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Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung

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1<br />

2<br />

2.1. 2013<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

S chweizerische <strong>Ärztezeitung</strong><br />

Bollettino dei medici svizzeri<br />

Bulletin des médecins suisses<br />

Editorial 5<br />

Warum wir Ärzte Windmühlen bauen sollten<br />

FMH / Abteilung Daten, Demographie und Qualität 7<br />

Swiss Quality Award: das Handwerk im Fokus<br />

<strong>Schweizerische</strong> Akademie der Medizinischen Wissenschaften 12<br />

Neue Richtlinien<br />

«Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie»<br />

Tribüne 31<br />

Schweizer und Deutsche: der kleine Unterschied<br />

Horizonte 34<br />

Magnetspitäler<br />

«Zu guter Letzt» von Erhard Taverna 36<br />

Vom Glück der Pause<br />

Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch<br />

Organe officiel de la FMH et de FMH Services www.bullmed.ch<br />

Bollettino ufficiale della FMH e del FMH Services


FMH<br />

Editorial<br />

5 Warum wir Ärzte Windmühlen<br />

bauen sollten<br />

Jürg Schlup<br />

DDQ<br />

7 Swiss Quality Award:<br />

das Handwerk im Fokus<br />

Fabienne Hohl<br />

Noch bis Ende Februar 2013 läuft die Ausschreibung des<br />

Swiss Quality Awards 2013. Was der Preis und die damit<br />

verbundene Publizität auslösen können, berichten zwei<br />

G ewinner aus den Jahren 2011 und 2012.<br />

9 Personalien<br />

Organisationen der Ärzteschaft<br />

SGOT/SGU<br />

10 SGOT und SGU lehnen Merkblätter für<br />

Patienten des Swiss Medical Board ab<br />

Bernhard Christen, Thomas Gasser<br />

Auch in der SÄZ hat das Swiss Medical Board seine<br />

Merkblätter für Patienten vorgestellt. Sie sollen Entschei­<br />

dungshilfen bei der Behandlung von Kreuzband­<br />

läsionen und der Anwendung des PSA­Tests sein. Die<br />

betroffenen Fachgesellschaften reagieren darauf mit<br />

dem hier abgedruckten «offenen Brief».<br />

10 Antwort auf den offenen Brief von<br />

SGOT und SGU zu den Merkblättern<br />

des Swiss Medical Board<br />

Christoph Bosshard, Peter Suter<br />

Aufgrund der Wichtigkeit der im vorangegangenen<br />

Beitrag behandelten Thematik hat die SÄZ den in der<br />

Trägerschaft des Medical Boards engagierten FMH und<br />

SAMW angeboten, sich zur Kritik zu äussern.<br />

INHALT<br />

Weitere Organisationen und Institutionen<br />

SAMW<br />

12 Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie<br />

<strong>Schweizerische</strong> Akademie der<br />

Medizinischen Wissenschaften<br />

Sie sind Bestandteil der FMH­Standesordnung: die seit<br />

2006 geltenden SAMW­Richtlinien zur Zusammenarbeit<br />

von Ärzteschaft und Industrie. Jetzt wurden sie revidiert,<br />

die neue Fassung findet sich in diesem Beitrag. Neben ei­<br />

ner Überarbeitung und Ergänzung verschiedener Ab­<br />

schnitte wurde insbesondere das Kapitel «Expertentätig­<br />

keit» hinzugefügt.<br />

SÄZ-Podiumsdiskussion<br />

18 DRG / Neue Spitalfinanzierung:<br />

Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />

Die Einführung von SwissDRG im Januar 2012 war von<br />

substantiellen Bedenken begleitet. Haben sie sich bestä­<br />

tigt? Welche Auswirkungen gab es auf die Versorgungs­<br />

qualität und die Arbeitsbedingungen, auf Hausärzte,<br />

Spitzen medizin und die Kostenentwicklung? Das SÄZ­<br />

Podium in Bern möchte zu einer fundierten Auseinan­<br />

dersetzung mit diesen und weiteren Fragen beitragen.<br />

Briefe / Mitteilungen<br />

19 Briefe an die SÄZ<br />

22 Facharztprüfungen /<br />

Mitteilungen<br />

FMH Services<br />

23 Stellen und Praxen


IMPRESSUM<br />

Tribüne<br />

Thema<br />

31 Der kleine Unterschied<br />

Nicolas Diehm, Irene Pill, Frederic Baumann<br />

So nah und doch so fern – die Beziehung zwischen<br />

Nachbarn ist in vielen Bereichen heikel. So auch zwischen<br />

Schweizern und Deutschen. Dieser Artikel möchte einen<br />

Einblick in die wichtigsten Mentalitäts­ und Sprach­<br />

unterschiede zwischen Schweizern und Deutschen ge­<br />

währen mit dem Ziel, die interkulturelle Begegnung zu<br />

erleichtern. «Anders» muss ja nicht gleich «schlechter»<br />

sein.<br />

Horizonte<br />

Redaktion<br />

Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli<br />

(Chefredaktor)<br />

Dr. med. Werner Bauer<br />

PD Dr. med. Jean Martin<br />

Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />

Dr. med. Jürg Schlup (FMH)<br />

Prof. Dr. med. Hans Stalder<br />

Dr. med. Erhard Taverna<br />

lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH)<br />

Redaktion Ethik<br />

PD Dr. theol. Christina Aus der Au<br />

Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo<br />

Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz<br />

Redaktion Medizingeschichte<br />

Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann<br />

PD Dr. rer. soc. Eberhard Wolff<br />

Redaktion Ökonomie<br />

Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />

Redaktion Recht<br />

Fürsprecher Hanspeter Kuhn (FMH)<br />

Managing Editor<br />

Annette Eichholtz M.A.<br />

Delegierte der Fachgesellschaften<br />

Allergologie und Immunologie:<br />

Prof. Dr. A. Bircher<br />

Allgemeinmedizin: Dr. B. Kissling<br />

Anästhesiologie und Reanimation:<br />

Prof. P. Ravussin<br />

Angiologie: Prof. B. Amann­Vesti<br />

Arbeitsmedizin: Dr. C. Pletscher<br />

Chirurgie: Prof. Dr. M. Decurtins<br />

Dermatologie und Venerologie:<br />

PD Dr. S. Lautenschlager<br />

Endokrinologie und Diabetologie:<br />

Prof. Dr. G. A. Spinas<br />

Gastroenterologie: Prof. Dr. W. Inauen<br />

Geriatrie: Dr. M. Conzelmann<br />

Gynäkologie und Geburtshilfe:<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. W. Holzgreve<br />

Streiflicht<br />

34 Magnetspitäler<br />

Bernhard Gurtner<br />

Trotz chronischen Personalmangels müssen sie keine<br />

Werbung für die Besetzung freier Stellen machen, auch<br />

für Patienten erscheinen sie besonders attraktiv: Das sind<br />

«Magnetspitäler». Und was zeichnet sie aus? Eine<br />

Arbeits gruppe hat es untersucht – vor 30 Jahren – aktuell<br />

sind die damaligen Erkenntnisse noch immer.<br />

Redaktionssekretariat<br />

Elisa Jaun<br />

Redaktion und Verlag<br />

EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />

Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz<br />

Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: redaktion.saez@emh.ch<br />

Internet: www.saez.ch, www.emh.ch<br />

Herausgeber<br />

FMH, Verbindung der Schweizer<br />

Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,<br />

Postfach 170, 3000 Bern 15<br />

Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />

E-Mail: info@fmh.ch<br />

Internet: www.fmh.ch<br />

Herstellung<br />

Schwabe AG, Muttenz<br />

Marketing EMH<br />

Karin Würz<br />

Leiterin Marketing und Kommunikation<br />

Tel. 061 467 85 49, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: kwuerz@emh.ch<br />

Hämatologie: Dr. M. Zoppi<br />

Handchirurgie: PD Dr. L. Nagy<br />

Infektologie: Prof. Dr. W. Zimmerli<br />

Innere Medizin: Dr. W. Bauer<br />

Intensivmedizin: Dr. C. Jenni<br />

Kardiologie: Prof. Dr. C. Seiler<br />

Kiefer­ und Gesichtschirurgie:<br />

Dr. C. Schotland<br />

Kinder­ und Jugendpsychiatrie: Dr. R. Hotz<br />

Kinderchirurgie: Dr. M. Bittel<br />

Medizinische Genetik: Dr. D. Niedrist<br />

Neonatologie: Prof. Dr. H.­U. Bucher<br />

Nephrologie: Prof. Dr. J.­P. Guignard<br />

Neurochirurgie: Prof. Dr. H. Landolt<br />

Neurologie: Prof. Dr. H. Mattle<br />

Neuropädiatrie: Prof. Dr. J. Lütschg<br />

Neuroradiologie: Prof. Dr. W. Wichmann<br />

Zu guter Letzt<br />

36 Vom Glück der Pause<br />

Erhard Taverna<br />

INHALT<br />

Dieses Glück ist selten. Denn durchrationalisiert und<br />

möglichst effizient eilen wir durchs Leben. Die Werbung<br />

kennt bekanntlich unsere geheimsten Wünsche: «Mach<br />

mal Pause…». Gedanken über das Innehalten.<br />

Anna<br />

Inserate<br />

Werbung<br />

Sabine Landleiter<br />

Leiterin Anzeigenverkauf<br />

Tel. 061 467 85 05, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: slandleiter@emh.ch<br />

«Stellenmarkt/Immobilien/Diverses»<br />

Matteo Domeniconi, Inserateannahme<br />

Stellenmarkt<br />

Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: stellenmarkt@emh.ch<br />

«Stellenvermittlung»<br />

FMH Consulting Services<br />

Stellenvermittlung<br />

Postfach 246, 6208 Oberkirch<br />

Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />

E-Mail: mail@fmhjob.ch<br />

Internet: www.fmhjob.ch<br />

Abonnemente<br />

FMH-Mitglieder<br />

FMH Verbindung der Schweizer<br />

Ärztinnen und Ärzte<br />

Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15<br />

Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />

Nuklearmedizin: Prof. Dr. J. Müller<br />

Onkologie: Prof. Dr. B. Pestalozzi<br />

Ophthalmologie: Dr. A. Franceschetti<br />

ORL, H<strong>als</strong>­ und Gesichtschirurgie:<br />

Prof. Dr. J.­P. Guyot<br />

Orthopädie: Dr. T. Böni<br />

Pädiatrie: Dr. R. Tabin<br />

Pathologie: Prof. Dr. G. Cathomas<br />

Pharmakologie und Toxikologie:<br />

Dr. M. Kondo­Oestreicher<br />

Pharmazeutische Medizin: Dr. P. Kleist<br />

Physikalische Medizin und Rehabilitation:<br />

Dr. M. Weber<br />

Plast.­Rekonstrukt. u. Ästhetische Chirurgie:<br />

Prof. Dr. P. Giovanoli<br />

Pneumologie: Prof. Dr. T. Geiser<br />

EMH Abonnemente<br />

EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />

Abonnemente, Postfach, 4010 Basel<br />

Tel. 061 467 85 75, Fax 061 467 85 76<br />

E-Mail: abo@emh.ch<br />

Jahresabonnement: CHF 320.–,<br />

zuzüglich Porto<br />

© 2013 by EMH <strong>Schweizerische</strong>r<br />

Ärzteverlag AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten.<br />

Nachdruck, elektronische<br />

Wiedergabe und Übersetzung, auch<br />

auszugsweise, nur mit schriftlicher<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Erscheint jeden Mittwoch<br />

ISSN 0036-7486<br />

ISSN 1424-4004 (Elektronische Ausg.)<br />

Prävention und Gesundheitswesen:<br />

Dr. C. Junker<br />

Psychiatrie und Psychotherapie:<br />

Dr. G. Ebner<br />

Radiologie: Prof. Dr. B. Marincek<br />

Radioonkologie: Prof. Dr. D. M. Aebersold<br />

Rechtsmedizin: Prof. T. Krompecher<br />

Rheumatologie: Prof. Dr. M. Seitz<br />

Thorax­, Herz­ und Gefässchirurgie:<br />

Prof. Dr. T. Carrel<br />

Tropen­ und Reisemedizin: PD Dr. C. Hatz<br />

Urologie: PD Dr. T. Zellweger


Editorial FMH<br />

Warum wir Ärzte Windmühlen bauen sollten<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Im Januar wünschen sich die<br />

Menschen gegenseitig «ein<br />

gutes neues Jahr!» und eigentlich<br />

meinen sie mit «gut», es<br />

solle alles so bleiben, wie es<br />

ist. Der Mensch hat nicht<br />

gerne Veränderung. Darin<br />

unterscheiden auch wir Ärztinnen<br />

und Ärzte uns letztlich<br />

nicht von andern. Doch das<br />

Gesundheitswesen verändert<br />

sich, und es wird sich auch im<br />

Jahr 2013 weiter verändern – vielleicht einschneidender <strong>als</strong><br />

bisher.<br />

Viele Veränderungen sind selbstverständlich, und wir<br />

folgen ihnen gerne. So bilden wir Ärztinnen und Ärzte uns<br />

ständig fort, um im Dienst der Patienten auf der Höhe der<br />

Wissenschaft und der Technologie zu bleiben. Wir passen<br />

uns an die neuen Lebens- und Altersstrukturen und an die<br />

neuen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten an, die<br />

sich im Internet bereits eine Meinung gebildet haben. Wir<br />

passen uns auch an neue Tarifstrukturen an – Flexibilität<br />

gehört schliesslich zum Berufsbild des Arztes.<br />

Flexibilität gehört zum Berufsbild<br />

des Arztes.<br />

Es gibt Veränderungen, die bereiten uns mehr Mühe:<br />

Z ulassungsstopp trotz zunehmendem Fachkräftemangel;<br />

steigende Gesundheitskosten und damit einhergehende, oft<br />

einseitige und ungerechte Schuldzuweisungen; die knappen<br />

Finanzen der öffentlichen Hand; die Verpolitisierung unserer<br />

Arbeit in Spital und Praxis. Viele von uns machen sich Sorgen<br />

wegen der Qualität der Versorgung und wegen ihrer persönlichen<br />

Belastungen. Sie mögen den Wandel nicht mehr mittragen,<br />

ziehen sich zurück oder werden dem Gesundheitswesen<br />

den Rücken kehren.<br />

Ich kann diese Haltung zwar verstehen. Aber wir kommen<br />

damit nicht weiter. Sämtliche Partner im Gesundheits-<br />

wesen werden in den nächsten Jahren ihre Funktion im Gesundheitssystem<br />

anpassen müssen – stärker <strong>als</strong> bisher. Auch<br />

wir Ärztinnen und Ärzte müssen unsere Rolle im System<br />

überdenken – in einem System, das möglicherweise teilweise<br />

neu gebaut werden muss. Aufbau beginnt häufig mit dem<br />

Rückbau des Bisherigen – all dies macht Angst.<br />

Ich freue mich über jedes FMH-<br />

Mitglied, das nicht mauert, sondern<br />

sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />

und auch im Jahr 2013 am Gesund-<br />

heitswesen mitbaut.<br />

«Wenn der Wind des Wandels weht», besagt ein chinesisches<br />

Sprichwort, «bauen die einen Mauern und die andern<br />

Windmühlen.» Ich freue mich über jedes FMH-Mitglied, das<br />

nicht mauert, sondern sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />

und auch im Jahr 2013 am Gesundheitswesen mitbaut. Es<br />

sind unsere Ärztinnen und Ärzte, welche die FMH ausmachen.<br />

Wir alle wollen eine gut zugängliche, qualitativ<br />

hochstehende Versorgung der Patientinnen und Patienten<br />

mit freier Arztwahl und zu bezahlbaren Prämien. Wir wol-<br />

len den Nachwuchs fördern, gute Rahmenbedingungen für<br />

unsere Berufstätigkeit, Gestaltungsfreiheit und angemessene<br />

Entschädigung für ärztliche Leistungen.<br />

Wir wollen nicht nur gut bleiben, wir wollen besser werden.<br />

Dazu gehören neben Forschung und neuen Technologien<br />

die Förderung innovativer Versorgungsmodelle für<br />

Spital und Praxis und die Stärkung der Hausarztmedizin.<br />

Solche Projekte sind unsere Windmühlen. Indem wir daran<br />

arbeiten, nutzen wir nicht nur den Wind des Wandels; wir<br />

werden auch besser.<br />

«Wenn wir aufhören, besser zu werden», hat Oliver<br />

Cromwell einmal gesagt, «dann werden wir bald aufhören,<br />

gut zu sein.» In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen «ein<br />

gutes neues Jahr!».<br />

Dr. med. Jürg Schlup,<br />

Präsident der FMH<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

5


DDQ FMH<br />

Swiss Quality Award: das Handwerk im Fokus<br />

Interview: Fabienne Hohl<br />

Korrespondenz:<br />

Varja A. Meyer<br />

FMH / Abteilung DDQ<br />

Elfenstrasse 18<br />

CH­3000 Bern<br />

Tel. 031 359 11 11<br />

Fax 031 359 11 12<br />

info[at]swissqualityaward.ch<br />

www.swissqualityaward.ch<br />

Dr. med. Martin Egger, MPH<br />

Stv. Chefarzt<br />

Medizinische Klinik<br />

Spital Emmental<br />

Oberburgstrasse 54<br />

CH­3400 Burgdorf<br />

Tel. 034 421 23 00<br />

martin.egger[at]rs­e.ch<br />

www.rs­e.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Noch bis Ende Februar 2013 läuft die Ausschreibung des Swiss Quality Award 2013.<br />

