
vorgestoßen. Bis zu diesem Zeitpunkt war<br />
das Areal jahrhundertelang industriellmilitärisch<br />
genutzt und spielte im öffentlichen<br />
Bewusstsein keine Rolle. Einzelne<br />
Gebäude wurden besetzt und nach<br />
anfänglichem Zweifeln unterstützte die<br />
Stadt die Initiativen. Heute finden in der<br />
Schiffbauergasse einige der wichtigsten<br />
Kulturveranstaltungen statt. Ob die<br />
fabrik <strong>Potsdam</strong> mit den <strong>Potsdam</strong>er<br />
Tanztagen, die Vorstellungen der Jugend-<br />
sparte des Hans-Otto-Theaters oder<br />
Konzertevents des Waschhauses –<br />
mit der Schiffbauergasse werden bereits<br />
heute gelungene, innovative und qualitativ<br />
ansprechende Produktionen verbunden.<br />
Zudem stellt sie den wichtigsten Investi-<br />
tionsstandort dar. Das Besondere:<br />
Die Kulturszene ebnete den Weg, erkannte<br />
die großartigen Möglichkeiten, die<br />
sich direkt im Brachland am Ufer des<br />
Tiefen Sees boten. Die Stadt folgte<br />
diesen Gedanken und sorgte für weitere<br />
Chancen. Die Wirtschaft trat in die<br />
bereits festgetretenen Pfade und gesellte<br />
sich in die unmittelbare Nachbarschaft<br />
der ehemaligen Besetzer. Vielleicht<br />
werden sich in einigen Jahren bislang<br />
unvorstellbare Konstellationen ergeben,<br />
wenn der Theaterbau des Landes und der<br />
Stadt eingeweiht wurde, wenn neben dem<br />
VW-Design-Center und dem Softwarekonzern<br />
Oracle weitere Investoren und<br />
Unternehmen angelockt werden<br />
konnten. Die <strong>Potsdam</strong>er setzen große<br />
Hoffnungen in den neuen Standort, der<br />
einen Hauch von Metropole vermittelt.
Platte Wohnkultur im Wandel<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hießen<br />
die Siedlungen auf der anderen Seite<br />
der Havel „Daheim“ oder „Am Brunnen“,<br />
später waren Namen wie Schlaatz, Waldstadt<br />
oder <strong>Drewitz</strong> modern. Seit den<br />
sechziger Jahren entstanden großflächige<br />
komplexe Siedlungen, die über eine<br />
eigene Infrastruktur verfügen sollten.<br />
Heute leben in diesen Siedlungen rund<br />
40 Prozent der <strong>Potsdam</strong>er.<br />
<strong>Drewitz</strong> ist das letzte große Siedlungsgebiet,<br />
das vor der Wende erschlossen<br />
wurde, das benachbarte Kirchsteigfeld<br />
das erste Wohngebiet der Nachwendezeit.<br />
Zusammen mit der Großsiedlung Am<br />
Stern, den Resten der ursprünglich dörflichen<br />
Bebauung und einem großen<br />
Gewerbegebiet bilden sie einen vielschich-<br />
tigen Raum. Wo vor 30 Jahren gerade<br />
einmal 1.000 Menschen lebten, wohnen<br />
heute 30.000. Vor allem Familien<br />
lassen sich hier nieder, etwa die Hälfte<br />
der <strong>Potsdam</strong>er Kinder und Jugendlichen<br />
leben hier.<br />
<strong>Potsdam</strong> hat sich vorgenommen, diese<br />
Stadtteile zu Ende zu bauen. Was<br />
Fragment geblieben, soll vervollständigt,<br />
was vergessen wurde, soll nachgereicht<br />
98<br />
werden. Es soll ein zukunftsfähiger<br />
Stadtteil entstehen, ein urbaner Ort nahe<br />
der Natur.<br />
Friede den Kasernen<br />
Unmittelbar nördlich anschließend an die<br />
historische <strong>Potsdam</strong>er Innenstadt liegt<br />
der neu gestaltete Stadtraum Bornstedter<br />
Feld. Das seit dem 18. Jahrhundert<br />
