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ökosoziale marktwirtschaft als zukunftsstrategie - Ökosoziales Forum

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ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT<br />

ALS ZUKUNFTSSTRATEGIE<br />

1/2009<br />

Österreichische Post AG/Sponsoring.Post | Verlagspostamt 1010 Wien | ZNR 06Z037012 S


Die Produktion dieser Broschüre wurde unterstützt durch<br />

Schnell und bequem ins Flugzeug –<br />

zu über 214 Reisedestinationen.<br />

Der Urlaub – die allerschönste Zeit im Jahr. Umso wichtiger ist es, diese nicht mit Warten<br />

und Anstellen zu verbringen. Nutzen Sie dazu die Services des Flughafen Wien. Nehmen<br />

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mal 16 Minuten am Flughafen Wien. Alle Infos finden Sie unter www.viennaairport.com.


Interessengemeinschaft ländlicher Raum<br />

8 EINLEITUNG<br />

10 ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS ZUKUNFTSSTRATEGIE<br />

Mag. Sigrid Egartner<br />

16 BALANCE ZWISCHEN WIRTSCHAFT, SOZIALEM UND ÖKOLOGIE<br />

Vizekanzler a. D. DI. Dr. h. c. Josef Riegler<br />

20 ÖKOSOZIALES FORUM – EIN KURSKORREKTIV<br />

LPräs. Heinz Hufnagl<br />

24 DAS LEITBILD DER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber<br />

30 ES WIRD EINMAL GEWESEN SEIN.<br />

ÜBER DEN UMGANG MIT DER ZUKUNFT.<br />

Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann<br />

36 WARUM ES NICHT EGAL IST, WO MAN ALT WIRD.<br />

ÜBER DEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN STADTSTRUKTUR UND<br />

LEBENSQUALITÄT ÄLTERER MENSCHEN<br />

Mag. Dr. Tatjana Fischer<br />

ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS ZUKUNFTSSTRATEGIE


Interessengemeinschaft ländlicher Raum<br />

Eigentümer, Herausgeber und Verleger:<br />

Club Niederösterreich<br />

Redaktion:<br />

Ernst Scheiber, Rosi Hingsamer, Gerlind<br />

Weber, Sigrid Egartner<br />

Satz: Rosi Hingsamer<br />

alle Bartensteingasse 4/16, 1010 Wien<br />

Telefon: 01/533 84 01<br />

Telefax: 01/533 84 01-20<br />

E-Mail: info@clubnoe.at<br />

www.clubnoe.at<br />

Titelfoto: IRUB, Backaldrin<br />

Hersteller:<br />

Druckerei Ing. Christian Janetschek<br />

Brunfeldstraße 2<br />

3860 Heidenreichstein<br />

Preis:<br />

Einzelnummer 4,21 Euro<br />

inklusive 10 % Umsatzsteuer<br />

Doppelnummer 7,– Euro<br />

inklusive 10 % Umsatzsteuer<br />

Jahresabonnement 15,98 Euro<br />

inklusive 10 % Umsatzsteuer<br />

Die Schriftenreihe erscheint<br />

mindestens sechsmal jährlich.<br />

Bankverbindung:<br />

Raiffeisenlandesbank<br />

Niederösterreich-Wien<br />

Friedrich Wilhelm Raiffeisen-Platz 1<br />

1020 Wien<br />

Kontonummer 64097<br />

Bankleitzahl 32000<br />

Anzeigen und Verwaltung:<br />

Beate Schrank<br />

Club Niederösterreich<br />

Bartensteingasse 4/16, 1010 Wien<br />

Telefon: 01/533 84 01<br />

Das Abonnement gilt für ein weiteres<br />

Kalenderjahr <strong>als</strong> erneuert, falls den Club<br />

bis jeweils 30. November keine schriftliche<br />

Kündigung erreicht.<br />

ÖKOSOZIALES FORUM WIEN<br />

Präsidentin:<br />

o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gerlind Weber, Uni -<br />

versität für Bodenkultur Wien<br />

Vizepräsidenten:<br />

LPräs. Heinz Hufnagl, Wiener Landtag; Dr. Georg<br />

Kraft-Kinz, Raiffeisenlandesbank Nieder österreich-<br />

Wien<br />

Vorstandsmitglieder:<br />

OSR. Ing. Dr. Karin Büchl-Krammerstätter, MA 22<br />

Umweltschutz; Dr. Rein hold Christian, Umwelt<br />

Manage ment Austria; Dipl.-Ing. Heinz Felsner,<br />

respact – austrian business council for sustainable<br />

development; Dr. Bernhard Kromp, BioFor schung<br />

Austria; ÖkR Dir. Grete Nehammer, Blumenbüro<br />

Österreich; Dipl.-Ing. Andreas Römer, MA 22 Um -<br />

weltschutz; Präs. Ing. Franz Windisch, Wiener Bau -<br />

ern bund; Prof. Dkfm. Ernst Scheiber, Österreichi -<br />

scher Bio masse ver band; Mag. Dr. Andrea Schnattin -<br />

ger, Wiener Umwelt anwaltschaft; Dipl.-Ing. Dr.<br />

Alfred Strigl, plenum – gesellschaft für ganzheit lich<br />

nachhaltige entwicklung gmbh<br />

Rechnungsprüfer:<br />

OAR Karl Hödl, MA 6 Rechnungsamt; KR Wal ter<br />

Losos, Raiffeisenlandesbank Niederöster reich-<br />

Wien<br />

Geschäftsführerin:<br />

Mag. Sigrid Egartner,<br />

Franz Josefs-Kai 13, 1010 Wien<br />

Wir danken an dieser Stelle den aktuellen und ehemaligen<br />

Mitgliedern des Vorstandes ganz herzlich<br />

für die Mitarbeit und das große Engagement. Das<br />

Ökosoziale <strong>Forum</strong> Wien lebt und gedeiht insbe -<br />

sondere durch ihren ehrenamtlichen Ein satz.<br />

Interessengemeinschaft ländlicher Raum<br />

OFFENLEGUNG GEMÄSS § 25<br />

DES MEDIENGESETZES<br />

Medieninhaber:<br />

Club Niederösterreich,<br />

Bartensteingasse 4/16, 1010 Wien<br />

Präsident:<br />

Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll<br />

Vizepräsidenten:<br />

Landesrat a. d. DI Josef Plank, Nieder ös ter rei chi scher<br />

Bau ern bund, St. Pölten; Präsidentin Komm.-Rat Abg. z.<br />

BR Sonja Zwazl, Wirt schafts kammer Nieder ös ter -<br />

reich, St. Pölten; Präsident Abg. z. NR Ing. Her mann<br />

Schul tes, Niederösterreichische Landes-Land wirt -<br />

schafts kam mer, St. Pölten; Ge ne ral an walt ÖR Dr. Chris -<br />

tian Kon rad, Raiff eisen-Holding NÖ-Wien reg.<br />

Gen mbH, Wien; Ge ne ral direk tor Dr. Hubert Schultes,<br />

Nieder öster reichische Ver sicherung AG, St. Pölten.<br />

Vorstandsmitglieder:<br />

Vorstandssprecher Mag. Alfred Berger, NÖM AG,<br />

Baden; Vorstandsdirektor Dr. Andreas Brandstetter,<br />

UNIQA Ver sicherungen AG, Wien; Gene ral direktor<br />

Mag. Klaus Buchleitner, Raiffeisen Ware Austria<br />

AG, Wien; Direktor Ing. Josef Daxacher, heimatwerbung<br />

GesmbH, Wien; Rektor Univ.-Prof. Dipl.-FW<br />

Dr. Dr. h. c. Hubert Dürrstein, Uni ver sität für Bo den -<br />

kultur Wien, Wien; Archi tekt Prof. DI Franz Feh rin -<br />

ger, Wien; Vorstandsdirektor Ernest Gabmann, Flug -<br />

hafen Wien AG, Wien; Aufsichtsratspräsident Dr.<br />

Rudolf Gruber, EVN AG, Maria Enzersdorf; Ge ne -<br />

ral direktor Mag. Erwin Hamese der, Raiffeisen-<br />

Holding Nieder österreich-Wien reg. GenmbH.,<br />

Wien; Bau meis ter Ing. Walter Handler, Ing. W. P.<br />

Handler Bauges. m. b. H., Bad Schönau; General -<br />

direktor Dr. Peter Harold, HYPO Investmentbank<br />

AG, St. Pölten; General direktor Mag. Harald<br />

Himmer, Alcatel-Lucent Austria AG, Wien; Ge ne ral -<br />

direktor Dkfm. Herbert Höck, Landes-Hypo the -<br />

kenbank Nieder öster reich, St. Pölten; Abg. z. NR<br />

Anna Höllerer, Engabrunn; Vorstand Dr. Herbert<br />

Koch, KIKA Möbel-Handelsgesellschaft m. b. H.,<br />

St. Pölten; Vorstandsdirektor Mag. Bernhard Lack -<br />

ner, Niederösterreichische Versicherung AG, St.<br />

Pölten; Direktor Mag. Herbert Lehner, Wirt schafts -<br />

bund Niederös terreich, St. Pölten; Ge ne ral di rek tor<br />

DI Johann Marihart, AGRANA Beteili gungs AG,<br />

Wien; Vor sit zen der 2. Präsident des Nationalrats<br />

Fritz Neu ge bauer, Fraktion Christlicher Ge werk -<br />

schaf ter, Wien; 1. Präsident des NÖ Landtages Di -<br />

rek tor Ing. Johann Penz, Nie der öster rei chi scher<br />

Bauern bund, St. Pöl ten; Kam merdirektor DI Franz<br />

Raab, Nieder öster reichische Lan des-Land wirt schafts -<br />

kammer, St. Pölten; Vor standsdirektor Dr. Josef<br />

Schmid, Österreichische Hagel ver siche rungs anstalt<br />

auf Ge gen seitigkeit, Wien; Ök.-Rat Rudolf Schwarz -<br />

böck, Hagen brunn; Vor standsdirekor Komm.-Rat<br />

Mag. Dr. Christian Sedl nitz ky, UNIQA Ver siche -<br />

rungen AG, Wien; Landesobmann Bundes minister<br />

Dr. Mi chael Spin delegger, Nie der öster rei chischer<br />

Arbeiter- und An ge stellten bund, St. Pölten; KR<br />

Hilde Umdasch, Um dasch AG, Amstet ten; Univ.-<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Manfried Welan, Universität für<br />

Bodenkultur Wien, Wien; Direktor Dr. Franz Wieder -<br />

sich, Wirt schafts kammer Niederöster reich, St. Pöl -<br />

ten; Architekt DI Werner Zita, Lang enzersdorf.<br />

Rechnungsprüfer:<br />

Hans Oppel, Dkfm. Friedrich Vock<br />

Geschäftsführer:<br />

Prof. Dkfm. Ernst Scheiber,<br />

Bartensteingasse 4/16, 1010 Wien<br />

Grundlegende Richtung gemäß § 25,<br />

Absatz 4, des Mediengesetzes<br />

Die Schriftenreihe des Club Niederös ter reich versteht<br />

sich so wie der Club <strong>als</strong> Plattform, um ge mein -<br />

same Interessen aller Berufs gruppen im ländlichen<br />

Raum und zwischen Stadt und Land durch Diskus -<br />

sion, Infor mation und Aktion zu verdeutlichen. Ziel<br />

der Schriftenreihe des Club Nie der ös ter reich ist die<br />

Diskussion aller Fra gen, die den ländlichen Raum<br />

betreffen, und zwar in einer umfassenden Zusam -<br />

men schau mit Wissen schaft, Wirt schaft und Politik;<br />

die Kontakte zwischen der städtischen und ländlichen<br />

Bevölkerung zu pflegen und zu vertiefen; durch<br />

Öffentlichkeitsarbeit die Men schen, die täglich die<br />

Leistungen der Bauern und der Bewohner des ländlichen<br />

Raumes beanspruchen, für Probleme und Fra -<br />

gen des ländlichen Rau mes zu interessieren und <strong>als</strong><br />

Verbündete zu gewinnen, ein positives Klima für<br />

Eigeninitiative und Selbsthilfe bei den Bewohnern<br />

des ländlichen Rau mes zu schaffen und an konkreten<br />

Beispielen die Mög lichkeiten zur Verbesserung der<br />

Lebens quali tät im ländlichen Raum aufzuzeigen. Um<br />

diesen Zielen zu entspre chen, führt der Club Nieder -<br />

öster reich wirtschaftspolitische, regionalpolitische<br />

sowie kultur- und sozialpolitische Aktivitäten durch.