Er zeichnet innovative und praxisbewährte Qualitätsprojekte aus und präsentiert<br />

sie einem breiten Publikum. Was der Preis und die damit verbundene Publizität aus­<br />

lösen können, berichten zwei Gewinner aus den Jahren 2011 und 2012, Dr. med. Mar­<br />

tin Egger, Stv. Chefarzt am Spital Emmental, und Dr. med. Andreas Meer, Geschäfts­<br />

leiter der in4medicine AG.<br />

Dr. med. Martin Egger,<br />

Stellvertretender<br />

Chefarzt am Spital<br />

Emmental:<br />

«Wir brauchen in<br />

unserer modernen<br />

Medizin dringend mehr<br />

Wertschätzung des<br />

guten Handwerks.»<br />

Dr. Egger, Sie haben 2011 mit Ihrem Team den Swiss<br />

Quality Award in der Kategorie Patientensicherheit mit<br />

dem Projekt «Reduktion von Urinkathetertagen und Antibiotika-Behandlungstagen<br />

für Harnwegsinfektionen in<br />

der stationären Akutmedizin» gewonnen. Wie hat sich<br />

der Preis auf Ihr Projekt ausgewirkt?<br />

Martin Egger: Die Teilnahme am Preisausschreiben<br />

per se hatte keinen Einfluss auf das Projekt; wir haben<br />

uns überhaupt erst für den Award beworben, weil der<br />

vorläufige Projektabschluss mit der Ausschreibung<br />

des Preises zeitlich zusammenfiel. Hingegen haben<br />

die Preisverleihung und deren Publikation in der<br />

<strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> dem Thema zu<br />

Publizität in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit<br />

verholfen: Die Resonanz in den Medien bestand aus<br />

einem Artikel in der Berner Zeitung und einem Auftritt<br />

in der Sendung Puls des Schweizer Fernsehens.<br />

In Fachkreisen resultierten ein Artikel in der Zeitschrift<br />

Care Management, Vorträge in zwei Kantonsspitälern<br />

zur Weitervermittlung der Projektinhalte<br />

und die Nachfrage nach der Methodik durch mehrere<br />

Kolleginnen und Kollegen an Schweizer Spitälern.<br />

Betriebsintern war das Projekt bereits ohne<br />

Award ein Erfolg. Dank Überführung etlicher Ele­<br />

mente der Intervention in die Alltagsroutine ist es zu<br />

einem Kulturwandel im Umgang mit Urinkathetern<br />

und bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen<br />

am Spital Emmental gekommen.<br />

Wie hebt sich der Swiss Quality Award in Ihren Augen<br />

von anderen Preisen ab?<br />

Ich schätze es sehr, dass der Swiss Quality Award die<br />

Praxis und die reale Umsetzung von Qualitätsinitiativen<br />

würdigt und fördert. Trotz der sauberen<br />

Methodik und der soliden Zahlen unseres Projekts<br />

hat es sich nämlich <strong>als</strong> schwierig erwiesen, die Resultate<br />

in einer guten medizinischen Fachzeitschrift zu<br />

publizieren, weil dort der Fokus stark auf den wissenschaftlichen<br />

Erkenntniszuwachs gerichtet ist und<br />

das Beispiel von überzeugender Anwendung von bekanntem<br />

Wissen wenig zählt. Wir brauchen aber in<br />

unserer modernen Medizin dringend mehr Wertschätzung<br />

des guten Handwerks, der soliden Arbeit,<br />

die sich der Schnelllebigkeit und dem oberflächlichen<br />

Schein entgegenstellt. Richard Sennett, einer<br />

der renommiertesten Soziologen Amerikas, hat es<br />

für die moderne Gesellschaft insgesamt so formu­<br />

Kluge Ideen im Qualitätsmanagement helfen nicht nur Patientinnen<br />

und Patienten, sie nützen dem gesamten Gesundheitswesen.<br />

liert: «Craftmanship is the quest to make … things well.<br />

… Doing something well for its own sake … is a capacity<br />

most human beings possess, but this skill is not honoured<br />

in modern society as it should be. The craftsman in all of<br />

us needs to be freed» [1]. Der Swiss Quality Award<br />

unterstützt in meinen Augen das Bestreben, Craftmanship<br />

zu fördern.<br />

Können Sie sich vorstellen, erneut am Swiss Quality<br />

Award teilzunehmen?<br />

Sollte ich je wieder ein gutes Projekt durchführen<br />

und dokumentieren, werde ich es für den Swiss<br />

Qual ity Award anmelden. Gute Projekte sollten<br />

Nachahmer und Weiterentwickler finden.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

7


DDQ FMH<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. med. Andreas Meer, MHIM<br />

Geschäftsführung & Vertrieb<br />

in4medicine AG<br />

Pavillonweg<br />

CH­3012 Bern<br />

Tel. 031 370 13 31<br />

a.meer[at]in4medicine.ch<br />

www.onlinepraxis.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Dr. med. Andreas Meer,<br />

Geschäftsleiter der<br />

in4medicine AG:<br />

«Wenn die Innovation<br />

bei einer hochkarätigen<br />

Jury und in der<br />

Öffentlichkeit einen so<br />

positiven Anklang<br />

findet, motiviert das<br />

einen sehr.»<br />

Dr. Meer, 2012 wurden Sie und Ihr Team mit dem Swiss<br />

Quality Award in der Kategorie Technologie für das<br />

P rojekt «Onlinepraxis» ausgezeichnet. Wie hat sich die<br />

Preisteilnahme auf Ihr Projekt ausgewirkt?<br />

Andreas Meer: Die Eingabe zum Swiss Quality<br />

Award hat uns explizit darüber nachdenken lassen,<br />

welchen Beitrag zur Innovation und Qualität in der<br />

Patientenbetreuung die Onlinepraxis leistet: Die<br />

Onlinepraxis verbessert die Patientenorientierung,<br />

die Effizienz, die Sicherheit und die Verfügbarkeit<br />

der medizinischen Betreuung. Vor allem Folgekonsultationen<br />

sowie die Mitteilung und der Kommentar<br />

von Untersuchungsresultaten können effizient<br />

online erfolgen. Die Patientenbetreuung über die<br />

Onlinepraxis ist sicher und respektiert die Privat­<br />

Swiss Quality Award: Ausschreibung läuft<br />

Kluge Ideen im Qualitätsmanagement helfen nicht nur Patientinnen und Patienten,<br />

sie nützen dem gesamten Gesundheitswesen. Deshalb rückt der Swiss<br />

Quality Award jährlich innovative Qualitätsprojekte ins Rampenlicht. Getragen<br />

wird der Preis gemeinsam von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und<br />

Ärzte FMH, dem Institut für Evaluative Forschung in der Medizin IEFM der Universität<br />

Bern sowie der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für Qualitätsmanagement<br />

im Gesundheitswesen SQMH. Der Swiss Quality Award prämiert neue,<br />

praxiserprobte Projekte in den Kategorien Management, Patientensicherheit,<br />

Technologie und Empowerment. Jede Preiskategorie ist mit 10 000 Franken<br />

dotiert. Melden Sie Ihr Projekt jetzt für den Swiss Quality Award 2013 an! Die<br />

Anmeldefrist läuft bis 28. Februar 2013. Die Preisverleihung findet am 12. Juni<br />

2013 im Rahmen des Nationalen Symposiums für Qualitätsmanagment im Gesundheitswesen<br />

in Basel statt. Auf www.swissqualityaward.ch finden Sie weitere<br />

Informationen.<br />

sphäre. Diese Überlegungen zur Qualität haben uns<br />

zur Teilnahme bewogen.<br />

Was hat der Gewinn des Swiss Quality Award Ihrem<br />

P rojekt gebracht?<br />

Vorerst haben wir uns ganz persönlich über die<br />

Anerkennung gefreut. Wer innovativ sein will, etwas<br />

verändern und besser machen möchte, weiss, dass<br />

dieser Weg gelegentlich beschwerlich und einsam<br />

sein kann. Wenn die Innovation bei einer hochkarätigen<br />

Jury und in der Öffentlichkeit einen so positiven<br />

Anklang findet, motiviert das einen sehr.<br />

Manche Strapaze hat sich dann gelohnt. Der Swiss<br />

Quality Award hatte überdies eine unmittelbare Auswirkung<br />

auf die Wahrnehmung der Onlinepraxis<br />

seitens potentieller Partner und Kunden. Auf der<br />

Projektwebsite hatten wir über mehrere Wochen<br />

sehr hohe Besucherzahlen. Es folgten konkrete<br />

Anfragen, die zwischenzeitlich auch zur Eröffnung<br />

weiterer Onlinepraxen geführt haben.<br />

Wie unterscheidet sich der Swiss Quality Award Ihres<br />

Erachtens von anderen Preisen?<br />

Hinter dem Swiss Quality Award stehen Institutionen<br />

und Personen, welche im Gesundheitswesen engagiert<br />

sind und etwas davon verstehen. Der Claim<br />

des Swiss Quality Awards lautet «Innovation in<br />

Healthcare». Gerade im Gesundheitswesen bedeutet<br />

Innovation nicht nur, eine gute Idee zu haben, sondern<br />

ebenso, das Richtige im richtigen Moment, im<br />

richtigen Umfeld richtig zu machen. Auch gemessen<br />

an weiteren Projekten, welche beim SQA in die<br />

Ränge kamen, hatte ich den Eindruck, dass dies<br />

beim Swiss Quality Award verstanden wird.<br />

Würden Sie wieder am Swiss Quality Award teilnehmen?<br />

Wie könnte ich nein sagen? Der Swiss Quality Award<br />

ist für uns durchwegs mit positiven Erinnerungen<br />

und Gefühlen verbunden; die Betreuung vor, während<br />

und nach der Preisverleihung war seitens der<br />

Organisatoren sehr professionell und zuvorkommend.<br />

Andererseits ist der Swiss Quality Award ein<br />

hervorragendes Sprungbrett, das möglichst vielen<br />

Kolleginnen und Kollegen, welche sich für die Innovation<br />

und Qualität im Gesundheitswesen engagieren,<br />

zur Verfügung stehen soll. Darum: Gegenwärtig<br />

kümmern wir uns um das Tagesgeschäft, das «Wettbewerben»<br />

steht hinten an. Eine erneute Teilnahme<br />

in Zukunft schliesse ich jedoch nicht aus ­ ein paar<br />

innovative Ideen hätte ich durchaus noch.<br />

1 Sennett R. Together – the Ritu<strong>als</strong>, Pleasures and Politics<br />

of Cooperation. Penguin Books Ltd.; 2012.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 8


Personalien<br />

Todesfälle / Décès / Decessi<br />

Boris-Rado Praprotnik (1953), † 15.11.2012,<br />

Praktischer Arzt, 5605 Dottikon<br />

Christian Scharfetter (1936), † 25.11.2012,<br />

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

8008 Zürich<br />

Elide Rohr (1947), † 29.11.2012,<br />

Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin,<br />

5502 Hunzenschwil<br />

Pierre Albert Blanc (1929), † 6.12.2012,<br />

Spécialiste en médecine interne générale,<br />

1213 Onex<br />

Helen Luggen-Brun (1945), † 7.12.2012,<br />

Fachärztin für Dermatologie und Venerologie,<br />

3900 Brig<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Praxiseröffnung /<br />

Nouveaux cabinets médicaux /<br />

Nuovi studi medici<br />

BE<br />

Jordan Fritschi,<br />

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />

Bernstrasse 127, 3052 Zollikofen<br />

Bettina Gujer,<br />

Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin,<br />

Allmengasse 15, 4900 Langenthal<br />

OW<br />

Christoph Rausch,<br />

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />

Poststrasse 3, 6390 Engelberg<br />

SG<br />

Uta Alexandra Gimmi,<br />

Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und<br />

Traumatologie des Bewegungsapparates,<br />

Wiesenstrasse 1, 9650 Nesslau<br />

VS<br />

Natacha Tapparel,<br />

Spécialiste en gynécologie et obstétrique,<br />

8, avenue du Rothorn, 3960 Sierre<br />

ZH<br />

Ferdinand Schwarz,<br />

Facharzt für Pneumologie und Facharzt für<br />

Allgemeine Innere Medizin, Kappelistrasse 7,<br />

8002 Zürich<br />

Philippe Gigon,<br />

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Bellerivestrasse 21, 8008 Zürich<br />

Laszlo Morocz,<br />

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />

Institut für Rheumatologie/ Schmerztherapie,<br />

Bahnhofstrasse 4, 8820 Wädenswil<br />

Annett Khatami,<br />

Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für<br />

Psychiatrie und Psychotherapie, Asylstrasse 48,<br />

8708 Männedorf<br />

Ärztegesellschaft des<br />

Kantons Luzern<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2012;94: 1/2<br />

FMH<br />

Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />

Stadt haben sich angemeldet:<br />

Anna Kipfer-Kauer, Fachärztin für Ophthalmologie<br />

und Ophthalmochirurgie FMH, Augenärztezentrum<br />

Luzern, Haus 30, 6000 Luzern 16<br />

Diego Bär, Facharzt für Rheumatologie FMH,<br />

Kantonsspital Luzern, 6000 Luzern 16<br />

Einsprachen sind innert zwanzig Tagen nach<br />

der Publikation schriftlich und begründet zu<br />

richten an: Ärztegesellschaft des Kantons<br />

Luzern, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern.<br />

Ärztegesellschaft Schwyz<br />

Zur Aufnahme in die Ärztegesellschaft des Kantons<br />

Schwyz haben sich angemeldet:<br />

Giuseppe Coppola, Facharzt für Innere Medizin<br />

und Angiologie FMH, Im Ahorn 12, 8125 Zollikerberg.<br />

Belegarzt Spital Lachen<br />

Marie-An De Letter, Fachärztin für Neurologie,<br />

Mühlegasse 23, 6422 Steinen. Eröffnung einer<br />

Praxis in Steinen im Januar 2013<br />

Markus Gördes, Facharzt für Anästhesiologie,<br />

Oberdorfstrasse 28, 8853 Lachen SZ. Eröffnung<br />

einer anästhesiologischen Praxis in Lachen im<br />

Januar 2013<br />

Rosemarie Mikolasch-Sulzer, Praktische Ärztin,<br />

Reidholzstrasse 29, 8805 Richterswil. Praxiseröffnung<br />

in den Räumlichkeiten ihres Ehemannes<br />

Dr. Martin Mikolasch, Schützenstrasse 1,<br />

8853 Lachen<br />

Einsprache gegen diese Aufnahmen richten Sie<br />

schriftlich innert zwanzig Tagen an Dr. med.<br />

Hugo Brunner, Dorfstrasse 14, 6417 Sattel.<br />

Ärztegesellschaft Thurgau<br />

Zum Eintritt in die Ärztegesellschaft Thurgau<br />

hat sich angemeldet:<br />

Heidrun Stauder, Fachärztin für Allgemeine Innere<br />

Medizin FMH, Altnau<br />

Einsprachen gegen die Aufnahme sind innerhalb<br />

von zehn Tagen seit der Publikation beim<br />

unterzeichneten Sekretariat schriftlich zu erheben.<br />

9


SGOT/SGU ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

In der SÄZ Nr. 48/2012 stellte das Swiss Medical Board zwei Merkblätter für Patienten vor, die Entscheidungshilfen<br />

bei der Behandlung von Kreuzbandläsionen und der Anwendung des PSA-Tests für<br />

die Früherkennung von Prostatakrebs bieten sollen [1]. Die betroffenen Fachgesellschaften SGOT und<br />

SGU reagieren im folgenden Beitrag mit einem «offenen Brief» auf die Lancierung dieser Merkblätter.<br />

Aufgrund der Wichtigkeit der Thematik für die Ärzteschaft haben wir den in der Trägerschaft des<br />

Med ical Boards engagierten FMH und SAMW angeboten, sich zur Kritik zu äussern, und publizieren<br />

deren Stellungnahme im Anschluss an den Text der Fachgesellschaften.<br />

Die Redaktion<br />

1 Swiss Medical Board veröffentlicht Merkblätter für Patienten. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(48):1781.<br />

Offener Brief<br />

SGOT-SSOT und SGU-SSU lehnen Merkblätter<br />

für Patienten des Swiss Medical Board ab<br />

Bernhard Christen a ,<br />

Thomas Gasser b<br />

a Dr. med., MHA, Präsident<br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Orthopädie und<br />

Traumatologie (SGOT)<br />

b Prof. Dr. med., Präsident<br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Urologie (SGU)<br />

Korrespondenz:<br />

Geschäftsstelle SGU­SSU<br />

15, avenue des Planches<br />

CH­1820 Montreux<br />

Tel. 021 963 21 39<br />

Fax 021 963 21 49<br />

office[at]cpconsulting.ch<br />

Ende November hat das Swiss Medical Board Merkblätter<br />

für Patienten zu den Themen der Behandlung<br />

von Kreuzbandläsionen und dem Stellenwert des<br />

PSA­Testes in der Früherkennung des Prostatakrebses<br />

publiziert.<br />

Die Fachgesellschaften mit der entsprechenden<br />

Kompetenz, die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für<br />

O rthopädie und Traumatologie (SGOT) und die<br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Urologie (SGU),<br />

waren bei der Verfassung der Merkblätter ausgeschlossen.<br />

Diese Vorgehensweise widerspricht der<br />

gut schweizerischen Tradition der Vernehmlassung.<br />

Beide Gesellschaften sind von der mangelhaften<br />

Qualität der Merkblätter enttäuscht.<br />

Es besteht nämlich ein erheblicher Unterschied<br />

zwischen einer reinen Literaturanalyse durch einen<br />

fachfremden Expertenrat (wie sie das Medical Board<br />

durchgeführt und publiziert hat) und der Beratung<br />

des einzelnen Betroffenen.<br />

Die Merkblätter wären sonst nicht so unausgewogen,<br />

unvollständig und an den Bedürfnissen<br />

der Patienten vorbeizielend ausgefallen. Wichtige<br />

Aspekte wurden – bewusst oder unbewusst – ausgelassen.<br />

Entsprechend werden die Merkblätter nichts<br />

zur Verminderung der Verunsicherung beitragen –<br />

im Gegenteil.<br />

Die SGOT­SSOT und die SGU­SSU lehnen die<br />

Merkblätter deshalb ab, raten ihren Mitgliedern, sie<br />

nicht zu verwenden, und ersuchen die Ärzteschaft,<br />

dasselbe zu tun. Patientenorganisationen werden<br />

eingeladen, die Merkblätter ebenfalls nicht zu verwenden.<br />

Antwort auf den offenen Brief von SGOT und SGU<br />

zu den Merkblättern des Swiss Medical Board<br />

Christoph Bosshard a ,<br />

Peter Suter b<br />

a Dr. med., Mitglied des<br />

Zentralvorstands der FMH,<br />

Verantwortlicher Ressort<br />

Daten, Demographie und<br />

Qualität<br />

b Prof. Dr. med., Vizepräsident<br />

<strong>Schweizerische</strong> Akademie<br />

der Medizinischen Wissenschaften<br />

(SAMW)<br />

In der vorliegenden Stellungnahme seitens zweier<br />

betroffener Fachgesellschaften wird zu Arbeiten des<br />

Swiss Medical Boards Stellung genommen – einer<br />

Organisation, die von der FMH und der SAMW mitgetragen<br />

wird. In diesem Zusammenhang erfolgt<br />

von den beiden Verantwortlichen der Vorstände<br />

FMH und der SAMW, die im Vorstand des Trägervereines<br />

des Swiss Medical Boards vertreten sind, eine<br />

Antwort. Wir sind überzeugt, dass die monierten<br />

Punkte durch eine verstärkte Zusammenarbeit verbessert<br />

werden können.<br />

Das Swiss Medical Board ist ein von Verwaltung,<br />

Leistungserbringern und Industrie unabhängiges<br />

Gremium. Seine Aufgabe ist es, diagnostische Verfahren<br />

und therapeutische Interventionen aus der<br />

Sich der Medizin, der Ökonomie, der Ethik und des<br />

Rechts zu analysieren. Es sollen Entscheidungsgrundlagen<br />

für den optimalen Einsatz von medizinischen<br />

Leistungen im Hinblick auf hohe Qualität bei<br />

effizientem Ressourcen­Einsatz resultieren. Die Trägerschaft<br />

umfasst die GDK, die SAMW, die Regierung<br />

des Fürstentums Liechtenstein und die FMH.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

