Friedrich, genannt Fritz, wurde als siebentes Kind seiner ... - Restorff
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<strong>Friedrich</strong> (<strong>Fritz</strong>) Otto Carl,<br />
* Radegast 13. 9. 1836,<br />
† ebd. 22. 9. 1913,<br />
auf Radegast und Steinhagen<br />
(Fideikommiß);<br />
oo Parchow bei Kröpelin 1. 5. 1868<br />
Bertha Julie Elisabeth v. Storch,<br />
*Parchow 29. 5. 1846,<br />
† Bad Doberan 26. 12. 1920<br />
(Eltern: Bernhard v. Storch<br />
auf Parchow<br />
und Luise Warncke).<br />
7 <strong>Kind</strong>er: 5 Töchter und 2 Söhne.<br />
<strong>Friedrich</strong>, <strong>genannt</strong> <strong>Fritz</strong>, <strong>wurde</strong> <strong>als</strong> <strong>siebentes</strong> <strong>Kind</strong> <strong>seiner</strong> Eltern Adolf Conrad Cord und<br />
Elisabeth Wilhelmine v. <strong>Restorff</strong>, geborene Schuback, am 13. September 1836 geboren. Er<br />
war das erste von insgesamt zehn <strong>Kind</strong>ern, das nicht in dem kleinen mecklenburgischen<br />
Ribnitz, sondern in Radegast zur Welt kam, nur wenige Wochen nachdem der Vater das Gut<br />
von <strong>seiner</strong> in Rakow lebenden Mutter übernommen hatte. In Mecklenburg war es Brauch,<br />
dass die Söhne um das väterliche Erbe losten. Es sollte später der 27jährige <strong>Fritz</strong> sein, „der<br />
erste Radegaster“, der das Los zog und somit auch der Erbe von Radegast und Steinhagen<br />
<strong>wurde</strong>. <strong>Fritz</strong> hat sein ganzes Leben in Radegast verbracht und ist dort am 22. September 1913<br />
gestorben – nur wenige Tage nach seinem 77. Geburtstag.<br />
<strong>Friedrich</strong>s vor ihm in Ribnitz geborene Geschwister waren:<br />
Luise Henriette Regine, geboren am 10. Juli 1828,<br />
Carl Paul Heinrich, geboren am 3. August 1829,<br />
Gustav Heinrich Anton Titus, geboren am 7. Januar 1831,<br />
Johanna Wilhelmine Caroline Friederike, geboren am 14. Juli 1832,<br />
gestorben am 10. April 1834, kurz vor der Geburt von<br />
Adolf Ludwig Franz, geboren am 13. Mai 1834, und<br />
Hermann Ludwig Wilhelm Carl, geboren am 13. Juli 1835.<br />
Nach <strong>Fritz</strong> kamen in Radegast zur Welt:<br />
Wilhelm Emil Christian, geboren am 10. Februar 1838,<br />
Marie Henriette Caroline Auguste, geboren am 19. Juni 1839, und<br />
Dorothee Caroline Friederike, geboren am 5. Juli 1843,<br />
gestorben am 12. Juli 1844.<br />
<strong>Fritz</strong> wuchs zusammen mit fünf Brüdern auf, von denen er der zweitjüngste war. Seine große<br />
Schwester Luise war acht Jahre älter <strong>als</strong> er und damit sozusagen „außer Reichweite“, und die
2<br />
kleine Marie, drei Jahre jünger <strong>als</strong> er, war für ihn <strong>als</strong> kleinem Jungen wahrscheinlich auch<br />
uninteressant, <strong>wurde</strong> aber später von ihm sehr geliebt, wie sein Brief an seine Mutter zeigt. [S.<br />
hier Seite 11.]<br />
Die Erziehung im Radegaster Elternhaus war konsequent und richtete sich nach religiösen<br />
Grundsätzen. Sehr früh schon unterwies die Mutter ihre <strong>Kind</strong>er in biblischer Geschichte,<br />
wahrscheinlich auch im Zeichnen. In Zeiten, in denen noch nicht „geknipst“ <strong>wurde</strong>, war das<br />
Zeichnen die einzige Möglichkeit, bildliche Eindrücke festzuhalten. Den beiden Großen,<br />
Luise und Carl, erteilte die Mutter Klavierunterricht. Oft und gern spielte sie Klavier, oder sie<br />
sang den <strong>Kind</strong>ern Lieder vor und begleitete sich selbst dabei. Der Vater leitete die Jungen in<br />
diversen sportlichen Disziplinen an, gab später aber auch selbst Unterricht, zum Beispiel in<br />
Latein, <strong>als</strong> einmal ein Hauslehrer ausgefallen war. Als die <strong>Kind</strong>er klein waren, gab es im Haus<br />
– neben dem sonstigen Hauspersonal – eine deutsche und eine französische Gouvernante.<br />
Schon früh sprachen die Eltern bei Tisch mit den <strong>Kind</strong>ern französich, einerseits, um die<br />
Sprache zu üben, andererseits aber auch, um die <strong>Kind</strong>er vom Plappern abzuhalten, wie Carl in<br />
seinen Erinnerungen vermutet. Ein Ärgernis für die Brüder war, dass Luise, die Älteste, nach<br />
dem Hauptgericht mit den Erwachsenen sitzen bleiben und die süße Nachspeise genießen<br />
durfte, während die Jungen den Tisch aus erzieherischen Gründen verlassen mussten: Sie<br />
sollten nicht verwöhnt werden. Die Größeren sollen Luise deshalb des öfteren geknufft haben.<br />
Als <strong>Fritz</strong> fünf Jahre alt war, <strong>wurde</strong> sein Vater plötzlich schwer krank. Er erlitt einen ersten<br />
Herzanfall. Der sonst so kräftige und sportliche Adolf kämpfte nun gegen die Krankheit und<br />
gegen die damit verbundenen Schmerzen an und unterzog sich diversen Kuren, die aber keine<br />
Heilung brachten. Zwei Jahre später, kurz nach der Geburt der kleinen Dorothea, starb der<br />
geliebte Vater am 20. August 1843. <strong>Fritz</strong> war sieben Jahre alt und hat die Szene sicher sehr<br />
bewusst miterlebt, wie „Ohm Heinrich“ seinem ältesten Bruder Carl am Sterbebett des Vaters<br />
