Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung
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1<br />
2<br />
2.1. 2013<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
S chweizerische <strong>Ärztezeitung</strong><br />
Bollettino dei medici svizzeri<br />
Bulletin des médecins suisses<br />
Editorial 5<br />
Warum wir Ärzte Windmühlen bauen sollten<br />
FMH / Abteilung Daten, Demographie und Qualität 7<br />
Swiss Quality Award: das Handwerk im Fokus<br />
<strong>Schweizerische</strong> Akademie der Medizinischen Wissenschaften 12<br />
Neue Richtlinien<br />
«Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie»<br />
Tribüne 31<br />
Schweizer und Deutsche: der kleine Unterschied<br />
Horizonte 34<br />
Magnetspitäler<br />
«Zu guter Letzt» von Erhard Taverna 36<br />
Vom Glück der Pause<br />
Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch<br />
Organe officiel de la FMH et de FMH Services www.bullmed.ch<br />
Bollettino ufficiale della FMH e del FMH Services
FMH<br />
Editorial<br />
5 Warum wir Ärzte Windmühlen<br />
bauen sollten<br />
Jürg Schlup<br />
DDQ<br />
7 Swiss Quality Award:<br />
das Handwerk im Fokus<br />
Fabienne Hohl<br />
Noch bis Ende Februar 2013 läuft die Ausschreibung des<br />
Swiss Quality Awards 2013. Was der Preis und die damit<br />
verbundene Publizität auslösen können, berichten zwei<br />
G ewinner aus den Jahren 2011 und 2012.<br />
9 Personalien<br />
Organisationen der Ärzteschaft<br />
SGOT/SGU<br />
10 SGOT und SGU lehnen Merkblätter für<br />
Patienten des Swiss Medical Board ab<br />
Bernhard Christen, Thomas Gasser<br />
Auch in der SÄZ hat das Swiss Medical Board seine<br />
Merkblätter für Patienten vorgestellt. Sie sollen Entschei<br />
dungshilfen bei der Behandlung von Kreuzband<br />
läsionen und der Anwendung des PSATests sein. Die<br />
betroffenen Fachgesellschaften reagieren darauf mit<br />
dem hier abgedruckten «offenen Brief».<br />
10 Antwort auf den offenen Brief von<br />
SGOT und SGU zu den Merkblättern<br />
des Swiss Medical Board<br />
Christoph Bosshard, Peter Suter<br />
Aufgrund der Wichtigkeit der im vorangegangenen<br />
Beitrag behandelten Thematik hat die SÄZ den in der<br />
Trägerschaft des Medical Boards engagierten FMH und<br />
SAMW angeboten, sich zur Kritik zu äussern.<br />
INHALT<br />
Weitere Organisationen und Institutionen<br />
SAMW<br />
12 Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie<br />
<strong>Schweizerische</strong> Akademie der<br />
Medizinischen Wissenschaften<br />
Sie sind Bestandteil der FMHStandesordnung: die seit<br />
2006 geltenden SAMWRichtlinien zur Zusammenarbeit<br />
von Ärzteschaft und Industrie. Jetzt wurden sie revidiert,<br />
die neue Fassung findet sich in diesem Beitrag. Neben ei<br />
ner Überarbeitung und Ergänzung verschiedener Ab<br />
schnitte wurde insbesondere das Kapitel «Expertentätig<br />
keit» hinzugefügt.<br />
SÄZ-Podiumsdiskussion<br />
18 DRG / Neue Spitalfinanzierung:<br />
Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />
Die Einführung von SwissDRG im Januar 2012 war von<br />
substantiellen Bedenken begleitet. Haben sie sich bestä<br />
tigt? Welche Auswirkungen gab es auf die Versorgungs<br />
qualität und die Arbeitsbedingungen, auf Hausärzte,<br />
Spitzen medizin und die Kostenentwicklung? Das SÄZ<br />
Podium in Bern möchte zu einer fundierten Auseinan<br />
dersetzung mit diesen und weiteren Fragen beitragen.<br />
Briefe / Mitteilungen<br />
19 Briefe an die SÄZ<br />
22 Facharztprüfungen /<br />
Mitteilungen<br />
FMH Services<br />
23 Stellen und Praxen
IMPRESSUM<br />
Tribüne<br />
Thema<br />
31 Der kleine Unterschied<br />
Nicolas Diehm, Irene Pill, Frederic Baumann<br />
So nah und doch so fern – die Beziehung zwischen<br />
Nachbarn ist in vielen Bereichen heikel. So auch zwischen<br />
Schweizern und Deutschen. Dieser Artikel möchte einen<br />
Einblick in die wichtigsten Mentalitäts und Sprach<br />
unterschiede zwischen Schweizern und Deutschen ge<br />
währen mit dem Ziel, die interkulturelle Begegnung zu<br />
erleichtern. «Anders» muss ja nicht gleich «schlechter»<br />
sein.<br />
Horizonte<br />
Redaktion<br />
Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli<br />
(Chefredaktor)<br />
Dr. med. Werner Bauer<br />
PD Dr. med. Jean Martin<br />
Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />
Dr. med. Jürg Schlup (FMH)<br />
Prof. Dr. med. Hans Stalder<br />
Dr. med. Erhard Taverna<br />
lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH)<br />
Redaktion Ethik<br />
PD Dr. theol. Christina Aus der Au<br />
Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo<br />
Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz<br />
Redaktion Medizingeschichte<br />
Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann<br />
PD Dr. rer. soc. Eberhard Wolff<br />
Redaktion Ökonomie<br />
Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />
Redaktion Recht<br />
Fürsprecher Hanspeter Kuhn (FMH)<br />
Managing Editor<br />
Annette Eichholtz M.A.<br />
Delegierte der Fachgesellschaften<br />
Allergologie und Immunologie:<br />
Prof. Dr. A. Bircher<br />
Allgemeinmedizin: Dr. B. Kissling<br />
Anästhesiologie und Reanimation:<br />
Prof. P. Ravussin<br />
Angiologie: Prof. B. AmannVesti<br />
Arbeitsmedizin: Dr. C. Pletscher<br />
Chirurgie: Prof. Dr. M. Decurtins<br />
Dermatologie und Venerologie:<br />
PD Dr. S. Lautenschlager<br />
Endokrinologie und Diabetologie:<br />
Prof. Dr. G. A. Spinas<br />
Gastroenterologie: Prof. Dr. W. Inauen<br />
Geriatrie: Dr. M. Conzelmann<br />
Gynäkologie und Geburtshilfe:<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. W. Holzgreve<br />
Streiflicht<br />
34 Magnetspitäler<br />
Bernhard Gurtner<br />
Trotz chronischen Personalmangels müssen sie keine<br />
Werbung für die Besetzung freier Stellen machen, auch<br />
für Patienten erscheinen sie besonders attraktiv: Das sind<br />
«Magnetspitäler». Und was zeichnet sie aus? Eine<br />
Arbeits gruppe hat es untersucht – vor 30 Jahren – aktuell<br />
sind die damaligen Erkenntnisse noch immer.<br />
Redaktionssekretariat<br />
Elisa Jaun<br />
Redaktion und Verlag<br />
EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />
Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz<br />
Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: redaktion.saez@emh.ch<br />
Internet: www.saez.ch, www.emh.ch<br />
Herausgeber<br />
FMH, Verbindung der Schweizer<br />
Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,<br />
Postfach 170, 3000 Bern 15<br />
Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />
E-Mail: info@fmh.ch<br />
Internet: www.fmh.ch<br />
Herstellung<br />
Schwabe AG, Muttenz<br />
Marketing EMH<br />
Karin Würz<br />
Leiterin Marketing und Kommunikation<br />
Tel. 061 467 85 49, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: kwuerz@emh.ch<br />
Hämatologie: Dr. M. Zoppi<br />
Handchirurgie: PD Dr. L. Nagy<br />
Infektologie: Prof. Dr. W. Zimmerli<br />
Innere Medizin: Dr. W. Bauer<br />
Intensivmedizin: Dr. C. Jenni<br />
Kardiologie: Prof. Dr. C. Seiler<br />
Kiefer und Gesichtschirurgie:<br />
Dr. C. Schotland<br />
Kinder und Jugendpsychiatrie: Dr. R. Hotz<br />
Kinderchirurgie: Dr. M. Bittel<br />
Medizinische Genetik: Dr. D. Niedrist<br />
Neonatologie: Prof. Dr. H.U. Bucher<br />
Nephrologie: Prof. Dr. J.P. Guignard<br />
Neurochirurgie: Prof. Dr. H. Landolt<br />
Neurologie: Prof. Dr. H. Mattle<br />
Neuropädiatrie: Prof. Dr. J. Lütschg<br />
Neuroradiologie: Prof. Dr. W. Wichmann<br />
Zu guter Letzt<br />
36 Vom Glück der Pause<br />
Erhard Taverna<br />
INHALT<br />
Dieses Glück ist selten. Denn durchrationalisiert und<br />
möglichst effizient eilen wir durchs Leben. Die Werbung<br />
kennt bekanntlich unsere geheimsten Wünsche: «Mach<br />
mal Pause…». Gedanken über das Innehalten.<br />
Anna<br />
Inserate<br />
Werbung<br />
Sabine Landleiter<br />
Leiterin Anzeigenverkauf<br />
Tel. 061 467 85 05, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: slandleiter@emh.ch<br />
«Stellenmarkt/Immobilien/Diverses»<br />
Matteo Domeniconi, Inserateannahme<br />
Stellenmarkt<br />
Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: stellenmarkt@emh.ch<br />
«Stellenvermittlung»<br />
FMH Consulting Services<br />
Stellenvermittlung<br />
Postfach 246, 6208 Oberkirch<br />
Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />
E-Mail: mail@fmhjob.ch<br />
Internet: www.fmhjob.ch<br />
Abonnemente<br />
FMH-Mitglieder<br />
FMH Verbindung der Schweizer<br />
Ärztinnen und Ärzte<br />
Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15<br />
Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />
Nuklearmedizin: Prof. Dr. J. Müller<br />
Onkologie: Prof. Dr. B. Pestalozzi<br />
Ophthalmologie: Dr. A. Franceschetti<br />
ORL, H<strong>als</strong> und Gesichtschirurgie:<br />
Prof. Dr. J.P. Guyot<br />
Orthopädie: Dr. T. Böni<br />
Pädiatrie: Dr. R. Tabin<br />
Pathologie: Prof. Dr. G. Cathomas<br />
Pharmakologie und Toxikologie:<br />
Dr. M. KondoOestreicher<br />
Pharmazeutische Medizin: Dr. P. Kleist<br />
Physikalische Medizin und Rehabilitation:<br />
Dr. M. Weber<br />
Plast.Rekonstrukt. u. Ästhetische Chirurgie:<br />
Prof. Dr. P. Giovanoli<br />
Pneumologie: Prof. Dr. T. Geiser<br />
EMH Abonnemente<br />
EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />
Abonnemente, Postfach, 4010 Basel<br />
Tel. 061 467 85 75, Fax 061 467 85 76<br />
E-Mail: abo@emh.ch<br />
Jahresabonnement: CHF 320.–,<br />
zuzüglich Porto<br />
© 2013 by EMH <strong>Schweizerische</strong>r<br />
Ärzteverlag AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Nachdruck, elektronische<br />
Wiedergabe und Übersetzung, auch<br />
auszugsweise, nur mit schriftlicher<br />
Genehmigung des Verlages gestattet.<br />
Erscheint jeden Mittwoch<br />
ISSN 0036-7486<br />
ISSN 1424-4004 (Elektronische Ausg.)<br />
Prävention und Gesundheitswesen:<br />
Dr. C. Junker<br />
Psychiatrie und Psychotherapie:<br />
Dr. G. Ebner<br />
Radiologie: Prof. Dr. B. Marincek<br />
Radioonkologie: Prof. Dr. D. M. Aebersold<br />
Rechtsmedizin: Prof. T. Krompecher<br />
Rheumatologie: Prof. Dr. M. Seitz<br />
Thorax, Herz und Gefässchirurgie:<br />
Prof. Dr. T. Carrel<br />
Tropen und Reisemedizin: PD Dr. C. Hatz<br />
Urologie: PD Dr. T. Zellweger
Editorial FMH<br />
Warum wir Ärzte Windmühlen bauen sollten<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Im Januar wünschen sich die<br />
Menschen gegenseitig «ein<br />
gutes neues Jahr!» und eigentlich<br />
meinen sie mit «gut», es<br />
solle alles so bleiben, wie es<br />
ist. Der Mensch hat nicht<br />
gerne Veränderung. Darin<br />
unterscheiden auch wir Ärztinnen<br />
und Ärzte uns letztlich<br />
nicht von andern. Doch das<br />
Gesundheitswesen verändert<br />
sich, und es wird sich auch im<br />
Jahr 2013 weiter verändern – vielleicht einschneidender <strong>als</strong><br />
bisher.<br />
Viele Veränderungen sind selbstverständlich, und wir<br />
folgen ihnen gerne. So bilden wir Ärztinnen und Ärzte uns<br />
ständig fort, um im Dienst der Patienten auf der Höhe der<br />
Wissenschaft und der Technologie zu bleiben. Wir passen<br />
uns an die neuen Lebens- und Altersstrukturen und an die<br />
neuen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten an, die<br />
sich im Internet bereits eine Meinung gebildet haben. Wir<br />
passen uns auch an neue Tarifstrukturen an – Flexibilität<br />
gehört schliesslich zum Berufsbild des Arztes.<br />
Flexibilität gehört zum Berufsbild<br />
des Arztes.<br />
Es gibt Veränderungen, die bereiten uns mehr Mühe:<br />
Z ulassungsstopp trotz zunehmendem Fachkräftemangel;<br />
steigende Gesundheitskosten und damit einhergehende, oft<br />
einseitige und ungerechte Schuldzuweisungen; die knappen<br />
Finanzen der öffentlichen Hand; die Verpolitisierung unserer<br />
Arbeit in Spital und Praxis. Viele von uns machen sich Sorgen<br />
wegen der Qualität der Versorgung und wegen ihrer persönlichen<br />
Belastungen. Sie mögen den Wandel nicht mehr mittragen,<br />
ziehen sich zurück oder werden dem Gesundheitswesen<br />
den Rücken kehren.<br />
Ich kann diese Haltung zwar verstehen. Aber wir kommen<br />
damit nicht weiter. Sämtliche Partner im Gesundheits-<br />
wesen werden in den nächsten Jahren ihre Funktion im Gesundheitssystem<br />
anpassen müssen – stärker <strong>als</strong> bisher. Auch<br />
wir Ärztinnen und Ärzte müssen unsere Rolle im System<br />
überdenken – in einem System, das möglicherweise teilweise<br />
neu gebaut werden muss. Aufbau beginnt häufig mit dem<br />
Rückbau des Bisherigen – all dies macht Angst.<br />
Ich freue mich über jedes FMH-<br />
Mitglied, das nicht mauert, sondern<br />
sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />
und auch im Jahr 2013 am Gesund-<br />
heitswesen mitbaut.<br />
«Wenn der Wind des Wandels weht», besagt ein chinesisches<br />
Sprichwort, «bauen die einen Mauern und die andern<br />
Windmühlen.» Ich freue mich über jedes FMH-Mitglied, das<br />
nicht mauert, sondern sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />
und auch im Jahr 2013 am Gesundheitswesen mitbaut. Es<br />
sind unsere Ärztinnen und Ärzte, welche die FMH ausmachen.<br />
Wir alle wollen eine gut zugängliche, qualitativ<br />
hochstehende Versorgung der Patientinnen und Patienten<br />
mit freier Arztwahl und zu bezahlbaren Prämien. Wir wol-<br />
len den Nachwuchs fördern, gute Rahmenbedingungen für<br />
unsere Berufstätigkeit, Gestaltungsfreiheit und angemessene<br />
Entschädigung für ärztliche Leistungen.<br />
Wir wollen nicht nur gut bleiben, wir wollen besser werden.<br />
Dazu gehören neben Forschung und neuen Technologien<br />
die Förderung innovativer Versorgungsmodelle für<br />
Spital und Praxis und die Stärkung der Hausarztmedizin.<br />
Solche Projekte sind unsere Windmühlen. Indem wir daran<br />
arbeiten, nutzen wir nicht nur den Wind des Wandels; wir<br />
werden auch besser.<br />
«Wenn wir aufhören, besser zu werden», hat Oliver<br />
Cromwell einmal gesagt, «dann werden wir bald aufhören,<br />
gut zu sein.» In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen «ein<br />
gutes neues Jahr!».<br />
Dr. med. Jürg Schlup,<br />
Präsident der FMH<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
5
DDQ FMH<br />
Swiss Quality Award: das Handwerk im Fokus<br />
Interview: Fabienne Hohl<br />
Korrespondenz:<br />
Varja A. Meyer<br />
FMH / Abteilung DDQ<br />
Elfenstrasse 18<br />
CH3000 Bern<br />
Tel. 031 359 11 11<br />
Fax 031 359 11 12<br />
info[at]swissqualityaward.ch<br />
www.swissqualityaward.ch<br />
Dr. med. Martin Egger, MPH<br />
Stv. Chefarzt<br />
Medizinische Klinik<br />
Spital Emmental<br />
Oberburgstrasse 54<br />
CH3400 Burgdorf<br />
Tel. 034 421 23 00<br />
martin.egger[at]rse.ch<br />
www.rse.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Noch bis Ende Februar 2013 läuft die Ausschreibung des Swiss Quality Award 2013.<br />
Er zeichnet innovative und praxisbewährte Qualitätsprojekte aus und präsentiert<br />
sie einem breiten Publikum. Was der Preis und die damit verbundene Publizität aus<br />
lösen können, berichten zwei Gewinner aus den Jahren 2011 und 2012, Dr. med. Mar<br />
tin Egger, Stv. Chefarzt am Spital Emmental, und Dr. med. Andreas Meer, Geschäfts<br />
leiter der in4medicine AG.<br />
Dr. med. Martin Egger,<br />
Stellvertretender<br />
Chefarzt am Spital<br />
Emmental:<br />
«Wir brauchen in<br />
unserer modernen<br />
Medizin dringend mehr<br />
Wertschätzung des<br />
guten Handwerks.»<br />
Dr. Egger, Sie haben 2011 mit Ihrem Team den Swiss<br />
Quality Award in der Kategorie Patientensicherheit mit<br />
dem Projekt «Reduktion von Urinkathetertagen und Antibiotika-Behandlungstagen<br />
für Harnwegsinfektionen in<br />
der stationären Akutmedizin» gewonnen. Wie hat sich<br />
der Preis auf Ihr Projekt ausgewirkt?<br />
Martin Egger: Die Teilnahme am Preisausschreiben<br />
per se hatte keinen Einfluss auf das Projekt; wir haben<br />
uns überhaupt erst für den Award beworben, weil der<br />
vorläufige Projektabschluss mit der Ausschreibung<br />
des Preises zeitlich zusammenfiel. Hingegen haben<br />