10


SGOT/SGU ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Die Initiative ging in ihrem Ursprung von der Gesundheitsdirektion<br />

des Kanton Zürich aus, um einen<br />

Beitrag zur Umsetzung der im KVG verankerten<br />

Grundsätze betreffend HTA zu leisten: Der Art. 32<br />

KVG fordert in Abs. 1, dass Leistungen nach Art. 25­<br />

31 wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein<br />

müssen. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen<br />

Methoden nachgewiesen sein. Der Abs. 2 von<br />

Art. 32 KVG fordert die periodische Überprüfung der<br />

WZW­Kriterien der Leistungen.<br />

Der Einbezug der Fachgesellschaften in die Arbeiten<br />

des Swiss Medical Boards erfolgt in Form einer<br />

jährlichen Umfrage betreffend zu bearbeitende<br />

Fragestellungen. Im Bearbeitungs­Prozess werden die<br />

Fachgesellschaften wiederum durch das Swiss Medical<br />

Board um Ernennung von Fachexperten ersucht.<br />

Das Swiss Medical Board geht hier davon aus,<br />

dass die von den Fachgesellschaften ernannten Experten<br />

ihre Stellungnahmen in Rücksprache und Information<br />

mit den Fachgesellschaften abgeben. Für<br />

die gute Zusammenarbeit der FMH und SAMW mit<br />

dem Swiss Medical Board und auch eine erhöhte<br />

Transparenz gegenüber unserer Basis ist es wichtig<br />

und auch im Vorstand des Trägervereins an seiner<br />

Sitzung vom November 2012 unbestritten geblieben,<br />

dass zukünftig die Stakeholder – neben den Fachgesellschaften<br />

sind dies auch Spitäler, Versicherungen,<br />

Patientenorganisationen oder Pharmafirmen – vor<br />

der definitiven Berichtfassung durch ein Vernehmlassungsverfahren<br />

einzubeziehen sind. Da die Sichtweise<br />

des Swiss Medical Boards aufgrund seiner Zielsetzungen<br />

nicht nur auf rein medizinische Aspekte<br />

fokussiert, wird es zur Sichtweise der Fachgesellschaften<br />

und der anderen Stakeholder wohl zwangsläufig<br />

Differenzen geben. Wir erinnern hier gerne an<br />

die im Editorial der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />

48/2012 [1] dargelegte Geschichte mit den sechs<br />

Blinden, die einen Elefanten beschreiben sollten.<br />

Wir müssen unsere Sichtweisen austauschen, indem<br />

wir einander zuhören und auch Stellung beziehen<br />

können.<br />

FMH und SAMW sind zurzeit daran, zusammen<br />

mit den anderen Trägern des Swiss Medical Boards<br />

die Bearbeitungsprozesse in oben skizziertem Sinne<br />

zu diskutieren und Anpassungsvorschläge zu unterbreiten.<br />

Auf der Homepage (www.swissmedicalboard.ch)<br />

sind weitere Informationen zum Swiss Medical<br />

Board zu finden.<br />

Literatur<br />

1 Bosshard C. Die SAQM – der sechste Sinn der<br />

Ärzteschaft. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(48):1775.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 11


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

«A useful criterion in determining acceptable activities<br />

and relationships is: would you be willing to have these<br />

arrangements generally known?»<br />

(Guidelines of the American College of Physicians, 1990)<br />

Richtlinien der <strong>Schweizerische</strong>n Akademie der Medizinischen Wissenschaften*<br />

Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie<br />

<strong>Schweizerische</strong> Akademie<br />

der Medizinischen Wissenschaften<br />

* Vom Senat genehmigt am<br />

29. November 2012.<br />

Diese Richtlinien ersetzen<br />

die Richtlinien der SAMW<br />

zur «Zusammenarbeit<br />

Ärzteschaft–Industrie»<br />

von 2006.<br />

Die deutsche Fassung ist die<br />

Stammversion.<br />

1 Im Interesse der leichteren<br />

Lesbarkeit des Textes wird<br />

im Folgenden durchwegs die<br />

männliche Bezeichnung von<br />

Personen verwendet.<br />

Die entsprechenden Texte<br />

betreffen immer auch die<br />

weiblichen Angehörigen<br />

der genannten Personengruppen.<br />

2 www.samw.ch/de/Portraet/<br />

Kommissionen/Beratende-<br />

Kommission.html<br />

3 Swissmedic <strong>als</strong> zuständige<br />

Vollzugsbehörde publizierte<br />

in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

<strong>Ärztezeitung</strong> einen<br />

ergänzenden Beitrag zu ihrer<br />

Auslegung des Vorteilsverbots<br />

von Art. 33 HMG (www.<br />

saez.ch/docs/saez/archiv/<br />

de/2007/2007-39/2007-39-<br />

416.<strong>PDF</strong>).<br />

Korrespondenz:<br />

<strong>Schweizerische</strong> Akademie der<br />

Medizinischen Wissenschaften<br />

Petersplatz 13<br />

CH-4051 Basel<br />

Tel. 061 269 90 30<br />

Fax 061 269 90 39<br />

mail[at]samw.ch<br />

www.samw.ch<br />

Präambel<br />

Die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten [1]<br />

mit der Industrie ist seit langem etabliert. Sie liegt<br />

grundsätzlich im Interesse einer guten Gesundheitsversorgung<br />

und trägt vielfach zu einer Mehrung des<br />

Wissens bei. Diese Zusammenarbeit kann Interessenkonflikte<br />

und Abhängigkeiten mit sich bringen<br />

oder in Ausnahmefällen zu Konflikten mit dem<br />

Gesetz führen.<br />

Interessenkonflikte können materieller, psychologischer<br />

oder sozialer Natur sein. Sie sind nicht eine<br />

Folge eines bestimmten Handelns oder Unterlassens.<br />

Es ist dabei auch nicht entscheidend, ob sich eine<br />

Person in einer bestimmten Situation beeinflusst<br />

fühlt.<br />

Die SAMW veröffentlichte 2002 erstm<strong>als</strong> «Empfehlungen<br />

zur Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie».<br />

Sie wurden 2005 teilrevidiert und in «Richtlinien»<br />

umbenannt, die ab 2006 galten. Diese Richtlinien<br />

flossen dam<strong>als</strong> in die Standesordnung der<br />

FMH ein. Ausserdem setzte die SAMW dam<strong>als</strong> eine<br />

Beratende Kommission für die Zusammenarbeit<br />

Ärzte schaft-Industrie ein [2]. Diese begleitete seither<br />

die praktische Anwendung und Interpretation der<br />

Richtlinien [3].<br />

In der Praxis wurden weiterer Präzisierungsbedarf<br />

und Lücken festgestellt. Daher beschloss die<br />

SAMW 2012, die Richtlinien zu revidieren. Neben<br />

der Überarbeitung und Ergänzung verschiedener Abschnitte<br />

wurde insbesondere das Kapitel «Expertentätigkeit»<br />

hinzugefügt.<br />

Die Richtlinien gelten für die Beziehungen der<br />

Ärzteschaft mit Zulieferern auf dem Gesundheitsmarkt,<br />

d. h. insbesondere mit Unternehmen der<br />

Pharma-, der Medizinprodukte- und der IT-Industrie.<br />

Sie sollen dabei zum richtigen Umgang mit Interessenkonflikten<br />

bei der Abgeltung von Leistungen<br />

von Ärzten durch finanzielle oder anderweitige Leistungen<br />

beitragen. Die Richtlinien sollen nicht verbieten,<br />

sondern durch das Empfehlen angemessener<br />

Verhaltensweisen im beruflichen Alltag zur Objektivität<br />

und Qualität der genannten Tätigkeiten, zur<br />

Transparenz, zur Vermeidung von Abhängigkeiten<br />

und zum bewussten Umgang mit Interessenkonflikten<br />

beitragen.<br />

Die SAMW ist sich bewusst, dass solche Richtlinien<br />

nie für alle Einzelfälle direkt anwendbare<br />

Lösungen bieten können. Sie sind in der Praxis von<br />

allen Beteiligten im Sinne ihres Geistes nach bestem<br />

Wissen und Gewissen anzuwenden und einzuhalten.<br />

Deshalb sind die Ärzteschaft und Industrie <strong>als</strong><br />

Partner aufgerufen, ihre Beziehungen in diesem<br />

wohlverstandenen Sinn zu gestalten und wo nötig<br />

zu verbessern.<br />

Grundsätze<br />

Entscheidend ist, dass die Beteiligten bei Interessenkonflikten<br />

nach folgenden Prinzipien vorgehen:<br />

– Trennungsprinzip: Ärztliches Handeln insbesondere<br />

gegenüber Patienten muss von versprochenen<br />

oder erhaltenen geldwerten Leistungen oder<br />

Vorteilen unabhängig sein. Die entsprechenden<br />

Vorgänge und Abläufe sind klar voneinander zu<br />

trennen.<br />

– Transparenzprinzip: Versprochene oder erhaltene<br />

geldwerte Leistungen oder Vorteile, insbesondere<br />

solche ohne direkte Gegenleistung, müssen<br />

offengelegt werden.<br />

– Äquivalenzprinzip: Leistung und Gegenleistung<br />

müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander<br />

stehen.<br />

– Dokumentationsprinzip: Alle Leistungen müssen<br />

schriftlich vereinbart werden. Dabei wird detailliert<br />

festgelegt, welcher Art die Leistung und das<br />

Entgelt dafür sind und welche Leistungen zu welchem<br />

Zweck konkret erbracht werden. Betreffen<br />

solche Vereinbarungen Mitarbeitende von Institutionen<br />

im Gesundheitswesen, so sind sie von<br />

deren Arbeitgeber oder Vorgesetzten zu genehmigen.<br />

– Vier-Augen-Prinzip: Wichtige Entscheidungen<br />

sollten nicht von einer einzelnen Person getroffen<br />

werden dürfen. Ziel ist es, das Risiko von Fehlern<br />

und Missbrauch zu reduzieren. Alle Verträge<br />

und finanziellen Transaktionen werden von<br />

2 Personen jeder Institution unterzeichnet.<br />

– Kontentrennungsprinzip: Drittmittel für Forschung<br />

und Lehre sind jeweils separat zu führen. Alle<br />

diesbezüglichen Transaktionen müssen transparent<br />

und revisionsfähig sein.<br />

Die Offenlegung von Interessenkonflikten bei der<br />

Zusammenarbeit von Ärzten mit der Industrie ist ein<br />

notwendiger erster Schritt zum richtigen Umgang<br />

damit. Für Ärzte in Forschung, Klinik und Praxis<br />

geht es dabei nicht nur um Rechtsfragen, sondern<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

12


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

4 Humanforschungsgesetz<br />

(HFG), Heilmittelgesetz<br />

(HMG), Leitlinien «Good<br />

Clinical Practice» (GCP).<br />

5 Zusätzlich muss gemäss<br />

Art. 9 Abs. 2 Humanforschungsgesetz<br />

Bst. l VKlin<br />

die Prüferin oder der Prüfer<br />

über die erforderliche<br />

Ausbildung oder Erfahrung<br />

in der Guten Praxis der<br />

klinischen Versuche<br />

verfügen.<br />

6 Die Registrierung<br />

klinischer Versuche wird<br />

ab Inkrafttreten des<br />

Humanforschungsgesetzes<br />

samt Verordnungen dazu<br />

vorgeschrieben sein.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

auch um ihre Berufsethik. Indem sich die Ärzteschaft<br />

selber Leitplanken gibt, mit denen die staatlichen<br />

Vorschriften durch eigenverantwortliche Verhaltensregeln<br />

präzisiert und ergänzt werden, unterstreicht<br />

sie ihren Willen zur Unabhängigkeit und<br />

Glaubwürdigkeit ihres Berufsstandes.<br />

I. Klinische Forschung<br />

Einleitung<br />

Die klinische Forschung bezweckt, Erkrankungen des<br />

Menschen auf wissenschaftlicher Basis zu verstehen<br />

und dieses Wissen zur Entwicklung wirksamer Erkennungs-,<br />

Präventions- und Behandlungsmethoden<br />

praxistauglich zu machen. Die klinische Forschung<br />

ist die unabdingbare Grundlage jeglichen Fortschritts<br />

in der Medizin.<br />

Klinische Forschung ist ein komplexer, sich über<br />

mehrere Stufen und Jahre erstreckender Prozess zur<br />

Entwicklung neuer, besserer und sicherer präventiver,<br />

diagnostischer und therapeutischer Produkte<br />

und Verfahren; sie wird an Universitäten, Kliniken,<br />

Forschungsinstitutionen und in Arztpraxen durchgeführt.<br />

Die Durchführung klinischer Forschung<br />

richtet sich nach strengen wissenschaftlichen, ethischen<br />

und rechtlichen Anforderungen, vor allem zur<br />

Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen<br />

(vgl. Anhang).<br />

Die Zusammenarbeit klinischer Forscher mit der<br />

Industrie oder mit von ihr beauftragten Forschungsinstituten<br />

ist in vielen Bereichen eine wichtige Voraussetzung<br />

für innovative Forschung. Die Aussicht,<br />

mit einem Versuch oder dessen Ergebnissen finanzielle<br />

Vorteile oder Bekanntheit zu erlangen, kann<br />

Forscher jedoch dazu verleiten, bei der Planung,<br />

Durchführung oder Auswertung eines Versuches<br />

i nkorrekt zu handeln. Die zur Gewährleistung der<br />

Qualität der Forschungsvorhaben und zum Schutz<br />

der darin einbezogenen Versuchspersonen geltenden<br />

Regeln [4] bedürfen deshalb der Ergänzung<br />

durch Richtlinien, die zur Objektivität der Forschung,<br />

zur Vermeidung von Abhängigkeiten und<br />

zum bewussten Umgang mit Interessenkonflikten<br />

beitragen.<br />

Richtlinien<br />

1. Klinische Forschung orientiert sich an<br />

wissenschaftlichen und ethischen Standards<br />

Klinische Forschung muss den jeweils aktuellen wissenschaftlichen<br />

und ethischen Anforderungen, den<br />

gesetzlichen Vorschriften und den international anerkannten<br />

Grundsätzen der «Good Clinical Practice»<br />

(GCP) bzw. «Guten Praxis der Klinischen Versuche»<br />

[5] entsprechen. Forschende verfügen von Gesetzes<br />

wegen über eine ihrer Funktion und Verantwortung<br />

im Forschungsprojekt entsprechende GCP-Ausbildung.<br />

2. Institutionen, die klinische Forschung<br />

betreiben, evaluieren regelmässig<br />

deren Qualität<br />

Die wissenschaftliche Qualität klinischer Versuche<br />

ist aufgrund ihrer Originalität und Methodik sowie<br />

ihrer Resultate (einschliesslich der Offenlegung<br />

negativer Ergebnisse) zu beurteilen. Zu berücksichtigen<br />

sind dabei die Qualität der Publikation und die<br />

B edeutung der aus der Forschung resultierenden<br />

Erkenntnisse.<br />

3. Alle klinischen Versuche werden in einem<br />

öffentlich zugänglichen Register erfasst<br />

Die Erfassung bezweckt insbesondere,<br />

– die korrekte und vollständige Veröffentlichung<br />

der Ergebnisse zu gewährleisten,<br />

– dass Protokolländerungen wissenschaftlich nachvollziehbar<br />

und begründet sind, und<br />

– nachträgliche, GCP-widrige Veränderungen am<br />

Versuchsprotokoll zu erkennen.<br />

Dem Register sollen die relevanten Kenngrössen zu<br />

einem Versuch entnommen werden können [6].<br />

4. Der verantwortliche Forscher und seine<br />

Mitarbeiter haben kein finanzielles Interesse<br />

am Versuch oder dessen Ergebnis<br />

Die an einem Versuch beteiligten Forscher legen<br />

gegenüber der Institution, an der sie tätig sind, ihre<br />

mit dieser Beteiligung verbundenen finanziellen<br />

Interessen offen. Insbesondere dürfen der für einen<br />

Versuch verantwortliche Forscher und seine Mitarbeiter<br />

nicht gleichzeitig Inhaber, Teilhaber, Verwaltungsrat<br />

oder bedeutender Aktionär eines Unternehmens<br />

sein, welches das zu prüfende Verfahren<br />

anwendet oder das zu prüfende Produkt herstellt<br />

oder vertreibt. Begründete Ausnahmen von dieser<br />

Regelung müssen von der Institution, an der die Forscher<br />

tätig sind, bewilligt werden.<br />

5. Die Durchführung und Finanzierung<br />

von Versuchen werden vertraglich geregelt<br />

Jeder Versuch, der im Auftrag eines Dritten (der damit<br />

zum Sponsor wird) durchgeführt und von diesem<br />

finanziert wird, ist in einem schriftlichen Vertrag geregelt.<br />

Der Vertrag ist durch den verantwortlichen<br />

Forscher und, wo zutreffend, durch den zuständigen<br />

Vertreter der Institution, für die der Forscher tätig ist,<br />

sowie durch den Sponsor zu unterzeichnen.<br />

Im Vertrag sind festzuhalten:<br />

– der klinische Versuch, der Gegenstand des Vertrags<br />

ist;<br />

– die gegenseitigen Pflichten und Verantwortlichkeiten;<br />

– die Leistungen und Gegenleistungen bei der<br />

Durchführung des Versuchs;<br />

– die Abgeltung, wobei deren Höhe der tatsächlich<br />

erbrachten Leistung angemessen sein soll;<br />

– der uneingeschränkte Zugang des verantwort-<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 13