militärisch genutzte Gebiet ist eingebettet<br />
in die Kulturlandschaft. Über zwei<br />
Jahrhunderte konnte die Stadt durch die<br />
militärische Nutzung diese städtebauliche<br />
Barriere nicht überwinden – ob Garni-<br />
sonen der preußischen Monarchie,<br />
Wehrmacht, Nationale Volksarmee oder<br />
sowjetische Truppen: Die Stadt konnte<br />
sich bis 1991 nicht nach Norden ausbreiten.<br />
Der Abzug der Truppen markierte<br />
den Startpunkt für die zivile Zukunft dieses<br />
Gebietes und bedeutete eine tiefgreifende<br />
Wende in der <strong>Potsdam</strong>er Stadtentwicklung.<br />
Besonderes Augenmerk wurde auf die<br />
historische Planungspraxis gelegt und die<br />
umgebende Landschaft in Zusammenhang<br />
mit den Planungen gesehen. Die Bemühungen<br />
wurden im Jahre 2002 mit dem<br />
Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet.<br />
Seit der Bundesgartenschau im Jahre 2001<br />
bildet der Volkspark das Zentrum des neu-<br />
erschlossenen Gebiets und lockt Familien,<br />
Sportler und Ausflügler gleichermaßen<br />
in das großzügig gestaltet Areal. Im südlichen<br />
Bereich ist mit dem Einzug der Fachhochschule<br />
ein moderner Campus entstanden,<br />
der die Mauern der ehemaligen Kasernen<br />
mit frischen Ideen belebt.<br />
In den sechziger Jahren<br />
entstanden, nach der Wende<br />
modernisiert: Großsiedlungsfassaden<br />
im Zentrum
Exkurs Wiederaufbau der Garnisonkirche<br />
Mit dem „Ruf aus <strong>Potsdam</strong>“ wurde im Januar 2004 eine neue<br />
Initiative zum Wiederaufbau der <strong>Potsdam</strong>er Garnisonkirche<br />
gestartet. An diesem politisch umstrittenen, städtebaulich und<br />
architektonisch hoch bedeutenden Bauwerk kulminiert preußische<br />
und deutsche Geschichte in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit.<br />
Der geplante Wiederaufbau soll deshalb kein vorrangig<br />
restauratives Projekt werden, sondern er soll die Auseinandersetzung<br />
mit den Traditionen und gesellschaftlichen Brüchen<br />
in der Geschichte <strong>Potsdam</strong>s und des preußischen Staates<br />
ermöglichen. Das kirchliche Nutzungskonzept sieht für die wieder<br />
zu errichtende Garnisonkirche eine Nutzung als offene Stadt-<br />
und Symbolkirche, sowie die Einrichtung eines internationalen<br />
Versöhnungszentrums vor.<br />
Als Bauwerk bestimmte die Garnisonkirche das Stadtbild<br />
<strong>Potsdam</strong>s entscheidend mit. Ihr Äußeres war Teil des berühmten<br />
„Dreikirchenblicks“. In der Kunstgeschichte gilt sie als Hauptwerk<br />
des preußischen Barock, der aus einer Symbiose von niederländischer<br />
Schlichtheit und französischem Einfluss hervorging.<br />
Im Gegensatz zu seinen Vor- und Nachfahren hat ihr Erbauer,<br />
König Friedrich Wilhelm I., nicht großartige Schlösser, sondern<br />
eine bedeutende Anzahl von Kirchen zur Ehre Gottes erbauen<br />
lassen. Als Simultankirche für Calvinisten und Lutheraner,<br />
als Gotteshaus für eine Militär- und Zivilgemeinde, für Hofbedienstete<br />
und Bürger war sie ein Symbol der religiösen und<br />
staatsbürgerlichen Toleranz, die durch das <strong>Potsdam</strong>er Edikt von<br />
1685 begründet worden war. 1817 war sie sogar Ausgangspunkt<br />
für den Zusammenschluss der beiden evangelischen<br />