die Preisverleihung und deren Publikation in der<br />
<strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> dem Thema zu<br />
Publizität in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit<br />
verholfen: Die Resonanz in den Medien bestand aus<br />
einem Artikel in der Berner Zeitung und einem Auftritt<br />
in der Sendung Puls des Schweizer Fernsehens.<br />
In Fachkreisen resultierten ein Artikel in der Zeitschrift<br />
Care Management, Vorträge in zwei Kantonsspitälern<br />
zur Weitervermittlung der Projektinhalte<br />
und die Nachfrage nach der Methodik durch mehrere<br />
Kolleginnen und Kollegen an Schweizer Spitälern.<br />
Betriebsintern war das Projekt bereits ohne<br />
Award ein Erfolg. Dank Überführung etlicher Ele<br />
mente der Intervention in die Alltagsroutine ist es zu<br />
einem Kulturwandel im Umgang mit Urinkathetern<br />
und bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen<br />
am Spital Emmental gekommen.<br />
Wie hebt sich der Swiss Quality Award in Ihren Augen<br />
von anderen Preisen ab?<br />
Ich schätze es sehr, dass der Swiss Quality Award die<br />
Praxis und die reale Umsetzung von Qualitätsinitiativen<br />
würdigt und fördert. Trotz der sauberen<br />
Methodik und der soliden Zahlen unseres Projekts<br />
hat es sich nämlich <strong>als</strong> schwierig erwiesen, die Resultate<br />
in einer guten medizinischen Fachzeitschrift zu<br />
publizieren, weil dort der Fokus stark auf den wissenschaftlichen<br />
Erkenntniszuwachs gerichtet ist und<br />
das Beispiel von überzeugender Anwendung von bekanntem<br />
Wissen wenig zählt. Wir brauchen aber in<br />
unserer modernen Medizin dringend mehr Wertschätzung<br />
des guten Handwerks, der soliden Arbeit,<br />
die sich der Schnelllebigkeit und dem oberflächlichen<br />
Schein entgegenstellt. Richard Sennett, einer<br />
der renommiertesten Soziologen Amerikas, hat es<br />
für die moderne Gesellschaft insgesamt so formu<br />
Kluge Ideen im Qualitätsmanagement helfen nicht nur Patientinnen<br />
und Patienten, sie nützen dem gesamten Gesundheitswesen.<br />
liert: «Craftmanship is the quest to make … things well.<br />
… Doing something well for its own sake … is a capacity<br />
most human beings possess, but this skill is not honoured<br />
in modern society as it should be. The craftsman in all of<br />
us needs to be freed» [1]. Der Swiss Quality Award<br />
unterstützt in meinen Augen das Bestreben, Craftmanship<br />
zu fördern.<br />
Können Sie sich vorstellen, erneut am Swiss Quality<br />
Award teilzunehmen?<br />
Sollte ich je wieder ein gutes Projekt durchführen<br />
und dokumentieren, werde ich es für den Swiss<br />
Qual ity Award anmelden. Gute Projekte sollten<br />
Nachahmer und Weiterentwickler finden.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
7
DDQ FMH<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. med. Andreas Meer, MHIM<br />
Geschäftsführung & Vertrieb<br />
in4medicine AG<br />
Pavillonweg<br />
CH3012 Bern<br />
Tel. 031 370 13 31<br />
a.meer[at]in4medicine.ch<br />
www.onlinepraxis.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Dr. med. Andreas Meer,<br />
Geschäftsleiter der<br />
in4medicine AG:<br />
«Wenn die Innovation<br />
bei einer hochkarätigen<br />
Jury und in der<br />
Öffentlichkeit einen so<br />
positiven Anklang<br />
findet, motiviert das<br />
einen sehr.»<br />
Dr. Meer, 2012 wurden Sie und Ihr Team mit dem Swiss<br />
Quality Award in der Kategorie Technologie für das<br />
P rojekt «Onlinepraxis» ausgezeichnet. Wie hat sich die<br />
Preisteilnahme auf Ihr Projekt ausgewirkt?<br />
Andreas Meer: Die Eingabe zum Swiss Quality<br />
Award hat uns explizit darüber nachdenken lassen,<br />
welchen Beitrag zur Innovation und Qualität in der<br />
Patientenbetreuung die Onlinepraxis leistet: Die<br />
Onlinepraxis verbessert die Patientenorientierung,<br />
die Effizienz, die Sicherheit und die Verfügbarkeit<br />
der medizinischen Betreuung. Vor allem Folgekonsultationen<br />
sowie die Mitteilung und der Kommentar<br />
von Untersuchungsresultaten können effizient<br />
online erfolgen. Die Patientenbetreuung über die<br />
Onlinepraxis ist sicher und respektiert die Privat<br />
Swiss Quality Award: Ausschreibung läuft<br />
Kluge Ideen im Qualitätsmanagement helfen nicht nur Patientinnen und Patienten,<br />
sie nützen dem gesamten Gesundheitswesen. Deshalb rückt der Swiss<br />
Quality Award jährlich innovative Qualitätsprojekte ins Rampenlicht. Getragen<br />
wird der Preis gemeinsam von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und<br />
Ärzte FMH, dem Institut für Evaluative Forschung in der Medizin IEFM der Universität<br />
Bern sowie der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für Qualitätsmanagement<br />
im Gesundheitswesen SQMH. Der Swiss Quality Award prämiert neue,<br />
praxiserprobte Projekte in den Kategorien Management, Patientensicherheit,<br />
Technologie und Empowerment. Jede Preiskategorie ist mit 10 000 Franken<br />
dotiert. Melden Sie Ihr Projekt jetzt für den Swiss Quality Award 2013 an! Die<br />
Anmeldefrist läuft bis 28. Februar 2013. Die Preisverleihung findet am 12. Juni<br />
2013 im Rahmen des Nationalen Symposiums für Qualitätsmanagment im Gesundheitswesen<br />
in Basel statt. Auf www.swissqualityaward.ch finden Sie weitere<br />
Informationen.<br />
sphäre. Diese Überlegungen zur Qualität haben uns<br />
zur Teilnahme bewogen.<br />
Was hat der Gewinn des Swiss Quality Award Ihrem<br />
P rojekt gebracht?<br />
Vorerst haben wir uns ganz persönlich über die<br />
Anerkennung gefreut. Wer innovativ sein will, etwas<br />
verändern und besser machen möchte, weiss, dass<br />
dieser Weg gelegentlich beschwerlich und einsam<br />
sein kann. Wenn die Innovation bei einer hochkarätigen<br />
Jury und in der Öffentlichkeit einen so positiven<br />
Anklang findet, motiviert das einen sehr.<br />
Manche Strapaze hat sich dann gelohnt. Der Swiss<br />
Quality Award hatte überdies eine unmittelbare Auswirkung<br />
auf die Wahrnehmung der Onlinepraxis<br />
seitens potentieller Partner und Kunden. Auf der<br />
Projektwebsite hatten wir über mehrere Wochen<br />
sehr hohe Besucherzahlen. Es folgten konkrete<br />
Anfragen, die zwischenzeitlich auch zur Eröffnung<br />
weiterer Onlinepraxen geführt haben.<br />
Wie unterscheidet sich der Swiss Quality Award Ihres<br />
Erachtens von anderen Preisen?<br />
Hinter dem Swiss Quality Award stehen Institutionen<br />
und Personen, welche im Gesundheitswesen engagiert<br />
sind und etwas davon verstehen. Der Claim<br />
des Swiss Quality Awards lautet «Innovation in<br />
Healthcare». Gerade im Gesundheitswesen bedeutet<br />
Innovation nicht nur, eine gute Idee zu haben, sondern<br />
ebenso, das Richtige im richtigen Moment, im<br />
richtigen Umfeld richtig zu machen. Auch gemessen<br />
an weiteren Projekten, welche beim SQA in die<br />
Ränge kamen, hatte ich den Eindruck, dass dies<br />
beim Swiss Quality Award verstanden wird.<br />
Würden Sie wieder am Swiss Quality Award teilnehmen?<br />
Wie könnte ich nein sagen? Der Swiss Quality Award<br />
ist für uns durchwegs mit positiven Erinnerungen<br />
und Gefühlen verbunden; die Betreuung vor, während<br />
und nach der Preisverleihung war seitens der<br />
Organisatoren sehr professionell und zuvorkommend.<br />
Andererseits ist der Swiss Quality Award ein<br />
hervorragendes Sprungbrett, das möglichst vielen<br />
Kolleginnen und Kollegen, welche sich für die Innovation<br />
und Qualität im Gesundheitswesen engagieren,<br />
zur Verfügung stehen soll. Darum: Gegenwärtig<br />
kümmern wir uns um das Tagesgeschäft, das «Wettbewerben»<br />
steht hinten an. Eine erneute Teilnahme<br />
in Zukunft schliesse ich jedoch nicht aus ein paar<br />
innovative Ideen hätte ich durchaus noch.<br />
1 Sennett R. Together – the Ritu<strong>als</strong>, Pleasures and Politics<br />
of Cooperation. Penguin Books Ltd.; 2012.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 8
Personalien<br />
Todesfälle / Décès / Decessi<br />
Boris-Rado Praprotnik (1953), † 15.11.2012,<br />
Praktischer Arzt, 5605 Dottikon<br />
Christian Scharfetter (1936), † 25.11.2012,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
8008 Zürich<br />
Elide Rohr (1947), † 29.11.2012,<br />
Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin,<br />
5502 Hunzenschwil<br />
Pierre Albert Blanc (1929), † 6.12.2012,<br />
Spécialiste en médecine interne générale,<br />
1213 Onex<br />
Helen Luggen-Brun (1945), † 7.12.2012,<br />
Fachärztin für Dermatologie und Venerologie,<br />
3900 Brig<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Praxiseröffnung /<br />
Nouveaux cabinets médicaux /<br />
Nuovi studi medici<br />
BE<br />
Jordan Fritschi,<br />
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />
Bernstrasse 127, 3052 Zollikofen<br />
Bettina Gujer,<br />
Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin,<br />
Allmengasse 15, 4900 Langenthal<br />
OW<br />
Christoph Rausch,<br />
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />
Poststrasse 3, 6390 Engelberg<br />
SG<br />
Uta Alexandra Gimmi,<br />
Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und<br />
Traumatologie des Bewegungsapparates,<br />
Wiesenstrasse 1, 9650 Nesslau<br />
VS<br />
Natacha Tapparel,<br />
Spécialiste en gynécologie et obstétrique,<br />
8, avenue du Rothorn, 3960 Sierre<br />
ZH<br />
Ferdinand Schwarz,<br />
Facharzt für Pneumologie und Facharzt für<br />
Allgemeine Innere Medizin, Kappelistrasse 7,<br />
8002 Zürich<br />
Philippe Gigon,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Bellerivestrasse 21, 8008 Zürich<br />
Laszlo Morocz,<br />
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin,<br />
Institut für Rheumatologie/ Schmerztherapie,<br />
Bahnhofstrasse 4, 8820 Wädenswil<br />
Annett Khatami,<br />
Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für<br />
Psychiatrie und Psychotherapie, Asylstrasse 48,<br />
8708 Männedorf<br />
Ärztegesellschaft des<br />
Kantons Luzern<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2012;94: 1/2<br />
FMH<br />
Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />
Stadt haben sich angemeldet:<br />
Anna Kipfer-Kauer, Fachärztin für Ophthalmologie<br />
und Ophthalmochirurgie FMH, Augenärztezentrum<br />
Luzern, Haus 30, 6000 Luzern 16<br />
Diego Bär, Facharzt für Rheumatologie FMH,<br />
Kantonsspital Luzern, 6000 Luzern 16<br />
Einsprachen sind innert zwanzig Tagen nach<br />
der Publikation schriftlich und begründet zu<br />
richten an: Ärztegesellschaft des Kantons<br />
Luzern, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern.<br />
Ärztegesellschaft Schwyz<br />
Zur Aufnahme in die Ärztegesellschaft des Kantons<br />
Schwyz haben sich angemeldet:<br />
Giuseppe Coppola, Facharzt für Innere Medizin<br />
und Angiologie FMH, Im Ahorn 12, 8125 Zollikerberg.<br />
Belegarzt Spital Lachen<br />
Marie-An De Letter, Fachärztin für Neurologie,<br />
Mühlegasse 23, 6422 Steinen. Eröffnung einer<br />
Praxis in Steinen im Januar 2013<br />
Markus Gördes, Facharzt für Anästhesiologie,<br />
Oberdorfstrasse 28, 8853 Lachen SZ. Eröffnung<br />
einer anästhesiologischen Praxis in Lachen im<br />
Januar 2013<br />
Rosemarie Mikolasch-Sulzer, Praktische Ärztin,<br />
Reidholzstrasse 29, 8805 Richterswil. Praxiseröffnung<br />
in den Räumlichkeiten ihres Ehemannes<br />
Dr. Martin Mikolasch, Schützenstrasse 1,<br />
8853 Lachen<br />
Einsprache gegen diese Aufnahmen richten Sie<br />
schriftlich innert zwanzig Tagen an Dr. med.<br />
Hugo Brunner, Dorfstrasse 14, 6417 Sattel.<br />
Ärztegesellschaft Thurgau<br />
Zum Eintritt in die Ärztegesellschaft Thurgau<br />
hat sich angemeldet:<br />
Heidrun Stauder, Fachärztin für Allgemeine Innere<br />
Medizin FMH, Altnau<br />
Einsprachen gegen die Aufnahme sind innerhalb<br />
von zehn Tagen seit der Publikation beim<br />
unterzeichneten Sekretariat schriftlich zu erheben.<br />
9
SGOT/SGU ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
In der SÄZ Nr. 48/2012 stellte das Swiss Medical Board zwei Merkblätter für Patienten vor, die Entscheidungshilfen<br />
bei der Behandlung von Kreuzbandläsionen und der Anwendung des PSA-Tests für<br />
die Früherkennung von Prostatakrebs bieten sollen [1]. Die betroffenen Fachgesellschaften SGOT und<br />
SGU reagieren im folgenden Beitrag mit einem «offenen Brief» auf die Lancierung dieser Merkblätter.<br />
Aufgrund der Wichtigkeit der Thematik für die Ärzteschaft haben wir den in der Trägerschaft des<br />
Med ical Boards engagierten FMH und SAMW angeboten, sich zur Kritik zu äussern, und publizieren<br />
deren Stellungnahme im Anschluss an den Text der Fachgesellschaften.<br />
Die Redaktion<br />
1 Swiss Medical Board veröffentlicht Merkblätter für Patienten. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(48):1781.<br />
Offener Brief<br />
SGOT-SSOT und SGU-SSU lehnen Merkblätter<br />
für Patienten des Swiss Medical Board ab<br />
Bernhard Christen a ,<br />
Thomas Gasser b<br />
a Dr. med., MHA, Präsident<br />
<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Orthopädie und<br />
Traumatologie (SGOT)<br />
b Prof. Dr. med., Präsident<br />
<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Urologie (SGU)<br />
Korrespondenz:<br />
Geschäftsstelle SGUSSU<br />
15, avenue des Planches<br />
CH1820 Montreux<br />
Tel. 021 963 21 39<br />
Fax 021 963 21 49<br />
office[at]cpconsulting.ch<br />
Ende November hat das Swiss Medical Board Merkblätter<br />
für Patienten zu den Themen der Behandlung<br />
von Kreuzbandläsionen und dem Stellenwert des<br />
PSATestes in der Früherkennung des Prostatakrebses<br />
publiziert.<br />
Die Fachgesellschaften mit der entsprechenden<br />
Kompetenz, die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für<br />
O rthopädie und Traumatologie (SGOT) und die<br />
<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Urologie (SGU),<br />
waren bei der Verfassung der Merkblätter ausgeschlossen.<br />
Diese Vorgehensweise widerspricht der<br />
gut schweizerischen Tradition der Vernehmlassung.<br />
Beide Gesellschaften sind von der mangelhaften<br />
Qualität der Merkblätter enttäuscht.<br />
Es besteht nämlich ein erheblicher Unterschied<br />
zwischen einer reinen Literaturanalyse durch einen<br />
fachfremden Expertenrat (wie sie das Medical Board<br />
durchgeführt und publiziert hat) und der Beratung<br />
des einzelnen Betroffenen.<br />
Die Merkblätter wären sonst nicht so unausgewogen,<br />
unvollständig und an den Bedürfnissen<br />
der Patienten vorbeizielend ausgefallen. Wichtige<br />
Aspekte wurden – bewusst oder unbewusst – ausgelassen.<br />
Entsprechend werden die Merkblätter nichts<br />
zur Verminderung der Verunsicherung beitragen –<br />
im Gegenteil.<br />
Die SGOTSSOT und die SGUSSU lehnen die<br />
Merkblätter deshalb ab, raten ihren Mitgliedern, sie<br />
nicht zu verwenden, und ersuchen die Ärzteschaft,<br />
dasselbe zu tun. Patientenorganisationen werden<br />
eingeladen, die Merkblätter ebenfalls nicht zu verwenden.<br />
Antwort auf den offenen Brief von SGOT und SGU<br />
zu den Merkblättern des Swiss Medical Board<br />
Christoph Bosshard a ,<br />
Peter Suter b<br />
a Dr. med., Mitglied des<br />
Zentralvorstands der FMH,<br />
Verantwortlicher Ressort<br />
Daten, Demographie und<br />
Qualität<br />
b Prof. Dr. med., Vizepräsident<br />
<strong>Schweizerische</strong> Akademie<br />
der Medizinischen Wissenschaften<br />
(SAMW)<br />
In der vorliegenden Stellungnahme seitens zweier<br />
betroffener Fachgesellschaften wird zu Arbeiten des<br />
Swiss Medical Boards Stellung genommen – einer<br />
Organisation, die von der FMH und der SAMW mitgetragen<br />
wird. In diesem Zusammenhang erfolgt<br />
von den beiden Verantwortlichen der Vorstände<br />
FMH und der SAMW, die im Vorstand des Trägervereines<br />
des Swiss Medical Boards vertreten sind, eine<br />
Antwort. Wir sind überzeugt, dass die monierten<br />
Punkte durch eine verstärkte Zusammenarbeit verbessert<br />
werden können.<br />
Das Swiss Medical Board ist ein von Verwaltung,<br />
Leistungserbringern und Industrie unabhängiges<br />
Gremium. Seine Aufgabe ist es, diagnostische Verfahren<br />