versprach, dass er von nun an für sie alle sorgen wolle. Dieses Versprechen hat er gehalten<br />
und hat sich zwanzig Jahre lang <strong>als</strong> Vormund neben seinen Aufgaben in Rosenhagen sowohl<br />
um die Radegaster Familie <strong>als</strong> auch um das Gut gekümmert.<br />
Von nun an lag die Erziehung vor allem in der Verantwortung der zierlichen, aber nur<br />
vermeintlich schwächlichen Mutter Elisabeth, <strong>genannt</strong> Lisette. Sie engagierte Erzieherinnen<br />
und Hauslehrer, und sie verwaltete ihr eigenes Vermögen, mit dem sie die Ausbildung der<br />
<strong>Kind</strong>er finanzierte. Es war der Wunsch des Vaters gewesen, dass die Söhne – genauso wie er<br />
und sein Bruder Heinrich – einmal studieren sollten. So kamen sie zunächst mit etwa zehn
3<br />
Jahren in unterschiedlichen Städten aufs Gymnasium oder – wie Gustav und Wilhelm, die<br />
später preußische Offiziere <strong>wurde</strong>n – auf eine Kadettenanstalt und machten dort ihr Abitur,<br />
während die Töchter Luise und Marie in Radegast bei der Mutter blieben. Die kleine<br />
Dorothea war nur ein Jahr nach ihrer Geburt gestorben. Das hat der achtjährige <strong>Fritz</strong> sehr<br />
bewusst miterlebt.<br />
Während die Söhne nun nach und nach auf diversen auswärtigen Schulen waren, schrieb<br />
Lisette ihnen allen regelmäßig Briefe. Aber nicht nur das, sie ließ sich auch über<br />
Neuerscheinungen informieren, die sie selbst las, um sie dann ihren Söhnen <strong>als</strong> Lektüre zu<br />
empfehlen. Sie nahm <strong>als</strong>o ganz intensiv Anteil an ihrem Leben und an ihrer Ausbildung.<br />
Auch schrieb sie Briefe an die Familienväter, bei denen die Jungen während der Schulzeit<br />
untergebracht waren. Karl, Adolf, Hermann und <strong>Fritz</strong> waren diejenigen, die nach dem Abitur<br />
ein Studium aufnahmen, während Gustav und Wilhelm – wie schon erwähnt – preußische<br />
Offiziere <strong>wurde</strong>n.<br />
Das Leben in Radegast verlief in den von der Mutter geregelten Bahnen, es <strong>wurde</strong> aber immer<br />
wieder von traurigen Nachrichten aus der Familie überschattet. Mit knapp sieben Jahren hatte<br />
<strong>Fritz</strong> seinen geliebten Vater verloren. Er hatte ein Jahr später den Tod der kleinen Schwester<br />
Dorothea erlebt. Zwei Jahre darauf kam aus Trier die Nachricht, dass Onkel Titus an Typhus<br />
gestorben war. Seine Witwe Marie verließ Trier und <strong>wurde</strong> von ihrer Tante und<br />
Schwiegermutter, der Großmutter Carolina Christiana, in Rakow aufgenommen. Sie brachte<br />
vier <strong>Kind</strong>er mit, von denen der Älteste – Otto – nur ein Dreivierteljahr älter war <strong>als</strong> <strong>Fritz</strong>.<br />
1849 starb die Großmutter in Rakow. Sie <strong>wurde</strong> auf dem Neubukower Friedhof bestattet. Es<br />
trauerten um sie: Tante Wilhelmine und Onkel Heinrich, nun das Oberhaupt der Familie, mit<br />
ihren fünf <strong>Kind</strong>ern, Tante Louise und Onkel Otto Henning v. Stenglin mit ihren ebenfalls fünf<br />
<strong>Kind</strong>ern, Tante Marie und ihre vier <strong>Kind</strong>er und schließlich <strong>Friedrich</strong>s Familie: seine Mutter<br />
Lisette und ihre acht <strong>Kind</strong>er im Alter von zehn bis 21 Jahren. <strong>Fritz</strong> war jetzt 13 Jahre alt.<br />
Endlich gab es in Radegast auch ein Fest zu feiern: <strong>Friedrich</strong>s älteste Schwester Luise<br />
heiratete am 8. Juni 1854 Helmuth v. Plessen, den Besitzer von Reez mit Groß und Klein<br />
Viegeln. <strong>Fritz</strong> war jetzt 17 Jahre alt und ging dem Ende <strong>seiner</strong> Schulzeit entgegen. 1855 war<br />
er bereits Student. Die Kösener Corpslisten von 1960, die wir seinem Urenkel <strong>Fritz</strong> v.<br />
Hennigs verdanken, verzeichnen den Vetter Otto aus Rakow und die Brüder Adolf, Hermann<br />
und <strong>Fritz</strong> v. <strong>Restorff</strong> <strong>als</strong> Aktive im Corps Saxonia in Göttingen in den Jahren zwischen 1854
4<br />
und 1857. Vielleicht studierte <strong>Fritz</strong> Jura wie die Brüder und der verstorbene Vater. Hermann,<br />
gut ein Jahr älter <strong>als</strong> er selbst, dürfte ihm besonders nahe gestanden haben; umso<br />
schmerzlicher muss ihn die Nachricht getroffen haben, dass der Bruder gegen Ende seines<br />
Studiums <strong>als</strong> cand. jur. am 5. Februar 1857 in München gestorben war, ein Schicksal, das ein<br />
Jahr zuvor bereits den jungen Vetter Moritz in Rosenhagen betroffen hatte, der mit nur 16<br />
Jahren <strong>als</strong> Gymnasiast einer langjährigen Krankheit erlegen war.<br />
Am 9. November 1860 gab es die zweite Hochzeit in der Familie: Gustav heiratete in Berlin<br />
Antoinette Emma Helene Zimmermann de Cisielski aus Potsdam, deren Vater preußischer<br />
Stadtgerichtsrat war. Er hatte sein „Nettchen“ wohl bei einer der großen Gesellschaften am<br />
königlich-preußischen Hof kennen gelernt, wie Hans <strong>Friedrich</strong> sie später selbst in <strong>seiner</strong><br />
Berliner Zeit am Kaiserhof erlebt und in <strong>seiner</strong> Familiengeschichte geschildert hat.<br />