4<br />

BISHERIGE AUSGABEN DER SCHRIFTENREIHE<br />

Nr. 1/1981 Die Land- und Forstwirt -<br />

schaft im Span nungs feld der<br />

örtlichen Raumplanung<br />

Nr. 2/1981 Medienzukunft<br />

Nr. 3/4/1981 Produktionsalternativen für<br />

die Land- und Forst wirt schaft<br />

in Niederösterreich<br />

Nr. 1/1982 Wachstums- und Struktur pro -<br />

bleme der Industrie – Kon se -<br />

quenzen für die nieder -<br />

österreichische Wirt schaft<br />

Nr. 2/1982 Biosprit<br />

Nr. 3/1982 Die japanische Heraus -<br />

forderung<br />

Nr. 4/5/1982 Arbeitsplatzsicherung durch<br />

den niederösterreichischen<br />

Lan deshaushalt<br />

Nr. 6/1982 Strategien gegen die wirt -<br />

schaft liche Zweiteilung Ös -<br />

ter reichs<br />

Nr. 1/1983 Die Einkommenssituation der<br />

österreichischen Wein bauern<br />

Nr. 2/3/1983 Wirtschaft und Umwelt –<br />

Versuch einer Versöhnung<br />

Nr. 4/1983 Beschäftigungseffekte durch<br />

Dorferneuerung<br />

Nr. 5/1983 Arbeitsplätze durch Kleinund<br />

Mittelbetriebe<br />

Nr. 6/1983 Public Relations <strong>als</strong> Unter -<br />

nehmensaufgabe<br />

Nr. 1/2/1984 Innovation <strong>als</strong> Motor des<br />

Struk turwandels<br />

Nr. 3/1984 Österreich im Spannungs feld<br />

der Weltpolitik<br />

Nr. 4/5/1984 Bauen im ländlichen Raum<br />

Nr. 6/1984 Natürliche Psychohygiene des<br />

Wohnens<br />

Nr. 7/1984 Public Relations – der Weg<br />

aus der Isolation<br />

Nr. 1/1985 Sanfter Tourismus und Re gio -<br />

nal politik<br />

Nr. 2/1985 Zukunft der Arbeit – Welche<br />

Arbeit hat Zukunft?<br />

Nr. 3/4/1985 Bauen und Lebensqualität<br />

Nr. 5/1985 Dorferneuerung und Le bens -<br />

qualität<br />

Nr. 6/1985 Neue Medien in Österreich –<br />

Rotlicht für privates Fern -<br />

sehen?<br />

Nr. 7/1985 Weg von Rollenklischees –<br />

Männer und Frauen in den<br />

achtziger Jahren<br />

Nr. 1/1986 Neue Industrie – Chance oder<br />

Gefahr?<br />

Nr. 2/1986 Kommunikation und Emo tion<br />

– Public Relations jenseits<br />

von Daten und Fakten<br />

Nr. 3/1986 Die Zukunft der Industrie<br />

Nr. 4/5/1986 Was blieb von Prinz Eugen?<br />

Nr. 6/1986 Krisengebiete und Medien<br />

Nr. 7/1986 Jugend und Dorferneuerung<br />

Nr. 1/1987 Kultur im Dorf<br />

Nr. 2/1987 Dorf – Landschaft – Umwelt<br />

Nr. 3/1987 Wasser für morgen<br />

Nr. 4/1987 Public Relations –<br />

Strate gien für den Krisenfall<br />

Nr. 5/1987 Wirtschaft und Umwelt<br />

Nr. 6/1987 Biomasse<br />

Nr. 1/1988 Wege zur Umweltsicherung<br />

in Europa<br />

Nr. 2/1988 Wirtschaftspolitik in den<br />

neun ziger Jahren<br />

Nr. 3/1988 Innovationsorientierte agrarische<br />

Regionalpolitik<br />

Nr. 4/1988 Die ethische Dimension zeit -<br />

gemäßer Öffentlichkeitsarbeit<br />

Nr. 5/1988 Dorferneuerung und<br />

Archi tektur<br />

Nr. 6/1988 Unternehmenskultur <strong>als</strong> neue<br />

Kommunikations stra tegie<br />

Nr. 1/1989 Ost-West-Drift in Österreich<br />

Nr. 2/1989 Umbruch in der Landwirt -<br />

schaft – Chance für die Kul -<br />

turlandschaft?<br />

Nr. 3/1989 Österreich und Europa<br />

Nr. 4/5/1989 Dorferneuerung<br />

gestern – heute – morgen<br />

Nr. 6/1989 EG-Integration und Bauern<br />

Nr. 7/1989 Flaggschiff Österreich<br />

Nr. 1/1990 Ökosoziale Marktwirtschaft<br />

Nr. 2/1990 Die europäische Integration –<br />

Perspektiven für Österreich<br />

Nr. 3/4/1990 Handeln im lebendigen<br />

Kreis lauf der Natur<br />

Nr. 5/1990 Landwirtschaft und Umwelt<br />

Nr. 6/1990 Österreichs Wirtschaft<br />

zwischen Ost und West<br />

Nr. 7/8/1990 Das betreute Dorf<br />

Nr. 1/1991 Bohunice & Dukovany –<br />

Gefahren und Alternativen<br />

Nr. 2/1991 Niederösterreich <strong>als</strong> EG-<br />

Region – Wirtschafts för -<br />

derung in Niederösterreich<br />

und EG-Bestimmungen<br />

Nr. 3/4/1991 Dorferneuerungswegweiser<br />

Waldviertel<br />

Nr. 5/1991 Saubere Luft – ein knappes<br />

Gut<br />

Nr. 6/1991 Dorferneuerung inter national<br />

Nr. 7/1991 Ökosoziale Energiepolitik<br />

Nr. 1/1992 Dorferneuerungswegweiser<br />

Mostviertel<br />

Nr. 2/1992 Spannungsfeld Balkan<br />

Nr. 3/1992 Niederösterreichisch – österreichisch<br />

– europäisch<br />

Nr. 4/1992 Die Erneuerung der veruntreuten<br />

Landschaft<br />

Nr. 5/1992 Blau-gelbe Kultur-Akzente<br />

Nr. 6/7/1992 Dorferneuerungswegweiser<br />

Industrieviertel<br />

Nr. 1/1993 Stadterneuerung<br />

Nr. 2/1993 Kultur und Identität<br />

Nr. 3/1993 Abwasserreinigung im<br />

ländlichen Raum – geklärte<br />

Ver hält nisse?<br />

Nr. 4/1993 Abwasserklärung, aber wie?<br />

Nr. 5/6/1993 Dorferneuerungswegweiser<br />

Weinviertel<br />

Nr. 7/8/1993 AufhOHRchen – Volks musik<br />

in Niederösterreich<br />

Nr. 1/2/1994 Die Türme von Znaim –<br />

Skiz zen aus dem Wein viert ler<br />

Grenzland<br />

Nr. 3/1994 Solar-Visionen<br />

Nr. 4/5/1994 Vom Morgen im Heute: Dorf -<br />

erneuerung Kautzen<br />

Nr. 6/7/1994 Zukunft der Stadt – Stadt der<br />

Zukunft<br />

Nr. 8/1994 Kultur – Heimat – Werte<br />

Nr. 9/1994 Unser Greissler. Unser Wirts -<br />

haus.<br />

Nr. 1/2/1995 Wieder AufhOHRchen –<br />

Volks musik zwischen<br />

Tradi tion und Moderne<br />

Nr. 3/1995 Regionalpolitik der Zukunft:<br />

Das Waldviertel-Manage ment<br />

Nr. 4/1995 Wege zur Umweltsicherung<br />

in Europa<br />

Nr. 5/1995 Stadterneuerung für eine<br />

men schengerechte Urbanität<br />

Nr. 6/1995 Dörfer in Niederösterreich –<br />

vielgestaltig und wandelbar<br />

Nr. 7/1995 Bio-Energie<br />

Nr. 1/1996 aufhOHRchen –<br />

Grenz gän ge mit Volksmusik<br />

Nr. 2/1996 Stadt und Dorf – Theorie und<br />

Praxis einer Erneuerung<br />

Nr. 3/4/1996 Datenhighway –<br />

und Nie der österreich?<br />

Nr. 5/1996 Zankapfel Erdapfel –<br />

Gen tech nik im Pflanzenbau<br />

Nr. 6/1996 Biologischer Landbau in Ös -<br />

terreich<br />

Nr. 7/1996 Landentwicklung in<br />

Nieder ös terreich<br />

Nr. 1/1997 Multifunktionale Agrar po li tik<br />

Nr. 2/1997 Zukunft der Arbeit – welche<br />

Arbeit hat Zukunft?<br />

Nr. 3/1997 Mostviertel-Strategien<br />

Nr. 4/1997 szene bunte wähne – Theater -<br />

kultur für Kinder und Jugend -<br />

liche<br />

Nr. 5/1997 Dorf- und Stadterneuerung –<br />

Signale in blau-gelb<br />

Nr. 6/1997 aufhOHRchen und wieder<br />

aufhOHRchen<br />

Nr. 1/2/1998 Biomasse – Energiequelle mit<br />

Zukunft<br />

Nr. 3/1998 Innovative Wirtschaft in<br />

Niederösterreich<br />

Nr. 4/5/1998 Modern Bauen – zeitgemäß<br />

Wohnen<br />

Nr. 6/1998 Österreichs Landwirtschaft<br />

<strong>als</strong> Modell für Europa<br />

Nr. 7/1998 Vom Umbruch zum<br />

Auf bruch – Die Erweiterung<br />

der Europäischen Union<br />

Nr. 8/1998 Innovative Wirtschaft in<br />

Niederösterreich II<br />

Nr. 1/1999 Fitness-Programm für das<br />

Weinviertel<br />

Nr. 2/1999 Fitness-Programm für das<br />

Waldviertel<br />

5


6<br />

Nr. 3/1999 Erneuerbare Energie I<br />

Nr. 4/1999 Erneuerbare Energie II<br />

Nr. 5/1999 Kooperationen zwischen Nie -<br />

derösterreich und Tsche chien<br />

Nr. 6/1999 Landentwicklung durch Dorfund<br />

Stadterneuerung<br />

Nr. 1/2000 Kooperationen zwischen<br />

Niederösterreich und der<br />

Slowakei<br />

Nr. 2/3/2000 Grünes Licht für Bioenergie<br />

Nr. 4/2000 Tradition – Funktion –Vision:<br />

Bauen und Wohnen in ländlichen<br />

Kleinstädten<br />

Nr. 5/2000 Verdorft die Welt,<br />

sie braucht es!<br />

Nr. 6/2000 Integrierte Ländliche<br />

Entwicklung<br />

Nr. 7/2000 Energienachfrage und<br />

Bioenergie<br />

Nr. 1/2001 Biomassenutzung in<br />

Niederösterreich<br />

Nr. 2/2001 Dorfentwicklung <strong>als</strong> euro -<br />

päische Herausforderung<br />

Nr. 3/2001 EU-Erweiterung –<br />

Voraus setzungen und<br />

Perspektiven<br />

Nr. 4/2001 Wirtschaftsstandort<br />

Niederösterreich<br />

Nr. 5/2001 Sicherheit der<br />

Energieversorgung<br />

Nr. 6/2001 Österreichs Zukunft nachhaltig<br />

gestalten<br />

Nr. 1/2002 Arbeitsplatz Niederösterreich<br />

Nr. 2/2002 Regionen im Wandel<br />

Nr. 3/2002 Zukunftschance Bioenergie<br />

Nr. 4/2002 Niederösterreich –<br />

wasserreich?<br />

Nr. 5/2002 Wärme aus Energiegetreide<br />

Nr. 6/2002 Globalisierung: wie weiter?<br />

Nr. 1/2003 Landwirtschaft auf neuen<br />

WeGEN?<br />

Nr. 2/2003 Aufbruch zu einer neuen<br />

Weltordnung<br />

Nr. 3/2003 Die Europäische Union erweitert<br />

ihre Chancen<br />

Nr. 4/5/2003 Erneuerbare Energien – Best<br />

Practice<br />

Nr. 6/2003 Frau sein im ländlichen Raum<br />

Nr. 7/2003 Wirtschaften in der Region<br />

Nr. 1/2/2004 DorfZukunft<br />

Nr. 3/4/2004 Keep on running, keep on helping<br />

– 21 Jahre<br />

Benefizfußballmannschaft<br />

Nr. 5/2004 Globalisierung bedingt<br />

Regionalisierung<br />

Nr. 6/7/2004 Top-News aus der Biomasse -<br />

szene<br />

Nr. 8/9/2004 Energieversorgung am<br />

Wende punkt<br />

Nr. 10/2004 Innovation – Triebfeder der<br />

Wirtschaft<br />

Nr. 1/2/2005 Beschäftigungseffekte durch<br />

Biomassenutzung<br />

Nr. 3/2005 Landwirtschaft und<br />

Naturschutz<br />

Nr. 4/2005 Globalisierung – eine wirtschaftliche,<br />

soziale und ökologische<br />

Herausforderung<br />

Nr. 5/6/2005 Ländlicher Raum 2005.<br />

Gewandelte Realitäten – neue<br />

Herausforderungen<br />

Nr. 7/2005 WTO und Landwirtschaft<br />

Nr. 8/9/2005 Missgünstige Nachbarn<br />

Nr. 1/2006 Heizen mit Energiekorn<br />

Nr. 2/3/2006 Nachdenkbuch von Österreichern<br />

für Jörg Mauthe<br />

Nr. 4/5/2006 Leader-Ship<br />

Nr. 6/2006 Chancen der Direktvermarktung<br />

Nr. 7/2006 Biomasse – Energie der Zukunft<br />

Nr. 8/2006 Energieversorgung am Wendepunkt<br />

– die vermeintlichen Al ter -<br />

nativen Kohle und Kernenergie<br />

Nr. 1/2007 Klimawandel &<br />

Wintertourismus<br />

Nr. 2/3/2007 Multitalent Biogas<br />

Nr. 4/5/2007 Multitalent Biogas II<br />

Nr. 6/7/2007 Globalisierung – für und nicht<br />

gegen die Menschen<br />

Nr. 8/2007 Nahrung und Energie aus der<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Nr. 9/10/2007 Zukunft der weltweiten<br />

Erdölversorgung<br />

Nr. 1/2008 Netzwerken <strong>als</strong> Erfolgsformel<br />

Nr. 2/2008 Mikroalgen – ein Energieträger<br />

der Zukunft?<br />

Nr. 3/2008 Energiepolitik 2020<br />

Nr. 4/2008 Energiewende.<br />

Nr. 5/2008 Der ländliche Raum im<br />

Zeitalter der Globalisierung<br />

Nr. 6/2008 Nachhaltigkeit <strong>als</strong> Chance für<br />

den Tourismus<br />

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8 Einleitung<br />

„DAS LEBEN VERLANGT VON UNS ALLEN EINEN BEITRAG,<br />

UND JEDER MUSS HERAUSFINDEN, WORIN SEIN PERSÖNLICHER BEITRAG<br />

BESTEHT.“ VIKTOR E. FRANKL<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Im Oktober 2009 beging das Ökosoziale<br />

<strong>Forum</strong> Wien (ÖSFO Wien) in feierlichem<br />

Rahmen und unter großem Publikums -<br />

inter esse sein 10jähriges Bestehen – ein An -<br />

lass, um zurückzublicken: Seit der Grün -<br />

dung des Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien ha ben<br />

sich manche der ökologischen, so zialen<br />

und ökonomischen Rahmenbe din gungen<br />

verändert. Einige Herausfor de rungen, wie<br />

beispielsweise der Klimawan del oder der<br />

demographische Wandel, die bereits da -<br />

m<strong>als</strong> diskutiert wurden, werden heute in<br />

einem noch viel stärkeren Ausmaß wahrgenommen.<br />

Andere – wie die Finanz krise<br />

und die Krise der Weltwirtschaft – sind neu<br />

hinzugekommen. Insgesamt scheint uns die<br />

<strong>ökosoziale</strong> Idee, deren An lie gen es ist, eine<br />

Balance zwischen ökologischer Ver ant -<br />

wortung, sozialer Ausgegli chen heit und<br />

wirtschaftlicher Leistungs fähigkeit her -<br />

zustellen, heute aktueller denn je zu sein.<br />

Dieser Broschüre können Sie zunächst eini -<br />

ge Hintergrundinformationen zum Öko -<br />

sozialen <strong>Forum</strong> Wien entnehmen. An -<br />

schlie ßend bietet sich Ihnen die Mög lich -<br />

keit, die Referate der 10-Jahres-Feier nachzulesen:<br />

Einerseits die Gruß- aber auch<br />

mahnenden Worte von Vizekanzler a. D.<br />

Josef Riegler und Landtagspräsident Heinz<br />

Hufnagl. An dererseits die beiden wissenschaftlichen<br />

Beiträge von Univ.-Prof. Dr.<br />

Gerlind Weber, der Präsidentin des Ve r ei -<br />

nes, und Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liess -<br />

mann, dem Keynote-Speaker. Erstere be -<br />

schäftigt sich mit dem Leitbild der nachhaltigen<br />

Entwicklung, Zweiterer analysiert<br />

den Umgang mit der Zukunft aus einem<br />

philosophischen Blickwinkel. Den Ab -<br />

schluss dieser Publikation bildet ein Bei -<br />

trag von Dr. Tatjana Fischer, in dem sie das<br />

jüngste Forschungsprojekt des ÖSFO<br />

Wien „Stadt der kurzen Wege aus <strong>ökosoziale</strong>r<br />

Sicht – Nahversorgung und Nah -<br />

erholung in Wien vor dem Hintergrund der<br />

Alterung“ in der hier gebotenen Kürze vorstellt.<br />

Wir wünschen Ihnen viele interessante,<br />

aber auch nachdenkliche Momente beim<br />

Lesen!<br />

Sigrid Egartner<br />

Geschäftsführerin<br />

ÖSFO Wien<br />

Ernst Scheiber<br />

Geschäftsführer<br />

Club Niederösterreich<br />

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10 Sigrid Egartner<br />

Sigrid Egartner<br />

ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS ZUKUNFTS -<br />

STRATEGIE<br />

„DIE MARKTWIRTSCHAFT KANN IN DER ZUKUNFT NUR DANN<br />

ERFOLGREICH SEIN, WENN SIE SOZIAL UND ÖKOLOGISCH TRAG-<br />

FÄHIG IST, ALSO AUF MENSCH UND UMWELT RÜCKSICHT<br />

NIMMT. DIE ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT IST FÜR MICH DIE<br />

RICHTIGE STRATEGIE, EINE GRENZZIE HUNG ZUM GLOBALEN<br />

TREND DES NEOLIBERALISMUS VORZUNEHMEN.“<br />

(BGM. DR. MICHAEL HÄUPL)<br />

„DIE ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT IST EINE DER WE NI GEN<br />

ÜBERZEUGENDEN UND ZIELFÜHRENDEN ZUKUNFTS STRATEGIEN<br />

FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT. DURCH SYNTHE SE STATT KONFRON -<br />

TATION KANN EIN „MEHRWERT“ GE SCHAF FEN WERDEN. SIE IST<br />

DAHER EIN BESTENS GEEIGNETES KON SENSMODELL FÜR DIE<br />

BEWÄLTIGUNG DER GROS SEN HERAUSFORDERUNGEN, MIT DENEN<br />

WIR AUF LOKALER, RE GIONALER, NATIONALER UND GLOBALER<br />

EBENE KONFRONTIERT SIND.“<br />

(VIZEKANZLER A. D. DI DR. H. C. JOSEF RIEGLER)<br />

Im Jahr 1997 wurde das Ökosoziale <strong>Forum</strong><br />

Wien von Bürgermeister Dr. Michael Häupl<br />

und Vizekanzler a. D. DI Dr. h. c. Josef Rieg -<br />

ler <strong>als</strong> Kom munikations platt form für die He -<br />

r aus for derungen und Per spektiven ei ner<br />

nach haltigen Stadtent wick lung Wiens ge -<br />

grün det. Die Aufgabe un seres Vereines ist es,<br />

eine <strong>ökosoziale</strong> Po litik für die Stadt Wien zu<br />

unterstützen und vorzudenken – eine Po li tik,<br />

welche die Ver bin dung der wirt schaft lichen<br />

und technologischen Ent wick lungs poten ziale<br />

des urbanen Raumes mit der Er haltung ihrer<br />

Umwelt- und Le bens qualität ermöglicht.<br />

WELCHE ZIELE VERFOLGEN WIR?<br />

Das grundsätzliche Ziel der Ökosozialen<br />

Markt wirtschaft liegt in der Synthese zwi-<br />

schen Ökologie, Sozialem und Wirtschaft.<br />

Ökologische Verantwortung, soziale Ge -<br />

rech tigkeit und eine leistungsfähige Wirt -<br />

schaft dürfen nicht sektoral behandelt oder<br />

gegeneinander ausgespielt, sondern müssen<br />

im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips zu -<br />

sam mengeführt werden. Durch das Verbin -<br />

den dieser drei Aspekte werden „neue“ zu -<br />

kunftsfähige Lösungen möglich.<br />

AN WELCHEN WERTEN ORIENTIE-<br />

REN WIR UNS?<br />

Die originäre Definition von „nachhaltiger<br />

Entwicklung“ findet sich im Brundtlandt-<br />

Bericht „Our Common Future“ der Kom -<br />

mission der Vereinten Nationen für Umwelt<br />

und Entwicklung aus dem Jahr 1987: „Nach -<br />

Ökosoziale Marktwirtschaft <strong>als</strong> Zukunftsstrategie 11<br />

haltige Entwicklung ist eine Entwicklung,<br />

die den Bedürfnissen der heutigen Gene -<br />

ration entspricht, ohne die Möglichkeiten<br />

der künftigen Generationen, ihre eigenen<br />

Be dürfnisse und ihren Lebensstil zu wählen,<br />

zu gefährden. Die Forderung, diese Ent -<br />

wick lung dauerhaft zu gestalten, gilt für alle<br />

Länder und Menschen.“<br />

Gemäß der Brundtland-Definition ist das<br />

Kon zept der nachhaltigen Entwicklung ein<br />

ethisches Konzept. Eine nachhaltige Ent -<br />

wicklung kann dann gelingen, wenn sie bei<br />

den Werten und Einstellungen der Men -<br />

schen ansetzt und deren Zukunfts fähigkeit<br />

reflektiert. Entscheidend ist da bei, sich klar<br />

zu machen, dass Werte nicht allein von<br />

Wis sen schafterInnen festgelegt werden<br />

können. Sie werden im Wesent lichen durch<br />

die Gesell schaft bestimmt. Den noch ist die<br />

Wis sen schaft gefordert, ih ren Beitrag in<br />

Form sys tematischer Re flexionen <strong>als</strong> Basis<br />

für die Wei ter ent wick lung der gesellschaftlichen<br />

Wert vor stel lungen zu liefern.<br />

Im Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien begaben wir<br />

uns auf die Suche nach präzisierenden Leit -<br />

werten, an denen wir unsere Aktivi tä ten<br />

ausrichten können. Dazu wurde ein Dis kus -<br />

sionsprozess gestartet, an dem Per sonen<br />

aus Wissenschaft, Politik und Ver waltung<br />

be teiligt waren. Die Arbeits ergeb nisse dieser<br />

Kooperation wurden von Bri gitte Ömer<br />

zu sammengefasst und systematisiert. Sie<br />

wurden von uns in Form einer Broschüre<br />

veröffentlicht „Zukunfts fähiges Wien –<br />

Rich tungssicherheit durch Wert orientie -<br />

rung“ und dienen uns seitdem <strong>als</strong> wertvolle<br />

Hilfe stel lung bei der Aus richtung und Aus -<br />

wahl unserer unterschiedlichen Arbeits -<br />

schwer punkte. (Vgl. Ömer 2003).<br />

Den von Brigitte Ömer formulierten Sustai -<br />

na bility-Werten liegt der Denkansatz des<br />

öko logischen Transformationsmodells zu -<br />

grun de. Dabei werden zunächst ökologi-<br />

sche Funktionsprinzipien systemtheoretisch<br />

interpretiert, sodann in sozioökonomische<br />

Ziele und diese wiederum in gesellschaftliche<br />

Werte transformiert. Als Grund -<br />

werte der nachhaltigen Entwicklung haben<br />

sich dabei<br />

• Vielfalt<br />

• Natürlichkeit/Sicherheit<br />

• Neue Einfachheit/Dematerialisierung<br />

• Nähe/Dezentralität/Subsidiarität<br />

• Mitbestimmung/Kreativität<br />

• Wandlungsfähigkeit/Entwicklung<br />

• Wir-Gefühl/Solidarität<br />

herauskristallisiert. (Vgl. Ömer 2000).<br />

Mit dem Wert „Vielfalt“ ist eine über längere<br />

Zeiträume entstandene und im System -<br />

zusammenhang erprobte und bewährte Viel -<br />

falt in der Stadt gemeint, die ihre Le bens -<br />

fähigkeit unter Beweis gestellt hat. An ge -<br />

strebt wird aber nicht eine maximale Viel falt<br />

um jeden Preis, sondern eine systemoptimale,<br />

funktionale Vielfalt.<br />

Der zweite Sustainability-Wert „Natürlich -<br />

keit/Sicher heit“ ist eine größtmögliche Na -<br />

tür lichkeit (Naturnähe) im System Stadt, die<br />

in direktem Zusammenhang mit dem Wert<br />

Sicherheit steht: Je naturbelassener ein Sys -<br />

tem ist, das heißt je geringer die menschliche<br />

Eingriffstiefe ist, desto weniger externe Stüt -<br />

zung und Pflege benötigt es.<br />

Der dritte Sustainability-Wert „Neue Ein -<br />

fach heit/Dematerialisierung“ soll die Ver -<br />

rin gerung des Ressourcendurchflusses<br />

durch das Stadtsystem bringen. Dazu be -<br />

darf es zwei er einander ergänzender Stra -<br />

tegien: Zum einen Suffizienz oder Ge -<br />

nügsamkeit, die den tatsächlichen Be darf<br />

nach einem materiellen Produkt oder einer<br />

Dienstleis tung hinterfragt, und zum anderen<br />

Effizienz, die durch einen sparsamen<br />

Material- und Energieeinsatz und/ oder die


12 Sigrid Egartner<br />

Erhöhung des Nutzens bzw. der Nut -<br />

zungsdauer eines Pro dukts erzielt werden<br />

kann.<br />

Das Wertebündel „Nähe/Dezentralität/<br />

Sub sidiarität“ dient dem Aufbau und der<br />

Erhal tung räumlicher und informatorischer<br />

Bezie hungsnetze und umfasst Begriffe wie<br />

Klein heit, Basisdemokratie, Entflechtung,<br />

Teil auto nomie, Selbstbestimmung und<br />

Selbst ent faltung. Dieses Wertebündel ist<br />

wichtig, um die Kommunikation, Koordi -<br />

nation und Kooperation zwischen den<br />

Elementen des Stadtsystems sowie zwischen<br />

Stadt und Umland zu erhalten und zu<br />

fördern.<br />

Der fünfte Sustainability-Wert, der aus<br />

„Mit bestimmung und Kreativität“ zusammengesetzt<br />

ist, verwirklicht sich sowohl in<br />

der Entfaltung der Individualität unter den<br />

gegebenen politischen, ökonomischen,<br />

rechtlichen, moralischen und ideologischen<br />

Bedin gungen <strong>als</strong> auch im Erringen um neue<br />

Be dingungen.<br />

„Wandlungsfähigkeit/Entwicklung“ be rück -<br />

sichtigt die Langfristperspektive in der Sys -<br />

temveränderung. Der Begriff „Ent-Wick -<br />

lung“ bedeutet, dass aus einem An fangs -<br />

zustand, einem Keim, etwas voll Aus ge -<br />

bildetes entsteht. Entwicklung meint eine<br />

geordnete Veränderung des Systems in<br />

Richtung höherer Komplexität, zunehmender<br />

Verhaltensmöglichkeiten bzw. größerer<br />

Stabilität.<br />

Der siebte Sustainability-Wert „Wir-Gefühl/<br />

Solidarität“ zielt auf eine humane Stadtge -<br />

mein schaft mit sozialer Gerechtigkeit und<br />

ökologisch verträglichem Verhalten. Seine<br />

Herausforderung besteht in der Verwirk li -<br />

chung des Glücksanspruchs des Einzelnen<br />

ohne Verletzung der Menschenrechte und<br />

ohne Zerstörung der natürlichen Lebens -<br />

grund lagen.<br />

WIE WERDEN WIR AKTIV?<br />

Beim Versuch, eine <strong>ökosoziale</strong> Stadtpolitik<br />

vorzudenken, das heißt ökologische, soziale<br />

und wirtschaftliche Interessen bei unterschiedlichen<br />

Themenstellungen miteinander<br />

abzuwägen, ist man zunächst naturgemäß<br />

mit den vielen widersprüchlichen und zum<br />

Teil einander entgegengesetzten Interessen<br />

der beteiligten Gruppierungen konfrontiert.<br />

Maßnahmen, die aus ökologischer Sicht<br />

sinn voll und notwenig erscheinen, wie beispielsweise<br />

die Umwidmung von Flächen in<br />

der Stadt in Natur oder Landschaftsschutz -<br />

gebiete, stellen aus (land-)wirtschaftlicher<br />

Sicht eher eine Bedrohung dar. Wirt schaft -<br />

lich plausible Entscheidungen erscheinen<br />

oft aus sozialer Sicht bedenklich etc. Un -<br />

zählige Beispiele scheinen die Unverein -<br />

barkeit und Widersprüchlichkeit von ökologischen,<br />

so zia len und wirtschaftlichen Inter -<br />

essen zu be stätigen. Daraus erwächst die<br />

Gefahr, dass jede der Interessens grup pen in<br />

ihrem eigenen „Bereich“ gefangen bleibt<br />

und wenig bis gar kein Verständnis für die<br />

Standpunkte „der Anderen“ aufbringen. Aus<br />

diesem Grund gehen notwendige Entwick -<br />

lungen und Veränderung oft nur sehr langsam<br />

vor sich.<br />

Anstatt den Fokus auf das Trennende zu<br />

rich ten, kann aber auch versucht werden,<br />

unterschiedliche Stakeholder „an einen<br />

Tisch zu bringen“ und jene Bereiche zu<br />

identifizieren, in denen gemeinsame Inter -<br />

essen bestehen. Genau das sehen wir vom<br />

Ökosoziale <strong>Forum</strong> Wien seit der Gründung<br />

unseres Vereines <strong>als</strong> eine unserer Haupt -<br />

aufgaben an: Unterschiedlichen Akteu rIn -<br />

nen ei ne gemeinsame Kommunikations -<br />

platt form zu bieten, auf der ein gedanklicher<br />

Aus tausch über die Grenzen von Parteien,<br />

In teressengruppen, gesellschaftlichen Ar -<br />

beits be reichen etc. hinaus möglich ist. Dies<br />

schafft Raum, um andere Standpunkte ken-<br />

Ökosoziale Marktwirtschaft <strong>als</strong> Zukunftsstrategie 13<br />

Abbildung: Geschäftsführerin Mag. Sigrid Egartner, Vizepräsident Heinz Hufnagl, Präsidentin<br />

