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Kinder und Jugendliche lassen ihr Geschlecht nicht zu Hause ...

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1<br />

Fachtagung „Kann denn Liebe Sünde sein? – Ermutigung <strong>zu</strong> einer sensiblen Sexualpädagogik<br />

innerhalb der katholischen Kirche“ am 17. September 2013 in Köln<br />

DOKUMENTATION<br />

_________________________________________________________________________<br />

Vortrag: „<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> <strong>lassen</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Geschlecht</strong> <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> <strong>Hause</strong>“<br />

Sexualpädagogische Impulse in der caritativen/kirchlichen <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe/Jugendarbeit<br />

Professor Dr. Stephan Leimgruber, München<br />

_________________________________________________________________________<br />

0. Einleitungsfragen<br />

Die frohe Botschaft des christlichen Glaubens<br />

Der Blickwinkel der Sexualpädagogik: Formalobjekt <strong>und</strong> Wissenschaftsverständnis<br />

Anliegen <strong>und</strong> Aufgabe: Freiheitlich gestalteter Umgang mit Sexualität in Verantwortung<br />

1. <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> <strong>lassen</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Geschlecht</strong> <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> <strong>Hause</strong><br />

Entdramatisierte Sexualität – Fragmente der Jugendsexualität<br />

Sexualität als ins Leben eingesenkte plastische Gestaltungsmöglichkeit<br />

Für Erwachsene: Achtsamkeit <strong>und</strong> vertrauende Ge<strong>lassen</strong>heit<br />

Erziehungsziele: Christliche Mündigkeit <strong>und</strong> Verantwortung<br />

2. Das biblische Erbe betreffend Sexualität verlebendigen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzliche Bejahung der Sexualität in der Bibel<br />

Das Hohelied der Liebe<br />

Jesu ungewöhnlicher Umgang mit Frauen<br />

Die Stellen <strong>zu</strong>r Homosexualität in der Bibel<br />

Fünffache Sinndimension der Sexualität – systematisch gesehen<br />

3. Umgang mit Sexualität in Familie, KITAS <strong>und</strong> <strong>Kinder</strong>gärten<br />

Unbedingtes Erwünschtsein aller <strong>Kinder</strong> (Mutter Teresa)<br />

Das Nicht-Erwünschtsein von sexuellen Übergriffen unter <strong>Kinder</strong>n<br />

Exkurs: Doktorspiele – Sinnhaftigkeit <strong>und</strong> Grenzen<br />

„Unser Kind war übergriffig.“ – Notwendige Elternmitarbeit<br />

Familienspiritualität?<br />

4 <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> <strong>und</strong> Fragen <strong>zu</strong>r Sexualität in caritativen Einrichtungen<br />

Dialogische Gr<strong>und</strong>haltung der erziehenden Begleiter<br />

Die Bedeutung von Fre<strong>und</strong>schaften – vielfältige sexuelle Orientierungen<br />

Über die „Stufenleiter der Zärtlichkeiten“ (Würzburger Synode 1974 <strong>und</strong> Youcat 2012)<br />

Kritik der Pornographie<br />

Regeln <strong>und</strong> ethische Kodizes der Selbstverpflichtung<br />

5. <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> mit Behinderungen <strong>und</strong> Sexualität<br />

Auch <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> mit Handicaps haben sexuelle Bedürfnisse<br />

Vielfalt der Fördermöglichkeiten<br />

Aktive <strong>und</strong> passive Sexualassistenz (<strong>und</strong> überhaupt)?<br />

Ehe von Menschen mit Behinderungen<br />

6. Leitlinien für eine jugendsensible <strong>und</strong> reife Gr<strong>und</strong>einstellung <strong>zu</strong>r Sexualität<br />

„Kann denn Liebe Sünde sein?“<br />

Literatur


2<br />

Die Frohe Botschaft des christlichen Glaubens<br />

In den Fürbitten des kirchlichen St<strong>und</strong>engebetes vom Donnerstag in der dritten<br />

Woche heißt es in der Laudes:<br />

„Gott, du hast uns Menschen w<strong>und</strong>erbar erschaffen<br />

<strong>und</strong> noch w<strong>und</strong>erbarer erneuert;<br />

gib, dass wir dir allezeit danken.“ (St<strong>und</strong>enbuch III. i. J. 526)<br />

Eigentlich haben wir Christen in Be<strong>zu</strong>g auf unsere Leibhaftigkeit <strong>und</strong> <strong>Geschlecht</strong>lichkeit<br />

eine Frohe Botschaft <strong>zu</strong> verkünden: Gott hat uns erschaffen als sein Abbild<br />

– als Mann <strong>und</strong> Frau (Gen 1,27); beide hat er gesegnet <strong>und</strong> ihnen den Auftrag <strong>zu</strong><br />

Liebe <strong>und</strong> Fruchtbarkeit gegeben (Gen 1,28). In schöner Weise spricht die ältere<br />

Schöpfungserzählung von Adam <strong>und</strong> Eva, dass sie Vater <strong>und</strong> Mutter ver<strong>lassen</strong> <strong>und</strong><br />

„ein Fleisch sein werden“ (Gen 2,24).<br />

Damit hat Gott dem Menschen die <strong>Geschlecht</strong>lichkeit als gute Gabe anvertraut. Darin<br />

enthalten sind die bipolare Anziehungskraft <strong>und</strong> die Zeugungsfunktion. In Jesus<br />

Christus sehen Christinnen <strong>und</strong> Christen die Schöpfung Gottes erneuert. Der Leib<br />

wird in der Bibel hochgehalten. Er gilt als „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor<br />

6,19). Kein W<strong>und</strong>er, sagt der Psalmist: „Ich danke dir, dass du mich so w<strong>und</strong>erbar<br />

gestaltet hast“ (Ps 139,14). Doch diese frohe Botschaft hat das Christentum lange<br />

Zeit verraten.<br />

Freilich, mit dieser Gabe ist die Aufgabe verb<strong>und</strong>en, mit Sexualität gut, würdig,<br />

menschengerecht um<strong>zu</strong>gehen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> gestalten. Hier intervenieren Freiheit <strong>und</strong> Verantwortlichkeit<br />

des Menschen. Deshalb ist der Umgang mit Sexualität eine große<br />

Herausforderung für jede Person. Ja, es geht um eine lebenslange Aufgabe, die auch<br />

scheitern kann. Die christliche Botschaft meint in Be<strong>zu</strong>g auf Sexualität<br />

- Freiheit, <strong>nicht</strong> Instrumentalisierung, <strong>nicht</strong> Vergewaltigung<br />

- sinnvolles Leben in Fülle, Verbindlichkeit <strong>und</strong> Dauer<br />

- Quelle tiefer Lebensfreude, statt kurzfristiger Lustgewinn durch Missbrauch<br />

<strong>und</strong> Gewalt.<br />

Eberhard Schrockenhof diagnostizierte die frühere Sexualmoral <strong>und</strong> Sexualpädagogik<br />

so, dass sie das ganze Leben umstellt hat mit einer Unmenge von Geboten, Verboten<br />

<strong>und</strong> schweren Sünden. Doch dies ist heutigen jungen Menschen keine Hilfe<br />

mehr. Zwar erfahren <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> durchaus auch Scheitern, Fehler,<br />

Misstritte, Taten, durch die andere an Leib <strong>und</strong> Seele beschädigt werden – was<br />

anthropologisch als Schuld <strong>und</strong> theologisch als Sünde qualifiziert werden kann.


3<br />

Leider hat die offizielle Katholische Kirche seit 1999 (Brief der Jugendkommission)<br />

keine hilfreiche Sprache in diesem Bereich mehr gef<strong>und</strong>en. Der Dialog mit der<br />

Jugend steht seit 14 Jahren still. Präventionsprogramme gegen Missbräuche greifen<br />

<strong>zu</strong> kurz! Die diözesanen Caritatsverbände, die KJG (Katholische Junge Gemeinde)<br />

<strong>und</strong> der BDKJ (B<strong>und</strong> der Deutschen Katholischen Jugend) bilden löbliche Ausnahmen.<br />

Es gibt zahlreiche Jahrestagungen <strong>und</strong> Fortbildungen <strong>zu</strong>m Thema, das auch im<br />

Zusammenhang mit Schwangerenberatung aufgegriffen wird. Dafür danke ich Ihnen<br />

herzlich! Wir haben vom christlichen Glauben jungen unsicheren Menschen so viel<br />

Hilfreiches <strong>zu</strong> bieten <strong>und</strong> sollen das Licht <strong>nicht</strong> unter den Scheffel stellen!<br />

Der Blickwinkel der Sexualpädagogik: Formalobjekt <strong>und</strong> Wissenschaftsverständnis<br />

Sexualpädagogik vor einem christlichen Hintergr<strong>und</strong> befasst sich mit Sexualität innerhalb<br />

gelingender Beziehungen. Sie reflektiert sexuelle Phänomene <strong>und</strong> intimes<br />

Handeln der <strong>Geschlecht</strong>er entlang des Lebenslaufes, wobei Sexualität im engeren<br />

<strong>und</strong> weiteren Sinn <strong>zu</strong> unterscheiden ist. Weil Sexualität kein bloßes Phänomen der<br />

Pubertät ist, keine befristete Zugabe (epitheton ornans), sondern das ganze Leben<br />

prägt, überlegt Sexualpädagogik verantwortlichen Umgang in der gesamten Lebensspanne.<br />

Um <strong>zu</strong> handlungsbezogenen Leitlinien <strong>zu</strong> gelangen, bezieht Sexualpädagogik<br />

Human- <strong>und</strong> Geisteswissenschaften, etwa die Entwicklungspsychologie, ein.<br />

Als Wissenschaft vor christlichem Hintergr<strong>und</strong> bedenkt sie theologische <strong>und</strong> ethische<br />

Aspekte <strong>und</strong> überlegt, was sie für eine <strong>zu</strong>kunftsfähige Gestaltung des Lebens<br />

bedeuten. Indem sie wissenschaftliche Kenntnisse integriert, handelt es sich um eine<br />

– wie die Religionspädagogik – interdisziplinäre Verb<strong>und</strong>wissenschaft. Sie begnügt<br />

sich <strong>nicht</strong> mit der Anwendung dogmatischer Katechismussätze für <strong>Kinder</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong>. Sie begnügt sich <strong>nicht</strong> mit der Repetition biblischer Zitate in freikirchlicher<br />