Als <strong>Fritz</strong> – zwischenzeitlich Offizier – 26 oder 27 Jahre alt war, ging 1863 in Radegast die<br />
Zeit der Vormundschaft zu Ende. Die Brüder Karl, Gustav, Adolf, <strong>Fritz</strong> und Wilhelm losten<br />
um das väterliche Erbe, und es war – wie schon erwähnt – <strong>Fritz</strong>, den das Los traf. <strong>Fritz</strong> leistete<br />
daraufhin den Lehn-Eid auf seinen „Allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn<br />
<strong>Friedrich</strong> Franz, Großherzog von Mecklenburg, Fürsten zu Wenden, Schwerin und<br />
Ratzeburg“:<br />
Entnommen<br />
aus der Broschüre<br />
„Wir gratulieren!<br />
775 Jahre Radegast<br />
und Miekenhagen<br />
1224 bis 1999“.<br />
Herausgeber:<br />
Gemeinde Radegast
5<br />
Jeder der an dem Losverfahren beteiligten Brüder hat wohl im Stillen die Hoffnung gehabt,<br />
dass er selbst der Glückliche sein würde, vor allem Carl, der Älteste, der sich in seinen<br />
Erinnerungen selbst <strong>als</strong> Landwirt bezeichnet. Glücklicherweise hatte die Mutter für diesen<br />
Tag vorgesorgt. Jedes der erwachsenen <strong>Kind</strong>er erhielt eine beträchtliche Summe, mit der sich<br />
die Brüder eigene Güter kaufen konnten. So gingen nun Carl, Gustav und Adolf nach<br />
Preußen, wie es dam<strong>als</strong> noch hieß, und erwarben dort die Güter Dosnitten, Klotainen und<br />
Schwengels mit Montitten. Etwa zur selben Zeit war auch in Rakow die Zeit der<br />
Vormundschaft beendet, die mit dem Ableben der Großmutter Carolina Christiana begonnen<br />
hatte. Dort fiel das Los auf Otto, und so ging sein Bruder <strong>Friedrich</strong> – wie seine Radegaster<br />
Vettern – ebenfalls nach Preußen und erwarb dort das wunderschöne Gut Lindenau.<br />
Die folgenden Jahre lebte <strong>Fritz</strong> zusammen mit <strong>seiner</strong> Mutter und mit Marie in Radegast. Der<br />
junge Besitzer hat vermutlich an Jagden und an sonstigen gesellschaftlichen Vergnügungen in<br />
der Umgebung teilgenommen. Jedenfalls lernte er die junge Bertha Julie Elisabeth v. Storch<br />
kennen und lieben. Sie lebte auf dem väterlichen Gut Parchow bei Kröpelin, nicht weit von<br />
Radegast entfernt. Ihr Großvater hatte Radegast selbst einmal besessen und es vor Jahrzehnten<br />
an <strong>Friedrich</strong>s Großvater <strong>Friedrich</strong> Johann Peter verkauft.<br />
1866 war wieder ein Trauerjahr für die Familie: Zwischen Preußen und Österreich gab es seit<br />
langem Differenzen wegen der Verwaltung von Schleswig und Holstein, die zu einem kurzen,<br />
aber äußerst verlustreichen Krieg führten. Am 3. Juli standen sich <strong>Friedrich</strong>s Brüder Gustav<br />
und Wilhelm <strong>als</strong> preußische Offiziere und seine Rosenhäger Vettern Jasper und Heino <strong>als</strong><br />
österreichische K.u.K.-Offiziere in der Schlacht bei Königgrätz <strong>als</strong> Feinde gegenüber.<br />
Wilhelm verlor in der Schlacht ein Auge, die beiden Brüder Jasper und Heino aber verloren<br />
ihr Leben an diesem einen Tage. Sie waren anderthalb und vier Jahre jünger <strong>als</strong> <strong>Fritz</strong>, aber<br />
man kannte sich gut, da die Güter Radegast und Rosenhagen in nächster Nachbarschaft lagen<br />
und die Familien durch die Vormundschaft Onkel Heinrichs eng zusammengewachsen waren.<br />
Das Jahr 1868 <strong>wurde</strong> dann aber das Jahr der Hochzeiten. Zunächst heiratete Bruder Wilhelm<br />
in Berlin die New Yorkerin Fanny Kneeland. Das Fest <strong>wurde</strong> am 14. April im Schloss<br />
Monbijou gefeiert, sicherlich mit großem Aufwand. Nur zwei Wochen später fand die nächste<br />
Hochzeit in Parchow statt: <strong>Friedrich</strong> heiratete dort Bertha v. Storch und führte sie <strong>als</strong> neue<br />
Haus- und Gutsfrau nach Radegast. Das bedeutete nach alter Tradition, dass Lisette die Stätte<br />
ihres über vierzigjährigen Wirkens verließ. Sie zog zusammen mit ihrer Tochter Marie nach
6<br />
Schwerin, wo diese im November 1868 den sehr viel älteren braunschweigischen Offizier<br />
Hermann Hollandt heiratete.<br />
Von nun an verlief das Leben in Radegast in gleichmäßigen Bahnen. Wenn Hans <strong>Friedrich</strong><br />
über die Zeit seines Großvaters Heinrich, <strong>Friedrich</strong>s Onkel in Rosenhagen, schrieb, es sei ein<br />
„geruhiges und stilles Leben“ gewesen, so traf das wohl eher zu für das Leben, das <strong>Fritz</strong><br />
und Bertha in Radegast führten. In den folgenden Jahren <strong>wurde</strong>n dort sieben <strong>Kind</strong>er geboren,<br />
fünf Töchter und zwei Söhne:<br />
Elisabeth Luise Juliane Wilhelmine Regina, geboren am 8. Januar 1870,<br />
Antoinette Bernhardine Charlotte Marie Luise Ottilie, geboren am 8. Februar. 1871,<br />
Hedwig Alberta Marie Adolfine Fanny, geboren am 24. Januar 1872,<br />
Hans-Ulrich Bernhard Heinrich Otto, geboren am 25.Februar 1873,<br />
Luise, <strong>genannt</strong> Isa, Gustave Ida Karoline, geboren am 6. Juli 1874,<br />
Helene Nina Luise Hermine Ottilie, geboren am 17. Februar 1877, und<br />
Diedrich, <strong>genannt</strong> Dietz, Maria Helmut Gustav Detlev, geboren am 7. Mai 1879.<br />