und therapeutische Interventionen aus der<br />
Sich der Medizin, der Ökonomie, der Ethik und des<br />
Rechts zu analysieren. Es sollen Entscheidungsgrundlagen<br />
für den optimalen Einsatz von medizinischen<br />
Leistungen im Hinblick auf hohe Qualität bei<br />
effizientem RessourcenEinsatz resultieren. Die Trägerschaft<br />
umfasst die GDK, die SAMW, die Regierung<br />
des Fürstentums Liechtenstein und die FMH.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
10
SGOT/SGU ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Die Initiative ging in ihrem Ursprung von der Gesundheitsdirektion<br />
des Kanton Zürich aus, um einen<br />
Beitrag zur Umsetzung der im KVG verankerten<br />
Grundsätze betreffend HTA zu leisten: Der Art. 32<br />
KVG fordert in Abs. 1, dass Leistungen nach Art. 25<br />
31 wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein<br />
müssen. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen<br />
Methoden nachgewiesen sein. Der Abs. 2 von<br />
Art. 32 KVG fordert die periodische Überprüfung der<br />
WZWKriterien der Leistungen.<br />
Der Einbezug der Fachgesellschaften in die Arbeiten<br />
des Swiss Medical Boards erfolgt in Form einer<br />
jährlichen Umfrage betreffend zu bearbeitende<br />
Fragestellungen. Im BearbeitungsProzess werden die<br />
Fachgesellschaften wiederum durch das Swiss Medical<br />
Board um Ernennung von Fachexperten ersucht.<br />
Das Swiss Medical Board geht hier davon aus,<br />
dass die von den Fachgesellschaften ernannten Experten<br />
ihre Stellungnahmen in Rücksprache und Information<br />
mit den Fachgesellschaften abgeben. Für<br />
die gute Zusammenarbeit der FMH und SAMW mit<br />
dem Swiss Medical Board und auch eine erhöhte<br />
Transparenz gegenüber unserer Basis ist es wichtig<br />
und auch im Vorstand des Trägervereins an seiner<br />
Sitzung vom November 2012 unbestritten geblieben,<br />
dass zukünftig die Stakeholder – neben den Fachgesellschaften<br />
sind dies auch Spitäler, Versicherungen,<br />
Patientenorganisationen oder Pharmafirmen – vor<br />
der definitiven Berichtfassung durch ein Vernehmlassungsverfahren<br />
einzubeziehen sind. Da die Sichtweise<br />
des Swiss Medical Boards aufgrund seiner Zielsetzungen<br />
nicht nur auf rein medizinische Aspekte<br />
fokussiert, wird es zur Sichtweise der Fachgesellschaften<br />
und der anderen Stakeholder wohl zwangsläufig<br />
Differenzen geben. Wir erinnern hier gerne an<br />
die im Editorial der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />
48/2012 [1] dargelegte Geschichte mit den sechs<br />
Blinden, die einen Elefanten beschreiben sollten.<br />
Wir müssen unsere Sichtweisen austauschen, indem<br />
wir einander zuhören und auch Stellung beziehen<br />
können.<br />
FMH und SAMW sind zurzeit daran, zusammen<br />
mit den anderen Trägern des Swiss Medical Boards<br />
die Bearbeitungsprozesse in oben skizziertem Sinne<br />
zu diskutieren und Anpassungsvorschläge zu unterbreiten.<br />
Auf der Homepage (www.swissmedicalboard.ch)<br />
sind weitere Informationen zum Swiss Medical<br />
Board zu finden.<br />
Literatur<br />
1 Bosshard C. Die SAQM – der sechste Sinn der<br />
Ärzteschaft. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(48):1775.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 11
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
«A useful criterion in determining acceptable activities<br />
and relationships is: would you be willing to have these<br />
arrangements generally known?»<br />
(Guidelines of the American College of Physicians, 1990)<br />
Richtlinien der <strong>Schweizerische</strong>n Akademie der Medizinischen Wissenschaften*<br />
Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie<br />
<strong>Schweizerische</strong> Akademie<br />
der Medizinischen Wissenschaften<br />
* Vom Senat genehmigt am<br />
29. November 2012.<br />
Diese Richtlinien ersetzen<br />
die Richtlinien der SAMW<br />
zur «Zusammenarbeit<br />
Ärzteschaft–Industrie»<br />
von 2006.<br />
Die deutsche Fassung ist die<br />
Stammversion.<br />
1 Im Interesse der leichteren<br />
Lesbarkeit des Textes wird<br />
im Folgenden durchwegs die<br />
männliche Bezeichnung von<br />
Personen verwendet.<br />
Die entsprechenden Texte<br />
betreffen immer auch die<br />
weiblichen Angehörigen<br />
der genannten Personengruppen.<br />
2 www.samw.ch/de/Portraet/<br />
Kommissionen/Beratende-<br />
Kommission.html<br />
3 Swissmedic <strong>als</strong> zuständige<br />
Vollzugsbehörde publizierte<br />
in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
<strong>Ärztezeitung</strong> einen<br />
ergänzenden Beitrag zu ihrer<br />
Auslegung des Vorteilsverbots<br />
von Art. 33 HMG (www.<br />
saez.ch/docs/saez/archiv/<br />
de/2007/2007-39/2007-39-<br />
416.<strong>PDF</strong>).<br />
Korrespondenz:<br />
<strong>Schweizerische</strong> Akademie der<br />
Medizinischen Wissenschaften<br />
Petersplatz 13<br />
CH-4051 Basel<br />
Tel. 061 269 90 30<br />
Fax 061 269 90 39<br />
mail[at]samw.ch<br />
www.samw.ch<br />
Präambel<br />
Die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten [1]<br />
mit der Industrie ist seit langem etabliert. Sie liegt<br />
grundsätzlich im Interesse einer guten Gesundheitsversorgung<br />
und trägt vielfach zu einer Mehrung des<br />
Wissens bei. Diese Zusammenarbeit kann Interessenkonflikte<br />
und Abhängigkeiten mit sich bringen<br />
oder in Ausnahmefällen zu Konflikten mit dem<br />
Gesetz führen.<br />
Interessenkonflikte können materieller, psychologischer<br />
oder sozialer Natur sein. Sie sind nicht eine<br />
Folge eines bestimmten Handelns oder Unterlassens.<br />
Es ist dabei auch nicht entscheidend, ob sich eine<br />
Person in einer bestimmten Situation beeinflusst<br />
fühlt.<br />
Die SAMW veröffentlichte 2002 erstm<strong>als</strong> «Empfehlungen<br />
zur Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie».<br />
Sie wurden 2005 teilrevidiert und in «Richtlinien»<br />
umbenannt, die ab 2006 galten. Diese Richtlinien<br />
flossen dam<strong>als</strong> in die Standesordnung der<br />
FMH ein. Ausserdem setzte die SAMW dam<strong>als</strong> eine<br />
Beratende Kommission für die Zusammenarbeit<br />
Ärzte schaft-Industrie ein [2]. Diese begleitete seither<br />
die praktische Anwendung und Interpretation der<br />
Richtlinien [3].<br />
In der Praxis wurden weiterer Präzisierungsbedarf<br />
und Lücken festgestellt. Daher beschloss die<br />
SAMW 2012, die Richtlinien zu revidieren. Neben<br />
der Überarbeitung und Ergänzung verschiedener Abschnitte<br />
wurde insbesondere das Kapitel «Expertentätigkeit»<br />
hinzugefügt.<br />
Die Richtlinien gelten für die Beziehungen der<br />
Ärzteschaft mit Zulieferern auf dem Gesundheitsmarkt,<br />
d. h. insbesondere mit Unternehmen der<br />
Pharma-, der Medizinprodukte- und der IT-Industrie.<br />
Sie sollen dabei zum richtigen Umgang mit Interessenkonflikten<br />
bei der Abgeltung von Leistungen<br />
von Ärzten durch finanzielle oder anderweitige Leistungen<br />
beitragen. Die Richtlinien sollen nicht verbieten,<br />
sondern durch das Empfehlen angemessener<br />
Verhaltensweisen im beruflichen Alltag zur Objektivität<br />
und Qualität der genannten Tätigkeiten, zur<br />
Transparenz, zur Vermeidung von Abhängigkeiten<br />
und zum bewussten Umgang mit Interessenkonflikten<br />
beitragen.<br />
Die SAMW ist sich bewusst, dass solche Richtlinien<br />
nie für alle Einzelfälle direkt anwendbare<br />
Lösungen bieten können. Sie sind in der Praxis von<br />
allen Beteiligten im Sinne ihres Geistes nach bestem<br />
Wissen und Gewissen anzuwenden und einzuhalten.<br />
Deshalb sind die Ärzteschaft und Industrie <strong>als</strong><br />
Partner aufgerufen, ihre Beziehungen in diesem<br />
wohlverstandenen Sinn zu gestalten und wo nötig<br />
zu verbessern.<br />
Grundsätze<br />
Entscheidend ist, dass die Beteiligten bei Interessenkonflikten<br />
nach folgenden Prinzipien vorgehen:<br />
– Trennungsprinzip: Ärztliches Handeln insbesondere<br />
gegenüber Patienten muss von versprochenen<br />
oder erhaltenen geldwerten Leistungen oder<br />
Vorteilen unabhängig sein. Die entsprechenden<br />
Vorgänge und Abläufe sind klar voneinander zu<br />
trennen.<br />
– Transparenzprinzip: Versprochene oder erhaltene<br />
geldwerte Leistungen oder Vorteile, insbesondere<br />
solche ohne direkte Gegenleistung, müssen<br />
offengelegt werden.<br />
– Äquivalenzprinzip: Leistung und Gegenleistung<br />
müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander<br />
stehen.<br />
– Dokumentationsprinzip: Alle Leistungen müssen<br />
schriftlich vereinbart werden. Dabei wird detailliert<br />
festgelegt, welcher Art die Leistung und das<br />
Entgelt dafür sind und welche Leistungen zu welchem<br />
Zweck konkret erbracht werden. Betreffen<br />
solche Vereinbarungen Mitarbeitende von Institutionen<br />
im Gesundheitswesen, so sind sie von<br />
deren Arbeitgeber oder Vorgesetzten zu genehmigen.<br />
– Vier-Augen-Prinzip: Wichtige Entscheidungen<br />
sollten nicht von einer einzelnen Person getroffen<br />
werden dürfen. Ziel ist es, das Risiko von Fehlern<br />
und Missbrauch zu reduzieren. Alle Verträge<br />
und finanziellen Transaktionen werden von<br />
2 Personen jeder Institution unterzeichnet.<br />
– Kontentrennungsprinzip: Drittmittel für Forschung<br />
und Lehre sind jeweils separat zu führen. Alle<br />
diesbezüglichen Transaktionen müssen transparent<br />
und revisionsfähig sein.<br />
Die Offenlegung von Interessenkonflikten bei der<br />
Zusammenarbeit von Ärzten mit der Industrie ist ein<br />
notwendiger erster Schritt zum richtigen Umgang<br />
damit. Für Ärzte in Forschung, Klinik und Praxis<br />
geht es dabei nicht nur um Rechtsfragen, sondern<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
12
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
4 Humanforschungsgesetz<br />
(HFG), Heilmittelgesetz<br />
(HMG), Leitlinien «Good<br />
Clinical Practice» (GCP).<br />
5 Zusätzlich muss gemäss<br />
Art. 9 Abs. 2 Humanforschungsgesetz<br />
Bst. l VKlin<br />
die Prüferin oder der Prüfer<br />
über die erforderliche<br />
Ausbildung oder Erfahrung<br />
in der Guten Praxis der<br />
klinischen Versuche<br />
verfügen.<br />
6 Die Registrierung<br />
klinischer Versuche wird<br />
ab Inkrafttreten des<br />
Humanforschungsgesetzes<br />
samt Verordnungen dazu<br />
vorgeschrieben sein.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
auch um ihre Berufsethik. Indem sich die Ärzteschaft<br />
selber Leitplanken gibt, mit denen die staatlichen<br />
Vorschriften durch eigenverantwortliche Verhaltensregeln<br />
präzisiert und ergänzt werden, unterstreicht<br />
sie ihren Willen zur Unabhängigkeit und<br />
Glaubwürdigkeit ihres Berufsstandes.<br />
I. Klinische Forschung<br />
Einleitung<br />
Die klinische Forschung bezweckt, Erkrankungen des<br />
Menschen auf wissenschaftlicher Basis zu verstehen<br />
und dieses Wissen zur Entwicklung wirksamer Erkennungs-,<br />
Präventions- und Behandlungsmethoden<br />
praxistauglich zu machen. Die klinische Forschung<br />
ist die unabdingbare Grundlage jeglichen Fortschritts<br />
in der Medizin.<br />
Klinische Forschung ist ein komplexer, sich über<br />
mehrere Stufen und Jahre erstreckender Prozess zur<br />
Entwicklung neuer, besserer und sicherer präventiver,<br />
diagnostischer und therapeutischer Produkte<br />
und Verfahren; sie wird an Universitäten, Kliniken,<br />
Forschungsinstitutionen und in Arztpraxen durchgeführt.<br />
Die Durchführung klinischer Forschung<br />
richtet sich nach strengen wissenschaftlichen, ethischen<br />
und rechtlichen Anforderungen, vor allem zur<br />
Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen<br />
(vgl. Anhang).<br />
Die Zusammenarbeit klinischer Forscher mit der<br />
Industrie oder mit von ihr beauftragten Forschungsinstituten<br />
ist in vielen Bereichen eine wichtige Voraussetzung<br />
für innovative Forschung. Die Aussicht,<br />
mit einem Versuch oder dessen Ergebnissen finanzielle<br />
Vorteile oder Bekanntheit zu erlangen, kann<br />
Forscher jedoch dazu verleiten, bei der Planung,<br />
Durchführung oder Auswertung eines Versuches<br />
i nkorrekt zu handeln. Die zur Gewährleistung der<br />
Qualität der Forschungsvorhaben und zum Schutz<br />
der darin einbezogenen Versuchspersonen geltenden<br />
Regeln [4] bedürfen deshalb der Ergänzung<br />
durch Richtlinien, die zur Objektivität der Forschung,<br />
zur Vermeidung von Abhängigkeiten und<br />
zum bewussten Umgang mit Interessenkonflikten<br />
beitragen.<br />
Richtlinien<br />
1. Klinische Forschung orientiert sich an<br />
wissenschaftlichen und ethischen Standards<br />
Klinische Forschung muss den jeweils aktuellen wissenschaftlichen<br />
und ethischen Anforderungen, den<br />
gesetzlichen Vorschriften und den international anerkannten<br />
Grundsätzen der «Good Clinical Practice»<br />
(GCP) bzw. «Guten Praxis der Klinischen Versuche»<br />
[5] entsprechen. Forschende verfügen von Gesetzes<br />
wegen über eine ihrer Funktion und Verantwortung<br />
im Forschungsprojekt entsprechende GCP-Ausbildung.<br />
2. Institutionen, die klinische Forschung<br />
betreiben, evaluieren regelmässig<br />
deren Qualität<br />
Die wissenschaftliche Qualität klinischer Versuche<br />
ist aufgrund ihrer Originalität und Methodik sowie<br />
ihrer Resultate (einschliesslich der Offenlegung<br />
negativer Ergebnisse) zu beurteilen. Zu berücksichtigen<br />
sind dabei die Qualität der Publikation und die<br />
B edeutung der aus der Forschung resultierenden<br />
Erkenntnisse.<br />
3. Alle klinischen Versuche werden in einem<br />
öffentlich zugänglichen Register erfasst<br />
Die Erfassung bezweckt insbesondere,<br />
– die korrekte und vollständige Veröffentlichung<br />
der Ergebnisse zu gewährleisten,<br />
– dass Protokolländerungen wissenschaftlich nachvollziehbar<br />
und begründet sind, und<br />
– nachträgliche, GCP-widrige Veränderungen am<br />
Versuchsprotokoll zu erkennen.<br />
Dem Register sollen die relevanten Kenngrössen zu<br />
einem Versuch entnommen werden können [6].<br />
4. Der verantwortliche Forscher und seine<br />
Mitarbeiter haben kein finanzielles Interesse<br />
am Versuch oder dessen Ergebnis<br />
Die an einem Versuch beteiligten Forscher legen<br />
gegenüber der Institution, an der sie tätig sind, ihre<br />
mit dieser Beteiligung verbundenen finanziellen<br />
Interessen offen. Insbesondere dürfen der für einen<br />
Versuch verantwortliche Forscher und seine Mitarbeiter<br />
nicht gleichzeitig Inhaber, Teilhaber, Verwaltungsrat<br />
oder bedeutender Aktionär eines Unternehmens<br />
sein, welches das zu prüfende Verfahren<br />
anwendet oder das zu prüfende Produkt herstellt<br />
oder vertreibt. Begründete Ausnahmen von dieser<br />
Regelung müssen von der Institution, an der die Forscher<br />
tätig sind, bewilligt werden.<br />
5. Die Durchführung und Finanzierung<br />
von Versuchen werden vertraglich geregelt<br />
Jeder Versuch, der im Auftrag eines Dritten (der damit<br />
zum Sponsor wird) durchgeführt und von diesem<br />
finanziert wird, ist in einem schriftlichen Vertrag geregelt.<br />
Der Vertrag ist durch den verantwortlichen<br />
Forscher und, wo zutreffend, durch den zuständigen<br />
Vertreter der Institution, für die der Forscher tätig ist,<br />
sowie durch den Sponsor zu unterzeichnen.<br />
Im Vertrag sind festzuhalten:<br />
– der klinische Versuch, der Gegenstand des Vertrags<br />
ist;<br />
– die gegenseitigen Pflichten und Verantwortlichkeiten;<br />
– die Leistungen und Gegenleistungen bei der<br />
Durchführung des Versuchs;<br />
– die Abgeltung, wobei deren Höhe der tatsächlich<br />
erbrachten Leistung angemessen sein soll;<br />
– der uneingeschränkte Zugang des verantwort-<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 13
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
lichen Forschers zu allen für die Durchführung<br />
des Versuchs und zum Schutz der beteiligten Versuchspersonen<br />
relevanten Daten;<br />
– der Zugang zu den statistischen Auswertungen;<br />
