PDF-Datei - Kirchentag 2005
PDF-Datei - Kirchentag 2005
PDF-Datei - Kirchentag 2005
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Pressezentrum Dokument: EZW_1_235<br />
Sperrfrist: 26.05.<strong>2005</strong>; 11:00 Uhr<br />
Programmbereich: Themenbereich 1: Wie können wir glauben?<br />
Veranstaltung: Werkstatt Weltanschauungen: Magie und Religion – ein<br />
Widerspruch?<br />
Referent/in: Schmelz, Dr. Bernd<br />
Ort: Dreifaltigkeitskirche, Bödekerstr. 35<br />
Programm Seite: 126<br />
Von uralter Weisheit zur neuen Hexenbewegung<br />
Der Titel „Von uralter Weisheit zur neuen Hexenbewegung“ suggeriert eine historische<br />
Kontinuität, die in dieser Bandbreite nicht nur wissenschaftlich nicht erforscht, sondern aus<br />
wissenschaftlich-historischem Blickwinkel wahrscheinlich auch nie existiert hat. Dennoch<br />
wird die „uralte Weisheit“, das „uralte Wissen“ oft mit den so genannten „Neuen Hexen“ in<br />
Verbindung gebracht.<br />
Bevor ich die Frage der „uralten Weisheit“ wieder aufgreife, zunächst einmal eine kurze<br />
Klärung, was unter Hexen und auch unter neuen Hexen, überhaupt zu verstehen ist. Das<br />
Bild der Hexe hat sich vor allem in Europa und in den USA in den letzten Jahrzehnten<br />
grundlegend verändert. Besonders im Zuge der Frauenbewegung kam es ab den 70er<br />
Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Neubewertung des Hexenbildes. In Deutschland<br />
prägte dieses Bild bis dahin in erster Linie die Vorstellung von einer bösen alten Hexe. So<br />
erläuterte z.B. der Große Brockhaus von 1931 zum Stichwort Hexe:<br />
„Hexe [ahd. Hagazussa, hazissa], im Volksglauben eine weibl. Gestalt mit dämonischen,<br />
schädigenden Kräften, meist ein verabscheuungswürdiges Wesen mit Triefaugen (→ Böser<br />
Blick), gelber Hautfarbe, Muttermal, zusammengewachsenen Augenbrauen und<br />
humpelndem Gang, doch wurden auch schöne Frauen als H. verdächtigt. Die H. gilt als im<br />
Dienste des Teufels stehend; sie sucht ihre Mitmenschen auf die verschiedenste Weise zu<br />
schädigen, entweder an Gesundheit und Leben (Erschwerung der Geburt, Tötung der<br />
Leibesfrucht), an Besitztum, bes. an Vieh (die H. kann die Milch verderben), oder dadurch,<br />
dass sie als Wetterhexe Sturm entfacht (…)“.1<br />
Dieses Hexenbild war in Deutschland im 20. Jahrhundert sicherlich am meisten geprägt<br />
durch das Märchen „Hänsel und Gretel“, das weltweite Verbreitung gefunden hat. So konnte<br />
1 Der Große Brockhaus, Band 8, 15. Auflage, S. 475-476. Leipzig 1931.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
− 2 −<br />
ich z.B. bei einem Aufenthalt in Guatemala im März <strong>2005</strong> in Buchläden problemlos<br />
Bilderbuchversionen des Märchens unter dem Titel „Hansel y Gretel“ finden.2<br />
Der Begriff der „Neuen Hexen“ entstand in Deutschland, als in den 70er Jahren, zunächst in<br />
Italien und dann auch in Deutschland, Frauen mit dem Slogan „Zittert, zittert, die Hexen sind<br />
wieder da!“ durch die Strassen zogen. Demonstriert wurde gegen Vergewaltigung,<br />
Unterdrückung und für die Emanzipation der Frau. Das Buch von Judith Jannberg, „Ich bin<br />
eine Hexe“, wurde in den 80er Jahren zum Kultbuch nicht nur für die Frauenbewegung,<br />
sondern für die gesamte Alternativszene.3<br />
„Hexe“ war für viele nun etwas Positives geworden, ein Symbol für Stärke und<br />
Unabhängigkeit. Wie wir heute wissen, war dies damals nicht nur eine Modeerscheinung,<br />
sondern der Anfang eines Booms, der bis heute anhält. In der Gegenwart wird die Hexe in<br />