Der Jüngste <strong>wurde</strong> benannt nach dem treuen Inspektor Diedrich Köpke, der <strong>Friedrich</strong>s Vater<br />
verehrt und geliebt und der seine Treue nach dessen Tod auf die vaterlose Familie übertragen<br />
hatte. Wahrscheinlich blieb er sogar bis kurz vor Diedrichs Geburt. 1878 war ein neuer<br />
Inspektor nach Radegast gekommen, wie Bertha in einem Brief berichtet. [S. hier S. 13 unten.]<br />
Die dritte Tochter Hedwig heiratete später <strong>Fritz</strong> v. Hennigs. Eine Beschreibung des damaligen<br />
Radegaster Familienlebens findet sich in der Geschichte der Familie v. Hennigs:<br />
„Ihre Eltern waren echte Land-Edelleute damaliger Prägung, von ernster,<br />
tiefreligiöser Lebensauffassung und ebenso bescheidener wie sittenstrenger<br />
Lebensführung. Im gleichen Sinne <strong>wurde</strong>n die <strong>Kind</strong>er erzogen. ‚Mehr sein <strong>als</strong><br />
scheinen’ war auch in diesem Hause die überlieferte, bewährte und täglich<br />
vorgelebte Losung. Die <strong>Kind</strong>er lernten auch, gegen sich selbst hart zu werden und<br />
Kümmernisse z. B. gesundheitlicher Art nicht allzu wichtig zu nehmen, sondern<br />
dagegen anzugehen. Im übrigen muss es ein fröhliches und harmonisches<br />
Familienleben mit der grossen <strong>Kind</strong>erschar gewesen sein, von dem leider so gut wie<br />
gar keine Einzelheiten mehr bekannt sind. Aber dass die <strong>Kind</strong>er, und zwar auch die<br />
Mädels, keine Duckmäuser waren, beweist eine Erinnerung von Gutti v. Laffert, geb.<br />
v. Blücher-Quitzenow, die später anscheinend noch oft erzählt <strong>wurde</strong>: Als die Eltern<br />
einmal von einer Fahrt zurückkamen, sahen sie Hedwig mit ihren jüngeren
7<br />
Geschwistern Hans-Ulrich und Isa auf dem Dach und Schornstein des Gutshauses<br />
sitzen, was nach deren glücklicher ‚Bergung’ gewisse Folgen gehabt haben soll.“<br />
Dazu muss gesagt werden, dass zu der Zeit das Radegaster Gutshaus noch einstöckig war,<br />
was natürlich die Gefahr für die <strong>Kind</strong>er nur unwesentlich verringerte, keineswegs aber<br />
ausschloss!<br />
Das Radegaster Gutshaus etwa um 1880<br />
(entnommen aus der Schrift<br />
„Wir gratulieren! 775 Jahre Radegast und Miekenhagen<br />
1224 bis 1999“;<br />
Herausgeber: Gemeinde Radegast)<br />
Glücklicherweise blieben nicht nur einige beachtliche Zeichnungen von Bertha erhalten,<br />
sondern auch drei entzückende Briefe, zwei von ihr selbst und einer von <strong>Fritz</strong>, die an die<br />
Mutter und Schwiegermutter Lisette v. <strong>Restorff</strong> gerichtet waren. Dadurch erhalten wir<br />
Einblicke in die <strong>Kind</strong>erstube und in das Familienleben, das im Frühjahr 1877 bestimmt war<br />
von <strong>Friedrich</strong>s Genesung nach einer schweren Krankheit, der glücklichen Geburt der kleinen<br />
Helene und von deren Taufe. Die 30jährige Bertha schreibt an ihre Schwiegermutter:<br />
Herzens-Mama!<br />
„Radegast, d: 19. 3. 77.<br />
Für 2 Briefe von Dir danken wir Dir innig. <strong>Fritz</strong> freute sich sehr, daß sein<br />
Scherz wegen der Ruhnen Dir Freude machte, u hoffen wir Beide, daß Ihr sie fröhlich<br />
mit gütigen Gedanken an uns verzehrt.<br />
Ein noch besserer Beweis <strong>seiner</strong> wachsenden Gesundheit wird Dir seine<br />
heutige Reise nach Rostock sein, die freilich der Zähne wegen unternommen wird,
8<br />
aber doch auch vom Doctor <strong>als</strong> unbedenklich erlaubt <strong>wurde</strong>. Eine Plombe war<br />
unbequem geworden u soll entfernt werden. Mir ist dabei zu Muth, <strong>als</strong> wenn man<br />
einen einzigen Sohn zum ersten Mal auf die Schule giebt, oder wie der Mutter beim<br />
‚Peter in der Fremde’, - ‚u wickelt ihm das dickste Band um seinen Zopf’ (damit er<br />
nicht friert). Ein halbes Jahr lang habe ich jeden Schritt u wirklich fast jeden Atemzug<br />
mit Angst u Sorge bewacht u nun auf einmal fliegt er selbstständig weg. Aber Gott sei<br />
Dank, daß er es kann! Das Wetter ist so sonnig u freundlich, zu diesem ersten<br />
Ausflug wie geschaffen.<br />
Agnes besorgt die 4 Großen, jetzt aber schläft Isa einstweilen auch bei ihr, bis<br />
ich Helene übernehme, u dann kommt sie zu mir hinüber. Die Wiebering geht Ostern<br />
fort u dann flasche ich mit dem <strong>Kind</strong>ermädchen Emma, Schwester meiner treuen<br />
Johanna, weiter. So gut wie ihre Schwester ist sie aber nicht. Johanna pflegte – <strong>als</strong><br />
Ferdinands Frau – <strong>Fritz</strong> vorigen Herbst mit, wachte 7 Wochen ein um die andere<br />
Nacht, u zuerst 6 Nächte nach einander, obgleich sie auch erwartet Ende April. Sie<br />
ist ein wahrer Schatz. Ich wohne dann mit den beiden Kleinen u Emma drüben in den<br />
<strong>Kind</strong>erstuben – alle anderen in unserer Schlafstube, bis Helene die Nächte<br />
durchschläft u ich sie Emma anvertrauen kann, die recht wachsam ist.<br />
Die <strong>Kind</strong>er hatten bei der Taufe sehr gut aufgepaßt, hatten Vieles behalten,<br />
was der Pastor sagte, sogar Isa zügelte ihre kl. fleißige Zunge u hörte aufmerksam<br />
