Online-Ausgabe - Salzburg.at

HEFT 39
„Lesen ist gelenktes Schaffen.”
(J.-P. Sartre). Vom „Text” zum „Werk” – an einem Beispiel von Adalbert Stifter.
Karlheinz Rossbacher, Salzburg
In einer Zeit, in der jeder Zweite seine
Autobiographie schreibt, darf ich
vielleicht vier Minuten autobiographisch
sprechen. Ich bin in eine
Zwergschule gegangen. Dort wurde
uns Lesen nach der analytischen
Methode – die man erst später so
nannte – beigebracht. Ich nenne sie
die MIMI-Methode. M (mmm) und
I (iii) und M (mmm) und I (iii) ergaben
den Namen M-I-M-I. Und weil
M und I schon bekannt waren, beherrschte
man auch schon das Wort
IM. Und wenn man dann ein Häuschen
dazu zeichnete, hatte man bereits
ein Sätzchen: „Mimi im Haus”.
Dieses MIMI-Lesen suggeriert, dass
wir aus einem Buchstaben nach dem
anderen Buchstaben eine Bedeutung
herausziehen und additiv zu einer
Wortbedeutung verbinden,
gleichsam als umgekehrter Vorgang
des Hineintippens auf eine Tastatur.
Diese Mimi-Theorie ist falsch. Als ich
später die Lehrerbildungsanstalt besuchte,
lehrte man uns, den Kindern
in der Übungsschule das Lesen nach
einer Mischmethode beizubringen.
Die analytische Mimi-Methode wurde
also mit der sogenannten Ganzheitsmethode
verknüpft.
10
Wenn man sich eine Vorstellung
vom literarischen Lesen und den
Leistungen, die eine Leser in erbringen
muss, machen möchte, ist es
nützlich, zuvor den Lesevorgang im
Allgemeinen zu beschreiben. Das
möchte ich im Folgenden tun und
dann zeigen, wie man von einer allgemeinen
Lesetheorie zu einem literarisch-rezeptionsästhetischen
Lesen
kommt, von dem man dann mit
Jean-Paul Sartre sagen kann: „Lesen
ist gelenktes Schaffen.”
Zuvor eine kleine Übung, die wir
gemeinsam absolvieren sollten.
Bitte lesen Sie: „Der Vatikan lehnt
die These „Vati kann alles” ab. Ein
Kardinal übersteht eine Operation
ohne Betäubung nach kurzer Betrübung.
Denn mit Gleichstrom fahren
die Busse in Ostrom. Korrekte Beinhaltung
beinhaltet beim Tragen der
päpstlichen Standarten verschiedene
Standarten. Man hat mir öffentlich
beigepflichtet, das Fahnentuch
sei beigefarben. Bei der Spendensammlung
dient der Reinerlös der
Reinkoporation des Heiligen durch
Gott, den Alleinigen. Auf alle Nachlassfächerchen
erstreckten sich die
Recherchen der Inquisition. Durch
das Buschfeuer steuerte kein Buschauffeur
den Wagen wie dieser
Missionar. Es ist auch keine Legende,
dass er das Zugende noch erreichte,
obwohl die Nachteile eines
Nachteilzuges nicht zu leugnen
sind. Sein Seelentröster war ein
Seeleopard, ein Häscher, der kein
Häschen entkommen ließ. Auf dem
Estrich stand: Bindestriche bieten
bei manchem Politikersatz Schreiberleichterung.
Große Bilderfolge
hatte der Textilingenieur mit seinen
Textillustrationen zur Salonalbumserie.
In diesen Wonnetagen meidet
man die schönsten Wohnetagen,
und selbst in der Versandabteilung
beugt man sich über die Veranda-
brüstung. Vor allem der Talentförderung
dient der Wettbewerb zur
Talentwässerung durch Stauseen.
Die Staubecken müssen gesäubert
werden, am besten nimmt man dazu
ein Staubtuch. Die Heimat ohne
jede Heimatmosphäre war für die
Waise ideal, ging es hier doch babygerecht
zu, trotz babylonischer
Sprachverwirrungen. Alles war
großzügig, nur die Alträume waren
Elternalbträume. So gab es zum Beispiel
nur ein Schuhregal für alle
Stiefeltern. Doch auf dem anschließenden
Presseessen wurden Seeigeleier
geboten, Tiefkühlautomatensalat,
Wurzelenden mit Schweinelenden,
Nachtischweine etc. Die
am meisten gefürchtete Profiamazone
der Panamazone behauptete,
weder Gage noch Visagebühren seien
ihr wichtig. Sie legte zu ihren
Spargeldern, was sie bei der Spargelernte
verdient hatte. Nachdem
der Abendstern den Morgenstern
abgelöst hatte, sah man nur noch
Zwergelstern.
Was können wir dieser
Übung entnehmen?
Einige Aspekte:
1. Wenn man diese Sätze nach der
Mimi-Methode liest, kommt das
Verstehen nicht schon im ersten
Anlauf. „Talent-Förderung” muss
anders segmentiert werden als „Tal-
Entwässerung“. Das geht aber nur,
wenn wir nicht Buchstabe für Buchstabe
entziffern, sondern vorausschauen
und die Verschiedenheit erfassen.
Dann aber wird es möglich,
weil die Wörter selbst nicht neu
sind, sondern zum Teil Zusammensetzungen
von Teilen, die wir schon
kennen. Das heißt, wir steuern zur
visuellen Information, das sind die
Lettern schwarz auf weiß in einem
Wort, eine nicht-visuelle Information
bei.