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PDF-Download - Bayerische Staatsoper

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UNFREI<br />

frei<br />

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P<br />

E<br />

R<br />

№<br />

1<br />

2010<br />

2011<br />

D: 4,50 Euro A: 4,70 Euro CH: 8,40 CHF<br />

MAX JOSEPH<br />

unfrei frei<br />

P–R–E–M–I–E–R–E–N<br />

RUSALKA<br />

Wassermythen<br />

FIDELIO und<br />

der Fall<br />

Betancourt<br />

Kent Nagano<br />

und<br />

Ivan Liška<br />

über<br />

R<br />

A<br />

V<br />

E<br />

L<br />

PRIVATVERGNÜGEN<br />

Was gehört in die Öffentlichkeit, was nicht?<br />

BAYERISCHE<br />

STAATSOPER<br />

HERIBERT PRANTL über Orwell und Orwellness


Unfrei frei<br />

Unfrei oder frei? Unfrei und doch frei? In Freiheit, aber<br />

unfrei? Welches Attribut bedingt hier das jeweils andere?<br />

Mit diesem Begriffspaar werden wir in dieser<br />

Spielzeit Bilder und Bedeutungen von Freiheit erkunden<br />

– auf der Bühne des Nationaltheaters ebenso<br />

wie in jeder Aus gabe von MAX JOSEPH.<br />

Freiheit. Ein Zustand, der sehnsüchtig erträumt<br />

wird. Oder errungen. Oder genossen. Durchaus<br />

auch gefürchtet. Seit den ersten neuzeitlichen Verfassungen<br />

ein verbrieftes und einklagbares Grundrecht.<br />

Ein Idealzustand – so groß tönend wie komplex: Wie<br />

misst man den Grad an Freiheit, in welchen Gefühlen<br />

drückt sich ihre Gegenwart aus? Wird Freiheit heute<br />

verdächtig nah an einen individuellen Hedonismus gerückt<br />

– und weshalb?<br />

Was die eigene Freiheit garantiert, kann die<br />

Freiheit eines anderen einschränken. Das macht den<br />

Begriff so paradox sozial: Das Recht eines Einzelnen<br />

gewinnt erst in Gesellschaft Kontur und manifestiert<br />

sich in den Beziehungen zueinander. In der brisanten<br />

Zone, in der<br />

P<br />

R<br />

I<br />

V<br />

A<br />

t<br />

E<br />

S<br />

und Öffentliches aufeinanderstoßen, bewegt sich die se<br />

Ausgabe von MAX JOSEPH. Das Private kann ein<br />

Schutzraum sein, der vor dem äußeren Zugriff verteidigt<br />

werden muss – dazu gehören die unlängst wieder<br />

aufgekommenen Diskussionen über Bürgerrechte und<br />

Datenschutz. Doch gerade im Privaten, in Liebesbeziehungen<br />

oder in der Familie, können Verstrickungen die<br />

Freiheit einengen. Dann wird aus Geborgenheit Gefangenschaft.<br />

Die titelfigur unserer ersten Neuproduk tion<br />

dieser Spielzeit, Antonín Dvořáks Oper „Rusalka“, empfindet<br />

das Leben, in das sie als Wasserwesen hineingeboren<br />

wurde, als Gefängnis. Freiheit heißt, wählen zu<br />

können. Rusalka wählt den Ausbruch. Doch ihre Grenzüberschreitung<br />

ist an neue Bedingungen und Gebote<br />

geknüpft.<br />

Kann das private Glück, die „Lust, in freier<br />

Luft, den Atem leicht zu heben“, nur erfahren werden,<br />

wenn die Freiheit aller erreicht wird? Ist nicht die<br />

persönliche Freiheit geknüpft an die Verantwortung für<br />

alle? Was bei Beethoven hieße: Das Glück der liebenden<br />

Gatten Florestan und Leonore müsse aufgehen in einer<br />

grenzenlosen, sämtliche Probleme aufhebenden Freiheit<br />

für alle. Um diese atemberaubende Utopie kreist<br />

seine Oper „Fidelio“, auf deren Neuproduktion wir einen<br />

ersten Ausblick geben.<br />

E d i t o r i a l n i k o l a u s b a c h l E r<br />

0<br />

1<br />

In Deutschland ist die Freiheit der Kunst verfassungsmäßig<br />

garantiert. Alles, auch Unbequemes und<br />

Verstörendes, muss durch sie ausgedrückt werden können.<br />

In einer Reformgesellschaft wie Ungarn berühr ­<br />

ten viele künstlerische Arbeiten der letzten Jahre nach<br />

dem Ende des Kommunismus schmerz liche, lange verdrängte<br />

tabus. In einem Staat, der einst Homogenität<br />

verordnete, gewinnen als Reaktion auf neue Unsicherheiten<br />

befremdend nationale Selbstinsze nierungen Zustimmung,<br />

ja Zulauf. In dieser Ausgabe erkunden wir,<br />

wie politischer Druck beginnt, vor unse ren Augen auf<br />

Künstler Einfluss zu nehmen, noch ehe sich eine öffentliche<br />

Diskussion an ihren Arbeiten ent zünden kann.<br />

trotz des hohen Stellenwertes von Kunst ist<br />

der Lebensentwurf des in völliger<br />

F<br />

R<br />

E<br />

I<br />

H<br />

E<br />

I<br />

t<br />

lebenden Künstlers bis heute eine romantische Verklärung<br />

geblieben. Auch in einer demokratischen Gesellschaft<br />

stößt er an Grenzen – so Moritz Gagern, selbst<br />

Komponist, über seine Lage im Biotop der Neuen<br />

Musik zwischen Originalitätszwang, authentischem<br />

Ausdrucksdrang, Abhängigkeit vom Publikum und<br />

pekuniä rem Überlebenskampf. Er blickt dabei auf die<br />

Komponisten Ludwig van Beethoven und Sofia Gubaidulina,<br />

die unter ganz anderen Zwängen eigene Wege<br />

zur Freiheit ihrer Kunst fanden.<br />

Die Freiheit, Grenzen auszureizen, ist auch<br />

Grundvoraussetzung unserer Arbeit an den Werken<br />

des Opernrepertoires. Dass dies auch auf erregten<br />

Widerspruch stoßen kann, erleben wir immer wieder.<br />

Freiheit muss ausgehalten werden. Zur freien Meinungsäußerung<br />

gehört das offene Ohr für die Reak ­<br />

tion des Gegenübers. In einer neuen Rubrik will ich<br />

mit Antworten auf Zuschauerbriefe diesem Austausch<br />

Raum geben, beginnend mit „Don Giovanni“, dem<br />

Auf reger der letzten Spielzeit. Dass die nun beginnende<br />

Spielzeit für Sie als Zuschauer wie auch unser<br />

Ensemble und unsere Gäste aufregend und beflügelnd<br />

wirken und neue Gedanken freisetzen möge, wünsche<br />

ich mir von ganzem Herzen.


Fotografi e Gail Albert Halaban<br />

№ 1<br />

01<br />

EDITORIAL<br />

Unfrei frei<br />

von Nikolaus Bachler<br />

06<br />

IN DIESER AUSGABE<br />

Autoren und Künstler,<br />

die MAX JOSEPH gestaltet haben<br />

09<br />

ILLUSTRATION<br />

Vorhang! von Moussa Kone<br />

10<br />

BILD – TEXT<br />

Johan Simons (Kammerspiele)<br />

über ein Foto von Jeff Wall<br />

12<br />

E<br />

S<br />

S<br />

A<br />

Y<br />

VON HERIBERT PRANTL<br />

Orwell und Orwellness.<br />

Vom staatlichen Schnüff elwahn<br />

zum alltäglichen Internet-Narzissmus<br />

1<br />

8<br />

TODBRINGENDE SEHNSUCHT<br />

Der Mythos der Wasserwesen<br />

P‒R‒E‒M<br />

I‒E‒R<br />

I N H A L T<br />

2<br />

2<br />

„ICH WUSSTE: DAS IST ES“<br />

Die Sopranistin Krístīne Opolaís<br />

über die Titelrolle<br />

in Rusalka<br />

PREMIERE<br />

26<br />

WIE CLAUDE CHABROL<br />

DEN TERROR<br />

DER INTIMITÄT INSZENIERTE<br />

Bemerkungen von Nachgeborenen<br />

30<br />

Die Freiheit,<br />

verrückt zu sein<br />

YAYOI KUSAMA<br />

Pop-Art-Künstlerin und Psychiatrie-Insassin<br />

Fotografi e Sigrid Reinichs<br />

Lebenswerk Freiheit: Yayoi Kusama


Copyright: Getty Images<br />

3<br />

6<br />

„ES IST UNSERE WELT,<br />

DIE FIDELIO BESCHREIBT“<br />

Franz-Josef Selig über<br />

den Mitläufer Rocco<br />

P–R–E–M–I–E–R–E<br />

40<br />

FIDELIO LEBT<br />

Wie Juan Carlos Lecompte<br />

um die Freiheit seiner Frau Ingrid Betancourt<br />

kämpfte, siegte – und verlor<br />

Premiere<br />

44<br />

FREIE MARKTWIRTSCHAFT<br />

Komponist Moritz Gagern<br />

über Macht und Kunst<br />

seit Ludwig van Beethoven<br />

48<br />

OPERN‒COMIC<br />

Die Entführung aus dem Serail,<br />

gezeichnet von Almuth Ertl<br />

5<br />

8<br />

RAVEL MON AMOUR<br />

Kent Nagano und Ivan Liška über ihren<br />

Ravel-Abend mit dem <strong>Bayerische</strong>n Staatsballett<br />

P–R–E–M–I–E–R–E<br />

M A X J O S E P H<br />

64<br />

RECHTSRUCK IN UNGARN<br />

Was wird aus der künstlerischen Freiheit?<br />

Ein Rundruf<br />

70<br />

PORTFOLIO VON CAROL K. BROWN<br />

Home Décor<br />

81<br />

A<br />

G E<br />

N D A<br />

82<br />

Nuno Miguel Wong,<br />

der Gewinner des Videowettbewerbs<br />

Toscapiraten<br />

86<br />

KULTURTIPPS<br />

aus der Oper<br />

89<br />

MEINUNGSAUSTAUSCH<br />

Staatsintendant Nikolaus Bachler<br />

beantwortet Post zu Don Giovanni<br />

90<br />

SPIELPLAN<br />

94<br />

KURZPORTRÄT<br />

Die Kolumbianerin Maria Arango schuf<br />

die Illustrationen in der Jahresvorschau 2010/2011<br />

96<br />

VORSCHAU<br />

Home Décor: Eating - 2, Carol K. Brown


KULTUR<br />

VERBINDET.


Als eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen wissen<br />

wir: Technik, Erfahrung und Präzision sind die Voraussetzung für höchste<br />

Qualität. So auch in der Musik. Wir freuen uns, die <strong>Bayerische</strong> <strong>Staatsoper</strong><br />

als Spielzeitpartner zu begleiten. Wir teilen den Anspruch, kontinuierlich<br />

neue Maßstäbe zu setzen. Ob musikalisch oder technologisch – hinter jeder<br />

hervorragenden Leistung stehen Menschen mit Ambition.


Heribert Prantl<br />

1<br />

2<br />

Der Juraprofessor und<br />

Leitartikler der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ liebt<br />

die Musik seines oberpfälzischen<br />

Landsmanns<br />

Christoph Willibald<br />

Gluck. Wenn er die hört,<br />

legt er Romane, Thriller<br />

und sogar die „Süddeutsche<br />

Zeitung“ beiseite.<br />

Manchmal fährt er auch<br />

nach Bayreuth. Und er<br />

schreibt an einem Buch<br />

darüber, was Heimat in<br />

der globalisierten Welt<br />

bedeutet.<br />

Adam Leech<br />

4<br />

4<br />

Der amerikanische Maler<br />

und Videokünstler lebt<br />

und arbeitet in Brüssel.<br />

Von der Genter Galerie<br />

Hoet Bekaert vertreten,<br />

hat er seine Arbeiten<br />

zuletzt bei der Biennale<br />

von Tirana und im Moderna<br />

Museet von Malmö<br />

gezeigt. Seine Bilder<br />

finden Sie aber auch in<br />

dieser Ausgabe, nämlich<br />

als Visualisierung des<br />

Texts „Der freischaffende<br />

Kompromiss“.<br />

c o n t r i b u t o r s<br />

Almuth Ertl<br />

4<br />

8<br />

Die Münchnerin hat nach<br />

ihrem Grafikstudium<br />

an der HAW Hamburg<br />

neben der Fläche nun<br />

auch den Raum als künstlerisches<br />

Wirkungsfeld<br />

entdeckt, auf den sie mit<br />

objekten und Installationen<br />

Bezug nimmt. Seit<br />

2004 ist sie an „Spring“,<br />

dem unabhängigen Comic-<br />

Magazin, beteiligt. Für<br />

MAx JoSEpH hat sie die<br />

Charaktere der Mozartoper<br />

„Die Entführung<br />

aus dem Serail“ unter die<br />

Lupe genommen, deren<br />

verborgene Seiten sie in<br />

kleinen, reduzierten<br />

Gesten sichtbar macht.<br />

Moritz Gagern<br />

4<br />

4<br />

Der in Berlin lebende<br />

philosoph und Komponist<br />

veröffentlichte in diesem<br />

Jahr die Songoper<br />

„Lovesick“ und im Festspielhaus<br />

Hellerau das<br />

„Konzert für 50 Windgongs<br />

und kleines Ensemble“.<br />

Zurzeit recherchiert er für<br />

sein nächstes Werk in<br />

Venedig. Sein Essay zur<br />

Rolle des Komponisten<br />

beginnt auf S. 44.<br />

0<br />

Martin Pollack<br />

1<br />

8<br />

Bis 1998 als Redakteur<br />

des „Spiegel“ in Wien und<br />

Warschau tätig, ist der<br />

Österreicher auch als<br />

Übersetzer von Ryszard<br />

Kapuściński bekannt. In<br />

seinen Reportagen und<br />

Essays dringt er tief in die<br />

osteuropäische Geschichte<br />

und Befindlichkeit ein,<br />

lieferte zuletzt im September<br />

2010 mit seinem Buch<br />

„Kaiser von Amerika. Die<br />

große Flucht aus Galizien“<br />

opulente Historientableaus<br />

in Reportageform.<br />

In MAx JoSEpH hat er<br />

sich mit dem Mythos<br />

slawischer Wassergeister<br />

beschäftigt.<br />

Moussa Kone<br />

0<br />

9<br />

Der Absolvent der Wiener<br />

Universität für angewandte<br />

Kunst widmet sich<br />

in seinem zeichnerischen<br />

Werk mit Vorliebe den<br />

„Momenten auf der Kippe“,<br />

den Untiefen zwischen<br />

Schwarz und Weiß.<br />

Eine Art Bilderrätsel<br />

ist auch seine Illustration<br />

„Vorhang!“ (S. 9), deren<br />

nicht zu Ende geführte<br />

Konstruktion offen bleibt<br />

für allerlei Interpretationen.<br />

6<br />

i m p r e s s u m<br />

MAx JoSEpH<br />

Magazin der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />

www.staatsoper.de/maxjoseph<br />

Max-Joseph-platz 2 / 80539 München<br />

T 089 – 21 85 10 20 /<br />

F 089 – 21 85 10 23 /<br />

www.staatsoper.de<br />

E-Mail<br />

maxjoseph@st-oper.bayern.de<br />

HErausgEbEr<br />

Staatsintendant Nikolaus Bachler<br />

(V.i.s.d.P.)<br />

CHEfrEdaktion<br />

Anne Urbauer<br />

koordination<br />

Christoph Koch, Barbara Kämpf<br />

rEdaktion<br />

Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek,<br />

olaf A. Schmitt, Andrea Schönhofer,<br />

Bettina Wagner-Bergelt<br />

bildrEdaktion<br />

Yvonne Gebauer, Julia Schmitt<br />

rEdaktionEllE MitarbEit<br />

Simone Herrmann, Lucas Koch<br />

autorEn<br />

oswald Beaujean, Johannes Dengler,<br />

Harold Faltermeyer, Moritz Gagern,<br />

Roland Hagenberg, Miron Hakenbeck,<br />

Simone Herrmann, Andreas Kilb, Maurice<br />

Lausberg, Klaus Lemke, Thomas Mayr,<br />

Tobias Neumann, Brigitte paulino-Neto,<br />

Martin pollack, Heribert prantl, olaf A.<br />

Schmitt, Benedikt Schobel, Georg Seeßlen,<br />

Dr. petra Thorbrietz, Margit Uber<br />

fotografEn & illustratorEn<br />

Katia Bourdarel (mit bestem Dank<br />

an Galerie Sollertis), Carol K. Brown,<br />

Almuth Ertl, Gail Albert Halaban,<br />

Roland Hagenberg, Jutta Hellgrewe,<br />

Moussa Kone, Yayoi Kusama (mit bestem<br />

Dank an Studio Yayoi Kusama),<br />

Adam Leech, Sigrid Reinichs, Klaus Rózsa,<br />

oliver Spies, Kuba Świetlik, Thomas Traum,<br />

Jeff Wall, Nuno Miguel Wong<br />

ÜbErsEtzung<br />

Florian Heurich<br />

MarkEting<br />

Laura Schieferle<br />

T 089 – 21 85 10 27/<br />

F 089 – 21 85 10 33 /<br />

marketing@st-oper.bayern.de<br />

sCHlussrEdaktion<br />

Dr. Edith Konradt<br />

art dirEktion & dEsign<br />

Bureau Mirko Borsche<br />

Mirko Borsche, Johannes von Gross,<br />

Samuel Bänziger,<br />

Daniel Schnitterbaum, David Benski<br />

VErlag<br />

HoffMann und CaMPE VErlag gMbH,<br />

ein Unternehmen der<br />

ganskE VErlagsgruPPE<br />

Harvestehuder Weg 42 / 20149 Hamburg<br />

T 040 – 44 18 84 57 /<br />

F 040 – 44 18 82 36 /<br />

cp@hoca.de<br />

www.hocacp.de<br />

anzEigEnlEitung<br />

<strong>Bayerische</strong> <strong>Staatsoper</strong>: Dr. Imogen Lenhart<br />

T 089 – 21 85 10 06/<br />

anzeigen@st-oper.bayern.de<br />

Verlag: Doris Bielstein<br />

T 040 – 27 17 20 95/<br />

doris.bielstein@jalag.de<br />

Vertrieb Zeitschriftenhandel<br />

premium Sales Germany GmbH<br />

poßmoorweg 2–6<br />

22301 Hamburg<br />

T 040 – 27 17 23 43<br />

litHografiE<br />

MxM Digital Service, München<br />

druCk<br />

Gotteswinter, München<br />

issn<br />

1867-3260<br />

Nachdruck nur nach<br />

vorheriger Einwilligung.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Martin pollack, Copyright: Katarzyna Dzidt, paul Zsolnay Verlag, Wien<br />

Photos © Wilfried Hösl


Erleben Sie die die schönsten Aufführungen der <strong>Bayerische</strong>n<br />

<strong>Staatsoper</strong> und weitere erstklassige Opernaufführungen und<br />

Konzerte aus der ganzen Welt auf CLASSICA, dem Fernsehsender<br />

für klassische Musik auf Sky und jetzt auch in High Defi nition<br />

und mit 5.1 Surround Sound auf CLASSICA HD.<br />

Informationen zu CLASSICA, CLASSICA HD<br />

sowie den DVD- und Blu-ray - Veröffentlichungen<br />

von UNITEL CLASSICA erhalten Sie unter:<br />

www.unitelclassica.com


dAvId<br />

C L A E R<br />

BOUT<br />

UNCERTAIN EYE<br />

01.10.2010 – 09.01.2011<br />

pINakothek der moderNe | müNcheN<br />

kINdergarteN aNtoNIo SaNt‘elIa, 1932 | 1998 | © davId claerbout


Moussa Kone: Vorhang!, Tusche auf Papier, 31 × 25 cm, 2010<br />

MOUSSA KONE<br />

VORHANG!<br />

Lust am Spiel mit Verrätselung: Wird die versteckte Figur im nächsten Moment zum Opfer, dem der Vorhang<br />

nur vermeintlich Schutz bietet? Oder ist es der Täter, der hier auf seinen Auftritt lauert?


Jeff Wall<br />

Boys cutting through a hedge<br />

2003<br />

Jeff Wall, Boys cutting through a hedge, 2003, transparency in lightbox, 204 x 260 cm, Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, Paris / New York


MUNCHNER FREIHEIT<br />

1<br />

1<br />

Johan SimonS,<br />

neuer Chef der münchner<br />

Kammerspiele, zu einem<br />

Bild, das ihn über<br />

Freiheit nachdenken lässt.<br />

Eindeutig kein träumerisch-<br />

paradiesisches Bild von einem<br />

Zustand der Freiheit: Zwei<br />

junge männer scheinen sich<br />

Zugang zu einem gepflegten<br />

Grundstück zu verschaffen.<br />

Brechen sie irgendwo aus oder<br />

dringen sie in eine private<br />

Zone ein? Freiheit muss oft<br />

erst erkämpft werden, sie ist<br />

kein naturzustand. manchmal<br />

kann man sie nur durch<br />

Gewalt erlangen. Der Grad<br />

an Freiheit ist auch eng<br />

gekoppelt an das ausmaß der<br />

sozialen Unterschiede und<br />

Chancen. Und gerade diese<br />

Un terschiede ha ben sich in<br />

den letzten Jahren auch<br />

inner halb Europas immens<br />

verschärft.<br />

Der niederländische Regisseur ist mit Beginn<br />

der Spielzeit 2010/11 neuer Intendant der<br />

Mün ch ner Kammerspiele, an denen er in den<br />

letzten Jah ren immer wieder inszeniert hat, so<br />

„Die zehn Ge bote“ und „Drei Farben: Blau,<br />

Weiß, Rot“ nach Krzysztof Kieslowskis Filmen<br />

sowie „Hiob“ nach Joseph Roths gleichnam igem<br />

Roman.<br />

Foto: LSD/Blievernicht


Orwell<br />

und<br />

Orwellness<br />

vOn<br />

Heribert Prantl


essay<br />

FotograF ie gail albert halaban<br />

vom staatlichen Schnüffelwahn zum alltäglichen internet-narzissmus:<br />

wie die daten-askese zur daten-ekstase wurde und<br />

die Privatsphäre aus der Mode kam.


Die geschichte vom Frosch ist sehr beliebt in Motivationsseminaren<br />

aller art. neuerdings hört man sie oft von bürgerrechtlern<br />

– verbunden mit der Frage, ob es uns „auf dem<br />

Weg in die Überwachungsgesellschaft“ nicht ähnlich erginge<br />

wie jenem Frosch. Wie also ergeht es dem Frosch?<br />

Die story ist ebenso schicksalsschwer wie drastisch: ein<br />

Frosch, den man in heißes Wasser wirft, springt sofort wieder<br />

heraus. setzt man ihn dagegen in einen topf mit kaltem<br />

Wasser, das man allmählich erwärmt, bleibt der Frosch<br />

drin. Zunächst mag ihm das Wasser, das wärmer wird, angenehm<br />

sein. Wird es aber weiter erhitzt, erlahmen die Kräfte<br />

des Frosches. er bleibt sitzen und kommt zu tode. Was die<br />

geschichte besagt? Die gesellschaft solle es nicht zulassen,<br />

dass der staat die temperatur erhöht, also die Kontrolle<br />

seiner bürger immer weiter verstärkt.<br />

telefonüberwachung, rasterfahndung, lauschangriff – seit<br />

dem 11. september 2001 ist das, was es schon an staat -<br />

licher Übe rwachung gab, rasant ausgebaut worden. Viele<br />

neue Maß nahmen kamen dazu: die ortung von Personen<br />

durch gPs, der staatliche Zugriff auf bankkonten, die<br />

geheime Durchsuchung privater Computer, die langfristige<br />

speicherung aller elektronischen spuren des telekommunikationsverkehrs,<br />

Videoüberwachung. es wurden Personenkennziffern<br />

verteilt und es wird veranlasst, dass die Menschen<br />

durch biometrische Fingerabdrücke und digitalisierte<br />

Konterfeis in den ausweisen besser identifizierbar sind.<br />

nun soll dem bundeskriminalamt die erlaubnis zum spähangriff<br />

in Privatwohnungen erteilt werden – zu Zwecken<br />

essay<br />

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s<br />

4<br />

der Präv ention. Die berufsgeheimnisse der rechtsanwälte,<br />

straf verteidiger, Ärzte und Journalisten bleiben zwar formell<br />

in Kraft, die neuen Überwachungsmethoden nehmen<br />

aber darauf keine rücksicht.<br />

Peter schaar, der bundesdatenschutzbeauftragte, stellt fest,<br />

dass die Überwachung des bürgers „drastisch zugenommen“<br />

habe, und konstatiert „das ende der Privatsphäre“.<br />

in der tat: Die ermittlungsmethoden, von deren einsatz<br />

die betroffenen nichts wissen, haben massiv zugenommen.<br />

es besteht die gefahr, dass der bürger zum bloßen ausforschungsobjekt<br />

wird. Die Politiker und die Praktiker der<br />

inneren sicherheit sind wenig schuldbewusst. sie verweisen<br />

neben der terrorgefahr auf den exhibitionismus der handy-<br />

und internet-gesellschaft: Die Menschen wollten offensichtlich<br />

gar nicht mehr unbeobachtet und unbelauscht sein.<br />

als Kay nehm generalbundesanwalt war, pflegte er bei Kla-<br />

gen über die zunehmenden telefonüberwachungen süffisant<br />

seine erlebnisse bei reisen mit der Deutschen bahn zu<br />

erzählen. eine gesellschaft, die ihre intimitäten öffentlich<br />

in die handys posaune, habe – das wollte er damit sagen –<br />

das Fernmeldegeheimnis aufgegeben. Man brauche sich also<br />

über die steigenden Zahlen von abhöraktionen gar nicht zu<br />

empören.<br />

„Dereliktion“ sagen die Juristen, wenn einer sein eigentum<br />

aufgibt – es wird dann zur herrenlosen sache. hat die<br />

gesellschaft also das Fernmeldegeheimnis, vielleicht gar den<br />

Datenschutz insgesamt, weggeworfen wie ein altes Fahrrad?<br />

es gibt einen alltäglichen Web 2.0- narzissmus. er ist kein


Unterschichtenphänomen, wie es die Krawallsendungen der<br />

Privatsender sind. Das Internet ist ein Entblößungsmedium<br />

auch der jungen gehobenen Mittelschichten geworden, die<br />

Schamschwelle ist schnell weggeklickt – auf Familienhomepages<br />

wird veröffentlicht, was früher im Fotoalbum klebte.<br />

In den sogenannten sozialen Netzwerken wie MySpace<br />

und Facebook, StudiVZ und SchülerVZ stehen persönliche<br />

Steckbriefe, dort schreiben Nutzer auf, was sie lieben und<br />

hassen, dort klagen sie lustvoll ihr Leid und offenbaren ihre<br />

politischen Einstellungen. Aus Orwell wird Orwellness.<br />

Aus der Daten-Askese von einst, die das Volkszählungsurteil<br />

und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

hervorgebracht hat, ist eine Daten-Ekstase geworden, eine<br />

Selbstverschleuderung aller nur denkbaren Persönlichkeitsdetails<br />

in Wort und Bild. Was der Staat selbst nach dem<br />

11. September 2001 nicht zu fragen und zu eruieren wagte – im<br />

Internet steht es im Schaufenster. Eine staatliche Rasterfahndung<br />

in den sozialen Netzwerken ist womöglich schon jetzt<br />

viel erfolgversprechender als eine in den Dateien der Behörden.<br />

Erst allmählich erwacht das Bewusstsein dafür, dass das<br />

Internet nichts vergisst. Bei Haustür-Geschäften gibt es<br />

bekanntlich den Widerruf, man kann das Zeitschriften-Abo,<br />

zu dem man sich überreden hat lassen, wieder stornieren.<br />

Ein Storno für Internet-Einträge gibt es nicht: einmal im<br />

Netz, immer im Netz. Das Bundeszentralregister und die<br />

Flensburger Verkehrssünderdatei sind gnädiger. Selbst<br />

wenn Internet-Nutzer Informationen über sich längst gelöscht<br />

haben – die legalen und illegalen Kopien kursieren.<br />

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Personalchefs berichten, dass Einträge in Google Karrieren<br />

zunichtegemacht haben. Mit der Privatsphäre im Netz ist es<br />

wie mit einem Ei: einmal angeschlagen, immer angeschlagen;<br />

einmal aufgeschlagen, immer aufgeschlagen.<br />

Muss der Staat also die Bürger vor sich selbst schützen? Der<br />

Staat sollte Garant der Privatsphäre sein, auch hier. Das<br />

bedeutet wiederum, dass er dort, wo er selbst als Sicherheitsstaat<br />

die Privatsphäre massiv gefährdet, sich zur Rechtfertigung<br />

und Entschuldigung nicht auf ein Fehlverhalten<br />

der Bürger berufen kann. Handy-Posaunisten und Internet-<br />

Exhibitionisten können nicht die Grundrechte für andere<br />

und schon gar nicht für die Gesellschaft insgesamt aufgeben.<br />

Der Sicherheitsstaat darf sich also nicht darauf berufen,<br />

dass die Bürger selbst ihre Privatsphäre aufgegeben hätten.<br />

Die Sensibilität, die es in der Web-Gemeinde bei Online-<br />

Eingriffen des Staats gibt, muss gegenüber den Selbstgefährdungen<br />

noch wachsen. Und damit ist man wieder beim<br />

Frosch-Beispiel: Nicht nur die Sicherheitsbehörden, auch<br />

Bürger selbst drehen den Temperaturregler hoch. Tierforscher<br />

halten freilich Trost bereit: Sie konnten im Experiment<br />

zeigen, dass der Frosch auch bei allmählicher Temperaturerhöhung<br />

merkt, ob und wann es ihm zu heiß wird.<br />

Dann springt er aus dem Topf, wenn Randhöhe und Öffnung<br />

es zulassen.<br />

Heribert Prantl leitet das Ressort<br />

Innenpolitik der „Süddeutschen<br />

Zeitung“. Mehr über ihn auf S. 6.