Manier, sondern integriert die Ergebnisse diverser Disziplinen für einen<br />

<strong>zu</strong>kunftsfähigen Umgang mit Sexualität in der pluralen Gesellschaft <strong>und</strong> im privaten<br />

Leben.<br />

Im aktuellen religionspädagogischen Diskurs bemüht sich die Sexualpädagogik um<br />

„geschlechterbezogene“ oder „sexuelle Bildung“. Und Bildung zielt auf Selbstbildung,<br />

Sinnfragen, Autonomie <strong>und</strong> Mündigkeit. Vor christlichem Hintergr<strong>und</strong> kann<br />

sexuelle Bildung als Ziel christlicher Mündigkeit verstanden werden <strong>und</strong> diese ist<br />

<strong>zu</strong> fördern durch die Arbeit an Kompetenzen, d. h. an kognitiven, emotionalen, wil-


4<br />

lentlichen, sprachlichen, kreativen <strong>und</strong> handlungsbezogenen elementaren Fähigkeiten.<br />

(FOLIE 4) Diese kompetenzorientierte Haltung soll in den Erfahrungsbereichen<br />

KITAS <strong>und</strong> <strong>Kinder</strong>tagesstätten (Kapitel 3), in caritativen Einrichtungen (Kapitel 4)<br />

<strong>und</strong> in Be<strong>zu</strong>g auf <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> mit Behinderungen bzw. mit Förderbedarf(Kapitel<br />

5) aufgezeigt werden.<br />

Wie Sexualität eine biopsychosoziale Einheit bildet, sind die entsprechenden Kompetenzen<br />

betreffend Leib <strong>und</strong> Leben, Seele <strong>und</strong> Geist, kognitives Verstehen <strong>und</strong><br />

Willen aus<strong>zu</strong>bilden.<br />

1. <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> <strong>lassen</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Geschlecht</strong> <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> <strong>Hause</strong><br />

Diese Formulierung ist eine Abwandlung von Renate-Berenike Schmidts Wort<br />

„Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>lassen</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Geschlecht</strong> <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> <strong>Hause</strong>“. Vielmehr begegnen<br />

uns Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler stets als geschlechtlich geprägte Personen, die<br />

<strong>ihr</strong>e Sexualität <strong>nicht</strong> vor der Schultür deponieren. Stattdessen sind uns <strong>Jugendliche</strong><br />

in Einrichtungen, aber auch <strong>Kinder</strong> in KITAS <strong>und</strong> <strong>Kinder</strong>gärten präsent<br />

als Mädchen oder Jungen<br />

als junge Frauen oder junge Männer<br />

gewiss in unterschiedlichen Entwicklungsphasen,<br />

je anders in <strong>ihr</strong>er leiblichen Gestalt,<br />

different in Kleidung <strong>und</strong> Auftreten.<br />

<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> begegnen uns unabhängig von<br />

<strong>ihr</strong>em sozialen Status, <strong>ihr</strong>er Bildung <strong>und</strong> Herkunft,<br />

unabhängig von religiöser Sozialisation<br />

als Personen mit <strong>und</strong> ohne Behinderung<br />

gleich welcher Religion <strong>zu</strong>gehörig,<br />

aber stets auch als sexuell geprägte Personen.<br />

Für die Mehrheit gilt allerdings, Sexualität ist <strong>nicht</strong> mehr wie vor fünfzig Jahren<br />

„Thema Nr. 1“. Sexualität ist „entdramatisiert“, gelegentlich leider „banalisiert“, in<br />

den Medien <strong>und</strong> in der westlichen Werbung omnipräsent, <strong>nicht</strong> aber im Osten <strong>und</strong><br />

im Fernen Osten (<strong>nicht</strong> in islamisch geprägten Ländern). Sexualität ist <strong>zu</strong>recht eingeordnet<br />

<strong>und</strong> das vielfältige Spektrum bedeutsamer Erfahrungen menschlicher <strong>und</strong><br />

zwischenmenschlicher Begegnungsweisen. Durch die modernen Medien wird Sexualität<br />

im Leben vieler <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong>r antizipiert <strong>und</strong> <strong>nicht</strong> entwicklungsgemäß<br />

gezeigt.


5<br />

Auch <strong>Kinder</strong> sind sexuelle Wesen; viele sind neugierig <strong>und</strong> werden neugierig gemacht<br />

auf das andere <strong>Geschlecht</strong>, aber Sexualität wird vorreflexiv erlebt – ganz unterschiedlich<br />

als Erwachsene, die Sexualität bewusst erleben. – Wir kommen in Kapitel<br />

3 darauf <strong>zu</strong>rück. Mit 11/12 gibt es erste Begeisterungen <strong>und</strong> erstes Verlieben,<br />

später Küsse <strong>und</strong> Annäherungen. Verfehlt wäre die Annahme, <strong>Jugendliche</strong> denken<br />

nur an das Eine; sie wären total pornoversetzt <strong>und</strong> hungrig nach dem nächsten<br />

Abenteuer. Sie hätten bereits alles hinter sich <strong>und</strong> würden Sexualität im vollen Sinne<br />

stets früher erleben.<br />

Nein, <strong>Jugendliche</strong> suchen <strong>zu</strong>erst <strong>und</strong> vor allem gelingendes Leben. Sie halten Ausschau<br />

nach einer sinnvollen Tätigkeit, Beruf, Zukunft <strong>und</strong> Auskommen sind vorrangig.<br />

Viele fragen: Wer bin ich eigentlich? Wohin soll die Reise gehen? Wie gelingt<br />

mein Leben? Hat das, was ich tue <strong>und</strong> erlebe, Sinn? Bringt es mir etwas? Vielleicht<br />

auch: Wo kann ich eine Fre<strong>und</strong>schaft aufbauen <strong>und</strong> ein Echo bekommen?<br />

Gibt es Anerkennung für mich, vielleicht auch etwas Zärtlichkeit? Unter Umständen:<br />

Hat mein Leben mit Gott <strong>zu</strong> tun? Begleitet er mich? Oder ist alles für die Katze<br />

<strong>und</strong> hat keinen Sinn?<br />

(Ich wohne nahe bei der Allianz-Arena vom FC Bayern München <strong>und</strong> erlebe auch,<br />

wie zweimal wöchentlich 70.000 vorwiegend junge <strong>und</strong> erwachsene Menschen in<br />

dieses Heiligtum pilgern, viele johlend <strong>und</strong> grölend – bereits verladen <strong>und</strong> überdecken<br />

<strong>ihr</strong>e Sehnsüchte mit Alkohol. Eigentlich suchen sie – ja – was suchen sie?)<br />

Nach vier empirischen Umfragen aus den Jahren 2010-12 machen die Hälfte bis<br />

zwei Drittel der <strong>Jugendliche</strong>n mit ca. 17 Jahren erste Intimerfahrungen. Bis zwanzig<br />

Prozent variieren die Ergebnisse. Und es gibt <strong>Jugendliche</strong> mit zwanzig, die eben<br />

<strong>nicht</strong> in einer festen Fre<strong>und</strong>schaft leben, eher familienorientiert sind, anderer Prioritäten<br />

setzen <strong>und</strong> denen <strong>nicht</strong>s fehlt. In einer sportlichen, einer musikalischen oder<br />

universitären Karriere, die oft eher der Wunsch der Eltern ist, hat Fre<strong>und</strong>schaft<br />

<strong>nicht</strong> immer Platz.<br />

Sexualität kommt in diversen Varianten <strong>und</strong> Orientierungen vor: überwiegend als<br />

Heterosexualität in Ausrichtung auf das andere <strong>Geschlecht</strong>, aber auch als homoerotische<br />

Ausrichtung auf das eigene <strong>Geschlecht</strong>. Transsexualität meint eine Differenz<br />

zwischen biologischem <strong>und</strong> gefühltem <strong>Geschlecht</strong>, z. B. leiblich ein Mann aber


6<br />

fühlt sich als Frau, was als schmerzhafte Diskrepanz erlebt <strong>und</strong> von einigen medizinisch<br />

verändert wird. Unter Intersexualität wird eine <strong>nicht</strong> eindeutige Zuordnung<br />

einer Person <strong>zu</strong> einem bestimmten <strong>Geschlecht</strong> verstanden, was <strong>zu</strong> Aberkennung von<br />

Goldmedaillen an Olympischen Spielen geführt hat. Nicht so selten gibt es Bisexualität,<br />

also das Hingezogen sein <strong>zu</strong> beiden <strong>Geschlecht</strong>ern, wobei dann häufig eine<br />

Ausrichtung <strong>nicht</strong> gelebt wird, weil sie gesellschaftlich Tabu ist. Tragisch ist die<br />

sexuelle Ausrichtung Erwachsener auf <strong>Kinder</strong>, sog. Pädophilie, <strong>und</strong> auf <strong>Jugendliche</strong><br />

zwischen 11 <strong>und</strong> 15 (Ephebophilie), weil hier Konflikt mit dem Gesetz <strong>und</strong> Verlet<strong>zu</strong>ngen<br />

kindgerechten Umgangs mit Sexualität programmiert sind.<br />

Diese Vielfalt der sexuellen Ausrichtungen ist den Verfassern des sog. Weltkatechismus<br />

(Katechismus der Katholischen Kirche 1992 (3) offenbar unbekannt. Immerhin<br />

verurteilt er homoerotisch ausgerichtete Männer <strong>und</strong> Frauen <strong>nicht</strong> mehr,<br />

disqualifiziert jedoch homosexuelle Beziehungen <strong>und</strong> Handlungen. Katholische<br />

Priester, die ein Coming-out gegeben haben, müssen das Zelebrat abgeben <strong>und</strong><br />

evangelische Pastorinnen <strong>und</strong> Pastoren, die in Bayern in einer gleichgeschlechtlichen<br />

Partnerschaft leben, müssen dies der Gemeinde bekannt geben. Betreffend eine<br />

absolute Gleichstellung dieser Partnerschaften stimme ich der B<strong>und</strong>eskanzlerin<br />

<strong>zu</strong>, dass in Be<strong>zu</strong>g auf das Adoptionsrechts Bedenken an<strong>zu</strong>melden sind. Denn <strong>Kinder</strong><br />

brauchen beide <strong>Geschlecht</strong>er für ein harmonisches Aufwachsen.<br />