Konfessionen zur Evangelischen Kirche der Union, wie sie noch<br />
heute besteht.<br />
Als Ruhestätte des Soldatenkönigs und Friedrichs des Großen<br />
entwickelte sich die Garnisonkirche zu einem viel besuchten Ort.<br />
Im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen wurde 1809<br />
dort der erste frei gewählte Magistrat von <strong>Potsdam</strong> in sein Amt<br />
eingeführt. Nach der Rückkehr der Regimenter der <strong>Potsdam</strong>er<br />
Garnison aus den Befreiungskriegen gestaltete man die<br />
Garnisonkirche zu einer Erinnerungsstätte. Kein Geringerer,<br />
100<br />
als der bekannte Baumeister Karl Friedrich Schinkel lieferte<br />
den Entwurf für die Anbringung der erbeuteten Fahnen an den<br />
Pfeilern des Kirchenschiffes.<br />
Gegen den Widerstand führender Kirchenvertreter und der<br />
damaligen Kirchenleitung fand in der Kirche am „Tag von<br />
<strong>Potsdam</strong>“, dem 21. März 1933, der Staatsakt zur Eröffnung des<br />
Reichstages statt. Goebbels hatte die Symbolkraft dieser<br />
Ruhestätte Friedrichs des Großen und des Soldatenkönigs<br />
erkannt und den Gegnern des nationalsozialistischen Regimes<br />
suggeriert, an die preußischen Traditionen anknüpfen zu wollen.<br />
Diesem Missbrauch steht gleichermaßen als schwacher Trost<br />
gegenüber, dass viele Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944<br />
Gemeindeglieder der <strong>Potsdam</strong>er Garnisonkirche waren.<br />
Es ist überliefert, dass der letzte Organist und Glöckner die<br />
Lieblingschoräle inhaftierter Regimegegner erschallen ließ,<br />
um ihnen damit Mut zu machen.<br />
Nach dem englischen Luftangriff auf <strong>Potsdam</strong> am späten Abend<br />
des 14. April 1945 brannte die Kirche aus. 1950 wurde im<br />
Erdgeschoss des Turmes die „Heilig-Kreuz-Kapelle“ eingeweiht.<br />
Gemeindeglieder beräumten nach und nach den Schutt und<br />
gingen 1966 an den Wiederaufbau. Als bereits zwei Stahlbetondecken<br />
zur Sicherung des Turmes eingezogen waren, verhängten<br />
die SED-Behörden einen Baustopp. Zwei Jahre darauf,<br />
übrigens zeitgleich mit der Leipziger Universitätskirche, folgte<br />
auf Ulbrichts unmittelbare Anordnung die Sprengung. Dieser Akt<br />
der Zerstörung konnte jedoch die Erinnerung an dieses Hauptwerk<br />
des Preußischen Barock nicht auslöschen.<br />
Ein Originaldetail der Garnisonkirche
<strong>Potsdam</strong>: Vor allem wunderschön!<br />
Die Resonanz der Bewerbung von <strong>Potsdam</strong> als Kulturhauptstadt Europas<br />
im Jahre <strong>2010</strong> rief allerorts selbstverständliche Zustimmung hervor. Mit dieser<br />
Kulisse und dieser Vergangenheit sei die Stadt geradezu prädestiniert. Welche<br />
andere Stadt hat denn soviel Europäisches zu bieten? Noch dazu so ansehnlich,<br />
umfangreich und wunderbar erhalten? Beim näheren Hinsehen stellt sich in<br />
der Tat heraus, dass die Stadt ein Schmelztiegel europäischer Ideen und Projekte<br />
ist; dass diese vom Militär über Jahrhunderte bestimmte und über 40 Jahre<br />
in den Schatten der Mauer gedrängte Stadt mit größter Selbstverständlichkeit<br />
wieder ihren angestammten Platz in der Mitte Europas eingenommen hat;<br />
dass an die großen Traditionen, von denen lediglich die drei eindrucksvollsten<br />