Dr. Gerlind Weber und Vizepräsident Dr. Georg Kraft-Kinz (v. l. n. r)<br />

nen zu lernen, die eigene Perspektive zu er -<br />

weitern und letztlich etwas Gemeinsames zu<br />

finden und daran in der Zukunft weiter zu<br />

arbeiten.<br />

Im Bestreben, solche „Gemeinsamkeiten zu<br />

identifizieren“, wurden von uns beispielsweise<br />

Arbeitskreise zu den Themen Energie -<br />

effizienz, Stadt-Landwirtschaft und Verkehr<br />

eingerichtet, in denen im Laufe mehrerer<br />

Jahre unterschiedliche für Wien relevante<br />

Fragestellungen von VertreterInnen aus Po -<br />

litik, Verwaltung und Wirtschaft diskutiert<br />

wurden. Die Ergebnisse waren vielfältiger<br />

Art: Es wurde gemeinsam mit der Wiener<br />

Umweltanwaltschaft eine Studie über „Bio -<br />

gene Abfälle aus der Lebensmittelindustrie<br />

und dem Gewerbe in Wien“ in Auftrag gege-<br />

ben; ebenfalls in Kooperation mit der Wie -<br />

ner Umweltanwaltschaft haben wir Folder<br />

für BezirkspolitikerInnen und Mit arbeiterIn -<br />

nen der Wiener Bezirksämter er stellt, in de -<br />

nen diese über Möglichkeiten energieeffi -<br />

zien ten Verhaltens in den Amts ge bäuden in -<br />

formiert werden etc.<br />

Wir organisieren aber auch Öffentlichkeitsveranstaltungen,<br />

in denen konkrete aktuelle<br />

gesellschaftspolitische Themen diskutiert<br />

und vertieft werden und damit die <strong>ökosoziale</strong><br />

Idee einem breiteren Publikum näher ge -<br />

bracht werden soll. Beispielsweise wurde<br />

der demographische Wandel und seine Aus -<br />

wirkungen auf die Stadt Wien in Form einer<br />

mehrteiligen Veranstaltungsreihe be han delt.<br />

Eine Kombination von Öffentlichkeitsveran-<br />

Foto: Edgar Bültemeyer


14 Sigrid Egartner<br />

staltungen und dem Schaffen ei ner Kommu -<br />

nikationsplattform stellte eine andere Ver -<br />

anstaltungsreihe dar, die wir ge mein sam mit<br />

dem Kooperationspartner FORUM Land<br />

Wien initiiert haben. Mit diesem Konzept<br />

wurde ein geeigneter Rahmen geboten, um<br />

die „Chancen und Herausforderungen der<br />

Wie ner Stadt-Landwirtschaft“ von ExpertIn -<br />

nen gemeinsam mit Betroffenen anhand von<br />

mehreren Themenstellungen – Tourismus,<br />

Produktinnovationen, Naturschutz – zu diskutieren.<br />

Auch hier ging es vor allem darum,<br />

den TeilnehmerInnen Zukunftsperspektiven<br />

und neue Möglichkeiten der Zusammen ar -<br />

beit aufzuzeigen.<br />

Neben Arbeitskreisen und Aktivitäten, die<br />

sich nach außen richten, versuchen wir vom<br />

Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien im kleinen Rah -<br />

men auch wissenschaftliche Grund lagen -<br />

arbeit zu leisten. Dabei liegt unserer Prä -<br />

sidentin Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber<br />

insbesondere die Förderung des wissenschaftlichen<br />

Nachwuchses am Herzen. Um<br />

ein konkretes Beispiel für das wissenschaftliche<br />

Engagement des <strong>Forum</strong>s anzuführen,<br />

sei an dieser Stelle das Forschungsprojekt<br />

„Stadt der kurzen Wege aus <strong>ökosoziale</strong>r<br />

Sicht – Nahversorgung und Naherholung in<br />

Wien vor dem Hintergrund der Alterung“<br />

an geführt, in welchem junge Wissenschaf -<br />

terInnen einige Aspekte der Problematik des<br />

demographischen Wandels für Wien untersucht<br />

haben. (Vgl. Voigt et al. 2008). Inhalt<br />

und Ergebnisse dieser Studie finden Sie im<br />

Beitrag von Tatjana Fischer auf Seite 36.<br />

Wir vom Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien bedanken<br />

uns an dieser Stelle bei unseren För -<br />

derern ganz herzlich – in erster Linie bei der<br />

Stadt Wien – für die langjährige Unter stüt -<br />

zung, die alle diese Aktivitäten erst möglich<br />

gemacht haben. Wir versichern, dass wir<br />

auch in Zukunft unser Möglichstes tun werden,<br />

um die <strong>ökosoziale</strong> Idee in Wien weiterhin<br />

erfahrbar und erlebbar zu machen.<br />

Sollte bei Ihnen, liebe LeserInnen, Interesse<br />

an unserer Arbeit geweckt worden sein, freuen<br />

wir uns über Ihren Besuch auf unserer<br />

Homepage www.oesfo.at/wien.<br />

LITERATUR<br />

Ömer, Brigitte (2000): Ökologische Leit -<br />

plan ken einer nachhaltigen Entwicklung.<br />

Erstellt vom Österreichischen Institut für<br />

Nachhaltige Entwicklung im Auftrag des<br />

Bundesministeriums für Bildung, Wissen -<br />

schaft und Kultur. Wien 2000.<br />

Ömer, Brigitte (2003): Zukunftsfähiges<br />

Wien – Richtungssicherheit durch Wert ori -<br />

entierung. Arbeitsergebnisse einer Ko ope ra -<br />

tion aus Wissenschaft, Politik und Verwal -<br />

tung unter der Leitung des Ökosozialen Fo -<br />

rum Wien. Wien 2003.<br />

Voigt, Andreas et al. (2008): Stadt der kurzen<br />

Wege aus <strong>ökosoziale</strong>r Sicht – Nahver -<br />

sorgung und Naherholung in Wien vor dem<br />

Hintergrund der Alterung. Forschungs be -<br />

richt. <strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong> Wien. Wien 2008.<br />

Mag. Sigrid Egartner, <strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong><br />

Wien, Wien.<br />

manches möglich machen ...<br />

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SPIELE MIT<br />

Verantwortung


16 Josef Riegler<br />

Josef Riegler<br />

BALANCE ZWISCHEN WIRTSCHAFT, SOZIALEM<br />

UND ÖKOLOGIE<br />

EINBEGLEITENDE WORTE ANLÄSSLICH DES ZEHNJÄHRIGEN JUBILÄUMS DES<br />

ÖKOSOZIALEN FORUMS WIEN<br />

Unter den verschiedenen Ökosozialen Fo -<br />

ren auf regionaler, nationaler und europäischer<br />

Ebene nimmt das Ökosoziale <strong>Forum</strong><br />

Wien einen ganz besonderen Platz ein. Das<br />

hängt mit Entstehung, Aufgabenstellung<br />

und Arbeitsweise zusammen.<br />

In Gesprächen mit Bürgermeister Michael<br />

Häupl entstand die Idee, ein <strong>Ökosoziales</strong><br />

<strong>Forum</strong> Wien <strong>als</strong> überparteiliche Arbeits -<br />

plattform für langfristige Überlegungen und<br />

zur Lö sung neuer Herausforderungen einzurichten.<br />

Im Herbst 1998 war es so weit – das<br />

Ökosoziale <strong>Forum</strong> Wien wurde gegründet.<br />

Trends sollten analysiert und Gestaltungs -<br />

möglich keiten für die Politik herausgearbeitet<br />

werden. So wurden bisher beispielsweise<br />

Überlegungen zu Bevölkerungsent wick lung<br />

und Altersstruktur, zum Spannungsfeld Stadt<br />

und Landwirtschaft oder zu Fragen der Mo -<br />

bi lität und Energieeffizienz in einer Groß -<br />

stadt mit hochrangigen Fachleuten er arbei tet<br />

und <strong>als</strong> Entscheidungshilfen für die politische<br />

Gestaltung zur Verfügung ge stellt.<br />

Die bisherigen Präsidenten Rektor Univ.-<br />

Prof. Dr. Alfred Ebenbauer und Univ.-Prof.<br />

Dr. Gerlind Weber sowie die Geschäfts füh rer<br />

Mag. Wilhelm Autischer und Mag. Sig rid<br />

Egart ner haben es verstanden, eine sach orien -<br />

tierte Arbeit unter Einbeziehung von Fach -<br />

kom petenz und Ideen aus verschiedenen ge -<br />

sellschaftspolitischen Berei chen zu ge stalten.<br />

DIE WELT VERLANGT NACH NEUEN<br />

ANTWORTEN<br />

Der blindwütige Marktfundamentalismus<br />

der vergangenen 20 Jahre hat die Mensch -<br />

heit in eine gefährliche Sackgasse geführt.<br />

Zügellose Gier ohne klare Spielregeln für<br />

die Märkte – die von der Politik vorgegeben,<br />

durchgesetzt und kontrolliert werden<br />

müssten – führen zu Fehlentwicklungen,<br />

wie wir sie derzeit auf den Finanzmärkten<br />

erleben. Menschliches Handeln bedarf aber<br />

auch einer ethischen Grundlage, die zumindest<br />

die Goldene Regel „Was du nicht<br />

willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem<br />

andern zu“ <strong>als</strong> kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner enthalten muss, wie z. B. im Pro -<br />

jekt Weltethos angeregt wird.<br />

ÖKOSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT<br />

AKTUELLER DENN JE<br />

Nachdem die Protagonisten des sogenannten<br />

freien Marktes gemäß der unheilvollen<br />

Doktrin ihres „Propheten“ Milton Fried -<br />

man („Die soziale Verantwortung von Ma -<br />

na gern ist Gewinnmaximierung für die<br />

Aktionäre“) mit ihrer profit- und kapitalgetriebenen<br />

Ökonomie katastrophale Pleiten<br />

unter Zerstörung von Unternehmen, Ar -<br />

beits plätzen, Pensionsvorsorgen etc. verursacht<br />

haben, sind nun die Steuer zahle rIn -<br />

nen zur Rettung aufgerufen. Sogenannte<br />

Balance zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie 17<br />

Rettungspakete mit unvorstellbaren Haf -<br />

tungs summen aus Steuergeldern werden<br />

von einem Tag auf den anderen aus dem<br />

Hut gezaubert.<br />

Das ist <strong>als</strong> „Feuerwehrmaßnahme“ wohl un -<br />

vermeidlich. Es wäre aber unverant wort -<br />

lich, wenn das nicht mit der gleichzeitigen<br />

Durchsetzung von zukunftstauglichen Spiel -<br />

regeln für eine globalisierte Öko nomie<br />

gekoppelt würde. Dabei geht es nicht nur<br />

um eine neue Aufsichtsbehörde bzw. um<br />

mehr Transparenz für die Finanz märkte.<br />

Wir benötigen einen umfassenden Ord -<br />

nungs rahmen für die Wirt schaft, auch auf<br />

globaler Ebene, um den neuen Formen von<br />

Ausbeutung, der schreienden Ungerechtig -<br />

keit und der Naturzerstörung Einhalt zu ge -<br />

bieten. Eine neue Welle der Verstaatli chung<br />

von Un ternehmen wäre die f<strong>als</strong>che Ant wort.<br />

Außerdem benötigen wir die Entschlos -<br />

senheit der Staatengemeinschaft, die wichtigsten<br />

multilateralen Institutionen wie<br />

UNO, Welthandelsorganisation, Internatio -<br />

naler Währungsfonds, Weltbank etc. wieder<br />

handlungsfähiger zu machen und sie mit<br />

neuen Spielregeln der Balance zwischen<br />

Wirtschaft, Ökologie und Sozialem bei Res -<br />

pektierung der kulturellen Vielfalt und<br />

Eigen ständigkeit auszustatten. Der „Neue<br />

Kapitalismus“ (Nicolas Sarkozy) wäre ein<br />

f<strong>als</strong>cher Ansatz und griffe viel zu kurz.<br />

ÖKOSOZIALER ORDNUNGSRAHMEN<br />

FÜR DIE WELT<br />

Worum es geht, haben wir im Ökosozialen<br />

<strong>Forum</strong> schon vor Jahren formuliert und<br />

des halb das Ökosoziale <strong>Forum</strong> Europa ge -<br />

gründet:<br />

Globale Ordnung – was ist zu tun?<br />

a) Die WTO zu einem Instrument für fairen<br />

Wettbewerb ausbauen,<br />

b) eine neue Ordnung für internationale<br />

und globale Finanzmärkte schaffen,<br />

Foto: Edgar Bültemeyer


18 Josef Riegler<br />

c) weltweit für faire Besteuerung sorgen<br />

und<br />

d) internationale Abkommen über Wirt -<br />

schaft, Handel, Finanzen, Soziales und<br />

Umwelt gleichwertig behandeln.<br />

In Weiterentwicklung dieser Überlegungen<br />

ist im Jahr 2003 das Konzept „Global<br />

Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale<br />

Marktwirtschaft“ entstanden. Dessen Ziel<br />

ist die Entwicklung einer weltweiten „Win-<br />

Win-Strategie“ für „Süd“ und „Nord“ zur<br />

Überwindung des „toten Punktes“ in verschiedenen<br />

Verhandlungen auf globaler<br />

Ebene (z. B. die Doha-Runde der WTO).<br />

Das Konzept beruht auf zwei Säulen:<br />

• Faire Gestaltung der Entwicklungs part -<br />

ner schaft (Global Marshall Plan)<br />

• Faire Spielregeln für die globalisierte Wirt -<br />

schaft (eine weltweite Ökosoziale Markt -<br />

wirtschaft).<br />

VERANTWORTUNG EUROPAS<br />

In diesen Tagen ist vor allem die EU herausgefordert,<br />

ihrer Verantwortung für die<br />

weltweite Entwicklung gerecht zu werden.<br />

Das in der Praxis erprobte Europäische Wirt -<br />

schafts- und Gesellschaftsmodell, die Ba -<br />

lance zwischen Wirtschaft, Sozialem und<br />

Ökologie bei Respektierung der Viel falt<br />

von Nationalitäten, Kulturen und Reli gio -<br />

nen unter Beachtung von Frei wil lig keit<br />

und demokratischen Entschei dungs pro zes -<br />

sen, ist der derzeit überzeugendste Lö -<br />

sungs ansatz für die aktuellen globalen Her -<br />

aus forderungen.<br />

Unabhängig von parteipolitischen Positio -<br />

nen könnte das Grundmuster der Balance<br />

und der Nachhaltigkeit <strong>als</strong> Orientierung für<br />

politisches Handeln geeignet sein. In Ab -<br />

wandlung des Dichterwortes könnte man<br />

sa gen: „Wien ist eine kleine Welt, in der<br />

die große ihre Probe hält!“<br />

Vizekanzler a. D. DI Dr. h. c. Josef Riegler,<br />

Ehrenpräsident des Ökosozialen <strong>Forum</strong>s<br />

Öster reich, Wien.<br />

Wir kaufen<br />

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Gegend alles investiert wird, dann sind das<br />

schon ganz gute Perspektiven, fi nde ich.<br />

Wenn’s um die Region geht,<br />

ist nur eine Bank meine Bank.<br />

Je globaler die Welt wird, umso wichtiger<br />

wird uns die Region. Weil sich Raiffeisen<br />

eben nicht nur <strong>als</strong> Bank versteht, sondern<br />

<strong>als</strong> ein aktives Unternehmen, das mit großer<br />

Verantwortung gemeinsame wirtschaftliche<br />

und soziale Projekte in der Region unterstützt<br />

und realisiert. www.raiffeisen.at


20 Heinz Hufnagl<br />

Heinz Hufnagl<br />

ÖKOSOZIALES FORUM – EIN KURSKORREKTIV<br />

EINBEGLEITENDE WORTE BEIM ZEHN-JAHRESJUBILÄUM DES ÖKOSOZIALEN<br />

FORUMS WIEN<br />

10 Jahre <strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong> Wien wäre<br />

zwei felsfrei ein Anlass für ungeteilte Freu -<br />

de, gewissermaßen auch Genugtuung. In<br />

har ten Zeiten wie diesen ist es jedoch an -<br />

gezeigt, auch Nachdenklichkeit zu entwi -<br />

ckeln: Wie sozial ist die Marktwirt schaft?<br />

Präziser gefragt: Wie weit kann der Markt<br />

per se sozial sein oder mündet er, zumindest<br />

in der derzeitigen Ausformung, in<br />

Euro pa und in der Welt nicht zwangsläufig<br />

in massive Konzentrationen, brutale Ver -<br />

drän gungs prozesse, Wohlstands ver zer run -<br />

gen und in elementarer Ungleich heit? Als<br />

hätte es dafür noch wirklich schla gender<br />

Beweise bedurft – die weltweit aktuelle<br />

Finanzkrise mit Zusammen brüchen von<br />

Hypotheken- und Investment banken sowie<br />

mit dramatischen Wert ver lusten an sämtlichen<br />

nennenswerten Bör sen dieser Welt<br />

scheint uns eine Antwort auf diese Frage<br />

zu geben.<br />

Sogenannte Leerverkäufe – spekulative<br />

Ge schäfte mit geldgleichen Werten, die<br />

man noch nicht einmal besitzt, aber bereits<br />

nach kurzer Zeit mit Gewinnabsichten wieder<br />

veräußert, oder Wetten auf sinkende<br />

Bör senkurse, die von Fondsmanagern mit<br />

Leich tigkeit ausgelöst werden können – ge -<br />

hören zu den übelsten Auswüchsen dieser<br />

Form von Finanz- und Marktwirtschaft.<br />

Dass es kei ne reglementierenden Spiel re -<br />

geln gab und die Summen der gehandelten<br />

Geld men gen immer gigantischer und das<br />

Tempo ra santer wurden, hat die Sache zu -<br />

sätzlich verschärft.<br />

Und siehe da, der von den Propheten des<br />

Neoliberalismus geschmähte und reduzierte<br />

Staat wird plötzlich zum letzten Rettungs -<br />

anker und darf die Zeche für die vorher be -<br />

schriebenen Fehlentwicklungen durch Haf -<br />

tungen, Bürgschaften und Direktzuschüsse<br />

auf Kosten der Allgemeinheit ausgleichen,<br />

um noch dramatischere Schäden für nahezu<br />

alle Volkswirtschaften abzuwenden.<br />

Undifferenzierte Liberalisierungs forderun -<br />

gen führen dazu, dass Gewinne privatisiert<br />

und Verluste von der Allgemeinheit getragen<br />

werden. Dem muss etwas entgegen gehalten<br />

werden. Mit dem Ökosozialen Fo rum und<br />

der Ökosozialen Marktwirtschaft wurde ei -<br />

nes der wenigen Instrumente des Gegen hal -<br />

tens geschaffen. Wichtig ist ein opti males<br />

Zusammenwirken dieser Triangel Wirt -<br />

schaft, Soziales und Ökologie. Soziale Fair -<br />

ness muss die Richtschnur für wirtschaftliches<br />

Handeln sein. Die Politik – eine bald wie -<br />

der erstarkte und bestimmende Politik – soll<br />

der Wirtschaft entsprechende Rahmen be din -<br />

gungen bieten, aber auch Grenzen, die von<br />

Moral und Ethik bestimmt werden, setzen.<br />

Die Gemeindepolitik der Stadt Wien ist be -<br />

müht, dem Gedanken der Ökosozialen<br />

Markt wirtschaft und somit auch den An -<br />

sprüchen des Ökosozialen <strong>Forum</strong>s zumindest<br />

asymp totisch gerecht zu werden. Das<br />

zeigt sich unter anderem in den strategischen<br />

Papieren der Stadt, wie dem Stra -<br />

tegieplan oder dem Stadtentwicklungs plan,<br />

aber auch in den Sektor<strong>als</strong>trategien und<br />

<strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong> – ein Kurskorrektiv 21<br />

-programmen wie dem Masterplan Ver kehr,<br />

der Agenda 21 oder dem multifunktionalen<br />

Klimaschutz programm.<br />

Als ehemaliger Umweltausschuss-Vor sit -<br />

zen der habe ich maßgeblich zum Entstehen<br />

dieses Klimaschutzprogramms in Wien<br />

bei getragen: 1998 wurde zwischen stadt -<br />

eige nen SpezialistInnen, aber auch zwischen<br />

VertreterInnen der Wirtschaft und den<br />

In teressensvertretungen diskutiert und der<br />

um fassende Dialog in Form eines Zehn-<br />

Jahres-Programmes festgehalten. Das Er -<br />

geb nis steht nun seit 1999 auf der Agenda<br />

der Stadtpolitik. Wir nähern uns <strong>als</strong>o mittlerweile<br />

dem Ende eines durchaus zufriedenstellenden,<br />

erfolgbegleiteten ers ten Kli -<br />

ma schutzprogramms, das von einer weisungs<br />

freien Klimaschutzkoordinations stel -<br />

le überwacht, evaluiert und von der Politik<br />

kritisch reflektiert wird. Es gibt emsige Be -<br />

strebungen, ein Fortsetzungs programm zu<br />

definieren, das sich nicht nur dort prolongierend<br />

auswirken soll, wo das KLIP 1 be -<br />

reits erfolgreich wirksam war. Aber auch<br />

Ehrlichkeit und Selbstkritik sind angesagt,<br />

denn der weltweite Klimaschutz war bisher<br />

unzureichend und das Welt klima hat sich<br />

in diesen zehn Jahren nicht unseren Erwar -<br />

tun gen gemäß entwickelt. Dennoch, im<br />

Sinne von global denken und lokal handeln<br />

werden wir ein zweites Kli ma schutz pro -<br />

gramm (KLIP 2) entwickeln, das ambitioniert<br />

ge nug ist, feststellen zu können, wo<br />

die Stadt selbst Anpas sun gen vornehmen<br />

muss – nicht nur, um die noch nicht er -<br />

reichten Ziele doch noch zu verwirklichen,<br />

sondern vielmehr, um Teile der Stadt poli -<br />

tik neu zu definieren. So ist z. B. in Zeiten<br />

lang andauernder Tro cken heiten bei der<br />

Trink wasser versorgung der Stadt Wien<br />

verstärkt auf Quan tität und neue Quel l -<br />

erfassung zu achten. Im Zu sam men hang<br />

mit den orkanartigen Stür men in der jüngeren<br />

Vergangenheit stellt sich die Fra ge, in -<br />

wieweit die Bau ordnung des Lan des Wien<br />

in diesem Zu sam men hang adap tiert werden<br />

muss.<br />

Foto: Edgar Bültemeyer


22 Heinz Hufnagl<br />

Umweltqualität und soziale Lebensqualität<br />

sind Grundwerte und sind somit auch ins<br />

Zentrum aller wirtschaftlichen Überlegungen<br />

zu stellen. Anhand ausgewählter Bei -<br />

spie le soll aufgezeigt werden, wo das Selbst -<br />

verständnis Wiens <strong>als</strong> Stadt mit Visio nen<br />

und Augenmaß – wie das im Strate gie plan<br />

formuliert wurde – zum Ausdruck kommt.<br />

Auf europäischer Ebene gilt es, im Aus -<br />

schuss der Regionen folgende zwei wirtschaft<br />

liche Anliegen zu vertreten:<br />

1. Obwohl ein zusammenwachsendes Eu ro -<br />

pa, das Friedenssicherung gewährt und das<br />

die Umweltpolitik <strong>als</strong> transnationale An -<br />

ge legenheit definiert, wo auch Sicher heits -<br />

fragen auf europäischer Ebene gelöst werden<br />

können, unverzichtbar ist, muss die<br />

bisherige Art und Weise der europäischen<br />

In te gration, das „Verschmelzen“ Euro pas,<br />

dennoch kritisch hinterfragt werden. Denn<br />

es ist eine krasse Asymmetrie entstanden.<br />

Im heutigen Euro pa gibt es einerseits Po -<br />

litiken, die nach wie vor einer ungehemmten<br />

Markteffizienz das Wort re den, auf der<br />

anderen Seite politische Entschei dungen,<br />

die darauf abzielen, den nationalen, regionalen<br />

und städti schen Ebenen ge nau jene<br />

Kompe ten zen zu geben, die es ihnen er -<br />

mög lichen, Problemsstellungen im Sinne<br />

der Bür ger und der sozialen Si cher heits -<br />

sys teme zu lösen. Die Debatte um ein euro -<br />

päisches Sicherheits- und So zial mo dell<br />

muss daher auch eine De batte um die Euro -<br />

päisierung der Sozialpolitik sein, weil nach -<br />

bessernde und reparierende Kor rek tu ren<br />

sich stets <strong>als</strong> unzureichend und im Nach -<br />

hinein <strong>als</strong> sehr teuer herausgestellt ha ben.<br />

2. Ein zentrales Element der sozialen Inte -<br />

gra tion stellen die Dienstleistungen im In -<br />

teresse des Allgemeinwohls dar. Die Städ -<br />

te sollten bemüht sein, bürgernahe Dienst -<br />

leistun gen in Eigenverantwortung und un -<br />

ter der demokratischen Kontrolle von ge -<br />

wählten Körperschaften wahrzuneh men.<br />

Da seins vorsorge ist ein Be griff, der von<br />

der Christlich-Sozialen Union in Bayern<br />

ge prägt wurde. Als wich tiges Beispiel da -<br />

für, dass Wien sich zu Recht von der noch<br />

vor wenigen Jah ren vielerorts hoch gelobten<br />

Privati sie rung abgekehrt hat, soll hier<br />

die Wasser versorgung der Stadt angesprochen<br />

wer den. Dass Wien eine hervorragende<br />

Ver sorgung mit Hoch gebirgs quell -<br />

wasser be sitzt, steht außer Streit. Aber<br />

auch bei der Wiener Trink wasser ver sor -<br />

gung gab es Ten denzen in Richtung Libe -<br />

ralisierung. Die Nut zung der Ver sor gungs -<br />

infra struk tur von frem den Wasser ver sor -<br />

gern oder gar eine Pri va tisierung bis zum<br />

Vollver kauf waren keinesfalls von vornherein<br />

vom Tisch. Der Wiener Ge mein -<br />

derat hat in diesem Zu sam men hang jedoch<br />

einen ostentativen Kontra punkt gesetzt. Er<br />

hat die Wasser versorgung der Stadt unter<br />

Ver fassungs schutz gestellt. Das bedeutet,<br />

sämtliche Ein richtungen der Wiener Was -<br />

ser ver sor gung, der MA 31 Was ser werke,<br />

von den Quellschutz gebie ten im steirischniederösterreichischen<br />

Kalk alpen gebiet –<br />

mit ei ner Fläche so groß wie die Bun des -<br />

haupt stadt selbst – über die ge sam ten<br />

Quell fassungen, Rohr leitungen und Re -<br />

servoire bis zum Ver trieb in der Stadt, sind<br />

in kommunaler Hand und könnten nur mit<br />

einer Zwei drittel-Mehr heit des Gemein de -<br />

rates aus die ser segensreichen Konstel -<br />

lation herausgelöst werden.<br />

Um zivilwirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem<br />

Engagement in Wien zusätz-<br />

<strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong> – ein Kurskorrektiv 23<br />