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

lichen Forschers zu allen für die Durchführung<br />

des Versuchs und zum Schutz der beteiligten Versuchspersonen<br />

relevanten Daten;<br />

– der Zugang zu den statistischen Auswertungen;<br />

– die Pflicht, die Versuchsergebnisse zu veröffentlichen<br />

oder öffentlich zugänglich zu machen;<br />

– die Gewährleistung der Publikationsfreiheit des<br />

Forschers;<br />

– die Voraussetzungen, unter denen der Versuch<br />

gegebenenfalls abgebrochen werden kann oder<br />

muss;<br />

– die Sicherstellung der Haftung bei Schäden, die<br />

aus dem klinischen Versuch entstehen können;<br />

– die Rechte an der späteren Nutzung der Daten<br />

bzw. Versuchsergebnisse.<br />

6. Die Abgeltung von Versuchen,<br />

die an Institutionen durchgeführt werden,<br />

geht an institutionelle Drittmittelkonten<br />

Alle von Sponsoren im Zusammenhang mit klinischen<br />

Versuchen erbrachten finanziellen Leistungen<br />

werden auf dafür bestimmte Konten verbucht. Die<br />

Institution (Universität, Departement, Klinik, Stiftung<br />

u. a.), für welche der verantwortliche Forscher<br />

tätig ist, regelt den Zugriff auf diese Konten.<br />

7. Bei der Publikation einer wissenschaftlichen<br />

Arbeit zeichnen diejenigen Forschenden <strong>als</strong><br />

Autoren verantwortlich, die einen wesentlichen<br />

Beitrag dazu geleistet haben<br />

In der Publikation soll <strong>als</strong> Autor genannt werden, wer<br />

an der Planung, Datensammlung, Auswertung und/<br />

oder Manuskript-Erstellung massgeblich beteiligt war.<br />

Wenn Drittpersonen (sog. Medical Writers) an der Publikation<br />

mitwirken, sind sie namentlich aufzuführen<br />

und ihre allfällige Verbindung zu einem industriellen<br />

oder anderen Sponsor offenzulegen. Gefälligkeitsautorschaft<br />

(sog. «guest authors») ist nicht statthaft.<br />

Die Mitwirkung von «Ghost Writers», die in der<br />

Publikation nicht <strong>als</strong> mitwirkende Drittpersonen<br />

aufgeführt werden, ist nicht akzeptabel.<br />

8. Bei der Publikation und Präsentation von<br />

Ergebnissen eines Versuchs ist dessen finanzielle<br />

oder materielle Unterstützung offenzulegen<br />

In den Publikationen von Versuchsergebnissen ist in<br />

einer Anmerkung oder Fussnote für die Leserschaft<br />

deutlich erkennbar zu machen, wer den Versuch<br />

finanziert hat. Bei der Vorstellung von Versuchsergebnissen<br />

an Vorträgen, Kongressen und dergleichen ist<br />

deutlich auf diese Tatsache hinzuweisen; ebenso sind<br />

allfällige Interessenbindungen der Autoren offenzu-<br />

legen.<br />

9. Die Interpretation der Ergebnisse eines<br />

Versuchs muss von den Interessen desjenigen<br />

unabhängig sein, der ihn finanziell oder<br />

materiell unterstützt<br />

Bei der Interpretation von Versuchsergebnissen in<br />

Publikationen und bei Präsentationen sind Interes-<br />

senkonflikte zu vermeiden. Der verantwortliche Forscher<br />

muss deshalb besondere Sorgfalt darauf verwenden,<br />

– die im Versuch festgestellten erwünschten und<br />

unerwünschten Wirkungen eines Produktes oder<br />

Verfahrens tatsachengetreu zu dokumentieren<br />

und kritisch zu diskutieren;<br />

– das Kosten-Nutzen-Verhältnis des geprüften Produktes<br />

oder Verfahrens möglichst objektiv darzustellen.<br />

10. Forscher wirken nicht mit beim Marketing<br />

von Produkten, an deren Prüfung sie beteiligt<br />

waren<br />

Für einen Versuch verantwortliche oder daran beteiligte<br />

Forscher dürfen ihre Unabhängigkeit und<br />

Glaubwürdigkeit nicht in Frage stellen, indem sie<br />

sich an Marketingaktionen für das geprüfte Produkt<br />

oder Verfahren beteiligen.<br />

II. Aus-, Weiter- und Fortbildung<br />

Einleitung<br />

Der Medizin stehen immer mehr diagnostische und<br />

therapeutische Mittel zur Verfügung. Die Aus-, Weiter-<br />

und Fortbildung der Ärzte muss sich dieser Entwicklung<br />

laufend anpassen. Die Fortbildung soll den Teilnehmern<br />

objektive und ausgewogene, für die Betreuung<br />

der Patienten nützliche und notwendige<br />

Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln;<br />

sie ist eine Voraussetzung für eine angemessene Ausübung<br />

der ärztlichen Tätigkeit.<br />

Die gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung bedeutet<br />

für die Ärzte eine erhebliche zusätzliche Leistung.<br />

In Betracht fallen der finanzielle Aufwand für<br />

die Fortbildungsveranstaltungen sowie der Arbeitszeit-<br />

und Einnahmenausfall. Die Finanzierung dieser<br />

Kosten ist weder für die Spitäler noch für die praktizierenden<br />

Ärzte sichergestellt. Neues Wissen stellt<br />

eine Bereicherung der ärztlichen Tätigkeit dar und<br />

liegt demnach im Interesse des einzelnen Arztes.<br />

Ein bedeutender Teil der Fortbildungsveranstaltungen<br />

wird von der pharmazeutischen Industrie<br />

und der Medizinproduktebranche (in der Folge Industrie<br />

resp. Unternehmen genannt) finanziell unterstützt<br />

(«gesponsert») oder auch organisiert. Dies ist<br />

für viele Ärzte und Institutionen zur Selbstverständlichkeit<br />

geworden, kann aber zu Abhängigkeiten<br />

und Interessenkonflikten führen. Deshalb sind auch<br />

für diesen Bereich Leitplanken sinnvoll.<br />

In der medizinischen Ausbildung und in der<br />

Weiterbildung gelten in Bezug auf die Unterstützung<br />

durch die Industrie die gleichen Überlegungen wie<br />

bei der Fortbildung.<br />

Richtlinien<br />

1. Den Antrag auf Anerkennung einer Fortbildungsveranstaltung<br />

bei den zuständigen<br />

Organen (Fachgesellschaften, kantonale Ärzte ­<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 14


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

7 www.fmh.ch/files/pdf6/<br />

fbo_d.pdf<br />

8 www.fmh.ch/bildung-siwf.<br />

html<br />

9 International Nonproprietary<br />

Names for pharmaceutical<br />

substances (INN) /<br />

Dénominations communes<br />

internationales des<br />

Substances pharmaceutiques<br />

(DCI) (www.who.<br />

int/medicines/services/<br />

inn/en/)<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

gesellschaften, SIWF) stellen die veranstaltenden<br />

Ärzte oder die ärztlichen Fachgremien<br />

Es ist Aufgabe des Veranstalters, die Anerkennung<br />

der Fortbildung bei der zuständigen Fachgesellschaft<br />

zu beantragen. Eine Anerkennung wird nur für Fortbildungen<br />

gewährt, die den vorliegenden Richtlinien<br />

vollumfänglich genügen. Veranstaltungen orientieren<br />

sich an den Zielen der Fortbildungsordnung (FBO)<br />

[7] des <strong>Schweizerische</strong>n Instituts für ärztliche Weiter-<br />

und Fortbildung (SIWF) [8] sowie den Fortbildungsprogrammen<br />

der Fachgesellschaften.<br />

2. Fortbildungsveranstaltungen werden nur<br />

anerkannt, wenn Inhalt und Ablauf durch Ärzte<br />

bzw. ärztliche Fachgremien bestimmt oder<br />

entscheidend mitbestimmt werden<br />

Dafür gelten namentlich folgende Bedingungen:<br />

– Veranstalter sind im jeweiligen Fachgebiet kompetente<br />

Organisationen, Institutionen oder Personen<br />

und nicht die Industrie.<br />

– Fortbildungsveranstaltungen sollten durch die<br />

Teilnehmerbeiträge und die veranstaltende Institution<br />

finanziert werden. Bedarf es weiterer<br />

finanzieller Unterstützung durch Sponsoren, so<br />

sind dafür mehrere, voneinander unabhängige<br />

Unternehmen vorzusehen.<br />

– Es wird in der Regel eine Teilnahmegebühr erhoben.<br />

Bei kürzeren (halbtägigen) Fortbildungsveranstaltungen<br />

kann darauf verzichtet werden.<br />

– Die Vereinbarungen zwischen Veranstalter und<br />

Sponsoren sind schriftlich festgehalten.<br />

– Die Veranstalter und nicht die Sponsoren bestimmen<br />

das Programm (Inhalt und Ablauf) und<br />

wählen die Referenten aus. Von Sponsoren veranstaltete<br />

Satelliten-Symposien sind <strong>als</strong> solche<br />

zu bezeichnen, auf Randzeiten zu legen, und<br />

werden nicht <strong>als</strong> Fortbildung anerkannt.<br />

– Die Teilnehmer sollen Gelegenheit haben, Fortbildungsveranstaltungen<br />

zu evaluieren.<br />

– Ein allfälliges Rahmenprogramm ist von deutlich<br />

untergeordneter Bedeutung. Rahmenprogramm<br />

und Fachteil müssen klar getrennt sein.<br />

– Die Zusage von Credits für eine Fortbildungsveranstaltung<br />

muss vor dem Versand der Einladung<br />

dazu geklärt sein. Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen<br />

mit dem Hinweisen wie «Credits<br />

beantragt» sind nicht zulässig. Die Beantwortung<br />

von Credits-Anfragen durch die zustän digen Organe<br />

sollte innerhalb von vier Wochen erfolgen.<br />

Zur Vermeidung administrativer Umtriebe können<br />

die Fachgesellschaften regelmässig durchgeführte<br />

eigene Fortbildungsveranstaltungen oder solche von<br />

Spitälern oder Spitalabteilungen en bloc oder im<br />

Voraus anerkennen; Voraussetzung dafür ist die<br />

schriftliche Zusicherung der betreffenden Fachgesellschaft<br />

oder der Spitäler und Spitalabteilun-<br />

gen, dass diese Fortbildungsveranstaltungen den<br />

Anforderungen der vorliegenden Richtlinien entsprechen.<br />

3. Die Möglichkeiten der Prävention, Diagnose<br />

und Therapie werden grundsätzlich nach den<br />

Kriterien der evidenz­basierten Medizin (EBM)<br />

und unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftlichkeit<br />

dargestellt<br />

Die Themen sollen objektiv nach dem aktuellen<br />

Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und von<br />

verschiedenen Seiten her (interdisziplinär) behandelt<br />

werden. Die Diagnose- und Therapiemöglichkeiten<br />

sollen vollständig und grundsätzlich nach<br />

den Kriterien der EBM dargestellt werden.<br />

4. Stehen für die besprochene Prävention, Dia­<br />

gnose oder Therapie mehrere wirksame Arz neimittel,<br />

Medizinprodukte oder Verfahren zur Ver­<br />

fügung, so ist ein objektiver Vergleich anzustreben<br />

In den Referaten werden Arzneimittel grundsätzlich<br />

mit der international anerkannten Wirkstoffbezeichnung<br />

[9] erwähnt.<br />

5. Finanzielle Mittel aus dem Sponsoring<br />

werden auf ein dafür bestimmtes Konto des<br />

Veranstalters (Universität, Institution, Stiftung,<br />

Fachgesellschaft, regionale Ärztevereinigung<br />

usw.) verbucht und für die Organisation von<br />

Fortbildungsveranstaltungen, Honorierung<br />

der Referenten und deren Spesen verwendet<br />

In Spitälern stattfindende ganz- oder mehrtägige<br />

Fortbildungsveranstaltungen, die von der Industrie<br />

unterstützt werden, sind von der dafür zuständigen<br />

Stelle zu genehmigen.<br />

Die Kontrolle der Finanzen ist Sache der Veranstalter.<br />

Den Sponsoren und den Fachgesellschaften<br />

sind Budget und Rechnung auf Anfrage vorzulegen.<br />

6. Die an Fortbildungsveranstaltungen <strong>als</strong><br />

Zuhörer (d. h. ohne Präsentation, Poster, Referat,<br />

Sitzungsleitung o. ä.) teilnehmenden Ärzte<br />

leisten eine angemessene Kostenbeteiligung<br />

Im Interesse ihrer Unabhängigkeit bezahlen die Teilnehmer<br />

einer Fortbildungsveranstaltung oder deren<br />

Arbeitgeber einen angemessenen Beitrag an die Kosten<br />

für Teilnahmegebühr, Reise und Unterkunft, d. h.<br />

in der Regel mindestens ein Drittel dieser Kosten.<br />

Die ganze oder teilweise Rückerstattung der Kostenbeteiligung<br />

und/oder eine Vergütung der indirekten<br />

Kosten eines Teilnehmers (Arbeitszeit- oder Einkommensausfall)<br />

durch einen Sponsor sind nicht zulässig.<br />

Angestellte Ärzte, deren Teilnahme an einer Veranstaltung<br />

ein Unternehmen finanziell unterstützen will,<br />

informieren ihre vorgesetzte Stelle über den Umfang<br />

der Unterstützung und den Sponsor. Bei Ärzten in Weiterbildung<br />

ergeht die Einladung in der Regel an die Institution,<br />

und diese entscheidet über die Teilnahme.<br />

Die Kosten für zusätzliche Hotelaufenthalte, Reisen<br />

oder andere Aktivitäten, die mit der Veranstaltung<br />

keinen inhaltlichen Zusammenhang haben,<br />

gehen vollumfänglich zulasten der Teilnehmer bzw.<br />

allfälliger Begleitpersonen.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 15