zu, Hans-Ulrich mit gefalteten Händen verwandte kein Auge vom Pastoren. Er behält<br />
alles vortrefflich in der biblischen Geschichte, antwortet einem richtig und hat das<br />
lebhafteste Intereße.<br />
Unseres Kleinchens Taufe war sehr schön, der Pastor sprach von der Gnade<br />
in Jesu Blut u in der Taufe, u wie Gott auch so sichtbar mit unserem Hause gewesen<br />
wäre u unser Bitten in großer Noth erhört hätte. Die ganze Feier war sehr beweglich<br />
für uns – wieviel Angst und Noth hatte ich mit dem <strong>Kind</strong>e durchgemacht u nun stand<br />
mein <strong>Fritz</strong> genesen vor mir u das <strong>Kind</strong> kam so gesund zur Welt, wie wir es nicht<br />
erwarten konnten!<br />
Als Spruch suchte ich der Kleinen aus: Sei getrost u unverzagt; fürchte dich<br />
nicht u zage nicht. Gott, der Herr, mein Gott, wird mit dir sein, u wird die Hand nicht
9<br />
abziehen, noch dich verlassen. I Chron. 29. 20. Isa’s Sprüche sind: Ich will dich<br />
segnen u sollst ein Segen sein, I. Mos. 12. 2. u Siehe, in die Hände habe ich dich<br />
gezeichnet. –<br />
Isa’s Geburtstag ist den 6 ten Juli. Das <strong>Kind</strong> entwickelt sich sehr glücklich, nicht<br />
gerade schön von außen, aber sie hat einen solchen Frohsinn, wie keins der<br />
anderen <strong>Kind</strong>er – Alles amüsirt sie u bringt sie zu jubelndem Lachen. Neulich fing sie<br />
bei Tisch an zu lachen, weil sie keinen Löffel hatte, während das bei Antoinette<br />
Grund zu vielen Thränen ist – sie findet auch eine gute Seite heraus, wenn etwas<br />
fehlt. Gewöhnlich kommt sie jubelnd in die Thür mit dem Ausruf: ‚hier bin is (ich)’; ist<br />
auch garnicht blöde, u hat jedem Fremden gleich etwas anzuvertrauen. Sie hat<br />
schöne große Augen, ganz hellblau mit riesengroßen schwarzen Sternen u lange<br />
schwarze Wimpern u dunkle Augenbraunen(!) – auch wundervolles, dickes<br />
dunkelblondes Haar. Aber Nase u Mund sind nicht hübsch, erstere etwas dick,<br />
letzterer groß. Sie selbst ist ungewöhnlich groß u kräftig, die Beinchen wie ein Paar<br />
Säulen. Sie ist der Liebling des ganzen Hauses, weil sie Jeden besonders lieb hat, z.<br />
B. wenn Gerdes Mittags neben ihr präsentirt, so hat er Mühe sich vor einem<br />
Handkuß von ihr zu retten, oder sie ruft: ‚Hab Gerdes ei gemacht.’ Sie hat eine<br />
riesenstarke Stimme, übertäubt(!) alles Andere, wie zur Kirchensängerin geschaffen.<br />
Sie ist wirklich ein kl. amüsanter Schelm, Du würdest sie sehr lieb gewinnen.<br />
Ich hatte die letzten Tage einen recht heftigen Hexenschuß, der mir das<br />
Gehen sehr schwer machte, so daß ich zu Elisabeth sagte, ich wäre ganz krank, sie<br />
müßte mich wohl wieder pflegen: ‚ja, Mama, nun kann wohl wieder ein kleiner Bruder<br />
kommen’, u <strong>als</strong> ich lachte: ‚das kannst du doch garnicht wißen.’ Bei jedem<br />
Unwohlsein von mir werden sie sehr genau Acht auf die Wiege haben in Zukunft,<br />
glaube ich.<br />
Die kleine Helene“ [gerade einen Monat alt] „wacht schon stundenlang am Tage, u<br />
läßt sich warten, ohne zu weinen. Eben hatte ich sie lange auf dem Schoß, sie lachte<br />
u arbeitete fleißig mit ihren kleinen Händchen, beinahe <strong>als</strong> wollte sie schon nach mir<br />
greifen. Sie bekommt nur noch 3 Theel. Waßer zu 5 Eßlöffel Milch zur Zeit u verträgt<br />
es sehr schön – in 3 Tagen schon reine Milch.
10<br />
Hedwig Rohr ist in Wiesbaden, nimmt dort fleißig Unterricht in<br />
Landschaftsmalerei u Perspective. Im Ganzen geht es ihr mit dem Arzt jetzt beßer.<br />
Gerdes u Frau sind heut zur Confirmation ihrer Maria nach Rostock.<br />
Die <strong>Kind</strong>er bauen hier um mich her, Isa“ [knapp drei] „kommt alle Augenblicke mit<br />
einer merkwürdigen Entdeckung, ‚Mama, <strong>als</strong> Onkel Heinrich’ (er war eben zu Pferde<br />
hier) ‚kommte, das war sehr sön’; H. Ulrich“ [vier] „ist sehr beschäftigt mit einem kl.<br />
Wagen, kuckt strahlend glücklich zu mir auf, hat aber keine Zeit zum Sprechen. Er<br />
hat ein Paar sehr große, sprechende, dunkelgraue Augen, Elisabeth“ [sieben Jahre alt]<br />
„schickt Dir eine Uhrkette, die sie eben gehäkelt hat – es ist die neueste<br />
Beschäftigung, die sie den ganzen Tag am Liebsten treibt, Antoinette“ [sechs Jahre alt]<br />
„kommt gesprungen: ‚willst Du Großmama sagen, ich ließe sie grüßen?’ u dann<br />
betrachtet sie den Lauf meiner Feder mit großem Intereße. Hedwig“ [fünf] „liegt der<br />
Länge nach auf der Erde u hilft Isa“ [knapp drei] „bauen, sorgt überhaupt immer<br />
mütterlich für Isa.<br />
Die Abreise der Brüder, besonders von Adolf,“ [* 1834, fast 43, noch unverheiratet]<br />
„war ein betrübter Schluß unserer fröhlichen Taufe; er ist unbeschreiblich gut, that<br />
Alles, was er uns nur an den Augen absehen konnte. Du glaubst nicht wie vielseitig<br />
er war: einen Augenblick rechnete und schrieb er für <strong>Fritz</strong>, dann sorgte er für die<br />
gesammte <strong>Kind</strong>erschaar, dann machte er Thee u die honneurs, wenn Besuch hier<br />
war – kurz er wußte immer da zu helfen, wo es am Meisten Noth that. Alle <strong>Kind</strong>er<br />
hingen mit der größten Liebe an ihm, ganz besonders sein Pathchen Hedwig.<br />
