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Bericht - KED

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2. TITELTHEMA<br />

Inklusive Bildung<br />

– eine Herausforderung auch<br />

für Katholische Schulen in freier Trägerschaft?!<br />

Marie-Theres Kastner und Elisabeth Brauckmann<br />

Ein <strong>Bericht</strong> zum Workshop des Arbeitskreises Katholischer Schulen in<br />

Kooperation mit der Konferenz der Leiter der Diözesanen Schulabteilungen und<br />

des Caritasverbandes mit dem Katholisch-Sozialen Institut in Bad Honnef am<br />

16. und 17. Dezember 2010.<br />

Diese Tagung wurde unter Beteiligung unserer Bundesvorsitzenden<br />

Marie-Theres Kastner vorbereitet, neben ihr nahm am Workshop selbst auch die<br />

Bundesgeschäftsführerin Elisabeth Brauckmann teil.<br />

Am 26. März 2009 ist die UN-Konvention<br />

über die Rechte von Menschen mit<br />

Behinderungen in Deutschland in Kraft<br />

getreten. Im Artikel 24 der Konvention<br />

verpflichten sich die Teilnehmerstaaten,<br />

ein inklusives Bildungssystem zu gewährleisten.<br />

Doch was ist ein inklusives Bildungswesen?<br />

In welcher Beziehung steht inklusive<br />

Bildung zum Leitbild katholischer<br />

Schulen und verbandlicher Caritas? Welche<br />

Folgen hat die Umsetzung der Konvention<br />

für das katholische Schulwesen?<br />

Diesen Fragen widmete sich der Workshop<br />

und beleuchtete die Fragen nach einer<br />

inklusiven Bildung aus theologischer,<br />

juristischer, erziehungswissenschaftlicher<br />

und politischer Perspektive.<br />

Die Entwicklung zu der UN-<br />

Behindertenrechtskonvention<br />

1994 Einführung des Begriffs „Inklusion“<br />

in die internationale schulpädagogische<br />

Diskussion auf der<br />

Konferenz von Salamanca,<br />

2002 Erklärung von Madrid des Europäischen<br />

Behindertenforums: Inklusion<br />

und Gesellschaft,<br />

2006 Verabschiedung der Konvention<br />

bei der UNO-Generalversammlung<br />

in New York,<br />

2009 in Krafttreten in der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

26 ELTERNforum 1-2011<br />

Definition<br />

Hier waren sich alle Vortragenden einig:<br />

„Inklusion“ ist die substanzielle Weiterentwicklung<br />

der „Integration“. Integration<br />

erwartet die Eingliederung der Menschen<br />

in ein bestehendes System, Inklusion<br />

dagegen geht von der Verschiedenheit<br />

der Menschen aus und versucht dieser<br />

Verschiedenheit gerecht zu werden. Es<br />

geht also darum, das Miteinander zu<br />

leben und auch zu gewährleisten.<br />

Als die größte pädagogische Herausforderung<br />

seit 1945 beschrieb<br />

Dr. Ulrich Heimlich, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München,<br />

Department für Pädagogik und Rehabilitation,<br />

Lehrstuhl für Lernbehindertenpädagogik,<br />

die Auswirkungen der UN-Konvention.<br />

Die Umsetzung bedeute den Verzicht<br />

auf jegliche Aussonderung, die Heterogenität<br />

als Chance und Bereicherung,<br />

die Einbeziehung gesellschaftlicher Probleme<br />

der Teilhabe und die Abkehr von<br />

der Unterscheidung von Menschen mit<br />

oder ohne Behinderung, hin zur Sichtweise<br />

von Menschen mit individuellen<br />

Bedürfnissen.<br />

Inklusive Bildung beinhalte heterogene<br />

Lerngruppen, in denen die Schüler voneinander<br />

lernen und individuell gefördert<br />

werden. Während früher die Vergabe<br />

des Etiketts „lernbehindert“ notwendig<br />

war, um Förderung zu erhalten, kennt<br />

Inklusion nur Kinder und Jugendliche mit<br />

vielen unterschiedlichen Bedürfnissen,<br />

Interessen und Fähigkeiten. Ein inklusives<br />

Bildungswesen müsse diese erkennen und<br />

passgenau Lern- und Förderangebote<br />

entwickeln. Diese Aufgabe könne nur<br />

unter Einbeziehung sonderpädagogischer<br />

Fachkompetenz und interdisziplinärer<br />

Teams im gesamten Bildungssystem<br />

geleistet werden. Inklusive Didaktik<br />

schöpfe aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

des gemeinsamen Unterrichts.<br />

Grundlagen der inklusiven Didaktik<br />

seien Entwicklungsorientiertes Lernen,<br />

Vielfalt gemeinsamer und individueller<br />

Lernsituationen, sensorisch vielfältig gestaltete<br />

Lernumgebungen sowie Kernkurricula,<br />

Lernhilfen und basale Lernerfahrungen<br />

für alle Schüler. Manche Ansätze<br />

aus der Reformpädagogik wie ein<br />

hohes Maß an Selbsttätigkeit, mehr<br />

Lehrer- und mehr Schülerhilfe, Grundelemente<br />

des offenen Unterrichts (Freiarbeit,<br />

Wochenplan…), strukturiert-lehrerzentrierte<br />

Elemente und kooperatives<br />

Lernen in heterogenen Gruppen seien<br />

dabei durchaus hilfreich.<br />

Die juristischen Aspekte der UN-<br />

Konvention erläuterte Prof. Dr. Ralf<br />

Poscher vom Institut für Staatswissenschaft<br />

und Rechtswissenschaft der Universität<br />

Freiburg.<br />

Er begrüßte die UN-Konvention, da<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse längst darauf<br />