Fazit: Wenn Sexualität eine gute Gabe Gottes in die Mitte einer Person eingesenkt<br />

ist, <strong>und</strong> alle Menschen vor Gott gleich wertvoll sind, dann müsste das eigentlich für<br />

jede sexuelle Orientierung gelten. Allerdings müsst man im Kirchlichen Dienst <strong>und</strong><br />

in pädagogischen Feldern spezielle Anstellungsbedingungen für besondere Fälle<br />

treffen.<br />

Es ist kein Zufall, dass eine Mehrheit der <strong>Jugendliche</strong>n eine negative Meinung von<br />

der traditionellen Einstellung der Kirche hat. Sie fühlt sich „von der Kirche im<br />

Stich ge<strong>lassen</strong>“, deren Ansichten gelten als passé, uncool <strong>und</strong> megaout. Im Youcat<br />

gibt es eine Mischung traditioneller <strong>und</strong> offener Sexualmoral. Lust wird als positiv<br />

beurteilt, Selbstbefriedigung <strong>nicht</strong> pauschal verurteilt, wie bekanntlich im letzten<br />

Nebensatz des KKK Nr. 2352 auch <strong>nicht</strong>. (Sexualwissenschaftlich spricht beispielsweise<br />

Maika Böhm von Solosexualität <strong>und</strong> ordnet sie als legitime Ausdrucksform<br />

der Sexualität ein, wohlwissend, dass Sexualität auf Partnerschaft ausgerichtet<br />

ist.)


7<br />

Für Erwachsene: Achtsamkeit <strong>und</strong> vertrauende Ge<strong>lassen</strong>heit.<br />

Eine <strong>zu</strong>kunftsfähige ethische Erziehung <strong>und</strong> sexuelle Bildung in pluraler Zeit kann<br />

<strong>nicht</strong> mehr anders, als junge Menschen auf <strong>ihr</strong> persönliches Gewissen hin ansprechen.<br />

Das erfordert von Erwachsenen einen Vertrauensvorschuss in die <strong>Jugendliche</strong>n<br />

<strong>und</strong> eine optimistische Ge<strong>lassen</strong>heit, dass alles ein gutes Ende nehme. Bereits<br />

<strong>Kinder</strong>, noch mehr <strong>Jugendliche</strong>, wollen als Personen ernstgenommen <strong>und</strong> sowohl in<br />

den Entscheidungsfindungsprozess als auch in die konkrete Verantwortungsübernahme<br />

einbezogen werden. <strong>Kinder</strong> sind zwar <strong>nicht</strong> als Erwachsene <strong>zu</strong> behandeln<br />

<strong>und</strong> in ausgedehnt rationale <strong>und</strong> oft rationalistische Begründungs<strong>zu</strong>sammenhänge<br />

ein<strong>zu</strong>passen, doch <strong>zu</strong> einem kindgerechten Verstehen <strong>ihr</strong>es Handelns können sie<br />

durchaus geführt werden. Hierbei ist bedeutsam, wie auch ethisches Lernen ein lebenslanger<br />

Lernprozess ist, in dessen Mittelpunkt das sittliche Urteilen (Iudicium)<br />

steht <strong>und</strong> damit ein gewisses formbares Miteinander: Im dritten Jahrtausend genügt<br />

es <strong>nicht</strong> mehr, von jungen Menschen einfach Gehorsam <strong>und</strong> Unterwürfigkeit <strong>zu</strong> verlangen.<br />

Unter Gewissen ist der „personale Kern“ eines Menschen vor Gott <strong>zu</strong> verstehen,<br />

d.h. sein gewachsenes, mitgeprägtes <strong>und</strong> doch persönlich gewordenes Urteilsvermögen<br />

von Gut <strong>und</strong> Böse, das sich durchaus dynamisch entwickeln kann<br />

<strong>und</strong> seine Grenzen kennt, <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong>letzt die Tatsache, dass die „Normen im Wandel“<br />

sind. Religiöse Grenzerfahrungen können sich im Gewissen spiegeln, doch wäre es<br />

<strong>zu</strong> kurz, überall Gottes Stimme hören <strong>zu</strong> wollen. Stärker in Betracht kommen in den<br />

letzten Jahrzehnten die verschiedenen strukturgenetischen Entwicklungshypothesen<br />

<strong>zu</strong>m ethischen <strong>und</strong> religiösen Lernen. (Diese belegen durchaus gewisse Merkmale<br />

der ethischen Entwicklung in „weichen Stufen“ von einer Abhängigkeit von anderen<br />

über eine Orientierung an Gleichgesinnten bis hin <strong>zu</strong> einer relativen Eigenständigkeit,<br />

<strong>nicht</strong> jedoch „harte Stufen“ <strong>und</strong> der Anspruch einer universalen Gültigkeit<br />

dieser Stufen. Sie sind eher kulturell bedingt <strong>und</strong> in <strong>ihr</strong>er Tragweite limitiert.) –<br />

Wichtig ist heute, <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> in die Wertefindung ein<strong>zu</strong>beziehen <strong>und</strong><br />

mit <strong>ihr</strong>er Stimme <strong>zu</strong> rechnen. Das Gewissen kann „als das dem Menschen vorbehaltene<br />

Vermögen, Handlungen <strong>und</strong> Handlungsziele unter sittlichen Kriterien <strong>zu</strong> beurteilen“<br />

(Hilpert 1995, 621), verstanden werden. Beim Gewissen geht es auch um ein<br />

moralisches Gespräch bei <strong>Kinder</strong>n, die Recht von Unrecht durchaus unterscheiden<br />

können. Für <strong>Jugendliche</strong> ist bedeutsam, mit ihnen kommunikative Lernprozesse<br />

über Werte an<strong>zu</strong>stoßen.


8<br />

2. Das biblische Erbe betreffend Sexualität verlebendigen<br />

Wenn wir die Bibel <strong>zu</strong> <strong>ihr</strong>er Einstellung <strong>zu</strong> Leib <strong>und</strong> Sexualität befragen, erhalten<br />

wir zwar keine eindeutige Antwort, denn <strong>zu</strong> komplex, ja verwirrend, <strong>zu</strong> patriarchal<br />

auch in der Anlage. Immerhin scheint der Tenor im Alten Testament gewiss <strong>zu</strong>rückhaltender.<br />

Hin<strong>zu</strong> kommt, dass wir die Bibel <strong>nicht</strong> als Rezeptbuch für heute<br />

missverstehen sollten, gibt es doch einen „Wandel der Normen“ <strong>und</strong> der sozikulturellen<br />

Situationen. Gleichwohl gibt die Bibel <strong>zu</strong> lernen.<br />

Insgesamt ist eine bejahende Einstellung <strong>zu</strong> Leib, Leben <strong>und</strong> <strong>Geschlecht</strong>lichkeit<br />

<strong>nicht</strong> <strong>zu</strong> übersehen. In Liebe <strong>und</strong> Beziehung gibt es gar Leitvorstellungen <strong>und</strong> Leitbilder,<br />

aber auch verurteilte Einzeltaten, wie Gewalt, Vergewaltigung, Inzest, Ehebruch.<br />

Homosexualität wird durchwegs negativ konnotiert <strong>und</strong> abgelehnt (Gen<br />

19,1-25; Lev 18,22; 20,13; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,9-11 <strong>und</strong> 1 Tim 1,9f), aber <strong>nicht</strong><br />

in der aktuell diskutierten Form einer Neigungshomosexualität. Es handelt sich eher<br />

um Verirrungen Heterosexueller. „Die Bibel ist kein systematisches oder gar einheitliches<br />

Lehrbuch <strong>zu</strong> Fragen des Glaubens <strong>und</strong> der Moral“ (Halter 1981, a). Auf<br />

einzelne Fragen gibt sie keine Antworten wie z. B. die Frage der Empfängnisverhütung.<br />

Zur Zeit des Alten Testaments gab es eine weitgehend polygame Eheordnung,<br />

nach der ausgerechnet Abraham, der „Vater des Glaubens“ für Juden, Christen <strong>und</strong><br />

Muslime, <strong>nicht</strong> gut dasteht (wegen der Magd Hagar). Zu erwarten sind aber aus der<br />

Bibel Perspektiven, Gr<strong>und</strong>haltungen <strong>und</strong> Tugenden, die <strong>zu</strong> gelingenden Beziehungen<br />

beitragen <strong>und</strong> Versöhnung angesichts gescheiterter Partnerschaften anbahnen<br />

können.<br />

Im Unterschied <strong>zu</strong>r damaligen mythologischen Redeweise wird Sexualität in der<br />

Bibel <strong>nicht</strong> vergöttlicht, sondern als geschaffene weltliche Wirklichkeit gesehen.<br />

Nicht der Mensch schafft Sexualität; sie ist ihm vielmehr geschenkt, in sein leibgeistiges<br />

Sein eingefügt <strong>und</strong> in seine Verantwortung <strong>zu</strong>r Gestaltung übergeben. Sexualität<br />

ist eine von Gott dem Menschen <strong>und</strong> allen Lebewesen <strong>zu</strong>gedachte Möglichkeit.<br />

Die sexuelle Vereinigung gehört <strong>zu</strong>r Schöpfungsordnung.<br />

Das Alte Testament bringt <strong>zu</strong>m Ausdruck, dass Gott der Schöpfer der Welt <strong>und</strong> des<br />

Menschen ist <strong>und</strong> dass er die Schöpfung gr<strong>und</strong>sätzlich bejaht. Im Neuen Testament


9<br />

erhält dieses JA noch eine Vertiefung durch die Menschwerdung Gottes in Jesus<br />

von Nazareth. Die Welt <strong>und</strong> der Mensch sind von Gott gewollt <strong>und</strong> in <strong>ihr</strong>er<br />

Geschöpflichkeit <strong>und</strong> Eigengesetzlichkeit anerkannt. Der Mensch kann an der<br />