– die Pflicht, die Versuchsergebnisse zu veröffentlichen<br />
oder öffentlich zugänglich zu machen;<br />
– die Gewährleistung der Publikationsfreiheit des<br />
Forschers;<br />
– die Voraussetzungen, unter denen der Versuch<br />
gegebenenfalls abgebrochen werden kann oder<br />
muss;<br />
– die Sicherstellung der Haftung bei Schäden, die<br />
aus dem klinischen Versuch entstehen können;<br />
– die Rechte an der späteren Nutzung der Daten<br />
bzw. Versuchsergebnisse.<br />
6. Die Abgeltung von Versuchen,<br />
die an Institutionen durchgeführt werden,<br />
geht an institutionelle Drittmittelkonten<br />
Alle von Sponsoren im Zusammenhang mit klinischen<br />
Versuchen erbrachten finanziellen Leistungen<br />
werden auf dafür bestimmte Konten verbucht. Die<br />
Institution (Universität, Departement, Klinik, Stiftung<br />
u. a.), für welche der verantwortliche Forscher<br />
tätig ist, regelt den Zugriff auf diese Konten.<br />
7. Bei der Publikation einer wissenschaftlichen<br />
Arbeit zeichnen diejenigen Forschenden <strong>als</strong><br />
Autoren verantwortlich, die einen wesentlichen<br />
Beitrag dazu geleistet haben<br />
In der Publikation soll <strong>als</strong> Autor genannt werden, wer<br />
an der Planung, Datensammlung, Auswertung und/<br />
oder Manuskript-Erstellung massgeblich beteiligt war.<br />
Wenn Drittpersonen (sog. Medical Writers) an der Publikation<br />
mitwirken, sind sie namentlich aufzuführen<br />
und ihre allfällige Verbindung zu einem industriellen<br />
oder anderen Sponsor offenzulegen. Gefälligkeitsautorschaft<br />
(sog. «guest authors») ist nicht statthaft.<br />
Die Mitwirkung von «Ghost Writers», die in der<br />
Publikation nicht <strong>als</strong> mitwirkende Drittpersonen<br />
aufgeführt werden, ist nicht akzeptabel.<br />
8. Bei der Publikation und Präsentation von<br />
Ergebnissen eines Versuchs ist dessen finanzielle<br />
oder materielle Unterstützung offenzulegen<br />
In den Publikationen von Versuchsergebnissen ist in<br />
einer Anmerkung oder Fussnote für die Leserschaft<br />
deutlich erkennbar zu machen, wer den Versuch<br />
finanziert hat. Bei der Vorstellung von Versuchsergebnissen<br />
an Vorträgen, Kongressen und dergleichen ist<br />
deutlich auf diese Tatsache hinzuweisen; ebenso sind<br />
allfällige Interessenbindungen der Autoren offenzu-<br />
legen.<br />
9. Die Interpretation der Ergebnisse eines<br />
Versuchs muss von den Interessen desjenigen<br />
unabhängig sein, der ihn finanziell oder<br />
materiell unterstützt<br />
Bei der Interpretation von Versuchsergebnissen in<br />
Publikationen und bei Präsentationen sind Interes-<br />
senkonflikte zu vermeiden. Der verantwortliche Forscher<br />
muss deshalb besondere Sorgfalt darauf verwenden,<br />
– die im Versuch festgestellten erwünschten und<br />
unerwünschten Wirkungen eines Produktes oder<br />
Verfahrens tatsachengetreu zu dokumentieren<br />
und kritisch zu diskutieren;<br />
– das Kosten-Nutzen-Verhältnis des geprüften Produktes<br />
oder Verfahrens möglichst objektiv darzustellen.<br />
10. Forscher wirken nicht mit beim Marketing<br />
von Produkten, an deren Prüfung sie beteiligt<br />
waren<br />
Für einen Versuch verantwortliche oder daran beteiligte<br />
Forscher dürfen ihre Unabhängigkeit und<br />
Glaubwürdigkeit nicht in Frage stellen, indem sie<br />
sich an Marketingaktionen für das geprüfte Produkt<br />
oder Verfahren beteiligen.<br />
II. Aus-, Weiter- und Fortbildung<br />
Einleitung<br />
Der Medizin stehen immer mehr diagnostische und<br />
therapeutische Mittel zur Verfügung. Die Aus-, Weiter-<br />
und Fortbildung der Ärzte muss sich dieser Entwicklung<br />
laufend anpassen. Die Fortbildung soll den Teilnehmern<br />
objektive und ausgewogene, für die Betreuung<br />
der Patienten nützliche und notwendige<br />
Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln;<br />
sie ist eine Voraussetzung für eine angemessene Ausübung<br />
der ärztlichen Tätigkeit.<br />
Die gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung bedeutet<br />
für die Ärzte eine erhebliche zusätzliche Leistung.<br />
In Betracht fallen der finanzielle Aufwand für<br />
die Fortbildungsveranstaltungen sowie der Arbeitszeit-<br />
und Einnahmenausfall. Die Finanzierung dieser<br />
Kosten ist weder für die Spitäler noch für die praktizierenden<br />
Ärzte sichergestellt. Neues Wissen stellt<br />
eine Bereicherung der ärztlichen Tätigkeit dar und<br />
liegt demnach im Interesse des einzelnen Arztes.<br />
Ein bedeutender Teil der Fortbildungsveranstaltungen<br />
wird von der pharmazeutischen Industrie<br />
und der Medizinproduktebranche (in der Folge Industrie<br />
resp. Unternehmen genannt) finanziell unterstützt<br />
(«gesponsert») oder auch organisiert. Dies ist<br />
für viele Ärzte und Institutionen zur Selbstverständlichkeit<br />
geworden, kann aber zu Abhängigkeiten<br />
und Interessenkonflikten führen. Deshalb sind auch<br />
für diesen Bereich Leitplanken sinnvoll.<br />
In der medizinischen Ausbildung und in der<br />
Weiterbildung gelten in Bezug auf die Unterstützung<br />
durch die Industrie die gleichen Überlegungen wie<br />
bei der Fortbildung.<br />
Richtlinien<br />
1. Den Antrag auf Anerkennung einer Fortbildungsveranstaltung<br />
bei den zuständigen<br />
Organen (Fachgesellschaften, kantonale Ärzte <br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 14
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
7 www.fmh.ch/files/pdf6/<br />
fbo_d.pdf<br />
8 www.fmh.ch/bildung-siwf.<br />
html<br />
9 International Nonproprietary<br />
Names for pharmaceutical<br />
substances (INN) /<br />
Dénominations communes<br />
internationales des<br />
Substances pharmaceutiques<br />
(DCI) (www.who.<br />
int/medicines/services/<br />
inn/en/)<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
gesellschaften, SIWF) stellen die veranstaltenden<br />
Ärzte oder die ärztlichen Fachgremien<br />
Es ist Aufgabe des Veranstalters, die Anerkennung<br />
der Fortbildung bei der zuständigen Fachgesellschaft<br />
zu beantragen. Eine Anerkennung wird nur für Fortbildungen<br />
gewährt, die den vorliegenden Richtlinien<br />
vollumfänglich genügen. Veranstaltungen orientieren<br />
sich an den Zielen der Fortbildungsordnung (FBO)<br />
[7] des <strong>Schweizerische</strong>n Instituts für ärztliche Weiter-<br />
und Fortbildung (SIWF) [8] sowie den Fortbildungsprogrammen<br />
der Fachgesellschaften.<br />
2. Fortbildungsveranstaltungen werden nur<br />
anerkannt, wenn Inhalt und Ablauf durch Ärzte<br />
bzw. ärztliche Fachgremien bestimmt oder<br />
entscheidend mitbestimmt werden<br />
Dafür gelten namentlich folgende Bedingungen:<br />
– Veranstalter sind im jeweiligen Fachgebiet kompetente<br />
Organisationen, Institutionen oder Personen<br />
und nicht die Industrie.<br />
– Fortbildungsveranstaltungen sollten durch die<br />
Teilnehmerbeiträge und die veranstaltende Institution<br />
finanziert werden. Bedarf es weiterer<br />
finanzieller Unterstützung durch Sponsoren, so<br />
sind dafür mehrere, voneinander unabhängige<br />
Unternehmen vorzusehen.<br />
– Es wird in der Regel eine Teilnahmegebühr erhoben.<br />
Bei kürzeren (halbtägigen) Fortbildungsveranstaltungen<br />
kann darauf verzichtet werden.<br />
– Die Vereinbarungen zwischen Veranstalter und<br />
Sponsoren sind schriftlich festgehalten.<br />
– Die Veranstalter und nicht die Sponsoren bestimmen<br />
das Programm (Inhalt und Ablauf) und<br />
wählen die Referenten aus. Von Sponsoren veranstaltete<br />
Satelliten-Symposien sind <strong>als</strong> solche<br />
zu bezeichnen, auf Randzeiten zu legen, und<br />
werden nicht <strong>als</strong> Fortbildung anerkannt.<br />
– Die Teilnehmer sollen Gelegenheit haben, Fortbildungsveranstaltungen<br />
zu evaluieren.<br />
– Ein allfälliges Rahmenprogramm ist von deutlich<br />
untergeordneter Bedeutung. Rahmenprogramm<br />
und Fachteil müssen klar getrennt sein.<br />
– Die Zusage von Credits für eine Fortbildungsveranstaltung<br />
muss vor dem Versand der Einladung<br />
dazu geklärt sein. Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen<br />
mit dem Hinweisen wie «Credits<br />
beantragt» sind nicht zulässig. Die Beantwortung<br />
von Credits-Anfragen durch die zustän digen Organe<br />
sollte innerhalb von vier Wochen erfolgen.<br />
Zur Vermeidung administrativer Umtriebe können<br />
die Fachgesellschaften regelmässig durchgeführte<br />
eigene Fortbildungsveranstaltungen oder solche von<br />
Spitälern oder Spitalabteilungen en bloc oder im<br />
Voraus anerkennen; Voraussetzung dafür ist die<br />
schriftliche Zusicherung der betreffenden Fachgesellschaft<br />
oder der Spitäler und Spitalabteilun-<br />
gen, dass diese Fortbildungsveranstaltungen den<br />
Anforderungen der vorliegenden Richtlinien entsprechen.<br />
3. Die Möglichkeiten der Prävention, Diagnose<br />
und Therapie werden grundsätzlich nach den<br />
Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EBM)<br />
und unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftlichkeit<br />
dargestellt<br />
Die Themen sollen objektiv nach dem aktuellen<br />
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und von<br />
verschiedenen Seiten her (interdisziplinär) behandelt<br />
werden. Die Diagnose- und Therapiemöglichkeiten<br />
sollen vollständig und grundsätzlich nach<br />
den Kriterien der EBM dargestellt werden.<br />
4. Stehen für die besprochene Prävention, Dia<br />
gnose oder Therapie mehrere wirksame Arz neimittel,<br />
Medizinprodukte oder Verfahren zur Ver<br />
fügung, so ist ein objektiver Vergleich anzustreben<br />
In den Referaten werden Arzneimittel grundsätzlich<br />
mit der international anerkannten Wirkstoffbezeichnung<br />
[9] erwähnt.<br />
5. Finanzielle Mittel aus dem Sponsoring<br />
werden auf ein dafür bestimmtes Konto des<br />
Veranstalters (Universität, Institution, Stiftung,<br />
Fachgesellschaft, regionale Ärztevereinigung<br />
usw.) verbucht und für die Organisation von<br />
Fortbildungsveranstaltungen, Honorierung<br />
der Referenten und deren Spesen verwendet<br />
In Spitälern stattfindende ganz- oder mehrtägige<br />
Fortbildungsveranstaltungen, die von der Industrie<br />
unterstützt werden, sind von der dafür zuständigen<br />
Stelle zu genehmigen.<br />
Die Kontrolle der Finanzen ist Sache der Veranstalter.<br />
Den Sponsoren und den Fachgesellschaften<br />
sind Budget und Rechnung auf Anfrage vorzulegen.<br />
6. Die an Fortbildungsveranstaltungen <strong>als</strong><br />
Zuhörer (d. h. ohne Präsentation, Poster, Referat,<br />
Sitzungsleitung o. ä.) teilnehmenden Ärzte<br />
leisten eine angemessene Kostenbeteiligung<br />
Im Interesse ihrer Unabhängigkeit bezahlen die Teilnehmer<br />
einer Fortbildungsveranstaltung oder deren<br />
Arbeitgeber einen angemessenen Beitrag an die Kosten<br />
für Teilnahmegebühr, Reise und Unterkunft, d. h.<br />
in der Regel mindestens ein Drittel dieser Kosten.<br />
Die ganze oder teilweise Rückerstattung der Kostenbeteiligung<br />
und/oder eine Vergütung der indirekten<br />
Kosten eines Teilnehmers (Arbeitszeit- oder Einkommensausfall)<br />
durch einen Sponsor sind nicht zulässig.<br />
Angestellte Ärzte, deren Teilnahme an einer Veranstaltung<br />
ein Unternehmen finanziell unterstützen will,<br />
informieren ihre vorgesetzte Stelle über den Umfang<br />
der Unterstützung und den Sponsor. Bei Ärzten in Weiterbildung<br />
ergeht die Einladung in der Regel an die Institution,<br />
und diese entscheidet über die Teilnahme.<br />
Die Kosten für zusätzliche Hotelaufenthalte, Reisen<br />
oder andere Aktivitäten, die mit der Veranstaltung<br />
keinen inhaltlichen Zusammenhang haben,<br />
gehen vollumfänglich zulasten der Teilnehmer bzw.<br />
allfälliger Begleitpersonen.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 15
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
7. Referenten und Organisatoren legen allfällige<br />
persönliche oder institutionelle kommerzielle<br />
Interessen, finanzielle Verbindungen zum<br />
Sponsor, Beratertätigkeit im Auftrag des Sponsors<br />
oder Forschungsunterstützung durch<br />
den Sponsor offen<br />
Referentenhonorare sollen angemessen sein.<br />
Im Programm und in den Unterlagen einer Veranstaltung<br />
werden alle Sponsoren aufgeführt.<br />
Referenten legen ihre Interessenbindungen dem<br />
Veranstalter, der Fachgesellschaft sowie vor Beginn<br />
ihrer Präsentation den Teilnehmern auf geeignete<br />
Weise offen.<br />
8. Schaffen Medizinische Fakultäten bzw. deren<br />
Universitäten eine Lehr und/oder Forschungsstelle<br />
(Professur), die durch Unternehmen oder<br />
andere Drittmittel finanziert wird, so bestimmen<br />
sie schriftlich die Rahmenbedingungen dafür<br />
Dabei ist die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung<br />
zu gewährleisten.<br />
9. Die Medizinischen Fakultäten sorgen dafür,<br />
dass unangemessene Interaktionen zwischen<br />
Medizinstudierenden und<br />
IndustrieUnter nehmen unterbleiben<br />
Die Fakultäten achten insbesondere darauf, dass<br />
Studierende während ihrer Ausbildung und im weiteren<br />
Zusammenhang damit nicht von Industrieunternehmen<br />
mit Geschenken, anderweitigen geldwerten<br />
Vorteilen oder sonst in ungebührlicher Weise beeinflusst<br />
werden. Zudem sensibilisieren sie die Studierenden<br />
für mögliche Interessenkonflikte bei der Zusammenarbeit<br />
Ärzteschaft-Industrie.<br />
10. Die Kaderärzte von Spitälern achten darauf,<br />
dass Kontakte von Industrievertretern mit<br />
Spitalpersonal in einem institutionellen Rahmen<br />
stattfinden<br />
Kontakte zwischen Industrievertretern und Spitalpersonal,<br />
insbesondere Assistenzärzten, sollen in der<br />
Regel in den Räumen des Spit<strong>als</strong> stattfinden. Die<br />
K aderärzte achten darauf, über solche Kontakte und<br />
deren Inhalt informiert zu werden.<br />
III. Expertentätigkeit<br />
Einleitung<br />
Ärzte werden beigezogen, wenn es spezifische medizinische<br />
Fragen zu bearbeiten gibt, zu deren Beantwortung<br />
ihre Expertise unerlässlich ist. Die entsprechenden<br />
Anfragen stammen von unterschiedlichen<br />
Seiten. Beispiele dafür sind folgende: Eine staatliche<br />
Behörde will eine Empfehlung zum Gesundheitsverhalten<br />
veröffentlichen; ein Industrieunternehmen<br />
will eine Forschungsfrage bearbeiten oder ein neues<br />
Produkt lancieren; oder eine Fachgesellschaft will<br />
Guidelines ausarbeiten. Dabei können immer Interessenkonflikte<br />
entstehen.<br />
Richtlinien<br />
1. Im Hinblick auf die Mitarbeit in einem<br />
Advisory Board (oder einem ähnlichen Gremium,<br />
siehe Glossar) sollen Bedarf und Begründung<br />
für eine solche Beratungstätigkeit geklärt<br />
werden<br />
Zu prüfen ist namentlich:<br />
– ob der Zweck der Beratung klar umschrieben und<br />
gerechtfertigt ist; zu vermeiden sind namentlich<br />
Advisory Boards für Marketingzwecke;<br />
– Dauer und Begründung der Beratungstätigkeit;<br />
– ob die eigene fachliche Kompetenz hinreicht,<br />
um sich zum Beratungsgegenstand glaubwürdig<br />
äussern zu können;<br />
– ob Interessenkonflikte bestehen;<br />
– aufgrund welcher Kriterien die Auswahl von<br />
Experten (inkl. Anzahl) erfolgt.<br />
Gegebenenfalls ist auf die Teilnahme an einem<br />
Advisory Board zu verzichten.<br />
2. Eine Beratungsleistung erfolgt grundsätz<br />
lich auf Basis eines Vertrags, der insbesondere<br />
Art, Zweck und Umfang der Beratungsleistung,<br />
das Honorar, die Unabhängigkeit des Experten<br />
sowie Transparenzbestimmungen dokumentiert<br />
3. Die Höhe des Honorars, die für die Tätigkeit<br />
in einem Advisory Board oder ähnlichen<br />
Gremium vereinbart wird, soll der erbrachten<br />
Leistung entsprechen<br />
4. Mitglieder von Gremien, die für die Ausarbeitung<br />
von Guidelines oder Leitlinien zuständig<br />
sind, legen zu Beginn und danach periodisch<br />
ihre Interessenkonflikte offen; diese Angaben<br />
werden zusammen mit den Guidelines oder<br />
Leitlinien veröffentlicht<br />
5. Ein Arzt beteiligt sich an einer Beobachtungsstudie<br />
oder an einer OnlineBefragung<br />