WASSermythen<br />

ÜbernatÜrlich,<br />

launenhaft,<br />

bedrohlich<br />

text mArtin POLLAck<br />

iLLUStrAtiOn JUttA heLLGreWe<br />

Sie bewohnen Gewässer, sind von betörender<br />

Schönheit und ziehen das Unglück an.<br />

Wassergeister faszinierten im 19. Jahrhundert<br />

nicht nur die Slawen, die ihnen besonders<br />

anhängen, wie Antonín Dvořáks Oper<br />

Rusalka zeigt. Sie stehen für die Sehnsucht<br />

nach emotionaler Freiheit und einem<br />

selbstbestimmten Leben ohne bürgerliche Zwänge.<br />

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ihr Anblick ist erregend und verlockend. Gertenschlanke<br />

mädchen mit langem, wallendem haar, golden oder grünlich<br />

schimmernd, gehüllt in leichte, durchsichtige Gewänder,<br />

manchmal auch nackt, auf dünnen<br />

Birkenzweigen an einem Gewässer sitzend,<br />

wiegen sich, lachen und singen mit<br />

hellen Stimmen so herrlich, dass ihnen<br />

kein Bursche widerstehen kann, wenn<br />

sie ihn fröhlich, mit wippenden Brüsten<br />

auff ordern, mit ihnen zu schaukeln oder<br />

einen fl otten reigen zu tanzen.<br />

Doch wehe dem, der dieser einladung<br />

Folge leistet, verblendet vom reiz der<br />

jungen Dinger – den nehmen sie in die<br />

mitte und tanzen mit ihm in rasendem<br />

Wirbel, bis ihm die Lunge platzt und er<br />

sein Leben aushaucht, zu tode getanzt<br />

von den koketten. Oder sie kitzeln ihn<br />

mit sanften Fingern, sodass er am eigenen Lachen erstickt.<br />

Zuweilen locken sie einen vorwitzigen feschen Burschen<br />

auch in ihr heimisches element, ins Wasser, um ihn wie<br />

einen hilfl osen Welpen zu ertränken.<br />

Die rede ist von den rusalki, Angehörigen der zahlreichen<br />

Schar slawischer naturgeister und Dämonen, die in<br />

oder an Gewässern hausen, in meeren, Flüssen und Bächen,<br />

Weihern, Sümpfen und Seen, Brunnen und Quellen.<br />

ihr name leitet sich ab von dem vor allem bei den Südslawen<br />

bekannten rosenfest rosalia /rusalia, begangen mit<br />

Umzügen zu ehren der toten, bei denen getanzt und gesungen<br />

wurde – ein relikt aus heidnischen Zeiten. rosalia<br />

fällt mit dem christlichen Pfi ngstfest zusammen. im<br />

ehemaligen Galizien streuten mädchen am Vorabend des<br />

Pfi ngstsonntags rosen in die Bäche, um die darin lebenden<br />

weiblichen Wesen günstig zu stimmen und davon abzuhalten,<br />

ihre Burschen zu verführen oder ihnen gar nach<br />

dem Leben zu trachten.<br />

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Die so verführerischen wie gefährlichen, Gewässer aller Art<br />

und ihre Ufer bewohnenden Jungfrauen waren den Slawen<br />

von alters her vertraut, die mythischen Gestalten nahmen<br />

einen festen Platz im Volksglauben<br />

ein, in Liedern, märchen und Legenden.<br />

im neunzehnten Jahrhundert wird diese<br />

erotisch aufgeladene traumwelt aufs<br />

neue entdeckt, die aus der tiefe (des Unbewussten)<br />

tauchenden, leicht geschürzten<br />

Geister symbolisieren die bedrohlichen<br />

kräfte der entfesselten erotik, die<br />

die ruhe und Sicherheit der bürgerlichen<br />

Lebenswelt infrage stellen. Gleichzeitig<br />

stehen sie für das drängende Verlangen<br />

nach dem Ausbruch aus dieser<br />

engen, miefigen, spießigen Welt.<br />

Doch die von den mythischen Sphären<br />

ausgehende Faszination ist nicht allein<br />

erotischer natur. Die schönen Wassergeister<br />

verkörpern auch die Sehnsucht des modernen menschen<br />

nach einem neuen, unbeschwerten Lebensgefühl,<br />

nach einem Leben im einklang mit der natur, fern vom<br />

Gehetze und Gedröhne der Großstadt, befreit von den<br />

Fesseln der bürgerlichen konvention. Dunkle Waldweiher<br />

und rauschende Gebirgsbäche als Sehnsuchtsorte des städtischen<br />

menschen.<br />

Ursprünglich waren die rusalki unter anderen namen bekannt,<br />

je nach region verschieden, von denen manche noch<br />

heute in Gebrauch sind: Beregyni, die auch auf Bergen wohnen<br />

können, Vili (bei Serben und russen gebräuchlich), Samovili<br />

(bei den Bulgaren im Osten), Samodivi (in Westbulgarien),<br />

mavki und navki (in der Ukraine und Weißrussland),<br />

Boginki, topielice, mamuni, Vodnici, um nur ein paar Bezeichnungen<br />

für die weiblichen Wassergeister aufzulisten.<br />

Ob die unterschiedlichen namen jeweils die gleichen Wesen<br />

benennen oder andere, anders aussehende, mit anderen<br />

P-r-e-M-i-e-r-e<br />

Rusalka<br />

Rusalka<br />

lyrisches Märchen in<br />

drei akten op. 114 von<br />

antonín Dvořák<br />

Premiere am<br />

23. Oktober 2010<br />

weitere termine im<br />

Spielplan ab S. 90


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eigenschaften, lässt sich nicht präzise sagen: Wir bewegen<br />

uns hier auf einem weiten, dunklen Feld voller Geheim-<br />

nisse und Unergründlichkeiten, widersprüchlicher Überlieferungen<br />

und mutmaßungen. Die mythologie der Slawen<br />

ist wissenschaftlich schwer zu erfassen. „Die slawischen<br />

mythen“, so schrieb der lange Jahre in Berlin tätige polnische<br />

Slawist und kulturhistoriker Alexander Brückner,<br />

„sind selber eher ein mythos: die gesicherten, nicht imaginierten<br />

oder bloß wiederholten nachrichten davon lassen<br />

sich auf einer einzigen Druckseite zusammenfassen.“<br />

Andererseits ist der Glaube an Dämonen und naturgeister<br />

in slawischen Ländern bis heute tiefer verwurzelt als in<br />

den meisten anderen regionen europas. Das gilt auch für<br />

die im Wasser lebenden Geister, die über Bäche und Quellen<br />

wachen. meist erscheinen sie den menschen als überirdisch<br />

schöne mädchen mit leichten, beinahe durchscheinenden<br />

Leibern. Die huzulen, die Bergbewohner der östlichen karpaten,<br />

glauben, die hübschen mädchen hätten nur vorn<br />

feste körper, hinten könne man in sie hineinschauen und<br />

ihr inneres sehen, ihre Leber zum Beispiel. ihre haut wird<br />

als auffallend hell beschrieben, im östlichen Weißrussland<br />

allerdings meint man, sie sei erdfarben, weil die Wesen<br />

nicht im Wasser, sondern in der erde wohnten, in Wiesen<br />

und Feldern, für deren Fruchtbarkeit die Geister sorgen.<br />

Am Balkan meint man, Vili könnten auf Wolken reiten<br />

und nach Bedarf unterschiedliche Gestalten annehmen: von<br />

Pferden, Schwänen, Schlangen, Falken oder sogar Wölfen.<br />

Dort werden auch alle Geisteskrankheiten dem verderb-<br />

lichen Wirken von Vili zugeschrieben.<br />

Was ihre herkunft angeht, verehrten die heidnischen Slawen<br />

übernatürliche Wesen, die in Quellen und anderen<br />

Gewässern wohnten und diese hüteten. erst später, mit<br />

dem christentum, kam der Glaube auf, es handle sich um<br />

die verwunschenen Seelen Verstorbener. in<br />

der regel um Seelen junger mädchen und<br />

Frauen, die auf unnatürliche Weise, unerwartet<br />

ums Leben gekommen sind, kurz<br />

vor der hochzeit, im kindbett, durch Selbstmord,<br />

die umgebracht wurden oder ertranken.<br />

manchmal heißt es auch, sie seien die<br />

Seelen von kindern, die vor der taufe, also<br />

als heiden, gestorben sind.<br />

Den Wassergeistern wurden magische kräfte<br />

über die Gewalten der natur zugeschrieben,<br />

dabei galten sie als unberechenbar, weshalb<br />

ihnen die menschen Opfer darbrachten, Blumenkränze,<br />

runde kuchen, frische Früchte,<br />

eier usw., um die kapriziösen Wesen bei Laune<br />

zu halten. Dann konnten sie auch gut und<br />

hilfreich sein, indem sie die menschen vor<br />

katastrophen bewahrten, die ernte beschützten<br />

oder dafür sorgten, dass Fischer einen reichen Fang<br />

machten. Auch dauerhafte Beziehungen zwischen menschen<br />

und Geistern, etwa Vili, waren nach dem Volksglauben mög-


lich, allerdings musste der menschenmann darauf bedacht<br />

sein, die Vila nicht zu beleidigen oder – Gott behüte – mit<br />

einer anderen zu betrügen. Sonst war es um ihn geschehen.<br />

Auch Geister leben nicht ewig – die<br />

rusalki werden angeblich vom Blitz<br />

erschlagen und die Vili von Wölfen gefressen,<br />

was bemerkenswert erscheint,<br />

da sie sich dem Vernehmen nach selber<br />

in Wölfe verwandeln können.<br />

noch bedrohlicher für den menschen<br />

als Vili und rusalki waren die mamuni,<br />

manchmal auch Boginki oder (bei den<br />

Ukrainern) Lisyvki genannt, ebenfalls<br />

in Gewässern zu hause. Sie erschienen<br />

nicht als holde mädchen, sondern als<br />

alte Weiber, am ganzen Leib behaart,<br />

mit krummen Beinen und dürren, bis<br />

auf den Bauch hängenden Brüsten, die sie geschickt über<br />

die Schulter zu werfen verstanden. Besonders gefürchtet<br />

wurden mamuni von müttern, weil sie mit Vorliebe kleine<br />

kinder stahlen, um sie gegen ihre eigene Brut zu vertauschen.<br />

einen Wechselbalg erkannte man an seiner plumpen<br />

Gestalt, dem dicken Bauch, dem zu kleinen oder zu großen<br />

kopf, der zottigen Behaarung. Obendrein war er ungezogen,<br />

boshaft und gefräßig, eine wahre Plage für die Zieheltern.<br />

Wenn man so einen Balg allein zu hause ließ, konnte er<br />

blitzschnell den gesamten inhalt der Speisekammer verputzen,<br />

einschließlich der Schnapsvorräte. Von den mamuni<br />

wurde behauptet, sie seien zur Strafe in Dämonen verwandelte<br />

Seelen böser alter Jungfern oder kindesmörderinnen.<br />

Alle im oder am Wasser hausenden Geister waren Weibspersonen,<br />

mit Ausnahme des Vodniks, je nach region auch<br />

topielec, Utopiec, Wodanoj usw. genannt. Der Wassermann<br />

war in der Vorstellung der menschen gräulich und nackt,<br />

mit grünlicher, schuppiger haut und weißen, trüben Augen.<br />

Wenn er an Land ging, um sich inkognito unter die menschen<br />

zu mischen, erkannte man ihn daran, dass seine<br />

rockschöße stets triefend nass waren, sodass unter ihm<br />

eine Pfütze entstand. manchmal erschien er Fischern auch<br />

in Gestalt eines riesenhaften hechts, der senkrecht aus<br />

dem Wasser ragte und mit dem mächtigen Schwanz die<br />

Wellen peitschte, ihre netze zerriss oder den kahn um-<br />

kippte. Wenn Fischer an der Stelle vorbeikamen, wo sie die<br />

Behausung des Vodniks vermuteten, zogen sie die mütze<br />

und verneigten sich – um ganz sicher zu gehen, opferten sie<br />

ihm häufig den ersten Fisch eines Fanges. Der Vodnik war<br />

gefürchtet wegen seiner Bösartigkeit, ihm wurde nachgesagt,<br />

dass er unvorsichtige Badende grundlos ertränke. Vor<br />

allem nach Sonnenuntergang musste man sich in Acht nehmen<br />

vor ihm.<br />

Das weibliche Pendant zum Vodnik oder Wodanoj ist die<br />

Vodnica, topielica, russisch Wodjanicha, wie die rusalka<br />

schön anzuschauen. mit ihren körperlichen reizen und ihrer<br />

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wunderbaren Stimme lockt sie badende männer an, die sie<br />

dann untertaucht. Am liebsten erscheint sie in Vollmondnächten,<br />

angeblich schöpft sie aus den Strahlen des mondes<br />

ihre kräfte. in Litauen glaubt man, dass<br />

die Vodnici beim ersten mondlicht aus<br />

dem Wasser steigen, um am Ufer zu tanzen<br />

und zu singen, wobei ihre wirbelnden<br />

haare eine wundersame melodie erzeugen,<br />

die menschen in Schlaf versetzt.<br />

Auf diese Weise schützen sie sich vor<br />

neugierigen menschlichen Blicken.<br />

rusalki, Vili, Vodnici und wie sie alle<br />

heißen – in den Vorstellungen der einfachen,<br />

mit der natur verbundenen menschen<br />

waren sie weibliche Dämonen, die<br />

wunderbare kräfte besaßen, denen man<br />

jedoch besser aus dem Weg ging. Zwar<br />

waren sie fast immer zart und schön,<br />

doch gleichzeitig launenhaft und (vor allem für männer)<br />

bedrohlich. in der Literatur hingegen werden die rusalki<br />

meist milder gezeichnet: als melancholische, traurige, oft<br />

stumme Wasserjungfern, die einem irdischen mann zuliebe<br />

das sichere nasse element verlassen, worauf der sie betrügt<br />

und ihnen das herz bricht.<br />

Der Volksglaube ist weniger sentimental, da sind die mädchenhaften<br />

Verführerinnen stärker und es sind die naiven,<br />

liebeshitzigen männer, die blind in ihr Unglück tappen, in<br />

den dunklen Schoß der Gewässer gezogen werden, um dort<br />

den tod zu finden, während die rusalki heiter singend auf<br />

ihren Birkenzweigen schaukeln.<br />

Martin Pollack ist Slawist. Der<br />

Journalist, Schriftsteller und<br />

literarische Übersetzer lebt im<br />

Süd burgenland.<br />

GefanGen in zwei welten<br />

was antonín Dvořáks Rusalka von Undine und<br />

anderen wassergeistern unterscheidet<br />

anders als ihre Vorgängerinnen in Mythen und Märchen ist die Protagonistin<br />

in antonín Dvořáks Oper „Rusalka“ nicht länger die gefährliche<br />

Verführerin. Die Oper erzählt die Geschichte konsequent aus der Perspektive<br />

Rusalkas, die sich in ihrer welt gefangen fühlt und ihr entfliehen<br />

möchte. in die Person des Prinzen legt sie all ihre Hoffnung – nur<br />

wenn sie seine liebe erlangt, kann sie als normaler Mensch leben und<br />

lieben. Doch er verlässt sie noch vor der Hochzeit für eine andere.<br />

Rusalka bleibt in einem grauenvollen Schwebezustand zwischen leben<br />

und tod zurück und findet keine erlösung.<br />

Obgleich Dvořáks librettist Jaroslav Kvapil Motive aus Hans Christian<br />

andersens Märchen „Die kleine Seejungfrau“, friedrich de la Motte<br />

fouqués erzählung „Undine“ und Gerhart Hauptmanns Drama „Die<br />

versunkene Glocke“ verarbeitet, sieht er selbst den „tschechischen<br />

Charakter“ vorherrschend. Und dieser Charakter ist für Dvořák vor<br />

allem geprägt von den düsteren Balladen des Dichters Karel Jaromír<br />

erben, dessen Sage vom wassermann der Komponist einige Jahre vor<br />

„Rusalka“ vertont hat. (text: Olaf a. Schmitt)


P–r–e–m–i–e–r–e<br />

rusalka


„Ich wusste:<br />

Das<br />

Ist es“<br />

MAX JOSEPH Sie sind sehr kurzfristig für die Rolle<br />

der Rusalka an die <strong>Bayerische</strong> <strong>Staatsoper</strong> gekommen, weil<br />

Nina Stemme abgesagt hat. Eigentlich sollten Sie zu diesem<br />

Zeitpunkt an der Met in New York Musetta in „La bohème“<br />

singen. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie die Anfrage aus<br />

München bekommen haben?<br />

KríS tīnE OPOl A í S Zunächst war es einfach<br />

nur ein Schock. Ich habe zwei Jahre lang auf<br />

mein Debüt an der Met gewartet, alles war geregelt,<br />

der Vertrag unterzeichnet. Dann kam diese Nachricht.<br />

Ich erinnere mich noch an die SMS meines Managers:<br />

„Dringend, dringend, dringend, bitte ruf mich<br />

sofort zurück!“ Erst dachte ich: Mein Gott, irgendwas<br />

K R í S tīNE OpOLAí S<br />

um in München die titelpartie in Rusalka singen<br />

zu können, verzichtete Krístīne Opolaís<br />

kurzerhand auf ihr Debüt an der Met. Die junge<br />

lettische sopranistin spricht über die arbeit<br />

an antonín Dvořáks Oper und die erotik der Musik.<br />

I N t ERVIEW OLAf A. SchMItt<br />

f O t OGRAf IE SIGRID REINIchS<br />

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ist mit meinem Auftritt an der Met. In diesen zwei<br />

Jahren hatte ich das seltsame Gefühl, dass etwas passieren<br />

würde. Es war wie eine Vorahnung, dass die<br />

Zeit noch nicht reif ist für New York und Musetta<br />

zum jetzigen Zeitpunkt nicht meine Rolle. Vor vielen<br />

Jahren war ich sicherlich eine großartige Musetta, die<br />

Menschen in Riga liebten mich in dieser Rolle. Aber<br />

in letzter Zeit hatte ich das seltsame Gefühl, dass da<br />

etwas nicht mehr stimmt. Als mein Manager mir mitteilte,<br />

dass ich in München Rusalka singen soll, wusste<br />

ich: Das ist es.<br />

Nach dem Schock kam die Angst vor der Reaktion.<br />

Denn für deinen Ruf ist es erst mal schlecht, wenn du


ein Engagement so kurz vor dem vereinbarten Auftritt<br />

absagst. Wobei ich denke, dass es einfach im Leben<br />

Situationen gibt, die wie ein Geschenk von Gott<br />

oder wem auch immer kommen und in denen das<br />

Gefühl entscheiden muss. Ich bin ein risikofreudiger<br />

Mensch, ich hatte noch nie einen Plan für mein Leben<br />

oder meine Karriere. Und so habe ich sofort Ja zu<br />

diesem Angebot gesagt. Es ist fantastische Musik, ein<br />

großartiges Stück.<br />

M J Hat auch die Tatsache eine Rolle gespielt, dass Sie hier<br />

beim Entstehen einer neuen Produktion mitwirken und eng<br />

mit dem Regisseur und dem Dirigenten zusammenarbeiten?<br />

Im Gegensatz zu „La bohème“ können Sie ja nun Ihren eigenen<br />

Zugang zu dieser Rolle finden und die Rolle mitgestalten.<br />

Was bedeutet es für Sie, gemeinsam mit dem Regisseur<br />

und dem Dirigenten etwas Neues zu entwickeln?<br />

K O Dass es eine Neuproduktion ist, hat sicherlich<br />

eine Rolle gespielt. Es ist einfach etwas anderes,<br />

wenn man am Entstehungsprozess beteiligt ist. Man<br />

hat viel mehr Möglichkeiten, in eine Rolle hineinzuwachsen,<br />

sie wirklich zu verstehen. Der Regisseur ist<br />

dabei für mich sehr wichtig, denn ich liebe als Sängerin<br />

die Schauspielerei auf der Bühne. Einen solchen<br />

Probenprozess mit dem Dirigenten und dem Regis­<br />

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seur zu erleben, ist für jeden Künstler etwas ganz Besonderes.<br />

Vor allem, weil man viel lernt. Und ich kann<br />

und will noch sehr viel lernen. Ich hatte sofort ein<br />

gutes Verhältnis zu Martin Kušej und ich bin sehr<br />

glücklich, mit ihm arbeiten zu dürfen. Auch der Dirigent<br />

Tomáš Hanus ist großartig, ein wunderbarer<br />

Musiker, der genau weiß, was er will. Von beiden kann<br />

ich eine Menge lernen – das ist auch ein Grund, warum<br />

diese Probenzeit für mich eine wunderbare Zeit ist.<br />

M J Vor der Arbeit mit Martin Kušej haben Sie zwei Produktionen<br />

mit Dmitri Tcherniakov erarbeitet, der im März<br />

an der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong> „Dialogues des Carmélites“<br />

inszeniert hat: Prokofjews „Der Spieler“ in Berlin und „Don<br />

Giovanni“ in Aix­en­Provence. Sowohl Kušej als auch Tcherniakov<br />

sind für ihre radikalen und ungewöhnlichen Interpretationen<br />

bekannt. Wie bringen Sie Ihre Sichtweise mit der<br />

des Regisseurs zusammen?<br />

K O Zu Beginn der Proben kenne ich das Stück und<br />

die Musik. Donna Elvira ist eine eifersüchtige Frau.<br />

Tcherniakov wollte diese Eifersucht aber nicht zeigen.<br />

Es war für mich zunächst schwierig, eine Frau zu<br />

spielen, die Don Giovanni nur bewundert und ihm<br />

alles gleich vergibt.<br />

Rusalka ist mit ihren Gedanken und ihrem Herzen<br />

eine Frau, die wirklich lieben möchte, auch wenn sie<br />

nicht genau weiß, was das bedeutet. Sie hat diese<br />

Obsession für den Prinzen, aber sie ist auch besessen<br />

von der Idee, außerhalb ihrer schrecklichen Welt zu<br />

leben. Sie möchte eine ganz normale Frau sein, doch<br />

dafür fehlen ihr die Möglichkeiten. Rusalka lebt in<br />

einer anderen Welt, daran kann sie nichts ändern.<br />

Aber sie ist eine starke Persönlichkeit. Martin Kušej<br />

und ich haben die gleiche Sichtweise auf diese Rolle.<br />

Doch wir sind ja noch mitten im Probenprozess, ich<br />

weiß nicht, was noch passieren wird ...<br />

„Rusalka ist mit ihren Gedanken<br />

und ihrem Herzen eine Frau, die<br />

wirklich lieben möchte, auch<br />

wenn sie nicht genau weiß, was<br />

das bedeutet.“<br />

M J Die Figur der Rusalka hat in Osteuropa eine lange literarische<br />

Tradition. Meistens sind die Wasserjungfrauen als<br />

Verführerinnen eine Gefahr für die Männer. In Dvořáks<br />

Oper ist Rusalka vor allem traurig und einsam, eher Opfer<br />

als Täter. Wie gefährlich ist Rusalka in Ihren Augen?<br />

K O Rusalka ist mit Sicherheit gefährlich. Für den<br />

Prinzen gibt es kein Happy End, auch Rusalka wird<br />

nicht glücklich. Dabei ist sie absolut sicher, dass ihre<br />

Liebe so stark ist, dass alles gut werden wird. Sie<br />

glaubt den Drohungen Ježibabas nicht, dass sie den<br />

Prinzen töten muss, um weiterleben zu können. Die­


ses Gefühl ist außerordentlich stark – und außerordentlich<br />

naiv. Es ist eine Naivität, die man fast schön<br />

nennen könnte. Das ist es, was ich in dieser Rolle<br />

vermitteln möchte.<br />

Interessant ist auch die Spannung zwischen dem<br />

Wollen und dem Nicht­Können. Rusalka will sich<br />

ausdrücken, kann aber nicht sprechen. Es ist, als ob<br />

ein Dirigent keine Arme hätte oder eine Tänzer keine<br />

Beine. Rusalka möchte ihrer Liebe auch stimmlich<br />

Ausdruck verleihen, ist dazu aber nicht in der Lage.<br />

Das ist das Traurige in ihrem Charakter. Sie kann<br />

nicht in ihrer Wasserwelt bleiben, aber in der richtigen<br />

Welt hat sie auch keinen Platz. Sie ist zwischen<br />

allem, außerhalb von allem.<br />

M J Im zweiten Akt bringt sie diesen Zustand auf den<br />

Punkt: Sie kann nicht leben und kann nicht sterben. Auch<br />

musikalisch wandelt Rusalka zwischen den Welten. Die Rolle<br />

wechselt ständig zwischen lyrischen und dramatischen<br />

Momenten, eine extreme Herausforderung für eine Sängerin.<br />

Wie gehen Sie mit dieser permanenten Grenze um?<br />

K O Rusalka ist für mich kein lyrischer Sopran, dafür<br />

gibt es zu viele dramatische Momente. Aber ein<br />

rein dramatischer Sopran ist sie auch nicht, denn<br />

der könnte die vielen lyrischen Passagen nicht aus­<br />

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„Rusalka ist mit Sicherheit gefährlich.<br />