Schöpfung selbst mitwirken.<br />

Das alttestamentliche Hohelied der Liebe: Es ist ein Plädoyer für personale Liebe<br />

mit all <strong>ihr</strong>er leibseelischen Anziehungskraft. Das Geschenk der Sexualität wird im<br />

erotischen Liebesspiel entfaltet. Sexualität bringt den Partnern Genuss <strong>und</strong> Sinn in<br />

sich selbst! Das „schönste Lied“ bzw. das „Lied der Lieder“ (canticus canticorum)<br />

gehört <strong>zu</strong>r Weisheitsliteratur des Alten Testaments <strong>und</strong> wurde König Salomon <strong>zu</strong>geschrieben,<br />

der die Königin von Saba getroffen hat. Die historisch-kritische Forschung<br />

datiert das Liebeslied in das dritte Jahrh<strong>und</strong>ert vor unserer Zeitrechnung.<br />

Die Kirchenväter (Hippolyt, Origenes, Gregor von Nazianz) haben das Hohelied allegorisch<br />

ausgelegt als Liebe YHWHs <strong>zu</strong> seinem Volk <strong>und</strong> als Liebe Christi <strong>zu</strong>r<br />

Kirche (vgl. Eph 5,25). Mystiker/innen verwendeten im Anschluss daran oft weltliche<br />

Liebeslieder, um <strong>ihr</strong>e mystische Gottesliebe aus<strong>zu</strong>drücken. Gleichwohl erstaunt<br />

es, dass ein so gefühlvolles <strong>und</strong> mit Bildern besetztes Lied – gestaltet als Dialog<br />

zwischen Liebhaber <strong>und</strong> Geliebter – in den Kanon der Bibel aufgenommen wurde.<br />

Zahllos sind die musikalischen Gestaltungen des Hoheliedes (z. B. von Johann Sebastian<br />

Bach), welche die Kunst hervorgebracht hat. Bekannt ist eine Reihe geflügelter<br />

Worte, die in den allgemeinen Wortschatz eingegangen sind wie „denn ich<br />

bin krank vor Liebe“ (Hld 2,5 c); „Verzaubert hast du mich, meine Schwester<br />

Braut; ja verzaubert“ (Hld 4,9); oder „Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft<br />

ist hart wie die Unterwelt“ (Hld 8,6 b).<br />

Die moderne Bibelforschung neigt <strong>zu</strong> einer realistischen Interpretation des Hoheliedes.<br />

Im Hintergr<strong>und</strong> dürften Liebeslieder eines Hirtenpaares stehen. Im Zuge einer<br />

kirchlichen Deutung wollte man im Lied die Liebe zwischen Eheleuten sehen,<br />

doch gibt es dafür im Text kaum Anhaltspunkte. Papst Benedikt XVI. sieht im alttestamentlichen<br />

Hohelied „Liebeslieder, die vielleicht konkret einer israelitischen<br />

Hochzeitsfeier <strong>zu</strong>gedacht waren, bei der sie die eheliche Liebe verherrlichen sollten<br />

(„Deus caritas est 2005, Nr. 6, S. 12). Jedenfalls ist die Offenheit dieser Poesie erfrischend<br />

bis unbekümmert, in der sich die Verliebten gegenseitig schenken. So<br />

heißt es in Kapitel 7:<br />

„Dein Hals ist ein Turm aus Elfenbein. Deine Augen sind wie die Teiche <strong>zu</strong><br />

Heschbon beim Tor von Bat-Rabbim. Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen<br />

Damaskus schaut. Dein Haupt gleicht oben dem Karmel; wie Purpur sind deine<br />

Haare; ein König liegt in den Ringeln gefangen. Wie schön bist du <strong>und</strong> wie reizend,


10<br />

du Liebe voller Wonnen! Wie eine Palme ist dein Wuchs; deine Brüste sind wie<br />

Trauben. Ich sage: Ersteigen will ich die Palme; ich greife nach den Rispen. Trauben<br />

am Weinstock seien mir deine Brüste, Apfelduft sei der Duft deines Atems,<br />

dein M<strong>und</strong> köstlicher Wein, der glatt in mich eingeht, der Lippen <strong>und</strong> Zähne mir<br />

netzt. Ich gehöre meinem Geliebten <strong>und</strong> ihn verlangt nach mir. Komm, mein Geliebter,<br />

wandern wir auf das Land, schlafen wir in den Dörfern. Früh wollen wir<br />

dann <strong>zu</strong> den Weinbergen gehen <strong>und</strong> sehen, ob der Weinstock schon treibt, ob die<br />

Rebenblüte sich öffnet, ob die Granatbäume blühen. Dort schenke ich dir meine<br />

Liebe“ (Hld 7,5-13).<br />

Mit Günter Krinetzki (1980) lässt sich folgende Botschaft des Hohenliedes herauskristallisieren:<br />

Die Liebe zwischen Mann <strong>und</strong> Frau ist eine starke, sogar übermächtige<br />

Kraft, die sich der Schöpfung Gottes verdankt, <strong>nicht</strong> menschlicher Anstrengung.<br />

Das Hohelied ist ein Votum für eine wechselseitige Beziehung, für personale<br />

Liebe <strong>und</strong> für eine ebenbürtige, gleichberechtigte Partnerschaft. Die Schönheit von<br />

Mädchen <strong>und</strong> Jüngling wird kunstvoll <strong>und</strong> <strong>zu</strong>gleich ehrfürchtig beschrieben. „Damit<br />

<strong>zu</strong>sammen wird der Liebesgenuss selbstverständlich befürwortet“ (7,7.11, vgl. 2,3<br />

<strong>und</strong> 3,2) <strong>und</strong> zwar als etwas, „das seinen Sinn in sich selber trägt: als die den Liebenden<br />

gewährte Erfüllung <strong>ihr</strong>er Beziehung“ (2,3; 4,13.16; 8,11.12)“ (Krinetzki<br />

1980, 5).<br />

Der Skeptiker Kohelet denkt nach über die Zeit <strong>und</strong> gibt darin der Liebe <strong>ihr</strong>en<br />

selbstverständlichen Platz: „Alles hat seine St<strong>und</strong>e. Für jedes Geschehen unter dem<br />

Himmel gibt es eine bestimmt Zeit: eine Zeit <strong>zu</strong>m Gebären <strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Sterben,<br />

eine Zeit <strong>zu</strong>m Pflanzen <strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Abernten der Pflanzen... eine Zeit<br />

<strong>zu</strong>m Weinen <strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Lachen, eine Zeit für die Klage <strong>und</strong> eine Zeit für<br />

den Tanz. Eine Zeit <strong>zu</strong>m Steinewerfen <strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Steinesammeln, eine Zeit<br />

<strong>zu</strong>m Umarmen <strong>und</strong> eine Zeit, die Umarmung <strong>zu</strong> lösen… eine Zeit <strong>zu</strong>m Schweigen<br />

<strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Reden, eine Zeit <strong>zu</strong>m Lieben <strong>und</strong> eine Zeit <strong>zu</strong>m Hassen, eine Zeit<br />

für den Krieg <strong>und</strong> eine Zeit für den Frieden“ (Koh 3, 1-8).<br />

Wichtig in Be<strong>zu</strong>g auf Jesus ist einerseits die innere Unreinheit, welche ohne Liebe<br />

ist <strong>und</strong> die äussere Unreinheit überbietet, andererseits Jesu freien <strong>und</strong> zärtlichen<br />

Umgang mit Frauen. Er heilte die Frau, die an Blutfluss litt (Mt 9, 15-22; Mk 5, 25-<br />

34; Lk 8, 43-48) <strong>und</strong> sagte an anderer Stelle.<br />

„Nichts, was von außen in den Menschen hinein kommt, kann ihn unrein machen,<br />

sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Mk 7, 16).


11<br />

Paulus doppelte im Römerbrief nach: „Auf Jesus, unseren Herrn, gründet sich meine<br />

feste Überzeugung, dass an sich <strong>nicht</strong>s unrein ist; unrein ist es nur für den, der<br />

es als unrein betrachtet“ (Röm 14,14).<br />

Die Evangelien bezeugen einen offenen, natürlichen Umgang Jesu mit <strong>Kinder</strong>n<br />

<strong>und</strong> Erwachsenen. Er war ein Fre<strong>und</strong> der <strong>Kinder</strong>, stellte sie in die Mitte, umarmte<br />

sie <strong>und</strong> verstand sie als Leitbilder des Glaubens <strong>und</strong> des Vertrauens in Gott (Mk<br />

9,36-37 par). Jesus ließ sich <strong>zu</strong> Tisch einladen; wiederholt pflegte er Mahlgemeinschaft<br />

mit verschiedensten Menschengruppen, auch mit Sündern (z.B. mit Zachäus,<br />

Lk 19,1-9). Im Zuge seiner Heilungstätigkeit berührte er Kranke, widmete ihnen<br />

frohmachende Worte <strong>und</strong> bestrich beispielsweise das Augenleiden des Blinden von<br />

Betsaida mit Speichel (Mk 8,22-26).<br />

Jesus, der nach den Evangelien unverheiratet lebte, konnte mit menschlicher Nähe<br />

umgehen. So gewährte er Maria, der Schwester von Marta, dass sie sich <strong>zu</strong> seinen<br />

Füßen setzte, um seine Worten <strong>zu</strong> hören (Lk 10,38-42). Eindrücklich ist die Szene<br />

der Salbung von Betanien in der Bibel dargestellt.<br />

Jesus ließ sich mit dem kostbaren Öl die Füße salben <strong>und</strong> akzeptierte ausdrücklich<br />

Marias Geste der Zärtlichkeit, auch noch das Abtrocknen mit <strong>ihr</strong>en Haaren. Diese<br />

Salbung wird als Vorausbild der Salbung des verstorbenen Jesus gedeutet (Lk<br />

12,7). - Jesus auffälliger <strong>und</strong> wiederholter Umgang mit Sünderinnen <strong>und</strong> Sündern<br />

machte die Sprache des barmherzigen Gottes transparent <strong>und</strong> erfahrbar; am Unvergesslichsten<br />

ist eine Begegnung mit der Ehebrecherin.<br />

Nach dieser Perikope überschritt Jesus die Lebensordnung der Tora, um die<br />

Freiheit der Gnade Gottes <strong>zu</strong> betonen. Hatte das jüdische Gesetz (Dtn 22,22f.) auf<br />

Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigung vorgesehen, so erwies sich Jesus als<br />

barmherzig gegenüber der schuldigen Frau. Jesus richtete sie <strong>nicht</strong>, rechnete <strong>nicht</strong><br />

ab mit <strong>ihr</strong>en Sünden, fordert auch die Umstehenden <strong>zu</strong> Barmherzigkeit auf – speziell<br />

mit Rücksicht auf <strong>ihr</strong>e eigene Anfälligkeit <strong>zu</strong>r Sünde. Er bezeugte Gottes versöhnende<br />

Liebe, übersah zwar <strong>nicht</strong> die Schuld, setzt aber einen neuen Anfang <strong>und</strong><br />

eröffnet der Frau ein neues Leben <strong>und</strong> eine neue Zukunft. „Der Durchbruch <strong>zu</strong>m<br />

Dialog des Lebens mit dem lebendigen Gott, das ist die Sache, welche Jesus betreibt“<br />

(Kahlefeld 1988, 156). Er berücksichtigte die Gefährdung <strong>und</strong> Gebrochenheit<br />

des Menschen <strong>und</strong> brachte Gottes rettendes Wort ins Spiel. Auf diese Weise<br />

erneuerte er die Welt.


