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Fandom Observer 227 - SF-Fan.de

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Rave/FO<strong>227</strong> /rezis<br />

erleben, hat es <strong>de</strong>r Leser einfach, sich in<br />

die Geschichte hineinzuversetzen. Der Leser<br />

wird geschickt durch die Dialoge gelenkt.<br />

Die Art und Weise, wie etwa Debrya Handsen<br />

Stück für Stück in die Geheimnisse <strong>de</strong>s<br />

Projektes eingeweiht wird, offeriert <strong>de</strong>m<br />

Leser nicht nur viele Informationen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch ihre Eindrücke und auch Gefühle, ohne<br />

diese Informationsberge einfach auf <strong>de</strong>m<br />

Leser abzula<strong>de</strong>n. Statt<strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong>n sie<br />

häppchenweise serviert mit entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Rückfragen und Zweifeln <strong>de</strong>r Protagonistin<br />

an Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit <strong>de</strong>s<br />

Projektes. Dies ist sehr gekonnt gemacht<br />

und ermöglicht <strong>de</strong>m Autor, die Situation zu<br />

entwickeln und die verschie<strong>de</strong>nen Stufen<br />

von Detailinformationen nach und nach darzustellen,<br />

sowie die moralischen Probleme<br />

von bei<strong>de</strong>n Seiten zu beleuchten.<br />

Dabei wählt Browne eine unaufdringliche<br />

Sprache ohne Manierismen. Man liest<br />

einfach weiter, weil die Charaktere so glaubhaft<br />

sind und man mit <strong>de</strong>r Geschichte weiterkommen<br />

möchte. Die Geschichte nimmt<br />

einen schnell gefangen. Es fällt leicht, die<br />

Charaktere zu mögen, weil sie Tiefe besitzen<br />

und es sich nicht zu leicht machen. Es sind<br />

Personen, keine Stereotypen. So wer<strong>de</strong>n die<br />

Beweggrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n oft indirekt<br />

sichtbar. Wenn etwa die junge Julara gegen<br />

das strikte Regiment ihrer „Eltern“ rebelliert,<br />

ist das nicht nur pubertäre Auflehnung, son<strong>de</strong>rn<br />

passt zu ihrem dargestellten Charakter<br />

und ist mithin glaubwürdig.<br />

Ab und konnte <strong>de</strong>r Autor <strong>de</strong>n Klischees<br />

doch nicht ganz wi<strong>de</strong>rstehen wie bei Debrya<br />

Handsen als blon<strong>de</strong>r, blauäugiger sportlicher<br />

und brillanter Wissenschaftlerin. Zugegeben,<br />

für diese Job ist fachliche Brillanz eine <strong>de</strong>r<br />

Grundvoraussetzungen, um in die Endauswahl<br />

zu gelangen. Dass sie ein Faible für<br />

Mo<strong>de</strong> hat, geht in Ordnung, lässt uns <strong>de</strong>r<br />

Autor dann doch aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>bewussten die an<strong>de</strong>ren am Projekt<br />

Beteiligten beurteilen – mit nicht immer<br />

schmeichelhaften Bewertungen. Solche<br />

Details machen eine Figur rund.<br />

Ein an<strong>de</strong>res auffälliges Beispiel ist die<br />

häufige Erwähnung von IBM in <strong>de</strong>r Rechnerentwicklung.<br />

Zugegeben, IBM gehört zur<br />

illusteren Riege <strong>de</strong>r Supercomputer- Hersteller<br />

und ihre Grundlagenforschung ist schon<br />

für etliche Wissenschaftspreise gut gewesen,<br />

aber die kompletten Computer samt<br />

aller Androi<strong>de</strong>n bei einer einzigen Firma zu<br />

beziehen ist allein schon wegen <strong>de</strong>r hohen<br />

Geheimhaltung nicht son<strong>de</strong>rlich überzeugend.<br />

Sonst zählt dort jemand zwei und<br />

zwei zusammen.<br />

Positiv zu vermerken ist, dass <strong>de</strong>r Autor<br />

keinen unnötigen Techno-Jargon á la Star<br />

FO <strong>227</strong> · 05/2008<br />

Trek verwen<strong>de</strong>t, wo eine Frage mit einer<br />

Pseudo-Information beantwortet wird. Nein,<br />

hier haben die meisten I<strong>de</strong>en Hand und Fuß<br />

und sind durchdacht - oft sogar <strong>de</strong>rart, dass<br />

manchmal auch die Schwachstellen <strong>de</strong>r<br />

Antworten o<strong>de</strong>r Lösungen gezeigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Und dies immer unter <strong>de</strong>r Prämisse, dass es<br />