lich Raum zu geben, wurden auf der lokalen<br />

Ebene Agenda-Prozesse initiiert, damit an<br />

der Vision einer freien, sozialen, friedlichen<br />

und demokratischen Gesellschaft sinnvoll<br />

weitergearbeitet werden kann.<br />

Sämtliche nationale wie internationale Mes -<br />

sungen, unter anderem der jährlich erstellte<br />

internationale Survey von William M.<br />

Mercer, der über 240 Kommunen in allen<br />

Kriterien der Lebensqualität vergleicht, zeigen,<br />

dass Wien im weltweiten Vergleich<br />

nicht schlecht liegt. Seit vielen Jahren<br />

kämpft Wien mit Städten wie Zürich oder<br />

Vancouver stets um den ersten oder zwei ten<br />

Platz. Zürich hat den Vorteil, ein Viertel der<br />

Größe und damit ein Viertel der Probleme<br />

Wiens zu haben. Und Vancouver hat den für<br />

Wien nicht erreichbaren Vorteil, eine<br />

Hafenstadt zu sein, hinter der sich – nur<br />

wenige tausend Meter entfernt – bereits Skitaugliche<br />

Berge befinden. Aber dennoch,<br />

alle anderen Kommunen – viele von ihnen<br />

liegen in Europa – werden und wurden bei<br />

diesem jährlichen Erhebungsprozess des<br />

„Quality of Life“ von der Bundeshauptstadt<br />

stets in den Schatten gestellt.<br />

Im Wettstreit der Meinungen, wie stark und<br />

wie kontrolliert der Markt sein soll, gibt es<br />

nur wenige Elemente der Korrektur, des Ge -<br />

gensteuerns und des Konterkarierens. Ei nes<br />

davon ist das über den politischen Parteien<br />

stehende Ökosoziale <strong>Forum</strong> Österreich und<br />

seine Wiener Tochter, das Ökosoziale Fo -<br />

rum Wien. Auf einer stabilen und dauerhaften<br />

Zusammenarbeit von Wissen schaft,<br />

Kultur, Politik und interessierten, öko -<br />

logisch orientierten Menschen ist es möglich,<br />

gute Arbeit zu leisten. In diesem Sinne:<br />

Ad multos annos, liebes <strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong><br />

Wien. An der Patenschaft, das heißt an der<br />

Unter stüt zung und der damit notwendigen<br />

Basis subvention der Stadt Wien wird sich<br />

nichts ändern. Anlässlich von 10 Jahren<br />

Öko soziales <strong>Forum</strong> wünsche ich alles Gute!<br />

Landtagspräsident Heinz Hufnagl, Wien.


24 Gerlind Weber<br />

Gerlind Weber<br />

DAS LEITBILD DER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG<br />

DIE ENTSCHEIDENDE ORIENTIERUNGSHILFE FÜR DEN WEG AUS DER KRISE<br />

„Wir sehen es <strong>als</strong> unsere besondere Aufgabe<br />

an, nicht nur auf Bedrohungen und Pro -<br />

bleme hinzuweisen, sondern nach innovativen<br />

Lösungen zu suchen, die zum Ziel einer<br />

nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen<br />

können.“ Dieser Satz findet sich im Faltblatt<br />

„Wien ist anders – nachhaltig“, das in der<br />

gebotenen Kürze den Arbeits auftrag und die<br />

Arbeitsweise des Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien<br />

(ÖSFO Wien) beschreibt. Ganz in diesem<br />

Sinne wollen die nachfolgenden Ausfüh -<br />

rungen darauf hinweisen, wie sehr die<br />

Gründungsidee des Ökosozialen <strong>Forum</strong><br />

Wien, nämlich, dass durch das Zusam men -<br />

führen von wirtschaftlichen, gesellschaftsbezogenen<br />

und ökologischen Argumenten<br />

ein neuer Blickwinkel entsteht, der grund -<br />

sätzlich „andere“ Bewertungen <strong>als</strong> die gängigen<br />

zulässt, die ihrerseits dann den Weg<br />

für profund Neues im Sinne einer zukunftsfähigen<br />

Stadtpolitik bereiten können. Welch<br />

weitreichende Dimension dieser <strong>ökosoziale</strong><br />

Ansatz eigentlich einnimmt, das soll hier<br />

an hand der aktuellen Ereignisse rund um<br />

die Wirtschaftskrise erläutert werden.<br />

DIE KRISE DES NEOLIBERALISMUS<br />

Der Blick zurück in die Geschichte zeigt,<br />

dass Ende der 1990er-Jahre, zeitgleich mit<br />

der Veröffentlichung des Konzepts der<br />

nach haltigen Entwicklung im sogenannten<br />

„Brundtland-Bericht“ (der den offiziellen<br />

Titel „Our Common Future“ trägt), der<br />

Niedergang des Kommunismus einherging,<br />

was den Siegeszug der neoliberalen Wirt -<br />

schaftsordnung lostrat. Damit ist gemeint,<br />

dass in den letzten zwei Dezennien immer<br />

mehr einer Wirtschaftsauffassung zum<br />

Durch bruch verholfen wurde, deren Cha -<br />

rakteristika „die hohe Mobilität des Ka -<br />

pit<strong>als</strong>, die Verselbständigung der Finanz -<br />

märkte von den Gütermärkten, die Kon -<br />

zentration von Entscheidungsfunktionen in<br />

weltweit agierenden Unternehmen sowie<br />

die globale Vereinheitlichung von Produk -<br />

tions weisen und Produkten“ (Fürst, 1999)<br />

sind. Auf Druck international agierender<br />

Finanz anleger und Megakonzerne liberalisierten<br />

suprastaatliche und staatliche po -<br />

litische Institutionen immer mehr das<br />

Markt geschehen und gleichzeitig zog sich<br />

die öffentliche Hand selbst Schritt für<br />

Schritt aus ihren angestammten Aufgaben -<br />

feldern der Gewährleistung der Daseins vor -<br />

sorge zurück. Damit setzte sich sukzessive<br />

eine „Weltsicht“ durch, die einseitig das<br />

Wirt schaftsgeschehen fokussierte und ge -<br />

sellschaftsbezogene, kulturelle und vor<br />

allem ökologische Aspekte notorisch unterbelichtete,<br />

die ihr Augenmerk auf wirtschaft<br />

liches Wachstum legte und dabei ge -<br />

flissentlich den Abbau von Sozial- und<br />

Umweltstandards in Kauf nahm, die enorme<br />

Buchwerte anhäufte, hinter der die reale<br />

Wirt schaftsleistung in unseren Breiten weit<br />

hinterherhinkte. Kurz, es setzte sich eine<br />

„Welt ordnung“ durch, die „im Kern nicht<br />

zukunftsfähig und schon gar nicht nachhaltig<br />

(ist)“, urteilte Scheiber schon 2001.<br />

Tatsächlich erwies sich diese Wirtschafts -<br />

kon zeption <strong>als</strong> höchst anfällig gegenüber<br />

scheinbar geringfügigen Systemstörungen.<br />

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung 25<br />

So wurde – wenn man den Medien Glau -<br />

ben schenken darf – die derzeit (erste Jah -<br />

res hälfte 2009) in ihrem vollen Ausmaß<br />

über haupt noch nicht abschätzbare globale<br />

Wirtschaftskrise – durch die Tatsache losgetreten,<br />

dass nur acht Prozent der Hypo -<br />

the kar schuldner in den USA die auf ihre<br />

Häu ser aufgenommenen Kredite nicht zu -<br />

rückzahlen konnten. Dies gleicht dem be -<br />

rühmten Flügelschlag des Schmetterlings,<br />

der aufgrund des Dominoeffektes enorme<br />

Wetterkatastrophen in einer ganz anderen<br />

Weltregion auszulösen imstande ist.<br />

Seit der zweiten Jahreshälfte 2008 sind auch<br />

in unseren Breiten entscheidende Wirt -<br />

schafts daten (wie Zahl der Beschäftig ten,<br />

volkswirtschaftliche Gesamtleistung, Ex -<br />

port quo te, Bewertung börsenotierter Un ter -<br />

nehmen, etc.) rückläufig, das heißt, zum ers -<br />

ten Mal nach dem Zweiten Welt krieg ist man<br />

hier mit einem ausgeprägten Schrump fen der<br />

österreichischen Volks wirt schaft kon fron -<br />

tiert. Das Gefangensein im Leitbild der neoliberalen<br />

Globalisie rung der Wirt schaft führt<br />

dazu, dass dies ausschließlich <strong>als</strong> unfassbare<br />

Katastrophe interpretiert, kol por tiert und von<br />

der breiten Öffentlichkeit rezipiert wird,<br />

gegen die seitens der Politik mit inhaltlich<br />

konservativen, das heißt mit systemerhaltenden<br />

Konjunktur pa keten „angerudert“ wird.<br />

DIE BRÜCKENFUNKTION DER<br />

NACH HALTIGKEIT<br />

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung<br />

erlaubt es, einerseits durch seinen holistischen<br />

Ansatz und andererseits durch einen<br />

positiven Zugang zum Phänomen des<br />

Schrump fens, die gegenwärtige Wirt -<br />

schafts krise auch <strong>als</strong> Anlass für eine schon<br />

längst fällige grundsätzliche Umsteuerung<br />

zu begreifen.<br />

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung<br />

bündelt programmatisch die Suchprozesse<br />

Foto: Edgar Bültemeyer


26 Gerlind Weber<br />

nach jenen Wegen in der gesellschaftlichen<br />

und ökonomischen Entwicklung, die innerhalb<br />

des von der Natur vorgegebenen „öko -<br />

logischen Korridors“ verlaufen. Es setzt al -<br />

so auf eine „den Erhalt bzw. die Wieder -<br />

herstellung intakter Naturfunktio nen ausgerichtete<br />

Optimierung des Zusammenwir -<br />

kens von Natur, Gesell schaft und Wirt -<br />

schaft“ (Kanatschnig, Weber et al., 1998).<br />

Es weist darauf hin, dass bei meist kurzfris -<br />

tig zu setzenden wirtschaftlichen Ent -<br />

scheidungen stets auch die in der Regel erst<br />

auf längere Sicht wirksamen Auswir kungen<br />

auf die Gesellschaft und die Um welt miteinzukalkulieren<br />

sind.<br />

Bei dieser holistischen Annäherung wird<br />

beispielsweise sichtbar, dass eine auf<br />

Wachstum fixierte Wirtschaftspolitik exis -<br />

tenzielle Folgewirkungen dieses permanenten<br />

Zwanges zum Mehr an Güter wohl -<br />

stand geflissentlich ausblendet, wie z. B.:<br />

• die zunehmende Aufzehrung der natürlichen<br />

Kapit<strong>als</strong>tocks (wie stabiles Klima,<br />

hohe Biodiversität, qualitativ hochwertige<br />

Böden, nicht erneuerbare Rohstoffe etc.);<br />

• den wachsenden Stoffdurchsatz, der die<br />

Umwelt weiter belastet;<br />

• das steigende Risiko durch umweltbeding -<br />

te Gefahren Schaden zu erleiden (z. B.<br />

Hoch wässer, Hitzeepisoden, Stürme);<br />

• die weitere Abwertung bereits intensiv<br />

genutzter Lebensräume aus ästhetischer<br />

und ökologischer Sicht;<br />

• die Polarisierung von Arm und Reich;<br />

• die Einschränkung der Freiheitsgrade<br />

nach folgender Generationen und damit<br />

den Verlust gesellschaftlicher Entwick -<br />

lungs spielräume.<br />

Der ganzheitliche Ansatz der nachhaltigen<br />

Entwicklung nimmt aufgrund der damit ein -<br />

hergehenden Fehlentwicklungen zum einen<br />

dem eindimensional definierten Ziel „Wirt -<br />

schaftswachstum“ die Strahlkraft. Vor diesem<br />

Hintergrund kann das Schrump fen der<br />

Wirtschaft <strong>als</strong> Entlastung der natürlichen<br />

Sys teme (durch den verringerten Stoffum -<br />

satz) wahrgenommen werden, <strong>als</strong> Fairness<br />

gegenüber nachfolgenden Gene ra tionen<br />

(durch das Offenhalten von Ent scheidungs -<br />

spielräumen) sowie <strong>als</strong> Not wen dig keit, mit<br />

weniger Ressourcen- und Finanzmittel ein -<br />

satz zukunftsfähigere Lö sun gen (durch das<br />

Gebot zum Sparen und zur Effizienz -<br />

steigerung) hervorzubringen. Kurz, durch<br />

eine holistische Sicht im Sinne der Nach -<br />

haltigkeit gewinnen rückläufige Wirt schafts -<br />

daten auch einen positiven Be deu tungs -<br />

gehalt, eine wichtige Vorausset zung dafür,<br />

auch in Krisenzeiten nicht in Pers pektiv -<br />

losigkeit und Resignation zu verfallen. Zum<br />

anderen führt der holistische Blick winkel zur<br />

Einsicht, dass es prinzipiell in einer begrenzten<br />

Welt kein unbegrenztes Wachs tum geben<br />

kann. So kennt die Natur keine „nach oben“<br />

offenen Entwicklungs prozesse. In der „Natur<br />

ist deshalb „Wachs tum“ ein kontrollierter<br />

und zeitlich begrenzter Trans formationspro -<br />

zess“ (Oswalt et al., 2004), der von ei ner Rei -<br />

fephase abgelöst wird, in der das Wachstum<br />

allmählich zum Stillstand kommt, um in eine<br />

Rückzugs phase zu gleiten, in der der Meta -<br />

bolismus gedrosselt wird, <strong>als</strong>o das natürliche<br />

System kontrolliert „schrumpft“, um schließlich<br />

in eine Regene rationsphase zu münden.<br />

Ein vermeintlicher „Stillstand“, aus dem aber<br />

Kraft geschöpft wird, um erneut in eine<br />

Wachstumsphase tre ten zu können.<br />

Anhand der Analogie zur Natur wird <strong>als</strong>o<br />

erkennbar, dass es weder ein grenzenloses<br />

Wachstum geben kann, noch dass es sich<br />

um ein unkontrolliertes Wachstum handeln<br />

darf. Denn die Natur unterscheidet zwischen<br />

einerseits dem un ter Kontrolle<br />

gehaltenen Wachstum und andererseits<br />

einer aus der Kontrolle geratenen Wuche -<br />

rung, die nach relativ kurzer Pha se para-<br />

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung 27<br />

sitärer Expansion kollabiert und in der<br />

Folge das System durch ein ungezügeltes<br />

Schrumpfen zum Zusammenbruch führt,<br />

wonach natürliche Systeme relativ lan ge<br />

brauchen, um sich nach dem Kollaps neu<br />

„aufzustellen“, das heißt die Fehl steue run -<br />

gen und -verteilungen zu „reparieren“ und<br />

Kraft für einen Neustart zu sammeln.<br />

In dem hier diskutierten Zusammenhang ist<br />

nun von zentraler Bedeutung, dass Schrump -<br />

fung eben <strong>als</strong> unverzichtbares Funktionsele -<br />

ment für natürliche Systeme zu begreifen ist<br />

und nicht <strong>als</strong> Systemversagen eines prinzipiell<br />

auf unendliches Wachstum ausgerichteten<br />

Systems, wie es die ökonomisch dominierte<br />

Sichtweise tut. Der Analogieschluss<br />

mit der Natur erlaubt es so, rückläufige so -<br />

zio ökonomische Entwicklungen nicht <strong>als</strong><br />

Fehlsteuerung zu deuten, der man sich mit<br />

allen Kräften im Sinne des Beharrens auf<br />

Wachstumsvisionen entgegenstemmen muss,<br />

sondern <strong>als</strong> Zeichen für grundsätzliche<br />

„intelligentere“, weil zukunftsverträglichere<br />

Neuorientierungen.<br />

Hier hakt das Leitbild der nachhaltigen<br />

Ent wicklung ein, indem es beispielsweise<br />

<strong>als</strong> einen seiner sieben Grundwerte den der<br />

„Dematerialisierung“ formuliert (vgl. die<br />

Ausführungen von Egartner in diesem<br />

Band unter Berufung auf Ömer, 2003).<br />

Dieser resultiert aus der Einsicht, dass der<br />

in unseren Breiten übliche hohe Verbrauch<br />

von Rohstoffen, Energie und Boden auf<br />

Dauer nicht aufrecht zu erhalten ist (vgl.<br />

Klimawandel, Artenschwund, Erschöp -<br />

fung der Rohstoffquellen, Erreichen von<br />

Sättigungsgrenzen) und dementsprechend<br />

eine drastische Reduktion der Stoffströme<br />

angestrebt werden muss. Diese Zielsetzung<br />

soll durch zwei einander ergänzende Stra -<br />

tegien gleichzeitig verfolgt werden, nämlich<br />

durch die Suffizienz- und Effi zienz -<br />

strategie (Kanatschnig, Weber et al., 1998).<br />

Suffizienzstrategie: Sie sucht Antworten<br />

auf die Frage: „Wie viel ist genug?“. Dies<br />

schließt die Feststellung mit ein, dass in<br />

vielen Fällen ein „Weniger“ an Mate riellem<br />

ein „Mehr“ an Umwelt- und Le bens qualität<br />

bedeutet. Sie richtet sich gegen die Gier und<br />

Maßlosigkeit einiger weniger zu Lasten vieler<br />

(von hochdotierten Managern von Ban -<br />

ken und börsenotierten Unternehmen angefangen<br />

bis hin zur Tatsache, dass der „ökologische<br />

Fuß abdruck“ der Industrielän der im<br />

Vergleich zu sogenannten Schwellen- und<br />

Entwick lungsländern durch die rücksichtslose<br />

Wohl standsvermehrung ersterer ohnehin<br />

schon viel zu groß ist, aber auch, dass wir<br />

durch unseren verschwenderischen Le bens -<br />

stil die Lebensgrundlagen nachfolgender<br />

Generationen aufzehren).<br />

Effizienzstrategie: Sie sucht Antworten auf<br />

die Frage, wie die zur Realisierung eines<br />

nach haltigen Lebensstils erforderlichen Gü ter<br />

unter größtmöglicher Sparsamkeit hinsichtlich<br />

Ressourcenverbrauchs herzustellen, zu<br />

nutzen, zu erneuern und zu entsorgen sind.<br />

Das heißt, der Anspruch der Demate ria lisie -<br />

rung im Leitbild der nachhaltigen Ent wick -<br />

lung gewinnt Schrump fungs prozes sen auch<br />

deshalb etwas Positives ab, weil sie prin zi -<br />

piell geeignet sind, Anstoß für kreative, profund<br />

neue Lösungen sein zu können, die dazu<br />

angetan sind, Individuen und Ge sellschaft<br />

vom quantitativen zum qua litati ven Wachs -<br />

tum zu führen. Diese in telligen te ren Lösun -<br />

gen können dabei so wohl technolo gischer<br />

(z. B. beim Auto: neue Antriebs technologien,<br />

volle Recyclier fähigkeit etc.) <strong>als</strong> auch organisatorischer<br />