vielen Kreisen als eine weise und starke Frau, als eine Frau mit magischen Fähigkeiten, als<br />
eine Vermittlerin zu den magischen Mächten der Natur, als Heilerin und als Helferin in allen<br />
Lebenslagen angesehen. So kam es sowohl zu einer eher politisch orientierten Entwicklung<br />
(die sog. „Politfrauen“), als auch zu einer eher religiös motivierten Entwicklung (die sog.<br />
„Spirifrauen“). Und als weitere wichtige Entwicklung ist der Zweig der heilerisch und der<br />
naturorientierten Hexen und Ritualfrauen zu nennen. Dennoch kann man nicht von<br />
Kategorien sprechen, da die Übergänge jeweils fließend sind.<br />
In Deutschland kam es zu einer zunehmenden Solidarisierung mit den in der Geschichte als<br />
Hexen verfolgten und hingerichteten Frauen. Viele Feministinnen sahen in den Verfolgungen<br />
einen Vernichtungsfeldzug gegen die weisen, heilkundigen und magiefähigen Frauen sowie<br />
eine allgemeine Unterdrückungskampagne gegen alle Frauen. Frauen benutzten nun<br />
bewusst den historischen Begriff „Hexe“, um sich mit den verfolgten Frauen zu solidarisieren<br />
und eine Kontinuität der außergewöhnlichen Fähigkeiten von Frauen bis heute zu<br />
demonstrieren. Und so manche Frau sah bei Zusammenkünften mit Gleichgesinnten die<br />
eigene Vergangenheit, in der man unter Folter und Verbrennung Ängste und Schmerzen<br />
ausstand.<br />
Nun ein kleiner Exkurs zu den Hexenverfolgungen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert.<br />
Zwischen 1430 und 1780 brannten in vielen Teilen Europas die Scheiterhaufen. Man<br />
verbrannte Frauen, Männer und Kinder, die von der weltlichen Gerichtsbarkeit als Hexen<br />
verurteilt worden waren. Die in den letzten 20 Jahren sehr intensiv betriebene historische<br />
Hexenforschung hat gezeigt, dass die Mehrzahl der Opfer keine „weisen“ oder magiefähigen<br />
Frauen waren, sondern die große Masse eigentlich relativ beliebig war, es konnte jeden<br />
treffen, und die Betroffenen entstammten allen Berufen, allen gesellschaftlichen Schichten,<br />
sie waren arm und reich, es waren bekannte Persönlichkeiten oder nur im eigenen Dorf oder<br />
in der Nachbarschaft gekannte Menschen, sie waren katholisch und evangelisch, sie waren<br />
beiderlei Geschlechts und sie waren beliebigen Alters – auch viele Kinder wurden der<br />
Hexerei angeklagt und verbrannt.<br />
Den offiziellen theologischen Rückhalt der großen Hexenverfolgungen lieferte ursprünglich<br />
ein 1484 von Papst Innozenz VIII. verfasster Erlass (Bulle) mit dem Titel „Summis<br />
desiderantis affectibus“, der unter dem Schlagwort „Hexenbulle“ bekannt wurde. Er<br />
autorisierte die Dominikaner Heinrich Kramer (genannt Institoris, 1430-1505) und Jakob<br />
Sprenger (ca. 1436-1495) als päpstliche Inquisitoren, um in Deutschland die ketzerischen<br />
Umtriebe von „Hexensekten“ zu bekämpfen. Kramer und Sprenger beriefen sich auf diese<br />
2 Die in Antigua/Guatemala für das Hexenarchiv im Museum für Völkerkunde Hamburg erworbene Ausgabe<br />
„Jacob y Wilhelm Grimm, Hansel y Gretel, Bogotá 2001“, ist allerdings nicht in Guatemala, sondern in Kolumbien<br />
erschienen.<br />
3 Judith Jannberg, Ich bin eine Hexe. Erfahrungen und Gedanken. 6. Auflage. Bonn 1986.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
− 3 −<br />
Bulle, um ihrer Hexenlehre zum Durchbruch zu verhelfen. Mit der Abfassung der<br />
dämonologischen Hetzschrift „Malleus Maleficarum“ (1487), die als so genannter<br />
„Hexenhammer“ Berühmtheit erlangte, setzte Kramer neue Maßstäbe für die<br />
Hexenverfolgung.<br />
Dieses in drei Teile gegliederte Werk, dem zumeist die päpstliche Bulle vorangestellt war,<br />