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

7. Referenten und Organisatoren legen allfällige<br />

persönliche oder institutionelle kommerzielle<br />

Interessen, finanzielle Verbindungen zum<br />

Sponsor, Beratertätigkeit im Auftrag des Sponsors<br />

oder Forschungsunterstützung durch<br />

den Sponsor offen<br />

Referentenhonorare sollen angemessen sein.<br />

Im Programm und in den Unterlagen einer Veranstaltung<br />

werden alle Sponsoren aufgeführt.<br />

Referenten legen ihre Interessenbindungen dem<br />

Veranstalter, der Fachgesellschaft sowie vor Beginn<br />

ihrer Präsentation den Teilnehmern auf geeignete<br />

Weise offen.<br />

8. Schaffen Medizinische Fakultäten bzw. deren<br />

Universitäten eine Lehr­ und/oder Forschungsstelle<br />

(Professur), die durch Unternehmen oder<br />

andere Drittmittel finanziert wird, so bestimmen<br />

sie schriftlich die Rahmenbedingungen dafür<br />

Dabei ist die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung<br />

zu gewährleisten.<br />

9. Die Medizinischen Fakultäten sorgen dafür,<br />

dass unangemessene Interaktionen zwischen<br />

Medizinstudierenden und<br />

Industrie­Unter nehmen unterbleiben<br />

Die Fakultäten achten insbesondere darauf, dass<br />

Studierende während ihrer Ausbildung und im weiteren<br />

Zusammenhang damit nicht von Industrieunternehmen<br />

mit Geschenken, anderweitigen geldwerten<br />

Vorteilen oder sonst in ungebührlicher Weise beeinflusst<br />

werden. Zudem sensibilisieren sie die Studierenden<br />

für mögliche Interessenkonflikte bei der Zusammenarbeit<br />

Ärzteschaft-Industrie.<br />

10. Die Kaderärzte von Spitälern achten darauf,<br />

dass Kontakte von Industrievertretern mit<br />

Spitalpersonal in einem institutionellen Rahmen<br />

stattfinden<br />

Kontakte zwischen Industrievertretern und Spitalpersonal,<br />

insbesondere Assistenzärzten, sollen in der<br />

Regel in den Räumen des Spit<strong>als</strong> stattfinden. Die<br />

K aderärzte achten darauf, über solche Kontakte und<br />

deren Inhalt informiert zu werden.<br />

III. Expertentätigkeit<br />

Einleitung<br />

Ärzte werden beigezogen, wenn es spezifische medizinische<br />

Fragen zu bearbeiten gibt, zu deren Beantwortung<br />

ihre Expertise unerlässlich ist. Die entsprechenden<br />

Anfragen stammen von unterschiedlichen<br />

Seiten. Beispiele dafür sind folgende: Eine staatliche<br />

Behörde will eine Empfehlung zum Gesundheitsverhalten<br />

veröffentlichen; ein Industrieunternehmen<br />

will eine Forschungsfrage bearbeiten oder ein neues<br />

Produkt lancieren; oder eine Fachgesellschaft will<br />

Guidelines ausarbeiten. Dabei können immer Interessenkonflikte<br />

entstehen.<br />

Richtlinien<br />

1. Im Hinblick auf die Mitarbeit in einem<br />

Advisory Board (oder einem ähnlichen Gremium,<br />

siehe Glossar) sollen Bedarf und Begründung<br />

für eine solche Beratungstätigkeit geklärt<br />

werden<br />

Zu prüfen ist namentlich:<br />

– ob der Zweck der Beratung klar umschrieben und<br />

gerechtfertigt ist; zu vermeiden sind namentlich<br />

Advisory Boards für Marketingzwecke;<br />

– Dauer und Begründung der Beratungstätigkeit;<br />

– ob die eigene fachliche Kompetenz hinreicht,<br />

um sich zum Beratungsgegenstand glaubwürdig<br />

äussern zu können;<br />

– ob Interessenkonflikte bestehen;<br />

– aufgrund welcher Kriterien die Auswahl von<br />

Experten (inkl. Anzahl) erfolgt.<br />

Gegebenenfalls ist auf die Teilnahme an einem<br />

Advisory Board zu verzichten.<br />

2. Eine Beratungsleistung erfolgt grundsätz­<br />

lich auf Basis eines Vertrags, der insbesondere<br />

Art, Zweck und Umfang der Beratungsleistung,<br />

das Honorar, die Unabhängigkeit des Experten<br />

sowie Transparenzbestimmungen dokumentiert<br />

3. Die Höhe des Honorars, die für die Tätigkeit<br />

in einem Advisory Board oder ähnlichen<br />

Gremium vereinbart wird, soll der erbrachten<br />

Leistung entsprechen<br />

4. Mitglieder von Gremien, die für die Ausarbeitung<br />

von Guidelines oder Leitlinien zuständig<br />

sind, legen zu Beginn und danach periodisch<br />

ihre Interessenkonflikte offen; diese Angaben<br />

werden zusammen mit den Guidelines oder<br />

Leitlinien veröffentlicht<br />

5. Ein Arzt beteiligt sich an einer Beobachtungsstudie<br />

oder an einer Online­Befragung<br />

nur, wenn dabei eine relevante wissenschaftliche<br />

Fragestellung bearbeitet wird und es<br />

sich nicht um eine Form von Marketing<br />

handelt<br />

6. Mitglieder von institutionsinternen Gremien,<br />

die für den Einkauf von Heilmitteln zuständig<br />

sind, müssen ihre Interessenbindungen<br />

offenlegen<br />

Bei absehbaren Interessenkonflikten soll das betreffende<br />

Mitglied am Entscheid nicht mitwirken.<br />

7. Experten und «Opinion Leaders» lassen<br />

sich nicht <strong>als</strong> Autoren auf Publikationen setzen,<br />

an denen sie nicht massgeblich beteiligt<br />

waren und für deren Inhalt sie nicht vollumfänglich<br />

bürgen können (keine sog.<br />

«guest authors»)<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 16


SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

IV. Annahme von Geld- oder Naturalleistungen<br />

Einleitung<br />

Artikel 38 der FMH-Standesordnung hält fest, dass<br />

«die Annahme von Geschenken […] oder von anderen<br />

Vorteilen […] von Dritten, die den Arzt oder die Ärztin<br />

in ihren ärztlichen Entscheidungen beeinflussen können<br />

und das übliche Mass kleiner Anerkennungen<br />

übersteigen, […] unzulässig» ist.<br />

Auch der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang<br />

in verschiedenen Gesetzen Bestimmungen erlassen<br />

(Art.33 Heilmittelgesetz, Art. 56 Abs. 3 Krankenversicherungsgesetz,<br />

Art. 322ter ff. Strafgesetzbuch;<br />

kantonale Bestimmungen). Die folgenden Richtlinien<br />

sind <strong>als</strong> Umsetzungshilfe für die Praxis zu verstehen<br />

und zu beachten.<br />

Richtlinien<br />

1. Ärzte in Klinik, Praxis und Forschung nehmen<br />

von der Industrie keine Geld­ oder Naturalleistungen<br />

entgegen, die das Mass finanziell unbedeutender<br />

kleiner Anerkennungen übersteigen<br />

An öffentlichen Spitälern ordnen interne Regeln die<br />

Entgegennahme von Geld- oder Naturalleistungen.<br />

Sie bestimmen innerhalb der Institution, welche<br />

Zuwendungen von der vorgesetzten Stelle zu genehmigen<br />

sind und welche ihr nur zu melden sind (z. B.<br />

durch Bezeichnung von Obergrenzen oder durch Erstellen<br />

einer «Positivliste»).<br />

Bei allen grösseren Einkäufen und Aufträgen<br />

braucht es eine Kollektivunterschrift (Vier-Augen-<br />

Prinzip). Die Annahme von Geld- und Naturalleistungen<br />

und das Einkaufswesen der Institution sind strikte<br />

zu trennen.<br />

Alle Vereinbarungen über die Entgegennahme<br />

von Geld- oder Naturalleistungen oberhalb einer institutionsintern<br />

festgelegten Grenze haben schriftlich zu<br />

erfolgen. Diese Vereinbarungen enthalten auch die<br />

Zusicherung, dass keine (mündlichen oder stillschweigenden)<br />

Nebenabsprachen getroffen wurden. Zusätzlich<br />

werden auch die erlaubten Verwendungszwecke<br />

der auf dem Spendenkonto einbezahlten Gelder festgelegt.<br />

Das Verfügungsrecht über das Konto ist institutionsintern<br />

zu regeln.<br />

2. Ärzte gehen mit Gratismustern korrekt<br />

und zweckentsprechend um<br />

Ärzte sollen sich bewusst sein, dass Arzneimittelmuster<br />

das Verschreibungsverhalten beeinflussen.<br />

Anhang<br />

Ein Glossar sowie die relevanten Bestimmungen und<br />

zuständigen Behörden finden sich in der Broschüre<br />

sowie auf der SAMW-Website unter «Ethik» → «Zusammenarbeit<br />

Ärzteschaft – Industrie».<br />

Mitglieder der für die Fassung 2006 verantwortlichen Arbeitsgruppe<br />

Dr. Hermann Amstad, SAMW, Basel; Prof. Christoph Beglinger, Universitätsspital Basel; Prof. Jérôme<br />

Biollaz, Universitätsspital Lausanne; Dr. Max Giger, FMH, Winterthur; Dr. iur. Dieter Grauer, SGCI Chemie<br />

Pharma Schweiz, Zürich; Fürsprecher Hanspeter Kuhn, FMH, Bern; Prof. Urban Laffer, Region<strong>als</strong>pital<br />

Biel; Prof. Thomas Lüscher, UniversitätsSpital Zürich; Dr. iur. Jürg Müller, Rechtsdienst, Universitätsspital<br />

Basel; lic. iur. Michelle Salathé, SAMW, Basel; Prof. Werner Stauffacher, SAMW, Basel; Dr. Urs Strebel,<br />

Kreisspital Männedorf<br />

Mitglieder der auch für die Fassung 2012 verantwortlichen Beratenden Kommission<br />

für die Umsetzung der Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie»<br />

Prof. Walter Reinhart, Chur (Vorsitz); Dr. Gilbert Abetel, Orbe; Prof. Anne-Françoise Allaz, Genf;<br />

Dr. Hermann Amstad, Basel; Prof. Jerôme Biollaz, Lausanne; Dr. iur. Dieter Grauer, scienceindustries,<br />

Zürich; Prof. Hans-Rudolf Koelz, Uitikon Waldegg; Prof. Thomas Lüscher, Zürich; Dr. Christian Marti,<br />

Winterthur; Dr. Alain Michaud, Nyon; Dr. iur. Jürg Müller, Basel; Prof. Reto Obrist, Sierre; Dr. Gert<br />

Printzen, Luzern; Dr. Urs Strebel, Männedorf; Dr. Markus Trutmann, Biel; Fachliche Beratung: Dr. Peter<br />

Kleist, GlaxoSmithKline, Münchenbuchsee<br />

Hinweise zur Ausarbeitung dieser Richtlinien<br />

Die vorliegenden Richtlinien der SAMW treten am 1. Februar 2013 in Kraft; sie ersetzen die analogen<br />

Richtlinien von 2006.<br />

Genehmigung<br />

Genehmigt vom Senat der SAMW am 29. November 2012.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 17


Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />

in Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />

Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />

Urs Brügger<br />

Pierre-François<br />

Cuénoud<br />

Beat Gafner<br />

Heinz Schaad<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Carlo Conti<br />

Margrit Fässler<br />

Oliver Peters<br />

Anna Sax<br />

Die Einführung des Fallpauschalen-Systems Swiss-<br />

DRG und der neuen Spitalfinanzierung per 1. Januar<br />

2012 war von substantiellen Bedenken seitens der<br />

Ärzteschaft und weiterer betroffener Kreise begleitet –<br />

auch eine Moratoriumsforderung stand lange Zeit<br />

im Raum. Vor diesem Hintergrund wurden insbesondere<br />

aus Ärztekreisen eine genaue Beobachtung<br />

der Auswirkungen der Neuerungen und eine fundierte<br />

Begleitforschung gefordert.<br />

Auch wenn der Tenor nach einem Jahr lautet, die<br />

Einführung des neuen Systems sei unproblematischer<br />

erfolgt <strong>als</strong> erwartet, möchte die SÄZ mit einer<br />

Podiumsveranstaltung am Thema dranbleiben und<br />

zu einer differenzierten Zwischenbilanz beitragen.<br />

Diskutieren Sie mit<br />

Wie hat sich die Einführung der SwissDRG und der<br />

neuen Spitalfinanzierung auf die verschiedenen betroffenen<br />

Bereiche ausgewirkt? Was sagt die Begleitforschung<br />

über die Versorgungsqualität? Haben sich die<br />

Arbeitsbedingungen für die Spitalärztinnen und Spitalärzte<br />

verschlechtert? Bekommen die Hausärztinnen<br />

und Hausärzte die Auswirkungen des neuen Systems<br />

zu spüren? Wie sieht die Bilanz aus Sicht der Spitzenmedizin,<br />

speziell der Universitätsspitäler, aus? Wie ist<br />

der Systemwechsel aus ökonomischer Perspektive zu<br />

bewerten? Wird sich die Schweizer Spitallandschaft<br />

mittel- und langfristig grundlegend verändern?<br />

Mit dem Berner Podium möchte die <strong>Schweizerische</strong><br />

<strong>Ärztezeitung</strong> zu einer fundierten Auseinandersetzung<br />

mit diesen und weiteren Fragen rund um das<br />

Impulsreferat und Podium<br />

Die Veranstaltung wird eröffnet mit einem Impulsreferat<br />

von Dr. iur. Carlo Conti, Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK,<br />

Vorsteher des Gesundheitsdepartements Kanton<br />

Basel-Stadt und Verwaltungsrat Swiss DRG AG.<br />

Auf dem Podium diskutieren unter der Leitung von<br />

SÄZ-Redaktorin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA:<br />

– Prof. Dr. oec. HSG Urs Brügger, Institutsleiter<br />

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie<br />

(WIG) an der Zürcher Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften ZHAW<br />

– Dr. med. Pierre-François Cuénoud, Vizepräsident<br />

der FMH, Verantwortlicher Ressort Tarife<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

Thema SwissDRG / Neue Spitalfinanzierung beitragen.<br />

Der Einbezug des Publikums in die Diskussion<br />

ist zentraler Bestandteil des Konzepts der SÄZ-Podiumsveranstaltungen.<br />

Datum / Zeit / Ort<br />

Die Podiumsveranstaltung mit anschliessendem<br />

Apéro findet statt am Mittwoch, 30. Januar 2013,<br />

18.00–20.00 Uhr, im Empire-Saal des Restaurants<br />

«Zum Äusseren Stand», Zeughausgasse 17, Bern.<br />

Anmeldung<br />

Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung<br />

ist aber erforderlich.<br />

Anmeldungen können bis Montag, 28. Januar<br />

2013, via E-Mail an redaktion.saez[at]emh.ch oder<br />

via Fax an 061 467 85 56 erfolgen. Bitte Ihren Namen<br />

und die Namen allfälliger Begleitpersonen sowie<br />

das Stichwort «Anmeldung zum SÄZ-Podium vom<br />

30. Januar» angeben. Auch tele fonische Anmeldungen<br />

sind vormittags unter 061 467 85 72 möglich.<br />

Veranstaltungspartner<br />

Die Podiumsdiskussion wird in Zusammenarbeit mit<br />

der Ärztegesellschaft des Kantons Bern organisiert.<br />

Die Durchführung des Anlasses wird möglich dank<br />

grosszügiger Unterstützung durch Interpharma, den<br />

Verband der forschenden pharmazeutischen Industrie.<br />

Die Verantwortung für Konzept und Inhalt des<br />

Podiums liegt ausschliesslich bei der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

<strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

und Gesundheitsökonomie Spitalärzte, Verwaltungsrat<br />

SwissDRG AG<br />

– Dr. med. Margrit Fässler, Mitarbeiterin am<br />

Institut für Biomedizinische Ethik der Universität<br />

Zürich im Projekt des <strong>Schweizerische</strong>n Nationalfonds<br />

zur DRG-Begleitforschung<br />

– Dr. med. Beat Gafner, Hausarzt und Präsident<br />

der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

– Oliver Peters, lic. rer. pol., Finanz- und Betriebschef,<br />

Centre Hospitalier Universitaire Vaudois<br />

CHUV<br />

– Dr. med. Heinz Schaad, Chefarzt Medizin,<br />

Spital Interlaken<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

18


edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />

Briefe an die SÄZ<br />

Sieg der Vernunft<br />

Sehr geehrter Herr Professor Gächter<br />

Ihr Leserbrief betreffend Generika [1] spricht<br />

mir aus dem Herzen. Es hätte gar nie so weit<br />

kommen dürfen. Hier haben Schreibtischtäter<br />

einmal mehr etwas angerichtet, was sehr unheilvoll<br />

ist, und es wäre allerhöchste Zeit, dass dieser<br />

Unsinn abgeschafft würde, auch wenn Ihre<br />

Vorschläge «zu simpel» sind. Ein Sieg der Vernunft<br />

wäre endlich wieder einmal vonnöten!<br />

Dr. med. Urs Rebmann, Hünenberg See / Cham<br />

1 Gächter A. Sind Generika wirklich nötig?<br />

Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(50):1858.<br />

Humanmedizin ist mehr <strong>als</strong><br />

Naturwissenschaft<br />

Zum Leserbrief «Science always wins!» [1]<br />

Dem Leserbrief der Herren Professoren Aguzzi<br />

und Perruchoud nicht zu entgegnen, könnte<br />

<strong>als</strong> stillschweigende Zustimmung missverstanden<br />

werden. Sowohl inhaltlich wie formal muss<br />

ich <strong>als</strong> Präsident der Ärzte mit Fähigkeitsausweis<br />

Homöopathie FMH/SVHA deutlich widersprechen:<br />

Aguzzi und Perruchoud priorisieren Plausibilität<br />

gegenüber Empirie, schränken ihre Wahrnehmungsfähigkeit<br />

<strong>als</strong>o durch Axiome gegenwärtiger<br />

Hochschulmedizin ein.<br />

Medizin ist eine Handlungswissenschaft, die<br />

natur- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse<br />

nutzt, um sie in der Prävention und Behandlung<br />

von Erkrankungen einzusetzen. Wie<br />

viel in «der Medizin» ent- oder widerspricht<br />

Kausalitäten der Naturwissenschaft? Wir verstehen,<br />

dass unerklärliche Tatsachen erhebliche<br />

Verständnisschwierigkeiten verursachen. Gerade<br />

diese Tatsachen spornen uns aber in Forschungsfragen<br />

nach dem folgenden Motto an:<br />

«The greatest obstacle to discovery is not ignorance,<br />

but the illusion of knowledge.» [2]<br />

Wir bedauern, dass die Literaturhinweise unseres<br />

Beitrags kaum Beachtung fanden: Nach<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

strengsten Kriterien konventioneller Medizin<br />

durchgeführte RCTs gaben deutliche Hinweise<br />

für eine spezifische Wirkung homöopathischer<br />

Arzneien [3–5], nicht nur für die Klassische Homöopathie<br />

<strong>als</strong> Therapieverfahren in klinischen<br />

Outcome-Studien [6, 7]. Die Evidenzlage in der<br />

Neuropathologie oder Pneumologie ist uns<br />

nicht bekannt. In der konventionellen Medizin<br />

gibt es gemäss einer aktuellen Übersicht des BMJ<br />

für 50 % von 3000 durch RCTs untersuchte Behandlungen<br />

keine klinische Evidenz [8]. In der<br />

Kardiologie sind 11% und in der Onkologie 6 %<br />

therapeutischer Massnahmen genügend abgesichert<br />

[9, 10].<br />

Den Vorwurf einer Manipulation in der Arbeit<br />

von Kooreman und Baars [11] weisen wir mit aller<br />

Entschiedenheit zurück: Die tägliche Klientel<br />

eines Allgemeinarztes besteht in der Tat aus<br />

«Kraut und Rüben» und eben nicht aus höchst<br />

selektierten, RCT-geeigneten Probanden einer<br />

universitären Einrichtung! Es steht Aguzzi und<br />

Perruchoud frei, das Kosteneffizienz-Ergebnis<br />

(-15,4 % für ärztliche Homöopathie in der<br />

Schweiz) von Studer und Busato [12–14] zu widerlegen<br />

- oder zu reproduzieren.<br />

Wir stimmen den Autoren vollständig zu, dass<br />

gegenwärtig praktizierte evidenzbasierte Medizin<br />

nur unbefriedigende Lösungen für die meisten<br />

chronischen Erkrankungen bieten kann.<br />

Die zu beobachtende Tendenz, den Schwerpunkt<br />

in der Humanmedizin zunehmend auf<br />

die Naturwissenschaften zu reduzieren, führt<br />

unter anderem dazu, dass Studierende der Humanmedizin<br />

vermehrt Kompetenzen in patientenfernen<br />

Bereichen wie Forschung und Verwaltung<br />

aufweisen, <strong>als</strong> praktizierende (Haus-)<br />

Ärzte aber weniger kompetent sind [15].<br />

Wir verurteilen aber entschieden den folgenden<br />

Satz, in dem erstens «selbst gebildeten Laien»<br />

ungenügende Kritikfähigkeit und emotionale<br />

Standfestigkeit unterstellt wird und zweitens<br />

mit Facharzttitel und Fähigkeitsausweis der<br />

FMH doppelt qualifizierte ärztliche Kolleginnen<br />

und Kollegen <strong>als</strong> Scharlatane verurteilt werden.<br />

Nicht nur alltägliche Erfahrung, sondern auch<br />

sorgfältige Untersuchungen zeigen, dass ärztliche<br />

Homöopathie in der Schweiz und in<br />

Deutschland therapeutische, Zufriedenheits-<br />

und Kosten-Vorteile hat [6, 7, 12–14, 16].<br />

Dr. med. Clemens Dietrich, Präsident <strong>Schweizerische</strong>r<br />

Verein Homöopathischer Ärztinnen und Ärzte SVHA<br />

1 Aguzzi A, Perruchoud A. Science always wins.<br />

Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(45):1655.<br />

2 Boorstin DJ. The Discoverers. New York:<br />

Random House;1983.<br />

8 http://clinicalevidence.bmj.com/x/set/static/<br />

cms/efficacy-categorisations.html<br />

(zuletzt aufgerufen am 3.12.2012).<br />

15 Menzi B, Weber N. In der Humanmedizin sind<br />

künftig neue Kompetenzen gefragt. Schweiz<br />

<strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(43):1564–6.<br />

Die Referenzen 3–7, 9–14 und 16 finden sich online<br />

unter www.saez.ch → Archiv → 2013 → 1/2.<br />

Mehr Nachhaltigkeit<br />

in der <strong>Schweizerische</strong>n Drogenpolitik!<br />

Stellungnahme zum Artikel von J. Martin<br />

in SÄZ Nr. 39/2012 [1]<br />

Politische Meinungsäusserungen<br />

des Schweizer Stimmvolkes gegen eine<br />

Legalisierung von Drogen müssen<br />

beachtet werden:<br />

– Am 29. November 1998 verwarf der Souverän<br />

mit 74 % der Stimmen die Droleg-Initiative.<br />

– Am 30. November 2008 lehnten Volk und<br />

Stände die Cannabis-Legalisierungs-Initiative<br />

mit 63,3 % Neinstimmen ab.<br />

– Gleichzeitig sagten 68 % der Bevölkerung<br />

«Ja» zum revidierten Betäubungsmittelgesetz.<br />

– Des weiteren hat die Schweiz das UN-Einheits-Übereinkommen<br />

von 1961 über die<br />

Betäubungsmittel unterzeichnet. Damit<br />

anerkennt der Staat Schweiz bereits in der<br />

Präambel, dass die Betäubungsmittelsucht<br />

eine wirtschaftliche und soziale Gefahr für<br />

die Menschheit darstellt.<br />

Deshalb fordert die <strong>Schweizerische</strong> Vereinigung<br />

Eltern gegen Drogen:<br />

– keine Verharmlosung des verbotenen Betäubungsmittels<br />

Cannabis und dessen Anbau,<br />

Konsum und Handel;<br />

– eine Förderung von Rehabilitationsstätten<br />

und Therapieplätzen, in welchen die sucht-<br />

kranken Menschen auf das Ziel der Abstinenz<br />

hin beraten und behandelt werden.<br />

Angebote müssen klar definiert und auf<br />

die vier Säulen verteilt werden<br />

Leider muss festgestellt werden, dass die unzähligen<br />

Suchthilfe-Angebote teilweise nicht<br />

klaren Zielsetzungen folgen. Beispiele dazu:<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