Natur sein (Be grün dung von Fahr -<br />

gemein schaften, weniger Wege durch be trieb -<br />

liches Mobilitäts manage ment etc.).<br />

Um den gewünschten Effekt herbeiführen<br />

zu können, ist es wichtig, beide Strategien<br />

parallel zu verfolgen. Ist dies nicht der Fall,<br />

werden zum einen die durch Effi zienz stei -


28 Gerlind Weber<br />

gerungen erzielten Einsparungs effekte mangels<br />

Suffizienz und Mehrkon sum wieder<br />

aufgezehrt oder sogar überkom pensiert.<br />

(Dies war die vergangenen Jahr zehnte oft<br />

der Fall. Beispielsweise wurden spritsparende<br />

KFZ-Motoren entwickelt und der da -<br />

durch erzielte Einspar effekt aber durch die<br />

zusätzlichen Fahr zeuge, die immer mehr<br />

gefahren wurden, sowie durch den Trend zu<br />

extrem leistungs starken und großen Kraft -<br />

fahrzeugen (z. B. CUVs) mit hohem Sprit -<br />

verbrauch wieder zunichte gemacht.) Um -<br />

gekehrt stößt die pointierte Verfolgung von<br />

Suffizienzstrategien schon auf unterschwelligem<br />

Niveau auf Akzeptanzprobleme (wie<br />

etwa die Einführung autofreier Tage, einer<br />

Citymaut etc.). So ist bei Verzicht mehr auf<br />

Aufklärung, Einsicht und Freiwilligkeit zu<br />

setzen <strong>als</strong> auf Zwangsmaßnahmen.<br />

SCHLUSSFOLGERUNGEN<br />

„Man kann die Funktion des Leitbilds der<br />

Nachhaltigkeit gut an der des ältesten Leit -<br />

bilds, nämlich dem Sternenhimmel, verdeutlichen.<br />

Es gibt Orientierung und Rich tung,<br />

kann aber nicht unmittelbar selbst angestrebt<br />

werden“ veranschaulicht Vogt (2004) das<br />

We sen dieses Konzepts. Aus dieser Me ta -<br />

pher können mehrere „Bot schaf ten“ abgeleitet<br />

werden:<br />

• Das Streben nach Nachhaltigkeit ist <strong>als</strong><br />

ge sellschaftlicher Lernprozess zu begreifen,<br />

zu dem letztlich jeder/jede (z. B. <strong>als</strong><br />

KonsumentIn, <strong>als</strong> HäuselbauerIn) seine/<br />

ihre Beiträge leisten kann bzw. muss.<br />

• Nachhaltige Entwicklung kann nicht<br />

durch einige wenige „Kraftakte von<br />

oben“ angeordnet werden, sondern es be -<br />

darf unzähliger kleiner Schritte und des<br />

„geduldigen Steuerns und Lenkens über<br />

die Zeiten hinweg“ (Lendi, 2000).<br />

• Das Leitbild der nachhaltigen Entwick -<br />

lung ist ein sehr anspruchsvolles Kon -<br />

zept, das natürlich <strong>als</strong> solches Gefahr<br />

läuft, <strong>als</strong> Utopie zu enden. So gilt es, stets<br />

Kompromisse des Gangbaren zu schlie -<br />

ßen, den AkteurInnen Brücken zwischen<br />

Ideal und Wirklichkeit zu bauen, Augen -<br />

maß zu bewahren, ohne die Prinzipien ei -<br />

ner nachhaltigen Entwicklung, nämlich<br />

das permanente Abgleichen von ökologischer<br />

Stabilität, sozialer Ausgewogenheit<br />

und wirtschaftlichem Auskommen aus<br />

den Augen zu verlieren.<br />

• Durch die „Dreifaltigkeit der Nach hal tig -<br />

keit“ ist dieses Leitbild sehr komplex und<br />

deshalb nicht leicht in der Öffentlichkeit<br />

zu verankern. Deshalb empfiehlt es sich,<br />

die Diskussion des Leitbildes an den gro -<br />

ßen Zeitfragen „aufzuhängen“, wie dem<br />

Klimawandel, der Ressourcen ver knap -<br />

pung, dem demographischen Wan del, der<br />

Energiewende und natürlich auch an der<br />

gegenwärtigen Wirtschaftskrise.<br />

• Das Leitbild der nachhaltigen Entwick -<br />

lung ist <strong>als</strong> Konzept bereits sehr gut aufbereitet.<br />

Es eignet sich daher hervorragend,<br />

die Ratlosigkeit und die Panik zu<br />

überwinden, die der Zusammenbruch des<br />

neoliberalen Wirtschaftskonzepts weltweit<br />

ausgelöst hat.<br />

• Das Leitbild der nachhaltigen Entwick -<br />

lung setzt auf das Schneeballprinzip, auf<br />

seine Überzeugungskraft, die nach und<br />

nach ein Umdenken mehrheitsfähig werden<br />

lässt. So haben auch kleine Institu tio -<br />

nen wie das Ökosoziale <strong>Forum</strong> Wien ihre<br />

Bedeutung in der Umsetzung einer aus der<br />

Verantwortung geborenen gro ßen Idee!<br />

LITERATUR<br />

Fürst, D. (1999): Globalisierung und Inte -<br />

gration versus nachhaltige Entwick lung –<br />

Implikationen widersprüchlicher Anforde -<br />

run gen an die Raumplanung. In: Perspek -<br />

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung 29<br />

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C./Kofler, T./Kainz, D./Ömer, B./Schmutz,<br />

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Lendi, M. (2000): Ethische Verantwortung<br />

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Hannover.<br />

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Schrump fung die Achillesferse der (Raum-)<br />

Planung. Studie im Auftrag des Club of<br />

Vienna.<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber, Ökosozia<br />

les <strong>Forum</strong> Wien, Institut für Raumpla -<br />

nung und Ländliche Neuordnung, Universi -<br />

tät für Bodenkultur Wien, Wien.


30 Konrad Paul Liessmann<br />

Konrad Paul Liessmann<br />

ES WIRD EINMAL GEWESEN SEIN.<br />

ÜBER DEN UMGANG MIT DER ZUKUNFT.<br />

FESTVORTRAG ANLÄSSLICH DES ZEHNJÄHRIGEN JUBILÄUMS DES<br />

ÖKOSOZIALEN FORUMS WIEN<br />

Im Zentrum des Beitrages steht die Frage,<br />

inwiefern „Zukunft“ und „zukünftige Ent -<br />

wicklungen“ für unser aktuelles Handeln<br />

mo tivierend sein können oder müssen,<br />

wobei der Hauptakzent auf die Frage gelegt<br />

werden soll, ob wir Zukunft „erwarten“<br />

müssen oder Zukunft „gestalten“ können –<br />

unter Berücksichtigung der ökonomischen,<br />

ökologischen und sozialen Aspekte dieser<br />

Alternativen, vor allem unter dem Ge -<br />

sichts punkt der Nachhaltigkeit.<br />

Zukunft <strong>als</strong>o, besser noch: Zukunft teilen<br />

war das Motto der Festveranstaltung anlässlich<br />

des zehnjährigen Jubiläums des Öko -<br />

sozialen <strong>Forum</strong>s Wien. Die Intention ist klar:<br />

Es geht darum, der <strong>ökosoziale</strong>n Idee weiter<br />

den Weg zu bereiten. Zu dieser Idee gehört<br />

die Vorstellung, nachhaltige Konzepte unseres<br />

Wirtschaftens und Zusammenlebens zu<br />

entwickeln, die auch den kommenden Ge -<br />

nera tionen ein chancenreiches Leben ermöglichen<br />

sollen. Allerdings: „Zukunft teilen“<br />

klingt in diesem Zusammenhang wohl<br />

schön, ist aber nicht ohne Tücke. Teilen können<br />

wir nur etwas, das wir schon besitzen.<br />

Das Eigentümliche an der Zukunft besteht<br />

nun darin, dass sie uns noch bevorsteht, keinen<br />

Besitzer kennt und <strong>als</strong>o im strengen<br />

Sinn des Wortes auch nicht teilbar ist.<br />

Auch wenn wir über die Zukunft nicht verfügen,<br />

haben wir Zukunft in dem Sinne, in<br />

dem wir die Gegenwart überschreiten und<br />

Erwartungen, Hoffnungen und Ängste formulieren<br />

können. Aber warum gibt es für<br />

uns überhaupt die Zukunft? Die erste Ant -<br />

wort, die wir geben müssen, ist paradox: Wir<br />

haben Zukunft, weil wir keine Zukunft<br />

haben. Oder anders formuliert: Alles, was<br />

wir von der Zukunft mit Sicherheit wissen,<br />

ist, dass wir sterben werden. Oder noch<br />

anders formuliert: Weil wir um unseren Tod<br />

wissen, wird uns die Zukunft zum Problem.<br />

Wie füllen wir die Spanne zwischen dem<br />

Jetzt und dem Tod, von dem wir nicht wissen,<br />

wann er uns ereilen wird? Wir haben<br />

<strong>als</strong>o Zukunft, weil wir wissen, dass unsere<br />

Zeit ablaufen wird. Gleichzeitig will niemand<br />

dieses faktum brutum bis in die letzte<br />

Konsequenz zur Kenntnis nehmen. Wir denken<br />

deshalb immer über den Tod hinaus. Ob<br />

wir Unsterblichkeitsphantasien entwickeln,<br />

an unserem Nachruhm arbeiten, in lebensverlängernde<br />

medizinische Technologien<br />

investieren oder uns Sorgen über das Klima<br />

in 50 Jahren machen – all dies dient dazu,<br />

dem Tod nicht ins Auge blicken zu müssen.<br />

Damit gewinnt Zukunft eine zusätzliche<br />

Dimension: Es ist die Überschreitung der<br />

Zeit, die uns zu leben vergönnt ist. Zukunft<br />

ist die Antizipation eines Zustandes, in dem<br />

wir nicht mehr sein werden. Nur weil die<br />

Menschen den Tod nicht akzeptieren können<br />

und nach ihrem Tod weiterleben möchten,<br />

entwerfen sie Zukünfte, die tatsächlich in<br />

der Zukunft liegen. Sie erhoffen sich für<br />

zukünftige Generationen das Beste oder be -<br />

Es wird einmal gewesen sein. Über den Umgang mit der Zukunft. 31<br />

fürchten für diese das Schlimmste, sie arbeiten<br />

jetzt an Entwicklungen, deren Resultate<br />

sie nie erleben können.<br />

Allein durch den Hinweis, dass Menschen<br />

eben für ihre Kinder und Kindeskinder das<br />

Beste wollen, ist dieser Glaube an die Zu -<br />

kunft nicht zu erklären. Es geht schon auch<br />

um den Trost, der darin liegt, jetzt für das<br />

Zukünftige zu leben, weil in diesem Zukünf -<br />

tigen die Endlichkeit und Be schränkt heit des<br />

eigenen Daseins aufgehoben erscheint. Das<br />

Wissen darum, dass es Zukunft geben wird,<br />

gibt einem Leben, dessen Zukunft begrenzt<br />

ist, wenigstens zum Schein eine Zukunft.<br />

Dass es in hohem Maße um diesen Schein<br />

geht, erklärt auch, dass gerade die moderne<br />

In dustrie gesell schaft keine Probleme damit<br />

hatte und hat, im proklamatorischen Setzen<br />

auf die Zu kunft die realen Grundlagen für<br />

zukünftiges Leben auf der Erde nachhaltig<br />

zu zerstören. Das erklärt auch das Para -<br />

doxon, dass höchst riskante, destruktive und<br />

irreversible Te chno logien <strong>als</strong> Zukunfts träger<br />

gelten, wäh rend etwa ökologische Stra -<br />

tegien, die tat sächlich Zukunft sichern helfen<br />

könnten, <strong>als</strong> konservativ, bewahrend und<br />

zukunftsfeindlich denunziert werden. Nur<br />

ein Beispiel: Die Zukunft liegt für viele nach<br />

wie vor im weltweiten Siegeszug des Auto -<br />

mobils, auch wenn dieser den zukünftigen<br />

Generationen womöglich die Luft zum At -<br />

men nehmen wird. Umgekehrt leben die<br />

Warnungen der Ökologen oft von dramatisch<br />

zugespitzten negativen Zukunfts vor -<br />

stellungen, die <strong>als</strong> säkularisierte Apoka lyp -<br />

sen den Menschen aufrütteln sollen.<br />

Die Zukunft fungiert so <strong>als</strong> eine positive<br />

oder negative Zielvorstellung, die handlungs<br />

motivierend ist, gerade weil dieses<br />

Ziel für die handelnden Personen nicht er -<br />

reichbar ist. Die Voraussetzung für jede Zu -<br />

kunfts eupho rie, aber auch für jede veritable<br />

Zukunfts angst liegt in der prinzipiellen Un -<br />

mög lichkeit von Zukunft. Entscheidend ist<br />

Foto: Edgar Bültemeyer


32 Konrad Paul Liessmann<br />

nie, was sich in Zukunft ereignen wird oder<br />

was die Zukunft bringen wird, sondern al -<br />

lein, was sich <strong>als</strong> handlungsrelevante Zu -<br />

kunfts vorstellung in der Gegenwart festgesetzt<br />

hat. Dass die Zu künfte, werden sie zur<br />

Ge gen wart, in der Regel ganz anders aussehen<br />

<strong>als</strong> gedacht, hat dann auch noch niemanden<br />

wirklich gestört.<br />

BESCHLEUNIGUNG FRISST DIE ZU -<br />

KUNFT AUF<br />

Wohl ist gegenwärtig viel von Zukunft die<br />

Rede und „Zukunftsfähigkeit“ ist ein be -<br />

lieb tes Schlagwort geworden, tatsächlich<br />

aber denken wir Zukunft äußerst kurzfristig.<br />

Wird es ernst, geht es um das Heute, nicht<br />

um das Morgen, schon gar nicht um das<br />

Übermorgen. Der Markt, dem wir bis vor<br />

kur zem bedingungslos vertrauten, kennt<br />

zwar Futures, <strong>als</strong>o das Spiel mit möglichen<br />

Preisentwicklungen in der Zukunft, er rechnet<br />

aber nicht in Jahren und Jahrzehnten,<br />

sondern in Sekunden und Minuten. Die<br />

Beschleunigung, die seit der industriellen<br />

Revolution die Menschheit erfasst hat, frisst<br />

die Zukunft, aber auch die Gegenwart förmlich<br />

auf. Wenn alles immer schneller kommen<br />

muss, ist auch alles immer schneller<br />

vorbei. Wir wissen, dass das meiste, das wir<br />

herstellen und produzieren, für den raschen<br />

Verbrauch gedacht ist und deshalb keine<br />

Zukunft hat. Das alles beherrschende<br />

Grund prinzip unserer Epoche ist das Ab -<br />

laufdatum. Nichts darf von Dauer sein.<br />

Nach haltigkeit, <strong>als</strong>o ein Umgang mit Res -<br />

sourcen und Produkten, der Langfris tigkeit<br />

<strong>als</strong> strategische Grundüberlegung zur Vor -<br />

aus setzung hat, ist zwar ein oft beschworenes,<br />

aber deshalb selten praktiziertes Prinzip<br />

unseres politischen oder ökonomischen<br />

Handelns geworden. Tatsächlich aber haben<br />

unsere an kurzfristigen Gewinnen orientierten<br />

Handlungen durchaus nachhaltige Wir -<br />

kungen. Pointiert könnte man sagen, dass<br />

der Begriff in seiner negativen Aus richtung<br />

ei gent lich viel plausibler ist. Man wird<br />

schwer ein nachhaltigeres Produkt auf dieser<br />

Erde finden können <strong>als</strong> den Atom meiler<br />

Tscher nobyl – und übrigens auch der ganz<br />

alltägliche radioaktive Müll. Sie werden<br />

Jahr tau sende vor sich hin strahlen, eine permanente<br />

Gefahr für alle Organismen, die<br />

sich in deren Nähe aufhalten. Was dies be -<br />

deuten kann, hat Alexander Kluge in einer<br />

kleinen Erzählung drastisch veranschaulicht.<br />

Es ist die Ge schichte eines Graphikers<br />

aus Lemberg, der sich die Aufgabe stellt, ein<br />

Zei chensystem zu erfinden, dass auch noch<br />

in einigen Jahr tausenden gelesen und verstanden<br />

werden kann und mit dessen Hilfe<br />

die folgenden Generation vor den strahlenden<br />

Atomruinen gewarnt und darüber informiert<br />

werden können, wie sie sich davor<br />

schützen können. Erst die ungewollte Nach -<br />

haltigkeit unserer Destruktionen und Ge -<br />

fähr dungen zwingt uns dazu, über ge wollte<br />

nachhaltige Stra te gien zu deren Be kämp -<br />

fung und Eindäm mung nachzudenken.<br />

Der philosophisch interessante Gedanke im<br />

Konzept der Nachhaltigkeit liegt dabei in der<br />

These, dass das gegenwärtige Handeln nicht<br />

nur im Horizont unmittelbarer Erfolgs erwar -<br />

tung, sondern auch im Hinblick auf die Le -<br />

bensmöglichkeiten künftiger Genera tio nen<br />

erfolgen soll. Lange bevor sich der Be griff<br />

der Nachhaltigkeit und der <strong>ökosoziale</strong> Ge -<br />

danke im politischen Diskurs durchsetzten,<br />

hatte der Philosoph Hans Jonas in seinem<br />

Spätwerk „Das Prinzip Verantwortung“ die<br />

entscheidende Maxime für ein zukunftsorientiertes<br />

Handeln formuliert. In diesem Zu -<br />

sammenhang verweist Jonas darauf, dass die<br />

traditionellen Mor<strong>als</strong>ysteme von den Hand -<br />

lungsmöglichkeiten und dem Erwar tungs -<br />

horizont des einzelnen Subjekts ausgegangen<br />

waren und deshalb nicht mehr genügen,<br />

um das Problem nachhaltiger Eingriffe in die<br />

Natur, die die Lebensmöglichkeiten künftiger<br />

Generationen beschneiden oder gar sa -<br />

botieren könnten, zu lösen. Die traditionelle<br />

Es wird einmal gewesen sein. Über den Umgang mit der Zukunft. 33<br />

Ethik, namentlich die Immanuel Kants, hatte<br />

den Menschen aufgefordert, in Übereinstimmung<br />

mit seiner Vernunft, in der sich gleichsam<br />

die Idee der Menschheit re präsentiert,<br />

zu handeln, und damit das Un moralische <strong>als</strong><br />

logischen Selbstwider spruch definiert. Es<br />

liegt aber, so Jonas, „kein Selbst widerspruch<br />

in der Vorstellung, dass die Menschheit einmal<br />

aufhöre zu existieren, und somit auch<br />

kein Selbst widerspruch in der Vorstellung,<br />

dass das Glück gegenwärtiger und nächstfolgender<br />

Generationen mit dem Unglück oder<br />

gar die Nichtexistenz späterer Generationen<br />

erkauft wird.“ Dass die Reihe der Gene -<br />

rationen überhaupt weitergehen soll, dass<br />

<strong>als</strong>o die Menschheit auch weiterhin existieren<br />

soll, stellt sich angesichts der Destruk -<br />

tions potenziale unserer Tech nologien und<br />

Wirtschaftsformen <strong>als</strong> die eigentlich entschei<br />

dende ethische Frage dar, und sie ist<br />

nicht allein mit Rückgriff auf eine In -<br />

dividualmoral zu beantworten.<br />

„ZUKUNFT“ ALS LETZTER SINN HORI -<br />

ZONT VERANTWORTLICHEN HAN -<br />

DELNS<br />

Hans Jonas sah sich durch die Krise der traditionellen<br />

Ethik vor die Aufgabe gestellt,<br />

einen neuen Imperativ zu formulieren, der<br />

den Fortbestand der Gattung Mensch mitberücksichtigt.<br />

Die Formulierungen, die<br />

Jonas diesem Imperativ gegeben hat, haben<br />

in den ökologischen und technikkritischen<br />

Debatten der 1980er-Jahre eine entscheidende<br />

Rolle gespielt und ihre Aktualität kaum<br />

eingebüßt: Jonas formulierte diesen Im -<br />

perativ unter anderem folgendermaßen:<br />

„Handle so, dass die Wirkungen deiner<br />

Handlung verträglich sind mit der Per ma -<br />

nenz echten menschlichen Lebens auf<br />

Erden“ oder, negativ formuliert: „Handle so,<br />

dass die Wirkungen deiner Handlung nicht<br />

zerstörerisch sind für die künftige Mög -<br />

lichkeiten solchen Lebens.“ Für Jonas be -<br />

sagten diese Formulierungen letztlich, dass<br />

wir, aus welchen Gründen auch immer,<br />

„zwar unser eigenes Leben, aber nicht das<br />

der Menschheit wagen dürfen.“ Und ihm<br />

war klar, dass mit diesen Formulierungen in<br />

einer bisher nicht bekannten Form der „Zeit -<br />

horizont“ zu einem bestimmenden Krite -<br />

rium ethischen Verhaltens wurde, letztlich<br />

„Zukunft“ zum letzten Sinnhorizont verantwortlichen<br />

Handelns wird.<br />

Allerdings: Über die Interessen und Wün -<br />

sche der nachfolgenden Generationen wissen<br />

wir wenig bis nichts. Und auch die<br />

Frage, was „echtes menschliches Leben“ ist,<br />

kann über größere Zeiträume kaum beantwortet<br />

werden. Hätte ein Mensch des<br />

Mittelalters, ja noch des 19. Jahrhunderts<br />

unsere Art des Lebens und Treibens, die<br />

Technik und die Hektik, die Gier und den<br />

Individualismus, die Säkularisierung und<br />

den Materialismus <strong>als</strong> „echtes menschliches<br />

Leben“ gewertet? Wohl kaum. Wer für das<br />

Wohl der künftigen Generationen sorgen<br />

will, kann nicht anders, <strong>als</strong> seine eigenen<br />

Maßstäbe in die Zukunft zu projizieren. Wir<br />

können immer nur von unseren Befind lich -<br />

keiten ausgehen und diese in die Zukunft<br />

extrapolieren. Das Konzept der Nach -<br />

haltigkeit und Hans Jonas’ Imperativ der<br />

Verantwortung besagen allerdings eines: Es<br />

darf zumindest, was die Bedingungen des<br />

Lebens betrifft, nicht schlechter werden –<br />

und dies kollidiert mit unserer Grund -<br />

überzeugung, dass es der Fortschritt in sich<br />

hat, dass ohnehin alles besser wird. Das<br />

Konzept der Nachhaltigkeit müsste eigentlich<br />

mit Nachdruck darauf aufmerksam<br />

machen, dass es zivilisatorische und technologische<br />

Rückschritte und Rückent wick -<br />

lungen nicht nur geben kann, sondern unter<br />

bestimmten Bedingungen auch geben muss.<br />

Entgegen der allgemeinen Ideologie des<br />

unbegrenzten Wachstums müsste man den<br />

Mut aufbringen, über notwendige Reduk -<br />

tions- und Schrumpfungsprozesse etwa im<br />

Verkehr, im Straßenbau, im Ressourcen ver -


34 Konrad Paul Liessmann<br />

brauch, im Umgang mit der Natur nicht nur<br />

nachzudenken, sondern sie auch zu praktizieren.<br />

Ob dies einer gedeihlichen ökonomischen<br />

Entwicklung abträglich wäre, ist vielleicht<br />

auch eine Definitionsfrage.<br />

Die Zukunft erweist sich so <strong>als</strong> eine Leer -<br />

stelle, die von uns in zwei Richtungen ge -<br />

nutzt werden kann. Als stets offener Hori -<br />

zont, der immer vor uns liegt, lässt sich die<br />

Zukunft wunderbar <strong>als</strong> Behälter für alle<br />

jene Probleme verstehen, die wir jetzt nicht<br />

lösen können oder wollen. Die Zukunft ist<br />

eine einzige große Entsorgungsanstalt für<br />

die offenen Fragen der Gegenwart. Das<br />

Ver trauen darauf, dass die künftigen Gene -<br />

rationen all jene Kompetenzen, Innova -<br />

tionen und Verfahrensweisen entwickeln<br />

werden, die sie benötigen, um mit der Welt<br />

zu Rande zu kommen, die wir ihnen überlassen,<br />

ist in der Tat groß. In der Regel trauen<br />

wir – warum, weiß niemand – unseren<br />

Nachkommen immer mehr zu <strong>als</strong> uns<br />

selbst. Damit wird der Zukunft aber auch<br />

eine nicht zu unterschätzende Entlas -<br />

tungsfunktion zugeschrieben. Wenn gilt,<br />

dass die kommenden Generationen imstande<br />

sein werden, die Folgen unseres Han -<br />

delns aufzufangen und zu ihren Gunsten zu<br />

entwickeln, dann muss man für diese<br />

Folgen in der Gegenwart nicht mehr unbedingt<br />

die Verantwortung übernehmen, die<br />

man übernehmen müsste, müsste man<br />

tatsächlich alles jetzt selbst bezahlen. Viel -<br />

leicht stößt der <strong>ökosoziale</strong> Gedanke auch<br />

deshalb auf – ich formuliere vorsichtig –<br />

zurückhaltende Resonanz, weil wir Zu -<br />

kunft weniger <strong>als</strong> Aufgabe, <strong>als</strong> vielmehr <strong>als</strong><br />