Für den Prinzen gibt es<br />

kein Happy End, auch Rusalka<br />

wird nicht glücklich. Dabei ist<br />

sie absolut sicher, dass ihre<br />

Liebe so stark ist, dass alles gut<br />

werden wird.“<br />

drücken. Es ist tatsächlich etwas dazwischen, man<br />

muss mit den verschiedenen Anforderungen spielen<br />

können. Das ist für diese Rolle sehr wichtig. Für<br />

meine Stimme könnte es eine der besten Rollen überhaupt<br />

sein. Ich fühle es in meinem Herzen. Musik hat<br />

für mich immer auch eine erotische Komponente.<br />

Manchmal hörst du etwas und denkst, das ist eine<br />

wunderschöne Musik. Aber du empfindest nichts. Bei<br />

Rusalka habe ich dieses erotische Gefühl, es fühlt<br />

sich an wie eine Ganzkörpermassage. Auch auf der<br />

Bühne. Es wäre ein Traum, wenn man dieses Gefühl<br />

immer hätte als Sängerin. Was kann ich mir mehr<br />

wünschen als das?<br />

Krístīne Opolaís wurde in Lettland geboren und<br />

studierte Gesang an der dortigen Musikakademie.<br />

Von 2003 bis 2007 sang sie im Ensemble<br />

der Lettischen Nationaloper in Riga. 2006 folgte<br />

ihr Debüt als Tosca an der <strong>Staatsoper</strong> unter den<br />

Linden in Berlin. Weitere Stationen ihrer Karriere<br />

führten sie an die Mailänder Scala, die<br />

Wiener <strong>Staatsoper</strong>, die Opéra de Lyon sowie an<br />

das Teatro Regio in Turin. Außerdem war sie<br />

bei renommierten Festivals wie den Salzburger<br />

Festspielen und in Aix­en­Provence zu Gast. Ihr<br />

Opernrepertoire umfasst u. a. Gräfin Almaviva<br />

(„Le nozze di Figaro“), Violetta Valéry („La traviata“),<br />

Lisa („Pique Dame“), Liù („Turandot“).<br />

Olaf A. Schmitt ist Dramaturg an der<br />

<strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong>.<br />

Rusalka<br />

Lyrisches Märchen in drei Akten op. 114<br />

von Antonín Dvořák<br />

Premiere am 23. Oktober 2010<br />

Weitere Termine im Spielplan ab S. 90


CHABROL<br />

Es blEibt in<br />

dEr<br />

FamiliE<br />

Er gilt als der Chronist exquisiter<br />

Grausamkeiten in den Privatangelegenheiten des<br />

französischen Bürgertums. Deutsche Filmgrößen<br />

sagen, was Claude Chabrol<br />

sie über die Liebe und ihr Ende gelehrt hat.<br />

2<br />

6<br />

Masken (Masques, 1987), mit Philippe Noiret


Die Brautjungfer (La demoiselle d’honneur, 2004), nach dem<br />

gleichnamigen Roman von Ruth Rendell<br />

Harold Faltermeyer,<br />

Filmkomponist<br />

(„Top Gun“, „Vom Suchen und Finden der Liebe“)<br />

„Faszinierend, welche Macht in seinen<br />

Geschichten eine geheimnisvolle Erotik über die<br />

Menschen ausübt. Ich hätte unglaublich gern für<br />

einen Chabrol-Film komponiert.“<br />

C H A B R O L<br />

Klaus Lemke, Kultregisseur und<br />

Münchner Filmpreisträger 2010<br />

„Die ganze verhurte Dramaturgie des Chabrol’schen Universums:<br />

Was nutzt mir die schönste Frau, wenn es die eigene ist?<br />

Und selber essen macht eben dick. Kapiert? Kapiert! Lemke!“<br />

2<br />

7<br />

Andreas Kilb,<br />

Filmkritiker „Die Zeit“<br />

„Chabrol schildert meisterhaft, wie Lüge und Betrug<br />

zwischen Mann und Frau noch nach Jahren mörderische<br />

oder selbstzerstörerische Instinkte auslösen und<br />

schließlich in die Katastrophe führen.<br />

Viel mehr als die Familie ist sein eigentliches Thema die<br />

Ehehölle. Kinder spielen eine sekundäre Rolle.<br />

Seine Filme kreisen immer wieder um die Ambivalenz von<br />

verzweifelter Suche nach Sicherheit zum Preis<br />

des Verzichts auf sexuelle Abenteuer. Man sieht heute<br />

klarer als vor vierzig Jahren, dass Chabrol einer der großen<br />

Moralisten des Kinos ist. Die Frage ist nur, ob wir seine<br />

Moral aushalten können.“


„Aus den Filmen von Claude Chabrol hat man nie etwas<br />

lernen können im Sinne von Besser-Erkennen,<br />

Besser-Machen oder Verändern-Wollen. Je weiter man ins<br />

Innenleben des bürgerlichen Subjekts gelangte<br />

in seinen Bildern und ihren Widersprüchen,<br />

desto inniger verwoben sich vor unseren Augen Genuss<br />

und Terror der Intimität. Okay, deshalb konnte man doch<br />

etwas besser erkennen: wie sehr auch das Private<br />

Inszenierung ist. Oder wie privat – wie sexuell, um genauer<br />

zu sein – Macht, Politik und Ökonomie sind.<br />

Chabrols Filme spielen auf einer Linie zwischen<br />

Ficken und Herrschen.<br />

Wenn Zärtlichkeit und Abscheu gleich groß sind.<br />

Wenn der Impuls zur intimen Annäherung genauso<br />

groß ist wie der zur Distanz. Wenn der kalte Blick<br />

heiß und der heiße Blick kalt wird, und immer so weiter.<br />

Wenn man keinen Unterschied zwischen dem<br />

Ungeheuerlichen und der Leichtigkeit macht.<br />

Wenn man die Struktur des bürgerlichen<br />

C H A B R O L<br />

Georg Seeßlen, Filmphilosoph<br />

Genuss & Terror der Intimität<br />

2<br />

8<br />

Alltagslebens sieht und zugleich, dass alle Bürger<br />

auf und in ihr leben und sie nie vollständig erfüllen.<br />

Dann ist man im Chabrolischen.<br />

Eigentlich ist Intimität nichts anderes als eine Illusion.<br />

Distanz aber auch. Diese Teilung des bürgerlichen Lebens<br />

in einen Innen- und einen Außenraum ist nichts anderes als<br />

Inszenierung – und es hilft nur Inszenierung, wo<br />

Inszenierung herrscht. Chabrols Filme spielen am<br />

Umkehrpunkt dieser Inszenierung: Indem er die<br />

Geheimnisse des Bürgers entlarvt, zeigt er, dass es gar<br />

keine gibt. Das Verbrechen ist nicht der Katastrophen-,<br />

sondern der Normalfall des bürgerlichen Lebens, innen und<br />

außen. Die Inszenierung ist das Verbrechen und das<br />

Verbrechen ist die Inszenierung. Und wenn man genau<br />

daran verzweifeln möchte, mehr denn je?<br />

Dann hilft nur eine Kunst, die sich selbst sehr ernst<br />

nimmt und überhaupt nicht. Und gutes Essen.<br />

Gutes Essen hilft in so einem Fall.“<br />

Betty (1992), mit Stéphane Audran


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DIE FREIHEIT,<br />

VERRÜCKT ZU SEIN<br />

Aus allen Ritzen in ihrem Studio wuchern<br />

Erinnerungen an ein ungezügeltes<br />

Leben. Aus den Fotokisten dringen<br />

Stimmen, die gestapelten Zeitungsausschnitte<br />

fl üstern Obszönitäten und die<br />

verstaubten Leinwände schluchzen. Yayoi<br />

kann das alles hören, nicht aber der<br />

Besucher, dem sie ein Buch mit Collagen<br />

und Texten reicht. Da fressen sich Libellen<br />

durch den pechschwarzen Weltraum,<br />

pulsieren Zellen im Angstplasma, tum­<br />

meln sich tausend Punkte im Chaos. Mit<br />

ernstem Gesicht zitiert sie aus ihrem<br />

Buch: „Heilige Scheiße schlägt zurück!“<br />

Ich muss lachen – und dann lacht auch<br />

Yayoi Kusama, das Gesicht gespannt<br />

und schwer vom dicken Make­up. Sie ist<br />

81, weltberühmt und behauptet immer<br />

noch, dass nach ihrem Tod 20 oder 30<br />

Jahre vergehen müssten, bis man ihre<br />

Arbeiten akzeptieren würde. Unter Eingeweihten<br />

galt die Performancekünstlerin,<br />

Malerin, Literatin und Modedesignerin<br />

immer schon als lebende Legende.<br />

Die Zutaten für zeitlosen Ruhm waren<br />

F R E I G ä N G E R I N<br />

Yayoi Kusama wurde mit<br />

schwarzen Punkten und sexuellen<br />

Provokationen berühmt. Seit 33 Jahren lebt<br />

die japanische Pop-Art-Künstlerin nun<br />

schon freiwillig in der Psychiatrie. Über die<br />

Geborgenheit in Unfreiheit und Geistes-<br />

krankheit krankheit als als künstlerischen künstlerischer Zustand.<br />

Zustand.<br />

TEXT ROLAND HAGENBERG<br />

in Yayoi Kusamas melodramatischer<br />

Giftküche immer reichlichst vorhanden:<br />

Kunst, Sex, Pop, Leiden, Politik, Wahnsinn,<br />

Feminismus, Medien, Tod und ein<br />

unbändiger Freiheitsdrang. Kunst­ und<br />

Literaturhistoriker haben alle Hände<br />

voll zu tun, ihr Lebenswerk aufzuarbeiten.<br />

Denn Yayoi ist kein van Gogh – sie<br />

ist van Gogh, Andy Warhol und Antonin<br />

Artaud in einer Person.<br />

Yayoi Kusama<br />

mit Fans in Tokio, 2003<br />

Aufgewachsen als jüngstes von vier<br />

Kindern einer wohlhabenden Familie in<br />

Matsumoto, leidet Yayoi schon früh unter<br />

Halluzinationen, Zwangshandlungen<br />

und hysterischen Anfällen. „Meine Mutter<br />

wusste einfach nicht, wie sie mit<br />

meiner Geisteskrankheit umgehen sollte.<br />

Sie hat mich geschlagen, eingesperrt,<br />

aus gehungert.“ Schwarze Punkte, die<br />

heute als Markenzeichen ihrer Kunst gefeiert<br />

werden und in Galerien sechsstel­<br />

3<br />

1<br />

lige Beträge erzielen, bringt sie in selbstbefreienden<br />

Skizzen schon mit zehn<br />

Jahren zu Papier: ein Stillleben zum Beispiel<br />

oder ein Gesicht – wo sich Bleistiftspitzen<br />

impulsiv ins Blatt bohrten. Am<br />

Ende ist Yayois Welt nur noch durch einen<br />

Vorhang aus grafi schen Pusteln erkennbar.<br />

Als die Eltern sie nach alter<br />

Tradition mit einem wildfremden Mann<br />

verheiraten wollen, fl üchtet sie 1948<br />

nach Kioto und studiert einige Semester<br />

an der Kunstakademie. „Ich wollte mich<br />

mit Nihonga beschäftigen, der alten japa<br />

nischen Malerei. Gleichzeitig musste<br />

ich meine Halluzinationen unter Kontrolle<br />

halten, versuchte alles Mögliche,<br />

setzte mich in den Regen, meditierte im<br />

Schlamm, und wenn ich wieder in meinem<br />

Zimmer war, schüttete ich mir Eiswasser<br />

über den Kopf.“<br />

Anfang der 50er­Jahre fasst sie Fuß in<br />

Tokio, zählt plötzlich zu Japans prominentesten<br />

Jungkünstlern. In dieser Zeit<br />

lernt sie Dr. Shiho Nishimaru kennen, einen<br />

angesehenen Psychiater. Er erkennt<br />

den Zusammenhang zwischen ihren Halluzinationen<br />

und ihren Kunstwerken, ermutigt<br />

sie weiterzuarbeiten. Von da an<br />

hatte Yayoi in der Psychiatrie das gefun­


den, was ihr die Eltern niemals geben<br />

konnten: die Rechtfertigung dafür, sich<br />

künstlerisch ausdrücken zu dürfen, und<br />

die Freiheit, verrückt zu sein.<br />

1955 werden ihre Arbeiten erstmals in<br />

den USA gezeigt, drei Jahre später zieht<br />

sie nach New York. Sie wohnt in verwahrlosten<br />

Apartments, besucht Kurse<br />

der Art Students League, verkauft Bilder<br />

auf der Straße. Fotos zeigen sie nun<br />

sexy. Weite Pullover hat sie mit engen<br />

Kleidern getauscht. In ihrem Netz verfängt<br />

sich als Erster der damals noch<br />

unbekannte Minimalist Donald Judd.<br />

„Er war ein Theoretiker, hatte Probleme,<br />

seine Gedanken konkret umzusetzen.<br />

Wir saßen eines Abends in unserm<br />

Loft und er jammerte: ,Ich bin verloren!<br />

Wie soll das jetzt weitergehen?‘ Vor uns<br />

stand eine Kiste, die wir als Tisch benutzten.<br />

Ich gab ihr einen Tritt und sagte:<br />

‚So soll’s weitergehen. Das hier ist<br />

deine Arbeit!‘“ Judds halbierte Boxen<br />

und Regal­Objekte sind seither in Museen<br />

auf der ganzen Welt zu finden. Sie<br />

zieht in eine neue Wohnung, wo die<br />

Nachbarn Larry Rivers, John Chamberlain<br />

und On Kawara heißen – mittlerweile<br />

alle drei als Heroen der Sixties­<br />

Kunst bekannt. „Als ich einmal auf dem<br />

Flur eine Angstattacke erlitt, kam mir<br />

Kawara zu Hilfe. Er hat mich beruhigt.<br />

Wir legten uns nackt ins Bett, hielten<br />

uns die ganze Nacht in den Armen, ohne<br />

Sex.“<br />

Den wohl größten Namen in Yayois<br />

Männersammlung hat Joseph Cornell.<br />

Berühmt machten ihn surreale kleine<br />

Schachteln und Schaukästen mit befremdlich<br />

kleinen Objekten, die er zu<br />

poetischen Tableaus anordnete. Weil er<br />

dabei Alltagsgegenstände einsetzte, gilt<br />

er als Vorvater der Pop­Art. Als sie sich<br />

1963 treffen, ist er, der fast drei Jahrzehnte<br />

ältere, fasziniert von Yayois exotischer<br />

Aura. Dass er ihr ab und zu seine<br />

Arbeiten zum Verkauf überlässt,<br />

kommt ihr im New Yorker Überlebenskampf<br />

mehr als gelegen. „Mit Joseph<br />

hatte ich die längste Beziehung meines<br />

Lebens. Er war fast zehn Jahre lang<br />

mein Geliebter.“<br />

Zu Beginn der 60er füllen sich Yayois<br />

Wohnstudios mit riesigen monochro­<br />

F R E I G ä N G E R I N<br />

Hi! Konnichiwa! Hello!, 2004,<br />

Yayoi Kusama<br />

men Leinwänden, die nur eines zeigen:<br />

Punkte. Die sogenannten Polka Dots<br />

verknüpfen sich zu flimmernden Schichten,<br />

die sie selbst als „Unendlichkeitsnetze“<br />

bezeichnet. „Jeder einzelne Polka<br />

Dot hat die Form der Sonne und symbolisiert<br />

maskuline Energien. Zugleich<br />

aber entspricht er auch der Form des<br />

Mondes und steht deshalb für das weibliche<br />

Prinzip der Vermehrung und des<br />

Wachstums.“ Ein Statement, wie geschaffen<br />

für Kunstkritiker auf der Suche<br />

nach feministischen Elementen, was<br />

Kusama allerdings dementiert: „Meine<br />

Mutter kontrollierte den Haushalt. Ich<br />

bin in einem Matriarchat aufgewachsen.<br />

Ging es mir deshalb besser?“<br />

1963 verblüffte sie die New Yorker<br />

Kunst welt mit ihrer Einzelausstellung<br />

„Aggregation: One Thousand Boats<br />

Show“. Den Mittelpunkt bildete ein<br />

Ruderboot, beladen mit handgenähten,<br />

wurmartigen Wucherungen. 999 Reproduktionen<br />

davon hingen ringsum an den<br />

Wänden der Galerie. Yayoi ist fest davon<br />

überzeugt, dass dieser Event später<br />

als Vorlage für Andy Warhols berühmte<br />

Installation „Cow Wallpaper“ gedient hat.<br />

3<br />

2<br />

Warhol hat sich dazu zwar niemals geäußert,<br />

aber Yayoi ist von nun an unter<br />

anderem auch eine Pop­Art­Künstlerin.<br />

Ihr Leben verläuft weiterhin holprig:<br />

Herzbeschwerden, Wohnungsprobleme,<br />

massive Geldnöte. Eine Einladung zur<br />

Retrospektive der deutschen Kunstbewegung<br />

„Gruppe Zero“ lässt in ihr die<br />

Hoffnung aufkeimen, sich in Europa<br />

etab lieren zu können.<br />

Sie tingelt umher in Gruppenshows, die<br />

großen Einzelausstellungen aber bleiben<br />

aus. Einen Ausweg sucht sie, indem sie<br />

die Selbstdarstellung auf die Spitze<br />

treibt. Sie rekelt sich splitternackt mit<br />

hochhackigen Schuhen auf ihren Stoff­<br />

Flowers That Bloom at Midnight, 2009,<br />

Courtesy Gagosian Gallery,<br />

Yayoi Kusama<br />

objekten, präsentiert ihren knabenhaften,<br />

verführerischen Körper zusammen<br />

mit Polka Dots. Sie schart Kunstgroupies<br />

um sich, die Spaß daran haben, in<br />

Yayois Happenings aufzutreten. Hüllenlos<br />

tanzen sie vor der New Yorker Börse,<br />

protestieren gegen den Vietnamkrieg<br />

und bekritteln die Kunst im Museum of<br />

Modern Art – ebenfalls unbekleidet.<br />

„Können Sie mir sagen, was an Picasso,<br />

Renoir und Giacometti so modern ist?“,<br />

will sie vom Museumsdirektor wissen.<br />

„Es ist Zeit, dass wir uns von diesen<br />

Männermalern befreien!“


F R E I G ä N G E R I N


The Visionary<br />

Flowers,<br />

2002,<br />

Matsumoto City<br />

Museum of Art,<br />

Yayoi Kusama<br />

Ihre Auftritte bringen zwar kein Geld,<br />

dafür aber ein paar Tage Untersuchungshaft.<br />

Noch einmal sammelt sie all ihre<br />

Kräfte und setzt diesmal auf Mode. Sie<br />

schneidert Kleider mit afrikanischen<br />

Mustern und Löchern, damit die Frauen<br />

allzeit ihren Busen zeigen können. Dass<br />

Yayois Lebenskreise sich unbarmherzig<br />

in kleine Punkte verwandelt haben, will<br />

sie nicht wahrhaben. Bei einem Besuch<br />

in Japan Mitte der 70er-Jahre bricht sie<br />

zusammen, denkt an Selbstmord und<br />

lebt seither in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus. Es folgt ein Rückzug ins<br />

Ich, aus dem Yayoi als preisgekrönte Literatin<br />

hervorgeht. Kritiker stellen Erzählungen<br />

wie „The Hustlers Grotto“<br />

oder „Death Smell Acacia“ aus den 80erund<br />

frühen 90er-Jahren auf eine Ebene<br />

mit den düsteren Existenzialisten Antonin<br />

Artaud, Jean Genet und Franz Kafka.<br />

„Ich stellte fest, meine Stimme hatte<br />

sich in die eines Hundes verwandelt“,<br />

schreibt sie. „Um mir Gewissheit zu verschaff<br />

en, ging ich hinaus in den Garten,<br />

sprach mit dem Tier, und siehe da, ich<br />

war tatsächlich ein Hund geworden!“<br />

Nicht weit von ihrer Klinik entfernt, wo<br />

sie nun seit 33 Jahren wohnt, liegt ihr<br />

Studio, in dem sie fast täglich malt. Seit<br />

ihrer sensationellen Wiederentdeckung<br />

mit der Ausstellung „Love Forever:Yayoi<br />

Kusama 1958–1968“ in Los Angeles und<br />

New York (1998) sowie Tokio (1999) emp-<br />

FREIGÄNGERIN<br />

fängt sie hier auch regelmäßig ausländische<br />

Kuratoren, berühmte Künstlerkollegen<br />

und neugierige Journalisten. Ich<br />

versuche, ein kurzes Interview zum Thema<br />

Freiheit mit ihr zu führen.<br />

Sie leben in der Psychiatrie. Was bedeutet<br />

Freiheit für Sie? „Wirklich frei fühle<br />

ich mich, wenn ich künstlerisch arbeite.“<br />

Was sind die Nachteile von Freiheit?<br />

„Frei fühlt sich nur derjenige, der von<br />

dem, was er macht, wirklich überzeugt<br />

ist.“ Welche Person bewundern Sie für<br />

ihre absolute Freiheit? „Ich bewundere<br />

mich selbst.“ Glauben Sie, dass die Menschen<br />

in unserer modernen Gesellschaft<br />

wirklich frei sind? „Solange es Krieg<br />

und Terror in der Welt gibt, sind die<br />

Menschen nicht frei.“ Wie unterscheidet<br />

sich Freiheit in Japan von Freiheit in<br />

westlichen Gesellschaften? „Die japanische<br />

Gesellschaft ist leider immer noch<br />

feudalistisch. Wirkliche Freiheit gibt es<br />

nur im Westen.“ Dann sagt sie unvermittelt:<br />

„Trink deinen Kaff ee aus!“ Sie<br />

steht auf und geht zu ihrer Familie – den<br />

Ärzten und Mitpatienten.<br />

Yayoi Kusama, 2004<br />

Roland Hagenberg lebt als Architekt,<br />

Journalist, Fotograf und Ausstellungsmacher<br />

in Tokio und<br />

Wien. Zum Franz-Liszt-Jahr 2011<br />

bereitet er ein Projekt vor, bei dem<br />

japanische Architekten „Häuser im<br />

Grünen“ als temporäre Unterkünfte<br />

in Liszts Geburtsort Raiding im<br />

Burgenland errichten, darunter das<br />

Büro Sanaa, die Pritzker-Preisträger<br />

dieses Jahres. Yayoi Kusama<br />

kennt er seit über 20 Jahren.


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Esslingen<br />

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INTERVIEW<br />

»ES IST UNSERE<br />

WELT, DIE ›FIDELIO‹<br />

BESCHREIBT«<br />

Fidelio<br />

Er singt den Kerkermeister Rocco, die Partie eines Mitläufers,<br />

der erst spät den Moralisten in sich entdeckt. In<br />

MAX JOSEPH sagt Franz-Josef Selig, was Beethovens ein zige<br />

Oper heute relevant macht und warum seine Freunde<br />

den sanftmütigen Rheinländer manchmal nicht wieder erkennen,<br />

wenn er auf der Bühne steht.<br />

3<br />

6


Kräftig die Statur, entschieden und doch sanft sein Händedruck,<br />

vertrauenerweckend seine unaufgeregte, uneitle Art.<br />

Franz-Josef Selig ist kein auf publikumswirksame Selbst-<br />

darstellung bedachter SSänger.<br />

Schwer vorstellbar, dass der<br />

weltweit tweit gefragte Bass Bass jemals die Contenance verlieren<br />

könnte. nte. Nur N auf der d Bühne üh verwandelt sich der Rheinländer<br />

in einen inen machtbesessenen be n Herrscher, geldgierigen Vater –<br />

aber r auc auch in eine einen altersweisen Mann. Seine Stimme wird<br />

gerne ne mit mi Adjektiven jekt wi wie „nobel“, „balsamisch“, „samten“<br />

oder r „herrlich „he satt“ sa beschrieben. es Wer sich darunter wenig<br />

vorstellen stelle kann, wird d in i der Spielzeit 2010/11 reichlich<br />

Gelegenheit egenh fi nden, Franz-Josef Fra Selig auf der Bühne der<br />

<strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong> in drei berühmten Basspartien zu<br />

erleben: im Dezember als Sarastro in der „Zauberfl öte“, im<br />

Mai als Osmin in der „Entführung aus dem Serail“, vor allem<br />

aber als Kerkermeister Rocco in der Neuproduktion des<br />

„Fidelio“, deren Premiere am 21. Dezember stattfi ndet.<br />

MAX JOSEPH Herr Selig, wenn in den Medien<br />

über „Opernstars“ berichtet wird, sind das in der<br />

Regel Tenöre und Sopranistinnen. Führen Bassisten<br />

ein Schattendasein?<br />

FRANZ-JOSEF SELIG Ja, das tun sie wohl, aber<br />

ich liebe dieses Schattendasein. Ständig im Scheinwerferlicht<br />

zu stehen, wäre mir ein Graus – es entspricht weder<br />

meinem Naturell noch meinem Streben. Künstler mit Soloplattenverträgen<br />

haben es schließlich nicht leicht: Sie müssen<br />

in Anbetracht racht all ihrer Verpfl ich ichtungen aufpassen, dass<br />

sie überhaupt noch zum Singen kommen. omme<br />

MJ Wann haben Sie entdeckt, deckt, dass Sie über eine<br />

bemerkenswerte werte Stimme verfügen? erfüge<br />

FJS Das passierte te re relativ früh: rüh: SSchon<br />

mit 13 hatte ich<br />

eine Bassstimme. Ich bbin ja mit it aalter<br />

Musik aufgewachsen,<br />

sang im Chor, habe dann in Köln n Kirc Kirchenmusik studiert. Es<br />

war mein Gesangslehrer, lehre der meinte, einte, ich h müsse unbedingt<br />

zur Oper. Damals stan stand ich dieser eser IIdee e höchst skeptisch<br />

gegenüber – die Oper war für mich h eine kü<br />

künstliche Welt. Bei<br />

einer konzertanten Auff ührung der „Zauberfl öte“ wurde der<br />

Intendant des Essener Aalto-Theaters auf mich aufmerk-<br />

FRANZ-JOSEF SELIG<br />

TEXT MARGIT UBER<br />

FOTOGRAFIE KUBA ŚWIETLIK<br />

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sam und holte mich an sein Haus, wo ich dann bis 1995<br />

Ensemblemitglied war.<br />

MJ Und heute singen Sie an allen großen Bühnen<br />

der Welt, in Paris, New York, Mailand. Mit welchen<br />

Gefühlen sehen Sie nun München entgegen?<br />

FJS In den letzten Jahren war ja Paris ein Zentrum meiner<br />

Arbeit, die Opéra Garnier und die Opéra Bastille, und<br />

nun in München gleich bei mehreren Produktionen dabei zu<br />

sein, ist eine schöne Sache. Darauf freue ich mich schon<br />

sehr. Ich mag die Everding-„Zauberfl öte“, vor allem aber bin<br />

ich schon sehr gespannt, wie Calixto Bieito den „Fidelio“<br />

angehen wird. Mit den Dialogtexten von Joseph Sonnleithners<br />

Libretto kann man ja so seine Probleme haben. Was<br />

also – das ist die Frage – wird Bieito mit diesen Dialogen<br />

machen? Für den Pariser „Fidelio“ von 2008 in der Neuinszenierung<br />

von Johan Simons beispielsweise hatte Martin<br />

Mosebach neue Dialoge geschrieben. Die waren zeitlos und<br />

doch zeitgemäß und gewährten tiefe Einblicke in die Innenwelten<br />

der einzelnen Charaktere.<br />

MJ In Bieitos Neuinszenierung werden Sie den<br />

Kerkermeister Rocco singen. Um sein privates Glück<br />

nicht zu gefährden, arrangiert sich Rocco mit der<br />

Staatsmacht. Wie sehen Sie seinen Charakter? Ist er<br />

ein harmloser Mitläufer?<br />

FJS Anfangs ja. In seiner Goldarie „Hat man nicht auch<br />

Gold beineben, kann man nicht ganz glücklich sein“, die<br />

ich früher übrig übrigens grässlich fand, huldigt Rocco einer rein<br />

materiell orientierten ient Lebensphilosophie. Als einzige Figur<br />

im „Fidelio“ de en entwickelt er sich jedoch weiter. Als Pizarro<br />

ihn verdingen di wwill<br />

zu morden, lehnt er sich auf. Er ist nicht<br />

mehr r ber bereit, für Geld alles zu tun. Sein Gewissen ist stärker<br />

als sein in OOpportunismus. tu<br />

MMJ Beethoven et hat mit seiner einzigen Oper an einen<br />

Tr Trend se seiner Zeit angeknüpft, den der Befreiungsopern,<br />

n, di die von der Französischen Revolution beein-<br />

fl usst wa waren. Sind die Aufreger-Themen von 1805,<br />

als „Fidelio“ uraufgeführt wurde, für Sie heute überhaupt<br />

noch relevant?