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edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />

– Oft werden ambulante Beratungen <strong>als</strong> Therapien<br />

angeführt. Dies bedeutet, dass wohl<br />

die Meinung der Suchtfachleute darin besteht,<br />

dass Suchtkranke durch Gespräche<br />

geheilt würden;<br />

– abstinenzorientierte Therapie, diese gleichwertige<br />

Säule wird sträflich vernachlässigt;<br />

– die Vermischung von ambulanten und stationären<br />

Entzugs- und Entwöhnungsprogrammen<br />

ist nicht zielführend;<br />

– die Methadonprogramme müssten eigentlich,<br />

so wie sie heute durchgeführt werden, nicht<br />

mehr zur Therapie, sondern zu der Schadensminderung<br />

gezählt werden.<br />

– dasselbe gilt für die Heroinabgabeprogramme,<br />

denn hier zeigt sich, dass bei konstanter<br />

Zahl der Teilnehmenden statt einer Dosissenkung<br />

eine Dosissteigerung von 2008 bis<br />

2010 um 4,8 % stattgefunden hat.<br />

– Angesichts der knappen Finanzen ist es<br />

angezeigt, die Zuordnung zu den Säulen<br />

und die Zielsetzung im Hinblick auf Kosten<br />

und Nutzen der Massnahmen genau unter<br />

die Lupe zu nehmen.<br />

Neue Untersuchungen zur Wirkung<br />

der Suchtmittel sind in die Überlegungen<br />

einzubeziehen<br />

– So stützen aktuelle Studien die Aufteilung<br />

in illegale und legale Suchtmittel. Substanzen,<br />

die schon bei kleinen Mengen auf den<br />

Menschen sowohl gesundheitsschädigend,<br />

rauscherzeugend wie auch abhängig machend<br />

wirken, gehören zu den illegalen<br />

Drogen. Kiffer suchen explizit den Rausch.<br />

Zudem ist das darin enthaltene Tetrahydrocannabinol<br />

(THC) nicht wasserlöslich (wie<br />

Alkohol), sondern fettlöslich.<br />

– Aus der Studie betreffend «Jugenddelinquenz»,<br />

welche 2009 in St. Gallen bei 5000<br />

Jugendlichen von Prof. M. Killias durchgeführt<br />

wurde, zeigte sich deutlich der Zusammenhang<br />

von Cannabiskonsum und<br />

Gewalt. Dass die Wirkung des Rauschgiftes<br />

THC zu Psychosen und Schizophrenien führen<br />

kann, ist einmal mehr in dieser Studie<br />

erhärtet worden.<br />

Die Kolumne in der <strong>Ärztezeitung</strong> «Mehr Weitsicht<br />

in der Drogenpolitik! Wann endlich?»<br />

ignoriert diese neusten Erkenntnisse und stützt<br />

sich nach wie vor stark auf die Ansichten der<br />

90er Jahre, die sich <strong>als</strong> f<strong>als</strong>ch erwiesen haben.<br />

Fazit und Forderungen<br />

– Die Massnahmen sind so den vier Säulen<br />

zuzuordnen und zu bewerten, dass eine<br />

echte Ziel- und Kostenüberprüfung auf der<br />

Basis des Ausstiegsziels gewährleistet ist;<br />

– Beratende und Behandelnde im Suchtbereich<br />

sind auf das Ausstiegsziel zu verpflichten;<br />

– die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

sind zu berücksichtigen und die überholten<br />

Liberalisierungsideen ad acta zu<br />

legen;<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

– die mehreren 100 Mio. Franken im Jahr, die<br />

insgesamt von der Bevölkerung via Steuern<br />

und Krankenkassenprämien für die verfehlte<br />

Suchtpolitik bezahlt werden müssen,<br />

sind zielgerichtet für eine Ausstiegspolitik<br />

zu verwenden.<br />

Das Problem ist anzugehen, nicht zu verwalten.<br />

Sabina Geissbühler-Strupler, Präsidentin<br />

der <strong>Schweizerische</strong>n Vereinigung Eltern gegen Drogen<br />

1 Martin J. Mehr Weitsicht in der Drogenpolitik!<br />

Wann endlich? Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

2012;93(39):1442.<br />

Abgangsentschädigung<br />

Sehr geehrter Herr Kollege de Haller<br />

Die Ärztegesellschaft Thurgau – ÄTG, zusammen<br />

mit den Basisorganisationen (dem Thurgauer<br />

Grundversorgerverein – TGV, dem Thurgauer<br />

Verein der freipraktizierenden Spezialisten<br />

– TVFS und dem Thurgauer Verein der<br />

leitenden Spitalärzte – TVLS) bringt mit diesem<br />

Leserbrief die von breiten Kreisen der Thurgauer<br />

Ärzteschaft geteilte Empörung<br />

über die allerorten in den Medien publizierte,<br />

Ihnen <strong>als</strong> abtretendem FMH-Präsidenten ausbezahlte<br />

Abgangsentschädigung in der Höhe<br />

von CHF 800 000.– zum Ausdruck. Aus unserer<br />

Sicht ist diese Abgangsentschädigung, auch<br />

wenn sie scheinbar in den entsprechenden<br />

Reglementen so festgelegt ist, unmoralisch und<br />

dem ärztlichen Ethos widersprechend. Damit,<br />

dass die Abgangsentschädigung derart publik<br />

gemacht wurde, gerät die Ärzteschaft definitiv<br />

unter Verdacht der Abzockerei. Ist das wirk-<br />

lich die Vorstellung des FMH-Präsidenten von<br />

Imageförderung unseres Berufsstandes?<br />

Und weiter: Sind Sie sich bewusst, dass die<br />

A bgangsentschädigung aus unseren Mitgliederbeiträgen<br />

finanziert werden soll? Nur ein<br />

ganz kleiner Teil der Ärzteschaft verfügt über<br />

ein Jahresgehalt von CHF 400 000.–! Wir müssen<br />

Ihnen die Einkommensstudie nicht zitieren.<br />

Nur eine Zahl sei erwähnt: Der Präsident<br />

der Ärztegesellschaft Thurgau, FA für Psychiatrie<br />

und Psychotherapie, generiert aus der ärztlichen<br />

Tätigkeit in der eigenen Praxis ein Jahreseinkommen<br />

von ca. CHF 130 000.–! Und<br />

dass in diesen Relationen die Mitgliederbeiträge<br />

langsam, aber sicher schmerzen und die<br />

Empörung über die Höhe der Abgangsentschädigung<br />

steigt, ist offensichtlich!<br />

Aus diesen Gründen und auch hinsichtlich<br />

Ihres eigenen parteipolitischen Hintergrunds<br />

fordern wir Sie dazu auf, die Abgangsentschädigung<br />

kritisch zu hinterfragen und darauf zu<br />

verzichten. Damit könnten Sie einiges wieder<br />

gut machen, sowohl für Ihr eigenes Ansehen<br />

wie auch für dasjenige der Ärzteschaft in der<br />

Öffentlichkeit!<br />

Freundliche Grüsse<br />

Dr. med. Daniel Jud, Präsident ÄTG<br />

Dr. med. Michael Siegenthaler, Präsident TGV<br />

Dr. med. Martin Kraus, Präsident TVFS<br />

Dr. med. Thomas Eggimann, Präsident TVLS<br />

Bergende und wegleitende Transzendenz<br />

Beitrag eines Zuhörers zur SÄZ-Podiumsdiskussion<br />

«Suizidhilfe: (k)eine ärztliche<br />

Aufgabe?»<br />

Ein knorriger Bauer, der die Kirche zeitlebens<br />

meist nur von der Aussenseite gesehen hatte,<br />

erkrankte an Lungenkrebs. Als überall in seinem<br />

Körper schmerzhafte Metastasen auftraten,<br />

waren er und sein Hausarzt ratlos.<br />

Vielleicht inspiriert von der Dichtung «Huttens<br />

letzte Tage» von C.F. Meyer, in der der unheilbar<br />

lueskranke Ritter beim Blick auf das über seinem<br />

Bett hängende Kruzifix sagte: Mein dorngekrönter<br />

Bruder steht mir bei, versuchte der Arzt den<br />

bodenständigen Bauern zu trösten, indem er<br />

ihm sagte: Sie werden von den immer wieder<br />

neuen Metastasen so zusammengeschlagen wie<br />

Christus am Kreuz von seinen Peinigern. Er<br />

hoffte, seinem schwer kranken Patienten mit<br />

der gleichzeitigen Erinnerung an den guten<br />

Ausgang der Heilsgeschichte, der leiblichen Auferstehung<br />

Christi aus dem Tod, neue Kraft und<br />

neuen Mut zu geben.<br />

Der Bauer liess sich auf kein religiöses Gespräch<br />

mit seinem Hausarzt ein. An seiner inneren<br />

Beschäftigung mit dem bevorstehenden Sterben<br />

liess er ihn aber mit der Erzählung eines<br />

E r lebnisses im Militärdienst teilhaben: «In<br />

einer Manövernacht suchten wir müde einen<br />

Schlafplatz. Dabei gerieten wir in ein Sargmagazin,<br />

wo wir uns, Ruhe suchend, in die Särge<br />

legten.»<br />

Eines Tages forderte der Patient seinen Sohn<br />

auf, ihm das Gesicht zu rasieren, da er es so einfacher<br />

hätte, <strong>als</strong> dann, wenn er ihn <strong>als</strong> Toten<br />

rasieren müsste. Der einige Stunden später gerufene<br />

Hausarzt fand seinen Patienten aufrecht<br />

im Bett sitzend, nach Atem ringend. Er sagte zu<br />

ihm: «Gott ist bei Ihnen.» Als Antwort nickte<br />

der Sterbende mit dem Kopf, atmete noch<br />

wenige Male und verschied.<br />

Es bleibe dahingestellt, ob dieses Kopfnicken<br />

eine bewusste Zustimmung zum Trostwort seines<br />

Hausarztes war, oder ob das Nachlassen der<br />

Spannung der Nackenmuskulatur dazu geführt<br />

hat.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte, in der<br />

ich selbst der Hausarzt war, ist die Bemerkung<br />

einer am Podiumsgespräch teilnehmenden Kol-<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 20


edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />

legin provokatorisch: «Für mich hat die Religion<br />

keine Bedeutung.»<br />

Ich möchte im Gegenzug dazu die erlebte Tatsache<br />

festhalten, dass wir Ärzte und unsere Patienten<br />

mit mehr Zuversicht leben und einem<br />

vielleicht nicht leichten Sterben entgegengehen<br />

können, wenn wir uns andauernd betend<br />

bemühen, mit Haut und Haar in der uns bergenden<br />

und wegleitenden Transzendenz verwurzelt<br />

zu sein.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Dr. med. Eduard Dolder, Wald<br />

Sind Bedenken, wenn es um die Existenz<br />

geht, f<strong>als</strong>ch?<br />

Offen geäusserte Zweifel oder der Gedanke, das<br />

Leben sei es wert, um es Sorge zu tragen, müssen<br />

weder heuchlerisch noch anmassend genannt<br />

werden, vgl. hingegen Leserbeitrag «Die<br />

heuchlerische Anmassung der Sterbehilfeverweigerung»<br />

[1]. Leserbeitragsverfasserin Frau<br />

Dr. C. Haunit [2] weist vielleicht nicht in bevormundender<br />

Absicht, sondern freundlicherweise<br />

darauf hin, leidende Mit-Erdenbürger<br />

oder Menschheitsvertreter, die sich von der<br />

«Traufe» (dem Sich-das-Leben- Nehmen) mehr<br />

<strong>als</strong> vom «Regen» (dem auch durch mildernde<br />

und erleichternde Massnahmen zu begegnenden<br />

Leiden) versprechen, könnten gut daran<br />

tun, rechtzeitig auch noch andere zur Sache<br />

«Leben» gehörende Argumente in ihre Überlegungen<br />

einzubeziehen, nämlich Sichtweisen,<br />

auf die es möglicherweise ebenso sehr ankommt.<br />

Zwar irrt sich die Verfasserin vielleicht,<br />

denn etwas Geschenktes ist ja in der<br />

Folge das Eigentum des Empfängers, anderseits<br />

war es (das Geschenk) vermutlich nicht dazu<br />

gedacht, dass der über es verfügen und etwas<br />

daraus machen Dürfende es, sobald es scheinbar<br />

nur noch Leiden beschert, verachte und<br />

sich seiner <strong>als</strong> etwas scheinbar Unnützen entledige.<br />

Auch ein erschwertes und nur durch die<br />

genannten Massnahmen erträglicher zu machen<br />

versuchtes Leben kann noch zwischenmenschliche<br />

Begegnungen, eine innere Entwicklung<br />

und neue Erkenntnisse, <strong>als</strong>o etwas<br />

Wertvolles, ermöglichen, das sonst bedauerlicherweise<br />

verpasst würde; jemand könnte sich<br />

immerhin noch «mit dem Zeitlichen versöhnen»<br />

oder gar Werte entdecken, die ihm bisher<br />

wenig bedeuteten. Die Verfasserin schreibt<br />

nicht, dass es Vorschrift sei, nur: Verpasst ist verpasst.<br />

Abgesehen davon, dass das Spiel mit der<br />

Aussicht, das Leben loszuwerden, die beschwerlichen<br />

Symptome und Umstände schlimmer erscheinen<br />

lassen kann, <strong>als</strong> sie sind, kann hinter<br />

den Selbstvernichtungswünschen auch ein Hass<br />

stehen, der es erschwert, zu an erkennen, dass<br />

Symptome, die dazu geführt haben, durch geeignete<br />

Massnahmen gemildert werden könnten.<br />

Dr. med. Peter Süsstrunk, Seewis<br />

1 Gerber HJ. Die heuchlerische Anmassung der<br />

Sterbehilfeverweigerung. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

2012;93(44):1610.<br />

2 Haunit C. Suizidhilfe im Kontext des Weltbildes.<br />

Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(42):1536.<br />

Ärzte <strong>als</strong> Verwaltungsgehilfen?<br />

Zum Gesetzesentwurf der Gesundheitsdirektion<br />

Bern bezüglich Mengenbeschränkung<br />

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern<br />

möchte gemäss dem neuen Gesetzesentwurf in<br />

allen Spitälern chirurgische Eingriffe limitieren,<br />

d. h. es soll für alle üblichen Operationen<br />

Obergrenzen geben, damit die Spitäler bei<br />

drohenden Defiziten nicht einfach ihre Leistungen<br />

ausweiten und somit ihre Einkünfte<br />

optimieren können.<br />

Gelinde gesagt bin ich empört!<br />

Empört, dass uns operativ tätigen Ärzten unterstellt<br />

wird, dass wir uns sozusagen <strong>als</strong> Gehilfen<br />

der Spitalverwaltung vorschreiben liessen, wie<br />

viel wir zu operieren haben.<br />

Denn nichts anderes heisst es, wenn der Regierungsrat<br />

Maximalzahlen von Eingriffen vorschreibt.<br />

Offenbar glauben Politiker tatsächlich, dass<br />

sich unsere Indikationen nach dem Gusto des<br />

Spitalverwalters richten und dass unsere Patienten<br />

auch noch damit einverstanden sind!<br />

Wir haben nebst unseren fachlich fundierten<br />

Operationsindikationen auch noch ethische<br />

Grundsätze, nach denen wir uns richten. Ob<br />

sich ein Eingriff für das Spital rentiert und wie<br />

viel davon im Jahr gemacht werden müssten,<br />

um den Rechnungschef zu befriedigen, interessiert<br />

uns höchstens am Rand – wenn überhaupt!<br />

Ich fühle mich meinen Patienten verpflichtet:<br />

einen fachlich und technisch hochstehenden<br />

Eingriff durchzuführen, der dem Patienten<br />

Heilung oder Linderung verspricht.<br />

Das sollte auch ein ach so sozialer Herr Perrenoud<br />

zu verstehen versuchen.<br />

Was mir jedoch auch nicht einleuchtet ist, dass<br />

unsere kantonale Ärztegesellschaft hier nicht<br />

protestiert und eine entsprechend deutliche<br />

Reaktion – vor allem gegenüber der Öffentlichkeit<br />

– verfasst!<br />

Dr. med. Claudio Decurtins, Unterseen<br />

Antwort<br />

Sehr geehrter Herr Decurtins<br />

Mit klaren Worten und sehr dezidiert hat der<br />

Vorstand der Ärztegesellschaft des Kantons<br />

Bern die Gesetzesvorlage zur Spitalversorgung<br />

im Kanton Bern zurückgewiesen! Bitte, geehrter<br />

Herr Kollege, lesen Sie doch die entsprechende<br />

Vernehmlassung auf unserer Homepage<br />

www.berner-aerzte.ch und den Artikel<br />

zum Thema im doc.be Nr. 5 / Oktober 2012, bevor<br />

Sie Steine in Richtung Verbandsführung<br />

werfen! Der Grosse Rat des Kantons Bern hat<br />

die BEKAG-Antwort jedenfalls zur Kenntnis genommen!<br />

Dr. med. Beat Gafner,<br />

Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 21


Mitteilungen<br />

Facharztprüfungen<br />

Facharztprüfung zur Erlangung<br />

des Schwerpunkts Zytopathologie zum<br />

Facharzttitel für Pathologie<br />

Ort:<br />

Institut für Pathologie der Universität Bern<br />

Datum:<br />

4. Juni 2013<br />

Anmeldefrist: 28. Februar 2013<br />

Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />

des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />

AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />

Facharztprüfung zur Erlangung<br />

des Facharzttitels Allergologie<br />

und Klinische Immunologie<br />

Mündliche Prüfung<br />

– Ort: Universitätsspital Lausanne (CHUV),<br />

Rue du Bugnon 46, 1011 Lausanne<br />

– Datum: Donnerstag, 13. Juni 2013,<br />

13.00–17.00 Uhr<br />

Schriftliche Prüfung<br />

– Ort: Milano, Italien, während des EAACI­<br />

WAO World Allergy and Asthma Congress<br />

www.eaaci.net<br />

– Datum: Samstag, 22. Juni 2013,<br />

11.00–14.00 Uhr<br />

Anmeldefrist: 1. April 2013<br />

Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />

des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />

AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Fondation de médecine sociale<br />

et préventive<br />

Prix 2013–2014<br />

Le prix annuel de la Fondation de médecine<br />

sociale et préventive, Lausanne, récompense<br />

l’auteur d’un travail original de recherche scientifique<br />

dans l’un des principaux domaines<br />

d’activité de l’Institut universitaire de médecine<br />

sociale et préventive (IUMSP) de Lausanne,<br />

i. e. épidémiologie et prévention des<br />

maladies, évaluation des services de santé.<br />

Le prix est destiné:<br />

– aux assistants réguliers pendant qu’ils occupent<br />

une fonction dans un Département,<br />

Service ou Institut universitaire ou dans un<br />

Hôpital périphérique reconnu pour la formation<br />

FMH;<br />

– à tout universitaire effectuant des recherches<br />

dans le domaine de la médecine sociale et<br />

préventive.<br />

Les candidatures sont examinées par la Commission<br />

des Prix et Concours de la Faculté de<br />

Biologie et de Médecine. Le prix est décerné<br />

lors de la cérémonie de remise des prix de la<br />

Faculté de Biologie et de Médecine de<br />

l’Université de Lausanne (décembre 2013).<br />

Envoi des dossiers de candidature (indiquant<br />

nom, titres, adresse et emploi actuel du candidat):<br />

Prix de la Fondation de Médecine<br />

Sociale et Préventive, Commission des Prix et<br />

Concours de la Faculté de Biologie et de Médecine,<br />

Décanat de la Faculté de Biologie et de<br />

Médecine, 21, rue du Bugnon, 1011 Lausanne.<br />

Délai de dépôt des candidatures: 31 mars 2013.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