Lösung betrachten, um die wir uns nicht<br />

sonderlich viel kümmern müssen. Und bis<br />

zu einem gewissen Grad ist dies auch richtig.<br />

Menschen, weil sterbliche und damit<br />

geschichtliche Wesen, handeln immer im<br />

Vor griff auf etwas, das kommen könnte und<br />

natürlich investieren wir stets in einem doppelten<br />

Sinn in die Zukunft: Indem wir über<br />

Kredite und Verschuldungen die Produk ti -<br />

vität kommender Generationen schon jetzt<br />

teilweise verbrauchen, ihnen dafür aber<br />

auch Gebäude, Institutionen und Infra -<br />

strukturen übergeben, die uns überdauern<br />

werden.<br />

Man kann sich die Zukunft aber auch zur<br />

Aufgabe machen und die Motive seines<br />

gegenwärtigen Handelns aus den Erwar tun -<br />

gen beziehen, die wir aus der Zukunft ableiten.<br />

Wir haben dafür allerdings nicht mehr<br />

zur Verfügung <strong>als</strong> die Erfahrungen unserer<br />

Gegenwart. Wer will, dass die Kämp fe um<br />

die natürlichen Ressourcen dieser Erde nicht<br />

die Gestalt eines Welt bür gerkrieges annehmen,<br />

kann nicht nur darauf bauen, dass in<br />

Zukunft alle diesbezüglichen Knappheiten<br />

durch technische Inno vationen beseitigt<br />

werden können. Er wird danach trachten, so -<br />

weit es unser Denkhori zont erlaubt, den Um -<br />

gang mit diesen Ressourcen so zu gestalten,<br />

dass sie in der Tat mit zukünftigen Genera -<br />

tionen „geteilt“ werden können. Die Zukunft<br />

können wir nicht teilen; wohl aber das, was<br />

uns gegenwärtig zur Verfügung steht und<br />

was auch in Zukunft relevant sein könnte.<br />

Wir können es verbrauchen und verschwenden,<br />

wir können damit aber auch sorgsam<br />

und sparsam um gehen. Natürlich können<br />

wir zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die<br />

uns schmecken oder die wir für unnütz er -<br />

achten, jetzt ausrotten. Wir können unseren<br />

Konsum und unsere Arroganz aber auch be -<br />

schränken und es den kommenden Gene ra -<br />

tionen überlassen, wie sie damit umgehen.<br />

ZEITDIMENSIONEN SYNCHRONISIE-<br />

REN<br />

Zukunft ist jene Zeit, die sich <strong>als</strong> positive<br />

oder negative Erwartung realisiert. Im An -<br />

spruch, ökologisch sensibel und sozial verantwortungsvoll<br />

mit den Ressourcen dieser<br />

Erde umzugehen, um Zukunft zu sichern,<br />

kolli dieren allerdings unterschiedlichste<br />

Es wird einmal gewesen sein. Über den Umgang mit der Zukunft. 35<br />

Zeithorizonte. Unternehmensbilanzen werden<br />

in Quartalen abgerechnet, ökologische<br />

Veränderungen in Jahrzehnten und Jahr hun -<br />

derten. Die Produktion natürlicher Res sour -<br />

cen wie Erdöl dauerte Jahrmillionen; verbraucht<br />

ist es in wenigen Jahrzehnten; ein<br />

Kernreaktor liefert 30 Jahre Energie; sein<br />

Ab fall strahlt Jahrtausende. Die <strong>ökosoziale</strong><br />

Herausforderung besteht in hohem Maße da -<br />

rin, diese unterschiedlichen Zeitdimen sio -<br />

nen zu synchronisieren und an ein menschliches<br />

Maß zurückzubinden. Ob es uns ge -<br />

lingt, die Gegenwart so zu gestalten, dass<br />

eine humane Zukunft dieses Planeten möglich<br />

ist, werden wir allerdings nicht mehr er -<br />

fahren. Die kommenden Generationen werden<br />

darüber, sofern es sie geben wird, ihr<br />

Urteil fällen. Unsere Zukunft aber wird ihre<br />

Vergangenheit sein. Wir können diese nur<br />

mehr oder weniger phantasievoll antizipieren:<br />

Es wird einmal gewesen sein.<br />

Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann,<br />

Fa kultät für Philosophie und Bildungs wis -<br />

sen schaft der Universität Wien, Wien.


36 Tatjana Fischer<br />

Tatjana Fischer<br />

WARUM ES NICHT EGAL IST, WO MAN ALT WIRD<br />

ÜBER DEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN STADTSTRUKTUR UND LEBENS -<br />

QUALITÄT ÄLTERER MENSCHEN<br />

Im Jahr 2005 wurde ein junges ForscherIn -<br />

nenteam vom Ökosozialen <strong>Forum</strong> Wien<br />

eingeladen, sich der großen Herausfor -<br />

derung „Alterung der Bevölkerung“ interdisziplinär<br />

anzunehmen und gleichsam „mit<br />

jungen Augen“ die Versorgungssituation<br />

älterer Menschen in der Stadt Wien unter<br />

die Lupe zu nehmen.<br />

Dem Leitbild einer „Stadt der kurzen Wege“<br />

folgend, bestand das Ziel der For schungs -<br />

arbeit „Stadt der kurzen Wege aus <strong>ökosoziale</strong>r<br />

Sicht – Nahversorgung und Naherholung<br />

in Wien vor dem Hintergrund des demographischen<br />

Wandels“ (vgl. Voigt et al. 2008)<br />

darin, raumdifferenzierte Grundsätze zu<br />

erarbeiten, damit Wien auch in Zeiten<br />

demographischer Dynamik hinsichtlich der<br />

Versorgung seiner – nicht nur älteren –<br />

BewohnerInnen „fit für übermorgen“ bleibt.<br />

FRAGESTELLUNG UND METHODIK<br />

Das Hauptanliegen dieser Forschungsarbeit<br />

bestand im Aufzeigen und Verstehen der<br />

Zu sammenhänge und Wechselwirkungen<br />

zwischen demographischem Wandel, den<br />

Raumstrukturen und dem räumlichen Ver -<br />

halten. Die Thematik „Altsein und Älterwerden<br />

in Wien“ wurde herausgegriffen,<br />

um zu zeigen, inwiefern räumliche Gege -<br />

ben heiten für ältere Menschen in der Or -<br />

ganisation und Bewältigung ihres Alltags<br />

relevant sind und – im Allgemeinen – die<br />

Be friedigung ihrer Bedürfnisse beeinflussen.<br />

Daran anknüpfend war es Aufgabe<br />

auszuloten, welche Aspekte die Stadtpla -<br />

nung in den raumrelevanten Handlungs -<br />

feldern Nah versorgung und Naherholung<br />

im Hinblick auf die Personengruppe 60+<br />

mitzubedenken hat.<br />

Um die Komplexität des Themas zu veranschaulichen,<br />

wurde <strong>als</strong> Indikatorengruppe<br />

zur Bewertung der städtischen Versorgungs -<br />

qualität die Personengruppe 60+ ausgewählt.<br />

Dies ist derzeit die am stärksten<br />

wach sende Altersgruppe und sie zeichnet<br />

sich durch eine große Heterogenität hinsichtlich<br />

der Lebenslagen und den damit<br />

verbundenen Ansprüchen an den Stadtraum,<br />

die das Nutzungsmuster infrastruktureller<br />

Einrichtungen prägen, aus. Aufgrund der<br />

gra vierenden Unterschiede in der individuellen<br />

Raumtüchtigkeit ist eine hohe Sen -<br />

sibilität innerhalb dieser Bevölkerungs -<br />

gruppe gegenüber räumlichen Barrieren und<br />

Versorgungsdefiziten zu erwarten.<br />

Innerhalb dieser Personengruppe erfolgte<br />

eine Fokussierung auf die rüstigen und mo -<br />

bilen älteren Menschen, weil sie aufgrund<br />

der eigenen Raumtüchtigkeit ihre Versor -<br />

gung (noch) selbst übernehmen (können)<br />

und ihnen somit räumliche Aspekte im All -<br />

tag regelmäßig begegnen. Auf zuhause be -<br />

treute immobile ältere Menschen wurde er -<br />

gänzend eingegangen, sofern raumrelevante<br />

Aspekte für die an ihrer Betreuung Betei -<br />

ligten (Angehörige, professionelles Perso -<br />

nal verschiedener Trägerorganisationen)<br />

unmittelbar von Bedeutung sind.<br />

Warum es nicht egal ist, wo man alt wird 37<br />

Der Erforschung der Lebenssituation älterer<br />

Menschen mit Migrationshintergrund kam<br />

kein inhaltlicher Schwerpunkt zu. Er kennt -<br />

nisse, die diese Bevölkerungsgruppe betreffen,<br />

wurden – sofern sie im Laufe der For -<br />

schungsarbeiten gewonnen werden konnten<br />

– eingefügt.<br />

Die Darstellung der Lebenssituation älterer<br />

Menschen konzentriert sich hinsichtlich der<br />

Nahversorgung auf die Versorgung mit<br />

Gütern und Diensten des täglichen Bedarfs<br />

sowie die (sozial-)medizinische Versorgung<br />

mit ambulanten Diensten und stationären<br />

Einrichtungen. Hinsichtlich der Naherho -<br />

lung liegt der Fokus auf Außer-Haus-Akti -<br />

vitäten in der Freizeit im Umfeld der Woh -<br />

nung oder des Wohnorts, an sogenannten<br />

„Orten im Freien“.<br />

Der räumliche Bezugsrahmen für die Un ter -<br />

suchung ist Wien. Da allerdings auf kleinräumiger<br />

Betrachtungsebene große Un ter -<br />

schiede in der soziodemographischen Struk -<br />

tur, dem infrastrukturellen Versor gungs niveau<br />

und der Stadtgestalt bestehen und auf diese<br />

raumspezifischen Differenzen innerhalb der<br />

Stadt hingewiesen werden muss, wurden<br />

drei verschieden ausgeprägte Stadt räume für<br />

die Untersuchung ausgewählt:<br />

• Das Beispiel „Wilhelminenberg“ <strong>als</strong> ein<br />

Wohngebiet in Stadtrandlage und Wie -<br />

nerwaldnähe im 16. Wiener Gemeinde -<br />

bezirk, das durch Alterung der Bevöl ke -<br />

rung gekennzeichnet ist.<br />

• Das Beispiel „Neubau“ – ein Misch nut -<br />

zungsgebiet in dicht bebauter Innenstadt -<br />

lage im 7. Wiener Gemeindebezirk, das<br />

sich durch große Vielfalt an Nahver sor -<br />

gungs einrichtungen auszeichnet.<br />

• Das Beispiel „Hirschstetten“ <strong>als</strong> ein Stadt -<br />

erweiterungsgebiet in Stadtrandlage nord -<br />

östlich der Donau im 22. Wiener Ge mein -<br />

debezirk, das sehr gut mit privaten und<br />

öffentlichen Grünflächen ausgestattet ist.<br />

Die Vielschichtigkeit und Komplexität des<br />

Projekts offenbarte sich bei der Suche nach<br />

geeigneten Methoden zur Bearbeitung der<br />

Fragestellung und der Festlegung und Chro -<br />

nologie der Arbeitsschritte.<br />

Deshalb näherte sich das ForscherIn nen -<br />

team dem Thema durch die Formulierung<br />

von Vermutungen über Wechselbezie hun -<br />

gen zwischen demographischem Wandel –<br />

im Speziellen der Alterung der Bevölkerung<br />

– und stadtraumrelevanten Aspekten betreffend<br />

die Nahversorgung und Naherholung<br />

älterer Menschen an, die in weiterer Folge<br />

die Forschungsmethodik leiteten und letztlich<br />

mit den gewonnenen Erkenntnissen –<br />

Informationen von Älteren und ExpertInnen<br />

einerseits, Synthese der Ergebnisse durch<br />

die ForscherInnen selbst andererseits – verglichen<br />

werden konnten.<br />

Den BearbeiterInnen war die Notwen dig -<br />

keit der Verschränkung von raum- und<br />

sozialwissenschaftlichen Aspekten be -<br />

wusst. Weiters wollte man der inhaltlichen<br />

Kom ple xität durch Zerlegung der For -<br />

schungs frage in Teilfragen begegnen und<br />

diesen dann wiederum spezifische Metho -<br />

densets zuordnen. Neben quantitativen und<br />

qualitativen Methoden der empirischen<br />

Sozialfor schung wie Befragung älterer<br />

Men schen und der Fachleute sowie Be -<br />

obachtung von „Bewegungen im Raum“<br />

kam der Ortsbe gehung, das heißt dem un -<br />

mittelbaren Erleben der räumlichen Be -<br />

dingungen und Umstände durch die Be -<br />

arbeiterInnen, große Bedeutung zu. Die<br />

gesamte Erhebungs pha se folgte dem<br />

Grundsatz des „so nah wie möglich am<br />

Menschen Seins“ und des problemzentrierten<br />

Arbeitens. Ergänzt wurden die so<br />

gewonnenen Erkenntnisse durch die In -<br />

halte der bereits vorhandenen Fachlite ratur<br />

aus den Themenbereichen Raum- und<br />

Landschaftsplanung, Soziologie und Ökonomie.


38 Tatjana Fischer<br />

ERGEBNISSE – WIEN UND SEINE<br />

ÄLTE REN MENSCHEN<br />

So vielfältig wie die älteren Menschen<br />

selbst sind auch deren Bedürfnisse. Viele<br />

der in den Gesprächen geäußerten Alltags -<br />

probleme bezogen sich auf Versorgungs -<br />

fragen, wobei zu beachten ist, dass jeweils<br />

die eigene Lebenssituation den Hintergrund<br />

der Ausführungen bildet und diese somit<br />

immer Schilderungen der subjektiven<br />

(Raum-)Wahrnehmung und des subjektiven<br />

Erlebens des Altseins in der Stadt sind.<br />

Es wird davon ausgegangen, dass die hinter<br />

den Aussagen stehenden Bedürfnisse mit<br />

den Bedürfnissen von Personen in ähnlicher<br />

Lebenslage korrespondieren, besonders<br />

dann, wenn eine unzureichende Befriedi -<br />

gung der Grundbedürfnisse zu einer erheblichen<br />

Beeinträchtigung des Wohlbefindens<br />

oder der Gesundheit führt. Zudem lassen<br />

sich Verschiebungen bezüglich der Prio ri -<br />

täten innerhalb des Bedürfnisspektrums<br />

erkennen: Im Zuge des Älterwerdens<br />

kommt den Bedürfnissen nach Autonomie,<br />

Identität bzw. Identifikation mit der Wohn -<br />

umgebung, Sicherheit, Zugehörigkeit und<br />

Partizipation große Bedeutung zu.<br />

Das Bedürfnis nach Autonomie spiegelt<br />

sich in den Äußerungen der Älteren insofern<br />

wider, <strong>als</strong> der Wunsch nach Selbst -<br />

ständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbe -<br />

stimmung immer durch das Anliegen nach<br />

einem eigenständigen Leben, so lange wie<br />

möglich zuhause, zum Ausdruck gebracht<br />

wird. Eng damit verbunden ist der Wunsch,<br />

(auto-)mobil zu sein und zu bleiben, um<br />

auch weiterhin den Alltag unabhängig und<br />

flexibel gestalten zu können. Der (eigene)<br />

PKW stellt demnach einen wesentlichen<br />

Fak tor der subjektiven Lebensqualität dar,<br />

vor allem für Menschen in jenen Stadt -<br />

gebieten, wo die Versorgung mit öffentli-<br />

chen Verkehrsmitteln den Ansprüchen der<br />

Befragten nicht genügt.<br />

An dieser Stelle ist anzumerken, dass die<br />

Möglichkeiten, die die Stadt älteren Men -<br />

schen bietet, und die Herausfor derungen,<br />

die sie im Gegenzug an sie stellt, von be -<br />

fragten ExpertInnen teilweise umfassender<br />

gesehen werden und Widersprüch lich keiten<br />

zu den Anliegen Älterer zu erkennen sind.<br />

So interpretieren die ExpertInnen den<br />

Wunsch nach Selbstständigkeit, Unabhän -<br />

gigkeit und Selbstbestimmung <strong>als</strong> Heraus -<br />

forderung für die (zukünftige) Planung<br />

(sozial-)medizinischer Dienste, da seitens<br />

der Älteren professionelle Hilfe im mobilen<br />

und semistationären Bereich einerseits in<br />

sehr unterschiedlichem Maße in Anspruch<br />

genommen wird und mobile Dienste meist<br />

erst dann gerufen werden, wenn eine selbstständige<br />

Lebensführung wirklich nicht<br />

mehr möglich ist. Zudem besteht den<br />

ExpertInnen zufolge vielfach eine große<br />

Angst vor stationären Betreuungsein rich -<br />

tun gen, da sie aus Sicht der älteren Men -<br />

schen mit der Forderung nach Selbstbestim -<br />

mung unvereinbar sind.<br />

Sich mit dem Wohnstandort zu identifizieren<br />

hat für viele der befragten älteren<br />

Menschen eine große Bedeutung, vor allem<br />

dann, wenn sie einen Großteil ihres Lebens<br />

dort verbracht haben. Auch in Stadtteilen,<br />

die sich nicht durch bau- bzw. infrastrukturelle<br />

oder landschaftliche Besonderheit auszeichnen,<br />

ist die emotionale Bindung Älterer<br />

an ihre Wohnumgebung oft enorm, da<br />

viele der Befragten heute immer noch dort<br />

leben, wo sich aufgewachsen sind. Dies<br />

ermöglicht das Wachsen und Pflegen sozialer<br />

Kontakte, was wiederum Wohlsein und<br />

Stabilität erzeugt.<br />

Eng damit verbunden ist auch das Bedürfnis<br />

nach Sicherheit, welches verschiedenste<br />

Erfrischenderweise<br />

so neu wie dam<strong>als</strong>.<br />

jetzt<br />

neu!<br />

Wenn<br />

Sie sich schon mal gefragt gefraggt<br />

haben:<br />

Wo Wois<br />

ist t mein fru fru? – Hier ist iste<br />

es! Auf<br />

vielfachen<br />

Wunsch<br />

der FFans<br />

ans erlebt das klassische klaassische<br />

fru fru seine<br />

Wiedergeburt:<br />

fru fru wie dam<strong>als</strong>. dama<strong>als</strong>.<br />

Der traditionelle<br />

fru fru Geschmack mit besonders besonde ers prickelnder<br />

löffelfester löffelfester<br />

Sauermilch.<br />

Erhältlich in den beliebten<br />

Sorten Sortt<br />

en<br />

Erdbeer<br />

und WWaldbeer.<br />

aldbeer.