nur, wenn dabei eine relevante wissenschaftliche<br />
Fragestellung bearbeitet wird und es<br />
sich nicht um eine Form von Marketing<br />
handelt<br />
6. Mitglieder von institutionsinternen Gremien,<br />
die für den Einkauf von Heilmitteln zuständig<br />
sind, müssen ihre Interessenbindungen<br />
offenlegen<br />
Bei absehbaren Interessenkonflikten soll das betreffende<br />
Mitglied am Entscheid nicht mitwirken.<br />
7. Experten und «Opinion Leaders» lassen<br />
sich nicht <strong>als</strong> Autoren auf Publikationen setzen,<br />
an denen sie nicht massgeblich beteiligt<br />
waren und für deren Inhalt sie nicht vollumfänglich<br />
bürgen können (keine sog.<br />
«guest authors»)<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 16
SAMW WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
IV. Annahme von Geld- oder Naturalleistungen<br />
Einleitung<br />
Artikel 38 der FMH-Standesordnung hält fest, dass<br />
«die Annahme von Geschenken […] oder von anderen<br />
Vorteilen […] von Dritten, die den Arzt oder die Ärztin<br />
in ihren ärztlichen Entscheidungen beeinflussen können<br />
und das übliche Mass kleiner Anerkennungen<br />
übersteigen, […] unzulässig» ist.<br />
Auch der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang<br />
in verschiedenen Gesetzen Bestimmungen erlassen<br />
(Art.33 Heilmittelgesetz, Art. 56 Abs. 3 Krankenversicherungsgesetz,<br />
Art. 322ter ff. Strafgesetzbuch;<br />
kantonale Bestimmungen). Die folgenden Richtlinien<br />
sind <strong>als</strong> Umsetzungshilfe für die Praxis zu verstehen<br />
und zu beachten.<br />
Richtlinien<br />
1. Ärzte in Klinik, Praxis und Forschung nehmen<br />
von der Industrie keine Geld oder Naturalleistungen<br />
entgegen, die das Mass finanziell unbedeutender<br />
kleiner Anerkennungen übersteigen<br />
An öffentlichen Spitälern ordnen interne Regeln die<br />
Entgegennahme von Geld- oder Naturalleistungen.<br />
Sie bestimmen innerhalb der Institution, welche<br />
Zuwendungen von der vorgesetzten Stelle zu genehmigen<br />
sind und welche ihr nur zu melden sind (z. B.<br />
durch Bezeichnung von Obergrenzen oder durch Erstellen<br />
einer «Positivliste»).<br />
Bei allen grösseren Einkäufen und Aufträgen<br />
braucht es eine Kollektivunterschrift (Vier-Augen-<br />
Prinzip). Die Annahme von Geld- und Naturalleistungen<br />
und das Einkaufswesen der Institution sind strikte<br />
zu trennen.<br />
Alle Vereinbarungen über die Entgegennahme<br />
von Geld- oder Naturalleistungen oberhalb einer institutionsintern<br />
festgelegten Grenze haben schriftlich zu<br />
erfolgen. Diese Vereinbarungen enthalten auch die<br />
Zusicherung, dass keine (mündlichen oder stillschweigenden)<br />
Nebenabsprachen getroffen wurden. Zusätzlich<br />
werden auch die erlaubten Verwendungszwecke<br />
der auf dem Spendenkonto einbezahlten Gelder festgelegt.<br />
Das Verfügungsrecht über das Konto ist institutionsintern<br />
zu regeln.<br />
2. Ärzte gehen mit Gratismustern korrekt<br />
und zweckentsprechend um<br />
Ärzte sollen sich bewusst sein, dass Arzneimittelmuster<br />
das Verschreibungsverhalten beeinflussen.<br />
Anhang<br />
Ein Glossar sowie die relevanten Bestimmungen und<br />
zuständigen Behörden finden sich in der Broschüre<br />
sowie auf der SAMW-Website unter «Ethik» → «Zusammenarbeit<br />
Ärzteschaft – Industrie».<br />
Mitglieder der für die Fassung 2006 verantwortlichen Arbeitsgruppe<br />
Dr. Hermann Amstad, SAMW, Basel; Prof. Christoph Beglinger, Universitätsspital Basel; Prof. Jérôme<br />
Biollaz, Universitätsspital Lausanne; Dr. Max Giger, FMH, Winterthur; Dr. iur. Dieter Grauer, SGCI Chemie<br />
Pharma Schweiz, Zürich; Fürsprecher Hanspeter Kuhn, FMH, Bern; Prof. Urban Laffer, Region<strong>als</strong>pital<br />
Biel; Prof. Thomas Lüscher, UniversitätsSpital Zürich; Dr. iur. Jürg Müller, Rechtsdienst, Universitätsspital<br />
Basel; lic. iur. Michelle Salathé, SAMW, Basel; Prof. Werner Stauffacher, SAMW, Basel; Dr. Urs Strebel,<br />
Kreisspital Männedorf<br />
Mitglieder der auch für die Fassung 2012 verantwortlichen Beratenden Kommission<br />
für die Umsetzung der Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie»<br />
Prof. Walter Reinhart, Chur (Vorsitz); Dr. Gilbert Abetel, Orbe; Prof. Anne-Françoise Allaz, Genf;<br />
Dr. Hermann Amstad, Basel; Prof. Jerôme Biollaz, Lausanne; Dr. iur. Dieter Grauer, scienceindustries,<br />
Zürich; Prof. Hans-Rudolf Koelz, Uitikon Waldegg; Prof. Thomas Lüscher, Zürich; Dr. Christian Marti,<br />
Winterthur; Dr. Alain Michaud, Nyon; Dr. iur. Jürg Müller, Basel; Prof. Reto Obrist, Sierre; Dr. Gert<br />
Printzen, Luzern; Dr. Urs Strebel, Männedorf; Dr. Markus Trutmann, Biel; Fachliche Beratung: Dr. Peter<br />
Kleist, GlaxoSmithKline, Münchenbuchsee<br />
Hinweise zur Ausarbeitung dieser Richtlinien<br />
Die vorliegenden Richtlinien der SAMW treten am 1. Februar 2013 in Kraft; sie ersetzen die analogen<br />
Richtlinien von 2006.<br />
Genehmigung<br />
Genehmigt vom Senat der SAMW am 29. November 2012.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 17
Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />
in Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />
Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />
Urs Brügger<br />
Pierre-François<br />
Cuénoud<br />
Beat Gafner<br />
Heinz Schaad<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Carlo Conti<br />
Margrit Fässler<br />
Oliver Peters<br />
Anna Sax<br />
Die Einführung des Fallpauschalen-Systems Swiss-<br />
DRG und der neuen Spitalfinanzierung per 1. Januar<br />
2012 war von substantiellen Bedenken seitens der<br />
Ärzteschaft und weiterer betroffener Kreise begleitet –<br />
auch eine Moratoriumsforderung stand lange Zeit<br />
im Raum. Vor diesem Hintergrund wurden insbesondere<br />
aus Ärztekreisen eine genaue Beobachtung<br />
der Auswirkungen der Neuerungen und eine fundierte<br />
Begleitforschung gefordert.<br />
Auch wenn der Tenor nach einem Jahr lautet, die<br />
Einführung des neuen Systems sei unproblematischer<br />
erfolgt <strong>als</strong> erwartet, möchte die SÄZ mit einer<br />
Podiumsveranstaltung am Thema dranbleiben und<br />
zu einer differenzierten Zwischenbilanz beitragen.<br />
Diskutieren Sie mit<br />
Wie hat sich die Einführung der SwissDRG und der<br />
neuen Spitalfinanzierung auf die verschiedenen betroffenen<br />
Bereiche ausgewirkt? Was sagt die Begleitforschung<br />
über die Versorgungsqualität? Haben sich die<br />
Arbeitsbedingungen für die Spitalärztinnen und Spitalärzte<br />
verschlechtert? Bekommen die Hausärztinnen<br />
und Hausärzte die Auswirkungen des neuen Systems<br />
zu spüren? Wie sieht die Bilanz aus Sicht der Spitzenmedizin,<br />
speziell der Universitätsspitäler, aus? Wie ist<br />
der Systemwechsel aus ökonomischer Perspektive zu<br />
bewerten? Wird sich die Schweizer Spitallandschaft<br />
mittel- und langfristig grundlegend verändern?<br />
Mit dem Berner Podium möchte die <strong>Schweizerische</strong><br />
<strong>Ärztezeitung</strong> zu einer fundierten Auseinandersetzung<br />
mit diesen und weiteren Fragen rund um das<br />
Impulsreferat und Podium<br />
Die Veranstaltung wird eröffnet mit einem Impulsreferat<br />
von Dr. iur. Carlo Conti, Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK,<br />
Vorsteher des Gesundheitsdepartements Kanton<br />
Basel-Stadt und Verwaltungsrat Swiss DRG AG.<br />
Auf dem Podium diskutieren unter der Leitung von<br />
SÄZ-Redaktorin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA:<br />
– Prof. Dr. oec. HSG Urs Brügger, Institutsleiter<br />
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie<br />
(WIG) an der Zürcher Hochschule für Angewandte<br />
Wissenschaften ZHAW<br />
– Dr. med. Pierre-François Cuénoud, Vizepräsident<br />
der FMH, Verantwortlicher Ressort Tarife<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
Thema SwissDRG / Neue Spitalfinanzierung beitragen.<br />
Der Einbezug des Publikums in die Diskussion<br />
ist zentraler Bestandteil des Konzepts der SÄZ-Podiumsveranstaltungen.<br />
Datum / Zeit / Ort<br />
Die Podiumsveranstaltung mit anschliessendem<br />
Apéro findet statt am Mittwoch, 30. Januar 2013,<br />
18.00–20.00 Uhr, im Empire-Saal des Restaurants<br />
«Zum Äusseren Stand», Zeughausgasse 17, Bern.<br />
Anmeldung<br />
Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung<br />
ist aber erforderlich.<br />
Anmeldungen können bis Montag, 28. Januar<br />
2013, via E-Mail an redaktion.saez[at]emh.ch oder<br />
via Fax an 061 467 85 56 erfolgen. Bitte Ihren Namen<br />
und die Namen allfälliger Begleitpersonen sowie<br />
das Stichwort «Anmeldung zum SÄZ-Podium vom<br />
30. Januar» angeben. Auch tele fonische Anmeldungen<br />
sind vormittags unter 061 467 85 72 möglich.<br />
Veranstaltungspartner<br />
Die Podiumsdiskussion wird in Zusammenarbeit mit<br />
der Ärztegesellschaft des Kantons Bern organisiert.<br />
Die Durchführung des Anlasses wird möglich dank<br />
grosszügiger Unterstützung durch Interpharma, den<br />
Verband der forschenden pharmazeutischen Industrie.<br />
Die Verantwortung für Konzept und Inhalt des<br />
Podiums liegt ausschliesslich bei der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
<strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
und Gesundheitsökonomie Spitalärzte, Verwaltungsrat<br />
SwissDRG AG<br />
– Dr. med. Margrit Fässler, Mitarbeiterin am<br />
Institut für Biomedizinische Ethik der Universität<br />
Zürich im Projekt des <strong>Schweizerische</strong>n Nationalfonds<br />
zur DRG-Begleitforschung<br />
– Dr. med. Beat Gafner, Hausarzt und Präsident<br />
der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
– Oliver Peters, lic. rer. pol., Finanz- und Betriebschef,<br />
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois<br />
CHUV<br />
– Dr. med. Heinz Schaad, Chefarzt Medizin,<br />
Spital Interlaken<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
18
edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />
Briefe an die SÄZ<br />
Sieg der Vernunft<br />
Sehr geehrter Herr Professor Gächter<br />
Ihr Leserbrief betreffend Generika [1] spricht<br />
mir aus dem Herzen. Es hätte gar nie so weit<br />
kommen dürfen. Hier haben Schreibtischtäter<br />
einmal mehr etwas angerichtet, was sehr unheilvoll<br />
ist, und es wäre allerhöchste Zeit, dass dieser<br />
Unsinn abgeschafft würde, auch wenn Ihre<br />
Vorschläge «zu simpel» sind. Ein Sieg der Vernunft<br />
wäre endlich wieder einmal vonnöten!<br />
Dr. med. Urs Rebmann, Hünenberg See / Cham<br />
1 Gächter A. Sind Generika wirklich nötig?<br />
Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(50):1858.<br />
Humanmedizin ist mehr <strong>als</strong><br />
Naturwissenschaft<br />
Zum Leserbrief «Science always wins!» [1]<br />
Dem Leserbrief der Herren Professoren Aguzzi<br />
und Perruchoud nicht zu entgegnen, könnte<br />
<strong>als</strong> stillschweigende Zustimmung missverstanden<br />
werden. Sowohl inhaltlich wie formal muss<br />
ich <strong>als</strong> Präsident der Ärzte mit Fähigkeitsausweis<br />
Homöopathie FMH/SVHA deutlich widersprechen:<br />
Aguzzi und Perruchoud priorisieren Plausibilität<br />
gegenüber Empirie, schränken ihre Wahrnehmungsfähigkeit<br />
<strong>als</strong>o durch Axiome gegenwärtiger<br />
Hochschulmedizin ein.<br />
Medizin ist eine Handlungswissenschaft, die<br />
natur- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse<br />
nutzt, um sie in der Prävention und Behandlung<br />
von Erkrankungen einzusetzen. Wie<br />
viel in «der Medizin» ent- oder widerspricht<br />
Kausalitäten der Naturwissenschaft? Wir verstehen,<br />
dass unerklärliche Tatsachen erhebliche<br />
Verständnisschwierigkeiten verursachen. Gerade<br />
diese Tatsachen spornen uns aber in Forschungsfragen<br />
nach dem folgenden Motto an:<br />
«The greatest obstacle to discovery is not ignorance,<br />
but the illusion of knowledge.» [2]<br />
Wir bedauern, dass die Literaturhinweise unseres<br />
Beitrags kaum Beachtung fanden: Nach<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
strengsten Kriterien konventioneller Medizin<br />
durchgeführte RCTs gaben deutliche Hinweise<br />
für eine spezifische Wirkung homöopathischer<br />
Arzneien [3–5], nicht nur für die Klassische Homöopathie<br />
<strong>als</strong> Therapieverfahren in klinischen<br />
Outcome-Studien [6, 7]. Die Evidenzlage in der<br />
Neuropathologie oder Pneumologie ist uns<br />
nicht bekannt. In der konventionellen Medizin<br />
gibt es gemäss einer aktuellen Übersicht des BMJ<br />
für 50 % von 3000 durch RCTs untersuchte Behandlungen<br />
keine klinische Evidenz [8]. In der<br />
Kardiologie sind 11% und in der Onkologie 6 %<br />
therapeutischer Massnahmen genügend abgesichert<br />
[9, 10].<br />
Den Vorwurf einer Manipulation in der Arbeit<br />
von Kooreman und Baars [11] weisen wir mit aller<br />
Entschiedenheit zurück: Die tägliche Klientel<br />
eines Allgemeinarztes besteht in der Tat aus<br />
«Kraut und Rüben» und eben nicht aus höchst<br />
selektierten, RCT-geeigneten Probanden einer<br />
universitären Einrichtung! Es steht Aguzzi und<br />
Perruchoud frei, das Kosteneffizienz-Ergebnis<br />
(-15,4 % für ärztliche Homöopathie in der<br />
Schweiz) von Studer und Busato [12–14] zu widerlegen<br />
- oder zu reproduzieren.<br />
Wir stimmen den Autoren vollständig zu, dass<br />
gegenwärtig praktizierte evidenzbasierte Medizin<br />
nur unbefriedigende Lösungen für die meisten<br />
chronischen Erkrankungen bieten kann.<br />
Die zu beobachtende Tendenz, den Schwerpunkt<br />
in der Humanmedizin zunehmend auf<br />
die Naturwissenschaften zu reduzieren, führt<br />
unter anderem dazu, dass Studierende der Humanmedizin<br />
vermehrt Kompetenzen in patientenfernen<br />
Bereichen wie Forschung und Verwaltung<br />
aufweisen, <strong>als</strong> praktizierende (Haus-)<br />
Ärzte aber weniger kompetent sind [15].<br />
Wir verurteilen aber entschieden den folgenden<br />
Satz, in dem erstens «selbst gebildeten Laien»<br />
ungenügende Kritikfähigkeit und emotionale<br />
Standfestigkeit unterstellt wird und zweitens<br />
mit Facharzttitel und Fähigkeitsausweis der<br />
FMH doppelt qualifizierte ärztliche Kolleginnen<br />
und Kollegen <strong>als</strong> Scharlatane verurteilt werden.<br />
Nicht nur alltägliche Erfahrung, sondern auch<br />
sorgfältige Untersuchungen zeigen, dass ärztliche<br />
Homöopathie in der Schweiz und in<br />
Deutschland therapeutische, Zufriedenheits-<br />
und Kosten-Vorteile hat [6, 7, 12–14, 16].<br />
Dr. med. Clemens Dietrich, Präsident <strong>Schweizerische</strong>r<br />
Verein Homöopathischer Ärztinnen und Ärzte SVHA<br />
1 Aguzzi A, Perruchoud A. Science always wins.<br />
Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(45):1655.<br />
2 Boorstin DJ. The Discoverers. New York:<br />
Random House;1983.<br />
8 http://clinicalevidence.bmj.com/x/set/static/<br />
cms/efficacy-categorisations.html<br />
(zuletzt aufgerufen am 3.12.2012).<br />
15 Menzi B, Weber N. In der Humanmedizin sind<br />
künftig neue Kompetenzen gefragt. Schweiz<br />
<strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(43):1564–6.<br />
Die Referenzen 3–7, 9–14 und 16 finden sich online<br />
unter www.saez.ch → Archiv → 2013 → 1/2.<br />
Mehr Nachhaltigkeit<br />
in der <strong>Schweizerische</strong>n Drogenpolitik!<br />
Stellungnahme zum Artikel von J. Martin<br />
in SÄZ Nr. 39/2012 [1]<br />
Politische Meinungsäusserungen<br />
des Schweizer Stimmvolkes gegen eine<br />
Legalisierung von Drogen müssen<br />
beachtet werden:<br />
– Am 29. November 1998 verwarf der Souverän<br />
mit 74 % der Stimmen die Droleg-Initiative.<br />
– Am 30. November 2008 lehnten Volk und<br />
Stände die Cannabis-Legalisierungs-Initiative<br />
mit 63,3 % Neinstimmen ab.<br />
– Gleichzeitig sagten 68 % der Bevölkerung<br />
«Ja» zum revidierten Betäubungsmittelgesetz.<br />
– Des weiteren hat die Schweiz das UN-Einheits-Übereinkommen<br />
von 1961 über die<br />
Betäubungsmittel unterzeichnet. Damit<br />
anerkennt der Staat Schweiz bereits in der<br />
Präambel, dass die Betäubungsmittelsucht<br />
eine wirtschaftliche und soziale Gefahr für<br />