12<br />

Sexualität <strong>und</strong> Liebe gehören in der Bibel <strong>zu</strong>sammen. Sexualität wird pervertiert,<br />

wenn die Liebe mit Machtstreben einhergeht. Sexualpädagogik zielt auf die Kompetenz,<br />

Sexualität als Ausdruck <strong>und</strong> Sprache der Liebe <strong>zu</strong> gebrauchen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> leben.<br />

Da<strong>zu</strong> gehören die Liebe <strong>zu</strong> sich selbst <strong>und</strong> die Annahme der eigenen Leibhaftigkeit.<br />

Selbstliebe, Nächstenliebe <strong>und</strong> Gottesliebe sind für Christen drei Momente oder<br />

Dimensionen der einen Liebe, die letztlich von <strong>und</strong> in Gott ist (vgl. 1 Joh 4,16b),<br />

der uns <strong>zu</strong>erst geliebt hat (1 Joh 4,19).<br />

Fünffache Sinndimension der Sexualität – systematisch gesehen<br />

Wenn wir diese alle Daten der Bibel berücksichtigen, dann kann in moderner Sprache<br />

eine fünffache Sinnrichtung der <strong>Geschlecht</strong>lichkeit wahrgenommen werden.<br />

a. Liebe, Begegnung <strong>und</strong> Kommunikation<br />

Sexualität ist auf die Begegnung der Partner hin angelegt, dessen letztes Motiv die<br />

Liebe sein sollte, <strong>und</strong> zwar die zweckfreie Hingabe, das absichtslose Sich Verschenken<br />

ohne Hintergedanken.<br />

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Martin Buber). In den Begegnungen erfährt<br />

der Mensch Wertschät<strong>zu</strong>ng, Angenommensein ohne Vorbehalt. Ich denke,<br />

dass diese in ursprünglichsten Form in der Ehe möglich ist. Sie gewährt Schutz <strong>und</strong><br />

definitive Gemeinschaft, Exklusivität <strong>und</strong> letzte Geborgenheit. Die Ehe ist wohl der<br />

ideale Ort menschlicher Sexualität, aber <strong>nicht</strong> der Einzige, Es gibt ein „vor“ der<br />

Ehe, denn diese fällt <strong>nicht</strong> vom Himmel durch die kirchliche Trauung. Gewiss gibt<br />

es ein Warten <strong>und</strong> Verzichten –das kennt die katholische Sexualmoral schon immer<br />

– doch die Zeit zwischen körperlicher sexueller Reife <strong>und</strong> Eheschliessung hat sich<br />

bis auf die 10 bis 15 Jahre verlängert. Zudem haben sich gut familiäre Leitform der<br />

Zweigenerationen-Gemeinschaft eine Serie von familienähnlichen Lebensformen<br />

gebildet: Ein-Eltern-Familien; Patworkfamilien usf.<br />

b. Sexualität stiftet Identität<br />

Sexualität beantwortet die Frage, wer bin ich?<br />

Sie zeigt sich in leiblicher Gestalt <strong>und</strong> kommt körperlich <strong>zu</strong>m Ausdruck. Sie vermittelt<br />

das Bewusstsein, selbst Mann bzw. Frau <strong>zu</strong> sein, selbst ein geschlechtsgeprägtes<br />

Individuum <strong>zu</strong> sein. Selbstwahrnehmung <strong>und</strong> Fremdwahrnehmung ergeben<br />

ein neues Selbstbewusstsein <strong>und</strong> Selbstwertgefühl, unter der Bedingung, dass <strong>nicht</strong>


13<br />

ständig Kleinigkeiten ….. werden. Zärtlichkeit <strong>und</strong> Berührung stärken die persönliche<br />

Identität.<br />

c. Lebensfreude, Lust <strong>und</strong> Genuss<br />

Der dritte Aspekt menschlicher Sexualität schließt an die identitätsbildenden <strong>und</strong><br />

kommunikativen Aspekte an <strong>und</strong> überschreitet sie. Zärtliche <strong>und</strong> sexuelle Begegnungen<br />

können die Freude am anderen ausdrücken <strong>und</strong> vergrößern. Die geschlechtliche<br />

Begegnung kann Geborgenheit schenken. Lust soll von vorneherein <strong>nicht</strong>s<br />

Negatives sein, denn sie ist „etwas Gutes <strong>und</strong> Schönes“, wie des der Jugendkatechismus<br />

treffend bemerkt (YOUCAT 2011, 220), kann aber auch Egoismus pur manifestieren,<br />

sogar <strong>zu</strong> Gewalt führen. Sie kann Enttäuschungen <strong>und</strong> Frustrationserfahrungen<br />

aufwiegen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> verarbeiten helfen. Genießen lernen ist dabei eine anspruchsvolle<br />

Aufgabe, weil über das Leibhafte hinaus ein kognitiver, reflexiver Aspekt<br />

hin<strong>zu</strong>tritt. Genießen können drängt auch <strong>zu</strong>m erwähnten Aspekt der Sexualität,<br />

nämlich <strong>zu</strong>r sprachlichen Ausdrucksweise <strong>und</strong> <strong>zu</strong>r Kommunikation. Bereits im Hohelied<br />

Salomos ist diese lustbetonte Freude plastisch geschildert: Lust <strong>und</strong> Freude<br />

am Partner durchlaufen verschiedene Intensitätsstufen von der Zärtlichkeit bis <strong>zu</strong>r<br />

Leidenschaftlichkeit. Entscheidend für die Qualität der Begegnung dürfte der gelungene<br />

ganzheitliche Partnerbe<strong>zu</strong>g sein, der erst ein bewusstes Genießen <strong>und</strong> Auskosten<br />

der Liebe ermöglicht. Dem Sinngehalt der Lust <strong>und</strong> Lebensfreude entspricht<br />

das Prinzip der Gradualität <strong>und</strong> die Fähigkeit des Genießen – Könnens, die <strong>nicht</strong><br />

einfach gegeben ist, sondern durchaus der Einübung <strong>und</strong> des Lernens bedarf.<br />

d. Lebensschaffende Sexualität<br />

Die vierte Dimension sexueller Akte weist über die vorherigen drei hinaus. Sie<br />

zeigt sich in der Fruchtbarkeit der intimen Begegnung. Die geistige <strong>und</strong> leibhaftige<br />

Gemeinschaft wird fruchtbar im Kind. Durch die Zeugung wird Leben weitergegeben.<br />

Die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums „Gaudium et Spes“ (abgekürzt<br />

GS) hat die Bestimmung der Ehe auf die Zeugung der <strong>Kinder</strong> offiziell durch<br />

den Sinngehalt der Liebe ergänzt: „Die Ehe ist aber <strong>nicht</strong> nur <strong>zu</strong>r Zeugung von<br />

<strong>Kinder</strong>n eingesetzt, sondern die Eigenart des unauflöslich personalen B<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

das Wohl der <strong>Kinder</strong> fordern, dass auch die gegenseitige Liebe der Ehegatten <strong>ihr</strong>en<br />

gebührenden Platz behalte, wachse <strong>und</strong> reife“ (GS 50). Nach wie vor ist die Freude<br />

über ein Kind als Ergebnis der Liebe in der sexuellen Begegnung gross. Die Part-


14<br />

nerschaft wird im Kind überschritten <strong>und</strong> erweitert. Die Liebe zeigt auf w<strong>und</strong>erbare<br />

Weise <strong>ihr</strong> Früchte. Viele Eltern planen Zeitpunkt <strong>und</strong> Anzahl der <strong>Kinder</strong> in eigener<br />

Verantwortung, wie es in „Gaudium et Spes“ festgehalten ist: „ Dieses Urteil müssen<br />

die Eheleute im Angesicht Gottes letztlich selbst fällen“ (GS 50). Walter Kaspar<br />

hat folgende vier Kriterien für „verantwortete Elternschaft“ aufgestellt: „1.<br />

Die Achtung vor der Würde des anderen Partners <strong>und</strong> die Verantwortung für die<br />

Fortdauer <strong>und</strong> Vertiefung der gegenseitigen Liebe; 2. die Verantwortung für die geborenen<br />

<strong>und</strong> die noch <strong>zu</strong> erwartenden <strong>Kinder</strong>; 3. die Verantwortung für die Zukunft<br />

der Gesellschaft <strong>und</strong> der Menschheit; 4. die Ehrfurcht vor dem inneren Sinn der von<br />

Gott geschaffenen Natur, die dem Menschen <strong>zu</strong>r Kultur, aber <strong>nicht</strong> <strong>zu</strong>r schrankenlosen<br />

Ausbeutung <strong>und</strong> Manipulation übergeben ist“ 1 .<br />

e. Transzendenzoffenheit der Sexualität<br />

An letzter Stelle soll angesprochen werden, dass sexuelle Erfahrung über sich hinausweist<br />

<strong>und</strong> im Licht des Glaubens gedeutet werden kann. Die Begegnung mit dem<br />

Partner / der Partnerin ist für glaubende Menschen offen auf die Begegnung mit<br />

Gott hin, sogar ein Sinnbild für sie! Der leibhaft erfahrbare ekstatische Aspekt der<br />

geschlechtlichen Liebe wird offen für eine Begegnung mit der Transzendenz. Hans<br />

Rotter spricht von der „<strong>Geschlecht</strong>lichkeit als Ort der Gottesbegegnung“, indem<br />