Hollandts.<br />
Nun adieu, geliebte Mama, 2000 innige Grüße von uns Allen für Dich u<br />
Am nächsten Donnerstag communiciren wir“ [feiern wir das Abendmahl] „mit<br />
unseren Leuten hier im Hause.<br />
Bitte grüße auch Frl. Uhlig.<br />
Deine gehorsame Tochter Bertha<br />
Elisabeth bittet noch besonders um Grüße an Großmama.“
11<br />
<strong>Fritz</strong> schreibt an seine inzwischen 73jährige Mutter:<br />
Meine geliebte, süße Mama!<br />
„Radegast 5 Jan 1878<br />
Dein lieber Gruß vom Neujahrstage kömmt heute zu uns, mögte er wirklich ein<br />
Zeichen sein, daß Deine Kräfte wachsen! Gott gebe im kommenden Jahre Dir<br />
Stärkung und Erholung – könnten wir Dir doch irgendwie helfen!<br />
Bei dem hübschen Besuch unseres W.“ [Wilhelm, * Radegast 1838, Offizier, seit 14. 4. 1868<br />
verheiratet mit Fanny Kneeland] „wäre ich gern vierter im Bunde gewesen, wie schön, daß er<br />
kommen konnte. Seine Versetzung scheint er sehr zu wünschen nach Fannies Brief,<br />
aus Egoismus wünsche ich ihn hier ins Land, seine Ansicht, die Hauptsache, kenne<br />
ich nicht; Ihr habt gewiß zusammen davon gesprochen.<br />
Unser Ad.“ [Adolf, * 1834, noch unverheiratet, Besitzer von Schwengels] „soll gestern Abend auf<br />
einem schönen Fest in Eylau“ [Preußisch-Eylau] „gewesen sein, wie gerne wohl außer<br />
mir noch Andere ihn auf <strong>seiner</strong> hübschen Fahrt zum Süden begleiteten!? natürlich<br />
denke ich bei den jungen Damen – für immer begleiten. Unser Rackower Hagestolz“<br />
[Otto, * 1835, <strong>als</strong>o ein Jahr älter <strong>als</strong> <strong>Fritz</strong>, Besitzer von Rackow, das dam<strong>als</strong> noch mit ck geschrieben <strong>wurde</strong>],<br />
„der vorgestern mit seinem netten Neffen <strong>Fritz</strong>“ [<strong>Friedrich</strong>-Wilhelm, Sohn <strong>seiner</strong> Schwester<br />
Karoline Gräfin v. der Recke v. Volmerstein] „hier war, hat große Lust, sich den Geschwistern<br />
anzuschließen, kömmt aber jedenfalls nicht dazu, zu reisen.<br />
Meine treue kleine Frau hat Dir gewiß von uns alle Nachricht gegeben, E.“ [Elisabeth]<br />
„freut sich seit lange Dir zu schreiben – für uns Eltern sind die <strong>Kind</strong>er alle in<br />
glücklicher Entwicklung, sie machen uns Freude, Isa blüht körperlich auf verzieht sich<br />
mit Oncle A., Hedwig lernt vergnügt schreiben. E. spielt vierhändig mit der Mama<br />
ganz hübsch: ‚Allein Gott in’, genug, viel Grund zum Danken, der Herr segne Euch<br />
und uns ferner! In inniger Liebe Dein <strong>Kind</strong> F.<br />
Sage bitte Frln. Uhlig, wie wir ihr dankten, und bitte sie um fernere Nachrichten.<br />
Sage meiner Marie zärtliche Grüße.“
12<br />
Bertha schreibt drei Monate später an ihre Schwiegermutter:<br />
Herzens-Mama!<br />
„Radegast, d: 5. 4. 78<br />
Wir denken so gern daran, wie Du jetzt mit Miachen zusammen bist, Du Dich<br />
von ihr pflegen läßst, u sie sich von Dir verziehen! Hoffentlich fühlst Du Dich mit<br />
jedem wärmeren Frühlingstag wohler u kräftiger, u kannst den Ausfahrten bald kleine<br />
Spatziergänge folgen laßen. Luft ist für Dich doch so nothwendig. Von unseren<br />
Italienern, oder vielmehr von dem treuen Adolf hatten wir zuweilen Nachricht, leider<br />
klagen sie aus Florenz über schlechtes Wetter. Wie gern ginge ich mit ihnen durch<br />
die Uffizien u schwelgte in Raphael etc., aber meine 6 kl. Feßeln sind mir doch noch<br />
lieber wie alle Reisen der Welt. Sehr schade wäre es, wenn die Reisecaße für einen<br />
Umweg über Radegast zu sehr erschöpft würde, wie Adolf uns fürchten läßt, wir<br />
hatten uns so sehr auf ihr Kommen u Erzählen gefreut. Hoffentlich überlegen sie<br />
sich’s doch noch u thun uns diesen Kummer nicht an. Sind sie nach so langem<br />
Schwärmen erst wieder in ihrem Norden, so eist man sie wohl so bald nicht wieder<br />
los. Wir hatten uns gemeinschaftlich recht in eine italienische Reisebeschreibung<br />
hineinstudirt, um so recht mit folgen zu können. Als Mädchen hatte ich mich so in<br />
Italien u namentlich in Rom orientirt, daß mir noch die meisten Namen u Gegenden<br />
ganz bekannt waren. – Eben kommt ein Brief von Nettchen an, der uns sagt, daß sie<br />
vielleicht am 8 ten schon wieder in Klotainen sein wollen, das ist 1 große<br />
Enttäuschung, aber begreiflich ist es auch wohl, daß sie einmal möglichst Zeit u<br />
Caße ausnutzen, u dann direct in die Heimath gehen, wenn sie ihre Gegenwart dort<br />
für nothwendig halten.“ [„Nettchen“ = Antoinette, geb. Zimmermann de Cisielski oo Gustav v. R. auf<br />
Klotainen, Kreis Heilsberg, Ostpreußen, * Ribnitz 7. 1. 1831.]<br />
„Wir haben Alle wieder Erkältungen durchzumachen gehabt, Schnupfen etc,<br />
wie dieser Frühling besonders viel es überall hervorruft, aber allmählich fangen die<br />
kleinen rothen Nasen wieder an abzubleichen. H. Ulrich wiegt jetzt fast 38 Pfund, hat<br />
<strong>als</strong>o beinahe 4 Pfund seit dem Januar zugenommen. Wenn nur erst die Luft milder<br />
wird, u er mehr hinaus kann, dann brennt er hoffentlich auch wieder recht gesund<br />
braun. Momentan wächst er stark, wie sein Maßstock beweißt.