FJS Auf jeden Fall. Es ist unsere Welt, die „Fidelio“ beschreibt,<br />

und der Ort der Handlung ist überall. Heute vermisst<br />

man Mut – Beispiele für den Mangel an Zivilcourage<br />

gibt es ja zuhauf. Solange es den Menschen wirtschaftlich gut<br />

geht, wird sich daran vermutlich auch nicht viel ändern. Leonore<br />

hat so gesehen Vorbildfunktion. Sie ist bereit, für ihre<br />

Überzeugungen jedes noch so große Risiko einzugehen, und<br />

wächst in der Stunde der Entscheidung über sich hinaus.<br />

MJ Glauben Sie, dass Oper beim Zuschauer etwas<br />

bewegen kann?<br />

FJS Davon bin ich überzeugt. Ein sinnvolles Konzept vorausgesetzt,<br />

vermag Oper Denkprozesse anzustoßen. Wenn<br />

eine Inszenierung jedoch zu sehr provoziert, kann der Schuss<br />

nach hinten losgehen. Das Publikum ist dann überfordert<br />

und entzieht sich. Doch in jeder Aufführung erreichen wir<br />

Menschen – und auch wenn es nur ein einziger wäre, würde<br />

sich jede Mühe lohnen.<br />

MJ Ändert sich Ihr Blickwinkel auf eine Rolle, wenn<br />

das eigene Leben eine neue Wendung nimmt?<br />

FJS Das Repertoire eines Bassisten umfasst ja viele Herrscherfiguren:<br />

einsame, zerrissene Persönlichkeiten im Spannungsfeld<br />

zwischen Machtanspruch, Willkür, Verantwortungsbewusstsein<br />

und Sehnsucht nach privatem Glück. Oft<br />

spielt man also Rollen, die wenig mit der eigenen Person<br />

zu tun haben. Nehmen Sie beispielsweise den Osmin. Als<br />

mich Freunde kürzlich in Barcelona in der Inszenierung der<br />

„Entführung aus dem Serail“ von Christof Loy sahen, waren<br />

sie erstaunt, wie böse ich sein kann. Natürlich kann man auf<br />

der Bühne Facetten ausleben, die man sonst nicht zulässt,<br />

oder solche erspüren, die man gar nicht hat. Das empfinde<br />

ich mitunter als besondere Lust. Selbstverständlich interpretiere<br />

ich heute mit annähernd 50 Jahren eine Rolle anders<br />

als mit 25. Ich habe Krisen durchlebt, Liebesschmerz und<br />

Verluste erfahren. Bei meinen Liederabenden konfrontiere<br />

ich das Publikum oft mit finsteren Programmen, in denen es<br />

um Tod geht. Wir entfliehen dem Tod viel zu sehr – früher<br />

haben die Menschen in dieser Hinsicht viel bewusster gelebt.<br />

So etwas kann man als 20-Jähriger noch nicht singen.<br />

MJ Gibt es Rollen, mit denen Sie sich identifizieren<br />

können?<br />

FJS In dem Moment, in dem ich in eine Rolle schlüpfe,<br />

identifiziere ich mich automatisch damit – natürlich nicht<br />

im Sinne einer persönlichen Identifikation. Oft werde ich<br />

nach der „schönsten“ Oper gefragt, und da kann die Antwort<br />

doch nur lauten: die, die ich gerade mache. Spannend<br />

ist der Entstehungsprozess. An Stücken mit verschiedenen<br />

Regisseuren und Dirigenten zu arbeiten, eröffnet immer<br />

wieder neue Sichtweisen. Ich bin kein Dogmatiker, der<br />

glaubt, so oder so müsse musiziert werden. Obwohl: Früher<br />

dachte ich tatsächlich, Bach darf nicht auf einem modernen<br />

Flügel gespielt werden!<br />

MJ Welche Figur bedeutet Ihnen besonders viel?<br />

FJS Eindeutig König Marke. Marke ist die vielleicht privateste<br />

Partie, die ein Bassist singen kann. Was für ein Monolog!<br />

Marke ist emotional anstrengend, und wenn man sich<br />

wirklich darauf einlässt, kostet diese relativ kurze Partie so<br />

viel Energie wie ein ganzer Gurnemanz-Akt.<br />

FRANZ-JOSEF SELIG<br />

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D<br />

E<br />

L<br />

I<br />

O<br />

8<br />

MJ Man liest immer wieder, Gurnemanz – eine der<br />

längsten Partien der Opernliteratur – sei Ihre Paraderolle.<br />

Sehen Sie das auch so?<br />

FJS Mit dem Begriff „Paraderolle“ kann ich nicht viel<br />

anfangen. Gurnemanz und Marke sind mir die vertrautesten<br />

Rollen, sie kommen meiner Stimme am nächsten. Ich<br />

mag den erzählenden Ton und pflege ihn – ich versuche,<br />

sehr wortverständlich zu singen. Brutalere Charaktere wie<br />

Hagen liegen mir hingegen nicht so. Bei Gurnemanz er-<br />

klärt sich die Anstrengung aus der Länge der Partie. Nach<br />

dem 1. Akt muss ich das Energielevel halten, damit ich im<br />

3. Akt wieder gewappnet bin.<br />

MJ Wie und wo laden Sie nach solchen Aufführungen<br />

Ihre Batterien auf?<br />

FJS Nach einer Opernproduktion will ich nach Hause<br />

kommen und bei meiner Familie nur noch Privatmensch<br />

sein, denn hier ist der Mittelpunkt meines Lebens, der mir<br />

auch während der langen Abwesenheiten den Halt gibt für<br />

meinen wunderbaren Beruf. Und ab und an spiele ich dann<br />

auch wieder Orgel oder gehe beispielsweise mit unserem<br />

Sohn zu einem Fußballspiel des 1. FC Köln.<br />

Margit Uber ist Autorin und<br />

lebt in München. Lieblingsthemen:<br />

die Oper und Südtirol.<br />

Franz-Josef Selig zählt weltweit zu<br />

den renommiertesten Interpreten<br />

ernster Basspartien, insbesondere<br />

Gurnemanz („Parsifal“), König Marke<br />

(„Tristan und Isolde“), Daland<br />

(„Der fliegende Holländer“), Osmin<br />

(„Die Entführung aus dem Serail“),<br />

Sarastro („Die Zauberflöte“) und<br />

Fiesco („Simon Boccanegra“). Er<br />

war zu Gast u. a. an der Wiener<br />

<strong>Staatsoper</strong>, dem Royal Opera House<br />

Covent Garden, der Mailänder<br />

Scala, Opéra Bastille, Metropolitan<br />

Opera New York, Lyric Opera of<br />

Chicago, dem Théâtre de la Monnaie<br />

sowie bei den Salzburger Festspielen.<br />

An der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />

wird er in dieser Spielzeit als Rocco<br />

in der Neuproduktion des „Fidelio“<br />

sowie als Sarastro und Osmin zu erleben<br />

sein.<br />

Fidelio<br />

Oper in zwei Akten<br />

von Ludwig van Beethoven<br />

Premiere am 21. Dezember 2010<br />

Weitere Termine im Spielplan<br />

ab S. 90


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der<br />

liebe<br />

Sechs Jahre lang lebte<br />

Ingrid Betancourt als Geisel<br />

in Händen kolumbianischer<br />

Rebellen. Sechs Jahre lang<br />

versuchte ihr Ehemann Juan<br />

Carlos Lecompte, sie zu befreien.<br />

Ein Gespräch über<br />

seine persönliche unfreiheit<br />

in Freiheit und Parallelen zu<br />

einem weltbekannten opernstoff.<br />

INGRId BEtANCouRt<br />

AufstAnd<br />

4<br />

0<br />

INtERVIEW<br />

BRIGIttE PAuLINo-NEto<br />

ÜBERSEtzuNG<br />

FLoRIAN HEuRICH<br />

Max joseph Sie gelten in Kolumbien, aber<br />

auch anderen Ländern als eine Symbolfigur für den<br />

Freiheitskampf. Sind Sie so etwas wie ein Fidelio von<br />

heute?<br />

juan Carlos leCoMpte Ich finde es eine interessante<br />

Idee, eine Parallele zwischen dem, was mir passiert<br />

ist, und den Stücken der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong> zu<br />

ziehen. Mein Engagement für die Befreiung von Geiseln in<br />

Kolumbien geschah vor allem aus Liebe. Ich würde sagen,<br />

ich habe mich total obsessiv für eine Sache eingesetzt – für<br />

die Freiheit meiner ehemaligen Frau, Ingrid Betancourt,<br />

ihrer Freundin Clara Rojas und der anderen Entführten.<br />

Viele Länder reagierten mit Anerkennung und wollten helfen.<br />

Wenn es diese Kampagne nicht gegeben hätte, sähe<br />

die Situation heute ganz anders aus, einige der Befreiten<br />

wären wahrscheinlich sogar gleich wieder entführt worden.<br />

Auch wenn es keine – wenn man das so nennen will – „berühmten“<br />

oder „wichtigen“ Geiseln mehr gibt, also Leute<br />

wie Ingrid, Clara und die Politiker, gibt es heute noch die<br />

„Ich habe mich total<br />

obsessiv eingesetzt für die<br />

Freiheit meiner ehemaligen<br />

Frau und der anderen<br />

Entführten.“<br />

ganzen „vergessenen“ Geiseln, die anonym bleiben. Ich treffe<br />

mich immer noch mit Müttern, deren Söhne schon seit zwölf<br />

oder dreizehn Jahren entführt sind.<br />

Mj Was haben Sie unternommen, um die Freilassung<br />

der Geiseln zu erreichen?<br />

jCl Wir kämpften gegen die Regierung, die unserer Meinung<br />

nach nicht genügend für die Entführten tat, und besetzten<br />

die Kathedrale von Bogotá auf der Plaza de Bolívar.<br />

Ein anderes Mal verbrachte ich die Nacht auf einer Polizeistation,<br />

nachdem wir eine Aktion auf den Stufen des Kon-


P–R–E–M–I–E–R–E<br />

Fidelio<br />

4<br />

1<br />

RettungsopeR, BefReiungsopeR,<br />

schReckensopeR, RevolutionsopeR<br />

vier synonyme für ein genre, das im frankreich der Revolutions-<br />

zeit entstanden ist und meist die Befreiung einer von Willkür bedrohten<br />

person zum inhalt hat: als spiegel der gesellschaftlichen unsicherheit<br />

während der Revolutionswirren, als Ausdruck des unerfüllten Wunsches<br />

nach freiheit und gerechtigkeit, als antidespotisches Ausrufezeichen.<br />

Dem entspricht „fidelio“, ludwig van Beethovens einzige vollendete<br />

oper, deren entstehungs- und umarbeitungsprozess ganze zehn Jahre,<br />

vier ouvertüren und drei fassungen umspannt. eigentlich sollte sich<br />

Beethoven mit einem antiken stoff, „vestas feuer“, dem Wiener opernpublikum<br />

vorstellen, doch kam ihm der geschmackswandel der Wie-<br />

ner hin zur französischen opéra comique sehr entgegen. so machte sich<br />

Joseph sonnleithner 1804 an die Übersetzung und umarbeitung von<br />

Jean nicolas Bouillys libretto „léonore ou l’amour conjugal“ (1798),<br />

der französischen vorlage von „fidelio“. Aus deren erstvertonung von<br />

pierre gaveaux dürfte Beethoven für seine komposition einige Anregungen<br />

entnommen haben, doch unbekannt war ihm vermutlich, dass<br />

die handlung auf einer wahren Begebenheit aus der Zeit der Jakobinerherrschaft<br />

basiert. (text: Andrea schönhofer)


gressgebäudes gestartet hatten. Wir taten also viel, damit<br />

die Regierung endlich etwas unternahm, denn es herrschte<br />

eine unglaubliche Lethargie und Behäbigkeit. das lag aber<br />

nicht nur an der Regierung, sondern auch an der Öffentlichkeit<br />

und den Medien, die manchmal zwei oder drei Monate<br />

keine einzige Meldung über die Entführten brachten. das<br />

machte uns Angst, war aber auch eine Aufforderung, für<br />

Aufmerksamkeit zu sorgen. Früher protestierten nur die<br />

Angehörigen der Entführten, heute ist zum Glück die ganze<br />

kolumbianische Gesellschaft aufgewacht.<br />

Mj War Ihr Kampf auch ein Akt der treue – wie<br />

in Beethovens oper?<br />

jCl Mehr als ein Akt der treue war es ein Akt der Liebe.<br />

Alles, was ich tat, tat ich aus Liebe: Ich ließ mir Ingrids<br />

Gesicht auf meinen Arm tätowieren, ich ließ die Fotos von<br />

ihren Kindern über dem dschungelgebiet abwerfen, wo man<br />

glaubte, dass sie festgehalten wurde. Mich motivierte aber<br />

auch, einer Idee treu zu sein. Ich war nicht nur in Ingrid<br />

verliebt, auch ihre Ideale. Natürlich hätte das eine Liebe<br />

ohne Ehe sein können, aber genauso wie Leonore und Florestan<br />

waren wir eben verheiratet.<br />

Mj um die Erinnerung wachzuhalten, spricht Florestan<br />

in seinem Kerker mit Leonores visionärem<br />

Bild. Auf welche Art und Weise haben Sie die Nähe<br />

zu Ihrer Frau gesucht?<br />

jCl um weitermachen zu können, habe ich immer wieder<br />

die Fotos von unseren Familienurlauben angeschaut.<br />

Viele dinge gingen mir durch den Kopf, wenn ich nächtelang<br />

unsere Fotos betrachtete. Ich habe immer gesagt, dass<br />

der tod irgendwie leichter zu verkraften gewesen wäre.<br />

Man trauert vielleicht ein Jahr, vielleicht drei Jahre, meine<br />

trauer aber war dauerhaft. Eine trauer, die man immer<br />

mit sich schleppt, eine Wunde, die nie heilt. Mein Leben<br />

war komplett davon bestimmt, was ich für Ingrid und die<br />

anderen zu tun hatte und was ich eventuell noch hätte tun<br />

können.<br />

„Mich motivierte auch, einer<br />

Idee treu zu sein. Ich war<br />

nicht nur in Ingrid verliebt,<br />

auch in ihre Ideale.“<br />

Mj Ihre Frau war tatsächlich gefangen. Kann man<br />

bei Ihnen von einer Art psychischer Mitgefangenschaft<br />

sprechen?<br />

jCl das Leben spielt sich in einer Art Seifenblase ab. das<br />

laugt einen aus und man fühlt sich schuldig für viele dinge.<br />

Wenn ich zum Beispiel etwas Gutes zu essen hatte, dachte<br />

ich, dass sie nur sehr schlechtes oder gar kein Essen bekam;<br />

wenn ich mich mit warmem Wasser duschte, dass sie gar<br />

nicht duschen konnte; wenn ich in einem bequemen Bett<br />

lag, dass sie auf dem Boden schlief. Wenn ich ins Kino oder<br />

mit Freunden in ein Café ging, dachte ich, dass mich die<br />

Leute sicher komisch anschauen würden, weil ich mich ver-<br />

INGRId BEtANCouRt<br />

4<br />

2<br />

gnügte, während meine Frau litt. Auf gewisse Weise wird<br />

man dadurch selbst zu einem Gefangenen.<br />

Mj Wie haben Sie es geschafft, die Hoffnung nicht<br />

aufzugeben?<br />

jCl Mir haben vor allem die gelegentlichen Lebenszeichen<br />

geholfen, die ich von Ingrid bekam – insgesamt vier während<br />

der sechs Jahre Gefangenschaft. diese Videobotschaften<br />

gaben mir die Kraft weiterzukämpfen, da mir Ingrid<br />

immer einige Worte der Liebe sagte, die sehr poetisch und<br />

zärtlich waren.<br />

„Wenn ich etwas Gutes zu<br />

essen hatte, dachte ich, dass<br />

sie nur sehr schlechtes oder<br />

gar kein Essen bekam.“<br />

Mj Mit welchen Gefühlen haben Sie diese Videobotschaften<br />

gesehen?<br />

jCl die letzte war die traurigste von allen: Ingrid war<br />

sehr abgemagert und schaute nicht in die Kamera. Sie stammelte<br />

nur ein paar Worte, als ob sie kurz vor dem Sterben<br />

wäre. drei Jahre lang hatte ich kein zeichen von ihr bekommen,<br />

es gab nur Gerüchte, dass sie sehr krank geworden<br />

und bereits gestorben sei. Es war schrecklich und quälend,<br />

so lange zeit nichts von ihr zu hören. Als dann ein Lebenszeichen<br />

kam, sahen wir zwar, dass es ihr sehr schlecht ging,<br />

aber immerhin wussten wir, dass sie lebt.<br />

Mj Sie sagen, dass Sie, bevor Sie Ingrid Betancourt<br />

kennengelernt haben, wenig Interesse an Politik hatten.<br />

Wodurch hat sich das geändert?<br />

jCl In vielen Ländern, auch in den Vereinigten Staaten,<br />

gehen 50 Prozent der Bevölkerung nicht zur Wahl. Ich habe<br />

früher auch nicht gewählt. Natürlich hatte ich ein politisches<br />

Gewissen, aber ich hatte den Eindruck, dass meine<br />

Stimme absolut unwichtig sei, wie ein tropfen auf den heißen<br />

Stein – sie habe keine Wirkung, könne die dinge nicht<br />

ändern. Als ich Ingrid kennenlernte, änderte sich das. Sie<br />

war wie besessen davon, die kolumbianische Politik zu ändern<br />

und vor allem die Korruption zu bekämpfen. das gefiel<br />

mir an ihr. Ich habe mich in ihre politische Botschaft verliebt,<br />

in ihren Ehrgeiz, ihren Glauben an das Land und die<br />

Leute sowie daran, dass es möglich ist, etwas zu ändern.


Mj Wie haben Sie die politische Arbeit Ihrer Frau<br />

unterstützt?<br />

jCl Ich übernahm die Öffentlichkeitsarbeit, weil ich darin<br />

Erfahrung hatte. Ich kümmerte mich um Werbung, Kommunikation<br />

und schaute, durch welche Aktionen wir die<br />

öffentliche Meinung mobilisieren konnten. daneben arbeitete<br />

ich als Ingrids Berater. Sie hörte auf mich und befolgte<br />

meine Ratschläge. Ich glaube, wir leisteten wirklich gute<br />

Arbeit. dadurch wurde mir bewusst, wie wichtig auch eine<br />

„Ich hielt mich an der Liebe<br />

fest, von der ich hoffte, dass<br />

sie diese großen Prüfungen<br />

überstehen würde.“<br />

einzelne Stimme ist und wie wichtig es ist, zur Wahl zu<br />

gehen. Ich verlor meine frühere Skepsis und erkannte, dass<br />

es um eine gerechte Sache geht, für die es sich lohnt zu<br />

kämpfen.<br />

Mj „Ich hab auf Gott und Recht Vertrauen“, sagt<br />

Beethovens Leonore. Gilt das vielleicht auch für<br />

Ingrid Betancourt?<br />

jCl Ingrid hat immer auf Gott vertraut. Sie war gläubig –<br />

nicht zwanghaft, sondern auf natürliche Art und Weise. Sie<br />

hielt sich an Gott fest und ich hielt mich an der Liebe fest,<br />

an unserer Beziehung, einer sehr starken Beziehung, von der<br />

ich hoffte, dass sie diese großen Prüfungen überstehen würde.<br />

„drei von vier Ehen gehen<br />

nach einer langen Entführung<br />

auseinander. unsere war eine<br />

sehr lange Entführung.“<br />

Mj und Sie? Glauben Sie an göttliche und menschliche<br />

Gerechtigkeit?<br />

jCl Ja, ich glaube, aber mein Glauben an Gott ist sehr<br />

persönlich, für mich selbst zurechtgelegt. Ich glaube zum<br />

Beispiel nicht daran, dass man in einem nächsten Leben für<br />

das bezahlen muss, was man in diesem Leben verbrochen<br />

hat. Es gibt viele schlechte Menschen, die sehr mächtig sind<br />

und niemals für irgendetwas bezahlen werden. An diese<br />

göttliche Gerechtigkeit glaube ich nicht. Ich glaube allerdings<br />

auch nicht an die menschliche Gerechtigkeit.<br />

Mj Nach Ingrid Betancourts Befreiung haben Sie<br />

sich getrennt. Angeblich ist die Scheidungsrate bei<br />

Entführungsopfern überdurchschnittlich hoch.<br />

jCl die Stiftung „País libre“ (Freies Land) macht Studien<br />

über die Entführungsopfer in Kolumbien, erstellt Statistiken<br />

und gibt auch psychologische Hilfe. danach gehen drei<br />

von vier Ehen nach einer langen Entführung auseinander.<br />

Als lange Entführung gelten zwei Jahre und mehr – unsere<br />

INGRId BEtANCouRt<br />

4<br />

3<br />

war also eine sehr lange Entführung. Wie soll man das erklären?<br />

Während einer so langen zeit passieren viele dinge.<br />

Plötzlich ist die Liebe weg. Ingrid hat sich während ihrer<br />

Entführung sehr verändert – und ich natürlich auch. Ich<br />

habe geglaubt, nicht in diese Statistiken zu fallen. Ich habe<br />

gedacht, dass unsere Liebe stark genug ist, damit wir zusammenbleiben<br />

können. darauf setzte ich. daran glaubte<br />

ich. dafür kämpfte ich. Aber ich habe verloren.<br />

Mj Wie hat sich die Veränderung bei Ihrer Frau<br />

bemerkbar gemacht?<br />

jCl Ich erkannte sie nicht wieder, wenn sie sprach. zum<br />

Beispiel wenn es um Geld und materielle dinge ging, erschien<br />

sie mir irgendwie anders. die Psychologin von „País<br />

libre“ hatte mich darauf vorbereitet: Entführungsopfer haben<br />

viele Jahre lang ohne jeden Besitz gelebt – ohne Brille,<br />

„Jetzt kann ich mein Leben<br />

leben und nach vorne blicken.<br />

die Geschichte mit Ingrid<br />

gehört der Vergangenheit an.“<br />

ohne Stift, ohne telefon, ohne uhr. da sie nichts hatten,<br />

möchten sie, wenn sie wieder frei sind, nur noch haben,<br />

haben, haben. Manche entwickeln andere Auffälligkeiten,<br />

aber mit Sicherheit übersteht niemand sechs Jahre Gefangenschaft,<br />

als ob nichts geschehen wäre. Ingrid stellte dann<br />

diese merkwürdige Forderung, dass die Regierung sie finanziell<br />

entschädigen müsste.<br />

Mj Sie haben jetzt in Frankreich ein Buch über<br />

Ihre Erfahrungen veröffentlicht: „Ingrid et moi. une<br />

liberté douce-amère“. Was war Ihre Motivation?<br />

jCl Ich will mit dem Buch meine Vergangenheit hinter<br />

mir lassen. das hervorzuholen, was mich in meinem tiefsten<br />

Inneren bewegte, was ich in meinem Körper und meinem<br />

Herzen verschlossen hielt, war wie ein Exorzismus. danach<br />

war es möglich, das Ganze aus einer distanzierteren Perspektive<br />

zu betrachten. Jetzt kann ich diese zeit wirklich<br />

begreifen, mein Leben leben und nach vorne blicken. die<br />

Geschichte mit Ingrid gehört der Vergangenheit an.