MITTEILUNGEN<br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Intensivmedizin SGI<br />

Neues Präsidium<br />

Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Intensivmedizin<br />

SGI hat ein neues Präsidium:<br />

Geschäftsführende Präsidentin<br />

Paola Massarotto, Pflegeexpertin, Lugano<br />

Präsident Ärzteschaft<br />

Prof. Dr. Marco Maggiorini, Zürich<br />

22


Thema TRIBÜNE<br />

Interkulturelle Kommunikation zwischen Schweizern und Deutschen in der Medizin<br />

Der kleine Unterschied<br />

Nicolas Diehm a , Irene Pill b<br />

und Frederic Baumann a<br />

a Universitätsklinik für<br />

Angiologie, Inselspital Bern<br />

N. Diehm ist ein süddeutscher<br />

Angiologe, der sich seit<br />

10 Jahren in der Schweiz<br />

sehr wohl fühlt.<br />

F. Baumann ist ein in Zürich<br />

und Deutschland aufgewachsener<br />

Arzt mit schweizerischem<br />

Pass, norddeutscher<br />

Mutter und schweizerischem<br />

Vater.<br />

b Service rund um Kultur<br />

I. Pill ist eine süddeutsche<br />

Historikerin und Germanistin<br />

mit Auslandserfahrungen u. a.<br />

in der Schweiz, China und<br />

den USA, die heute u. a. <strong>als</strong><br />

Dozentin für Interkulturelle<br />

Kompetenzen arbeitet.<br />

Korrespondenz:<br />

Prof. Dr. med. Nicolas Diehm<br />

Universitätsklinik für Angiologie<br />

Inselspital Bern<br />

CH-3010 Bern<br />

Tel. 031 632 30 34<br />

Fax 031 632 47 93<br />

nicolas.diehm[at]insel.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Absicht<br />

Dieser Artikel möchte einen Einblick in die wichtigsten<br />

Mentalitäts- und Sprachunterschiede zwischen<br />

Schweizern und Deutschen gewähren mit dem Ziel,<br />

deren interkulturelle Begegnung zu erleichtern.<br />

Hintergrund<br />

Die Schweiz gilt für viele deutsche Mediziner(innen)<br />

<strong>als</strong> attraktive Arbeitsstätte. Aus verschiedenen Gründen<br />

zieht es jedes Jahr mehrere Hundert deutsche<br />

Medizinfrauen und -männer in das Land des Wilhelm<br />

Tell. Allein im Jahre 2008 waren es 842 Personen.<br />

Inzwischen bringt jede vierte in der Schweiz<br />

tätige Medizinperson ein ausländisches Arztdiplom<br />

mit und 56 % davon sind Deutsche. Am Inselspital<br />

haben aktuell 24 % aller tätigen Ärzte ein deutsches<br />

Arztdiplom und beim Pflegepersonal stammen 8 %<br />

aus dem «grossen Kanton». Somit ist die interkulturelle<br />

Kommunikation zwischen Schweizern und<br />

Deutschen ab dem ersten Arbeitstag ein relevantes<br />

Thema mit klassischen Ähnlichkeitsfallen, die im<br />

Alltag für Vertreter beider Kulturen zum Fallstrick<br />

werden können.<br />

Unterschiede in Sprache und Mentalität<br />

Sprache<br />

Aus Deutschland stammende Ärzte werden, zusätzlich<br />

zur amtlichen Viersprachigkeit in der Schweiz,<br />

mit verschiedensten und zum Teil sehr unterschiedlichen<br />

Mundarten konfrontiert. Diese sind auf die<br />

geographische Zerklüftung der Schweiz und der eingeschränkten<br />

Mobilität der Schweizer bis zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts zurückzuführen.<br />

Es ist wichtig zu bedenken, dass Schweizer im<br />

Gespräch mit Deutschen vorzugsweise Hochdeutsch<br />

sprechen. Was viele Deutsche nicht wissen, ist,<br />

dass sich Hochdeutsch für Schweizer oftm<strong>als</strong> wie<br />

eine Fremdsprache anfühlt. Hingegen wissen viele<br />

Schweizer nicht, dass einige der Wörter, die für sie<br />

perfekt Hochdeutsch sind, im Umgang mit Deutschen<br />

für Verwunderung sorgen können: Zahlreiche<br />

Helvetismen wie z. B. Aufsteller (gute Nachricht),<br />

verunfallen (einen Unfall erleiden) oder allfällig (etwaig)<br />

sind Eigenheiten des schweizerischen Hochdeutsch.<br />

Wer <strong>als</strong>o glaubt, dass Schweizer und Deutsche<br />

aufgrund der Ähnlichkeit ihrer geschriebenen<br />

Muttersprache ähnlich verbal kommunizieren, irrt<br />

gewaltig. Deutsche, die nicht fliessend Schweizer-<br />

deutsch sprechen, sollten hierauf im Alltag verzichten,<br />

da germanisiertes Schweizerdeutsch in der<br />

Schweiz <strong>als</strong> Nachäffung empfunden werden kann [1].<br />

Zudem ist zu bedenken, dass Schweizer im Gegensatz<br />

zu Deutschen oftm<strong>als</strong> die indirekte Kommunikation<br />

pflegen (Tab. 1). Der Schweizer interagiert<br />

öfter im Konjunktiv, der Deutsche hingegen fühlt<br />

sich eher im Indikativ wohl. Während der Deutsche<br />

«will», «würde» der Schweizer «gerne». Der Deutsche<br />

«muss unbedingt», während der Schweizer «eventuell<br />

sollte». Der Deutsche «kriegt» leider oftm<strong>als</strong>, der<br />

Schweizer «hätte gerne» ein Bier.<br />

Das im schweizerischen Sprachgebrauch an viele<br />

Sätze angehängte «oder» suggeriert, dass man seine<br />

Meinung zwar äussert, diese aber nicht <strong>als</strong> absolut<br />

gilt. Der grosse Stellenwert der eidgenössischen Konsensfähigkeit<br />

der Schweizer spiegelt sich <strong>als</strong>o oft in<br />

ihrer Alltagssprache wider.<br />

Mentalität<br />

Die Mentalität kann sich zwischen Deutschen und<br />

Schweizern deutlicher unterscheiden, <strong>als</strong> dies bei<br />

Schwaben und Berlinern der Fall sein mag. Wie sich<br />

auch die Mentalität der Einwohner Deutschlands<br />

lokoregional deutlich unterscheiden kann, trifft dies<br />

für die von einem kleinräumigen Föderalismus seit<br />

langer Zeit geprägte Schweiz zu. Die Untergliederung<br />

der Eidgenossenschaft in 26 Kantone ist <strong>als</strong>o nicht<br />

nur politischer Natur, sondern immer auch Ausdruck<br />

unterschiedlicher Kulturen und Mentalitäten.<br />

Geert Hofstede unternahm einen Versuch, kulturelle<br />

Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern zu<br />

quantifizieren [2]. Er zeigte, dass nationale Kulturgruppen<br />

einen wesentlichen Einfluss auf die Organisation<br />

und Führung von Unternehmen haben. Hierbei<br />

identifizierte er insgesamt fünf Kulturdimensionen,<br />

von denen zwei hier relevant sind:<br />

Tabelle 1<br />

Beispiele indirekter und direkter Kommunikation.<br />

Indirekt (schweizerdeutsch)<br />

Mer söttet no einisch<br />

zämecho u das Manuskript<br />

dürrego.<br />

I gloube, da heimer<br />

d Möglichkeit, viel meh<br />

ussezhole.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

Direkt (deutsch)<br />

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31


Thema TRIBÜNE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Oh nei, muess das si?!<br />

– Die Machtdistanz gibt Auskunft über den Umgang<br />

mit Macht und Ungleichheit in einem<br />

Land. Sie definiert das Ausmass, bis zu dem weniger<br />

mächtige Individuen erwarten und akzeptieren,<br />

dass Macht ungleich verteilt ist.<br />

– Die Maskuli nität versus Feminität zeigt, wie die<br />

Rollen zwischen den Geschlechtern in einer<br />

Kultur verteilt werden.<br />

Schweizer mit geringerer Machtdistanz gehen mit<br />

sozialen Beziehungen sorgsamer um und versuchen,<br />

die Ungleichheit untereinander geringer zu halten.<br />

Sie akzeptieren hierarchische Organisationsstrukturen<br />

und Kommunikation weniger gern und beziehen<br />

Mitarbeiter mehr in Entscheidungsfindungen<br />

ein <strong>als</strong> Individuen aus Kulturen mit höherer<br />

Machtdistanz. Schweizer sind in der Regel von folgenden<br />

Eigenschaften geprägt: Harmoniebedürftigkeit,<br />

Unabhängigkeit, dem Anspruch «gleiche<br />

Rechte für alle» und einem fürsorglichen Führungsstil,<br />

der wenig Kon trolle durch die Führenden erfordert.<br />

Dies findet auch darin Ausdruck, dass das<br />

«per Du» in der Schweiz rascher eingeführt wird und<br />

zusätzlich der Titel in der Anrede rasch auf der<br />

Strecke bleibt.<br />

Ein für Deutsche selbstverständlich selbstbewusster<br />

Auftritt und rhetorisches Geschick können<br />

von einem Schweizer <strong>als</strong> ungewohnt offensiv<br />

wahrgenommen werden. Spielerische Wortgefechte,<br />

rhetorische Schlagabtausche oder «Rechthabereien»<br />

sind der Schweizer Seele<br />

fremd. Zudem werden in Deutschland<br />

Konflikte offener ausgetragen und<br />

Aggressionen eher ausgelebt <strong>als</strong> in<br />

der Schweiz [3]. Schweizer können<br />

diese wortgewandte und direkte<br />

deutsche Art, Konflikte anzusprechen<br />

<strong>als</strong> unangemessen herrisch und arrogant<br />

empfinden.<br />

Im Gegensatz zur deutschen Hierarchie-Gläubigkeit<br />

gilt es in der Schweizer Realität <strong>als</strong> rücksichtslos,<br />

den Diskussionspartner um jeden Preis von der eigenen<br />

Meinung überzeugen zu wollen.<br />

Im Gegensatz zur geringeren Machtdistanz ist die<br />

Schweizer Gesellschaft maskuliner <strong>als</strong> die ihrer nördlichen<br />

Nachbarn, wobei anzumerken ist, dass sowohl<br />

die Schweizer <strong>als</strong> auch die Deutschen im internationalen<br />

Vergleich <strong>als</strong> maskulin zu bezeichnen sind.<br />

Verglichen mit einer femininen Kultur hat eine maskuline<br />

Kultur die Tendenz, Herausforderungen, Einkommen<br />

und Fortschritt <strong>als</strong> wichtig zu erachten und<br />

entsprechend durchsetzungs fähige und harte Männer<br />

zu idealisieren. In mas kulinen Ländern lebt man,<br />

um zu arbeiten und arbeitet nicht, um zu leben – die<br />

Arbeit gilt <strong>als</strong> Lebenswerk.<br />

Zusammengefasst bedeutet dies, dass Vorgesetzte<br />

in der Schweiz ihren Führungsanspruch<br />

ohne weitere Diskussion akzeptiert sehen möchten;<br />

sie vermeiden es aber z ugleich tunlichst, diesen<br />

Macht a nspruch gegenüber den Mitarbeitenden<br />

verbal oder symbolisch auszuleben. Eine Führungskraft<br />

muss sich durch Leistung (Maskulinität)<br />

b e wei sen und kann sich somit weniger auf for-<br />

male oder hierarchische Macht (Machtdistanz) berufen.<br />

Kriterien erfolgreicher Kommunikation<br />

zwischen Deutschen und Schweizern<br />

Gemäss Lechner und Thomas [4] bedürfen folgende<br />

Schweizer Kulturstandards für Deutsche in der<br />

Schweiz besonderer Beachtung:<br />

Konsensorientierung<br />

Diese ist ein zentrales Element des schweizerischen<br />

politischen Systems. Dem Schweizer Bürger wird<br />

politisch eine grosse Verantwortung aufgetragen, indem<br />

er in Entscheidungsfindungen miteinbezogen<br />

wird. Die Konsensorientierung ist oft Bestandteil<br />

des schweizerischen Alltags, weshalb es einen deutschen<br />

Arzt nicht verwundern soll, wenn er sich in<br />

der Schweiz verhältnismässig oft mit «interdisziplinären»<br />

Kolloquien und Rapporten konfrontiert<br />

sieht. Zudem wird die Konsensfindung in der<br />

Schweiz <strong>als</strong> Folge der geringeren Machtdistanz viel<br />

homogener praktiziert im Sinne, dass jede(r) unabhängig<br />

von der Hierarchiestufe von seinem Mitspracherecht<br />

Gebrauch machen kann.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 32


Thema TRIBÜNE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Gesicht wahren<br />

Tugenden wie Loyalität und Wertschätzungen<br />

haben in der Schweiz besondere Bedeutung. Im täglichen<br />

Umgang fällt einem aus einem deutschen<br />

Umfeld Kommenden schnell auf, dass es in der<br />

Schweiz unabdingbar ist, dem Gegenüber stets die<br />

Wahrung seines Gesichtes zu ermöglichen und den<br />

Dialog trotz möglicherweise grösstmöglichem inhaltlichem<br />

Dissens zu wahren.<br />

Etikette<br />

Höflichkeit wird in der Schweiz grossgeschrieben. Es<br />

mag die Geduld eines manchen Deutschen beanspruchen,<br />

wenn sich beispielsweise eine Bäckereiverkäuferin<br />

trotz langer Warteschlange (die in der<br />

Schweiz üblicherweise gesitteter ist <strong>als</strong> jene in<br />

Deutschland) für eine persönliche Betreuung der<br />

Kunden Zeit nimmt. Ob dieser langsamere, aber persönlichere<br />

Stil oder die deutsche Effizienz, die von<br />

e inem Schweizer <strong>als</strong> kaltschnäuzig empfunden<br />

werden mag, für die Koronarien des Einzelnen besser<br />

ist, muss jeder für sich selbst herausfinden.<br />

Zurückhaltung/Diskretion<br />

Die Schweizer leben Zurückhaltung und Bescheidenheit<br />

vor. Diese Bescheidenheit der Eidgenossen äussert<br />

sich insgesamt dadurch, dass mit Leistungen<br />

nicht geprahlt wird, egal, ob sich dies auf die Motorleistung<br />

des Wagens oder auf die Anrede mit «Herr<br />

Doktor» oder «Herr Professor» bezieht. Wenngleich<br />

ein in Deutschland sozialisierter Arzt diese Zurückhaltung<br />

durchaus <strong>als</strong> Selbstverleugnung empfinden<br />

mag, so empfiehlt es sich doch, in der Schweiz eine<br />

höfliche Unterwürfigkeit zu üben. Für Deutsche in<br />

der Schweiz bedeutet dies, dass sie ihre ihnen angeborene<br />

Direktheit zu kontrollieren versuchen und<br />

sich zurücknehmen sollten.<br />

Zuständigkeitsdenken<br />

Ein weiteres Element, das sich aus der föderalistischen<br />

Struktur der Schweiz ableitet, ist das Zuständigkeitsdenken.<br />

So wie die einzelnen Kantone über<br />

hohe Eigenständigkeit und Selbstbestimmung verfügen,<br />

gilt in der Arbeitswelt das Verständnis, dass<br />

jeder für seinen klar abgegrenzten Aufgabenbereich<br />

zuständig ist, in den sich niemand einmischt. Dennoch<br />

hält man sich an das übergeordnete Ziel, welches<br />

das Wohlergehen des gesamten Unternehmens<br />

in den Vordergrund stellt.<br />

Patriotismus<br />

Im Gegensatz zum deutschen Kulturraum, in dem<br />

Patriotismus insbesondere unter jungen Leuten heute<br />

relativ schwach ausgeprägt ist, ist die Liebe zum Vater-<br />

land und dessen Traditionen in der Schweiz weitverbreitet.<br />

So vermarktet man heute in der Schweiz die<br />

«Swissness» [5]; deren positiv konnotierte Attribute,<br />

die Fairness, Präzision, Zuverlässigkeit, politische Stabilität,<br />

Natürlichkeit, Genauigkeit und Sauberkeit,<br />

sind heute deutlich aggressiver, <strong>als</strong> dies in Deutschland<br />

für deutsche Attribute der Fall ist.<br />

Schweizer identifizieren sich sehr mit ihrem<br />

Kanton und ihrem Land und erwarten von Ausländern<br />

Anerkennung und Respekt für die Schweiz.<br />

Die Abgrenzung gegenüber Deutschland hat in der<br />

Schweiz einen hohen Stellenwert. Entsprechend<br />

besteht bei Schweizern das Bedürfnis nach Abgrenzung<br />

gegenüber dem «grossen Kanton», während<br />

die Deutschen im Allgemeinen oberflächlich betrachtet<br />

in der Schweiz ein idealisiertes Deutschland<br />

sehen und ihr sehr wohlwollend gegenüberstehen<br />

[6].<br />

Zusammenfassung<br />

Zusammengefasst sollte man sich <strong>als</strong> Deutscher, der<br />

in der Schweiz primär nicht <strong>als</strong> «Sauschwabe» [7]<br />

auffallen möchte, an eine Empfehlung der Landeszentrale<br />

für politische Bildung in Baden-Württemberg<br />

halten und «nicht zu laut und nicht zu schnell<br />

reden» und agieren und «im Ausdruck jegliche Vehemenz<br />

vermeiden» [1].<br />

So unterschiedlich beide Kulturen auch sein<br />

mögen – verbindende Gemeinsamkeiten unter Kollegen<br />

sind immer zu finden. Sollte jedoch der Ernstfall<br />

des interkulturellen Kommunikations-GAUs<br />

z wischen Schweizern und Deutschen eintreten,<br />

steht zuletzt die Hoffnung auf beiderseitige kulturelle<br />

Akzeptanz, Toleranz, Geduld und Gutmütigkeit,<br />

die dieser Artikel auch ein Stück weit vermitteln<br />

soll.<br />

Literatur<br />

1 Sitzler S. Grüezi und Willkommen. Die Schweiz für<br />

Deutsche. Bonn: Landeszentrale für politische Bildung<br />

Baden-Württemberg;2009.<br />

2 Hofstede G. Cultures and Organizations. Software for<br />

the Mind. 2010.<br />

3 Unter Leidgenossen. Süddeutsche Zeitung vom<br />

5./6. Februar 2011. S. V2/15.<br />

4 Lechner T, Thomas A. Kulturstandards in der Schweiz.<br />

Trainingsprogramm für Manager, Fach- und<br />

Führungskräfte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht;<br />

2011.<br />

5 http://de.wikipedia.org/wiki/Swissness, Seite geöffnet<br />

am 26.11.2012.<br />

6 Berg A. Deutsch-schweizerisches Verhältnis Nicht<br />

ohne meinen Bruder. Die Zeit vom 1.7.2010.<br />

7 Widmer U. Kuhschweizer und Sauschwabe.<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.3.2009.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 33