diente vielen Hexenrichtern als Leitfaden für das Verhör. Es enthielt neben genauen<br />
Anweisungen für das Erkennen von Hexen auch Richtlinien für die Prozessführung. Die<br />
Verbrechen, die den vermeintlichen Hexen darin zur Last gelegt wurden, umfassen alle<br />
Varianten des Schadenszaubers, der Gotteslästerung und des Teufelspaktes. Kramer verlieh<br />
dem Täterprofil ein spezifisch weibliches Gepräge. So erwiesen sich Frauen nach Kramers<br />
Meinung als besonders anfällig für die Einflüsterungen des Teufels, wie bereits das Vorbild<br />
von Urmutter Eva zeigte. Diese frauenfeindliche Einstellung spiegelte sich dann auch in der<br />
Zusammensetzung der Opfer wider, von denen rund drei Viertel Frauen waren.4<br />
Zurück zu den neuen Hexen. Viele dieser Frauen solidarisierten sich nun nicht nur mit den<br />
ehemals als Hexen verfolgten und hingerichteten Frauen, sondern waren und sind bis heute<br />
davon überzeugt, Reinkarnationen, Wiederverkörperungen, Wiedergeburten von diesen zu<br />
sein. Der Glaube an eine Wiedergeburt in späteren Zeiten, oder andersherum gesagt, die<br />
Überzeugung, schon einmal in früheren Zeiten gelebt zu haben, ist ja in vielen Kulturen und<br />
Religionen der Welt bekannt. Mit den Methoden und Quellen der westlich-historischen<br />
Wissenschaft und auch der Naturwissenschaften ist dies aber nicht nachweisbar.<br />
Als ein Beispiel für die Reinkarnationsvorstellungen bei neuen Hexen sei hier aus einem<br />
Forschungsprojekt über Neue Hexen in Hamburg im Jahr 2001 ein Gespräch mit der<br />
Hamburger Neuen Hexe und Diplom-Psychologin Attis Silke Beyn zitiert. Gefragt nach ihrer<br />
Einstellung zu anderen Religionen, war sie in Bezug auf das Christentum vor allem von der<br />
Person Jesus fasziniert:<br />
„Jesus war ein Heiler, darum wird er auch Heiland genannt. Jesus war ein Helfer, er hatte<br />
eine echte Hingabe zu dienen. Liebe vermitteln war seine wichtigste Botschaft. Die Person<br />
Jesus war in ihrer letzten Inkarnation. Er hatte bereits 60 Inkarnationen hinter sich. Er war in<br />
dem Zustand, in dem man in Erleuchtung kommt. (…) Er hatte Inkarnationen bei Kelten,<br />
Germanen, Ägyptern, in Nordafrika, Westafrika, bei den Hindus in Indien, bei den Buddhisten<br />
im Himalaja, in Russland, in Griechenland und in Südamerika durchgemacht. Dadurch hatte<br />
er eine große Toleranz und keine Vorurteile. Er hatte unglaubliche Kräfte, er konnte<br />
rationales und zeitliches außer Kraft setzen. Er befand sich als Mensch auf einer<br />
Schwingungsebene, die nicht viele Menschen oder Seelen ertragen können“.5<br />
Ein ähnlich gelagertes Problem ist das der angenommenen Kontinuität der „uralten<br />
Weisheit“. Auch hierauf berufen sich viele der neuen Hexen. Eine kontinuierliche Weitergabe<br />
von Wissen in Bezug zum Beispiel auf Kräuter und andere Pflanzen, Tiere, Steine,<br />
Heilkunde, Magie, Rituale, etc., durch die Jahrtausende ist nicht nachweisbar. Mit Sicherheit<br />
hat es auch in Europa zu allen Zeiten Expertinnen und Weise mit Spezialkenntnissen in<br />
Hinblick auf Kräuter, Pflanzen, Tiere, Steine, Heilkunde, Magie und Rituale gegeben. Aber<br />
Wissen hat sich zu allen Zeiten auch weiterentwickelt, hat sich verloren und es ist wieder<br />
neues entstanden. Ich halte aber auch die schon so manches Mal von wissenschaftlicher<br />
Seite gegenüber den neuen Hexen erfolgten Angriffe, eine solche Kontinuität hätte es nie<br />
4 Jeanette Kokott, Die Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit. In: Jeanette Kokott & Bernd Schmelz (Hg.), Hexen.<br />