die Menschheit darstellt.<br />
Deshalb fordert die <strong>Schweizerische</strong> Vereinigung<br />
Eltern gegen Drogen:<br />
– keine Verharmlosung des verbotenen Betäubungsmittels<br />
Cannabis und dessen Anbau,<br />
Konsum und Handel;<br />
– eine Förderung von Rehabilitationsstätten<br />
und Therapieplätzen, in welchen die sucht-<br />
kranken Menschen auf das Ziel der Abstinenz<br />
hin beraten und behandelt werden.<br />
Angebote müssen klar definiert und auf<br />
die vier Säulen verteilt werden<br />
Leider muss festgestellt werden, dass die unzähligen<br />
Suchthilfe-Angebote teilweise nicht<br />
klaren Zielsetzungen folgen. Beispiele dazu:<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
19
edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />
– Oft werden ambulante Beratungen <strong>als</strong> Therapien<br />
angeführt. Dies bedeutet, dass wohl<br />
die Meinung der Suchtfachleute darin besteht,<br />
dass Suchtkranke durch Gespräche<br />
geheilt würden;<br />
– abstinenzorientierte Therapie, diese gleichwertige<br />
Säule wird sträflich vernachlässigt;<br />
– die Vermischung von ambulanten und stationären<br />
Entzugs- und Entwöhnungsprogrammen<br />
ist nicht zielführend;<br />
– die Methadonprogramme müssten eigentlich,<br />
so wie sie heute durchgeführt werden, nicht<br />
mehr zur Therapie, sondern zu der Schadensminderung<br />
gezählt werden.<br />
– dasselbe gilt für die Heroinabgabeprogramme,<br />
denn hier zeigt sich, dass bei konstanter<br />
Zahl der Teilnehmenden statt einer Dosissenkung<br />
eine Dosissteigerung von 2008 bis<br />
2010 um 4,8 % stattgefunden hat.<br />
– Angesichts der knappen Finanzen ist es<br />
angezeigt, die Zuordnung zu den Säulen<br />
und die Zielsetzung im Hinblick auf Kosten<br />
und Nutzen der Massnahmen genau unter<br />
die Lupe zu nehmen.<br />
Neue Untersuchungen zur Wirkung<br />
der Suchtmittel sind in die Überlegungen<br />
einzubeziehen<br />
– So stützen aktuelle Studien die Aufteilung<br />
in illegale und legale Suchtmittel. Substanzen,<br />
die schon bei kleinen Mengen auf den<br />
Menschen sowohl gesundheitsschädigend,<br />
rauscherzeugend wie auch abhängig machend<br />
wirken, gehören zu den illegalen<br />
Drogen. Kiffer suchen explizit den Rausch.<br />
Zudem ist das darin enthaltene Tetrahydrocannabinol<br />
(THC) nicht wasserlöslich (wie<br />
Alkohol), sondern fettlöslich.<br />
– Aus der Studie betreffend «Jugenddelinquenz»,<br />
welche 2009 in St. Gallen bei 5000<br />
Jugendlichen von Prof. M. Killias durchgeführt<br />
wurde, zeigte sich deutlich der Zusammenhang<br />
von Cannabiskonsum und<br />
Gewalt. Dass die Wirkung des Rauschgiftes<br />
THC zu Psychosen und Schizophrenien führen<br />
kann, ist einmal mehr in dieser Studie<br />
erhärtet worden.<br />
Die Kolumne in der <strong>Ärztezeitung</strong> «Mehr Weitsicht<br />
in der Drogenpolitik! Wann endlich?»<br />
ignoriert diese neusten Erkenntnisse und stützt<br />
sich nach wie vor stark auf die Ansichten der<br />
90er Jahre, die sich <strong>als</strong> f<strong>als</strong>ch erwiesen haben.<br />
Fazit und Forderungen<br />
– Die Massnahmen sind so den vier Säulen<br />
zuzuordnen und zu bewerten, dass eine<br />
echte Ziel- und Kostenüberprüfung auf der<br />
Basis des Ausstiegsziels gewährleistet ist;<br />
– Beratende und Behandelnde im Suchtbereich<br />
sind auf das Ausstiegsziel zu verpflichten;<br />
– die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
sind zu berücksichtigen und die überholten<br />
Liberalisierungsideen ad acta zu<br />
legen;<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
– die mehreren 100 Mio. Franken im Jahr, die<br />
insgesamt von der Bevölkerung via Steuern<br />
und Krankenkassenprämien für die verfehlte<br />
Suchtpolitik bezahlt werden müssen,<br />
sind zielgerichtet für eine Ausstiegspolitik<br />
zu verwenden.<br />
Das Problem ist anzugehen, nicht zu verwalten.<br />
Sabina Geissbühler-Strupler, Präsidentin<br />
der <strong>Schweizerische</strong>n Vereinigung Eltern gegen Drogen<br />
1 Martin J. Mehr Weitsicht in der Drogenpolitik!<br />
Wann endlich? Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
2012;93(39):1442.<br />
Abgangsentschädigung<br />
Sehr geehrter Herr Kollege de Haller<br />
Die Ärztegesellschaft Thurgau – ÄTG, zusammen<br />
mit den Basisorganisationen (dem Thurgauer<br />
Grundversorgerverein – TGV, dem Thurgauer<br />
Verein der freipraktizierenden Spezialisten<br />
– TVFS und dem Thurgauer Verein der<br />
leitenden Spitalärzte – TVLS) bringt mit diesem<br />
Leserbrief die von breiten Kreisen der Thurgauer<br />
Ärzteschaft geteilte Empörung<br />
über die allerorten in den Medien publizierte,<br />
Ihnen <strong>als</strong> abtretendem FMH-Präsidenten ausbezahlte<br />
Abgangsentschädigung in der Höhe<br />
von CHF 800 000.– zum Ausdruck. Aus unserer<br />
Sicht ist diese Abgangsentschädigung, auch<br />
wenn sie scheinbar in den entsprechenden<br />
Reglementen so festgelegt ist, unmoralisch und<br />
dem ärztlichen Ethos widersprechend. Damit,<br />
dass die Abgangsentschädigung derart publik<br />
gemacht wurde, gerät die Ärzteschaft definitiv<br />
unter Verdacht der Abzockerei. Ist das wirk-<br />
lich die Vorstellung des FMH-Präsidenten von<br />
Imageförderung unseres Berufsstandes?<br />
Und weiter: Sind Sie sich bewusst, dass die<br />
A bgangsentschädigung aus unseren Mitgliederbeiträgen<br />
finanziert werden soll? Nur ein<br />
ganz kleiner Teil der Ärzteschaft verfügt über<br />
ein Jahresgehalt von CHF 400 000.–! Wir müssen<br />
Ihnen die Einkommensstudie nicht zitieren.<br />
Nur eine Zahl sei erwähnt: Der Präsident<br />
der Ärztegesellschaft Thurgau, FA für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie, generiert aus der ärztlichen<br />
Tätigkeit in der eigenen Praxis ein Jahreseinkommen<br />
von ca. CHF 130 000.–! Und<br />
dass in diesen Relationen die Mitgliederbeiträge<br />
langsam, aber sicher schmerzen und die<br />
Empörung über die Höhe der Abgangsentschädigung<br />
steigt, ist offensichtlich!<br />
Aus diesen Gründen und auch hinsichtlich<br />
Ihres eigenen parteipolitischen Hintergrunds<br />
fordern wir Sie dazu auf, die Abgangsentschädigung<br />
kritisch zu hinterfragen und darauf zu<br />
verzichten. Damit könnten Sie einiges wieder<br />
gut machen, sowohl für Ihr eigenes Ansehen<br />
wie auch für dasjenige der Ärzteschaft in der<br />
Öffentlichkeit!<br />
Freundliche Grüsse<br />
Dr. med. Daniel Jud, Präsident ÄTG<br />
Dr. med. Michael Siegenthaler, Präsident TGV<br />
Dr. med. Martin Kraus, Präsident TVFS<br />
Dr. med. Thomas Eggimann, Präsident TVLS<br />
Bergende und wegleitende Transzendenz<br />
Beitrag eines Zuhörers zur SÄZ-Podiumsdiskussion<br />
«Suizidhilfe: (k)eine ärztliche<br />
Aufgabe?»<br />
Ein knorriger Bauer, der die Kirche zeitlebens<br />
meist nur von der Aussenseite gesehen hatte,<br />
erkrankte an Lungenkrebs. Als überall in seinem<br />
Körper schmerzhafte Metastasen auftraten,<br />
waren er und sein Hausarzt ratlos.<br />
Vielleicht inspiriert von der Dichtung «Huttens<br />
letzte Tage» von C.F. Meyer, in der der unheilbar<br />
lueskranke Ritter beim Blick auf das über seinem<br />
Bett hängende Kruzifix sagte: Mein dorngekrönter<br />
Bruder steht mir bei, versuchte der Arzt den<br />
bodenständigen Bauern zu trösten, indem er<br />
ihm sagte: Sie werden von den immer wieder<br />
neuen Metastasen so zusammengeschlagen wie<br />
Christus am Kreuz von seinen Peinigern. Er<br />
hoffte, seinem schwer kranken Patienten mit<br />
der gleichzeitigen Erinnerung an den guten<br />
Ausgang der Heilsgeschichte, der leiblichen Auferstehung<br />
Christi aus dem Tod, neue Kraft und<br />
neuen Mut zu geben.<br />
Der Bauer liess sich auf kein religiöses Gespräch<br />
mit seinem Hausarzt ein. An seiner inneren<br />
Beschäftigung mit dem bevorstehenden Sterben<br />
liess er ihn aber mit der Erzählung eines<br />
E r lebnisses im Militärdienst teilhaben: «In<br />
einer Manövernacht suchten wir müde einen<br />
Schlafplatz. Dabei gerieten wir in ein Sargmagazin,<br />
wo wir uns, Ruhe suchend, in die Särge<br />
legten.»<br />
Eines Tages forderte der Patient seinen Sohn<br />
auf, ihm das Gesicht zu rasieren, da er es so einfacher<br />
hätte, <strong>als</strong> dann, wenn er ihn <strong>als</strong> Toten<br />
rasieren müsste. Der einige Stunden später gerufene<br />
Hausarzt fand seinen Patienten aufrecht<br />
im Bett sitzend, nach Atem ringend. Er sagte zu<br />
ihm: «Gott ist bei Ihnen.» Als Antwort nickte<br />
der Sterbende mit dem Kopf, atmete noch<br />
wenige Male und verschied.<br />
Es bleibe dahingestellt, ob dieses Kopfnicken<br />
eine bewusste Zustimmung zum Trostwort seines<br />
Hausarztes war, oder ob das Nachlassen der<br />
Spannung der Nackenmuskulatur dazu geführt<br />
hat.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte, in der<br />
ich selbst der Hausarzt war, ist die Bemerkung<br />
einer am Podiumsgespräch teilnehmenden Kol-<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 20
edaktion.saez@emh.ch BRIEFE<br />
legin provokatorisch: «Für mich hat die Religion<br />
keine Bedeutung.»<br />
Ich möchte im Gegenzug dazu die erlebte Tatsache<br />
festhalten, dass wir Ärzte und unsere Patienten<br />
mit mehr Zuversicht leben und einem<br />
vielleicht nicht leichten Sterben entgegengehen<br />
können, wenn wir uns andauernd betend<br />
bemühen, mit Haut und Haar in der uns bergenden<br />
und wegleitenden Transzendenz verwurzelt<br />
zu sein.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Dr. med. Eduard Dolder, Wald<br />
Sind Bedenken, wenn es um die Existenz<br />
geht, f<strong>als</strong>ch?<br />
Offen geäusserte Zweifel oder der Gedanke, das<br />
Leben sei es wert, um es Sorge zu tragen, müssen<br />
weder heuchlerisch noch anmassend genannt<br />
werden, vgl. hingegen Leserbeitrag «Die<br />
heuchlerische Anmassung der Sterbehilfeverweigerung»<br />
[1]. Leserbeitragsverfasserin Frau<br />
Dr. C. Haunit [2] weist vielleicht nicht in bevormundender<br />
Absicht, sondern freundlicherweise<br />
darauf hin, leidende Mit-Erdenbürger<br />
oder Menschheitsvertreter, die sich von der<br />
«Traufe» (dem Sich-das-Leben- Nehmen) mehr<br />
<strong>als</strong> vom «Regen» (dem auch durch mildernde<br />
und erleichternde Massnahmen zu begegnenden<br />
Leiden) versprechen, könnten gut daran<br />
tun, rechtzeitig auch noch andere zur Sache<br />
«Leben» gehörende Argumente in ihre Überlegungen<br />
einzubeziehen, nämlich Sichtweisen,<br />
auf die es möglicherweise ebenso sehr ankommt.<br />
Zwar irrt sich die Verfasserin vielleicht,<br />
denn etwas Geschenktes ist ja in der<br />
Folge das Eigentum des Empfängers, anderseits<br />
war es (das Geschenk) vermutlich nicht dazu<br />
gedacht, dass der über es verfügen und etwas<br />
daraus machen Dürfende es, sobald es scheinbar<br />
nur noch Leiden beschert, verachte und<br />
sich seiner <strong>als</strong> etwas scheinbar Unnützen entledige.<br />
Auch ein erschwertes und nur durch die<br />
genannten Massnahmen erträglicher zu machen<br />
versuchtes Leben kann noch zwischenmenschliche<br />
Begegnungen, eine innere Entwicklung<br />
und neue Erkenntnisse, <strong>als</strong>o etwas<br />
Wertvolles, ermöglichen, das sonst bedauerlicherweise<br />
verpasst würde; jemand könnte sich<br />
immerhin noch «mit dem Zeitlichen versöhnen»<br />
oder gar Werte entdecken, die ihm bisher<br />
wenig bedeuteten. Die Verfasserin schreibt<br />
nicht, dass es Vorschrift sei, nur: Verpasst ist verpasst.<br />
Abgesehen davon, dass das Spiel mit der<br />
Aussicht, das Leben loszuwerden, die beschwerlichen<br />
Symptome und Umstände schlimmer erscheinen<br />
lassen kann, <strong>als</strong> sie sind, kann hinter<br />
den Selbstvernichtungswünschen auch ein Hass<br />
stehen, der es erschwert, zu an erkennen, dass<br />
Symptome, die dazu geführt haben, durch geeignete<br />
Massnahmen gemildert werden könnten.<br />
Dr. med. Peter Süsstrunk, Seewis<br />
1 Gerber HJ. Die heuchlerische Anmassung der<br />
Sterbehilfeverweigerung. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
2012;93(44):1610.<br />
2 Haunit C. Suizidhilfe im Kontext des Weltbildes.<br />
Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(42):1536.<br />
Ärzte <strong>als</strong> Verwaltungsgehilfen?<br />
Zum Gesetzesentwurf der Gesundheitsdirektion<br />
Bern bezüglich Mengenbeschränkung<br />
Die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern<br />
möchte gemäss dem neuen Gesetzesentwurf in<br />
allen Spitälern chirurgische Eingriffe limitieren,<br />
d. h. es soll für alle üblichen Operationen<br />
Obergrenzen geben, damit die Spitäler bei<br />
drohenden Defiziten nicht einfach ihre Leistungen<br />
ausweiten und somit ihre Einkünfte<br />
optimieren können.<br />
Gelinde gesagt bin ich empört!<br />
Empört, dass uns operativ tätigen Ärzten unterstellt<br />
wird, dass wir uns sozusagen <strong>als</strong> Gehilfen<br />
der Spitalverwaltung vorschreiben liessen, wie<br />
viel wir zu operieren haben.<br />
Denn nichts anderes heisst es, wenn der Regierungsrat<br />
Maximalzahlen von Eingriffen vorschreibt.<br />
Offenbar glauben Politiker tatsächlich, dass<br />
sich unsere Indikationen nach dem Gusto des<br />
Spitalverwalters richten und dass unsere Patienten<br />
auch noch damit einverstanden sind!<br />
Wir haben nebst unseren fachlich fundierten<br />
Operationsindikationen auch noch ethische<br />
Grundsätze, nach denen wir uns richten. Ob<br />
sich ein Eingriff für das Spital rentiert und wie<br />
viel davon im Jahr gemacht werden müssten,<br />
um den Rechnungschef zu befriedigen, interessiert<br />
uns höchstens am Rand – wenn überhaupt!<br />
Ich fühle mich meinen Patienten verpflichtet:<br />
einen fachlich und technisch hochstehenden<br />
Eingriff durchzuführen, der dem Patienten<br />
Heilung oder Linderung verspricht.<br />
Das sollte auch ein ach so sozialer Herr Perrenoud<br />
zu verstehen versuchen.<br />
Was mir jedoch auch nicht einleuchtet ist, dass<br />
unsere kantonale Ärztegesellschaft hier nicht<br />
protestiert und eine entsprechend deutliche<br />
Reaktion – vor allem gegenüber der Öffentlichkeit<br />
– verfasst!<br />
Dr. med. Claudio Decurtins, Unterseen<br />
Antwort<br />
Sehr geehrter Herr Decurtins<br />
Mit klaren Worten und sehr dezidiert hat der<br />
Vorstand der Ärztegesellschaft des Kantons<br />
Bern die Gesetzesvorlage zur Spitalversorgung<br />
im Kanton Bern zurückgewiesen! Bitte, geehrter<br />
Herr Kollege, lesen Sie doch die entsprechende<br />
Vernehmlassung auf unserer Homepage<br />
www.berner-aerzte.ch und den Artikel<br />
zum Thema im doc.be Nr. 5 / Oktober 2012, bevor<br />
Sie Steine in Richtung Verbandsführung<br />
werfen! Der Grosse Rat des Kantons Bern hat<br />
die BEKAG-Antwort jedenfalls zur Kenntnis genommen!<br />
Dr. med. Beat Gafner,<br />
Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 21
Mitteilungen<br />
Facharztprüfungen<br />
Facharztprüfung zur Erlangung<br />
des Schwerpunkts Zytopathologie zum<br />
Facharzttitel für Pathologie<br />
Ort:<br />
Institut für Pathologie der Universität Bern<br />
Datum:<br />
4. Juni 2013<br />
Anmeldefrist: 28. Februar 2013<br />
Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />
des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />
AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />
Facharztprüfung zur Erlangung<br />
des Facharzttitels Allergologie<br />
und Klinische Immunologie<br />
Mündliche Prüfung<br />
– Ort: Universitätsspital Lausanne (CHUV),<br />
Rue du Bugnon 46, 1011 Lausanne<br />
– Datum: Donnerstag, 13. Juni 2013,<br />
13.00–17.00 Uhr<br />
Schriftliche Prüfung<br />
– Ort: Milano, Italien, während des EAACI<br />
WAO World Allergy and Asthma Congress<br />
www.eaaci.net<br />
– Datum: Samstag, 22. Juni 2013,<br />
11.00–14.00 Uhr<br />
Anmeldefrist: 1. April 2013<br />
Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />
des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />
AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Fondation de médecine sociale<br />