40 Tatjana Fischer<br />

Aspekte umfasst und vom Wunsch nach<br />

Schutz vor Witterung und Barrieren im öf -<br />

fentlichen Raum, nach Vermeidung körperlicher<br />

Verletzung und sozialer Diskrimi nie -<br />

rung bis hin zu gesellschaftlicher Anerken -<br />

nung reicht und auch den allgemeinen<br />

Wunsch danach, versorgt zu sein, mitein -<br />

schließt. Dabei sind auch Aspekte der (sozial-)medizinischen<br />

Betreuung im Falle der<br />

(eigenen) Hilfs- bzw. Pflegebedürftigkeit<br />

re le vant. Abhängig von vorhandenen familiären<br />

Netzen stehen den einzelnen Per -<br />

sonen im Bedarfsfall unterschiedliche Un -<br />

terstützungsmöglichkeiten zur Verfügung.<br />

Vor allem für ältere Menschen mit Migra -<br />

tionshintergrund ist das Bedürfnis nach<br />

Sicherheit in Bezug auf die rechtliche und<br />

finanzielle Sicherstellung (unabhängig von<br />

der Staatsbürgerschaft) zu interpretieren.<br />

Gleichsam wie für Ältere ohne Migra -<br />

tionshintergrund ist auch der Aspekt des<br />

Versorgtseins dem Bedürfnis nach Sicher -<br />

heit zuzuordnen. Dazu zählt für ältere Men -<br />

schen mit Migrationshintergrund die Mög -<br />

lichkeit, in altersgerechten Wohnungen<br />

leben zu dürfen sowie Zugang zu sozialen<br />

Diensten und muttersprachlicher medizinischer<br />

Versorgung zu haben.<br />

Sofern familiäre Beziehungen intakt sind,<br />

besteht für ältere Menschen die Option des<br />

Rückgriffs auf die Hilfe der eigenen Kinder<br />

sowie sonstiger Familienmitglieder. Sind<br />

die familiären Netze hingegen ausgedünnt,<br />

trachten die Älteren – um das Bedürfnis<br />

nach Zugehörigkeit zu kompensieren – da -<br />

nach, neue soziale Kontakte zu knüpfen.<br />

Dies erfolgt oft auch erst nach dem Tod des<br />

(Ehe-)Partners bzw. der (Ehe-)Partnerin.<br />

Möglichkeiten zum Knüpfen sozialer Kon -<br />

takte bestehen in den Wiener Seniorenklubs,<br />

den Nachbarschaftszentren und sonstigen<br />

Vereinen mit adäquaten Freizeitangeboten.<br />

Rüstige ältere Menschen haben ein generelles<br />

Bedürfnis nach Aktivität, Bewegung und<br />

Sport, aber auch nach Bildung, kultureller<br />

Betätigung und Natur, wobei letzteres im<br />

Alter immer wichtiger wird.<br />

Dem Bedürfnis nach kultureller Betätigung<br />

steht in Stadtrandgebieten das Fehlen entsprechender<br />

Einrichtungen (inklusive eines<br />

niedrigen Niveaus der Veranstal tungspro -<br />

gramme) sowie der eigene finanzielle Hand -<br />

lungsspielraum entgegen. Vielfach fehlt den<br />

älteren Menschen am Stadtrand das Flair der<br />

Innenstadt, das Lust aufs Schaufenster bum -<br />

meln und auf einen Kaffeehausbesuch<br />

macht.<br />

Die Bedeutung des Bedürfnisses nach Par -<br />

tizipation zeigt sich vor allem bei den Men -<br />

schen, die bereits vor dem Ausscheiden aus<br />

dem Erwerbsleben gesellschaftlich aktiv<br />

waren, am Wunsch nach Teilhabe und Teil -<br />

nahme am öffentlichen Leben. Der Bogen<br />

des Aktivseins spannt sich dabei von (regelmäßigen)<br />

Besuchen ehemaliger Ar beits -<br />

kollegInnen oder Personen, „die das Haus<br />

nicht mehr verlassen können“ bzw. in stationären<br />

Betreuungseinrichtungen untergebracht<br />

sind, bis hin zur Betreuung von<br />

„Leih(enkel)kindern“ und „Leihhunden“.<br />

Darüber hinaus zeigt sich, dass im Leben<br />

der älteren Menschen dem Bedürfnis nach<br />

Ordnung sowohl im privaten Bereich <strong>als</strong><br />

auch hinsichtlich der Beziehungen zu anderen<br />

NutzerInnengruppen im öffentlichen<br />

Raum große Wichtigkeit zukommt.<br />

Im Leben älterer Menschen mit Migrations -<br />

hintergrund sind die Bedürfnisse nach Kom -<br />

munikation, Information und Privat heit zentral.<br />

In diesem Zusammenhang wird beispielsweise<br />

der Wunsch nach Erleich terung<br />

der Bildung sozialer Kontakte sowie Schaf -<br />

fung von Möglichkeiten, auch außer Haus in<br />

der eigenen Gruppe zusammen zu kommen,<br />

geäußert. Für die Befragten stellen außerdem<br />

sprachliche Barrieren eine Heraus for -<br />

derung dar. Diese können dazu führen, dass<br />

Warum es nicht egal ist, wo man alt wird 41<br />

Angebote nicht wahrgenommen bzw. nicht<br />

genutzt werden. Das Bedürfnis nach Pri -<br />

vatheit äußert sich im Wunsch, familiären<br />

Verpflichtungen entkommen zu können und<br />

sich aus familiären Abhängigkeiten zu lösen.<br />

Aus dem Stellenwert der eben genannten<br />

Bedürfnisse im Leben älterer Menschen lassen<br />

sich demnach eine Reihe von Gemein -<br />

samkeiten dieser sehr heterogenen Alters -<br />

gruppe erkennen. Homogenität besteht hinsichtlich<br />

der Wichtigkeit der Wahrung der<br />

Privatsphäre sowie des Erhalts gewachsener<br />

sozialer Beziehungen. Dazu zählen auch<br />

Ähn lichkeiten bezüglich der Wohnungs -<br />

wahl, der Wohnzufriedenheit und der Sess -<br />

haftigkeit sowie der Raumwahrneh mung<br />

und Sensibilität gegenüber räumlicher Ver -<br />

änderungen im Wohnumfeld. Be mer kens -<br />

wert ist, dass (infrastrukturelle) Aus stat -<br />

tungsdefizite der Wohnumgebung durch<br />

andere Faktoren oftm<strong>als</strong> scheinbar kompensiert<br />

werden und deshalb dem positiven<br />

Raum empfinden nicht entgegenstehen. Auf -<br />

fallend ist weiters die Ansicht vieler Be -<br />

fragten, sich im Falle der eigenen Fahr un -<br />

tüchtigkeit in fußläufiger Erreich bar keit<br />

vom Wohnstandort versorgen zu können,<br />

obwohl die Möglichkeiten dazu vor allem<br />

am Stadtrand meistens nicht gegeben sind.<br />

Dazu kommt, dass die Bereitschaft zu einem<br />

Wohnstandortwechsel seitens der Befragten<br />

sehr gering ist. Veränderungen im unmittelbaren<br />

Wohnumfeld wie etwa der deutliche<br />

Anstieg der Wohnbevölkerung (einschließlich<br />

des vermehrten Zuzugs von Menschen<br />

anderer Ethnien), bauliche Ver än derungen<br />

sowie Veränderungen hinsichtlich der infrastrukturellen<br />

Ausstattung werden genau<br />

beobachtet. Positive Verän de rungen werden<br />

wohlwollend zur Kenntnis genommen, ne -<br />

gative Veränderungen führen zum wehmütigen<br />

Zurückdenken an vergangene Tage.<br />

Hinsichtlich der Versorgung schätzen die<br />

Äl teren eine breite Auswahl an Gütern und<br />

Dienstleistungen des täglichen Bedarfs – so<br />

halten viele <strong>als</strong> „Schnäppchenjäger“ gezielt<br />

Ausschau nach für sie passenden Ange -<br />

boten. Das trifft auch auf die (sozial-)medizinische<br />

Betreuung zu. Pflegende Ange hö -<br />

rige und die zu betreuenden Personen legen<br />

Wert darauf, die Trägerorganisation mobiler<br />

Dienste selbst auswählen zu können.<br />

Ältere Menschen mit Migrationshinter -<br />

grund weisen tendenziell einen schlechteren<br />

Ge sundheitszustand auf, auch Alte -<br />

rungs pro zesse setzen vergleichsweise frü -<br />

her ein <strong>als</strong> bei Menschen ohne Migra tions -<br />

hinter grund.<br />

Aus der Befragung geht ein großer Fa cet -<br />

tenreichtum der untersuchten Bevöl ke -<br />

rungs gruppe hervor, der sich primär aus<br />

der jeweiligen Lebenslage bestimmt. So<br />

spannt sich das Profil der Älteren von den<br />

(genügsamen) Hochaltrigen, über die<br />

Hilfs- und Pflegebedürftigen und deren<br />

pfle genden Angehörigen bis hin zu den<br />

(finanziell) Un abhängigen, Flexiblen,<br />

(Auto-)Mobilen und schließt auch die im -<br />

mer größer werdende Anzahl an noch „jungen“,<br />

rüstigen Senio rInnen, „die das Leben<br />

zwischen 60 und 75 besonders genießen<br />

möchten“ mit ein.<br />

Diese Heterogenität der Lebenslagen ge -<br />

koppelt mit gravierenden Unterschieden in<br />

den jeweiligen Bedürfnissen und dem Gel -<br />

tendmachen von Ansprüchen – die Gruppe<br />

der jüngeren SeniorInnen zeichnet sich da -<br />

bei durch „neuen“ Mut und „neues“ Selbst -<br />

bewusstsein hinsichtlich der Artikula tion<br />

von Wünschen aus – stellt die Stadt vor<br />

große Herausforderungen in der Angebots -<br />

planung. Zu diesen zählt auch die sehr un -<br />

terschiedlich ausgeprägte Bereitschaft der<br />

Älteren, sich mit dem Altern und Älterwerden<br />

rechtzeitig auseinanderzusetzen und im<br />

Bedarfsfall organisierte externe Hilfe tat -<br />

sächlich in Anspruch zu nehmen.


42 Tatjana Fischer<br />

Die Struktur und Organisation des Alltags<br />

variiert ebenfalls sehr, nicht zuletzt bedingt<br />

durch die unterschiedliche Raumtüchtigkeit<br />

der älteren AkteurInnen, den Zugang zu und<br />

Umgang mit Informationen sowie die Nut -<br />

zung neuer Technologien zur Erleichterung<br />

des Alltags, um durch sie eventuell die zur<br />

Versorgung mit Gütern und Diensten des<br />

täglichen Bedarfs erforderlichen Außer-<br />

Haus-Aktivitäten zu reduzieren.<br />

NAHVERSORGUNG UND NAHERHO -<br />

LUNG ÄLTERER MENSCHEN IN WIEN<br />

Das heterogene Profil der heutigen älteren<br />

Stadtbevölkerung bestimmt ihre Ansprüche<br />

an die Nahversorgung und Naherholung.<br />

Für beide Themenfelder lassen sich aus der<br />

Befragung einige Kernaussagen ableiten.<br />

So zeigt sich, dass Einkaufen von vielen Äl -<br />

teren auch <strong>als</strong> Beschäftigung angesehen<br />

wird, und für viele ein Grund ist, aus dem<br />

Haus zu gehen. Das Einkaufsverhalten ist<br />

zweigegliedert: zum einen gibt es die kleinen<br />

alltäglichen Besorgungen, zum anderen<br />

die in größeren Zeitabständen stattfindenden<br />

Großeinkäufe (unter Nutzung eines<br />

PKW). Parallel dazu wird das Vorhan -<br />

densein von Fachgeschäften für Fleisch,<br />

Obst und Gemüse sowie Backwaren sehr<br />

ge schätzt. Die Befragten sind vielfach auch<br />

bereit, für bessere Qualität und besseren<br />

Service höhere Preise zu bezahlen.<br />

Allerdings wird die persönliche Ansprache<br />

beim Einkaufen nicht immer gewünscht, die<br />

Möglichkeit des anonymen Gustierens im<br />

Supermarkt wird oft vorgezogen. Die Mo -<br />

notonie großer Geschäftsstraßen wird für<br />

das Einkaufserlebnis vielfach <strong>als</strong> störend<br />

empfunden, da die Filialen großer Handels -<br />

ketten das Angebot und Bild prägen. Das<br />

Fehlen geeigneter Einkaufsmöglichkeiten<br />

sowie die körperliche Befindlichkeit der<br />

Älteren erfordern bei der Erledigung ihrer<br />

täglichen Wege die Hilfe Dritter. Dies sind<br />

meist die Kinder bzw. Schwiegerkinder.<br />

Diese Personen des Vertrauens begleiten die<br />

Älteren zudem, wenn Tätigkeiten zu erledigen<br />

sind, die vermehrte Aufmerksamkeit er -<br />

fordern wie etwa Bankwege.<br />

In Hinblick auf die medizinische Basisver -<br />

sorgung (Allgemeinmedizin, Apotheken)<br />

zeigen sich die befragten Personen zufrieden.<br />

Ein Manko stellt die Versorgung mit<br />

FachärztInnen dar, da die Wahl vielfach<br />

nicht in Abhängigkeit vom eigenen Wohn -<br />

standort erfolgt, sondern vor allem von<br />

langjährigem Vertrauen abhängt.<br />

Sofern institutionelle Angebote wie etwa<br />

Essen auf Rädern in Anspruch genommen<br />

werden, besteht der Wunsch nach möglichst<br />

großer Flexibilität.<br />

Wegeketten ermöglichen die Verflech tun -<br />

gen von Erledigungen des täglichen Bedarfs<br />

mit Freizeitaktivitäten, die der Erholung<br />

dienen. Viele der Befragten genießen den<br />

Schau fensterbummel und erwerben beim<br />

Fla nieren das Eine oder Andere. Zwi schen -<br />

durch wird gerne das Kaffeehaus aufgesucht,<br />

auf einer Bank gerastet und das<br />

(innerstädtische) Treiben in den Straßen<br />

beobachtet. Somit spielt das Stadtzentrum –<br />

gemeint ist hier die Wiener Innenstadt –<br />

eine wichtige Rolle in der Naherholung der<br />

Älteren. Ihre Atmosphäre und ihr Angebot<br />

lassen sich schwer kompensieren.<br />

Die Qualität des Naherholungsangebots im<br />

unmittelbaren Wohnumfeld wird – unabhän<br />

gig davon, ob die Befragten es nutzen<br />

oder nicht – auf jeden Fall wahrgenommen.<br />

Vor allem im innerstädtischen Gebiet<br />

wird das Fehlen ausreichender Grünräume<br />

<strong>als</strong> Mangel empfunden und die Nutzbarkeit<br />

vorhandener Grünflächen in Frage gestellt.<br />

Der Nutzungsdruck auf die wenigen vorhandenen<br />

Möglichkeiten ist enorm. Neben<br />

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44 Tatjana Fischer<br />

dem eigenen Gesundheitszustand werden<br />

im innerstädtischen Gebiet häufig Kon -<br />

flikt- und Angstsituationen in den Parkund<br />

Grün flächen <strong>als</strong> Hemmnisse für die<br />

Nut zung und <strong>als</strong> wesentliche Einschrän -<br />

kung des eigenen Aktionsradius erlebt.<br />

Auch das zunehmende „Verbauen“ von<br />

Frei flächen wird bemängelt, ebenso deren<br />

schlechte Pfle ge bzw. durch fehlende<br />

Schnee räumung deren Nicht-Nutzbarkeit<br />

im Winter.<br />

Für fast alle Befragten stellt neben dem Vor -<br />

handensein von Freiflächen vor allem ihre<br />

leichte Erreichbarkeit vom eigenen Wohn -<br />

standort aus eine Bereicherung der Lebensund<br />

Wohnqualität dar. Dies auch deshalb,<br />

weil Naherholungsgebiete vorwiegend <strong>als</strong><br />

der Erholung dienende Rückzugs räume<br />

gesehen werden und sportliche Aktivitäten<br />

im Freien – mit Ausnahme des „mit dem<br />

Hund Gehens“ – an etwas weiter entfernten<br />

Zielen stattfinden.<br />

Diese Tagesausflüge erfolgen zumeist in<br />

Begleitung der Familie oder von Freunden<br />

bzw. werden sie auch von Vereinen wie et -<br />

wa den Pensionistenklubs, den Natur freun -<br />

den und dem Alpenverein sowie den Pfar -<br />

ren organisiert. Von den großen Wie ner<br />

Naherholungsgebieten sind hierbei der<br />

Wienerwald, Schönbrunn, der Prater, die<br />

Lobau und der Bisamberg zu nennen. Per -<br />

sonen, die über einen eigenen (Schre ber-)<br />

Garten verfügen, nutzen diesen bevorzugt.<br />

STADTSTRUKTUR UND VERSOR -<br />

GUNGS QUALITÄT<br />

Neben der vielfältigen Bedürfnisse und An -<br />

sprüche älterer Menschen in Bezug auf die<br />

Nahversorgung und Naherholung ist die<br />

Stadtstruktur auch hinsichtlich ihrer Versor -<br />

gungsqualität zu beurteilen. Die Herausfor -<br />

derungen für die Stadtplanung und Stadtent -<br />

wicklung ergeben sich aus der Diskrepanz<br />

zwischen dem Wunsch der Älteren und dem<br />

vorhandenen Angebot.<br />

Die drei für das Projekt ausgewählten Bei -<br />

spielsräume unterscheiden sich insbesondere<br />

durch ihre demographischen Strukturen,<br />

ihre Lage im Stadtraum, ihre Topographie<br />

und bauliche Stadtgestalt. Daraus resultieren<br />

Unterschiede bezüglich der Verkehrs -<br />

infrastruktur, der Qualität der Nahver sor -<br />

gung sowie dem Vorhandensein (öffentlicher)<br />

Grünflächen zu Zwecken der Naher -<br />

holung.<br />

Während in den peripheren Stadträumen<br />

„Wilhelminenberg“ (Wien 16) und „Hirsch -<br />

stetten“ (Wien 22) die Wohnnutzung und<br />

Grünflächen vorrangig sind und eine geringe<br />

Dichte von Versorgungseinrichtungen<br />

vor herrscht, ist im innerstädtischen Misch -<br />

gebiet „Neubau“ (Wien 7) eine Kon zen tra -<br />

tion aus Wohnen sowie Gewerbe und<br />

Dienst leistungen gegeben. Daraus ergibt<br />

sich im Vergleich zu den beiden anderen<br />

Untersuchungsgebieten eine ungleich höhere<br />

Anzahl an Nahversorgungseinrichtungen,<br />

deren Einzugsbereich teilweise (z. B. bei<br />

bestimmten FachärztInnen) das gesamte<br />

Stadtgebiet umfasst.<br />

Während der Stadtraum „Wilhelmi nen -<br />

berg“ bedingt durch seine Nähe zum<br />

Wienerwald zahlreiche naturnahe Erho -<br />

lungs gebiete umfasst, zeigt sich in „Neu -<br />

bau“ ein gänzlich anderes Bild: mangelnde<br />

Durchgrünung und wenige allgemein nutzbare<br />

Parkan lagen. Wiederum anders zeigt<br />

sich die Si tuation der Naherholung in<br />

„Hirschstetten“. Hier befinden sich große<br />

Agrar- und Gärtnereiflächen, die jedoch<br />

für die öffentliche Nutzung nicht zur<br />

Verfügung stehen. Dennoch gibt es zwei –<br />

auch über die Be zirksgrenze hinaus – sehr<br />

beliebte Naherho lungsgebiete: die Blu -<br />

mengärten Hirsch stetten und den Hirsch -<br />

stettener Badeteich.<br />

Warum es nicht egal ist, wo man alt wird 45<br />

Ausgehend von den Ansprüchen älterer<br />

Menschen, die auf die Nutzung öffentlicher<br />

Verkehrsmittel angewiesen sind bzw. ihre<br />

Wege zu Fuß zurücklegen, zeigt sich, dass der<br />

Stadtraum „Neubau“ eine gute Ver sorgung<br />

mit öffentlichen Verkehrsmit teln, ei ne ausgewogene<br />

räumliche Verteilung der Haltestellen<br />

und eine exzellente Bedie nungs häufigkeit<br />

aufweist. Der „Wilhelmi nen berg“ hingegen<br />

ist – werden 300 Meter zwischen den einzelnen<br />

Haltestellen <strong>als</strong> fußläufig gut erreichbare<br />

Entfernung be trachtet – unterversorgt. Ähnlich<br />

sieht die Situation in „Hirsch stetten“ aus.<br />

In beiden letztgenannten Stadt räumen ist die<br />

Bedie nungshäufigkeit tagsüber sehr gering.<br />

Deshalb ist es gerade in den Stadträumen<br />

„Wil helminenberg“ und „Hirschstetten“ re -<br />

levant, wo genau ein älterer Mensch wohnt.<br />

Vor allem in „Hirschstetten“ gibt es kleine<br />

Nahversorgungszentren, die zwar für jene, die<br />

in den Wohnhausanlagen in unmittelbarer<br />

Nähe wohnen, fußläufig sehr gut zu erreichen<br />

sind, während die BewohnerInnen der Ein -<br />

familienhäuser in der Nähe des Hirsch stet te -<br />

ner Badeteichs entweder das Fahrrad oder das<br />

Auto benutzen müssen, um rasch die Ver -<br />

sorgungseinrichtungen er reichen zu können.<br />

Durch seine raumbezogenen Eigenschaften<br />

weist jeder Stadtraum Stärken und Schwä -<br />

chen auf, die sich im täglichen Leben seiner<br />

(älteren) BewohnerInnen in Vor- und Nach -<br />

teilen manifestieren. Für die Stadtplanung<br />

und Stadtentwicklung ist es nicht nur wichtig<br />

zu wissen, wo die (negativen) Knack -<br />

punkte bezüglich der Versorgungsfragen liegen,<br />

um diese zu entschärfen, sondern auch,<br />

welche Aspekte seitens der (älteren) Be völ -<br />

kerung geschätzt werden, um diese möglichst<br />

zu stärken bzw. zu erhalten.<br />

Zusammenfassend lassen sich für die drei<br />

ausgewählten Stadträume folgende prob -<br />

lem zentrierte raum- und versorgungsrelevan<br />

te Ei genarten herausarbeiten. Der „Wil -<br />

hel mi nenberg“ <strong>als</strong> Beispiel für ein Wohn -<br />

gebiet in Stadtrandlage und Wie nerwald -<br />

nähe verfügt noch vereinzelt über eine<br />

Grund(nah) ver sorgung durch Greißle rInnen.<br />

Diese werden aber nur <strong>als</strong> Zu satz angebot zu<br />

den weit entfernten Super märk ten gesehen<br />

und sind durch ein schlechtes Preis-Leis -<br />

tungs-Ver hältnis charakterisiert. Für nahezu<br />

alle Er ledigungen sind (nicht nur) die älteren<br />

Be wohnerInnen auf das Auto bzw. auf Mit -<br />

fahr gelegenheiten sowie den Bus <strong>als</strong> öffentliches<br />

Verkehrsmittel an gewiesen.<br />

Eine hohe Lebensqualität ergibt sich aus<br />

den zahlreichen Naherholungsmöglichkei -<br />

ten und Freiräumen innerhalb und um diesen<br />

Stadtraum. Herausforderungen bestehen<br />

durch die Einschränkung der Nutzung<br />

der Naherholungsgebiete, durch die be -<br />

weg te Ge ländemorphologie sowie durch<br />

das Über wie gen privater Außenräume in<br />

den Ein familienhaussiedlungen, die eine<br />

Nut zungs möglichkeit der jeweiligen Flä -<br />

chen für die Allgemeinheit ausschließen.<br />

Die Stärke „Neubaus“ liegt zweifelsfrei in<br />

der Dichte, der Vielfalt sowie der Spezia li -<br />

sierung des Angebots an Gütern und Diens -<br />

ten des täglichen Bedarfs. Dies führt aber<br />

auch zu Unüberschaubarkeit und mitunter<br />

Überforderung älterer KundInnen. Zudem<br />

wird durch die Werbewirtschaft die Stadt -<br />

gestalt überformt und das Stadtbild aus<br />

Sicht der Befragten optisch negativ beeinflusst.<br />

Die Versorgung mit Naherholungsmög lich -<br />

keiten ist in „Neubau“ sehr beschränkt. Eine<br />

Folge davon ist der hohe Nut zerInnendruck<br />

auf die wenigen öffentlichen Grünflächen,<br />

der sich vielfach in Konflikten zwischen<br />

ver schiedenen Eth nien, Alters- und Nutze -<br />

rIn nengruppen äußert.<br />

Im Stadterweiterungsgebiet „Hirschstetten“<br />

spüren die (älteren) BewohnerInnen heute


46 Tatjana Fischer<br />

noch den ehem<strong>als</strong> dörflichen Charakter. Ein -<br />

richtungen der Nahversorgung sind in klei -<br />

nen Zentren konzentriert und „man kennt<br />

sich noch“. Eine weitere Gefährdung des<br />

Einzelhandels durch die Filialen etablierter<br />

großer Einzelhandelsketten wird vor allem<br />

in Stadtentwicklungsgebieten erwartet. Von<br />

den Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“<br />

geht eine große Sogwirkung aus. Viele Ein -<br />

käufe werden mit dem PKW erledigt. Ver -<br />

sorgungsmängel zeigen sich im (sozial-)me -<br />

dizinischen Bereich vor allem bei Ärz tIn nen<br />

und Apotheken.<br />

Die hohe Durchgrünung des Stadtgebiets<br />

und die Vielfalt der vorhandenen Freiräume<br />

vermeiden Nutzungskonflikte im öffentlichen<br />

Grünraum. Allerdings sind die Nah -<br />

erholungsgebiete punktuell konzentriert und<br />

viele agrarisch genutzte Flächen nicht für<br />

Naherholungszwecke geeignet. Brachen<br />

aller Art und zahlreiche ungestaltete halböffentliche<br />

Freiräume bei Geschoßwohn an -<br />

lagen weisen kaum Nutzungsqualitäten auf.<br />

Jedoch kommt den privaten Außenräumen<br />

(z. B. Gärten in Einfamilienhaussiedlungen)<br />

eine große Bedeutung zu.<br />

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN UND<br />

ZIELSETZUN GEN FÜR DIE STADT -<br />

ENT WICKLUNG<br />

Im Anschluss an die Diskussion der strukturellen<br />

Gegebenheiten und der Wechsel be -<br />

zie hungen zwischen den (älteren) Men -<br />

schen und dem sie umgebenden gebauten<br />

Raum folgen nun raumdifferenzierte Überlegungen<br />

für die nachhaltige Gestaltung der<br />

drei ausgewählten Stadt räume. Aus den themenzentrierten<br />

„Hot spots“ werden Ziel set -<br />

zungen zur Stadt entwicklung im Allge -<br />

meinen sowie zur Nahversorgung und Nah -<br />

erholung im Be sonderen abgeleitet.<br />

Für das Wohngebiet in Stadtrandlage und<br />

Wienerwaldnähe („Wilhelminenberg“) er gibt<br />

sich <strong>als</strong> wichtigste Priorität die Si che rung der<br />

hohen Qualität der Naher holung sowie die<br />

Mindestsicherung und – wo es mög lich ist –<br />

eine Verbesserung der Nah versorgung, die<br />

Schaffung eines alternativen Versorgungs an -<br />

gebots mit mobilen Services sowie die Si -<br />

cherung der Erschlie ßungsqualität mit öffentlichem<br />

Verkehr. Da bei gilt es, die Gelän de -<br />

neigung der Hang lagen zu berücksichtigen,<br />

die insbesondere für ältere Menschen<br />

Schwie rigkeiten in der Raumnutzung mit<br />

sich bringen.<br />

Neben der gezielten Förderung von Kleinund<br />

Mittelbetrieben im Bereich der Nah -<br />

versorgung kommt die Etablierung multifunktioneller,<br />

stationärer Nahversor gerIn -<br />

nen sowie die Errichtung temporärer<br />

Märk te, das Forcieren von Zustelldiensten<br />

wie bei spielsweise „Essen auf Rädern“<br />

oder Zu stelldiensten von Lebensmittel-<br />

Einzel han dels betrieben und Apotheken in<br />

Frage.<br />

Weiters sind die teils regional bedeutenden<br />

Naherholungsqualitäten zu sichern, die<br />

fußläufige Erreichbarkeit der Gebiete<br />

sowie ihre Erreichbarkeit mit öffentlichen<br />

Ver kehrs mitteln zu verbessern und auf<br />

einen barrierefreien Zugang zu achten. Die<br />

vorhandenen (Groß-)Grünanlagen sollten<br />

besser betreut werden, z. B. durch Streu -<br />

ung und Reinigung der Wege besonders im<br />

Win ter, durch ihre rutschsichere Aus -<br />

stattung so wie durch das Schaffen von<br />

Rastmög lich keiten (Bänke). An kritischen<br />

Stellen sollten Geländern angebracht werden.<br />

Die wichtigste Zielsetzung für die Stadt -<br />

entwicklung besteht demnach in der baulich-räumlichen<br />

Integration der bestehenden<br />

Raumstrukturen, der Verstärkung des räumlichen<br />

Zusammenhalts sowie der Erhaltung<br />

und weiteren Gestaltung des hochwertigen<br />

naturräumlich-ökologischen Potenzi<strong>als</strong>.