Das Hexenarchiv im Museum für Völkerkunde Hamburg. Hamburg 2003, S. 36-37.<br />
5 Aus bisher unveröffentlichten Feldforschungsaufzeichnungen des Referenten aus dem Jahr 2001. Zur neuen<br />
Hexe Attis s. ihre eigene Darstellung Attis Silke Beyn, Wie ich mich in der Ausstellung wieder gefunden und<br />
welche Reaktionen ich erfahren habe. In: Wulf Köpke & Bernd Schmelz (Hg.), Hexen im Museum, Hexen heute,<br />
Hexen weltweit (Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hmaburg, N.F. 34), S. 100-108, Hamburg 2004.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
− 4 −<br />
gegeben und sei damit als Legitimationsbasis hinfällig, als überflüssig. Die Völkerkunde,<br />
besonders in ihrem Zweig der Ethnohistorie, hat gezeigt, dass mythologische<br />
Vergangenheitskonstruktionen auf der ganzen Welt vorkommen und in den jeweiligen<br />
Kulturen ein Teil des eigenen Geschichtsverständnisses sind. Dies ist für mich auch den<br />
neuen Hexen als Subkultur zuzubilligen.<br />
Die „Neue-Hexen-Bewegung“ ist heute längst losgelöst von Frauenbewegung und<br />
Feminismus zu betrachten. Sie ist gegenwärtig in viele organisierte und freie Ritualgruppen<br />
aufgeteilt. In Deutschland ist auch in Alternative zum Christentum die Suche nach Kontakt<br />
mit dem Übernatürlichen, dem Wunsch nach spiritueller Kraft, Erleuchtung und<br />
Unterstützung für das eigene Leben ungebrochen. Und so wurden sogar alte, vorchristliche<br />
Fundplätze zu Kraftorten und Pilgerstätten für Anhänger neuer Rituale.<br />
Die Religionswissenschaftlerin und Ritualfrau Donate Pahnke bezeichnet die<br />
Erscheinungsform der neuen Hexen, die sich in Gruppen bilden, um z.B. alte germanische<br />
oder keltische Kultformen wiederzubeleben als „historisierende“ oder „revitalisierende<br />
Gruppen“. Sie schöpfen aus der Religiosität unserer Vorfahren und versuchen alte<br />
Kultpraktiken zu rekonstruieren und möglichst originalgetreu zu vollziehen.6<br />
Im Zusammenhang mit den Neuen Hexen ist auch das so genannte „Neue Heidentum“ zu<br />
erwähnen. Dieses lässt sich in Europa bis in das 19. Jahrhundert zurückführen. In<br />
Deutschland und Skandinavien begann damals schon eine Besinnung auf germanische<br />
Kulte, deren Anhänger sich als neu-germanische Heiden bezeichneten. Eine Entsprechung<br />
fand dies in Frankreich und in Großbritannien im neu-keltischen Heidentum.<br />
Der Begriff des Neuen Heidentums umfasst ein sehr unterschiedliches Spektrum religiöser<br />
und auch ideologischer Strömungen. Während manche sich bewusst neue Heiden nennen,<br />
um sich klar vom Christentum zu distanzieren, verwenden andere für sich den Begriff „Neue<br />
Heiden“ gar nicht. Der Begriff ist eher zu einer wissenschaftlichen Bezeichnung geworden.<br />
Einer der Zweige des Neuen Heidentums ist das bereits erwähnte neugermanische<br />
Heidentum. Mit einer unkritischen und idealisierten Sicht auf germanische Zeiten wird<br />
bewusst und zum Teil auch unbewusst Kritik an der gegenwärtigen Kultur geübt. Literatur<br />
über Runen und das Runenorakel gehören schon seit einiger Zeit zum Dauerangebot<br />
esoterischer Buchläden. Mit der Wiederbelebung alter Mythen, Kulte und religiöser<br />
Vorstellungen wünscht man sich nicht nur eine Erneuerung der Religion, sondern letztendlich<br />
der gesamten Kultur. Ein Teil dieser Neuen Heiden bzw. der neugermanischen Heiden ist<br />
heute in der rechtsradikalen bzw. Neonazi-Szene tätig. Von der großen Mehrheit der Neuen<br />
Hexen werden diese aber radikal abgelehnt und gemieden. Ähnliches gilt für den schwarzen<br />