et préventive<br />
Prix 2013–2014<br />
Le prix annuel de la Fondation de médecine<br />
sociale et préventive, Lausanne, récompense<br />
l’auteur d’un travail original de recherche scientifique<br />
dans l’un des principaux domaines<br />
d’activité de l’Institut universitaire de médecine<br />
sociale et préventive (IUMSP) de Lausanne,<br />
i. e. épidémiologie et prévention des<br />
maladies, évaluation des services de santé.<br />
Le prix est destiné:<br />
– aux assistants réguliers pendant qu’ils occupent<br />
une fonction dans un Département,<br />
Service ou Institut universitaire ou dans un<br />
Hôpital périphérique reconnu pour la formation<br />
FMH;<br />
– à tout universitaire effectuant des recherches<br />
dans le domaine de la médecine sociale et<br />
préventive.<br />
Les candidatures sont examinées par la Commission<br />
des Prix et Concours de la Faculté de<br />
Biologie et de Médecine. Le prix est décerné<br />
lors de la cérémonie de remise des prix de la<br />
Faculté de Biologie et de Médecine de<br />
l’Université de Lausanne (décembre 2013).<br />
Envoi des dossiers de candidature (indiquant<br />
nom, titres, adresse et emploi actuel du candidat):<br />
Prix de la Fondation de Médecine<br />
Sociale et Préventive, Commission des Prix et<br />
Concours de la Faculté de Biologie et de Médecine,<br />
Décanat de la Faculté de Biologie et de<br />
Médecine, 21, rue du Bugnon, 1011 Lausanne.<br />
Délai de dépôt des candidatures: 31 mars 2013.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
MITTEILUNGEN<br />
<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Intensivmedizin SGI<br />
Neues Präsidium<br />
Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Intensivmedizin<br />
SGI hat ein neues Präsidium:<br />
Geschäftsführende Präsidentin<br />
Paola Massarotto, Pflegeexpertin, Lugano<br />
Präsident Ärzteschaft<br />
Prof. Dr. Marco Maggiorini, Zürich<br />
22
Thema TRIBÜNE<br />
Interkulturelle Kommunikation zwischen Schweizern und Deutschen in der Medizin<br />
Der kleine Unterschied<br />
Nicolas Diehm a , Irene Pill b<br />
und Frederic Baumann a<br />
a Universitätsklinik für<br />
Angiologie, Inselspital Bern<br />
N. Diehm ist ein süddeutscher<br />
Angiologe, der sich seit<br />
10 Jahren in der Schweiz<br />
sehr wohl fühlt.<br />
F. Baumann ist ein in Zürich<br />
und Deutschland aufgewachsener<br />
Arzt mit schweizerischem<br />
Pass, norddeutscher<br />
Mutter und schweizerischem<br />
Vater.<br />
b Service rund um Kultur<br />
I. Pill ist eine süddeutsche<br />
Historikerin und Germanistin<br />
mit Auslandserfahrungen u. a.<br />
in der Schweiz, China und<br />
den USA, die heute u. a. <strong>als</strong><br />
Dozentin für Interkulturelle<br />
Kompetenzen arbeitet.<br />
Korrespondenz:<br />
Prof. Dr. med. Nicolas Diehm<br />
Universitätsklinik für Angiologie<br />
Inselspital Bern<br />
CH-3010 Bern<br />
Tel. 031 632 30 34<br />
Fax 031 632 47 93<br />
nicolas.diehm[at]insel.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Absicht<br />
Dieser Artikel möchte einen Einblick in die wichtigsten<br />
Mentalitäts- und Sprachunterschiede zwischen<br />
Schweizern und Deutschen gewähren mit dem Ziel,<br />
deren interkulturelle Begegnung zu erleichtern.<br />
Hintergrund<br />
Die Schweiz gilt für viele deutsche Mediziner(innen)<br />
<strong>als</strong> attraktive Arbeitsstätte. Aus verschiedenen Gründen<br />
zieht es jedes Jahr mehrere Hundert deutsche<br />
Medizinfrauen und -männer in das Land des Wilhelm<br />
Tell. Allein im Jahre 2008 waren es 842 Personen.<br />
Inzwischen bringt jede vierte in der Schweiz<br />
tätige Medizinperson ein ausländisches Arztdiplom<br />
mit und 56 % davon sind Deutsche. Am Inselspital<br />
haben aktuell 24 % aller tätigen Ärzte ein deutsches<br />
Arztdiplom und beim Pflegepersonal stammen 8 %<br />
aus dem «grossen Kanton». Somit ist die interkulturelle<br />
Kommunikation zwischen Schweizern und<br />
Deutschen ab dem ersten Arbeitstag ein relevantes<br />
Thema mit klassischen Ähnlichkeitsfallen, die im<br />
Alltag für Vertreter beider Kulturen zum Fallstrick<br />
werden können.<br />
Unterschiede in Sprache und Mentalität<br />
Sprache<br />
Aus Deutschland stammende Ärzte werden, zusätzlich<br />
zur amtlichen Viersprachigkeit in der Schweiz,<br />
mit verschiedensten und zum Teil sehr unterschiedlichen<br />
Mundarten konfrontiert. Diese sind auf die<br />
geographische Zerklüftung der Schweiz und der eingeschränkten<br />
Mobilität der Schweizer bis zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts zurückzuführen.<br />
Es ist wichtig zu bedenken, dass Schweizer im<br />
Gespräch mit Deutschen vorzugsweise Hochdeutsch<br />
sprechen. Was viele Deutsche nicht wissen, ist,<br />
dass sich Hochdeutsch für Schweizer oftm<strong>als</strong> wie<br />
eine Fremdsprache anfühlt. Hingegen wissen viele<br />
Schweizer nicht, dass einige der Wörter, die für sie<br />
perfekt Hochdeutsch sind, im Umgang mit Deutschen<br />
für Verwunderung sorgen können: Zahlreiche<br />
Helvetismen wie z. B. Aufsteller (gute Nachricht),<br />
verunfallen (einen Unfall erleiden) oder allfällig (etwaig)<br />
sind Eigenheiten des schweizerischen Hochdeutsch.<br />
Wer <strong>als</strong>o glaubt, dass Schweizer und Deutsche<br />
aufgrund der Ähnlichkeit ihrer geschriebenen<br />
Muttersprache ähnlich verbal kommunizieren, irrt<br />
gewaltig. Deutsche, die nicht fliessend Schweizer-<br />
deutsch sprechen, sollten hierauf im Alltag verzichten,<br />
da germanisiertes Schweizerdeutsch in der<br />
Schweiz <strong>als</strong> Nachäffung empfunden werden kann [1].<br />
Zudem ist zu bedenken, dass Schweizer im Gegensatz<br />
zu Deutschen oftm<strong>als</strong> die indirekte Kommunikation<br />
pflegen (Tab. 1). Der Schweizer interagiert<br />
öfter im Konjunktiv, der Deutsche hingegen fühlt<br />
sich eher im Indikativ wohl. Während der Deutsche<br />
«will», «würde» der Schweizer «gerne». Der Deutsche<br />
«muss unbedingt», während der Schweizer «eventuell<br />
sollte». Der Deutsche «kriegt» leider oftm<strong>als</strong>, der<br />
Schweizer «hätte gerne» ein Bier.<br />
Das im schweizerischen Sprachgebrauch an viele<br />
Sätze angehängte «oder» suggeriert, dass man seine<br />
Meinung zwar äussert, diese aber nicht <strong>als</strong> absolut<br />
gilt. Der grosse Stellenwert der eidgenössischen Konsensfähigkeit<br />
der Schweizer spiegelt sich <strong>als</strong>o oft in<br />
ihrer Alltagssprache wider.<br />
Mentalität<br />
Die Mentalität kann sich zwischen Deutschen und<br />
Schweizern deutlicher unterscheiden, <strong>als</strong> dies bei<br />
Schwaben und Berlinern der Fall sein mag. Wie sich<br />
auch die Mentalität der Einwohner Deutschlands<br />
lokoregional deutlich unterscheiden kann, trifft dies<br />
für die von einem kleinräumigen Föderalismus seit<br />
langer Zeit geprägte Schweiz zu. Die Untergliederung<br />
der Eidgenossenschaft in 26 Kantone ist <strong>als</strong>o nicht<br />
nur politischer Natur, sondern immer auch Ausdruck<br />
unterschiedlicher Kulturen und Mentalitäten.<br />
Geert Hofstede unternahm einen Versuch, kulturelle<br />
Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern zu<br />
quantifizieren [2]. Er zeigte, dass nationale Kulturgruppen<br />
einen wesentlichen Einfluss auf die Organisation<br />
und Führung von Unternehmen haben. Hierbei<br />
identifizierte er insgesamt fünf Kulturdimensionen,<br />
von denen zwei hier relevant sind:<br />
Tabelle 1<br />
Beispiele indirekter und direkter Kommunikation.<br />
Indirekt (schweizerdeutsch)<br />
Mer söttet no einisch<br />
zämecho u das Manuskript<br />
dürrego.<br />
I gloube, da heimer<br />
d Möglichkeit, viel meh<br />
ussezhole.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
Direkt (deutsch)<br />
Sie haben da einige grobe<br />
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komplett verfehlt.<br />
31
Thema TRIBÜNE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Oh nei, muess das si?!<br />
– Die Machtdistanz gibt Auskunft über den Umgang<br />
mit Macht und Ungleichheit in einem<br />
Land. Sie definiert das Ausmass, bis zu dem weniger<br />
mächtige Individuen erwarten und akzeptieren,<br />
dass Macht ungleich verteilt ist.<br />
– Die Maskuli nität versus Feminität zeigt, wie die<br />
Rollen zwischen den Geschlechtern in einer<br />
Kultur verteilt werden.<br />
Schweizer mit geringerer Machtdistanz gehen mit<br />
sozialen Beziehungen sorgsamer um und versuchen,<br />
die Ungleichheit untereinander geringer zu halten.<br />
Sie akzeptieren hierarchische Organisationsstrukturen<br />
und Kommunikation weniger gern und beziehen<br />
Mitarbeiter mehr in Entscheidungsfindungen<br />
ein <strong>als</strong> Individuen aus Kulturen mit höherer<br />
Machtdistanz. Schweizer sind in der Regel von folgenden<br />
Eigenschaften geprägt: Harmoniebedürftigkeit,<br />
Unabhängigkeit, dem Anspruch «gleiche<br />
Rechte für alle» und einem fürsorglichen Führungsstil,<br />
der wenig Kon trolle durch die Führenden erfordert.<br />
Dies findet auch darin Ausdruck, dass das<br />
«per Du» in der Schweiz rascher eingeführt wird und<br />
zusätzlich der Titel in der Anrede rasch auf der<br />
Strecke bleibt.<br />
Ein für Deutsche selbstverständlich selbstbewusster<br />
Auftritt und rhetorisches Geschick können<br />
von einem Schweizer <strong>als</strong> ungewohnt offensiv<br />
wahrgenommen werden. Spielerische Wortgefechte,<br />
rhetorische Schlagabtausche oder «Rechthabereien»<br />
sind der Schweizer Seele<br />
fremd. Zudem werden in Deutschland<br />
Konflikte offener ausgetragen und<br />
Aggressionen eher ausgelebt <strong>als</strong> in<br />
der Schweiz [3]. Schweizer können<br />
diese wortgewandte und direkte<br />
deutsche Art, Konflikte anzusprechen<br />
<strong>als</strong> unangemessen herrisch und arrogant<br />
empfinden.<br />
Im Gegensatz zur deutschen Hierarchie-Gläubigkeit<br />
gilt es in der Schweizer Realität <strong>als</strong> rücksichtslos,<br />
den Diskussionspartner um jeden Preis von der eigenen<br />
Meinung überzeugen zu wollen.<br />
Im Gegensatz zur geringeren Machtdistanz ist die<br />
Schweizer Gesellschaft maskuliner <strong>als</strong> die ihrer nördlichen<br />
Nachbarn, wobei anzumerken ist, dass sowohl<br />
die Schweizer <strong>als</strong> auch die Deutschen im internationalen<br />
Vergleich <strong>als</strong> maskulin zu bezeichnen sind.<br />
Verglichen mit einer femininen Kultur hat eine maskuline<br />
Kultur die Tendenz, Herausforderungen, Einkommen<br />
und Fortschritt <strong>als</strong> wichtig zu erachten und<br />
entsprechend durchsetzungs fähige und harte Männer<br />
zu idealisieren. In mas kulinen Ländern lebt man,<br />
um zu arbeiten und arbeitet nicht, um zu leben – die<br />
Arbeit gilt <strong>als</strong> Lebenswerk.<br />
Zusammengefasst bedeutet dies, dass Vorgesetzte<br />
in der Schweiz ihren Führungsanspruch<br />
ohne weitere Diskussion akzeptiert sehen möchten;<br />
sie vermeiden es aber z ugleich tunlichst, diesen<br />
Macht a nspruch gegenüber den Mitarbeitenden<br />
verbal oder symbolisch auszuleben. Eine Führungskraft<br />
muss sich durch Leistung (Maskulinität)<br />
b e wei sen und kann sich somit weniger auf for-<br />
male oder hierarchische Macht (Machtdistanz) berufen.<br />
Kriterien erfolgreicher Kommunikation<br />
zwischen Deutschen und Schweizern<br />
Gemäss Lechner und Thomas [4] bedürfen folgende<br />
Schweizer Kulturstandards für Deutsche in der<br />
Schweiz besonderer Beachtung:<br />
Konsensorientierung<br />
Diese ist ein zentrales Element des schweizerischen<br />
politischen Systems. Dem Schweizer Bürger wird<br />
politisch eine grosse Verantwortung aufgetragen, indem<br />
er in Entscheidungsfindungen miteinbezogen<br />
wird. Die Konsensorientierung ist oft Bestandteil<br />
des schweizerischen Alltags, weshalb es einen deutschen<br />
Arzt nicht verwundern soll, wenn er sich in<br />
der Schweiz verhältnismässig oft mit «interdisziplinären»<br />
Kolloquien und Rapporten konfrontiert<br />
sieht. Zudem wird die Konsensfindung in der<br />
Schweiz <strong>als</strong> Folge der geringeren Machtdistanz viel<br />
homogener praktiziert im Sinne, dass jede(r) unabhängig<br />
von der Hierarchiestufe von seinem Mitspracherecht<br />
Gebrauch machen kann.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 32
Thema TRIBÜNE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Gesicht wahren<br />
Tugenden wie Loyalität und Wertschätzungen<br />
haben in der Schweiz besondere Bedeutung. Im täglichen<br />
Umgang fällt einem aus einem deutschen<br />
Umfeld Kommenden schnell auf, dass es in der<br />
Schweiz unabdingbar ist, dem Gegenüber stets die<br />
Wahrung seines Gesichtes zu ermöglichen und den<br />
Dialog trotz möglicherweise grösstmöglichem inhaltlichem<br />
Dissens zu wahren.<br />
Etikette<br />
Höflichkeit wird in der Schweiz grossgeschrieben. Es<br />
mag die Geduld eines manchen Deutschen beanspruchen,<br />
wenn sich beispielsweise eine Bäckereiverkäuferin<br />
trotz langer Warteschlange (die in der<br />
Schweiz üblicherweise gesitteter ist <strong>als</strong> jene in<br />
Deutschland) für eine persönliche Betreuung der<br />
Kunden Zeit nimmt. Ob dieser langsamere, aber persönlichere<br />
Stil oder die deutsche Effizienz, die von<br />
e inem Schweizer <strong>als</strong> kaltschnäuzig empfunden<br />
werden mag, für die Koronarien des Einzelnen besser<br />
ist, muss jeder für sich selbst herausfinden.<br />
Zurückhaltung/Diskretion<br />
Die Schweizer leben Zurückhaltung und Bescheidenheit<br />
vor. Diese Bescheidenheit der Eidgenossen äussert<br />
sich insgesamt dadurch, dass mit Leistungen<br />
nicht geprahlt wird, egal, ob sich dies auf die Motorleistung<br />
des Wagens oder auf die Anrede mit «Herr<br />
Doktor» oder «Herr Professor» bezieht. Wenngleich<br />
ein in Deutschland sozialisierter Arzt diese Zurückhaltung<br />
durchaus <strong>als</strong> Selbstverleugnung empfinden<br />
mag, so empfiehlt es sich doch, in der Schweiz eine<br />
höfliche Unterwürfigkeit zu üben. Für Deutsche in<br />
der Schweiz bedeutet dies, dass sie ihre ihnen angeborene<br />
Direktheit zu kontrollieren versuchen und<br />
sich zurücknehmen sollten.<br />
Zuständigkeitsdenken<br />
Ein weiteres Element, das sich aus der föderalistischen<br />
Struktur der Schweiz ableitet, ist das Zuständigkeitsdenken.<br />
So wie die einzelnen Kantone über<br />
hohe Eigenständigkeit und Selbstbestimmung verfügen,<br />
gilt in der Arbeitswelt das Verständnis, dass<br />
jeder für seinen klar abgegrenzten Aufgabenbereich<br />
zuständig ist, in den sich niemand einmischt. Dennoch<br />
hält man sich an das übergeordnete Ziel, welches<br />
das Wohlergehen des gesamten Unternehmens<br />
in den Vordergrund stellt.<br />
Patriotismus<br />
Im Gegensatz zum deutschen Kulturraum, in dem<br />
Patriotismus insbesondere unter jungen Leuten heute<br />
relativ schwach ausgeprägt ist, ist die Liebe zum Vater-<br />
land und dessen Traditionen in der Schweiz weitverbreitet.<br />
So vermarktet man heute in der Schweiz die<br />
«Swissness» [5]; deren positiv konnotierte Attribute,<br />
die Fairness, Präzision, Zuverlässigkeit, politische Stabilität,<br />
Natürlichkeit, Genauigkeit und Sauberkeit,<br />
sind heute deutlich aggressiver, <strong>als</strong> dies in Deutschland<br />
für deutsche Attribute der Fall ist.<br />
Schweizer identifizieren sich sehr mit ihrem<br />
Kanton und ihrem Land und erwarten von Ausländern<br />
Anerkennung und Respekt für die Schweiz.<br />
Die Abgrenzung gegenüber Deutschland hat in der<br />
Schweiz einen hohen Stellenwert. Entsprechend<br />
besteht bei Schweizern das Bedürfnis nach Abgrenzung<br />
gegenüber dem «grossen Kanton», während<br />
die Deutschen im Allgemeinen oberflächlich betrachtet<br />
in der Schweiz ein idealisiertes Deutschland<br />
sehen und ihr sehr wohlwollend gegenüberstehen<br />
[6].<br />
Zusammenfassung<br />
Zusammengefasst sollte man sich <strong>als</strong> Deutscher, der<br />
in der Schweiz primär nicht <strong>als</strong> «Sauschwabe» [7]<br />