kein perfektes System gibt, keine hun<strong>de</strong>rtprozentige<br />

Sicherheit. Das fühlt sich echt<br />

und glaubwürdig an. Hard <strong>SF</strong> eben.<br />

Das Buch besitzt eine gut durchdachte<br />

Struktur und die dargestellten Szenen sind<br />

klug gewählt. So gefällt die Szene, als die<br />

Kin<strong>de</strong>r die Wahrheit über ihre vermeintlichen<br />

Eltern lernen. Das ist <strong>de</strong>finitiv nicht <strong>de</strong>r Stil<br />

eines Anfängers. Browne versteht sein Handwerk,<br />

er hat uns nicht nur etwas zu sagen,<br />

er kann es auch so präsentieren, dass sein<br />

Thema beim Leser ankommt. Viele Szenen<br />

sind so dicht geschrieben, dass sie lange im<br />

Gedächtnis bleiben.<br />

Es gibt drei Erzählstränge, die anfangs<br />

nicht so recht zusammen zu passen scheinen,<br />

was sich dann aber sehr schnell klärt.<br />

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter:<br />

die anfängliche Verwirrung trägt sogar mit<br />

zum Realismus <strong>de</strong>r Geschichte bei. Trotz<br />

Namensgleichheit <strong>de</strong>r Hauptpersonen weiß<br />

<strong>de</strong>r Leser meist bereits nach einem Satz, um<br />

wen es sich han<strong>de</strong>lt.<br />

Das Buch wirft eine Reihe von moralischen<br />

Fragen auf und lässt die han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Personen unterschiedliche Antworten darauf<br />

fin<strong>de</strong>n. Hier eine Auswahl <strong>de</strong>r Fragen:<br />

Ist die Umgehung von Gesetzen richtig,<br />

wenn dies einem größeren Ganzen dient?<br />

Können sich Personen o<strong>de</strong>r Organisationen<br />

über das Gesetz stellen, wenn dies<br />

von ganz oben (Präsi<strong>de</strong>nt) abgesegnet wird<br />

und einem höheren Zweck dient?<br />

Wie weit reicht die persönliche Verantwortung<br />

<strong>de</strong>r Beteiligten als Rädchen in<br />

einem großen Getriebe?<br />

Wie weit darf ich das Leben an<strong>de</strong>rer<br />

Menschen manipulieren?<br />

Habe ich auch unter diesen Umstän<strong>de</strong>n<br />

das Recht, die Kin<strong>de</strong>r so zu belügen und<br />

ihnen ihre Kindheit zu rauben und sie als<br />

Versuchskaninchen zu verwen<strong>de</strong>n?<br />

Das sind unbequeme Fragen, die in herkömmlichen<br />

<strong>SF</strong>-Romanen nur selten gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n, hier aber von zentraler Wichtigkeit<br />

sind. Die Beteiligten, die sich auf das Spiel<br />

einlassen, fin<strong>de</strong>n dann auch unterschiedliche<br />

Antworten für sich selbst und <strong>de</strong>m<br />

Leser bleibt das Nach<strong>de</strong>nken nicht erspart.<br />

Dieses moralische Dilemma zeigt sich<br />

dann auch an <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Staates bzw.<br />