P–r–e–m–i–e–r–e<br />

Fidelio<br />

1. Akademiekonzert<br />

Der freischaffenDe<br />

Kompromiss<br />

Aus Anlass der Aufführung des legendären Violinkonzerts<br />

Offertorium von Sofia Gubaidulina beim 1. Akademiekonzert<br />

und der Neuproduktion von Ludwig van Beethovens<br />

Fidelio: Gedanken zur rolle des Komponisten zwischen<br />

Nischendasein und Öffentlichkeit.<br />

Der freischaffende Künstler verfolgt<br />

eine unökonomische Arbeit.<br />

inter essant wird es, wenn von den<br />

Produkten dieser Arbeit gelebt<br />

werden soll. ein Komponist beispielsweise<br />

produziert unnütze Gegenstände,<br />

die nicht einmal Gegenstände<br />

sind, sogenannte Werke, und<br />

lebt davon, sie zu vermarkten. er<br />

geht prinzipiell in Vorleistung, verkauft<br />

aber am besten etwas noch<br />

nicht existierendes, das eigentlich<br />

erst beschreibbar wäre, nachdem es<br />

fertig ist. er ist die gelebte Parodie auf den markt.<br />

ein Klempner wird in auftragsarmen Zeiten eher selten<br />

darangehen, bei sich zu Hause überall ein paar zusätzliche<br />

Duschbatterien anzubringen. Genau das aber tun manchmal<br />

Komponisten. Welche Ökonomie steckt dahinter?<br />

eine, die sich im entzug von ökonomischen Gesetzen erfüllt?<br />

Oder im Gegenteil die radikale Unternehmerlogik, die<br />

das ganze Leben dessen umgreift, der sich ihr stellt? Die<br />

nötige Balance zwischen dem entwurf und der konkreten<br />

Auftragslage macht den hauptberuflichen Künstler zwangsläufig<br />

zum hauptberuflichen Verleugner von risiko und<br />

Prekarität.<br />

Von moritz Gagern<br />

„es fällt mir<br />

von Tag zu Tag schwerer,<br />

auf dem niveau<br />

meines blauen porzellans<br />

zu leben.”<br />

oscar Wilde<br />

4<br />

4<br />

Früher gab es den fest angestellten<br />

Kapellmeister, dann kamen mozart<br />

und Beethoven, dann gab es den<br />

fest an ge stellten Kom positionsprofessor.<br />

Was hat sich erhalten von<br />

dem Vorbild dieser früh industriellen<br />

Aus nahme erschein ungen?<br />

Was hat sich verändert, seit ein<br />

mo zart ständig langweiligen einladungen<br />

bei reichen Gönnern folgen<br />

musste, anstatt weiter zuarbeiten,<br />

und ein Beet hoven mit Fürst Kinsky<br />

jun ior um die Auszahlung der<br />

spär lichen rente gerichtlich streiten musste, die dessen<br />

Vater ihm vertraglich zugesichert hatte?<br />

Wir haben heute ein gutes Urheberrecht und eine Handvoll<br />

institutionen, die dieser uralten Ökonomie des Unökonomischen<br />

rechnung tragen. Vermutlich wird in jeder<br />

Kultur auf die eine oder andere Art eine Arbeit gesellschaftlich<br />

unterstützt, die darin besteht, Fragen zu stellen,<br />

die nicht zu beantworten sind, und diese fehlende<br />

Antwort in irgendein Bild oder ein Geschehen zu fassen,<br />

mit dem der beängsti gend leere Punkt des Lebens überbrückbar<br />

wird. Doch an den berufsspezifischen Widersprüchen<br />

zwischen den Forderungen dieser Arbeit auf


dem Acker der Kunst und denen eines selbstständigen<br />

Betriebes hat sich in den letzten zweihundertfünfzig Jahren<br />

wenig geändert.<br />

W AS NO t tU t<br />

Not macht erfinderisch. es ist kein Nachteil für die Kunst,<br />

wenn Zwänge ins Spiel kommen. Der listige Umgang mit<br />

einer spürbaren endlichkeit ist das, was eine Komposition<br />

lebendig und interessant macht. Das Hindernis kann<br />

formal sein oder betriebswirtschaftlich. Pointiert hat dieses<br />

Prinzip einmal Lars von trier in „Five Obstructions“<br />

(2003), wo er seinem idol Jørgen Leth harte regeln vorgibt,<br />

nach denen dieser seinen eigenen erstlingsfilm neu<br />

drehen soll. Die regeln folgen keiner anderen Logik, als<br />

möglichst unangenehm und unerfüllbar zu sein. Bei der<br />

Sichtung des ergebnisses sind sich beide einig, dass die<br />

regeln ein Geschenk waren.<br />

So ähnlich läuft es ab, wenn ein Komponist sich heutzutage<br />

an die Arbeit macht. Für jedes neue Stück müssen zuerst<br />

die richtigen einschränkungen gefunden werden, um dann<br />

gebrochen zu werden. Das 20. Jahrhundert hat aufgeräumt<br />

mit der idee, es gäbe genuin musikalische regeln. einmal<br />

abgesehen von der praktischen Frage, wie einer davon lebt,<br />

jahrelang an einer 20-minütigen Symphonie zu schreiben,<br />

die 85 zu bezahlende musiker vor 80 zahlenden Gästen<br />

spielen: Wir haben formale Freiheit und ökonomische Begrenzung<br />

– leichter wäre es umgekehrt.<br />

in Alt-europas höfischen Privatkapellen und städtischbürgerlichen<br />

Konzerthäusern<br />

sprach man noch selbstverständlich<br />

eine musikalische Sprache.<br />

Die Welt der Klänge war mit klaren<br />

regeln geordnet, die identisch<br />

waren mit dem musikalisch Vorstellbaren.<br />

Sie zu beherrschen, gehörte<br />

zum Bildungskanon. richtig<br />

musikalisch wurde es aber erst,<br />

wenn ein Komponist frech genug<br />

war, in die allgemein bekannten<br />

Konventionen einen geistigen Gehalt<br />

und eine Lebendigkeit unterzubringen.<br />

Diese Ausnahmen von<br />

den vermeintlich musikalischen Gesetzen nennen wir heute<br />

„klassische musik“.<br />

inzwischen ist ein anderer Drahtseilakt nötig. es gibt keine<br />

Sprache, in der die Klänge sprechen. Jedes Werk muss<br />

eine neue und in sich geschlossene Form ohne Sprache<br />

für sich entwickeln. Aus dem Concerto, bei dem man das<br />

Porzellan der höfischen Gesellschaft klirren hört, ist eine<br />

abstrakte, raue Skulptur geworden, die den Zuhörer emotional<br />

und intellektuell weniger bestätigen als herausfordern<br />

will. Aus dem musikus und Kapellmeister ist schon<br />

damals langsam ein freischaffender Autor geworden, der<br />

nicht wie ein Kellner der genüsslichen sozialen Bestäti-<br />

Der FreiSCHAFFe NDe<br />

K<br />

O<br />

m<br />

P<br />

r<br />

O<br />

m<br />

i<br />

S<br />

S<br />

4<br />

5<br />

gung verpflichtet ist, sondern dem Aufbruch ins Ungewisse<br />

und der Autonomie des jeweiligen Werkes.<br />

D AS mODe LL BeetHOVe N<br />

Beethoven tat einen großen Schritt in diese richtung. Damals<br />

kamen zwei wesentliche Faktoren auf: das Verlagswesen<br />

und das bürgerliche Konzertpublikum. Beides erlaubte<br />

ihm, persönliche musik zu schreiben, die einen allgemeinen<br />

Dialog des Komponisten mit der menschheit eröffnete.<br />

Beethoven war zwar finanziell anfangs dem musikalisch sehr<br />

versierten Wiener Hochadel verpflichtet, der das exzentrische<br />

Original beherzt förderte, um sich mit seinem Glanz zu<br />

schmücken. Aber diese Symbiose blieb frei von künstlerischen<br />

Kompromissen, sie beruhte sogar auf Beethovens eigensinn<br />

und bleibt ein schwer zu wiederholender musikhistorischer<br />

Sonderfall.<br />

Das kompositionsgeschichtlich Wesentliche an Beethoven<br />

war, dass er schroffe Formen in Kauf nahm, wenn dadurch<br />

die transportierte Haltung stimmte. Die markanten kurzen<br />

Figuren, aus denen Beethoven alles Weitere architektonisch<br />

entwickelte, sind wie kleine riffs, die ohne reimzwang eine<br />

seelische regung verkörpern und nebenbei die alte melodieform<br />

hinter sich lassen. er brachte Haltung und Gestus in<br />

die Partitur. Damit war eine neue Grundlage geschaffen für<br />

musik, deren eigenster Zweck immer schon über das musikalische<br />

hinausgegangen ist.<br />

Beethoven sprengte damit eine Grenze, die den feudalen<br />

Hof langfristig als Arbeitgeber überforderte. Als die Schlote<br />

der ersten manufakturen in deutschen<br />

Städten rauchten, fing auch<br />

Beethoven an, als Unternehmer zu<br />

denken. Nicht weil es ihm lag. Beethoven<br />

wollte sein Leben lang fest<br />

angestellter Kapellmeister werden –<br />

wie sein Großvater, wie vor ihm<br />

monteverdi, Schütz, Gluck, Haydn<br />

und viele andere. Aus verschiedenen<br />

Gründen klappte es nicht. in<br />

einem Brief beklagte Beethoven, er<br />

müsse, anstatt sich auf die Arbeit zu<br />

konzentrieren, „ein halber Handelsmann“<br />

sein. er erlebte den Konflikt<br />

zwischen innerer und äußerer Freiheit, musste einer Betriebslogik<br />

folgen und war andererseits für kompositorische<br />

Kompromisse zu begabt. er stellte die Autonomie seines<br />

Werkes an oberste Stelle. Aus heutiger Sicht kann man sagen:<br />

er musste sein eigener manager sein, weil er neue musik<br />

schrieb.<br />

D AS mUSi KALi SCHe OPFer<br />

Das Verhältnis zur Öffentlichkeit ist wie ein Arbeitsverhältnis<br />

mit einem launischen Chef, der eigentlich immer recht<br />

behält und sich jede Dreistigkeit erlauben kann. Die Kaufkraft<br />

zählt. Öffentlichkeit ist ein Wertfaktor. Zwänge und<br />

künstlerische Opfer gibt es daher auch in der Gesellschaft


mit Pressefreiheit. Dagegen immun zu bleiben, erfordert<br />

eine ähnliche innere Unabhängigkeit und entschiedenheit<br />

wie unter einer autoritären Zensur. es erfordert vielleicht<br />

noch größere Wachsamkeit. Auch wenn keine äußere Gewalt<br />

spürbar ist, ohne innere Autonomie ist der Freischaffende<br />

nicht frei.<br />

Komponisten, die vor der Perestroika im Ostblock lebten,<br />

erlauben einen radikaleren Blick auf die Frage der inneren<br />

Autonomie. Sofia Gubaidulina zum Beispiel, geboren 1931 in<br />

der tatarischen Autonomen Sowjetrepublik, ließ sich bekanntlich<br />

von den Schikanen der sowjetischen Behörden<br />

nicht kleinkriegen. Als die tatarisch-russische Komponistin,<br />

die seit 1992 in Deutschland lebt, im Jahr 1963 ihr Studium<br />

abschloss, lagen 23 Jahre faktischen Berufsverbots vor<br />

ihr, weil künstlerisch-ästhetische einzelgänge nicht geduldet<br />

wurden. Da sie nicht bereit war, dem aus Funktionären<br />

bestehenden Komponistenverband beizutreten, wurde ihr<br />

Werk geächtet. eine vorhersehbare reaktion, die sie in<br />

Kauf nahm, um ihren künstlerischen Vorstellungen treu zu<br />

bleiben. ihr musikalisches Opfer bestand darin, sich mit<br />

Filmmusik durchzuschlagen – ein pragmatisches Opfer, weil<br />

es die Fremdbestimmtheit in einem klar definierten rahmen<br />

hält.<br />

Ähnlich war auch der um eine Generation ältere Kollege<br />

Schostakowitsch in seinen frühen Jahren vorgegangen. Als<br />

der berühmte meister und die frische Absolventin sich trafen,<br />

hatte er ihr handwerklich nicht mehr viel zu sagen,<br />

stattdessen riet er ihr etwas, das sie später als die wichtigste<br />

Lehre beschrieb: Sie solle sich unter<br />

allen Umständen treu bleiben und<br />

ihren „falschen Weg“ weitergehen.<br />

Nur ein kleiner eingeschworener<br />

Kreis von Komponisten und interpreten,<br />

unter ihnen auch Alfred<br />

Schnittke und Gidon Kremer, bildete<br />

den gesellschaftlichen Boden für<br />

einen stillen Weg in der autoritären<br />

UdSSr. 1981 endlich gelang Gubaidulina<br />

der erste Durchbruch durch<br />

den eisernen Vorhang in die internationale<br />

Öffentlichkeit, als Kremer<br />

und andere ihr dabei helfen konnten,<br />

eines ihrer Hauptwerke, das damals gerade entstanden<br />

war, ins Ausland zu schmuggeln und in Wien uraufzuführen.<br />

ihr „Offertorium“ (wörtlich: musik zur Opfergabe, eigentlich<br />

teil einer messe) wurde mit Kremer, dem das Werk auch<br />

gewidmet ist, uraufgeführt.<br />

Das hochvirtuose und musikgeschichtlich anspielungsreiche<br />

Violinkonzert kreist um das thema des Opfers in verschiedener<br />

Hinsicht. im Vordergrund steht die Opfergabe im religiösen<br />

Sinn und der Bezug auf das „musikalische Opfer“<br />

von Johann Sebastian Bach (BWV 1079), den Gubaidulina<br />

als lebenslangen Lehrer sieht. Die Komposition des meisters<br />

hat einen ähnlichen Hintergrund wie der anfangs er-<br />

Der FreiSCHAFFe NDe<br />

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wähnte Film „Five Obstructions“. Die rolle von Lars von<br />

trier nahm in diesem Fall der versierte Flötist Friedrich<br />

ii., König von Preußen, ein. mithilfe seines Angestellten<br />

Carl Philipp emanuel Bach sann er darauf, dessen altehrwürdigen<br />

Vater Johann Sebastian künstlerisch zu schinden,<br />

indem er ihm ein eigens dafür verfasstes thema vorsetzte,<br />

das sich für Kontrapunktik besonders schlecht eignete.<br />

Bach setzte sich hin und übertraf sich drei Jahre vor seinem<br />

tod noch einmal selbst. er improvisierte so brillant, dass er<br />

sich verpflichten musste, diese improvisationen zu Papier<br />

zu bringen und in Kupfer stechen zu lassen.<br />

Der spätere titel „musikalisches Opfer“ ist vieldeutig: einerseits<br />

wurden dem durch seine Chromatik eher ungewöhnlichen<br />

thema des Königs bestimmte Gewohnheiten<br />

der Kontrapunktik virtuos geopfert, andererseits gibt der<br />

Komponist sich der Herausforderung eines solchen Spiels<br />

hin. Drittens spielt natürlich Bachs kompositorisches elixier,<br />

der Glaube, eine rolle, worin sich auch Gubaidulina<br />

wiederfindet. Das berühmte Bach-thema wurde schon einmal<br />

von Webern im Sinne der Schönberg’schen „Klangfarbenmelodie“<br />

neu orchestriert: es wandert bei ihm ton für<br />

ton durch die unterschiedlichen instrumente, wodurch die<br />

tonhöhe ihr strukturbildendes monopol zugunsten der<br />

tonfarbe verliert. Auch bei Gubaidulina, die Webern als<br />

ihr zweites Vorbild neben Bach bezeichnet – als Dritter<br />

kommt noch Schostakowitsch hinzu –, wandert das königlich-preußische<br />

thema durch das Kaleidoskop instrumentaler<br />

timbres, wird ins Nichts aufgelöst und am ende mit<br />

einem Anklang an russisch-orthodoxe Hymnen wieder zusammengesetzt.<br />

Gubaidulina hat sich mit ihrem<br />

Werk gegen die Gewalt der Zensur<br />

behauptet. Die öffentliche meinung<br />

ist ihr dankbar dafür, ihre Aufführungen<br />

begeistern die Fachwelt genauso<br />

wie das Publikum, das sich<br />

unvorbereitet zeitgenössischer musik<br />

aussetzt. Gubaidulinas Geschichte<br />

zeigt, wie wesentlich Presse-, meinungs-<br />

und Ver sammlungsfreiheit<br />

für die Kunst sind, wie viel wesentlicher<br />

aber noch die Fähigkeit ist, sich<br />

innerlich zu autonomisieren. Wer den brutalen Kampf gegen<br />

die Zensur gewinnt, ist auch gewappnet gegen den<br />

subtileren einfluss und die Gefahren des freien marktes<br />

und der Öffentlichkeit.<br />

„Am liebsten gar kein Publikum“, erboste sich der Komponist<br />

milton Babbitt in der 1950ern. möglich, dass er unter<br />

dem eindruck des Zweiten Weltkriegs den Unterschied<br />

zwischen massendynamik und kritischer Öffentlichkeit<br />

voreilig überging. ein Publikum ist tatsächlich nicht für<br />

alles der richtige Ansprechpartner.


Doch im rückzug lauert eine andere Gefahr: privat zu<br />

werden, auch im ästhetischen ergebnis. Kunst braucht<br />

eine geheime Gegenöffentlichkeit, in der sich die Utopie<br />

der unhierarchischen Auseinandersetzung erhält. Auch<br />

solche Subkulturen sind ein teil der merkantilen Dynamik<br />

des Öffentlichen und entsprechend kurzlebig geworden.<br />

Denn sie besitzen etwas, das vorerst nicht kopierbar<br />

ist, also noch nicht billiger in China hergestellt werden<br />

kann. Die erstrebenswerte Unmöglichkeit besteht darin,<br />

sich auf die Öffentlichkeit zu beziehen und dennoch Subkultur<br />

zu bleiben.<br />

D AS BLAUe PO r Z e LLAN<br />

D er Z eitG e NÖSSi SCHe N mUSi K<br />

Die Neue-musik-Szene ist wahrscheinlich die sachlichste<br />

öffentliche Kunstszene, die es gibt. Sie ist zumindest von<br />

jenen Argumenten noch nicht verdorben, die auftauchen,<br />

wenn großes Geld im Spiel ist – wie im Film und in der<br />

bildenden Kunst. man kann sich in ihr schwerlich hochkaufen,<br />

noch durch intrige oder bloße rhetorik weit kommen.<br />

Wo gilt das noch? Sie mutet manchmal an wie ein<br />

geheimes treffen von alten kabbalistischen Gelehrten, die<br />

Zahlenreihen austauschen, von denen sie vermuten, dass<br />

sie aller erscheinung zugrunde liegen. Der eindruck<br />

herrscht vor: Hier geht es um eine ernste Sache.<br />

Zeitgenössische musik hat einen akademischen und vielleicht<br />

einen kultischen Wert, aber keinen Handelswert. Sie<br />

ist kein Objekt. Sie kann höchstens ein ereignis sein.<br />

Aber kaum jemand gibt abstrakte Kompositionen in Auftrag,<br />

um beispielsweise die Fertigstellung<br />

eines Kaufhauses aufsehenerregend<br />

und wertsteigernd zu<br />

untermalen. Das ist vielleicht noch<br />

nicht entdeckt worden, aber es würde<br />

auch nicht zum Selbstverständnis<br />

zeitgenössischer musik passen.<br />

Hier liegt der tiefere Grund für<br />

ihr Nischendasein verborgen: Sie<br />

ist keine unentdeckte Subkultur,<br />

sondern prätentiöse erbin des titels<br />

„Hochkultur“. Sie ist verarmter<br />

Adel, ein Club von ausgebildeten<br />

intellektuellen in der Klemme zwischen einer großen<br />

tradition und einer kleinen Produktionswirklichkeit. Unser<br />

Staat übernimmt noch die Kosten für diese Avantgarde<br />

a priori, weil tatsächlich eine weitere Hochkultur aussterben<br />

würde, wenn beispielsweise die deutschen Orchester nur<br />

nach den Gesetzen des freien marktes finanziert würden.<br />

Wirtschaftliche Strukturen sind in dieser musik daher weniger<br />

erkennbar als in der bildenden Kunst. Stattdessen<br />

herrschen immer noch die pseudofeudalen Strukturen eines<br />

elitären Gönnerprinzips. ein kleiner Kreis von experten<br />

darf auswählen, wohin die staatlichen Subventionen<br />

für musikalische experimente fließen – und das ist wahr-<br />

Der FreiSCHAFFe NDe<br />

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scheinlich sogar alternativlos. insofern hat sich seit Beethoven<br />