„diese Begegnung tatsächlich <strong>zu</strong> einem Symbol für den letzte Sinn des Lebens, für<br />

Hingabe an Gott <strong>und</strong> Empfang des Heils wird“ (Rotter 1991, 11 – 12). Andererseits<br />

kann die Erfahrung geschlechtlicher Liebe die Vergänglichkeit <strong>und</strong> Begrenztheit<br />

des Daseins deutlich machen <strong>und</strong> auch so über sich hinausweisen (Rotter 1991, 15).<br />

Der spirituelle Aspekt der Sexualität gewinnt in der Literatur vermehrte Bedeutung.<br />

Sowohl Wunibald Müller wie Pierre Stutz haben da<strong>zu</strong> jüngst publiziert 2 . Es geht um<br />

eine neue Öffnung auf die Transzendenz hin, um ein Bewusstsein der Dankbarkeit<br />

für Leben <strong>und</strong> Liebe, vielleicht auch mal ein sinnstiftendes Ritual oder um ein gemeinsam<br />

gesprochenes Gebet.<br />

3. Umgang mit Sexualität in Familie, KITAs <strong>und</strong> <strong>Kinder</strong>garten<br />

1 Walter Kasper, Zur Theologie der christlichen Ehe, Mainz 1977, 29.<br />

2 Wunibald Müller, Vom Kuss seines M<strong>und</strong>es trunken. Sexualität als Quelle der Spiritualität (Topos Taschenbuch<br />

802), Kevelaer 2012; Pierre Stutz, Deine Küsse verzaubern mich. Liebe <strong>und</strong> Leidenschaft als spirituelle<br />

Quellen, München 2012.


15<br />

Während frühere Generationen sich <strong>ihr</strong>en <strong>Kinder</strong>n kaum unverhüllt zeigten, ist heute<br />

ein unbefangener ungezwungener freier Umgang mit Nacktheit <strong>und</strong> Körperlichkeit<br />

in den Familien fest <strong>zu</strong> stellen. In muslimischen Familien wurde diese Diskretion<br />

bis <strong>zu</strong>r Burka <strong>und</strong> beim Baden bis <strong>zu</strong>m Burkini ausgedehnt. Das ergibt einen<br />

Zusammenprall der Kulturen beim Badeunterricht, wie das gegenwärtig debattiert<br />

wird. Hierbei streiten Religionsfreiheit <strong>und</strong> Anpassung an die Mehrheitskultur miteinander.<br />

Religiöse Traditionen <strong>und</strong> Gefühle gegen die – aus muslimischer Sicht –<br />

permissive westlich dekadente Kultur. Entscheidend für eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung<br />

der <strong>Kinder</strong> ist <strong>und</strong> bleibt die Erfahrung, dass sie „unbedingt erwünscht“ sind (Mutter<br />

Teresa), dass sie anerkannt <strong>und</strong> geliebt werden trotz aller Fehler. Das ist die<br />

Aufgabe von Eltern <strong>und</strong> Erzieher, den <strong>Kinder</strong>n <strong>zu</strong> vermitteln, dass sie geliebt sind,<br />

selbst wenn sie Fehler gemacht haben Die andere Aufgabe, die v.a. in KITAs <strong>und</strong><br />

multikulturellen <strong>Kinder</strong>gärten (Folie) auf sie <strong>zu</strong>kommt, besteht darin, fremde Kulturen<br />

wahrnehmen <strong>zu</strong> lernen, das Fremde begreifen <strong>und</strong> achten <strong>zu</strong> lernen. <strong>Kinder</strong><br />

aus heterogenen Kulturen sind über KITAs <strong>und</strong> Co mit multikulturellen Lernprozessen<br />

befasst.<br />

Wie sind die <strong>Kinder</strong> in Be<strong>zu</strong>g auf Sexualität?<br />

<strong>Kinder</strong> sind offen <strong>und</strong> neugierig. Sie suchen Kontakt, Berührung, Wärme, Zärtlichkeit,<br />

Geborgenheit <strong>und</strong> probieren aus, was es an Umarmungen, Küssen <strong>und</strong> zeichenhaften<br />

Symbolhandlungen gibt. Säuglinge haben Lust auf Saugen (Brust, Daumen),<br />

auf Berührungen( am ganzen Leib), auf Hautkontakt (Schmusen, Kuscheln,<br />

gehalten werden). Sie möchten betasten, anschauen, hören, riechen, fühlen <strong>und</strong><br />

danken. Sie leben mit allen Sinnen. Sexualität ist in einem weiten Sinne ein Spiel.<br />

Sie möchten geschützt einschlafen <strong>und</strong> schwärmen schon mal für <strong>ihr</strong>e Eltern <strong>und</strong><br />

Erzieher.<br />

Kindliche Sexualität ist <strong>nicht</strong> partnerzentriert, <strong>nicht</strong> beziehungsbezogen, <strong>nicht</strong> genital<br />

orientiert, sondern egozentrisch, auf sich selbst bezogen. <strong>Kinder</strong> sind – <strong>und</strong> das<br />

ist betörend beeindruckend – unbefangen, spontan, neugierig <strong>und</strong> voller Entdeckerlust.<br />

<strong>Kinder</strong>n fehlen vorerst die normativen Gegebenheiten einer Kultur <strong>und</strong> sie<br />

müssen <strong>zu</strong>erst eingeführt werden in Unterschiede wie Intimität <strong>und</strong> Öffentlichkeit,<br />

Grenzen zwischen dem, was man tut <strong>und</strong> was man <strong>nicht</strong> tut. Ihnen ist <strong>nicht</strong> von<br />

vorneherein bekannt, wann sie übergriffig sind <strong>und</strong> wann sexuelle Muster tolerabel<br />

sind.


16<br />

Die Freudschen Phasen (orale, anale, infantilgenitale Phase, Latenzphase) werden<br />

heute relativiert, doch bleibend in <strong>ihr</strong>er Bedeutung.<br />

Doktorspiele gelten solange als normal als eben kein Kind gegen seinen Willen im<br />

Genitalbereich untersucht wird, solange kein älteres Kind da<strong>zu</strong>kommt <strong>und</strong> die<br />

gleichaltrigen <strong>Kinder</strong> unter sich bleiben. In der Literatur wird auch für eine Kuschelecke<br />

plädiert, damit sich <strong>Kinder</strong> <strong>zu</strong>rückziehen können, doch ist hier die Notwendigkeit<br />

eklatant sichtbar, dass die Elternarbeit gerade in diesen Fragen unabdingbar<br />

ist. Denn Eltern sind die Primärverantwortlichen. Ohne <strong>ihr</strong>e Zustimmung<br />

sollte kein Sexualatlas gemeinsam durchgeblättert werden.<br />

Achtung Kurzgeschichte durch ein Bilderbuch: Ursula Endes/Dorothee Walter,<br />

Wir können was, was <strong>ihr</strong> <strong>nicht</strong> könnt?<br />

Für Lehrpersonen <strong>und</strong> Erzieherinnen sollte klar sein, dass sie Fragen aus dem sexuellen<br />

Bereich aufmerksam wahrnehmen <strong>und</strong> besprechen. Die Antworten müssen<br />

<strong>nicht</strong> vollständig sein. Sie dürfen aber <strong>nicht</strong> falsch sein um die Glaubwürdigkeit bei<br />

den <strong>Kinder</strong>n <strong>zu</strong> wahren.<br />

Der sogenannte „Situationsansatz“ meint, dass die Situation <strong>und</strong> das fragende Kind<br />

als Subjekt im Zentrum stehen muß, <strong>nicht</strong> objektive allgemeine Wahrheiten.<br />

Erziehungsziele sind durch die Erarbeitung folgender Kompetenzen <strong>zu</strong> fördern:<br />

sich selbst kennen<strong>zu</strong>lernen, ein Selbstwertgefühl <strong>zu</strong> entwickeln, resilientwiderstandsfähig<br />

<strong>zu</strong> werden, das Recht auf den eigenen Leib fordern, das Recht,<br />

Nein <strong>zu</strong> sagen ausbilden, eine Sprache erlernen, die angemessen ist zwischen vulgärem<br />

Slang <strong>und</strong> medizinischer Fachsprache. Die Erziehung in KITAS <strong>und</strong> KG<br />

sollte gendergerecht <strong>und</strong> genderspezifisch sein. <strong>Kinder</strong> sollten inhaltlich die <strong>Geschlecht</strong>sunterschiede<br />

kennenlernen. Fragen der Zeugung, Schwangerschaft <strong>und</strong> der<br />

Geburt stehen im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Da<strong>zu</strong> brauchen sie auch Platz, Raum <strong>und</strong> vertrauende Gesprächspartnerinnen.<br />

Übergriffigkeit ist <strong>nicht</strong> sofort der Polizei <strong>zu</strong> melden, aber ruhig <strong>zu</strong> erläutern.<br />

Zu den „Doktorspielen“ sind dann irgend einmal Regeln <strong>zu</strong> vereinbaren.<br />

4. Fragen der Sexualität in caritativer Jugendhilfe, in Heimeinrichtungen<br />

als ambulante <strong>und</strong> stationäre Erziehungshilfe.<br />

Hierbei handelt es sich um ein besonders anspruchsvolles Handlungsfeld, weil es<br />

mit viel persönlichem Engagement, Betroffenheit <strong>und</strong> Nähe geschieht. Oft geht es


17<br />

um aktuelle Vorfälle, um sexuelle Übergriffe inner- <strong>und</strong> ausserhalb des Heimkontextes,<br />

auch um sexuelle Auffälligkeiten. Man spricht von „funktionaler Sexualpädagogik“<br />

bei kritischen Lebensereignissen wie Vergewaltigung, ungewollter<br />

Schwangerschaft.<br />

Folgende Kompetenzen sind von Sozialpädagogen/-innen erfordert:<br />

-Beherzt im Sinne der <strong>Kinder</strong>, <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> Familien handeln<br />

-Zielgerichtete Sexualpädagogik durchführen<br />

-professionelle sexualpädagogische Beziehungs- <strong>und</strong> Handlungskompetenz<br />