Rand der neuen Heiden, also jenen, die sich der Verehrung Satans verschrieben haben.<br />
Die verschiedenen Hexenbewegungen seit den 70er Jahren mit einem starken Rückgriff auf<br />
vorchristliche Traditionen und einer bewussten Opposition gegen das Christentum sind<br />
ebenfalls letztendlich Neue Heiden. Auch die in England entstandene Wicca-Bewegung seit<br />
den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist in der Tradition der Neuen Heiden zu sehen.<br />
In England wurde das Gesetz gegen Hexerei erst 1951 aufgehoben. Mit diesem Schritt<br />
wagten sich verschiedene englische Hexenzirkel an die Öffentlichkeit. Die Anhänger dieser<br />
Gruppen fühlen sich in vielen Fällen vorchristlichen, oftmals druidischen Traditionen<br />
verbunden. Aber auch in diesem Fall konnte es von der historischen Wissenschaft bis heute<br />
6 Donate Pahnke, Gibt es eine Hexenreligion? Das Phänomen Hexe und die deutsche Hexen- und Heidenszene.<br />
In: Wulf Köpke & Bernd Schmelz (Hg.), Hexen im Museum, Hexen heute, Hexen weltweit (Mitteilungen aus dem<br />
Museum für Völkerkunde Hamburg, N.F. 34), Hamburg 2004, S. 214.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
− 5 −<br />
nicht nachgewiesen werden, dass es in England eine ungebrochene Kontinuität der Existenz<br />
einer naturmagischen Religion oder Kulte vom Mittelalter (oder noch früher) bis in die<br />
Gegenwart gibt.<br />
Generell ist die Neue-Hexen-Bewegung in England älter als in Deutschland. Den<br />
entscheidenden Anstoß hatte dort Gerald B. Gardner 1954 mit seinem auch heute noch<br />
berühmten Buch „Witchcraft Today“ (Hexerei heute) gegeben.7 Die Basis bildete hierfür die<br />
Theorie der Ägyptologin Margaret Alice Murray, die für die Zeit der großen<br />
Hexenverfolgungen in Europa vom 15. bis 17. Jahrhundert einen organisierten Hexenkult<br />
annahm. In ihrem 1921 erschienenen Buch „The Witch-Cult in Western Europe“ (Der<br />
Hexenkult in Westeuropa) sah sie die Hexen als Reste eines keltischen Stammes an und<br />
forcierte damit die Vorstellung des Hexenwesens als Überbleibsel einer vorchristlichen<br />
Religion.8<br />
Genau dies griff Gerald B. Gardner in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auf, in dem er<br />
die Hexen als Anhänger einer primitiven, fast verschwundenen Religion mit<br />
matriarchalischen Fruchtbarkeitsriten ansah. Die von ihm begründete Wicca-Bewegung sah<br />
er als Kontinuum einer uralten, nie ausgestorbenen Religion an. Gardner behauptete von<br />
sich selbst, bereits seit 1939 von einer Hexe initiiert zu sein.<br />
Wicca entwickelte sich durch sein Engagement zu einer naturbezogenen Religion mit<br />
Elementen alten englischen Volksglaubens und mitteleuropäischen esoterischen<br />
Vorstellungen der damaligen Zeit. Ziel der Riten ist es, mit magischen Mächten in der Natur,<br />
mit Geistern und alten vorchristlichen Göttinnen und Göttern Verbindung aufzunehmen und<br />
eine Beziehung herzustellen.<br />
Der Name Wicca bezieht sich auf einen altenglischen Ausdruck („wicce“) für „weise Frau“<br />
und gilt auch als Ursprung für den heutigen Begriff „witch“, der im Englischen Hexe,<br />
Zauberin, aber auch weise Frau bedeutet. In England sind die Mitglieder von Wicca in<br />
eigenständigen Gruppen von maximal 13 weiblichen und männlichen Mitgliedern, den sog.<br />
„Covens“ organisiert. Mitglied eines Covens – und dies wurde vor allem durch Gardner<br />
vorgegeben – wird man durch eine Initiation. Den Vorsitz hat jeweils eine Hohepriesterin, die<br />
auch ein Mann sein kann. Sie selbst nennen sich Hexen, was im Englischen<br />