nicht viel verändert.<br />

eines aber doch: Durch den effekt, den die jahrzehntelange<br />

Kommerzialisierung der Kulturindustrie auf alle Pop-<br />

Genres hatte, ist der subventionierte Hochkulturbetrieb<br />

eine der letzten Nischen, in denen kulturelle Subversivität<br />

sich über längere Zeiträume entfalten kann, ohne von den<br />

Spürhunden authentischer Subkulturen entdeckt, vermarktet<br />

und dadurch entkräftet werden zu können. Die<br />

aktuelle Konzertmusik ist wie ein letztes Viertel inmitten<br />

einer touristischen Stadt, das sich für den tourismus partout<br />

nicht eignet, wo keiner Leuchtreklamen anbringt und<br />

Steinofenpizza verkauft, weil es sich nicht lohnt, und das<br />

daher auch in 50 Jahren noch eine reise wert sein dürfte.<br />

in der Zwischenzeit könnte es eine zweifache Bewegung<br />

geben, eine Art kinetisch-historischer Doppelhelix. ein<br />

wachsender teil der Öffentlichkeit bemerkt, dass ein zeitgenössisches<br />

Konzert ein radikalerer und rauerer Ort ist<br />

als die meisten Veranstaltungen, die in Großstädten angeboten<br />

werden. es ist eine wesentliche Form von Öffentlichkeit,<br />

wenn freiwillige Außenseiter sich für ein unwiederholbares<br />

ereignis in kollektiver Zeugenschaft versammeln.<br />

Wenn die instrumentale Kunstmusik aus den Weihetempeln<br />

der Klassik zöge, wäre sie ein nahe liegender treffpunkt.<br />

Ohne sich selbst zu verleugnen, könnte die aktuelle<br />

musik noch einen weiteren Schritt in richtung des „Popularen“<br />

gehen. Sie müsste endlich ihr blaues Porzellan verkaufen.<br />

Schon Leopold mozart riet seinem Sohn: „Vergiss<br />

mir nicht das Populare!“<br />

mitten in dieser Bewegung steht<br />

der freischaffende Komponist, der<br />

als freischaffender Kompromiss<br />

zwischen eigenem impuls und Auftragslage<br />

seinen riskanten Slalom<br />

fährt. Und wenn es ihn bald aus<br />

der Kurve haut, dann kaut er rinde<br />

im Wald.<br />

Moritz Gagern, geboren 1973, ist<br />

Komponist und lebt in Berlin.<br />

Mehr über ihn lesen Sie auf S. 6.<br />

Filmstills von Adam Leech<br />

Fidelio<br />

Oper in zwei Akten<br />

von Ludwig van Beethoven<br />

Premiere am 21. Dezember 2010<br />

Weitere Termine im Spielplan<br />

ab S. 90<br />

1. Akademiekonzert 2010/11<br />

Violinkonzert Nr. 1 „Offertorium“<br />

von Sofia Gubaidulina<br />

Termine im Spielplan ab S. 90


Ballett<br />

RAVEL<br />

MON AMOUR<br />

Eine kleine Sensation ist es schon:<br />

Mit Kent Nagano dirigiert seit 50 Jahren<br />

zum ersten Mal wieder ein<br />

Generalmusikdirektor des Hauses eine<br />

Ballettpremiere. In MAX JOSEPH spricht er<br />

mit Ballettchef Ivan Liška über den<br />

gemeinsam gestalteten Ravel-Abend und ihre<br />

persönliche Beziehung zur<br />

Musik Maurice Ravels, die in dieser<br />

Spielzeit einen<br />

Schwerpunkt bildet.<br />

5<br />

8


P–r–e–m–i–e–r–e<br />

mein ravel<br />

Daphnis und Chloé / Wohin er auch blickt ...<br />

T e x T O s W a l D B e a u j e a n<br />

F O T O g r a F i e O l i v e r s P i e s<br />

5<br />

9


Charles Baudelaire war der ansicht,<br />

das genie sei „nichts anderes als die<br />

wiedergefundene Kindheit“. Das mag<br />

nicht für jeden Künstler gelten – auf<br />

maurice ravel und große teile seiner<br />

musik triff t es ganz sicher zu. in seiner<br />

villa le Belvédère in montfort l’amaury<br />

bei Paris schuf er sich eine Fantasiewelt,<br />

in der – wie wir es unter anderem<br />

von Hélène jourdan-morhange wissen –<br />

„die gegenstände von bescheidenem<br />

aus maß Kinderspielzeuge zu sein scheinen<br />

… ich kann die anhäufung von<br />

bunt bemalten schachteln, glaswaren,<br />

Figurinen in Flaschen, Kugeln von 1880<br />

(auf dem Klavier auf geschichtet), lampen,<br />

tintenfässer im stil von Kathedralen<br />

und die gänsefeder auf dem arbeitstisch<br />

nicht beschreiben.“<br />

maurice ravel umgab<br />

sich mit nippesfi guren, Chinoiserien,<br />

gefälschten japanischen<br />

vasen und Holzschnitten, einer<br />

mechanischen nachtigall mit<br />

spielwerk, einem garten mit<br />

Bonsaibäumchen und anderen<br />

kunstvoll arrangierten Zwergpfl<br />

anzen. es war ein reich voller geheimnisse,<br />

in dem sich dieser klein gewachsene<br />

mann und unvergleichliche<br />

Komponist den träumen eines Kindes<br />

hingab. Diesen traumwelten entsprang<br />

ravels Werk, etwa der „jardin féerique“<br />

am ende der suite „ma mére l’oye“ oder<br />

die wunderbare Oper „l’enfant et les sor-<br />

tilèges“, die der generalmusik di rek tor<br />

der <strong>Bayerische</strong>n staatsoper Kent na gano<br />

in dieser spielzeit dirigieren wird.<br />

nagano liebt ravels musik<br />

und gehört seit vielen jahren zu ihren<br />

herausragenden interpreten. er schätzt<br />

sie nicht zuletzt wegen ihres ganz eigenen<br />

und unverwechselbaren Zuschnitts,<br />

einer so vielleicht kein zweites mal<br />

in der musikgeschichte verwirklichten<br />

mischung aus hochgradig artifi ziellem<br />

Charakter und einer sehr spezifi schen,<br />

zurückhaltend feinen Form von expressivität<br />

und emotionalität, die nagano<br />

ganz besonders liegen dürfte: „Das thema<br />

der künstlichen Paradiese und der<br />

traumrealitäten spielte für ravel eine<br />

ganz wichtige rolle. Darin ist er ein<br />

Kind seiner Zeit. und gewiss hat die<br />

intensität, die aus ravels schöpfungen<br />

spricht, etwas mit den Defi ziten seiner<br />

lebensrealität zu tun. man kann sie<br />

Ballett<br />

wohl als eine art gegenentwurf zum leben<br />

deuten, ganz ähnlich wie bei Franz<br />

schreker oder alexander skrjabin.“<br />

Oder auch, so ließe sich vielleicht ergänzen,<br />

bei alexander Zemlinsky, dessen<br />

Oper „Der Zwerg“ nagano mit ravels<br />

„l’enfant et les sortilèges“ zu einem<br />

Opernabend zusammenschließen wird.<br />

Zuvor aber steht ein anderes<br />

ravel-Projekt naganos an: ein zweiteiliger<br />

Ballettabend mit der symphonie<br />

choréographique „Daphnis und Chloé“<br />

sowie dem Klavierkonzert für die linke<br />

Hand, das von zwei frühen Orchester-<br />

werken ravels, der „Pavane pour une<br />

infante défunte“ und „une barque sur<br />

l’océan“, umrahmt wird. Denn am<br />

münchner nationaltheater arbeitet mit<br />

ivan liška ein weiterer Künstler, den<br />

ravels musik seit jahrzehnten begleitet.<br />

seit langem träumt der Direktor<br />

des <strong>Bayerische</strong>n staatsballetts davon,<br />

„eine der schönsten Ballettpartituren<br />

überhaupt“ auf der Bühne zu realisie-<br />

6<br />

0<br />

ren. ivan liška begegnete ravels musik<br />

schon als Kind in den Konzert sälen seiner<br />

Heimatstadt Prag, später dann als<br />

tänzer an den theatern von Düsseldorf<br />

und Hamburg: „,Daphnis‘ ge hört zu den<br />

großen erlebnissen meines lebens. Das<br />

Hamburger Ballett führte es einmal im<br />

amphitheater von Pom peji auf, mit lorin<br />

maazel und dem Orchestre de Paris.<br />

john neumeiers groß artige Choreografi e<br />

spielt mit der erinnerung an die anti ke,<br />

und das passte an diesem Ort natürlich<br />

optimal. es war ein magi scher mo ment<br />

meiner Karriere, in dem alles zusammenkam.<br />

Wir hatten wirklich<br />

das gefühl, an der entstehung<br />

eines wahren Kunstwerkes beteiligt<br />

zu sein.“<br />

von daher kam na ganos<br />

angebot, gemeinsam mit<br />

dem <strong>Bayerische</strong>n staatsballett<br />

ein ravel-Projekt zu realisieren,<br />

wie ein geschenk des Himmels.<br />

Dass ein generalmusikdirektor<br />

an einem Ballettabend<br />

persönlich ans Pult tritt, ist<br />

eher ungewöhnlich, doch Kent<br />

nagano mag nicht recht verstehen,<br />

weshalb eigentlich: „Das<br />

staatsballett hat unter der leitung<br />

von ivan liška ein großartiges<br />

Programm und Profi l<br />

entwickelt und erfreut sich höchster<br />

anerkennung. auch ich schätze liškas<br />

arbeit sehr. Früher war es üblich, dass<br />

der musikalische Chef auch Ballettabende<br />

dirigierte. Damit machte er<br />

deutlich, welche Bedeutung dem tanztheater<br />

zukam. in münchen tat das<br />

zuletzt rudolf Kempe – vor mehr als<br />

einem halben jahrhundert. Weil an vielen<br />

Häusern die Bereiche Oper und Ballett<br />

streng voneinander getrennt sind,<br />

steht bei Ballettauff ührungen die Choreografi<br />

e ganz im vordergrund, während<br />

die musikalische Präsentation ins<br />

Hintertreff en gerät. Dabei hat die moderne<br />

tanzkultur bedeutende Werke<br />

für den Konzertsaal oder sogar den liturgischen<br />

rahmen adaptiert – von Bach,<br />

mahler, Brahms, Bruckner. und die<br />

Ballettkompositionen von tschaikowsky,<br />

strawinsky, Proko ew oder ravel<br />

sind grandios und sollten musikalisch<br />

bestmöglich realisiert werden, zumal an<br />

einem Haus, das auf eine große tradition<br />

verweisen kann.“


B a l l e T T<br />

»Die musik erzählt vom sexuellen<br />

erwachen zweier junger menschen, die sich<br />

verlieren und wiederfinden. Das erinnert<br />

mich daran, welche verwirrung das bei<br />

mir selber auslöste.«<br />

»Daphnis gehört zu den großen<br />

erlebnissen meines lebens.«<br />

»seit ich Tänzer bin, liebe ich dieses<br />

Konzert, seine mischung aus hämmernden<br />

rhythmen und Passagen, in denen<br />

man sich fühlt, als schwebe man im<br />

Wasser und in der luft zugleich.«<br />

ivan liška<br />

6<br />

1


Ballett<br />

»Künstliche Paradiese und<br />

traumrealitäten spielen für ravel eine<br />

ganz wichtige rolle. Darin ist er<br />

ein Kind seiner Zeit.«<br />

»Choreografie überträgt<br />

musikalische Phänomene in ein spiel<br />

mit dem raum.«<br />

»Die intensität, die aus ravels<br />

schöpfungen spricht, hat etwas mit<br />

den Defiziten seiner<br />

lebensrealität zu tun.«<br />

Kent nagano<br />

6<br />

2


nagano hat in früheren jahren<br />

viel Ballett dirigiert: ende der 70er<br />

zum Beispiel rekonstruierte er mit irina<br />

nijins ka mehrere historische Choreografi<br />

en der Ballets russes, in den 80ern<br />

arbeitete er mit maguy marin und angelin<br />

Preljocaj an einigen ihrer bekanntesten<br />

Produktionen. er kennt das metier<br />

genau, weiß um die unterschiede<br />

zwischen der konzertanten auff ührung<br />

von Ballettmusik und ihrer einbindung<br />

in szene und Choreografi e. Dass letzteres<br />

die musikalische autonomie einschränke,<br />

sieht er nicht wirklich. gro ße<br />

Bühnenkomposi tionen können den<br />

Zuhörer auch ohne das Bühnengeschehen<br />

faszinieren. und „Daphnis<br />

und Chloé“ ist sicher ein wunderbares<br />

Beispiel dafür, wie musik<br />

auch ohne die Bühne verzaubert<br />

und beim Zuhörer eigene vorstellungen<br />

und Fantasiewelten freizusetzen<br />

vermag. aber ravels musik<br />

bleibt nun einmal dieselbe, egal ob<br />

sie im Konzert oder im Kontext<br />

einer tanz-Performance aufgeführt<br />

wird. Die Partitur fordert bestimmte<br />

Klang- und Farbqualitäten, legt<br />

Dynamik und tempi fest. all das<br />

muss der Dirigent absolut ernst<br />

neh men. Wenn bei der Ballettauff ührung<br />

das Optische in der Wahrnehmung<br />

des Publikums mehr gewicht erhält, ist<br />

das für nagano nicht unbedingt ein<br />

nachteil. manches musikalische Detail<br />

trete, vom visuellen unterstützt, vielleicht<br />

sogar klarer hervor. Für ihn ist<br />

jede gute Choreografi e und deren tänzerische<br />

um set zung ganz von der musik<br />

geprägt: „sie überträgt musikalische<br />

und eben nicht nur rhythmische Phänomene<br />

in Bewegung und in ein spiel mit<br />

dem raum. musikalische abläufe und<br />

die ereignisse auf der Bühne greifen ineinander.<br />

in die sem spannungsfeld aus<br />

musik und Be wegung im raum als Dirigent<br />

gemeinsam mit den tänzern zu<br />

atmen und zu gestalten, das ist etwas<br />

einzigartiges.“<br />

Bei ivan liška setzt „Daphnis<br />

und Chloé“ auch persönliche erinnerungen<br />

frei: „Die musik ist unglaublich<br />

inspiriert. und wie sie mit der geschichte,<br />

dem mythos zusammengeht, das ist<br />

fantastisch. Die musik erzählt wundervoll<br />

vom sexuellen erwachen zweier<br />

jun ger menschen, die sich verlieren und<br />

Ballett<br />

wiederfi nden. Das erinnert mich daran,<br />

welche verwirrung das bei mir selber<br />

auslöste. man kann noch einmal nachvollziehen,<br />

wie man sich damals verändert<br />

und die Kindheit hinter sich gelassen<br />

hat. ravel mag artifi ziell sein, aber<br />

zugleich ist das für mich ein ganz lebensnahes<br />

stück.“<br />

irgendwie sieht liška „Daphnis“<br />

sogar als eine art spiegelbild seiner<br />

Compagnie, in der er durch die konsequente<br />

ensemblearbeit ständig mit<br />

jungen menschen zu tun hat. jahrelang<br />

begleitet er junge tänzer, beobachtet<br />

hetikl ihre i entwicklung, ätih lässt l sich von h ihrem i<br />

idealismus begeistern, verfolgt einen<br />

reifeprozess: „und genau davon erzählt<br />

doch ravels Ballett. auch deshalb wollte<br />

ich es seit langem rea lisieren. aber<br />

ich habe eben einen Choreografen gesucht,<br />

der es nicht auf Bestellung macht,<br />

sondern sich wirklich danach sehnt.“<br />

in terence Kohler hat er nun<br />

diesen Choreografen gefunden, da ist<br />

6<br />

3<br />

i<br />

sich ivan liška sicher. Was genauso für<br />

jörg mannes und sein Projekt „Wohin<br />

er auch blickt ...“ gilt, die von zwei kürzeren<br />

Orchesterwerken ravels umrahmte<br />

umsetzung des Klavierkonzerts für<br />

die linke Hand. schon vor jahren woll te<br />

liška das einsätzige Werk mit john<br />

neu meier verwirklichen, doch irgendwie<br />

klappte es nicht: „seit ich tänzer<br />

bin, liebe ich dieses Konzert, seine mischung<br />

aus hämmernden rhythmen und<br />

Passagen, in denen man sich fühlt, als<br />

schwebe man im Wasser und in der luft<br />

zugleich. Diese musik besitzt eine unglaubliche<br />

Kraft, vor allem aber etwas<br />

magisches, m Überirdisches, genauso wie<br />

die d von ,Daphnis und Chloé‘. gerade<br />

deshalb d müssen die Choreografen neben<br />

viel Fantasie ein genaues gespür<br />

für Konstruktion haben.“<br />

natürlich hätte es nahegelegen,<br />

„Daphnis“ mit Werken<br />

wie „la valse“ oder „Boléro“ zu<br />

koppeln. Doch gerade in der gegenüberstellung<br />

einer echten Ballettkomposition<br />

und eines Werkes,<br />

das nicht der sphäre des Balletts<br />

entstammt, liegt für Kent nagano<br />

der reiz dieses ungewöhnlichen<br />

ravel-Projekts: r<br />

„Der abend zeigt, dass<br />

Kunst K geschichten erzählen kann und<br />

genau g so auf abstraktionen abhebt, in<br />

denen d sich ganz ursprüngliche Bedürfnisse<br />

n ausdrücken: spiel und virtuosität,<br />

Ordnung O und Chaos, macht und unterwerfung.<br />

w Darin fl ießen ganz verschiedene<br />

d aspekte des menschlichen empfi<br />

findens,<br />

Denkens und tuns zusammen.“<br />

mehr m kann man von einem Ballettabend<br />

eigentlich e nicht erwarten.<br />

Oswald Beaujean ist Leiter<br />

der Zentralredaktion BR<br />

Klassik beim <strong>Bayerische</strong>n<br />

Rundfunk.<br />

Foto: Wlademir Faccioni<br />

in der Probe<br />

Mein Ravel<br />

Daphnis und Chloé /<br />

Wohin er auch blickt ...<br />

Neuproduktion /<br />

Urauff ührung<br />

Premiere am<br />

21. November 2010<br />

Weitere Termine im<br />

Spielplan ab S. 90


ungarn<br />

Köpfe<br />

einziehen<br />

Seit dem Rechtsruck in Ungarn wird eine<br />

frage immer drängender: ist die künstlerische<br />

freiheit bedroht? eine Bestandsaufnahme<br />

unter Künstlern und intellektuellen in zeiten<br />

eines neu erwachten nationalismus.<br />

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g<br />

Theatermacher<br />

„Wir hätten uns schon längst<br />

damit konfrontieren müssen: mit<br />

Korruption, dilettantismus und<br />

Schwadronierertum. aber wir haben<br />

es vorgezogen, darüber Witze<br />

zu reißen.“<br />

„ich bedauere die ablösung von<br />

Kovalik. in Ungarn ist er der<br />

einzige kompetente opern regisseur<br />

überhaupt. Wenn er dieses<br />

land ver lassen muss, weil er<br />

hier keine gelegenheit mehr bekommt,<br />

eine oper zu inszenieren,<br />

ist das mehr als bedauerlich. die<br />

Kollegen müssen sich überlegen,<br />

ob sie das zulassen wollen. die<br />

Theater branche muss sich jetzt<br />

überhaupt einiges überlegen ...“<br />

6<br />

4<br />

TexT PeTra ThorbrieTz<br />

Der Junge vor dem Budapester Ostbahnhof wirkt wie eine Figur aus den 30er-Jahren: brennende<br />

dunkle augen unter kurzen schwarzen Haaren, die Wirbel so ungebändigt wie sein<br />

Temperament. nervös tritt er auf und ab, die Springerstiefel blank poliert, das schwarze Hemd<br />

bis zum Hals zugeknöpft. Mit seinen vielleicht 23 Jahren strahlt er so viel ungeduldige Sehnsucht<br />

aus, so viel Hoffnung und Verliebtsein. Er umarmt seine Freundin, als sie endlich aus<br />

dem Hauptausgang tritt, und küsst sie, als ginge es um sein Leben, tief und leidenschaftlich.<br />

So sehen sie aus, die jungen Helden, die Schwarzhemden und neofaschisten, die<br />

in ungarn seit dem regierungswechsel im Frühjahr dieses Jahres plötzlich die Straßen bevölkern:<br />

keine dumpfen glatzen, eher verletzte Seelen, gekränkte, Suchende. „Die Studen-<br />

ten sind die Hoffnung der rechten“, sagt der Schriftsteller und Historiker györgy Dalos.<br />

Sie tragen die „Hasskultur“, die von dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor<br />

Orbán sorgsam aufgebaut und der gesellschaft über Jahre eingeträufelt wurde, in eine<br />

ungewisse Zukunft.<br />

In den Medien zeigen sich ihre etablierten Vertreter als selbstbewusste Elite, die<br />

soziologisch das „Zigeunerproblem“ analysiert und in italienischen Maßanzügen und englischen<br />

Schuhen gegen die Eu polemisiert. Ihre argumente klingen so einleuchtend und<br />

modern, dass man fast die antisemitischen Karikaturen vergessen könnte, die neuerdings<br />

wieder unter den Brücken auftauchen, die „rassisch“ motivierten Serienmorde an den roma<br />

im vergangenen Jahr und die Parlamentseröffnung im Mai: Dort hatte der Führer der Koalitionspartei<br />

Jobbik („Die Besseren“), gábor Vona, demonstrativ sein Sakko ausgezogen, um im<br />

verbotenen Hemd der nationalistischen garde den Eid auf die Verfassung zu leisten. Trotz<br />

dieser Provokation verließ keiner der Politiker den Plenarsaal. Stehend erwiesen die abgeordneten<br />

dem rechtsextremen die Ehre, während dieser, die rot-weiß-gestreifte Árpád-Fahne der<br />

ungarischen Faschisten über dem Herzen, auf die Verfassung schwor.<br />

„ungarn hat keine Kultur der Konsequenz“, sagt Balázs Kovalik, bis vor Kurzem<br />

künstlerischer Direktor des Budapester Opernhauses. Die Fähigkeit, Haltung zu bewahren<br />

und diese auch zu zeigen, ist den vorgeblich so stolzen Magyaren irgendwie abhandengekommen,<br />

vielleicht schon seit dem gescheiterten aufstand 1956. Wer damals nicht das Land verließ,<br />

zog sich zurück – in ein System, das später als „die lustigste Baracke des Sozialismus“<br />

bezeichnet wurde: gutes Essen, ab und zu eine reise ins ausland und relative kulturelle Freiheit.<br />

In Ostberlin zum Beispiel standen die Menschen Schlange, um im „Haus ungarn“ provokante<br />

avantgarde-Filme anzusehen, von denen im restlichen Ostblock nur zu träumen war.


Fotografie Klaus rózsa, photoscene.ch<br />

ungarn<br />

Ein Mitglied der rechtsradikalen Motorradgang „goj Motorosok“<br />

(„nicht jüdische Motorradfahrer“) mit den Insignien großungarns<br />

Doch das ist jetzt vorbei. Balázs Kovalik ist das erste prominente Opfer der neuen<br />

Kulturpolitik. Sein Vertrag mit dem Opernhaus wurde nicht verlängert. Sechs Tage vor ablauf<br />

hatte ihn der Intendant zu sich gerufen und ihm ein Schreiben des Ministeriums gezeigt, das<br />

in kargen Worten seinen abschied forderte. „Das ist doch dilettantisch“, sagt er, „so kurz vor<br />

der nächsten Spielzeit dem zu kündigen, der für das Programm verantwortlich ist.“<br />

Einige Wochen später rüttelt die Politik am Stuhl des Ballettdirektors gábor Keveházi,<br />

der in diesem Frühjahr einen Fünfahresvertrag erhalten hatte. Die Intendanten der<br />

Hauptstadtbühnen ziehen die Köpfe ein: nachdem bereits die Fördermittel für die unabhängigen<br />

Theater des Landes eingefroren wurden, könnte eine unvorsichtige Inszenierung auch die<br />

staatlichen Bühnen in die Schusslinie bringen. noch ist offen, wie der überwältigende rechtsruck<br />

in ungarn – 17 Prozent wählten im Frühjahr die rechtsextreme Jobbik-Partei, 53 Prozent<br />

deren ultrakonservativen Koalitionspartner Fidesz-KDnP – das intellektuelle Klima im Land<br />

verändern wird. Dass Führungspositionen wie die von Kovalik politisch besetzt werden und<br />

jeder Machtwechsel damit auch zum austausch wichtiger Entscheidungsträger führt, ist keine<br />

Erfindung der rechten, sondern hat in ungarn seit der Wende Tradition, so der Komponist<br />

Péter Eötvös. „Es ist zu früh“, betont er, „um daraus Schlüsse zu ziehen.“ Doch er versteht,<br />

dass sein prominenter Kollege györgy Kurtág heute in Frankreich lebt und nicht in seiner<br />

Heimat, wo antisemitische Äußerungen an der Tagesordnung sind.<br />

Denn auch das hat in ungarn Tradition. Im Sozialismus diente der antisemitis-<br />

mus dazu, die Parteikader zu diskreditieren, von denen viele nach dem Zusammenbruch des<br />

Horthy-regimes aus dem Moskauer Exil nach ungarn zurückgekehrt waren. „Links“ galt als<br />

Synonym für „jüdisch“ und wurde mit der Macht gleichgesetzt. Dabei wollte gerade die in<br />

hohem Maße assimilierte jüdischstämmige Bürgerschicht nichts lieber, als ihre Wurzeln vergessen<br />

und endlich als „normale“ ungarn akzeptiert werden. nobelpreisträger Imre Kertész<br />

hat seine Identitätskrise als ungarischer Jude immer wieder eindrucksvoll beschrieben. Wie er<br />

6<br />

5


ungarn<br />

„Ich habe die vergangenen 20 Jahre im ausland vor<br />

der Entwicklung in ungarn gewarnt, aber man hat mich<br />

verhöhnt und ausgelacht.“<br />

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K<br />

Opernregisseur<br />

„ich bin gespannt, wie die intendanten<br />

und dramaturgen mit<br />

dieser regierung umgehen werden.<br />

Welche Spielpläne werden sie<br />

aufstellen? darf ein ausländer<br />

keine nationalopern mehr inszenieren?<br />

Werden Künstler das<br />

land verlassen?“<br />

6<br />

6<br />

Péter nádas, Schriftsteller<br />

als 15-Jähriger bei einem arbeitseinsatz verhaftet und deportiert wurde – von Menschen, die<br />

er als völlig gleich empfand, weil sie dieselbe Sprache hatten wie er. und wie er in den 50er-<br />

Jahren während des aufbaus des Sozialismus, für den er sich zunächst engagierte, plötzlich<br />

erneut ausgegrenzt wurde. Heute lebt er in Berlin und möchte weder zum ungarn noch zum<br />

Juden „gemacht“ werden: „Ich bin ein großstädter.“ Wie national dürfen, wie international<br />

müssen Künstler sein? Viele ungarn erreichten erst dann internationale Bekanntheit, als sie<br />

ihr Land verließen: györgy Ligeti, von den Kommunisten der „Dekadenz“ beschuldigt, wurde<br />

rasch zu einem der berühmtesten zeitgenössischen Komponisten, als er den aufstand 1956<br />

nutzte, um zu fliehen. Er hatte seinen Vater und seinen Bruder in einem KZ verloren, seine<br />

Mutter hatte nur knapp überlebt.<br />

Sein Zeitgenosse györgy Kurtág war dagegen bis in die Ära der Perestroika hinein<br />

an der Franz-Liszt-akademie in Budapest geblieben, wo er, weitgehend unbeachtet von der<br />

internationalen Öffentlichkeit, Klavier und Komposition unterrichtete. Erst im anschließenden<br />

Exil wurde er mit auszeichnungen überhäuft.<br />

Oder das Werk von Sándor Márai: Es wurde erst Ende der 90er-Jahre von einem<br />

italienischen Verlag wiederentdeckt, zehn Jahre nachdem sich der Schriftsteller im amerikanischen<br />

Exil das Leben genommen hatte, wenige Monate vor dem Zusammenbruch des regimes,<br />

gegen das er zeitlebens als Journalist angeschrieben hatte. Inzwischen werden seine Bücher<br />

wieder in viele Sprachen übersetzt.<br />

andere wie györgy Konrád oder györgy Dalos, die als Dissidenten in ungarn nicht<br />

publizieren durften, sind irgendwann nach Deutschland gekommen und hier geblieben, vielfach<br />

ausgezeichnet und respektiert, wenn auch sicher ohne den Einfluss, den sie früher als nur<br />

illegal gehandelte Samisdat-autoren in ihrer Heimat gehabt hatten. Doch das gehört zu den<br />

Paradoxien der künstlerischen Freiheit: Man darf plötzlich alles sagen, aber keiner hört mehr<br />

hin. „Ich habe die vergangenen 20 Jahre im ausland vor der Entwicklung in ungarn gewarnt,<br />

aber man hat mich verhöhnt und ausgelacht“, klagt Schriftsteller Péter nádas, der nun am<br />

liebsten gar nichts mehr zur Entwicklung sagen will: „Jetzt schreibt die Presse über die rückwärtsgewandten,<br />

dummen ungarn, dabei ist das Land vom Westen zu dem gemacht worden,<br />

was es jetzt ist: Das war die Kolonialismus-Politik der Deutschen und der Franzosen!“ Etwas<br />

vorsichtiger beschreibt Péter Eötvös die ungarische Sinnkrise, die seit dem Ende des Sozialismus<br />

das Land befallen hat: „Früher hatten wir eine staatliche Kulturpolitik und eine oppositionelle,<br />

illegale gegenkultur. Beides war in Ordnung, es hat dem Land eine Struktur gegeben.<br />

Seit 1989 ist beides zusammengebrochen. Jetzt haben wir eine kulturelle Brache.“<br />

nach 1989 sind große Teile der Kulturlandschaft von der Landkarte verschwunden<br />

oder kümmern seither vor sich hin – „die Provinztheater zum Beispiel“, so Balázs Kovalik.<br />

„Früher wurden ganze Betriebe in Busse gesteckt und in die Oper oder in ein Theater verfrachtet.<br />

Freiwillig kommen diese Menschen aber nicht mehr – da fehlt eine ganze Schicht des<br />

kulturinteressierten Bildungsbürgertums.“ Die Literaturverlage wurden von ausländischen<br />

Investoren übernommen, die renommierten literarischen Übersetzerbüros geschlossen. Da<br />

der Buchmarkt in dem 10-Millionen-Staat klein und wenig lukrativ ist, steht internationale<br />

Massenware in den auslagen der Läden. autoren wie Péter Esterházy („Harmonia Cælestis“),<br />

aber auch die jüngere avantgarde wie gergely Péterfy („Baggersee“) oder attila Bartis<br />

(„Die ruhe“) landen eher in den hinteren reihen und können sich auf dem heimischen Markt<br />

nur halten, weil sie auch im ausland Erfolg haben.<br />

Die ehemals so renommierte Filmindustrie ist mit der Wende schlagartig zusammengebrochen<br />

– es fehlte an geld genauso wie an wirtschaftlichem Know-how, um im Kapitalismus<br />

überleben zu können. Selbst Starregisseure wie István Szabó („Mephisto“, „Taking<br />

Sides“) können bei internationalen Koproduktionen gerade mal durchsetzen, dass die Post<br />

Production in ungarn stattfindet, alles andere ist im ausland billiger oder besser. Der Ver-


Fotografie Klaus rózsa, photoscene.ch<br />

nazi-aufmarsch auf dem Heldenplatz in Budapest<br />

ungarn<br />

such, ein unabhängiges Fernsehen aufzubauen, scheiterte an der Machtgier sämtlicher Parteien.<br />

Die beiden nach ofzieller Lesart öffentlich-rechtlichen anstalten m1 und m2 stehen<br />

deshalb weitgehend unter dem Einfluss der Politik, der auch durch zahlreiche Privatsender<br />

nicht konterkariert wird. Der rechtsextreme Sender Echo-TV kann sogar ungestraft zu Bildern<br />

von ratten Texte von Kertész einblenden – eine reminiszenz an den nS-Propagandafilm<br />

„Der ewige Jude“.<br />

Die Politik der vergangenen 20 Jahre, auch die der abgewählten reformsozialistischen<br />

regierung, zerstörte die Hoffnungen der Menschen und weckte ihre primitivsten Instinkte.<br />

aber auch das Theater habe versäumt, seine neue rolle zu finden, sagt der 36-jährige Theatermacher<br />

Árpád Schilling, der im Frühjahr an der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong> mit den jungen<br />

Sängern des Opernstudios gioachino rossinis „La Cenerentola“ inszenierte. „Früher war das<br />

einfach: Wir spielten gegen einen gemeinsamen Feind. Heute aber sind wir uns selbst feind.“<br />

Doch Schilling kritisiert auch die Kritiker ungarns: „Es nervt mich, wenn plötzlich<br />

alles Magyarische betont wird. aber es nervt mich auch, wenn man das für gefährlich hält. Es<br />

ist auch nicht verwerflicher als die Konsumgewohnheiten des Westens.“ Den mythologischen<br />

„Früher war das einfach: Wir spielten gegen<br />

einen gemeinsamen Feind. Heute aber sind wir uns<br />

selbst feind. Es kommen jetzt einfach<br />

Themen hoch, über die in den vergangenen Jahrzehnten<br />

niemand sprechen wollte.“<br />

Árpád Schilling, Theatermacher


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Faschismusforscherin<br />

„es gibt eine neue art des völkischen<br />

glaubens. er ermöglicht<br />

den Menschen, überhaupt wieder<br />

an irgendetwas zu glauben – in all<br />

dieser neuen Unsicherheit. Statt<br />

gott gibt es jetzt die nation.“<br />

„alles, was sich demokratisch<br />

nennt, wirkt plötzlich als Provokation.“<br />

„zu den ,neuen Juden‘ werden<br />

Ju den, homosexuelle und linke<br />

gemacht – das ist ein Mecha-<br />

nismus, der mit glauben oder<br />

rasse nichts zu tun hat, sondern<br />

mit aus grenzung. die gesell-<br />

schaft braucht Feindbilder, um<br />

sich zu stabilisieren.“<br />

ungarn<br />

Turul-Vogel, der plötzlich als Emblem der rechten auftaucht, vergleicht er mit den Markensymbolen<br />

westlicher Firmen.<br />

Der Theatermacher glaubt, dass es den ungarn grundsätzlich an Empathie fehle.<br />

Vielleicht ist dieses mangelnde Einfühlungsvermögen eine Folge des jahrhundertelangen<br />

Kampfes einer sprachlichen wie kulturellen Minderheit gegen die assimilation. Wer sich anpasst,<br />

geht unter – so die Überzeugung des großteils der in den angrenzenden nachbarländern<br />

lebenden ungarischsprachigen Bevölkerung, deren Vorfahren durch den Vertrag von Trianon<br />

nach dem Ersten Weltkrieg zu rumänen, Slowaken, Serben, Kroaten oder ukrainern wurden.<br />

Das sind immerhin noch 2,4 Millionen Menschen, die jetzt unter der neuen rechten ungarischen<br />

regierung die Staatsbürgerschaft beantragen können. Dass die ungarn in diesen Ländern<br />

für ihre kulturelle Identität kämpfen, ist legitim, so Schilling: „Es kommen jetzt ein-<br />

fach Themen hoch, über die in den vergangenen Jahrzehnten niemand sprechen wollte.“ ganz<br />

abgesehen davon, dass sich auch um das gesundheitswesen, den arbeitsmarkt, die Bildungspolitik<br />

und andere wichtige gesellschaftliche Themen niemand gekümmert habe.<br />

Doch was bedeutet Identität in einem Land, das seit rund tausend Jahren ent-<br />

weder gezielt Einwanderungspolitik betrieb oder selbst von ausländischen Mächten besetzt<br />

war und dessen Bürger deshalb längst nicht nur von den magyarischen urstämmen, sondern<br />

von Juden wie Türken, Schwabendeutschen wie Siebenbürger Sachsen, Kroaten wie Serben,<br />

Türken, Österreichern und roma abstammen? „a Magyarság“ – ein Begriff, der das ungarntum<br />

und die Einheit des Volkes gleichermaßen beschwört – gehört zu den mit martialischer<br />

Stimme vorgetragenen Standardvokabeln der neuen rechten regierung. Wer nicht national<br />

denkt, wird damit automatisch zum gegner – so wie alle, die irgendwie „links“, „liberal“,<br />

„Eu-freundlich“ oder „pluralistisch“ sind.<br />

Die Spaltung in zwei unversöhnliche Lager ist ein tfisches Kennzeichen extre-<br />

mistischer Politik, sagt die in München lebende ungarische Faschismusforscherin Magdalena<br />

Marsovszky: „Es wird ein neuer Tf von ,Jude‘ kreiert, der mit den alten ableitungen wie<br />

rasse, Herkunft oder glauben nichts mehr zu tun hat. alle, die sich nicht zur ,Magyarság‘<br />

bekennen, gehören dazu!“ Der Internationale Währungsfonds, von dem sich die regierung<br />

gerne distanziert, wurde von einem prominenten Kommentator unverhohlen antisemitisch<br />

als „die rosenbergs“ umschrieben. Zu den „neuen Juden“ gehören neben Schwulen auch die<br />

roma – die sich in ungarn selbst „cigányok“ nennen und wegen der Vielfalt ihrer Herkunft<br />

nicht unter den in Deutschland gebräuchlichen Einheitsbegriff subsumiert werden möchten.<br />

Ihre abschiebung aus Frankreich durch Präsident Sarkozy zeigt, dass die Politik der abgrenzung<br />

von Minderheiten als ablenkungsmanöver von innenpolitischen Problemen auch<br />

außerhalb ungarns funktioniert. László Jakab Orsós ist Schriftsteller und rom – Sohn eines<br />

„cigány“, dem es im Sozialismus trotz seiner Herkunft gelungen war, in einem kleinen Dorf<br />

Bürgermeister zu werden. Der autor hatte zunächst keine Probleme, gesellschaftlich akzeptiert<br />

zu werden, auch wenn seine Berufung nach new York als Leiter des ungarischen Kulturinstituts<br />

1995 aufsehen und Widerspruch erregt hatte: ein „cigány“ als Vertreter der unga-<br />

rischen Kultur.<br />

Doch jetzt ist Orsós arbeitslos, obwohl er 2009 mit einem ungarischen Kulturjahr in<br />

new York und Washington großen Erfolg hatte, Prominente wie Kurtág und den Filmemacher<br />

Béla Tarr in die uSa holte, junge ungarische Designer genauso vorstellte wie das legendäre<br />

Zsolnay-Porzellan und das kleine ungarn auf die ganz großen Bühnen brachte: von der Carnegie<br />

Hall bis zum MoMa. rechtsradikale „magyarische“ Online-Seiten präsentieren sein Foto<br />

wie einen Steckbrief: „Blaugraue augen – tfisch Zigeuner!“ „Vielleicht hilft der rechtsruck<br />

dazu, die demokratischen Kräfte wieder zu vereinen“, hofft Péter Eötvös. „Lass dich nicht<br />

unterkriegen, Balázs, geh ins ausland, wenn sie dich in ungarn nicht mehr wollen“, hatte er<br />

„Bis 1989 hatten wir eine staatliche Kulturpolitik und eine<br />

illegale gegenkultur. Beides war in Ordnung, es hat dem<br />

Land eine Struktur gegeben. Seit 1989 ist beides zusammengebrochen.<br />

Jetzt haben wir eine kulturelle Brache.“<br />

Péter Eötvös, Komponist


Fotografie Klaus rózsa, photoscene.ch<br />

ungarn<br />

In Budapest versammelten sich mehrere Tausend Personen zu einem Protestzug<br />

gegen den aufmarsch nationalistischer und rechtsextremer gruppen. auf dem<br />

Transparent steht: „nazis, nein danke!“<br />

Kovalik gesagt, der im Frühjahr an der <strong>Staatsoper</strong> in München seine „Tragödie des Teufels“<br />

inszeniert hatte, ein Werk, das momentan keine Chance in ungarn hätte, so Eötvös. noch hofft<br />

regisseur Kovalik, auch in seiner Heimat weiterarbeiten zu können. Doch künstlerischen<br />

Kompromissen will er sich nicht unterwerfen. Es hatte bereits vor Jahren kleine Skandale<br />

ausgelöst, dass Kovalik in einer Inszenierung von Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ den Titelhelden<br />

in wenig schmeichelhafter Pose auf dem Boden liegend singen ließ oder im „Fidelio“<br />

eine Statistin mit einer „Peace“-regenbogenfahne über die Bühne schickte.<br />

„Wenn ungarn es nicht mehr nötig hat, einen renommierten regisseur wie Kovalik<br />

zu beschäftigen, dann ist das ein Trauerspiel“, kommentiert Árpád Schilling, der wünschte,<br />

mehr seiner Kollegen würden in dieser Weise Stellung beziehen. Doch das Land ist klein und<br />

bietet nicht viele Möglichkeiten. Erst mit der Zeit wird sich entscheiden, wie stark sich die<br />

Kultur der Politik unterwerfen muss, um zum Beispiel weiterhin gefördert zu werden.<br />

Sein Krétakör-Ensemble wirkte in diesem Sommer am Projekt der Kulturwerkstatt<br />