– Landschaftsgestaltung, Baukultur, Filmwelt – näher beleuchtet wurden,<br />
angeknüpft wird, mit dem Blick in die Zukunft gerichtet.<br />
<strong>Potsdam</strong> hat eine Menge zu bieten. Dem Besucher wird schon beim ersten<br />
Kontakt klar: <strong>Potsdam</strong> ist vor allem wunderschön. Wohin das Auge blickt –<br />
bezaubernde Straßen, entzückende Villen, reizende Gärten und innerhalb weniger<br />
Meter durchquert man mehrere Länder, Jahrzehnte und Epochen. Das alles<br />
in einer der schönsten Regionen Deutschlands – mit ihren klaren Seen,<br />
märkischen Wälder, gepflegten Parks. <strong>Potsdam</strong> verdankt seine Schönheit und<br />
Pracht zwar maßgeblich den Königen und – sicherlich – den preußischen<br />
Architekten und Landschaftsgestaltern. Doch was wären die Herrscher ohne ihr<br />
Volk? Was das <strong>Potsdam</strong> von heute ohne die Bürgerinnen und Bürger, die<br />
Ideen transportieren, kritisch Entscheidungen hinterfragen und engagiert ihre<br />
Stadt gestalten?<br />
102<br />
Blick von der Freundschaftsinsel<br />
auf die Nikolaikirche und das Alte<br />
Rathaus am Alten Markt
Die <strong>Potsdam</strong>er sind eng verbunden mit den Erben ihrer Vorväter. Aus<br />
diesem Erbe schöpfen sie die Kraft für neue Träume. Inspiriert von Ideen und<br />
Phantasien aus den verschiedensten Ländern Europas: Den Baumeistern aus<br />
Holland, den Philosophen aus Frankreich, den Sängern aus Russland, den<br />
Vorbildern aus Italien, den Ratgebern aus England und den vielen neuen<br />
Einwohnern, die sich im Laufe der Zeit in der Havelstadt niedergelassen haben.<br />
In <strong>Potsdam</strong> wird ständig an der neuen Vision Europa gebaut. Diese Stadt ist<br />
in Bewegung. Ob am Stadtrand, wo sowohl qualitativ herausragende Stadterweiterung<br />
betrieben wird oder im Stadtzentrum, wo die Diskussionen um die<br />
Historische Mitte <strong>Potsdam</strong>s die Gemüter bewegt. Ob in den Hörsälen der<br />
Universität oder den Laboratorien der Grenzflächenforschung, ob am städtischen<br />
Theater oder in den vielen Museen. Eine Bewegung, die den ständigen<br />
Austausch bedingt, damit sie Fortschritte erzielen kann. Eine Bewegung,<br />
die inspiriert.<br />
Die Wahl <strong>Potsdam</strong>s zur Kulturhauptstadt<br />
Europas gäbe ein europäisches<br />
Signal zu einem historischen Zeitpunkt<br />
der neuen europäischen Geschichte: Eine<br />
Stadt der Visionen als Vision für das<br />
kulturelle Selbstverständnis einer sich<br />
erweiternden und damit kulturell verdichtenden<br />
europäischen Union.<br />
104<br />
Was <strong>Potsdam</strong> war, ist diese Stadt<br />
und wird sie künftig sein: Ein kultureller<br />
Ort gleichsam im Windschatten der<br />
Metropole Berlin, der ein charakteristisches<br />
Selbstbewusstsein lebte und lebt<br />
– im Europa des Alten Fritz ebenso wie<br />
im Europa der 25 Staaten. Aus Liebe zur<br />
Region, aus historisch geprägter Toleranz,<br />
Optimismus und Bereitschaft zur Mobilität.<br />
<strong>Potsdam</strong>s Geschichte ist seine<br />
Aufgabe für die Zukunft: Vor dem Hintergrund<br />
der vielfältigen Potenziale –<br />
historisch erwachsen, gegenwärtig<br />
erhalten und gepflegt – Initiator zu sein<br />
für europäische Visionen.