Streiflicht HORIZONTE<br />

Magnetspitäler<br />

Bernhard Gurtner<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. med. Bernhard Gurtner<br />

Eggstrasse 76<br />

CH-8620 Wetzikon<br />

gurtner.bernhard[at]bluewin.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Manchmal lohnt es sich, jahrzehntelang aufbewahrte<br />

Separata nochm<strong>als</strong> durchzulesen, bevor man<br />

sie einer Altpapiersammlung übergibt. Die immer<br />

kürzere Halbwertszeit des medizinischen Wissens<br />

widerlegt zwar viele Entdeckungen und Empfehlungen<br />

in rascher Folge, man findet aber in vergilbten<br />

Papieren zuweilen auch einige<br />

«ewige» Wahrheiten,<br />

die vergessen<br />

gingen oder<br />

heute <strong>als</strong> angeblich<br />

neue<br />

Erkenntnisseverkauftwerden.<br />

Gute Ratschläge,<br />

wie<br />

man ein Spital<br />

professionell führen<br />

muss, wären in<br />

Fachbüchern, berufsbegleitendenDiplomkursen<br />

und Wochenendseminarien<br />

in allen Preislagen<br />

reichlichst vorhanden.<br />

Brauch barer <strong>als</strong> die Verkündigung<br />

des SOLL-Verhaltens<br />

erweisen sich aber Studien über den<br />

IST-Zustand erfolgreicher Spitäler und<br />

dessen Ursachen.<br />

Magnetspitäler sind Betriebe, die trotz des im<br />

Gesundheitswesen chronischen Personalmangels<br />

keine Werbung für die Besetzung freier Stellen betreiben<br />

müssen. Die positive Stimmung im Team<br />

Kovaleff/Dreamstime.com<br />

wird auch von den Patienten bemerkt und geschätzt,<br />

was solche Spitäler <strong>als</strong> Arbeits- und Behandlungsort<br />

gleichermassen attraktiv macht. Weil der Personalmangel<br />

zuerst die Pflege betraf, hat eine Arbeitsgruppe<br />

schon vor 30 Jahren durch Gespräche mit<br />

zufriedenem Pflegepersonal die Charakteristika von<br />

41 beliebten USA-Kliniken erfragt [1]. Gründlicher<br />

untersucht wurden vom November 1985 bis Septem-<br />

ber 1986 sechzehn amerikanische Magnetspitäler<br />

verschiedener Grösse aus dem privaten und öffentlichen<br />

Bereich. Es fanden zwei- bis sechstägige Besuche<br />

vor Ort statt und Einzel- oder Gruppengespräche<br />

mit über 800 Pflegedienstangehörigen aller Stufen<br />

[2].<br />

Die Studie wurde für eine Pflegefachzeitschrift<br />

ins Deutsche übersetzt [3] und landete 1989<br />

via Oberschwester auf dem Pult des medizinischen<br />

Chefarztes, der hier zusammenfassen<br />

möchte, was er<br />

sich dam<strong>als</strong> mit rotem Filzstift<br />

angestrichen hat. Vieles,<br />

was die Magnetspitäler<br />

erreicht hatten,<br />

war ja<br />

nicht nur<br />

den Pflegenden<br />

zu verdanken,<br />

sondern<br />

wurde <strong>als</strong> spürbarer<br />

und nachahmenswerter<br />

«Hausgeist» auch<br />

von der ärztlichen und<br />

administrativen Leitung mitgetragen.<br />

Vielleicht sind einige<br />

der alten Erkenntnisse und Rezepte<br />

noch heute brauchbar.<br />

Magnetspitäler bezahlten ihr Personal durchschnittlich<br />

nicht besser <strong>als</strong> Vergleichsbetriebe, würdigten<br />

aber besondere Leistungen durch finanzielle<br />

Prämien oder Vergünstigungen (Urlaubstage, Kongressbesuche,<br />

Fortbildungsbeiträge, Gutscheine).<br />

Magnetspitäler bezahlen ihr Personal durchschnittlich nicht besser,<br />

würdigen aber besondere Leistungen durch finanzielle Prämien<br />

oder Vergünstigungen.<br />

Alle Mitarbeitenden wurden unabhängig von ihrer<br />

Stellung respektiert. Es herrschte eine familiäre<br />

Herzlichkeit und Kooperationsbereitschaft zwischen<br />

den verschiedenen Abteilungen.<br />

Wertvorstellungen wurden nicht deklariert, sondern<br />

vorgelebt durch sichtbare Präsenz der Vorgesetzten.<br />

Management by walking about anstatt Fernsteuerung<br />

vom Büro aus. Die Leitung des Pfle ge-<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

34


Streiflicht HORIZONTE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

dienstes in einem Magnetspital übernahm z. B. einmal<br />

pro Monat die Nachtschicht für das Haus. Chefärzte<br />

waren in die Kaderarzt-Pikettdienste eingebunden<br />

und konnten so hautnah erleben, ob ihr Spital auch<br />

nachts um 3 Uhr funktionierte. Wenn Probleme auftauchten,<br />

setzte man sich zusammen, ging der Sache<br />

nach und handelte rasch. «Wir reden ganz einfach<br />

oft miteinander, ohne viel Papierkram und Formalitäten.<br />

Es ist viel besser, etwas auszuprobieren, <strong>als</strong> es<br />

zu intellektualisieren oder zu zerreden.»<br />

Probleme wurden portioniert, d. h., in einzelne<br />

Teile zerlegt, die von direkt betroffenen Projektgruppen<br />

in begrenzter Zeit möglichst flexibel und praxisnah<br />

zu bearbeiten waren. Durch konsequente Dezentralisierung<br />

der Kompetenzen wurde leitendes<br />

Personal eingespart und lange Dienstwege wurden<br />

vermieden. Kontinuierliche und stets ehrliche Information<br />

sah man <strong>als</strong> Bringschuld der Spitalleitung,<br />

Antwort auf Fragen des Person<strong>als</strong> waren innerhalb<br />

48 Stunden gewährleistet.<br />

«Das Management muss eine Unternehmenskultur<br />

schaffen, in der ein Mitarbeiter einen Fehler zugeben<br />

kann, ohne das Gesicht zu verlieren.» Selbständigkeit,<br />

Eigeninitiative, die Freiheit, zu handeln<br />

und zu scheitern gehörten ebenso zu den Selbstverständlichkeiten<br />

in diesen Betrieben.<br />

In vielen Magnetspitälern gab es ein Team von<br />

hochqualifizierten Krankenschwestern, das <strong>als</strong> gut<br />

funktionierende Einheit kurzfristig in Krisenzonen<br />

eingesetzt werden konnte, eine Springer-Equipe,<br />

o rganisiert wie die Betriebsfeuerwehr. Herrschte<br />

doch einmal Personalknappheit, wurden Stellen lieber<br />

unbesetzt gelassen und Abteilungen geschlossen,<br />

<strong>als</strong> ungeeignete Personen anzustellen oder reduziertes<br />

Personal mit Überstunden zu belasten.<br />

Speziell gepflegt und strukturiert wurde die Einführung<br />

von neuen Mitarbeitenden und deren Fortbildung.<br />

Jedermann besuchte Kurse, von der höchsten<br />

Direktionsebene über die Stationsschwestern bis<br />

zu einer grossen Anzahl Pflegenden.<br />

Magnetspitäler betrachteten es <strong>als</strong> äusserst wichtiges<br />

Kriterium ihrer Pflegequalität, dass alle Betreuten<br />

jederzeit wussten, wer für sie verantwortlich und<br />

wo erreichbar war. Sie verteilten Patienten-Fragebogen<br />

und werteten sie am Tatort unverzüglich aus,<br />

reichten sie <strong>als</strong>o nicht zuerst an ein internes oder<br />

externes Büro zur Zwischenlagerung und statisti-<br />

schen Verklärung weiter.<br />

Seither hat sich leider die Beschreibung und<br />

E rfassung der Magnetspitäler zu einem markenrechtlich<br />

geschützten Zertifizierungs-Business entwickelt<br />

[4]. Im «The Magnet Recognition Programm®»<br />

sind vom American Nurses Credential Center (ANCC)<br />

14 «Forces of Magnetism» aufgelistet, so vage formuliert,<br />

dass die ursprüngliche Faszination nicht mehr<br />

Mittlerweile hat sich die Beschreibung und Erfassung der<br />

Magnetspitäler zu einem markenrechtlich geschützten Zertifizierungs-<br />

Business entwickelt.<br />

spürbar ist. Alljährliche Zwischenrapporte und Re-<br />

Zertifizierungen nach jeweils vier Jahren binden die<br />

anerkannten Häuser an das ANCC, das sich bemühe,<br />

«to separate true magnets from those that simply want to<br />

achieve the recognition». Auch im deutschsprachigen<br />

Raum glaubt man, mit Messwerten, Kennzahlen und<br />

pflegesensitiven Indikatoren zeigen zu können, ob<br />

die Ziele eines Magnetspit<strong>als</strong> erreicht wurden [5].<br />

Damit wird genau der administrative Unfug<br />

betrieben, den die Pioniere in den Magnetspitälern<br />

unterdrückt hatten. Ihnen war es wichtig, dass hohe<br />

Qualität <strong>als</strong> Selbstverständnis eines Hauses verinnerlicht<br />

wird und nicht von externen Kontrolleuren<br />

bestätigt werden muss, an die mit dem Honorar<br />

gleich auch noch die Eigenverantwortung überwiesen<br />

wird.<br />

Literatur<br />

1 McClure ML, Poulin MA, Sovie MD, et al. Magnet<br />

hospit<strong>als</strong>: attraction and retention of professional<br />

nurses. Kansas City: American Nurses Association;<br />

1983.<br />

2 Kramer M, Schmalenberg C, Magnet Hospit<strong>als</strong>,<br />

Institutions of Excellence. Journal of Nursing<br />

Administration. 1988;18(1/2).<br />

3 Übersetzt in 2 Teilen von: Joss A. Magnetspitäler.<br />

Pflege. 1989; 1(2) und 1990; 2(1).<br />

4 Lundmark VA. Magnet Environments for Professional<br />

Nursing Practice. In: Hughes RG. Patient Safety and<br />

Quality: An Evidence-Based Handbook for Nurses.<br />

Chapt. 46. Rockville: Agency for Healthcare Research<br />

and Quality; 2008.<br />

5 Spirig R. Die Kraft des Magnetismus: Magnetspitäler <strong>als</strong><br />

Vorbilder – auch für den deutschsprachigen Raum?<br />

Pflege. 2012; 25(4):241–3.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 35


Vom Glück der Pause<br />

erhard.taverna[at]saez.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Das Schrillen der Pausenglocke ist seit Generationen<br />

der Inbegriff von Freiheit. Nie mehr wird so ungestüm<br />

aufgebrochen, ins Freie gestürmt, gelärmt, geschrien<br />

und herumgetobt. Natürlich wird es immer<br />

wieder alle möglichen Pausen geben, bis zur Menopause<br />

von Mann und Frau, was definitiv nicht mehr<br />

die Lustgefühle von dam<strong>als</strong> hervorruft. Gibt es so etwas<br />

wie Lebenspausen vor der ewigen Ruhe? Die Natur<br />

kennt den Winterschlaf, Zustände wie Sporen,<br />

Verpuppungen, zeitlos Erstarrtes, wobei scheinbar<br />

nichts mehr geschieht. Das aussermenschliche Sein<br />

wirkt unbegrenzt und pausenlos. Planeten ziehen<br />

ihre Bahn, Sonnen verbrennen Wasserstoff, Meere<br />

schwappen hin und her, Sedimente versteinern, Jahreszeiten<br />

kommen wieder, ununterbrochen wächst<br />

etwas heran und verwest.<br />

Menschliche Pausen unterbrechen eine Handlung,<br />

sie bedeuten ein Stillestehen im Guten oder<br />

Schlechten, erwünscht oder nicht. «Alles fliesst»,<br />

sprach der Philosoph, und «keiner steigt zwei Mal in<br />

denselben Fluss». Das viele Denken brauchte Musse,<br />

Arbeit war etwas für Frauen und Sklaven. Das benediktinische<br />

«ora et labora» ersetzte diese Herrenmoral. «Im<br />

Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen,<br />

bis du wieder zu Erde werdest.» Zu diesem göttlichen<br />

Jobprofil passte der Kirchenkalender. Er sorgte für die<br />

hohen und niederen Feiertage, für Fasching und Advent.<br />

Auf die Frommen wartet die ewige Paradiespause.<br />

Bis es so weit ist, regeln Glockentürme und<br />

Nachtwächter die Zeit. Zu den sieben Todsünden gehört<br />

die irdische Faulheit. Deckenmalereien in Frankreich<br />

illustrieren die «Paresse» <strong>als</strong> kriechende Schnecke<br />

vor geblähten Segeln im Hintergrund. Lafontaines<br />

Grille musiziert einen Sommer lang und hat im Winter<br />

nichts zu beissen, denn der fleissigen Ameise gehört<br />

die Zukunft der beginnenden Industrialisierung.<br />

Für die Musikantin der Fabel hat sie nur Spott übrig.<br />

Das Arbeitsleben im Takt der Fabrikuhren ist zwar<br />

weniger gefährlich, dafür affekt- und lustloser, weil zivilisiert<br />

und befriedet. Zum Stundenplan am Fliessband<br />

gehört die Pause. Als eingeplante Unterbrechung<br />

ist sie eine Erfindung der Moderne, minutengenau<br />

festgelegt, zweckgerichtet und lohnpflichtig. Arbeitsunterbrechungsphasen<br />

gehören zum Zeitmanagement,<br />

sie sollen die Produktivität steigern. Die Arbeitsphysiologie<br />

testet die Belastungsfähigkeit in der Fabrik<br />

und im Büro. Tag- und Nachtschicht brauchen unterschiedliche<br />

Erholungszeiten, für Piloten und Lokomotivführer<br />

gelten vorgeschriebene Auszeiten, für Soldaten<br />

gibt es die befohlene Ruhe. Nur Roboter schlafen<br />

nie, so wenig wie Google, CNN oder die Börse.<br />

Am Eingang eines inzwischen überbauten Kurortes<br />

versprach ein grosses Plakat «Ferien voller<br />

Uhren sind aller Laster Anfang.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

ZU GUTER LETZT<br />

Ferien». Die aktive Freizeit <strong>als</strong> Fortsetzung des Alltags.<br />

Die Seelen baumeln nur im Werbeprospekt. Zum beklagten<br />

Zeit-Mangel gehört paradoxerweise der Zeit-<br />

Vertreib, den eine gigantische Industrie am Laufen<br />

hält. Für Kranke und Verunfallte gibt es die Zwangspause,<br />

für Wöchnerinnen die Stillpause, für Süchtige<br />

die Rauchpause, für Kämpfende die Feuerpause.<br />

Jogger gönnen sich eine Verschnaufpause, Autoren<br />

brauchen eine Schreibpause. Vielerlei Pausen, für<br />

jede Situation eine andere. Ausser im Gefängnis gibt<br />

es die unfreiwilligen Pausen nur in den Übergangszonen.<br />

In den Warteräumen von Busstationen,<br />

Bahnhöfen und Flughäfen, und natürlich im Stau.<br />

Nur der Meditierende weiss, wie viel Übung es<br />

braucht, den Strom der Gedanken und Bilder für<br />

eine kurze Zeit zu unterbrechen.<br />

«Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus/<br />

Flog durch die stillen Lande / Als flöge sie nach<br />

Haus.» Die Nacht schenkt uns die ersehnte Schlafpause.<br />

«Es rauschten leis die Wälder / So sternenklar<br />

war die Nacht», reimte Joseph von Eichendorff in<br />

seinem Gedicht «Mondnacht». Seit der preussische<br />

Beamte diese Zeilen schrieb, haben sich Stille und<br />

Dunkelheit in die entferntesten Urlaubswinkel verkrochen.<br />

Aus grosser Höhe betrachtet, überzieht ein<br />

Elektroschimmel die nächtliche Hemisphäre. Er verwirrt<br />

die Zugvögel auf ihrer Reise, er vertreibt die<br />

Milchstrasse und stört unsere Träume. Das Schrillen<br />

der Pausenglocke läutete auch den Beginn der nächsten<br />

Lernperiode ein. Man nahm wieder Platz in der<br />

Schulbank und lernte <strong>als</strong> ritalinloser Jahrgang das<br />

kollektive Zuhören und Stillsitzen. Wer Glück hatte,<br />

durfte sich auch langweilen. Die neue Pädagogik des<br />

Suchens, Abzählens, Abfragens und Vergleichens<br />

verknüpft schon im Vorschulalter jede Ente mit einem<br />

Wissenstest. Nur Privi legierte können sich eine<br />

Denkpause leisten. Darum lerne für seine Zukunft,<br />

wer früh lernt.<br />

Mach mal Pause, trink Coca-Cola, Whiskytime,<br />

Timeout, have a break, have a Kit Kat, gönne dir eine<br />

Milka Lila Pause. Die Werbung kennt die geheimsten<br />

Wünsche. Sie verkauft uns das Glück der Pause.<br />

Erhard Taverna<br />

36


Editores Medicorum Helveticorum<br />

Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />

ANNA<br />

www.annahartmann.net

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