13<br />
Den 6 ten . Herzens-Mama, welche Freude waren eben die Briefe von Dir u<br />
Marie! So viel innigen Dank dafür. Die Reisebriefe schicken wir natürlich gern an<br />
Carl,“ [ C a r l Paul Heinrich, * Ribnitz 3. 8. 1829] „dem sie gewiß ebenso viel Freude machen<br />
wie uns. Marie’s Brief merkt man recht an, wie selig sie bei Dir ist, geliebte Mama,<br />
wenn sie doch recht lange da bleiben könnte, d. h. wenn es eben geht.<br />
Den <strong>Kind</strong>ern steht morgen ein großes Vergnügen bevor, von dem sie aber<br />
noch Nichts wißen. Es ist <strong>Kind</strong>erfest in Rosenhagen, von Bernstorffs, Meerheimbs<br />
und uns. Elisabeth“ [inzwischen acht Jahre alt] „macht jetzt erfreuliche Fortschritte in der<br />
Selbstbeherrschung u strebt so ernstlich, Alles gut zu machen. Ihr Lernen macht mir<br />
Freude, besonders das Clavierspiel mit dem neuen Handleiter, wo das Handgelenk<br />
auf zwei beweglichen, gepolsterten Gabeln ruht, die immer auf 1 Stange mitreisen.<br />
Es ist für uns Beide 1 große Erleichterung, u im Ueben hat E. viel Ausdauer, freut<br />
sich schon immer darauf. A.“ [Antoinette, knapp sieben] „ist jetzt sehr artig, ihre Fröhlichkeit<br />
ist eine glückliche Mitgabe fürs Leben, immer vergnügt u gefällig. Hedwig“ [sechs] „liest<br />
jetzt schon ganz fließend, u ist im Vertrauen gesagt, mit ihrer Tiefe u Treuherzigkeit<br />
ihres Papas ganzer Verzug. Er sagt so oft: ‚Es ist doch garnicht möglich dem <strong>Kind</strong>e<br />
zu widerstehen, sie ist so ganz von Herzen!’ H. U.“ [fünf] „entwickelt sich auch recht<br />
gut, hat eine große Paßion auf alles Lernen, setzt sich gern mit <strong>seiner</strong><br />
Naturgeschichte von Dir oder einem andern Buch zu mir oder Agnes u läßt sich<br />
erzählen u wiederholt. Er lernt aber noch Nichts, soll diesen Sommer noch ganz der<br />
Luft leben. Isa“ [knapp vier] „bekam Weihnacht v. meiner Mama ein 40jähriges Heller-<br />
Magazin geschenkt, ‚mein Gesangbuch’, in dem sie einen großen Theil des Tages<br />
blättert, oder es wenigstens unterm Arm trägt.<br />
Helene“ [14 Monate alt] „ist so anschmiegend u zärtlich gegen mich. Wenn sie<br />
Nachts weint u nicht einschlafen will, jetzt beim Zahnen, u ich rede ihr zu, so legt sie<br />
sich gleich auf die Seite u schläft ruhig ein, sieht sich nur zuweilen nach mir um, ob<br />
ich noch da bin. Sehr oft kommt sie von ihrem Spiel angelaufen, ruft mich ‚Mama’,<br />
sieht mir von unten auf zärtlich in die Augen u spielt dann weiter.<br />
Der neue Inspector ist seit 14 Tagen da, macht einen guten Eindruck, doch<br />
sind seine Leistungen noch nicht recht zu beurtheilen, weil der Acker noch zu tief zur<br />
Saatbestellung ist.
14<br />
Bitte sage Marie doch heut meinen Dank für ihren Brief – ich habe so viel noch<br />
vor heut, daß ich nicht mehr dazu komme, ihr zu schreiben. Es macht uns immer<br />
ganz besondere Freude, einen Brief von Miezchen zu bekommen, sie ist unser liebes<br />
Pflegekind. Und wie hübsch war es von ihr, uns jetzt Nachricht von Dir zu geben; der<br />
Unterricht scheint ihr so viel Freude zu machen.<br />
Adieu für heut, Herzens-Mama. 2000 Grüße von uns Allen durch<br />
Deine<br />
gehorsame Tochter<br />
Bertha.“<br />
Zwei Jahre später starb die von allen hochverehrte Mutter Elisabeth Wilhelmine v. <strong>Restorff</strong>,<br />
geborene Schuback, am 1. November 1880 in Braunschweig, wo Marie und Hermann<br />
Hollandt lebten.<br />
Die Radegaster <strong>Kind</strong>er wuchsen heran. Während in Rackow der in einem der Briefe <strong>genannt</strong>e<br />
„Hagestolz“, der unverheiratete Otto, zusammen mit <strong>seiner</strong> Mutter lebte und es dort keine<br />
<strong>Kind</strong>er gab, wuchsen im entfernten Dettmannsdorf die Rosenhäger Enkel auf, von denen die<br />
jüngste Tochter Helmine nur ein knappes Jahr älter war <strong>als</strong> Elisabeth und Helmines Bruder<br />
Heino fast gleichaltrig war mit Antoinette. Vermutlich haben sich die <strong>Kind</strong>er in den Ferien<br />
getroffen, wie zum Beispiel anlässlich des erwähnten <strong>Kind</strong>erfestes in Rosenhagen, das wohl<br />
ausgerichtet worden war von der allseits beliebten, dam<strong>als</strong> 42jährigen, unverheirateten Tante<br />
Tilla, die bei ihren Eltern in Rosenhagen lebte.<br />
Anderthalb Jahre waren nach dem Tod der verehrten und geliebten Mutter Lisette vergangen,<br />
<strong>als</strong> am 1. Juni 1882 in Groß Klingbeck in Preußen <strong>Friedrich</strong>s Bruder Adolf schließlich doch<br />
noch heiratete. Er stand kurz vor seinem 48. Geburtstag. Seine Braut war eines <strong>seiner</strong><br />
ehemaligen Mündel, Tochter des verstorbenen Gutsnachbarn v. der Groeben. Die stolze und<br />
temperamentvolle Katharina, <strong>genannt</strong> Käthe, war 21 Jahre jünger <strong>als</strong> ihr <strong>als</strong> klug, gütig und<br />
fromm beschriebener Bräutigam, was später im Zusammenleben hin und wieder zu<br />
Spannungen führte. Ob <strong>Fritz</strong> und Bertha die lange Reise nach Preußen zur Hochzeit
15<br />
unternommen haben, ist nicht bekannt. Vermutlich aber war die Entfernung von Mecklenburg<br />
nach Preußen viel zu weit für eine solche Unternehmung.<br />
1889 richteten die Eltern <strong>Fritz</strong> und Bertha die erste Hochzeit in der eigenen Familie aus, <strong>als</strong><br />