48 Tatjana Fischer<br />

Im Mischnutzungsgebiet der dicht bebauten<br />

Innenstadt (Beispiel „Neubau“) besteht die<br />

grundlegende Herausforderung in der Si che -<br />

rung der bestehenden guten Nahver sor -<br />

gungsqualitäten, der Attraktivierung des An -<br />

gebots bzw. seine Anpassung an die Be -<br />

dürfnisse älterer Menschen sowie der Wah -<br />

rung der Funktions- und Nutzungsdurch -<br />

mischung. Im Bereich Naherholung ist eine<br />

umfassende Verbesserung der Qualität durch<br />

gezielte Schaffung „grüner Netze“, etwa in<br />

Form von Grünverbindungen und flächenhafter<br />

Grüngestaltung, möglich und nötig.<br />

Für Maßnahmen im Bereich Nahversor -<br />

gung bestehen vielfältige Handlungs spiel -<br />

räume in der „Revitalisierung“ nicht mehr<br />

genutzter Erdgeschoßflächen. So könnten<br />

ehe malige, heute teils leer stehende Ge -<br />

schäftslokale eine Umnutzung zu „Orten<br />

der Begegnung“ erfahren. Zusätzlich könnten<br />

im Zuge der Stadterneuerung und<br />

Blocksanierung ein Umbau zur Förderung<br />

intergenerationellen Wohnens stattfinden<br />

sowie Einheiten für betreutes Wohnen er -<br />

richtet werden. Durch eine verbesserte<br />

Zusammenarbeit engagierter Wirtschafts -<br />

trei ben der könnte eine stärkere Bindung der<br />

örtlichen Kaufkraft gelingen. Das ökologische<br />

sowie das Erholungs-Potenzial dieses<br />

Stadtraums kann durch gezielte Interven tio -<br />

nen im öffentlichen und halböffentlichen<br />

Grünraum, durch Schaffung neuer „grüner<br />

Lungen“ oder die Förderung von Hofzu -<br />

sammenlegungen, erfolgen. Zur Verringe -<br />

rung von Nutzungskonflikten in öffentlichen<br />

Grünräumen bietet sich die Trennung<br />

in Funktionsbereiche sowie die Einsetzung<br />

einer Generationen übergreifenden Parkbe -<br />

treuung (inklusive partizipativer Parkge stal -<br />

tung) an. Darüber hinaus ist die Verbesse -<br />

rung der angstfreien Nutzbarkeit des öffentlichen<br />

Raumes mit Hilfe gestalterischer<br />

Maß nahmen, abgestimmte Ampelschal tun -<br />

gen und geeignete Querungshilfen zu forcieren.<br />

Als Zielsetzungen für die Stadtentwicklung<br />

ergeben sich demnach die Erhaltung, Er -<br />

gänzung und Erneuerung der baulich-räumlichen<br />

Strukturen sowie die Erhaltung der<br />

Nutzungsmischung und der Nahversor -<br />

gungs qualitäten – das bedeutet eine ausgewogene<br />

und flächendeckende Grundver -<br />

sorgung in fußläufiger Erreichbarkeit. Wei -<br />

ters ist auf den Erhalt und Ausbau des kleinräumigen<br />

ökologischen Potenzi<strong>als</strong> auf verschiedenen<br />

Maßstabsebenen zu achten.<br />

Die zentrale Herausforderung für den durch<br />

Stadtrandlage geprägten Stadtraumtyp<br />

„Hirsch stetten“ besteht in der räumlichen<br />

Gestaltung der großen Naherholungs poten -<br />

ziale sowie in der Mindestsicherung und der<br />

Verbesserung der Nahversorgung, ein -<br />

schließ lich der Sicherstellung einer qualitativ<br />

hochwertigen Erschließung mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln.<br />

Als Zielsetzung für die Nahversorgung sind<br />

die Schaffung räumlich gut integrierter<br />

Versorgungsschwerpunkte und – sofern<br />

möglich – eine ausgewogene flächendeckende<br />

Grundversorgung in fußläufiger<br />

Erreichbarkeit, ebenso wie der Ausbau de -<br />

zentraler Nahversorgungseinrichtungen so -<br />

wie die Kompensation der vorhandenen<br />

Defizite durch zusätzliche Services zu nennen.<br />

In „Hirschstetten“ bieten sich im Kon -<br />

kreten dieselben Maßnahmen an wie für das<br />

Beispielsgebiet „Wilhelminenberg“.<br />

Abgesehen von der Sicherung bestehender<br />

Orte der Naherholung ist deren räumliche<br />

Vernetzung sowie eine qualitative und al -<br />

ten gerechte Aufwertung anzustreben. Ein<br />

Beispiel hierfür wäre die Schaffung nutzbaren<br />

Grüns bei Geschoßwohnanlagen.<br />

Die Zielsetzung für die Stadtentwicklung<br />

besteht einerseits in der baulich-räumlichen<br />

Integration der bestehenden Strukturen – im<br />

Sinne einer Verstärkung des räumlichen<br />

Warum es nicht egal ist, wo man alt wird 49<br />

Zusammenhalts durch eine behutsame<br />

Nach verdichtung und Vernetzung – und an -<br />

dererseits in der Erhaltung sowie Ge staltung<br />

des naturräumlich-ökologischen Potenzi<strong>als</strong><br />

auf den verschiedenen räumlichen Maß -<br />

stabs ebenen.<br />

WECHSELBEZIEHUNGEN ZWISCHEN<br />

STADTRAUM UND DEMOGRAFI-<br />

SCHEM WANDEL<br />

Im Folgenden werden einige der am Beginn<br />

des Forschungsprojekts formulierten An -<br />

nah men zu den vermuteten Wechselbe -<br />

ziehungen zwischen demografischem Wan -<br />

del und stadtraumrelevanten Aspekten be -<br />

treffend Nahversorgung und Naherho lung<br />

dargelegt und mithilfe der gewonnenen Er -<br />

kenntnisse reflektiert.<br />

Annahme 1: Das Verständnis von Nah ver -<br />

sorgung und ihre Wichtigkeit ändern sich im<br />

Laufe des Lebenszyklus. Es stellt sich die<br />

Frage, welchen Stellenwert die Nahver sor -<br />

gung generell in Zukunft für ältere Men -<br />

schen haben wird.<br />

Gerade die Nahversorgung und die damit<br />

verbundenen täglichen Wege und Erledi -<br />

gungen nehmen einen sehr wichtigen Platz<br />

im Leben jedes Menschen ein. Während es<br />

in jungen Jahren oft <strong>als</strong> lästige Pflicht<br />

gesehen wird, einkaufen gehen zu müssen,<br />

ist dies für ältere Menschen ein wichtiger<br />

As pekt in der Strukturierung ihres Alltags.<br />

Auch der Ansprüche bezüglich einer ra -<br />

schen Verfügbarkeit (sozial-)medizinischer<br />

Diens te nimmt im Alter zu. Umso bedeutender<br />

ist somit die Nähe dieser Ein rich -<br />

tungen. Unter Nähe soll in diesem Zu -<br />

sammenhang aber nicht nur die unmittelbare<br />

räumliche Distanz verstanden werden,<br />

son dern auch eine gute, einfache und<br />

schnelle Erreichbarkeit. Oft ist es nicht<br />

ausschlaggebend, wie nah eine Einrichtung<br />

ist, sondern auf welchem Wege und inner-<br />

halb welcher Zeitspanne diese erreicht<br />

werden kann.<br />

Annahme 2: Die zunehmende Heterogeni -<br />

sie rung der Bevölkerung macht eine stärkere<br />

Ausdifferenzierung des Nahversorgungs -<br />

angebots erforderlich und möglich.<br />

Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wi -<br />

der, dass alle großen Supermarktketten<br />

heute ein vielfältiges Warensortiment aufweisen,<br />

aber dennoch der Eindruck bleibt,<br />

vieles vom gleichen offeriert zu bekommen.<br />

Im Einzelhandel ist auch die Tendenz zu<br />

beobachten, dass der Anteil der Einzelunter -<br />

nehmerInnen mit Migrationshintergrund<br />

kontinuierlich steigt.<br />

Annahme 3: Die zunehmende Konzentra tion<br />

im Einzelhandel und der Verlust an räum -<br />

licher Nähe sowie Kundennähe führen zu ei -<br />

ner zunehmenden Anonymisierung, die ältere<br />

Menschen stärker trifft (sozialräumliche<br />

Auswirkungen). In gut versorgten Ge bieten<br />

nehmen ältere Menschen aufgrund täg licher<br />

Besorgungen und Einkäufe mehr am Stadt -<br />

teilleben teil und fühlen eine stärkere Ver -<br />

bundenheit mit ihrem unmittelbaren Wohn -<br />

umfeld bzw. dem öffentlichen Raum.<br />

Gerade ältere Menschen haben oft schon<br />

viele Jahre an ihrem aktuellen Wohnort verbracht,<br />

was letztendlich zu einer großen Ver -<br />

bundenheit zum Wohnort führt. Im Be reich<br />

der Nahversorgung hat Vertrauen einen ho -<br />

hen Stellenwert. Eine Vertrauens situation<br />

wird hergestellt, wenn Menschen seit vielen<br />

Jahren die gleichen Geschäfte mit dem gleichen<br />

Personal aufsuchen und sowohl das<br />

Warenangebot, die Qualität so wie das persönliche<br />

Verhältnis zum Ver kaufspersonal<br />

zu friedenstellend sind. Das Gleiche gilt im<br />

medizinischen Bereich: Be sonders ÄrztIn -<br />

nen wird über Jahre die Treue gehalten,<br />

selbst wenn der Wohnstand ort gewechselt<br />

wird. Diese Verbundenheit kommt auch zum


50 Tatjana Fischer<br />

Ausdruck, wenn Men schen ihr Wohnumfeld<br />

<strong>als</strong> „bei uns im Ort“ bezeichnen. Durch die<br />

Konzentration im Einzelhandel und die<br />

damit verbundene Ano nymisierung wird<br />

diese Verbundenheit beeinträchtigt.<br />

Annahme 4: Die Alterung der Bevölkerung<br />

wird zu einer Änderung in der Nachfrage in<br />

der (sozial-)medizinischen Versorgung füh -<br />

ren, wobei den mobilen Diensten größere<br />

Bedeutung zukommen wird.<br />

Die Anzahl der pflegebedürftigen Men -<br />

schen wird noch weiter steigen, wobei viele<br />

so lange wie möglich zu Hause betreut werden<br />

möchten. Dies erfordert auch auf der<br />

finanziellen Ebene höhere Zuwendungen,<br />

um eine optimale Versorgung zu gewährleisten.<br />

Viele können sich vorstellen, mobile<br />

Dienste wie z. B. Essen auf Rädern in An -<br />

spruch zu nehmen, wobei auch hier auf eine<br />

zunehmende Heterogenisierung der An -<br />

sprü che zu achten ist.<br />

Annahme 5: Verschiedene Lebens- und Nut -<br />

zungsprozesse finden ihre Entsprechung in<br />

der physischen Gestalt des Raumes und hinterlassen<br />

dort gleichsam ihre Spuren. Oft -<br />

m<strong>als</strong> jedoch ermöglicht oder behindert die<br />

konkrete physische Gestalt des Raumes<br />

bestimmte Raumnutzungen. Dies betrifft<br />

sowohl öffentliche Räume, Schwellen berei -<br />

che zu öffentlichen Räumen und Frei -<br />

räumen <strong>als</strong> auch Räume privater Nutzung.<br />

Viele der befragten älteren Menschen haben<br />

über Veränderungen in ihrem Wohnumfeld<br />

berichtet. Diese sind oft durch Änderungen<br />

in der Zusammensetzung der Wohnbevöl -<br />

kerung bedingt, z. B. wieder mehr Kinder,<br />

mehr Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

nicht mehr so „ländlich“, anonymer etc.<br />

Die se Veränderungen beeinflussen zum Teil<br />

auch das Nutzungsverhalten der Befragten<br />

in den Freiräumen. Manche Gebiete werden<br />

beispielsweise nicht mehr aufgesucht, weil<br />

„es dort zu laut oder zu schmutzig ist“ oder<br />

weil „zu viele AusländerInnen dort sind“,<br />

was manchmal Angst verursacht.<br />

Im umgekehrten Fall können manche Frei -<br />

zeitaktivitäten aufgrund der Veränderung<br />

der Lebenssituation (z. B. des Gesundheits -<br />

zu standes) nicht mehr ausgeübt werden.<br />

Wenn z. B. das Fahrrad nicht mehr benutzt<br />

werden kann, werden bestimmte Gebiete<br />

nicht mehr aufgesucht. Je schlechter der Ge -<br />

sundheitszustand, desto kleiner wird der<br />

Ak tionsradius zum Aufsuchen von Orten<br />

der Naherholung. Manche Befragte haben<br />

<strong>als</strong> Naherholungsmöglichkeit nur noch den<br />

eigenen Balkon.<br />

Annahme 6: Die Zusammensetzung der Be -<br />

völkerung eines Stadtteils kann im Freiraum<br />

unter anderem zu Nutzungskonflikten zwischen<br />

verschiedenen Ethnien und zwischen<br />

den Generationen führen.<br />

Ein großer Teil der Personen, die befragt<br />

wur den, hat über Ängste oder Konflikte<br />

berichtet, die sie in öffentlichen Freiräumen<br />

wie Parks oder Naherholungsgebieten erleben.<br />

Ein Großteil dieser Ängste ist auf<br />

wahr nehmbare Veränderungen im Wohn -<br />

um feld (z. B. die Bevölkerungszusammen -<br />

setzung) oder auf die Knappheit der Frei -<br />

räume und den dadurch entstehenden Nut -<br />

zungsdruck zurückzuführen. Gerade in sehr<br />

monostrukturierten Gebieten, wie z. B. in<br />

Ein familienhaussiedlungen mit einer Viel -<br />

zahl von Häusern ungefähr gleichen Al ters<br />

oder auch in großen Wohnhausanlagen wie<br />

den Gemeindebauten in „Hirschstet ten“,<br />

war die Bevölkerungszusammen set zung<br />

bisher relativ homogen, das heißt, fast alle<br />

BewohnerInnen sind gleichzeitig eingezogen<br />

und gemeinsam gealtert. In solchen Ge -<br />

bieten kommt es früher oder später zu ei -<br />

nem Generationenwechsel, der bei den verbliebenen<br />

ursprünglichen BewohnerInnen<br />

Ängste und Unsicherheit hervorruft.<br />

„drehmoment“ im Weinviertel:<br />

Vorhang auf für 78 Kulturprojekte beim<br />

„Viertelfestival NÖ – Weinviertel 2009“!<br />

Im Jahr 2009 macht das Viertelfestival Niederösterreich vom 15. Mai bis 13. September im<br />

Weinviertel Station. Unter dem Motto „drehmoment“ werden 78 Projekte umgesetzt, die sich<br />

künstlerisch mit den Besonderheiten der Region befassen.<br />

Die Bandbreite reicht von der Uraufführung einer Symphonie von Hermann Nitsch über<br />

„Mariannes Erdäpfelgatsch“, dem „1. Weinviertler Jammercontest“ und der Neuinter pre ta tion<br />

alter Heldenporträts bis zu elektroakustischen Vogelabwehrsystemen und einem „Piefke“-<br />

Denkmal. Der bildende Künstler Rainer Prohaska ließ sich von Spielzeugbau kastensystemen<br />

zu seinem Architekturprojekt „Toy-Kit-Architecture“ inspirieren. Das Janus-Ensemble interpretiert<br />

Werner Zangerles „Brünnerstrassler Rotorenluftmusik“ mit Musiker, Komponist und<br />

Band leader Christoph Cech <strong>als</strong> Dirigent. Einige Projekte werden gemeinsam mit Partnern aus<br />

Tschechien und der Slowakei umgesetzt.<br />

Programm- & Schulprogramm-Broschüre erhältlich bei:<br />

Viertelfestival Niederösterreich, Mag. Stephan Gartner (Geschäftsführung).<br />

Astrid Hofmann (Assistenz). Wiedenstraße 2, 2130 Mistelbach, Tel: 02572/34 234-0<br />

mailto: office@viertelfestival-noe.at, www.viertelfestival-noe.at<br />

Das Viertelfestival NÖ ist ein Projekt der: Kulturvernetzung NÖ


52 Tatjana Fischer<br />

Annahme 7: In Abhängigkeit vom Lebens -<br />

alter ergeben sich verschiedene Nutzungs -<br />

an sprüche, welche ihre Entsprechung in der<br />

physischen Gestalt des Raumes suchen.<br />

Viele der Befragten haben angemerkt, aufgrund<br />

ihres Alters bzw. ihres schlechteren<br />

Gesundheitszustandes nun andere Ansprü -<br />

che an die Naherholung zu stellen. Bei -<br />

spiels weise wird die Nähe der Einrich tun -<br />

gen oder das Vorhandensein von genügend<br />

Bänken sowie gut gepflegten Wegen <strong>als</strong><br />

sehr wichtig für die Nutzbarkeit der Gebiete<br />

genannt. Auch ein zu steiles Gelände oder<br />

die schlechte Erreichbarkeit mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln erschweren bzw. verhindern<br />

oft die Nutzbarkeit.<br />

Annahme 8: Kurze Wege spielen in Lebens -<br />

phasen und -situationen, in denen die<br />

Raum tüchtigkeit (Fähigkeit, Räume zu<br />

erschließen) abnimmt bzw. gering ist, eine<br />

größere Rolle. Mit zunehmendem Alter<br />

nimmt die Geschwindigkeit, mit der Dis -<br />

tanzen zurückgelegt werden, und die Länge<br />

von zurückgelegten Distanzen ab.<br />

Die abnehmende Raumsouveränität er -<br />

schwert eine selbständige Nutzung aller Ver -<br />

kehrsmittel. Körperliche oder geistige Ein -<br />

schränkungen können zum Verlust der Auto -<br />

mobilität führen. Physische Gebrechen er -<br />

schweren Wege, die zu Fuß zurückgelegt<br />

wer den, ebenso wie den Zugang zu öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln oder das Radfahren.<br />

Be troffene Personen sind gezwungen, ihre<br />

Mobilitätsgewohnheiten zu ändern. Diese<br />

Personen sind hinsichtlich ihrer Zielwahl<br />

und/oder ihrer Verkehrsmittelwahl nicht frei.<br />

Es wurde aufgezeigt, dass räumliche Nä he<br />

bzw. ein adäquates öffentliches Ver kehrs an -<br />

gebot für jene Personen besonders wichtig ist,<br />

die physisch nicht (mehr) in der Lage sind,<br />

längere Strecken selbständig zu bewältigen.<br />

In Teilen des Wiener Stadtgebietes besteht<br />

bereits eine „Stadt der kurzen Wege“. Wei -<br />

tere Bemühungen in diese Richtung sind zu<br />

forcieren. In allen übrigen Stadtteilen kann<br />

durch baulich-räumliche Integration und<br />

behutsame Nachverdichtung eine sichere<br />

Grundlage für eine zeitgemäße und zu -<br />

kunfts fähige Nahversorgungs- und Nah -<br />

erho lungsstruktur gewährleistet werden. So -<br />

wohl für die Stadtplanung <strong>als</strong> auch für die<br />

Wiener Stadtpolitik sind die Gestalt(ung)<br />

des physischen Raumes mit seinen infrastrukturellen<br />

Gelegenheiten, die Sicherung<br />

der Mobilität mittels leistungsfähigem<br />

öffentlichem Verkehr, die Gestaltung der im<br />

Stadtraum laufenden Nutzungsprozesse,<br />

sowie die Mobilisierung der Menschen verbunden<br />

mit einer profunden Bewusstseins -<br />

bildung hinsichtlich eines adäquaten Raum -<br />

verhaltens sowie die Schaffung entsprechender<br />

normativ-institutioneller Rahmen be din -<br />

gungen <strong>als</strong> Handlungsspielräume zu nennen.<br />

LITERATUR<br />

Voigt, Andreas/Egartner, Sigrid/Fischer,<br />

Tatjana/Maisser, Maria/Meth, Dagmar/<br />

Stein bichler, Markus/Wächter, Petra (2008):<br />

Stadt der kurzen Wege aus <strong>ökosoziale</strong>r Sicht<br />

– Nahversorgung und Naherholung in Wien<br />

vor dem Hintergrund der Alterung. For -<br />

schungs bericht. <strong>Ökosoziales</strong> <strong>Forum</strong> Wien.<br />

Wien 2008.<br />

Mag. Dr. Tatjana Fischer, Institut für Raum -<br />

planung und Ländliche Neuordnung, Uni -<br />

versität für Bodenkultur Wien, Wien.

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