auffallen möchte, an eine Empfehlung der Landeszentrale<br />
für politische Bildung in Baden-Württemberg<br />
halten und «nicht zu laut und nicht zu schnell<br />
reden» und agieren und «im Ausdruck jegliche Vehemenz<br />
vermeiden» [1].<br />
So unterschiedlich beide Kulturen auch sein<br />
mögen – verbindende Gemeinsamkeiten unter Kollegen<br />
sind immer zu finden. Sollte jedoch der Ernstfall<br />
des interkulturellen Kommunikations-GAUs<br />
z wischen Schweizern und Deutschen eintreten,<br />
steht zuletzt die Hoffnung auf beiderseitige kulturelle<br />
Akzeptanz, Toleranz, Geduld und Gutmütigkeit,<br />
die dieser Artikel auch ein Stück weit vermitteln<br />
soll.<br />
Literatur<br />
1 Sitzler S. Grüezi und Willkommen. Die Schweiz für<br />
Deutsche. Bonn: Landeszentrale für politische Bildung<br />
Baden-Württemberg;2009.<br />
2 Hofstede G. Cultures and Organizations. Software for<br />
the Mind. 2010.<br />
3 Unter Leidgenossen. Süddeutsche Zeitung vom<br />
5./6. Februar 2011. S. V2/15.<br />
4 Lechner T, Thomas A. Kulturstandards in der Schweiz.<br />
Trainingsprogramm für Manager, Fach- und<br />
Führungskräfte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht;<br />
2011.<br />
5 http://de.wikipedia.org/wiki/Swissness, Seite geöffnet<br />
am 26.11.2012.<br />
6 Berg A. Deutsch-schweizerisches Verhältnis Nicht<br />
ohne meinen Bruder. Die Zeit vom 1.7.2010.<br />
7 Widmer U. Kuhschweizer und Sauschwabe.<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.3.2009.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 33
Streiflicht HORIZONTE<br />
Magnetspitäler<br />
Bernhard Gurtner<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. med. Bernhard Gurtner<br />
Eggstrasse 76<br />
CH-8620 Wetzikon<br />
gurtner.bernhard[at]bluewin.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Manchmal lohnt es sich, jahrzehntelang aufbewahrte<br />
Separata nochm<strong>als</strong> durchzulesen, bevor man<br />
sie einer Altpapiersammlung übergibt. Die immer<br />
kürzere Halbwertszeit des medizinischen Wissens<br />
widerlegt zwar viele Entdeckungen und Empfehlungen<br />
in rascher Folge, man findet aber in vergilbten<br />
Papieren zuweilen auch einige<br />
«ewige» Wahrheiten,<br />
die vergessen<br />
gingen oder<br />
heute <strong>als</strong> angeblich<br />
neue<br />
Erkenntnisseverkauftwerden.<br />
Gute Ratschläge,<br />
wie<br />
man ein Spital<br />
professionell führen<br />
muss, wären in<br />
Fachbüchern, berufsbegleitendenDiplomkursen<br />
und Wochenendseminarien<br />
in allen Preislagen<br />
reichlichst vorhanden.<br />
Brauch barer <strong>als</strong> die Verkündigung<br />
des SOLL-Verhaltens<br />
erweisen sich aber Studien über den<br />
IST-Zustand erfolgreicher Spitäler und<br />
dessen Ursachen.<br />
Magnetspitäler sind Betriebe, die trotz des im<br />
Gesundheitswesen chronischen Personalmangels<br />
keine Werbung für die Besetzung freier Stellen betreiben<br />
müssen. Die positive Stimmung im Team<br />
Kovaleff/Dreamstime.com<br />
wird auch von den Patienten bemerkt und geschätzt,<br />
was solche Spitäler <strong>als</strong> Arbeits- und Behandlungsort<br />
gleichermassen attraktiv macht. Weil der Personalmangel<br />
zuerst die Pflege betraf, hat eine Arbeitsgruppe<br />
schon vor 30 Jahren durch Gespräche mit<br />
zufriedenem Pflegepersonal die Charakteristika von<br />
41 beliebten USA-Kliniken erfragt [1]. Gründlicher<br />
untersucht wurden vom November 1985 bis Septem-<br />
ber 1986 sechzehn amerikanische Magnetspitäler<br />
verschiedener Grösse aus dem privaten und öffentlichen<br />
Bereich. Es fanden zwei- bis sechstägige Besuche<br />
vor Ort statt und Einzel- oder Gruppengespräche<br />
mit über 800 Pflegedienstangehörigen aller Stufen<br />
[2].<br />
Die Studie wurde für eine Pflegefachzeitschrift<br />
ins Deutsche übersetzt [3] und landete 1989<br />
via Oberschwester auf dem Pult des medizinischen<br />
Chefarztes, der hier zusammenfassen<br />
möchte, was er<br />
sich dam<strong>als</strong> mit rotem Filzstift<br />
angestrichen hat. Vieles,<br />
was die Magnetspitäler<br />
erreicht hatten,<br />
war ja<br />
nicht nur<br />
den Pflegenden<br />
zu verdanken,<br />
sondern<br />
wurde <strong>als</strong> spürbarer<br />
und nachahmenswerter<br />
«Hausgeist» auch<br />
von der ärztlichen und<br />
administrativen Leitung mitgetragen.<br />
Vielleicht sind einige<br />
der alten Erkenntnisse und Rezepte<br />
noch heute brauchbar.<br />
Magnetspitäler bezahlten ihr Personal durchschnittlich<br />
nicht besser <strong>als</strong> Vergleichsbetriebe, würdigten<br />
aber besondere Leistungen durch finanzielle<br />
Prämien oder Vergünstigungen (Urlaubstage, Kongressbesuche,<br />
Fortbildungsbeiträge, Gutscheine).<br />
Magnetspitäler bezahlen ihr Personal durchschnittlich nicht besser,<br />
würdigen aber besondere Leistungen durch finanzielle Prämien<br />
oder Vergünstigungen.<br />
Alle Mitarbeitenden wurden unabhängig von ihrer<br />
Stellung respektiert. Es herrschte eine familiäre<br />
Herzlichkeit und Kooperationsbereitschaft zwischen<br />
den verschiedenen Abteilungen.<br />
Wertvorstellungen wurden nicht deklariert, sondern<br />
vorgelebt durch sichtbare Präsenz der Vorgesetzten.<br />
Management by walking about anstatt Fernsteuerung<br />
vom Büro aus. Die Leitung des Pfle ge-<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
34
Streiflicht HORIZONTE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
dienstes in einem Magnetspital übernahm z. B. einmal<br />
pro Monat die Nachtschicht für das Haus. Chefärzte<br />
waren in die Kaderarzt-Pikettdienste eingebunden<br />
und konnten so hautnah erleben, ob ihr Spital auch<br />
nachts um 3 Uhr funktionierte. Wenn Probleme auftauchten,<br />
setzte man sich zusammen, ging der Sache<br />
nach und handelte rasch. «Wir reden ganz einfach<br />
oft miteinander, ohne viel Papierkram und Formalitäten.<br />
Es ist viel besser, etwas auszuprobieren, <strong>als</strong> es<br />
zu intellektualisieren oder zu zerreden.»<br />
Probleme wurden portioniert, d. h., in einzelne<br />
Teile zerlegt, die von direkt betroffenen Projektgruppen<br />
in begrenzter Zeit möglichst flexibel und praxisnah<br />
zu bearbeiten waren. Durch konsequente Dezentralisierung<br />
der Kompetenzen wurde leitendes<br />
Personal eingespart und lange Dienstwege wurden<br />
vermieden. Kontinuierliche und stets ehrliche Information<br />
sah man <strong>als</strong> Bringschuld der Spitalleitung,<br />
Antwort auf Fragen des Person<strong>als</strong> waren innerhalb<br />
48 Stunden gewährleistet.<br />
«Das Management muss eine Unternehmenskultur<br />
schaffen, in der ein Mitarbeiter einen Fehler zugeben<br />
kann, ohne das Gesicht zu verlieren.» Selbständigkeit,<br />
Eigeninitiative, die Freiheit, zu handeln<br />
und zu scheitern gehörten ebenso zu den Selbstverständlichkeiten<br />
in diesen Betrieben.<br />
In vielen Magnetspitälern gab es ein Team von<br />
hochqualifizierten Krankenschwestern, das <strong>als</strong> gut<br />
funktionierende Einheit kurzfristig in Krisenzonen<br />
eingesetzt werden konnte, eine Springer-Equipe,<br />
o rganisiert wie die Betriebsfeuerwehr. Herrschte<br />
doch einmal Personalknappheit, wurden Stellen lieber<br />
unbesetzt gelassen und Abteilungen geschlossen,<br />
<strong>als</strong> ungeeignete Personen anzustellen oder reduziertes<br />
Personal mit Überstunden zu belasten.<br />
Speziell gepflegt und strukturiert wurde die Einführung<br />
von neuen Mitarbeitenden und deren Fortbildung.<br />
Jedermann besuchte Kurse, von der höchsten<br />
Direktionsebene über die Stationsschwestern bis<br />
zu einer grossen Anzahl Pflegenden.<br />
Magnetspitäler betrachteten es <strong>als</strong> äusserst wichtiges<br />
Kriterium ihrer Pflegequalität, dass alle Betreuten<br />
jederzeit wussten, wer für sie verantwortlich und<br />
wo erreichbar war. Sie verteilten Patienten-Fragebogen<br />
und werteten sie am Tatort unverzüglich aus,<br />
reichten sie <strong>als</strong>o nicht zuerst an ein internes oder<br />
externes Büro zur Zwischenlagerung und statisti-<br />
schen Verklärung weiter.<br />
Seither hat sich leider die Beschreibung und<br />
E rfassung der Magnetspitäler zu einem markenrechtlich<br />
geschützten Zertifizierungs-Business entwickelt<br />
[4]. Im «The Magnet Recognition Programm®»<br />
sind vom American Nurses Credential Center (ANCC)<br />
14 «Forces of Magnetism» aufgelistet, so vage formuliert,<br />
dass die ursprüngliche Faszination nicht mehr<br />
Mittlerweile hat sich die Beschreibung und Erfassung der<br />
Magnetspitäler zu einem markenrechtlich geschützten Zertifizierungs-<br />
Business entwickelt.<br />
spürbar ist. Alljährliche Zwischenrapporte und Re-<br />
Zertifizierungen nach jeweils vier Jahren binden die<br />
anerkannten Häuser an das ANCC, das sich bemühe,<br />
«to separate true magnets from those that simply want to<br />
achieve the recognition». Auch im deutschsprachigen<br />
Raum glaubt man, mit Messwerten, Kennzahlen und<br />
pflegesensitiven Indikatoren zeigen zu können, ob<br />
die Ziele eines Magnetspit<strong>als</strong> erreicht wurden [5].<br />
Damit wird genau der administrative Unfug<br />
betrieben, den die Pioniere in den Magnetspitälern<br />
unterdrückt hatten. Ihnen war es wichtig, dass hohe<br />
Qualität <strong>als</strong> Selbstverständnis eines Hauses verinnerlicht<br />
wird und nicht von externen Kontrolleuren<br />
bestätigt werden muss, an die mit dem Honorar<br />
gleich auch noch die Eigenverantwortung überwiesen<br />
wird.<br />
Literatur<br />
1 McClure ML, Poulin MA, Sovie MD, et al. Magnet<br />
hospit<strong>als</strong>: attraction and retention of professional<br />
nurses. Kansas City: American Nurses Association;<br />
1983.<br />
2 Kramer M, Schmalenberg C, Magnet Hospit<strong>als</strong>,<br />
Institutions of Excellence. Journal of Nursing<br />
Administration. 1988;18(1/2).<br />
3 Übersetzt in 2 Teilen von: Joss A. Magnetspitäler.<br />
Pflege. 1989; 1(2) und 1990; 2(1).<br />
4 Lundmark VA. Magnet Environments for Professional<br />
Nursing Practice. In: Hughes RG. Patient Safety and<br />
Quality: An Evidence-Based Handbook for Nurses.<br />
Chapt. 46. Rockville: Agency for Healthcare Research<br />
and Quality; 2008.<br />
5 Spirig R. Die Kraft des Magnetismus: Magnetspitäler <strong>als</strong><br />
Vorbilder – auch für den deutschsprachigen Raum?<br />
Pflege. 2012; 25(4):241–3.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2 35
Vom Glück der Pause<br />
erhard.taverna[at]saez.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Das Schrillen der Pausenglocke ist seit Generationen<br />
der Inbegriff von Freiheit. Nie mehr wird so ungestüm<br />
aufgebrochen, ins Freie gestürmt, gelärmt, geschrien<br />
und herumgetobt. Natürlich wird es immer<br />
wieder alle möglichen Pausen geben, bis zur Menopause<br />
von Mann und Frau, was definitiv nicht mehr<br />
die Lustgefühle von dam<strong>als</strong> hervorruft. Gibt es so etwas<br />
wie Lebenspausen vor der ewigen Ruhe? Die Natur<br />
kennt den Winterschlaf, Zustände wie Sporen,<br />
Verpuppungen, zeitlos Erstarrtes, wobei scheinbar<br />
nichts mehr geschieht. Das aussermenschliche Sein<br />
wirkt unbegrenzt und pausenlos. Planeten ziehen<br />
ihre Bahn, Sonnen verbrennen Wasserstoff, Meere<br />
schwappen hin und her, Sedimente versteinern, Jahreszeiten<br />
kommen wieder, ununterbrochen wächst<br />
etwas heran und verwest.<br />
Menschliche Pausen unterbrechen eine Handlung,<br />
sie bedeuten ein Stillestehen im Guten oder<br />
Schlechten, erwünscht oder nicht. «Alles fliesst»,<br />
sprach der Philosoph, und «keiner steigt zwei Mal in<br />
denselben Fluss». Das viele Denken brauchte Musse,<br />
Arbeit war etwas für Frauen und Sklaven. Das benediktinische<br />
«ora et labora» ersetzte diese Herrenmoral. «Im<br />
Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen,<br />
bis du wieder zu Erde werdest.» Zu diesem göttlichen<br />
Jobprofil passte der Kirchenkalender. Er sorgte für die<br />
hohen und niederen Feiertage, für Fasching und Advent.<br />
Auf die Frommen wartet die ewige Paradiespause.<br />
Bis es so weit ist, regeln Glockentürme und<br />
Nachtwächter die Zeit. Zu den sieben Todsünden gehört<br />
die irdische Faulheit. Deckenmalereien in Frankreich<br />
illustrieren die «Paresse» <strong>als</strong> kriechende Schnecke<br />
vor geblähten Segeln im Hintergrund. Lafontaines<br />
Grille musiziert einen Sommer lang und hat im Winter<br />
nichts zu beissen, denn der fleissigen Ameise gehört<br />
die Zukunft der beginnenden Industrialisierung.<br />
Für die Musikantin der Fabel hat sie nur Spott übrig.<br />
Das Arbeitsleben im Takt der Fabrikuhren ist zwar<br />
weniger gefährlich, dafür affekt- und lustloser, weil zivilisiert<br />
und befriedet. Zum Stundenplan am Fliessband<br />
gehört die Pause. Als eingeplante Unterbrechung<br />
ist sie eine Erfindung der Moderne, minutengenau<br />
festgelegt, zweckgerichtet und lohnpflichtig. Arbeitsunterbrechungsphasen<br />
gehören zum Zeitmanagement,<br />
sie sollen die Produktivität steigern. Die Arbeitsphysiologie<br />
testet die Belastungsfähigkeit in der Fabrik<br />
und im Büro. Tag- und Nachtschicht brauchen unterschiedliche<br />
Erholungszeiten, für Piloten und Lokomotivführer<br />
gelten vorgeschriebene Auszeiten, für Soldaten<br />
gibt es die befohlene Ruhe. Nur Roboter schlafen<br />
nie, so wenig wie Google, CNN oder die Börse.<br />
Am Eingang eines inzwischen überbauten Kurortes<br />
versprach ein grosses Plakat «Ferien voller<br />
Uhren sind aller Laster Anfang.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
ZU GUTER LETZT<br />
Ferien». Die aktive Freizeit <strong>als</strong> Fortsetzung des Alltags.<br />
Die Seelen baumeln nur im Werbeprospekt. Zum beklagten<br />
Zeit-Mangel gehört paradoxerweise der Zeit-<br />
Vertreib, den eine gigantische Industrie am Laufen<br />
hält. Für Kranke und Verunfallte gibt es die Zwangspause,<br />
für Wöchnerinnen die Stillpause, für Süchtige<br />
die Rauchpause, für Kämpfende die Feuerpause.<br />
Jogger gönnen sich eine Verschnaufpause, Autoren<br />
brauchen eine Schreibpause. Vielerlei Pausen, für<br />
jede Situation eine andere. Ausser im Gefängnis gibt<br />
es die unfreiwilligen Pausen nur in den Übergangszonen.<br />
In den Warteräumen von Busstationen,<br />
Bahnhöfen und Flughäfen, und natürlich im Stau.<br />
Nur der Meditierende weiss, wie viel Übung es<br />
braucht, den Strom der Gedanken und Bilder für<br />
eine kurze Zeit zu unterbrechen.<br />
«Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus/<br />
Flog durch die stillen Lande / Als flöge sie nach<br />
Haus.» Die Nacht schenkt uns die ersehnte Schlafpause.<br />
«Es rauschten leis die Wälder / So sternenklar<br />
war die Nacht», reimte Joseph von Eichendorff in<br />
seinem Gedicht «Mondnacht». Seit der preussische<br />
Beamte diese Zeilen schrieb, haben sich Stille und<br />
Dunkelheit in die entferntesten Urlaubswinkel verkrochen.<br />
Aus grosser Höhe betrachtet, überzieht ein<br />
Elektroschimmel die nächtliche Hemisphäre. Er verwirrt<br />
die Zugvögel auf ihrer Reise, er vertreibt die<br />
Milchstrasse und stört unsere Träume. Das Schrillen<br />
der Pausenglocke läutete auch den Beginn der nächsten<br />
Lernperiode ein. Man nahm wieder Platz in der<br />
Schulbank und lernte <strong>als</strong> ritalinloser Jahrgang das<br />
kollektive Zuhören und Stillsitzen. Wer Glück hatte,<br />
durfte sich auch langweilen. Die neue Pädagogik des<br />
Suchens, Abzählens, Abfragens und Vergleichens<br />
verknüpft schon im Vorschulalter jede Ente mit einem<br />
Wissenstest. Nur Privi legierte können sich eine<br />
Denkpause leisten. Darum lerne für seine Zukunft,<br />
wer früh lernt.<br />
Mach mal Pause, trink Coca-Cola, Whiskytime,<br />
Timeout, have a break, have a Kit Kat, gönne dir eine<br />
Milka Lila Pause. Die Werbung kennt die geheimsten<br />
Wünsche. Sie verkauft uns das Glück der Pause.<br />
Erhard Taverna<br />
36
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 1/2<br />
ANNA<br />
www.annahartmann.net