-in Verdachtsfällen rechtliche Schritte initiieren<br />

Zwei Pole:<br />

Einerseits ist das Recht auf<br />

Selbstbestimmung der<br />

<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong>n<br />

<strong>zu</strong> achten<br />

andererseits soll verantwortliches<br />

Handeln gegenüber<br />

den anderen <strong>und</strong> der<br />

Gesellschaft garantiert<br />

werden.<br />

Balance zwischen persönlicher Betroffenheit <strong>und</strong> sachlicher Distanz. Einfühlung/Empathie<br />

muss mit kühlem Kopf gepaart sein. Beträchtliche Verantwortung<br />

gegenüber institutionellen Trägern wie Jugendamt, wenn es um „Inobhutnahme“<br />

geht (bei sexuellem Missbrauch). Da<strong>zu</strong> gehört eine transparente <strong>und</strong> zeitnahe Informationsdidaktik.<br />

Die betroffenen Leidtragenden haben da Recht auch persönliche intensive Begleitung.<br />

Sozialpädagogen haben oft ambulante Erziehungshilfe als Familienarbeit, indem<br />

die traumatisierenden Ereignisse aufgearbeitet <strong>und</strong> die eigenen familiären Ressourcen<br />

(Zusammenhalt, gegenseitige Liebe in der Familie) erinnert werden. Oft<br />

muss das Jugendamt informiert werden.<br />

Sexualpädagogik in stationärer Erziehungshilfe<br />

Eine „Heimunterbringung“ ist ein Wechsel von Familienraum in den Lebensraum<br />

Heim. Hierbei gibt es unter anderem folgende Problemfälle:<br />

-sexuelle Verwahrlosung: Defizit in Schamgefühl <strong>und</strong> Gefühl für Intimität<br />

-Anmache, Beschimpfung <strong>und</strong> Übergiffe jugendlicher Heimbewohner auf Pädagoginnen<br />

<strong>und</strong> Pädagogen<br />

-Prostitution von jugendlichen Heimbewohnerinnen <strong>und</strong> –bewohner


18<br />

In all diesen Fragen ist <strong>zu</strong>m einen funktionale Soforthilfe nötig, professionelles<br />

Clearing <strong>und</strong> Einleiten von Massnahmen <strong>zu</strong>m Schutz der Betroffenen. Zum andern<br />

ist eine gr<strong>und</strong>legende Sexualpädagogik im Sinne der Prävention <strong>und</strong> der Information<br />

nötig: Täterstrategien, Formen der Übergriffe, Verhütung, Konsequenzen, bestimmter<br />

Verhalten nötig. Hierbei ist ein verlässliches verbindliches Verhalten der<br />

Erzieherinnen <strong>und</strong> Erzieher unentbehrlich.<br />

Wichtig ist auch die Wahrung von Intimitätsgrenzen <strong>und</strong> die Stärkung des Selbstbewusstseins.<br />

Was ist <strong>zu</strong>r Frage des „einvernehmlichen <strong>Geschlecht</strong>sverkehrs“ eines sechzehnjährigen<br />

Paares <strong>zu</strong> sagen? -<br />

Es ist die Frage der Statuten einer Einrichtung: Es besteht Regelbedarf schon wegen<br />

der Gruppe. Liberale Erziehungseinrichtungen vertreten die Meinung, Sexualkontakte<br />

unter der Zustimmung der Heimleitung können <strong>zu</strong>r Sexualkultur beitragen!<br />

Ich bin <strong>nicht</strong> sicher.<br />

Insgesamt soll sexualpädagogische Arbeit in der Erziehungshilfe <strong>zu</strong> selbstbestimmt,<br />

befriedigend, sozial-verantwortlich rücksichtsvollem Handeln befähigen.<br />

Noch ein kurzes Wort <strong>zu</strong>m Konsum pornographischer Filme. Es gibt Hinweise<br />

gewisser Autoren, die <strong>zu</strong> einem entspannten Umgang mit diesen durch Internet <strong>und</strong><br />

Fernsehen geforderten Form der Sexualität mahnen, alle Dramatisierungen als übertrieben<br />

abtun <strong>und</strong> gerade<strong>zu</strong> <strong>zu</strong>m Konsum einladen.<br />

Dagegen ist <strong>zu</strong> argumentieren. dass Mädchen <strong>und</strong> Frauen eher abgestossen werden<br />

<strong>und</strong> dass gerade sie sich <strong>zu</strong>recht über das defizitäre Frauenbild, das dort gezeigt<br />

wird aufhalten. Hin<strong>zu</strong> kommt, dass diese Filme stets Schamgrenzen <strong>und</strong> Intimität<br />

durchbrechen. Klar sind <strong>Kinder</strong> davor <strong>zu</strong> schützen, weil sie Schaden nehmen. Völlig<br />

ungeeignetes Medium für Schule <strong>und</strong> RU. Regelmäßiges Schauen ist nur von<br />

einem geringen Prozentsatz <strong>Jugendliche</strong>r empirisch nach<strong>zu</strong>weisen, sodass der Titel<br />

„Generation Porno“ weit überzogen ist. Die Wirkungen vom Konsum von Pornofilmen<br />

sind schwer messbar. Oft ist Porno-gucken eine Initiation in Jugendkultur,<br />

wo man mitreden kann <strong>und</strong> will. Oft auch eine Weise der Aufklärung. Aber es ist<br />

<strong>nicht</strong> die Wirklichkeit, die gezeigt wird, sondern ein Ausschnitt. Oft ist Gewalt,<br />

keine Zustimmung der Akteure vorhanden. Sexualität wird ohne Beziehung gezeigt.<br />

Instrumentalisierung von Frauen <strong>und</strong> Männern <strong>zu</strong> reinen Sexobjekten.<br />

Oft auch Verstossfragen gegen familiäre <strong>und</strong> schöpfungstheologische Werte


19<br />

Individualität <strong>und</strong> Beziehung. Liebesgefühle spielen gar keine Rolle. Klischeehafte<br />

Stereotypen werden mit einem defizitären Verständnis von Sexualität verb<strong>und</strong>en.<br />

Vielleicht kann <strong>Jugendliche</strong>n in diesen Fragen auch ein bisschen Privatsphäre gewährt<br />

werden. Viele haben viele gr<strong>und</strong>legende <strong>und</strong> technische Fragen, die sie dann<br />

im Internet, früher bei Dr. Sommer im Bravo klären. Heute gibt es auch vernüftige<br />

Auskunftsmöglichkeiten im Internet. Beispielhaft sind www.sextra.de von<br />

ProFamilia, www.loveline.de vom BzgA.<strong>zu</strong> erwähnen.<br />

5. <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> mit Behinderungen <strong>und</strong> das Thema Sexualität<br />

Noch ein schwieriges <strong>und</strong> heißes Thema deshalb, weil überdurchschnittlich viele<br />

Übergriffe <strong>und</strong> Missbräuche in diesem Bereich bekannt <strong>und</strong> empirisch nachweisbar<br />

sind.<br />

Ganz selbstverständlich haben auch <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong> mit Handicaps sexuelle<br />

Bedürfnisse. Im sexualpädagogischen Diskurs wird ihnen das Recht auf ein sexual<br />

befriedigendes Leben <strong>zu</strong>gebilligt, zwar je nach Handicap anders, aber nach Möglichkeit<br />

bis <strong>zu</strong>r Ehe <strong>und</strong> Nachkommenschaft. Spräche man Menschen mit Behingrun<br />

das Recht auf Sexualität ab, die wichtig ist für Selbstwert, Identität, Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Wachstum, man würde die Würde dieser Personen tangieren. Behinderung<br />

ist keine Minusvariante, niemals Minderwertigkeit, sondern Andersheit <strong>und</strong> heute<br />

in einem Zusammenhang der Förderung <strong>zu</strong> sehen, <strong>nicht</strong> des Defizites.<br />

Die Frage, die <strong>zu</strong>nehmend gestellt wird, bezieht sich auf die Hilfestellungen für<br />

sexuelle Aktivitäten bei bestimmten Formen der Behinderungen <strong>und</strong> bei schwerstmehrfachbehinderten<br />

Personen. (Früher hat man besonders Mädchen <strong>und</strong> Frauen<br />

mit Behinderungen als geschlechtsneutral erzogen <strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e <strong>Geschlecht</strong>lichkeit einfach<br />

ignoriert.) Es ist die Frage der sogenannten Sexualassistenz, die unterschieden<br />

wird in passive <strong>und</strong> aktive Sexualassistenz. Diskutiert wird über die Unterstüt<strong>zu</strong>ngsangebote<br />

im Sinne größtmöglicher Autonomie von beeinträchtigten Personen<br />

<strong>und</strong> der Garantie an gesellschaftlicher Teilhabe. Wichtig ist stets, dass die Initiative<br />

bzw. der Wunsch nach einzelnen Formen sexueller Erfüllung von der betreffenden<br />

Person aus gehen. Frauen sind insgesamt <strong>zu</strong>rückhaltender <strong>und</strong> weniger direkt als<br />

Männer; ihnen ist die eher weibliche Form der Sexualität wichtig, also Vertrauen,<br />

eine Ansprechpartnerin <strong>zu</strong> haben, ganzheitliches Erleben der Gemeinschaft.