seines Geheimdienstes, <strong>de</strong>r nicht mit voller<br />

Macht <strong>de</strong>s Staatsapparates wie in einem<br />

üblichen Thriller agiert. Nein, auch dort kocht<br />

man nur mit Wasser und hat seine Budget-<br />

Beschränkungen.<br />

Das Buch, <strong>de</strong>ssen Handlung gut 50 Jahre<br />

in <strong>de</strong>r Zukunft spielt, spricht eine Vielfalt von<br />

Themen an. Hier eine kleine Auswahl: Kryotechnik,<br />

Gentechnik, Medizin, Computertechnik,<br />

Robotik, Linguistik und Astronomie.<br />

Alle diese Themen tragen zur Handlung bei<br />

und viele <strong>de</strong>r Aussagen erscheinen plausibel.<br />

Dabei hat Browne zahlreiche Extrapolationen<br />

gemacht, die unauffällig eingestreut<br />

wer<strong>de</strong>n. So wird Wasserstoff als Treibstoff<br />

für PKW verwen<strong>de</strong>t und sehr schnelle interkontinentale<br />

Transportsysteme lassen die<br />

Kontinente näher zusammenrücken. Die<br />

Vi<strong>de</strong>ophonie hat sich endlich durchgesetzt<br />

und leistungsfähigere Computer ermöglichen<br />

eine akzeptable virtuelle Realität. Medizin<br />

und Gentechnik haben große Fortschritte<br />

gemacht, Krebs ist weitgehend heilbar und<br />

<strong>de</strong>r Verlust eines Zahnes gilt in <strong>de</strong>r Zahnmedizin<br />

bereits als Höchststrafe. Insgesamt<br />

gesehen, entspricht das Jahr 2060 aber so<br />

sehr <strong>de</strong>r Jetztzeit, dass man sich wie zu<br />

Hause fühlt. Es haben nur wenigen Dinge<br />

wirklich grundlegend geän<strong>de</strong>rt, das meiste<br />

wur<strong>de</strong> nur vorsichtig weiterentwickelt.<br />

Immerhin haben die USA endlich das SI-<br />

Einheitensystem akzeptiert. Für Technikfans<br />

hat sich vermutlich zu wenig geän<strong>de</strong>rt, das<br />

Web <strong>de</strong>r Dinge, selbstorganisieren<strong>de</strong> Netze<br />

o<strong>de</strong>r die Fortentwicklung <strong>de</strong>s Internets seien<br />

als Beispiele aus <strong>de</strong>m Bereich Informationstechnik<br />

genannt, in <strong>de</strong>r überwiegend nur<br />

alles schneller und leistungsfähiger wird.<br />

Aber die Technik per se steht ja nicht im Mittelpunkt<br />

<strong>de</strong>s Romans.<br />

Der wissenschaftliche Hintergrund ist<br />

sehr gut recherchiert, in sich plausibel und<br />

vorsichtig extrapoliert (ESETI als Nachfolger<br />

<strong>de</strong>s SETI-Programms und große Fortschritte<br />

in <strong>de</strong>r Astronomie). Weniger plausibel<br />

erscheint mir dagegen eine nahezu endlose<br />

Haltbarkeit <strong>de</strong>r Technik. Wenn man daran<br />

<strong>de</strong>nkt, dass es für die <strong>de</strong>rzeitigen Autos in<br />

zwanzig Jahren keine i<strong>de</strong>ntischen elektronischen<br />

Ersatzteile mehr geben wird (Stichwort:<br />

Obsoleszenzmanagement) erscheint<br />

es mir recht unwahrscheinlich, dass elektronische<br />

System an Bord eines Raumschiffes<br />

Tausen<strong>de</strong> von Jahren halten sollen, von<br />

<strong>de</strong>r normalen Abnutzung und <strong>de</strong>r Korrosion<br />

durch <strong>de</strong>n normalen Luftsauerstoff ganz zu<br />

schweigen. Bei all <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren bedachten<br />

Teilproblemen (beeindruckend umfassend),<br />

hätte mir hier eine kurze Passage dazu gut<br />

gefallen. Insofern ist es geschickt gelöst,<br />

dass auch <strong>de</strong>r Ingenieur Ronyo Greffin seine<br />

Zweifel daran anmel<strong>de</strong>t. Die Erwi<strong>de</strong>rung<br />

hätte ich mir aber ein wenig ausführlicher<br />

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