geschlechtsneutral ist. Aber auch die deutschen Wicca-Vertreter bezeichnen sich als Hexen,<br />
egal ob sie Frauen oder Männer sind.<br />
„Hexer“ und „Magier“ sind Begriffe, die sie in Deutschland für sich selbst nicht akzeptieren.<br />
Im Gegensatz zum angelsächsischen Raum hat sich in Deutschland, wo es durchaus<br />
zahlreiche Wicca-Anhänger gibt, keine voll durchstruktuierte Organisation durchgesetzt.<br />
Vor allem in den 60er Jahren breitete sich Wicca sehr schnell in Regionen außerhalb<br />
Englands aus. Wesentlich trug hierzu Alex Sanders bei, der den so genannten<br />
„alexandrinischen Zweig“ der Wicca begründete. Durch zahlreiche Vorträge und Seminare<br />
fasste Wicca auch in Deutschland, den Niederlanden, USA, Kanada, Australien und<br />
Neuseeland Fuß.<br />
In den USA hat Wicca weite Anhängerkreise gefunden. Allerdings erlebte die USamerikanische<br />
Hexenbewegung ihren Aufschwung vielmehr durch die berühmten Hexen<br />
Starhawk und Zsuzsanne Budapest. Sie sehen ihren Ursprung in einer universalen Ur-<br />
Religion der Großen Mutter. Auch die Hexenbewegung in Deutschland hat durch die<br />
7 Gerald B. Gardner, Witchcraft today. London 1954. In deutscher Version ist das Werk unter dem Titel “Ursprung<br />
und Wirklichkeit der Hexen“ (Weilheim 1965) erschienen.<br />
8 Margaret Alice Murray, The Witch-Cult in Western Europe. A Study in Anthropology. Oxford 1921.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
− 6 −<br />
Übersetzung der Bücher dieser beiden amerikanischen Hexen einen großen Einfluss<br />
erfahren.<br />
Interessanterweise beginnt Wicca sich auch im vom Katholizismus geprägten Mexiko zu<br />
etablieren. Der mexikanischen Ethnologin Monica Pacheco (Oaxaca) verdanke ich den<br />
Hinweis, dass dort der „Círculo Wicca de México“ (Der Wicca-Kreis von Mexiko) und die<br />
„Escuela Wicca“ (Wicca-Schule) besonders aktiv sind. Die wichtigste Publikation aus diesem<br />
Umfeld stammt von der Wicca-Priesterin Verónica Hernández, „Wicca. La magia de la<br />
naturaleza“ (Wicca. Die Magie der Natur) aus dem Jahr 2003.9 Sie gründete in Mexiko den<br />
von ihr so bezeichneten Zweig „Wicca Celta Faery“. Dieser sucht die Wurzeln in den alten<br />
keltischen Kulten und versucht diese vor allem im Jahreskreislauf nachzuleben.<br />
Über die Bedeutung und Verbreitung von Wicca in Mexiko sind mir allerdings noch keine<br />
Untersuchungen bekannt. Bei einem Besuch im März <strong>2005</strong> in Mexiko fiel mir allerdings auf,<br />
dass auch in dortigen Buchläden das esoterische Angebot sehr stark zugenommen hat. In<br />
der Stadt Tepotzlán im Bundesstaat Morelos gab es sogar zahlreiche Läden, die auf Feng<br />
Shui, Reiki, Yoga, Tarot, Astrologie, europäische Amulette, ätherischen Ölen und ähnlichem<br />
spezialisiert waren. Offensichtlich ist man auch in Mexiko auf der Suche nach spirituellen<br />
Alternativen.<br />
Für viele sind moderne Hexen ein rotes Tuch, für manche sind sie weltfremde Traumtänzer,<br />
für andere gefährliche Jugendverführer. Es gibt aber auch nicht wenige Menschen, die die<br />
spirituellen Alternativen, die sich mit diesen Bewegungen eröffnen, schätzen. Inwieweit die<br />
Rückbindung an tatsächlich historisch greifbaren und nachweisbaren Wurzeln überhaupt<br />
eine Rolle für das Selbstverständnis spielt, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Mir<br />
scheint es eher ein Problem der Wissenschaft als der Praktizierenden zu sein.<br />
9 Verónica Hernández, Wicca. La magia de la naturaleza, México 2003.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.