am 11. Oktober ihre zweite Tochter Antoinette den 15 Jahre älteren Offizier Hans v.<br />
Guretzky-Cornitz heiratete. Am 27. Februar 1891 heiratete dann die Älteste, Elisabeth, in<br />
Radegast Werner Freiherrn v. Brandenstein. Der 30jährige Bräutigam war mecklenburgischer<br />
Forstmeister, später Ober-Forstmeister. Hedwig heiratete am 25. Januar 1895, ebenfalls im<br />
heimatlichen Radegast, den Gutsbesitzer <strong>Fritz</strong> v. Hennigs. Helenes Hochzeit mit dem<br />
preußischen Gutsbesitzer Ernst v. Kalckstein <strong>wurde</strong> am 27. September 1901 in Radegast<br />
gefeiert, und schließlich heiratete Isa am 28. September 1906 Max v. Matthiessen, einen<br />
hohen mecklenburgischen Staatsbeamten, ebenfalls in Radegast.<br />
Fünf Hochzeitsfeste hatten die Eltern in dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgestockten<br />
Gutshaus Radegast ausgerichtet. 1890 <strong>wurde</strong>n <strong>Fritz</strong> und Bertha zum ersten Mal Großeltern 1 :<br />
Antoinette gebar in den Jahren 1890 bis 1900 vier <strong>Kind</strong>er, drei Töchter und einen Sohn.<br />
Elisabeth bekam in den Jahren 1892 bis 1903 sieben <strong>Kind</strong>er, vier Töchter und drei Söhne,<br />
alle geboren im nahen Doberan. Ein kleiner Sohn starb 1898 mit knapp einem<br />
Jahr, die jüngste Tochter starb 1901 im Alter von etwas mehr <strong>als</strong> einem Jahr.<br />
Hedwig bekam ebenfalls sieben <strong>Kind</strong>er, eine Tochter und sechs Söhne, die in den Jahren<br />
zwischen 1896 und 1911 in Techlin zur Welt kamen.<br />
Luise (Isa) hatte vier Söhne, geboren in den Jahren zwischen 1908 und 1915, von denen der<br />
Radegaster Großvater <strong>Fritz</strong> nur die Geburt der ältesten drei miterlebt hat. Luises<br />
zweiter Sohn Bartold v. Matthiessen und seine Frau nahmen am Familientreffen<br />
1994 in Schwerin teil.<br />
Helene hatte sechs Töchter und einen Sohn, geboren zwischen 1902 und 1917. Zwei kleine<br />
Zwillingstöchter starben beide bei ihrer Geburt 1903. 1912 kam die jüngste von<br />
Helenes Töchtern zur Welt. Ihr einziger Sohn <strong>wurde</strong> erst 1917 geboren, <strong>als</strong> der<br />
Großvater schon nicht mehr lebte. Der kleine <strong>Fritz</strong>-Ulrich bekam dessen Namen,<br />
kombiniert mit dem seines Onkels Hans-Ulrich.<br />
Das ist eine stattliche Enkelschar! Die Töchter trafen sich gern in Radegast und brachten dann<br />
anfangs auch ihre <strong>Kind</strong>er mit, wie aus der Familiengeschichte v. Hennigs zu entnehmen ist.<br />
Bertha wiederum besuchte natürlich auch die Töchter und deren Familien, wie Hedwig in<br />
Techlin: „Hedwig stand etwas später auf, auch z. B. dann, wenn ihre Mutter aus<br />
Radegast zu Besuch da war und <strong>als</strong> Frühaufsteherin schon vor dem Frühstück um<br />
8.30 Uhr im Garten spazieren ging.“ So steht es in der Geschichte der Familie v. Hennigs.<br />
1 Die 5 <strong>Kind</strong>er und 28 Enkel mit Ehepartnern sind <strong>als</strong> Großfamilie bei den genealogischen Informationen zu<br />
sehen.
Hans-Ulrich heiratete erst 1935 im Alter von 62 Jahren. Dietz blieb unverheiratet.<br />
16<br />
1894 <strong>wurde</strong> auf Anregung von Gustav v. <strong>Restorff</strong>, <strong>Friedrich</strong>s zweitältestem Bruder, in Berlin<br />
der Verband der Familie v. <strong>Restorff</strong> gegründet. An diesem Gründungsfamilientag nahm <strong>Fritz</strong><br />
aus Radegast teil, wie später auch an allen weiteren Familientagen. Der 5. Familientag fand<br />
am 18. Mai 1904 auf Einladung von <strong>Fritz</strong> und Bertha in Radegast statt.<br />
<strong>Fritz</strong> und Bertha v. <strong>Restorff</strong><br />
<strong>Fritz</strong> starb am 22. September 1913 in Radegast, nur wenige Tage nach Vollendung seines 77.<br />
Lebensjahres, betrauert von <strong>seiner</strong> großen Familie. Er <strong>wurde</strong> auf dem dortigen Waldfriedhof<br />
begraben. Seine Witwe Bertha war 67, Hans-Ulrich, der neue Besitzer von Radegast, 40 Jahre<br />
alt.<br />
Ein Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus. Während Hans-Ulrich im Felde war,<br />
bewirtschaftete Bertha das Gut zusammen mit einem Inspektor. Erst nach Beendigung des<br />
Krieges konnte Hans-Ulrich das Gut eigenverantwortlich übernehmen. Einen Einblick in die<br />
Wirtschaftsführung zu Hans-Ulrichs Zeiten erhalten wir durch folgende Begegnung, die Wulf<br />
v. <strong>Restorff</strong> vor Jahren hatte: „Ein alter Mitarbeiter des Gutes, den ich 1991 in hohem<br />
Alter kennen lernen durfte, berichtete, dass Hans-Ulrich mehr in Bad Doberan <strong>als</strong> in<br />
Radegast gewesen sei und der Inspektor viel in die eigene Tasche gearbeitet habe.<br />
Er berichtete auch, wie er mit der Mutter von Hans-Ulrich im Obstgarten gearbeitet<br />
habe, der 1991 zu einer baumlosen Wiese geworden war.“ In Doberan – wie es dam<strong>als</strong>
17<br />
noch hieß – wohnte Hans-Ulrichs kranker Bruder Dietz, und dort starb auch Bertha v.<br />
<strong>Restorff</strong>, die Mutter der Brüder, am 26. Dezember 1920 im Alter von 74 Jahren. Sie musste<br />
nicht mehr miterleben, dass ihre Tochter Hedwig 1922 und ihre <strong>Kind</strong>er Helene und Dietz<br />
1927 starben und dass Hans-Ulrich Radegast 1931 hat verkaufen müssen.<br />
Übertragungen aus der deutschen Schrift<br />
und Zusammenstellung MCWvR März 2007<br />
(2008-02-08).