Der Sparkommissar - beim Theater Oberhausen
Der Sparkommissar - beim Theater Oberhausen
Der Sparkommissar - beim Theater Oberhausen
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Deutschsprachige Erstaufführung<br />
<strong>Der</strong><br />
<strong>Sparkommissar</strong><br />
Roddy Doyle<br />
nach Nikolaj Gogol
Michael Witte<br />
Michael Witte, Marek Jera, Eike Weinreich, Martin Hohner,<br />
Anja Schweitzer, Torsten Bauer<br />
Chlestakow, der Fremde in uns<br />
„<strong>Der</strong> Revisor ist aufgeführt,“ schreibt der Schriftsteller Nikolaj Gogol nach<br />
der Uraufführung im Alexandertheater in Sankt Petersburg am 19. April<br />
1836 und wendet sich anschließend seiner Hauptfigur zu: „Aber wer ist<br />
denn, wenn man es genau betrachtet, Chlestakow eigentlich?“ Diese Figur<br />
hatte Gogols Stück den Titel gegeben: Als fremder Durchreisender wird<br />
Chlestakow in einer Provinzstadt mit einem Revisor verwechselt und versetzt<br />
damit die Verwaltungsbeamten in Angst und Schrecken. Noch bevor<br />
Chlestakow entlarvt wird, ist er schon über alle Berge. Den Plot seiner<br />
Komödie hatte Gogol nur bedingt erfunden, im russischen Zarenreich kam<br />
es nicht selten vor, dass jemand für eine höhere Persönlichkeit gehalten<br />
wurde, was mit der verschärften Kontrolle der provinziellen Verwaltungsorgane<br />
unter Nikolaus I. zusammenhing. „Chlestakow ist ein junger Mann,<br />
ein Beamter und ein sogenannter Hohlkopf, der aber viele Eigenschaften von<br />
Menschen besitzt, die die Gesellschaft durchaus nicht als Hohlköpfe bezeichnet,“<br />
schreibt Gogol weiter in seinem Brief. „Manch gewandter Gardeoffizier<br />
entpuppt sich zuweilen als ein Chlestakow, mancher Staatsmann<br />
und auch unsereins, ein Schriftsteller, entpuppt sich mitunter als ein<br />
Marek Jera<br />
Anna Polke<br />
Chlestakow. Mit einem Wort, kaum einer wird nicht wenigstens einmal im<br />
Leben ein Chlestakow gewesen sein; es ist nur so, dass sich hinterher jeder<br />
geschickt herauswindet, als wäre er es nicht gewesen.“ 175 Jahre später<br />
entdeckt der irische Schriftsteller Roddy Doyle den russischen Klassiker<br />
wieder und adaptiert ihn für das Abbey Theatre in Dublin unter dem Titel<br />
The Government Inspector. Er behält den Plot und die russischen Namen<br />
bei, modernisiert die Figurenrede und platziert hier und da aktuelle Anspielungen:<br />
„Ich saß gerade an der zweiten Überarbeitung des Textes, als sich<br />
der Internationale Währungsfonds Irlands Finanzwesen zur Brust nahm.<br />
Das waren schlechte Nachrichten für unser Land, aber große Neuigkeiten<br />
für einen Schriftsteller. Ich war nicht scharf darauf, den IWF in das Stück zu<br />
bekommen, das hätte wahrscheinlich zu einem Desaster geführt, aber vor<br />
dem Hintergrund dieser finanziellen Krisenlage in Irland bekam das Stück<br />
eine ganz neue Dimension: Chlestakow hörte auf, irgendein Fremder von der<br />
Straße zu sein, er wurde zu einer abgekarteten, betrügerischen Macht, bei<br />
der man fürchten musste, dass sie dazu in der Lage war, alles dicht zu machen.“<br />
Anfang 2012 dann sah der <strong>Oberhausen</strong>er Intendant Peter Carp die Urauffüh
Angela Falkenhan<br />
rung des Stücks von Roddy Doyle in Dublin und war – wie das irische Publikum<br />
– begeistert. Die Parallelen zur finanziellen Krisenlage <strong>Oberhausen</strong>s<br />
waren für Carp nicht zu übersehen: „<strong>Der</strong> Titel ist das Wort, das ich hier in<br />
<strong>Oberhausen</strong> als erstes lernte: <strong>Sparkommissar</strong>.“ So inszeniert er zur Eröffnung<br />
der Spielzeit 2012/13 die deutschsprachige Erstaufführung dieser Komödienbearbeitung<br />
unter dem Titel <strong>Der</strong> <strong>Sparkommissar</strong>. Dabei verlegt er das Stück<br />
in einen realistischen, wenn auch überzeitlichen Ratssaal und orientiert die<br />
Kostüme der Figuren am Stil der 1960er Jahre. Er rückt eine um sich selbst<br />