„Káva“ mit, das mithilfe des uS-amerikanischen Trust for Civil Society realisiert wurde. Ziel<br />

war, die Menschen aus zwei Dörfern für die Thematik „roma und nicht-roma“ zu sensibi-<br />

lisieren. In dem einen Ort ist jeder Zweite der 1200 Bewohner seiner Herkunft nach rom,<br />

in dem anderen jeder Fünfte von 1800 Bürgern. Über das Projekt berichteten sowohl die<br />

führende linksliberale Tageszeitung „népszabadság“ als auch „Magyar Hírlap“, ein zentrales<br />

Presseorgan der rechten, in ihren Print- und Online-ausgaben anerkennend.<br />

Für Schilling sind Änderungen in der Kulturpolitik ohnehin überfällig: „Das System<br />

der öffentlichen Finanzierung bedarf einer Korrektur“, sagt er. „Wenn die selbstverliebte<br />

avantgarde ihre Existenz mit dem geld der Staatsbürger finanzieren will, tritt die Frage der<br />

sozialen nützlichkeit und Wirksamkeit in den Vordergrund.“<br />

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Komponist<br />

„Wenn man als ungarischer<br />

Künstler ins ausland geht, dann<br />

sieht man die Welt, man sieht<br />

einfach bess er und kann sich<br />

anders entwickeln.“<br />

9


„Oh, dear!“, sagt Carol K. Brown<br />

auf die Frage, ob ihre Kunst sie gelehrt<br />

hat, das Leben besser zu verstehen.<br />

„Ich bin mir nicht sicher, ob<br />

ich viel vom Leben begriffen habe ...<br />

Außer vielleicht, dass ich immer<br />

noch jede Menge lernen muss.“<br />

Geboren in Memphis, Tennessee,<br />

wuchs sie im New Orleans der 50er-<br />

und 60er-Jahre auf – „in einer dieser<br />

typischen dysfunktionalen amerikanischen<br />

Familien, wie sie heute<br />

an der Tagesordnung sind“, erklärt<br />

sie im Gespräch mit MAX JOSEPH.<br />

Studiert habe sie dann an verschiedenen<br />

Kunstschulen – „je nachdem,<br />

wo wir gerade lebten.“ Damals,<br />

Ende der 70er-Jahre, sei sie bereits<br />

verheiratet und Mutter gewesen, er-<br />

zählt Brown. „Deshalb konnte ich<br />

nur die Kurse belegen, die mit dem<br />

Zeitplan des Babysitters zu vereinbaren<br />

waren.“ Nach den Abschlüssen<br />

an den Universitäten von Miami<br />

und Boulder, Colorado, macht sie<br />

sich als Bildhauerin einen Namen,<br />

entwickelt Installationen und wird<br />

mit Bilderserien wie „Pedestrians“<br />

oder „Passersby“ bekannt. So bekannt,<br />

dass ihre Werke bei Nohra<br />

Haime und in der Ambrosino Gallery,<br />

bei der Art Basel Miami, der<br />

Art Chicago, der Scope in New York<br />

und in London gezeigt werden. Erfolge,<br />

die sie eher amüsiert registriert:<br />

„Ich hatte überhaupt keine<br />

Vorstellung, was ein Künstler ist,<br />

jedenfalls dachte ich, es müsse etwas<br />

mit diesen Leuten im French<br />

Quarter zu tun haben, die am Jackson<br />

Square Porträts von Touristen<br />

zeichnen.“<br />

Aber Realismus um der Ähnlichkeit<br />

willen interessiert Brown nicht.<br />

Obwohl sie fotorealistisch arbei-<br />

tet. „Ich benutze Fotografie nur als<br />

Werkzeug für meine Kunst, als eine<br />

Art Basismaterial, als Ausgangspunkt<br />

für meine Gemälde oder Collagen.<br />

Alles beginnt damit, dass ich<br />

Leute fotografiere, deren Fotos mir<br />

dann als Vorlagen für Gemälde dienen“,<br />

erklärt sie. „Dabei gibt es einen<br />

voyeuristischen Moment, denn<br />

die Porträtierten wissen in den seltensten<br />

Fällen, dass sie fotografiert<br />

wurden. Ohne meine kleine<br />

Stalking-Kamera bin ich verloren“,<br />

erzählt Brown, die heute als Kunstprofessorin<br />

in Miami Beach und –<br />

„wenn das Herbstsemester an der<br />

New World School of the Arts vorüber<br />

ist“ – in New York lebt.<br />

Ihre Werke wurden unter anderem<br />

im Whitney Museum of American<br />

Art, im Denver und Miami Art Museum<br />

gezeigt und hängen in renommierten<br />

Sammlungen wie dem<br />

Museum of Contemporary Art San<br />

Diego, im Herbert F. Johnson Museum<br />

of Art oder im Tampa Art Museum.<br />

Mit ihrer Kamera hält sie jene<br />

flüchtigen Begegnungen mit Menschen<br />

fest, die, aus dem ursprünglichen<br />

Kontext gelöst und in neu-<br />

en Räumen und Zusammenhängen<br />

arrangiert, eine ganz eigene Monumentalität<br />

erhalten. Als seien es gestohlene<br />

Momente, eine Auseinander-<br />

setzung mit dem, was sich hinter<br />

dem Sichtbaren verbirgt.<br />

Ironie zum Beispiel – wenn auch<br />

eine sehr bittere. „Ich liebe die<br />

Vorstellung, dass jemand in einer<br />

coolen weißen Galerie eine Menge<br />

Portfolio<br />

Carol K.<br />

Brown<br />

Home<br />

DéCor<br />

7<br />

0<br />

Home Décor:<br />

Dining room – 2<br />

Chromogenic C print,<br />

mounted, plexiglas<br />

on dibond


fotoESSAY<br />

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1


Geld für ein Bild ausgibt, das einen<br />

Obdachlosen zeigt. Denn natürlich<br />

würde er die gleiche Person auf<br />

der Straße nicht einmal mit den<br />

Fingerspitzen anfassen wollen.“ Bereits<br />

in ihrer Kindheit in New Orleans<br />

seien ihr die sozialen Unterschiede<br />

ins Auge gefallen. „Leute,<br />

die in großer Armut lebten und<br />

ihre Lumpen inmitten von Prunkbauten<br />

ausbreiteten. Heute“, meint<br />

Brown, „sind die Gräben noch breiter<br />

geworden.“<br />

Obdachlose, ausgemergelt, brandig<br />

aufgequollen, mit Augen, die ins<br />

Nichts starren, und Haaren wie verfaultes<br />

Gras. Gezeichnet von Drogen<br />

und einem bösen Schicksal.<br />

Der Auswurf einer auf Leistung,<br />

Disziplin und Fassade geeichten<br />

Gesellschaft. Eben jene Obdachlosen,<br />

die sie in „Home Décor“, einer<br />

ihrer letzten Serien, das gutbürgerliche,<br />

cremegoldene Interieur ihrer<br />

Mutter entern lässt.<br />

„Meine Mutter war eine Frau, die<br />

alles in ihrer Umgebung kontrollieren<br />

musste, vor allem die Ästhetik.<br />

In den Monaten vor ihrem Tod arbeitete<br />

ich gerade an Gemälden von<br />

Leuten, die auf der Straße lebten.<br />

Diese Bilder montierte ich dann in<br />

Aufnahmen von verschiedenen Räumen<br />

im Haus meiner Mutter. Sie<br />

lag im Sterben, aber nicht ihre<br />

Krankheit ließ sie Höllenqualen leiden,<br />

sondern vielmehr die Tatsache,<br />

dass Krankenschwestern mit<br />

Sauerstoffgeräten ihre schöne Ordnung<br />

durcheinanderbrachten und<br />

ihren Sinn für Ästhetik beleidigten.<br />

Sie empfand das als schrecklichen<br />

Übergriff und insistierte noch kurz<br />

vor ihrem Tod so lange, bis man ihr<br />

all das aus den Augen räumte. Ich<br />

bin nicht sicher“, fährt Carol K.<br />

Brown fort, „was Mutter mehr aufgeregt<br />

hätte: der Gedanke ans Sterben<br />

oder die Vorstellung, dass die<br />

Leute aus meinen Bildern wirklich<br />

in ihrem Haus sein könnten.“<br />

TEXT SIMONE HERRMANN<br />

Home Décor:<br />

living room – 4<br />

Chromogenic C print,<br />

mounted, plexiglas on dibond<br />

fotoESSAY<br />

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CArol k. BroWN<br />

Home Décor: Dining room 3<br />

chromogenic C print, mounted, plexiglas on dibond<br />

7<br />

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Home<br />

Décor:<br />

living<br />

room<br />

1<br />

chromogenic C print,<br />

mounted, plexiglas on<br />

dibond


Portfolio<br />

Home Décor: living room – 2<br />

Chromogenic C print, mounted, plexiglas on dibond<br />

(rechte Seite)<br />

Home Décor: Please Help – 1<br />

Home Décor: Sean – 1<br />

7<br />

4


fotoESSAY<br />

7<br />

3


fotoESSAY<br />

7<br />

4


fotoESSAY<br />

7<br />

5<br />

Home Décor:<br />

Dining room –1<br />

Chromogenic C print,<br />

mounted, plexiglas on<br />

dibond


Home Décor:<br />

Bedroom<br />

Chromogenic C print,<br />

mounted, plexiglas on<br />

dibond


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K U r z p o r T r ä T 9 4<br />

V o r s c h a U 9 6


ToscapiraT en<br />

Leben für die Kunst?<br />

überLeben!<br />

die Arie „Vissi d’arte“ ist für Puccini-Liebhaber ein Höhepunkt, auf<br />

den sie in jeder Tosca-Aufführung warten. in der von Gewalt<br />

geprägten Handlung ist sie ein kurzes innehalten, ein zartes Gebet,<br />

ein Aufwachen aus einer Lebenslüge. der interpretation waren<br />

keine Grenzen gesetzt, als die staatsoper Künstler und Videasten dazu<br />

aufrief, einen film zu dieser Arie zu produzieren. MAX JOsePH<br />

stellt den sieger des Videowettbewerbs vor.<br />

TExT MIRON HAKENBECK<br />

Nuno Miguel Wong ist ein Newcomer,<br />

könnte man sagen. Er ist zwanzig und<br />

beginnt im Herbst sein Kunststudium<br />

in München. Die knapp dreiminütige<br />

Puccini-Arie transformierte er in einen<br />

achteinhalb Minuten dauernden Film<br />

mit dem Titel Napoleon strikes back.<br />

Wie alle anderen Wettbewerbsbeiträge<br />

ist sein Film auf YouTube zu sehen. Eine<br />

Jury bestehend aus Intendant Nikolaus<br />

Bachler, Medienkünstler Klaus<br />

vom Bruch und Bart van der Heide vom<br />

Kunstverein München prämierte die<br />

künstlerisch gelungensten Filme, die<br />

im Pavillon 21 gezeigt wurden.<br />

Was auf der Opernbühne obsolet ist, erschien<br />

Nuno Miguel selbstverständlich:<br />

Er nahm sich von der Musik nur, was er<br />

für seine Erzählung brauchte, beließ es<br />

nicht dabei, die Musik mit assoziativen<br />

Bildern zu kombinieren, und montierte<br />

auch die Tonspur ganz neu. Napoleons<br />

Kanonenschüsse aus dem Historien film<br />

Battle of Arcole donnern, ehe Toscas<br />

erste Phrase echohaft zweimal erklingt<br />

und dann wieder verebbt. Klagegesten<br />

von Maria Callas, der legendären Tosca-<br />

Interpretin, kreisen in traum atischen<br />

Wiederholungen – mal mit, mal ohne<br />

Ton – und überlagern sich mit ebenso<br />

geloopten Folterszenen der Meuterei<br />

auf der Bounty und aus James Bond:<br />

Casino Royale. Dazu gibt es eine Razzia<br />

aus Jean Cocteaus Orphée und Ausschnitte<br />

aus Horror of Dracula und Der<br />

letzte Tango in Paris zu sehen. Ein<br />

verblüffend weites Spektrum der Film-


nuno Miguel Wongs<br />

neueste Arbeit<br />

Gongbei, die auf<br />

diesen seiten zu<br />

sehen ist, entstand<br />

in der chinesischensonderverwaltungszone<br />

Macao.<br />

ToscapiraT en<br />

geschichte für einen Zwanzigjährigen:<br />

Hat er schulfreie Nachmittage regelmäßig<br />

im Dunkel der Programmkinos<br />

verbracht?<br />

„Nein, ich bin kein Cineast im eigent-<br />

lichen Sinne. Meine Materialien finde<br />

ich im Internet, ich bin ja mit Google,<br />

Wikipedia, YouTube und Facebook aufgewachsen.<br />

Und ich bin ein extrem<br />

neugieriger Mensch. Nächtelang kann<br />

ich am Computer nach Bildern und<br />

Filmen suchen, die mir Geschichten<br />

erzählen. Meine Festplatte ist voller<br />

Found Footage. (Found-Footage-Filme<br />

werden nach dem Sampling-Prinzip<br />

mit nicht selbst produziertem Filmmaterial<br />

gestaltet, d. Red.) Daneben habe<br />

ich aber auch Unmengen Fotos aus<br />

Zeitungen ausgeschnitten und auf Flohmärkten<br />

gesammelt.“<br />

Bei Tosca griff Nuno Miguel auch den<br />

historischen Hintergrund der Opernhandlung<br />

auf, der Puccini nur als Dekor<br />

diente: die napoleonischen Kriege.<br />

Und er erzählt über das Ende der Oper<br />

8<br />

3<br />

hinaus, dass Napoleon in Norditalien<br />

doch gewinnt und mit seinen Truppen<br />

zurückkehrt.<br />

„Ich habe verschiedene Filme be-<br />

nutzt, in denen politische Gewalt und<br />

Brutalität zum Ausdruck kommen.“<br />

Um für all diese disparaten Filmbilder<br />

eine einheitliche Ästhetik zu erreichen,<br />

hat er sie mit einer alten Videokamera<br />

seiner Mutter vom Bildschirm<br />

abgefilmt.<br />

Vor zwei, drei Jahren fing er an, mit<br />

gefundenen Bildern neue Geschichten<br />

zu erzählen, ihnen Titel zu geben<br />

und diese dann grafisch in die Bilder<br />

hineinzuschreiben. „Viele dieser<br />

Bilder stammen aus den 30er- oder<br />

60er-Jahren. Am liebsten mag ich<br />

die Ästhetik aus den ersten Jahrzehnten<br />

des 20. Jahrhunderts. Damals<br />

wurde viel genauer und qualitätvoller<br />

gearbeitet.“<br />

Nuno Miguels aus China und von der<br />

Halbinsel Macao stammende Familie ist<br />

zu großen Teilen ausgewandert und<br />

lebt über die Welt verstreut. Er selbst<br />

ist in Portugal geboren, in München<br />

aufgewachsen und hat einen portugiesischen<br />

Pass. In seinen Ferien ist er<br />

immer wieder nach China gereist, meist<br />

nach Peking. In diesem Sommer war<br />

er erstmals in der ehemaligen portugiesischen<br />

Provinz Macao, die 1999 als<br />

Sonderverwaltungszone an die Volksrepublik<br />

angegliedert wurde. Dort ent-


stand auch die Gongbei betitelte Videoarbeit<br />

zu den monumentalen Repräsentativ-<br />

und Funktionsbauten Macaos,<br />

die auf diesen Seiten anhand einiger<br />

Screenshots vorgestellt wird.<br />

„Gongbei hat für mich viel mit Freiheit<br />

und Unfreiheit zu tun. Obwohl Macao<br />

jetzt zu China gehört, gibt es zur<br />

Volksrepublik eine Grenze. Gongbei<br />

Port of Entry ist der offizielle Name<br />

des Grenzübergangs, der auf mich wie<br />

ein bedrohliches Insekt wirkt, das<br />

Menschen verschlingt und ausspuckt.<br />

Das wollte ich durch die Symmetrien<br />

noch verstärken. Auf der chinesischen<br />

Seite der Grenze trifft man auf verstümmelte<br />

Menschen aus ländlichen<br />

Provinzen der Volksrepublik. Sie er-<br />

litten schwere Unfälle auf Baustellen<br />

oder haben sich vielleicht Feinde<br />

gemacht – die Selbstjustiz ist in provinziellen<br />

Städten weit verbreitet.<br />

Sie betteln oder protestieren stumm<br />

gegen ihre Lage.“<br />

Nuno Miguel Wong hat großen Respekt<br />

vor chinesischen Künstlern<br />

wie Ai Weiwei, die in einem System<br />

permanenter Überwachung mit ihrer<br />

Kunst auf gesellschaftliche Missstände<br />

und Absurditäten reagieren. Das<br />

sei mit den europäischen Bedingungen<br />

für die Kunst nicht vergleichbar. Daraus<br />

ergäbe sich die ungeheure Dringlichkeit<br />

ihrer Werke.<br />

Im Oktober beginnt er sein Studium<br />

in der Medienkunstklasse der Münch-<br />

ner Akademie der Bildenden Künste.<br />

„An der Münchner Akademie gefällt<br />

mir die Freiheit, die den Studenten gelassen<br />

wird. Man arbeitet dort selbstständig<br />

an seinen eigenen Vorhaben,<br />

ToscapiraT en<br />

nutzt die Werkstätten und stellt einmal<br />

wöchentlich in der Klasse seine Ergebnisse<br />

zur Kritik. Es ist nicht so orga-<br />

nisiert wie in der Schule und ich kann<br />

meiner eigenen Neugier folgen. Natürlich<br />

will ich auch viel reisen. Aber München<br />

ist eine gute Homebase. Hierher<br />

kann man immer wieder zum konzentrierten<br />

Arbeiten zurückkommen. Was in<br />

dieser Stadt fehlt, sind bezahlbare<br />

Räume für Ateliers oder freie Projekte.<br />

Einfach eine Basis für eine lebendige<br />

freie Szene. Ist eine interessante Immo-<br />

bilie leer, wird sie sofort luxussaniert.“<br />

Diesen Sommer war er auch in Europa<br />

unterwegs. Zwischendurch hat er das<br />

Münchner Nachtleben erkundet.<br />

„In Warschau und Wien hat mich der<br />

große Spielraum für künstlerische<br />

Freiheiten umgehauen. In beiden Städten<br />

eröffnet halbjährlich ein Dutzend<br />

neue Galerien. Ausstellungen finden<br />

in Off-Spaces und in Wohnungen statt.<br />

Am Münchner Nachtleben gefällt<br />

mir der bunte Mix von Leuten. Da kann<br />

schon einmal ein Grafiker auf einen<br />

Modeschöpfer oder nur einen schlichten<br />

Hipster treffen. Wegen der Musik<br />

bin ich freitags gern in der ,Ersten<br />

Liga‘. Auf ein Bier gehe ich in die ,Blu-<br />

8<br />

4<br />

menbar‘ oder die ,x‘-Bar. Ansons-<br />

ten bevorzuge ich aber konzeptuelle<br />

Partys an unvorhersehbaren Orten.<br />

Ayzit Bostan zum Beispiel macht das<br />

ganz schön.“<br />

Die Videoclips aller Contestgewinner<br />

finden Sie unter<br />

www.staatsoper.de/toscapiraten<br />

„Meine Materialien<br />

finde ich im internet,<br />

ich bin ja mit Google,<br />

Wikipedia, Youtube<br />

und facebook aufgewachsen.“<br />

Nuno Miguel Wong, Gewinner des<br />

Videowettbewerbs Toscapiraten


Illustration Cicero-Titel 10/2010: Götz Valien<br />

www.cicero.de<br />

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20 Jahre danach<br />

Lesen Sie in Cicero, was aus<br />

Deutschland geworden ist<br />

Lesen Sie außerdem<br />

in der aktuellen Ausgabe:<br />

. Abstieg eines Superstars<br />

Barack Obama vor seinem Wahldebakel<br />

. Der Böse ist immer der Moslem<br />

Die Irrtümer der Islamkritiker<br />

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Die 20 wichtigsten Bücher des Herbstes<br />

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Inland inkl. MwSt. und Versand, Abrechnung als Jahresrechnung über zwölf Ausgaben, Auslandspreise auf Anfrage. Cicero ist eine Publikation der Ringier Publishing GmbH, Lennéstraße 1, 10785 Berlin, Geschäftsführer Martin Paff.


k – u – l – t – u – r<br />

Was die Mitarbeiter der Oper machen, wenn sie nicht<br />

bei der Oper mitarbeiten<br />

Musik iM MÜNCHNer lieBfraueNDOM<br />

tobias Neumann,<br />

Chorvorstand der <strong>Bayerische</strong>n staatsoper<br />

Nur einen – zugegebenermaßen weltrekordverdächtigen –<br />

steinwurf vom Nationaltheater entfernt erhebt sich das dank<br />

der charakteristischen „Welschen Hauben“ von 1525 weithin<br />

sichtbare eigentliche Wahrzeichen Münchens und ein Musikzentrum<br />

ganz eigener art.<br />

Durch die letzte renovierung des innenraums 1994, die nicht<br />

unumstritten war, hat sich ein großartiges raumgefühl eingestellt.<br />

Der kirchenraum hat einen Nachhall von annähernd<br />

neun sekunden, ist somit akustisch nicht unproblematisch<br />

und ausschließlich geeignet für die aufführung historischer<br />

kirchenmusik.<br />

es gibt außerdem eine interessante Parallele in der Geschichte<br />

der staatsoper und des liebfrauendoms: Orlando di lasso<br />

war im 16. Jahrhundert als leiter der Münchner Hofkapelle<br />

für die kirchenmusik ebenso zuständig wie für die Musik zu<br />

allen gesellschaftlichen ereignissen am Hof von Herzog albrecht<br />

V. und machte das Vorgängerensemble der beiden<br />

klangkörper der <strong>Bayerische</strong>n staatsoper zu einer der besten<br />

Musikkapellen der damaligen Zeit.<br />

Heute noch ertönt im liebfrauendom immer wieder die Musik<br />

der frankoflämischen Vokalpolyfonie des 15. und 16. Jahrhunderts,<br />

geleitet von Deutschlands bislang einziger Domkapellmeisterin<br />

lucia Hilz. Verbunden mit dem „theatrum<br />

sacrum“ der liturgie, ergibt sich ein Gesamtkunstwerk, in<br />

welchem man der tiefen Verbindung der Begriffe „kult“ und<br />

„kultur“ gewärtig werden kann.<br />

Zu erleben immer sonntags um 10 Uhr<br />

im Dom zu unserer lieben Frau, Frauenplatz 12, 80331 München,<br />

www.muenchner-dom.de<br />

aGeNDa<br />

8<br />

6<br />

Das Neue MuseuM auf BerliNs MuseuMsiNsel<br />

thomas Mayr,<br />

Ballettmeister<br />

Vor genau einem Jahr wurde das im Zweiten Weltkrieg weitgehend<br />

zerstörte jüngste Museum der Museumsinsel endlich<br />

nach jahrelangen kontroversen wiedereröffnet. Gegenstand<br />

der Diskussionen war das konzept David Chipperfields, der<br />

be auftragt worden war, das Gebäude friedrich august stülers<br />

zu restaurieren und mit den übrigen vier Museumsbauten zu<br />

einem komplex zu verbinden.<br />

Die architekturästhetische Debatte und erste Bilder des wiedereröffneten<br />

Baus versprachen spannendes und diesen<br />

sommer hatte ich Gelegenheit, meine Neugier zu stillen.<br />

Zuerst einmal heißt es: Geduld haben und schlange stehen.<br />

Die provisorischen kassen sind dem enormen Besucherandrang<br />

nicht gewachsen. ein zentrales empfangsgebäude wird<br />

erst ab 2012 abhilfe schaffen können.<br />

Überwältigend sind sowohl das Gebäude selbst als auch die<br />

erstklassige sammlung ägyptischer kunst, deren Qualität in<br />

dem öffentlich heftig geführten Zank ums architektonische<br />

konzept häufig unterging. Dabei ist nicht nur die berühmte<br />

Büste der Nofretete sehenswert. Da gibt es wunderbar geschnitzte,<br />

schlanke Holzfiguren, deren fassung auch nach<br />

knapp 3000 Jahren einwandfrei erhalten ist. Die Oberfläche<br />

eines steinernen, handtellergroßen figurenpaares, das zwei<br />

kleinkinder an sich drückt, verrät, dass sie als Glücksbringer<br />

in den Händen ihrer Besitzer poliert wurden. Büsten, mythologische<br />

tierfiguren, Papyri und totenmasken sind in den<br />

räumen meisterhaft inszeniert.<br />

Chipperfield entschloss sich, die historische Bausubstanz zu<br />

bewahren, führte aber keine komplett­restaurierung durch.