20<br />

Unter passiver Assistenz versteht man die individuelle Beratung, Begleitung oder<br />

andere Hilfen <strong>zu</strong>m sexuellen Voll<strong>zu</strong>g. Etwa die Bereitstellung eines Rück<strong>zu</strong>graumes,<br />

um in Ruhe Zweisamkeit mit einer Partnerin <strong>zu</strong> genießen, vielleicht die Vermittlung<br />

einer professionellen Sexualbegleiterin oder der Zugang <strong>zu</strong> einer Selbsthilfegruppe.<br />

Es gibt auch katholische Einrichtungen, die solche indirekten Helfer<br />

<strong>nicht</strong> als abwegig sehen <strong>und</strong> auch voreheliche <strong>und</strong> außereheliche Beziehungen <strong>nicht</strong><br />

ablehnen.<br />

Unter aktiver Sexualassistenz versteht man, wenn möglichst geschulte Personen, die<br />

<strong>nicht</strong> verwandt oder dem Pflegepersonal <strong>zu</strong>gehörig sind, behinderte Menschen bei<br />

sexuellen Handlungen begleiten oder unterstützen – etwa bei einer zärtlichen Berührung<br />

der Wange, bei einem erotischen Körperkontakt, beim Anschauen einer<br />

nackten Person oder bei sexuellen Interaktionen. Unter der Vorausset<strong>zu</strong>ng der Zurechnungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> der inneren Zustimmung sollte es keine rechtlichen Schwierigkeiten<br />

geben, wobei gegen diese aktive Sexualassistenz auch Vorbehalte geäußert<br />

werden, etwa der Sorge um die wahre Freiheit, wenn jemand von außen<br />

kommt, oder um die Anonymität der Beziehung. Hin<strong>zu</strong> kommt, dass das eine Mal<br />

das Gr<strong>und</strong>problem einer fehlenden Beziehung <strong>und</strong> personale Bindung noch <strong>nicht</strong><br />

löst.<br />

Insgesamt sind geschlechtsspezifische Wege <strong>und</strong> Professionalität wichtig.<br />

Abschließend <strong>zu</strong>r Fragen der Ehe von Menschen mit Behinderungen:<br />

Die Katholische Kirche – Gott sei es geklagt – verbietet einer querschnittgelähmten<br />

Person die Ehe in Canon 1084, weil er <strong>zu</strong>m Beischlaf unfähig ist. Da es sich um ein<br />

göttliches Recht handelt, gibt es in keinem Fall eine Dispensmöglichkeit. Damit<br />

wird die Ehe auf einer Zweckgemeinschaft <strong>zu</strong>r Zeugung der Nachkommenschaft reduziert<br />

<strong>und</strong> <strong>nicht</strong> als umfassende Lebens- <strong>und</strong> Liebesgemeinschaft zwischen Mann<br />

<strong>und</strong> Frau, in der sich Gottes B<strong>und</strong> mit den Menschen realsymbolisch fortsetzt <strong>und</strong><br />

verdichtet. Dabei könnte gerade die Querschnittslähmung eines Menschen, der sich<br />

<strong>zu</strong>r Ehe entschließt, Gottes unbedingte Solidarität mit den Menschen <strong>und</strong> besonders<br />

mit beeinträchtigten zeigen/offenbaren. Gewiss, die Enzyklika Humanae vitae hat<br />

die Ehe als Liebesgemeinschaft gesehen; aber das Kirchenrecht müsste sich längst<br />

korrigieren. Hier handelt es sich schlicht um eine Diskriminierung von Menschen


21<br />

mit Handicap. Die 2006 von der Vollversammlung der UNO beschlossenen Konvention<br />

für die Rechte von Menschen mit Behinderung betont indessen, dass ihm<br />

alle Rechte <strong>zu</strong>gestanden werden, die Teilhabe <strong>und</strong> Einbe<strong>zu</strong>g in eine Gesellschaft<br />

gewähren.<br />

6. Leitlinien für eine jugendsensible <strong>und</strong> reife Gr<strong>und</strong>einstellung <strong>zu</strong>r Sexualität<br />

in der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

6. Leitlinien für eine jugendsensible <strong>und</strong> reife<br />

Gr<strong>und</strong>einstellung <strong>zu</strong>r Sexualität<br />

1. Leitlinie: Die Sexualpädagogik hat <strong>ihr</strong> Augenmerk wie bisher auf qualitativ<br />

hochwertige Erlebnis- <strong>und</strong> Beziehungarbeit <strong>zu</strong> richten.<br />

2. Leitlinie: Sexualpädagogik pflegt einen dialogischen Umgang mit <strong>Kinder</strong>n<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong>n in angemessener Sprache<br />

3. Leitlinie: Kirchliche Jugendarbeit sensibilisiert für Verantwortung durch die<br />

Erarbeitung ethischer Verhaltenskodices<br />

4. Leitlinie: Die Erzieherinnen <strong>und</strong> Pädagogen überlegen sich <strong>ihr</strong>e<br />

Bereitschaft <strong>zu</strong>r fakultativen Weiterbildung <strong>zu</strong>m Thema des Umgangs mit<br />

Sexualität<br />

5. Leitlinie: Sexualpädagogik soll <strong>zu</strong>r Menschwerdung beitragen <strong>und</strong> die<br />

Prävention fördern.<br />

Prof. Dr. Stephan Leimgruber<br />

39<br />

Damit kommen wir <strong>zu</strong>m Schluss, meine Damen <strong>und</strong> Herren<br />

„Kann denn Liebe Sünde sein?“<br />

Meine Antwort – Ja, Liebe kann Sünde sein,<br />

wenn sie egoistisch <strong>und</strong> ohne Rücksicht praktiziert wird,<br />

wenn Liebe durch Gewalt <strong>und</strong> ohne innere Zustimmung des Herzens geschieht,<br />

Liebe ist Sünde, wenn Macht ausgeübt wird statt Dienst am Leben.<br />

Den Vortrag habe ich ausgearbeitet am 14. September.<br />

Am Fest der Kreuzerhöhung stand im Evangelium bei Johannes 3,17:<br />

„Denn Gott hat seinen Sohn <strong>nicht</strong> in die Welt gesandt,<br />

damit er die Welt richtet,<br />

sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17).<br />

Anstelle von Sündenkatalogen <strong>und</strong> einer<br />

„Du darfst <strong>nicht</strong>-Pädagogik will ein


22<br />

christlich mündiger Sexualpädagoge den guten<br />

gestalteten Umgang mit Sexualität.<br />

Bibliographie<br />

AMMICHT-QUIN, REGINA (Hg.), „Guter“ Sex. Moral, Moderne <strong>und</strong> die katholische Kirche,<br />

Paderborn 2013.<br />

ARBEITSSTELLE FÜR JUGENDSEELSORGE DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hg.),<br />

Kirche, Jugend, Sexualität. Herausfoderung einer verantwortlichen Sexualpädagogik in<br />

der Jugendpastoral. Dokumentation der Jahreskonferenz Jugendseelsorge 2011, Düsseldorf<br />

2012.<br />

BUJA, BENEZET, Plädoyer für ein neues Modell von Ehe <strong>und</strong> Sexualität. Afrikanische Anfragen<br />

an das westliche Christentum, Freiburg 2007.<br />

BZGA (Hg.), Jugendsexualität. Repräsentative Wiederholungsbefragung von 14-17 Jährigen<br />

<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>en Eltern –aktueller Schwerpunkt Migration, Köln 2010.<br />

BDKJ DIÖZESANVERBAND FREIBURG (Hg.), Schutz von sexueller Gewalt auf Freizeiten,<br />

Freiburg 2012.<br />

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ENDEN, URSULA,/WOLTHERS, DOROTHEE, Wir können was, was <strong>ihr</strong> <strong>nicht</strong> könnt. Ein<br />

Bilderbuch über Zärtlichkeit <strong>und</strong> Doktorspiele, Zartbitter Köln 2006.<br />

EKD (HG.), …neue Position über Ehe <strong>und</strong> gleichgesellschaftliche Partnerschaft<br />

FIEDLER, PETER, Sexualität, Stuttgart 2010.<br />

GEMEINSAME SYNODE DER BISTÜMER IN DER BRD (Hg.), Sinn <strong>und</strong> Gestaltung menschlicher<br />

Sexualität (159-183*); Christlich gelebte Ehe <strong>und</strong> Familie (419-457).<br />

HAAS, DANIELA, Das Phänomen Scham. Impulse für einen lebensförderlichen Umgang<br />

mit Scham im Kontext von Schule <strong>und</strong> Unterricht, Stuttgart 2013.<br />

HILPERT, KONRAD (Hg.), Zukunftshorizonte katholischer Sexualität, Freiburg 2011.<br />

LANDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITSFÖRDERUNG IN RHEINLAND-PFALZ (Hg.), Körpererfahrung<br />

<strong>und</strong> Sexualerziehung im <strong>Kinder</strong>garten, Köln 2009.<br />

LANGER, MICHAEL, Katholische Sexualpädagogik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Zur Geschichte eines<br />

religionspädagogischen Problems, München 1986.<br />

LEIMGRUBER, STEPHAN, Christliche Sexualpädagogik, München 2011.<br />

LINTNER, MARTIN, Den Eros entgiften. Plädoyer für eine tragfähige Sexualmoral <strong>und</strong><br />

Beziehungsethik, Innsbruck 2 2012.<br />

MAJERUS, MILL UND CATHERINE, Über Sex <strong>und</strong> Liebe reden. Ein Ratgeber für Eltern<br />

<strong>und</strong> alle, die <strong>Jugendliche</strong> begleiten, München 2007.<br />

MUHL, IRIS, Intim. Fachleute im Gespräch über Lust, Leidenschat <strong>und</strong> erfüllte S., Basel<br />

2009.<br />

MÜLLER, WUNIBALD, Vom Kusse seines M<strong>und</strong>es trunken. Sexualität als Quelle der Spiritualität,<br />

Kevelaer 2012.<br />

RAITH-PANLER, ELISABETH, Was ist los in meinem Körper? Alles über Zyklus, Tage <strong>und</strong><br />

Fruchtbarkeit (MFM-Projekt der Aufklärung), Augsburg 2 2013.<br />

SCHMIDT, RENATE-BERENIKE/SIELERT, UWE, Handbuch Sexualpädagogik <strong>und</strong> sexueller<br />

Bildung, Weinheim/München 2008.<br />

SIELERT, UWE, Einführung in die Sexualpädagogik, Weinheim/Basel 2005.<br />

SCHMIDT, SIELERT (Hg.), Sexualpädagogik in beruflichen Handlungsfeldern, Köln 2012.<br />

SCHNARCH, DAVID, Intimität <strong>und</strong> Verlangen. Sexuelle Leidenschaft wieder wecken,<br />

Stuttgart 2 2011.<br />

SCHWICKART, GEORG, Sexualität in den Weltreligionen, Gütersloh 2001.<br />

AG. DER EVANG. JUGEND (HG.) Sex Sex Sex Schulungsmappe S.bei Jugendreisen,<br />

Hannov. 12.<br />

STUTZ, PIERRE, Deine Küsse verzaubern mich. Liebe <strong>und</strong> Leidenschaft als spirituelle<br />

Quellen, München 2012.<br />

THEMENHEFT „Sexualität“ von Reliss (Zeitschrift für den kath. RU), Paderborn 2013/3.<br />

WILLI, JÜRG, Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Paarbeziehungen,<br />

Hamburg 2 2004.<br />

ZIEBERTZ, HANS-GEORG, Sexualität im Wertepluralismus, Mainz 1991.

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