kreisende Verwaltung und ihre Vetternwirtschaft in den Mittelpunkt, deren<br />
Akteure sich immer nur selbst bedienen. Aus den Erschütterungen, die der<br />
Fremde und angebliche <strong>Sparkommissar</strong> hervorruft, ziehen sie keine Konsequenzen<br />
für eine Neuorientierung der Gesellschaft und ihrer politischen<br />
Führung. Im Versuch, die heimlichen Machenschaften und Missstände zu<br />
verbergen, demaskiert sich der Bürgermeister und sein System, d.h. eine<br />
Welt, die ausschließlich dem Geld und der Karriere frönt und in der jeder ein<br />
Doppelgesicht trägt. Und Chlestakow? In der Welt der Bürokratie, als kleiner<br />
Büroangestellter, ist er gescheitert. Dennoch fordert er einen Lebensstil<br />
Torsten Bauer, Elisabeth Kopp<br />
Torsten Bauer, Hartmut Stanke,<br />
Martin Müller-Reisinger, Anja Schweitzer<br />
Eike Weinreich, Martin Hohner<br />
über das Maß hinaus. Narzisstisch ist er. Und bargeldlos. Am Anfang weiß<br />
er gar nicht wie ihm geschieht. Hatte der Gastwirt nicht gedroht, ihn ins<br />
Gefängnis zu bringen, aufgrund der vielen unbezahlten Rechnungen? Jetzt<br />
lädt man ihn auf einmal in die Bürgermeister villa, serviert den besten Wein.<br />
Und weil auch Chlestakows Angriffspiel vor dem Bürgermeister eigentlich<br />
nur seiner Verteidigung dient, sich dann aber in wilde Hochstapelei versteigt,<br />
nimmt die Verwechslungskomödie ihren Lauf … Als redeeifriger Hochstapler<br />
wird Chlestakow erst enttarnt, als er schon, die Taschen voll Geld, wieder<br />
abgereist ist. Seine Kunst der Hoch stapelei gelingt. Ungefragt werden seine<br />
Geschichten, auch die absurdesten, geglaubt. Wie hatte Gogol in seinem<br />
Brief über Chlestakow geschrieben? „Chlestakow ist ein Hohlkopf, der aber<br />
viele Eigenschaften von Menschen besitzt, die die Gesellschaft durchaus<br />
nicht als Hohlköpfe bezeichnet.“ Solange wir die Scheinwelt akzeptieren,<br />
wird sich auch im Zustand der größten Krise und Bedrohtheit nichts ändern.<br />
Vielleicht trifft diese Kritik uns heute auch gerade deshalb, weil, wie Gogol<br />
schreibt, in uns allen ein Chlestakow steckt.<br />
Hannah Schwegler
Deutschsprachige Erstaufführung<br />
Roddy Doyle nach Nikolaj Gogol<br />
<strong>Der</strong> <strong>Sparkommissar</strong><br />
Deutsch von Bettina Arlt<br />
Mit Angela Falkenhan (Maria Antonowna, Tochter des Bürgermeisters),<br />
Elisabeth Kopp (Anna Andrejewna, Frau des Bürgermeisters), Anna Polke<br />
(Mischina, Freundin des Hauses), Anja Schweitzer (Bobtschinskij) /<br />
Torsten Bauer (Bürgermeister), Martin Hohner (Chlestakow, aus der<br />
Hauptstadt), Marek Jera (Dezernent für Bildung), Henry Meyer (Dezernent<br />
für Recht), Martin Müller-Reisinger (Dobtschinskij), Hartmut Stanke<br />
(Dezernent für Kommunikation), Eike Weinreich (Osip, aus der Hauptstadt),<br />
Michael Witte (Dezernent für Gesundheit)<br />
Regie Peter Carp Bühne Kaspar Zwimpfer Kostüme Gabriele Rupprecht<br />
Dramaturgie Hannah Schwegler Regieassistenz Judith Weißenborn<br />
Bühnenbildassistenz Caroline Forisch Kostümassistenz Ines Koehler<br />
Licht Stefan Meik Ton Kevin Berlauwt, Heiko Jooß Bühnenmeister<br />
Gunther Elsasser Maske Thomas Müller Requisite Hermann Schulz<br />
Soufflage Markus Henkel Inspizienz Uta Neubert<br />
Aufführungsrechte S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt/Main<br />
Premiere 21. September 2012 im Großen Haus<br />
Dauer 2 Stunden 10 Minuten. Eine Pause<br />
<strong>Theater</strong> <strong>Oberhausen</strong><br />
Spielzeit 12/13, Nr. 1<br />
Will-Quadflieg-Platz 1<br />
46045 <strong>Oberhausen</strong><br />
Telefon 0208/85 78 - 184<br />
Telefax 0208/800 703<br />
besucherbuero@theater-oberhausen.de<br />
Intendant Peter Carp<br />
Redaktion Hannah Schwegler<br />
Design Benning, Gluth & Partner, <strong>Oberhausen</strong><br />
Probenfotos Axel J. Scherer<br />
Druck Walter Perspektiven<br />
www.theater- oberhausen.de<br />
Henry Meyer