t – i – P – P – s<br />

Das bedeutet, dass kriegs­ und Witterungsschäden sichtbar<br />

blieben. leerstellen in Wand­ und Deckenmalereien wurden<br />

nur weiß verputzt. Diese Wunden machen das Gebäude zu<br />

einem Haus mit Geschichte, das wie ein greises Gesicht mit<br />

seinen Narben und falten an die Vergangenheit erinnert. im<br />

treppenhaus wirkt der kontrast der unverputzten Wände und<br />

der in hellem Beton schnörkellos gegossenen treppe besonders<br />

dramatisch.<br />

Die Meinungen über das Neue Museum mögen weit auseinandergehen,<br />

aber ich war rückhaltlos begeistert – unbedingt<br />

hin fahren!<br />

Neues Museum, Museumsinsel, Bodestraße 1, 10178 Berlin, Sonntag–<br />

Mittwoch 10 bis 18 Uhr, Donnerstag–Samstag bis 20 Uhr, Eintritt<br />

10 Euro, Anmeldung Tel. 030 – 2 66 42 42 42, www.neues-museum.de<br />

»riVa Bar« ODer Die auferWeCkuNG Der tOteN<br />

Benedikt schobel,<br />

Orchesterakademie, fagott<br />

als Mitglied der Orchesterakademie beginnt mein arbeitstag<br />

um zehn uhr morgens mit den Orchesterproben. Obwohl ich<br />

mir durchaus bewusst bin, dass ich mit diesen arbeitszeiten<br />

wahrscheinlich von niemandem Mitleid erwarten kann, möchte<br />

ich doch eine lanze für eine institution brechen, die sicherstellt,<br />

dass im Orchestergraben nicht nur die leere Hülle<br />

eines fagottisten sitzt, sondern ein ansprechbarer Mensch.<br />

auf dem Weg zum Opernhaus plane ich immer eine halbe<br />

stunde mehr ein, die ich in der „riva Bar“ im tal am isartor<br />

verbringe. Mit superlativen ist das so eine sache, aber der<br />

Cappuccino mischt ohne Zweifel ganz oben an der städtischen<br />

spitze mit und ein so deftiges „Buon giorno!“ bekommt<br />

man zweifelsohne nur hier entgegengerufen, auch wenn ich<br />

mich als notorischer langschläfer meistens selbst eher nach<br />

einem genuschelten „Hmmm“ fühle.<br />

sergio, der seinen Dienst an der kaffeemaschine vorbildlich<br />

versieht, stellt einen perfekten Cappuccino auf den tisch, der<br />

kaffee stark, der schaum so weich, dass man sich hineinlegen<br />

möchte. Der kampf um die „süddeutsche Zeitung“ ist<br />

auch zu meinen Gunsten ausgegangen, alles wunderbar.<br />

aGeNDa<br />

8<br />

7<br />

im sommer kann man draußen vor der Bar die meistens sehr<br />

geschäftig dreinblickenden leute beim Vorbeieilen beobachten<br />

und sich glücklich schätzen, selbst noch nicht im stress<br />

zu sein, kann die rezensionen und kommentare im feuilleton<br />

lesen und sich ärgern oder freuen. Die Zeitung zurück in die<br />

Bar, das fünffache „Ciao, grazie!“ kassiert (mittlerweile auch<br />

mit stimmhafter antwort von mir), noch mal fünf Minuten<br />

fußmarsch zum Nationaltheater und der tag kann nun wirklich<br />

beginnen.<br />

„Riva Bar“, Tal 44, 80331 München, Tel. 089 – 22 02 40, Montag–<br />

Samstag 8 bis 1 Uhr, Sonntag 12 bis 1 Uhr<br />

faules WOCHeNeNDe<br />

Prof. Maurice lausberg,<br />

leitung Development<br />

Neben der Oper schätze ich in München besonders die international<br />

einmalige Pianistenszene, die selbst städten wie<br />

Paris, london und New York das Wasser reichen kann – München<br />

ist die klavierstadt schlechthin, weltbekannte interpreten<br />

treten regelmäßig auf. aber auch Geheimtipps wie Grigory<br />

sokolov, Marc­andré Hamelin oder der vergleichsweise junge<br />

alexei Volodin sind hier zu erleben. und für die klavierfreaks<br />

unter uns, die nicht genug bekommen können, bietet die Musik<br />

hochschule mit ihren Meisterklassen oft spannende entdeckungen.<br />

aber nach dem „Hochkultur­Overkill“ in den letzten Monaten<br />

ist mein eigentlicher kulturtipp der „vergammelte sonntag“ in<br />

München. Nach der durchtanzten Nacht schleppen wir uns<br />

gegen Mittag zum frühstücken ins „ruffini“: ein intellektuellalternativ<br />

anmutendes Café mit normalen Menschen und netter<br />

Dachterrasse – der entspannungsgrad fast ein bisschen


wie im „Weltempfänger“ in Berlin. Nach der lektüre der sonntagsausgabe<br />

der faZ folgt ein Besuch im Haus der kunst<br />

(oder am samstag in der Galerie storms in der schellingstraße).<br />

Danach schlendern wir durch schwabing und enden in<br />

der Nachmittagsvorstellung im studio isabella, dem für mich<br />

sympathischsten kino der stadt (nachdem es den türkendolch<br />

nicht mehr gibt), um dort einem französischen Beziehungsdrama<br />

zu folgen. Wie beruhigend zu wissen, dass das<br />

leben auch für bildhübsche französinnen kein spaziergang<br />

ist! Mit dieser erkenntnis geht es nun in die kultkneipe<br />

schwabings: der „alte simpl“ in der türkenstraße. Hier mischen<br />

sich studenten mit künstlern und alten Haudegen, die<br />

schon seit dreißig Jahren hier ihr Bier trinken. Die Currywurst<br />

schmeckt immer noch wie eh und je und für einen Moment<br />

flackert das unbeschwerte Gefühl des studentendaseins auf:<br />

alles ist noch möglich! aber jetzt verlieren wir mal nicht den<br />

kopf und kehren zu den wirklich wichtigen Dingen im leben<br />

zurück – schließlich gibt es noch eine letzte sache zu erledigen,<br />

quasi ein fixstern am sonntagshimmel: den „tatort“<br />

sehen!<br />

Hochschule für Musik und Theater München, Arcisstraße 12,<br />

80333 München, Tel. 089 – 2 89 03, www.musikhochschule-muenchen.de<br />

„Ruffini“, Orffstraße 22–24, 80637 München, Tel. 089 – 16 11 60,<br />

Dienstag–Sonntag 10 bis 24 Uhr, www.ruffini.de<br />

Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München,<br />

Tel. 089 – 21 12 71 13, Montag–Sonntag 10 bis 20 Uhr, Donnerstag bis<br />

22 Uhr, www.hausderkunst.de<br />

Galerie Walter Storms, Schellingstraße 48, 80799 München,<br />

Tel. 089 – 27 37 01 62, www.storms-galerie.de<br />

Studio Isabella, Neureutherstraße 29, 80799 München,<br />

Telefon. 089 – 2 71 88 44, www.isabella.li<br />

„Alter Simpl“, Türkenstraße 57, 80799 München, Tel. 089 – 2 72 30 83<br />

sCHaCH sPieleN<br />

Johannes Dengler,<br />

solohornist des <strong>Bayerische</strong>n staatsorchesters<br />

Das schachspiel mit seiner faszinierenden Vielfalt einfachster<br />

elemente und unendlich komplexer strukturen, alle repräsentiert<br />

durch ein paar abgeschabte Holzstücke, begeistert<br />

mich seit meiner kindheit: ein richtiges Welttheater lässt sich<br />

hier aufführen! Wie Vilém flusser schreibt, wird hier zum<br />

Beispiel aus dem turm, der sich zu Beginn des spiels noch<br />

ohne Heldenmut in der ecke verkriecht, ein stolzer und auch<br />

bru taler Protagonist, einer, der sich später im endspiel, nun<br />

mit Hinterlist und tücke, hinter die Bauern des Gegners<br />

kulturtiPPs<br />

8<br />

8<br />

schleicht ... Danach landet er wieder in seiner Holzkiste – so<br />

wie der Parsifalspeer nach der Vorstellung in sein tristes Dasein<br />

zurückkehrt und im requisitenwagen am nächsten Morgen<br />

den Musikern vor dem Probensaal im Weg steht. schach<br />

als kulturleistung ist ein jahrhundertealter Begleiter des<br />

menschlichen Geistes, eine nicht digitale insel der fantasie<br />

und kreativität. Die großen Partien der schachmeister haben<br />

den rang von kunstwerken oder philosophischen Diskursen<br />

über den Wert von Varianten oder strategemen, gekrönt von<br />

blitzartigen kombinationen. Die Verschränkung von theorie<br />

und Praxis, Wissenschaft und intuition, Psychologie und rationalität<br />

macht schach wie die Musik zu einer sprache, die<br />

weltweit in verschiedenen Dialekten gesprochen und verstanden<br />

wird – hier etwa der kühl kalkulierende Positionsspieler,<br />

dort der heißblütige Gambitspieler. Dem Hornspiel<br />

kommt es nahe im intensitätsgrad, mit dem es aufmerksamkeit<br />

und konzentration fordert – ebenso wie leidenschaft und<br />

Hingabe und letztlich auch Mut und endlose Geduld ... Mir<br />

er möglicht schach­spielen das klassische amateur­sein im<br />

besten Wortsinne, ein leidenschaftliches Pendeln zwischen<br />

dem Drang voranzukommen, dem erstaunen vor seiner unendlichen<br />

komplexität und der freude, gelungene Züge und<br />

Pläne der großen Meister zu analysieren, die sich im rückblick<br />

aus einer harmonischen Position wie von allein zu ergeben<br />

scheinen.<br />

Schachkurse: z. B. an der Münchner Schachakademie, Zweibrückenstraße<br />

8, 80331 München, Tel. 089 – 95 89 43 30, www.mucschach.de<br />

Besonders für Kinder sehr zu empfehlen!<br />

Buchtipp: David Bronstein, „Zurich International Chess Tournament<br />

1953“, Dover Publications, ISBN 978-0486238005, 10,80 Euro


M e i n u n g s a u s t a u s c h<br />

»Armselig,<br />

Abstossend und<br />

sinnlos«<br />

Die Operngeschichte ist reich an inszenierungen,<br />

die zunächst sehr umstritten sind und erst<br />

später zu Publikumsmagneten aufsteigen. Bis dahin<br />

tauschen Publikum, Presse und intendanz<br />

leidenschaftlich Meinungen aus. MaX JOsePh<br />

dokumentiert Publikumsreaktionen auf ein aktuelles<br />

„Feindbild“. staatsintendant nikolaus Bachler antwortet.<br />

R. H. aus München<br />

in dieser ausgabe: Don Giovanni.<br />

„sie haben aus einem herrlichen, weltberühmten<br />

Drama ein ganoven- und hurenstück<br />

gemacht, die wunderschöne Bühne,<br />

das großartige Orchester mit seinem welt bekannten Dirigenten,<br />

die feinen jungen sänger missbraucht für die Darstellung<br />

einer scheußlichen, abartigen Version der offenbar<br />

dem Regisseur verhassten Oper. (…) sollen Kinder und Jugendliche<br />

ihren Mozart so kennenlernen, ein restlos entstelltes<br />

und verzerrtes Bild? sollen die aus aller herren Länder<br />

kommenden Festspielbesucher mit einer abscheulichen Verfälschung<br />

konfrontiert werden?“<br />

Was passiert in der Oper „Don Giovanni“ von Mozart<br />

bereits in den ersten Minuten? Vergewaltigung, Verleumdung,<br />

Lüge, Mord und Totschlag. Wenn es in der<br />

Weltliteratur ein Ga noven- und Hurenstück gibt,<br />

dann ist es sicher „Don Juan“. Alle lieblichen, charmanten<br />

Rokoko-Aufführungen sind eine abscheuliche<br />

Verfälschung.<br />

8<br />

9<br />

C. L. aus München<br />

„Was veranlasst sie, so etwas an ihrem haus<br />

zuzulassen? (…) Mit Obszönitäten wird man in<br />

unserer Welt von allen seiten derart überschwemmt,<br />

dass es einen nur noch anwidert.<br />

Die Botschaft ans Publikum ist nur, dass der<br />

horizont der Macher nicht über die gürtellinie<br />

reicht. (…) Man geht doch eigentlich in<br />

die Oper, um sich der Durchschnittlichkeit<br />

zu ent ziehen und sich darüber erheben zu<br />

können. Bühnenbild: vollge stopft, ästhetisch<br />

armse lig, abstoßend und sinnlos, themengerechte umsetzung<br />

total verfehlt.“<br />

Sie haben recht: Wenn Sie sich den „Don Giovanni“<br />

genau ansehen, ist vieles an dieser Geschichte abstoßend,<br />

armselig und sinnlos. Vieles aber auch sehnsüchtig,<br />

hilfsbedürftig und poetisch. Das alles zeigt,<br />

denke ich, unsere Aufführung.<br />

Warum man in die Oper geht, muss jeder für sich<br />

entscheiden. Aber die Kunst hat seit Menschengedenken<br />

den Sinn, dem Menschen über den Menschen<br />

wahr, aufrichtig und ungeschönt zu erzählen. Nur<br />

wenn man erkennt, wie man ist, kann man sich über<br />

die Durchschnittlichkeit erheben.<br />

Ihr Nikolaus Bachler


<strong>Bayerische</strong><br />

staatsoper<br />

UnFRei<br />

frei<br />

spielplan<br />

S<br />

p<br />

i<br />

e<br />

l<br />

22.10.2010<br />

–<br />

21.12.2010<br />

p<br />

l<br />

a<br />

n<br />

Soweit nicht anders angegeben, finden<br />

alle Veranstaltungen im nationaltheater statt.<br />

K–a–R–T–e–n<br />

Tageskasse der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />

Marstallplatz 5<br />

80539 München<br />

T 089 – 21 85 19 20<br />

tickets@st-oper.bayern.de<br />

www.staatsoper.de


O–p–e–R<br />

Antonín Dvořák<br />

Rusalka<br />

Musikalische Leitung Tomáš Hanus<br />

Inszenierung Martin Kušej<br />

Klaus Florian Vogt, Nadia Krasteva, Krístīne Opolaís,<br />

Günther Groissböck, Janina Baechle, Ulrich Reß, Tara Erraught,<br />

Evgeniya Sotnikova, Angela Brower, Okka von der Damerau, John Chest<br />

Sa 23.10.10 19:00 Uhr P R E M p E R E<br />

Di 26.10.10 19:00 Uhr<br />

Do 28.10.10 19:00 Uhr<br />

So 31.10.10 19:00 Uhr<br />

Do 04.11.10 19:00 Uhr<br />

Einführungsmatinee zur Neuinszenierung<br />

So 17.10.10 11 Uhr Moderation: Nikolaus Bachler<br />

Giuseppe Verdi<br />

la traviata<br />

Musikalische Leitung Carlo Montanaro<br />

Inszenierung Günter Krämer<br />

Anja Harteros, Heike Grötzinger, Angela Brower, Eric Cutler,<br />

Andrzej Dobber, Francesco Petrozzi, Christian Rieger, John Chest,<br />

Christoph Stephinger, Dean Power, Peter Mazalán, Tareq Nazmi,<br />

Demet Gül<br />

So 17.10.10 19:00 Uhr<br />

Do 21.10.10 19:00 Uhr<br />

So 24.10.10 18:00 Uhr<br />

Mi 27.10.10 19:00 Uhr<br />

Leoš Janáček<br />

Jenůfa<br />

Musikalische Leitung Tomáš Hanus<br />

Inszenierung Barbara Frey<br />

Diane Pilcher, Stefan Margita, Joseph Kaiser, Gabriele Schnaut, Angela<br />

Denoke, Christian Rieger, Christoph Stephinger, Heike Grötzinger,<br />

Laura Tatulescu, Angela Brower, Tara Erraught, Evgeniya Sotnikova,<br />

Yuni Chung, Peter Mazalán<br />

Fr 29.10.10 19:00 Uhr<br />

Mi 03.11.10 19:00 Uhr<br />

Sa 06.11.10 19:30 Uhr<br />

Mo 08.11.10 19:00 Uhr<br />

Giuseppe Verdi<br />

aida<br />

Musikalische Leitung Paolo Carignani<br />

Inszenierung Christof Nel<br />

Luciana D’Intino, Micaela Carosi, Carlo Ventre, Anatoli Kotscherga,<br />

Lado Ataneli, Steven Humes, Kenneth Roberson, Angela Brower<br />

So 07.11.10 19:00 Uhr<br />

Fr 12.11.10 19:00 Uhr<br />

Mo 15.11.10 19:30 Uhr<br />

Fr 19.11.10 19:00 Uhr<br />

Di 23.11.10 19:00 Uhr<br />

sponsored by<br />

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Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Die entführung aus dem Serail<br />

Musikalische Leitung Johannes Debus<br />

Inszenierung Martin Duncan<br />

Elena Mosuc, Anna Prohaska, Alek Shrader, Norbert Ernst,<br />

Stefan Kocán, Demet Gül<br />

Sa 13.11.10 20:00 Uhr<br />

Di 16.11.10 19:00 Uhr<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Don Giovanni<br />

Musikalische Leitung Kent Nagano<br />

Inszenierung Stephan Kimmig<br />

Christopher Maltman, Phillip Ens, Anna Samuil, Charles Castronovo,<br />

Maija Kovalevska, Lorenzo Regazzo, Eri Nakamura, Levente Molnár<br />

So 14.11.10 19:00 Uhr<br />

Mi 17.11.10 19:00 Uhr<br />

Sa 20.11.10 19:00 Uhr<br />

Mi 24.11.10 19:00 Uhr<br />

Sa 27.11.10 19:00 Uhr<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Die Zauberflöte<br />

Musikalische Leitung Alain Altinoglu<br />

Inszenierung August Everding<br />

Franz-Josef Selig, Alek Shrader, Christian Rieger, Ekaterina Lekhina,<br />

Eri Nakamura, Aga Mikolaj, Angela Brower,<br />

Okka von der Damerau, Nikolay Borchev, Hanna-Elisabeth Müller,<br />

Ulrich Reß, Kenneth Roberson, Christoph Stephinger,<br />

Alfred Kuhn, Rüdiger Trebes, Walter von Hauff, Thomas Weber,<br />

Solisten des Tölzer Knabenchors<br />

Do 02.12.10 19:00 Uhr<br />

Sa 04.12.10 19:00 Uhr<br />

Di 07.12.10 19:00 Uhr<br />

Sa 11.12.10 19:00 Uhr<br />

Di 14.12.10 19:00 Uhr<br />

Engelbert Humperdinck<br />

Hänsel und Gretel<br />

Musikalische Leitung Johannes Debus 05./18.12. Asher Fisch 23.12.<br />

Inszenierung Herbert List<br />

Levente Molnár, Irmgard Vilsmaier, Okka von der Damerau,<br />

Laura Tatulescu, Heike Grötzinger, Tara Erraught, Evgeniya Sotnikova<br />

So 05.12.10 15:00 Uhr<br />

So 05.12.10 19:00 Uhr<br />

Sa 18.12.10 19:30 Uhr<br />

Do 23.12.10 16:00 Uhr


Giacomo Puccini<br />

la bohème<br />

Musikalische Leitung Marco Armiliato<br />

Inszenierung Otto Schenk<br />

Anja Harteros, Anna Virovlansky, Stefano Secco, Levente Molnár,<br />

Christian Rieger, Christian Van Horn, Dean Power, Alfred Kuhn,<br />

Rüdiger Trebes, John Chest, Peter Mazalán<br />

So 12.12.10 19:00 Uhr<br />

Mi 15.12.10 19:00 Uhr<br />

So 19.12.10 19:00 Uhr<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Fidelio<br />

Musikalische Leitung Daniele Gatti<br />

Inszenierung Calixto Bieito<br />

Steven Humes, Wolfgang Koch, Jonas Kaufmann, Anja Kampe,<br />

Franz-Josef Selig, Laura Tatulescu, Jussi Myllys<br />

Di 21.12.10 19:00 Uhr P R E M p E R E<br />

B–a–l–l–e–T–T<br />

William Forsythe<br />

artifact<br />

Musik Eva Crossman-Hecht, Ferruccio Busoni/Johann Sebastian Bach,<br />

William Forsythe<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

Sa 30.10.10 19:30 Uhr<br />

Fr 05.11.10 19:30 Uhr<br />

Di 09.11.10 19:30 Uhr<br />

Terence Kohler/Jörg Mannes<br />

Mein Ravel<br />

Daphnis und Chloé/<br />

Wohin er auch blickt ...<br />

Musik Maurice Ravel<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

So 21.11.10 19:30 Uhr r R e r m m i U R r A F<br />

Mo 22.11.10 19:30 Uhr<br />

Fr 26.11.10 19:30 Uhr<br />

So 28.11.10 18:00 Uhr<br />

gefördert durch<br />

Dr. h.c. Irène Lejeune, Botschafterin des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

John Cranko<br />

Onegin<br />

Musik Peter I. Tschaikowsky, arrangiert von Kurt-Heinz Stolze<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

Mi 13.10.10 19:30 Uhr<br />

Sa 16.10.10 19:30 Uhr<br />

Fr 03.12.10 19:30 Uhr<br />

Mo 06.12.10 19:30 Uhr<br />

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Mikhail Fokine/Bronislawa Nijinska/Terence Kohler<br />

100 Jahre Ballets Russes<br />

Shéhérazade/les Biches/<br />

Once upon an ever after<br />

Musik Nikolai Rimski-Korsakow/Francis Poulenc/Peter I. Tschaikowsky<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

Fr 10.12.10 19:30 Uhr<br />

Mo 13.12.10 19:30 Uhr<br />

Marius Petipa / Ivan Liška<br />

Dornröschen<br />

Musik Peter I. Tschaikowsky<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

Fr 17.12.10 18:00 Uhr<br />

Mo 20.12.10 19:30 Uhr<br />

Benefiz-Gala zugunsten der<br />

Herz für Herz –<br />

Stiftung für leben<br />

Stiftungsgründer Dr. h.c. Irène Lejeune/Dr. h.c. Erich Lejeune<br />

Schirmherr Staatsminister Georg Fahrenschon<br />

Solisten und Ensemble des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

So 05.12.10 18:00 Uhr, Cuvilliés-Theater<br />

Ballett extra<br />

Proben zur Ravel-Premiere<br />

Mein Ravel: Daphnis und Chloé/Wohin er auch blickt …<br />

Terence Kohler, Jörg Mannes und Tänzer des <strong>Bayerische</strong>n Staatsballetts<br />

Sa 13.11.10 20:00 Uhr, Ballett-Probenhaus am Platzl<br />

Matinee der<br />

Heinz-Bosl-Stiftung<br />

So 12.12.10 11:00 Uhr


K–O–n–Z–e–R–T–e<br />

PARpreR mei UAAeRFiÜHer ipAApiNRÜHeipeRi<br />

OKTOBeRMUSiKFeST<br />

31.10. bis 10.11.10<br />

1. AKADEMIEKONZERT<br />

Sofia Gubaidulina, Richard Strauss<br />

Leitung Marc Albrecht<br />

Violine Baiba Skride<br />

So 31.10.10 11:00 Uhr (moderiertes Familienkonzert)<br />

Mo 01.11.10 20:00 Uhr<br />

Di 02.11.10 20:00 Uhr<br />

1. VORTRAG/KONZERT<br />

Die Geburt der Sterne, Vortrag: Priv.-Doz. Dr. Henrik Beuther<br />

Joseph Haydn, Paul Hindemith, Robert Schumann<br />

Mi 03.11.10 19:00 Uhr, Max-Planck-Haus, Hofgartenstraße 8<br />

2. VORTRAG/KONZERT<br />

Astronomische Fernrohre – Geschichte und Zukunft einer Entdeckungsmaschine,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Dietrich Lemke<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Do 04.11.10 19:00 Uhr, Planetarium des Deutschen Museums<br />

3. VORTRAG/KONZERT<br />

Der Urknall, Vortrag: Prof. Dr. Ralf Bender<br />

Karlheinz Stockhausen, Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann<br />

Fr 05.11.10 19:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

4. VORTRAG/KONZERT<br />

Die Geschwister der Erde – Von Eislandschaften und Riesenvulkanen,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Ulrich Christensen<br />

Joseph Haydn, Karl Amadeus Hartmann, Robert Schumann<br />

Sa 06.11.10 19:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

5. VORTRAG/KONZERT<br />

Die Sonne – Unser Leben spendender Stern,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Sami K. Solanki<br />

Francis Poulenc, Franz Liszt, György Ligeti, Sofia Gubaidulina<br />

So 07.11.10 11:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

6. VORTRAG/KONZERT<br />

Die Stimmung der Sterne,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Sybille Ebert-Schifferer<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Mo 08.11.10 19:00 Uhr, Alte Pinakothek<br />

7. VORTRAG/KONZERT<br />

Das kosmologische Orchester – Musik am Anfang der Welt,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Simon White<br />

Joseph Haydn, Arnold Schönberg, Robert Schumann<br />

Di 09.11.10 19:00 Uhr, Cuvilliés-Theater<br />

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VORTRAG/ABSCHLUSSKONZERT<br />

Sphärenmusik – Harmonie des Himmels,<br />

Vortrag: Prof. Dr. Günter Hasinger<br />

Arnold Schönberg, Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Leitung Kent Nagano<br />

Sopran Annegeer Stumphius<br />

Mi 10.11.10 20:00 Uhr, Cuvilliés-Theater<br />

2. KAMMERKONZERT<br />

Alban Berg, Gustav Mahler, Alfred Schnittke, Arnold Schönberg<br />

So 21.11.10 11:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

Di 23.11.10 20:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

2. AKADEMIEKONZERT<br />

Bernd-Alois Zimmermann, Anton Bruckner<br />

Leitung Kent Nagano<br />

Mo 29.11.10 20:00 Uhr<br />

Di 30.11.10 20:00 Uhr<br />

C–a–M–p–U–S<br />

Kinderoper<br />

nepomuks nacht<br />

Bearbeitung der Oper<br />

The Fairy Queen<br />

Henry purcell<br />

Konzept Ursula Gessat<br />

Musikalische Leitung Stellario Fagone<br />

Inszenierung Andreas Lutzenberger<br />

Mitglieder des Opernstudios und des Kinderchores der<br />

<strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />

Fr 17.12.10 16:00 Uhr und 19:00 Uhr<br />

Sa 18.12.10 16:00 Uhr und 19:00 Uhr<br />

So 19.12.10 15:00 Uhr und 18:00 Uhr<br />

Rennertsaal, Neues Probengebäude<br />

Für Kinder ab 8 Jahren<br />

Konzert<br />

Opernstudio<br />

Das neue Opernstudio stellt sich vor<br />

Do 18.11.10 20:00 Uhr, Cuvilliés-Theater<br />

Kammerkonzert<br />

der Orchesterakademie<br />

Mitglieder der Orchesterakademie des <strong>Bayerische</strong>n Staatsorchesters<br />

Mi 01.12.10 20:00 Uhr, Schloss Fürstenried<br />

Fr 03.12.10 20:00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche<br />

attacca‒Konzert<br />

ATTACCA – Jugendorchester des <strong>Bayerische</strong>n Staatsorchesters<br />

Chor der Pfarrei St. Anna (Einstudierung: Robert Scheingraber)<br />

Leitung Allan Bergius<br />

Sa 11.12.10 19:00 Uhr, Pfarrkirche St. Anna


k u r z p o r t r ä t<br />

MARIA ARANGO<br />

Die Kolumbianerin Maria Arango gestaltete<br />

das Spielzeitbuch 2010/2011 der <strong>Bayerische</strong>n<br />

<strong>Staatsoper</strong>. MAX JOSEPH stellt die<br />

Künstlerin vor.<br />

Maria Arango ist in<br />

Kolumbien aufgewachsen<br />

und schließt ihr Kunst-<br />

studium in London ab.<br />

Für sie ist Oper eine große<br />

Inspiration.<br />

M A X J O S E P H Wie kamen Sie nach Europa?<br />

M A R I A A R A N G O Ich bin in Medellin in kolumbien<br />

aufgewachsen. reise und kunst waren für mich von jeher<br />

zwei Seiten einer Medaille. Also habe ich Design und Illustration<br />

außer in Medellin auch in New York studiert. Nach London<br />

bin ich gekommen, um meinen Abschluss zu machen.<br />

M J Wie haben Sie zur kunst gefunden?<br />

M A Seit ich denken kann, zeichne ich. und ich wusste immer,<br />

dass ich das mein Leben lang machen will.<br />

M J Wenn Sie an kolumbien denken, welche Bilder<br />

sehen Sie da vor Ihrem geistigen Auge?<br />

M A Mein zuhause. Die Farm meiner Mutter.<br />

M J Was sagt Ihnen persönlich das Gegensatzpaar<br />

„unfrei/frei“?<br />

M A Die zeichnungen sind eine direkte, wenn auch sicher<br />

erwachsenere Fortschreibung jener Bilder, die ich schon als<br />

sehr junges Mädchen gezeichnet habe. Das übergeordnete<br />

thema „unfrei/frei“ als titel für ein programmbuch über<br />

opern und Ballette resultiert für mich aus dem Gefühl, dass<br />

der ihnen zugrunde liegende konflikt unaufgelöst bleibt. Es<br />

gibt keine Sieger und für niemanden ein Happy End. Die<br />

Figuren leuchten hell, aber nur für kurze zeit und vor dem<br />

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4<br />

Hintergrund einer massiven – und manchmal schönen – traurigkeit.<br />

In vielen opern versuchen die protagonisten, einem<br />

vor bestimmten Schicksal zu entgehen – sei es einem zauberspruch,<br />

einem Fluch oder einer prophezeiung. Auch wenn<br />

sie noch so sehr kämpfen und lieben, gelingt ihnen das nicht.<br />

Ich frage mich, wie die komponenten des Schicksals aussehen,<br />

dem wir nicht werden entgehen können, selbst wenn<br />

wir uns als noch so frei erachten.<br />

M J Was bedeuten Ihnen oper und Musik allgemein?<br />

M A Die Geschichten der großen opern sind universell, ob<br />

sie nun gesungen oder getanzt werden. und eine so gewaltige<br />

Liveperformance zu sehen mit so vielen Leuten, die gemeinsam<br />

ein künstlerisches risiko eingehen, ist eine große<br />

Inspiration.<br />

Die Jahresvorschau 2010/2011 ist<br />

im Opernshop der <strong>Bayerische</strong>n<br />

<strong>Staatsoper</strong> oder online erhältlich.


MODE KOSMETIK LIFESTYLE MUSIK<br />

Ausgezeichnet. Mit dem ECHO Jazz 2010 und dem ECHO Klassik 2008. Die Musikabteilung im Kaufhaus der Sinne<br />

in der 5. Etage. Über 100.000 Titel aus Klassik, Jazz, Weltmusik und Hörbüchern. Erleben Sie preisgekrönte Vielfalt<br />

und erstklassige Beratung. Exklusiv von unserem Musikexpertenteam, das seine Leidenschaft gern mit Ihnen teilt.<br />

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5<br />

Marienplatz München – ludwigbeck.de


Max joseph<br />

VORScHAU 2010/2011<br />

№ 2<br />

UNFREI<br />

frei<br />

L’enfant et les sortilèges /<br />

Der Zwerg:<br />

sind Kinder frei?<br />

und<br />

jonas Kaufmann<br />

über Fidelio<br />

Die nächste Ausgabe von MAX JOSEPH erscheint am<br />

10.12.2010<br />

Foto: Katia Bourdarel


Bild-Kunst<br />

VG © Baur Christian Foto: / Basel Tinguely, Museum Phalle. Saint de Niki<br />

klassik inspiriert *<br />

Schenkung cm. 700 x 1700 x 730 1987.<br />

* Jean Tinguely: „Grosse Méta Maxi-Maxi Utopia“ www.br-klassik.de Méta-Harmonie,


Taschen “Jypsière“<br />

aus Clémence-Taurillonleder.<br />

Informationen unter:<br />

Tel. 089/55 21 53-0.<br />

Hermes.com<br />

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