verwiesen, dass ein langer Verbleib<br />

in sonderpädagogischen Einrichtungen<br />

mit einem Verlust des Intelligenzquotienten<br />

und der sozialen Kompetenz einhergingen.<br />

Daher sei ein Abbau des Förderschulsystems<br />

in Deutschland notwendig.<br />

Ziel müsse es sein, die Inklusionsrate,<br />

ähnlich wie in anderen europäischen<br />

Ländern, deutlich zu erhöhen.<br />

Rechtlich gesehen verpflichte die Konvention<br />

die Staaten ohne wenn und aber


zu einer schrittweisen Umsetzung. Poscher<br />

verwies dabei auf die unterschiedlichen<br />

Umsetzungsprozesse in den einzelnen<br />

Bundesländern und vor allem darauf,<br />

dass ein funktionierendes inklusives Bildungswesen<br />

nicht teurer sei als das<br />

bisherige System, wobei man nicht dem<br />

Irrtum unterliegen dürfe, Inklusion sei ein<br />

Sparmodell.<br />

Der Abend des ersten Veranstaltungstages<br />

wurde abgerundet durch die Präsentation<br />

von zwei inklusiven Modellschulen:<br />

Das Werner von Siemens<br />

Gymnasium in staatlicher Trägerschaft,<br />

Bad Harzburg, und die Bischöfliche<br />

Maria-Montessori-Gesamtschule, Krefeld.<br />

Den Teilnehmern wurden die Vorteile<br />

aber auch die Schwierigkeiten inklusiver<br />

Schulen verdeutlicht. Einmal mehr wurde<br />

klar, dass für ein Gelingen ganz neue<br />

Rahmenbedingungen erforderlich sind.<br />

„Behindert ist man nicht, behindert<br />

wird man.“ Mit dieser Feststellung<br />

begann der Moraltheologe Prof. Dr.<br />

Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen<br />

Universität Eichstätt-Ingolstadt<br />

seinen Vortrag. Inklusion sei ein diakonischer<br />

Auftrag Katholischer Schulen, da<br />

war er sich ganz sicher. Behinderung sei<br />

kein körperliches, sondern eher ein soziales<br />

Phänomen. Im Rahmen seiner weiteren<br />

theologisch-ethischen Erwägungen<br />

konstatierte er Inklusionshemmnisse<br />

als durchaus dominantes Moment in<br />

der katholischen Kirche. Bei vielen Christen<br />

schimmere immer noch die antike<br />

Sichtweise durch, dass Behinderung eine<br />

Strafe Gottes sei – und, so Lob-Hüdepohl:<br />

„Wie ich denke, so handele ich.“ Die Tatsache,<br />

dass die Ordination Behinderter in<br />

der Katholischen Kirche sehr erschwert<br />

sei, sei hierfür ein Beispiel. Dabei habe<br />

Jesus die antike Tradition durchbrochen<br />

durch das Moment der Heilung bzw. das<br />

heilende Wirken am Behinderten.<br />

Lob-Hüdepohl machte deutlich, dass<br />

Inklusion letztlich eine Abkehr von der<br />

Dominanzkultur der Mehrheitsgesellschaft<br />

sei. Der veränderte Umgang mit<br />

einer Minderheit sei ein Mehrwert für alle<br />

Seiten. Und er führte erläuternd ein Zitat<br />

der Deutschen Bischofskonferenz aus<br />

2003 an: „Mit Behinderungen sein Leben<br />

zu führen, hat eine eigene Sinnhaftigkeit.<br />

Für die Mehrzahl der Menschen relativiert<br />

es die gewohnten Maßstäbe des<br />

Sinnvollen und Nichtsinnvollen. Nichtbehinderte<br />

Menschen erkennen, dass es<br />

möglich ist, sinnvoll zu leben bei allem<br />

Anderssein. Festgefahrene und verengte<br />

Bilder vom geglückten Leben werden aufgebrochen.<br />

Sie entdecken am Anderen<br />

neue Möglichkeiten, mit den Begrenztheiten<br />

auch des eigenen Lebens sinnvoll<br />

umzugehen. Sie lernen einen respektvollen<br />

Umgang mit Verschiedenheiten,<br />

ohne immer wieder die alten Muster von<br />

besser oder schlechter zu bemühen. Sie<br />

lernen, Ängste vor dem Unbekannten und<br />

Befremdlichen abzubauen. Sie lernen<br />

eine Menschlichkeit, die für vieles Platz<br />

hat. So besehen, sind Menschen mit Be-<br />

Marie-Theres Kastner ist die<br />

Bundesvorsitzende der <strong>KED</strong>.<br />

hinderungen ‚besondere Autoritäten’ für<br />

einen Reichtum sinnerfüllten, gelingenden<br />

Lebens, der sich in keinem fest gefügten<br />

Bild fixieren lässt.“ Lob-Hüdepohl schloss<br />

mit dem Appell: Triebkraft christlichen<br />

Handelns sei das Wissen, dass etwas<br />

Sinn hat, ohne aber zu wissen, dass es<br />

erfolgreich ist. Gerade deshalb müsse<br />

man auch an katholischen Schulen sich<br />

der Inklusion zuwenden.<br />

Dass es viele Nachfragen nach all diesen<br />

Vorträgen gab und dass über die notwendigen<br />

Rahmenbedingungen lebhafte<br />

Diskussionen entstanden, braucht sicher<br />

nicht ausgeführt zu werden. Wir, die<br />

<strong>KED</strong>, werden das bei unserem Bundeskongress<br />

im April 2011 sicher auch tun.<br />

Elisabeth Brauckmann ist<br />

Bundesgeschäftsführerin der <strong>KED</strong>.<br />

ELTERNforum 1-2011<br />

© Philipp Hubbe<br />

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